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»Feinslieb – ich thur Dich grüßen!«
J. V. v. Scheffel.
»Nun behüt Dich Gott, herztausiger Schatz,
Du siehst mich nimmermehr! –
Volkslied.
In dem Turmzimmerchen, welches Pia bewohnte, hatte lange das Licht gebrannt. Spät nach Mitternacht erst war es erloschen, als letztes in der Burgvilla. Nun stand der Mond in voller Silberpracht am Himmel und malte einen breiten Glitzerstreifen auf das Wasser, langhin wallend bis nach Sonneck und Falkenburg hinüber, deren Ruinen grell beleuchtet wie Märchengebilde über den dunklen Bergen schwebten.
Weich und warm wogte die Luft, Ströme von Duft quollen aus den blühenden Gebüschen, in welchen die Nachtigall von wonnigen Qualen der Liebe sang. Stern an Stern funkelte am klaren Himmel, tiefer, zauberhafter Frieden ruhte auf dem schönsten aller landschaftlichen Bilder und selten nur, lautlos wie ein Traum, glitt ein Schiff mit gelbglühenden Lichtern den Rhein hinab. Wie ein Schatten zieht es dem Ufer zu – ein kleines Boot, welches vorsichtige Ruderschläge treiben.
Wie funkelnder Tau sprüht es auf, wenn sich die Ruder heben – und wo das Steuer in das klare Wasserband einschnitt, zieht sich ein blinkender Schweif lang und zitternd hinter dem Schiffchen her.
Und nun hält das Boot direkt unter dem Turmfenster, hinter welchem soeben das Licht erloschen, eine hohe Männergestalt richtet sich in dem kleinen Fahrzeug auf, – eine andere rückt seitwärts und hält die Ruder.
Dann blinkt es grell auf in der Hand des Stehenden. Eine Trompete.
Er hebt den Kopf und späht noch einmal nach den Frontfenstern der Villa. Sie liegen längst in tiefem Schlummer, Hellmuth weiß, daß nach der Rheinseite nur die beiden Salons der Luxors liegen und daß man die Schlafzimmer nach dem stillen Park zu wählte.
Langsam hebt er die Hand und setzt die poetische Liebesbotin an die Lippen.
Weich und rein entströmt ihr der Klang, weit hinziehend durch die stille Nacht und über das ruhige Wasser. –
»Gute Nacht, Du mein herziges Kind!« –
Lauschend, mit tiefgeneigtem Haupt sitzt der Gefährte im Boot, – und droben in dem Turmstübchen erzittert ein Mädchenherz in unbeschreiblichem Entzücken.
Mit wachen Augen hatte Pia das Köpfchen in die Kissen gedrückt, an ihn denkend und von ihm träumend, welcher ihre ganze Seele wie durch Zauberspuk zu eigen genommen.
Rosige Zukunftsbilder umgaukelten sie, holde wonnige Märchen, welche seine Liebe wahr machen soll! – Noch hatte er ihr so wenig von seiner Heimat und seiner Familie erzählt, sie wußte kaum, ob er Eltern besaß, ja sie kannte nicht einmal den Namen seines Wohnortes, und dennoch kam es ihr nicht in den Sinn, danach zu fragen. Dies alles war ja so nebensächlich! Sie liebte ihn, allein ihn! nicht seinen Namen, seine Stellung, seine Sippe! An seiner Seite wird sie glücklich sein, gleichviel wo und wie das Nestlein beschaffen sein wird, welches er ihrer Liebe und ihrem Glück erbaut.
Viel mehr quält sie der Gedanke, daß sie ihm gegenüber ein falsches Spiel spielt, daß sie in seinen Augen einen Namen trägt, welcher nicht der ihre ist. Daß sie ein armes Mädchen ohne Vermögen ist, weiß er, sie hat ihm erzählt, daß sie Gast in dem reichen Hause der Verwandten ist.
Ein paar Minuten hat ihr Herz nach dieser Eröffnung gebebt und gezittert. Sie, die Welterfahrene, welche so manche Liebestragödie auf der großen Schaubühne des Lebens gesehen, welche weiß, wie golden das Feuer brennen muß, soll es die Herzen der klugen und vorsichtig berechnenden Männer entzünden – sie hat einen Augenblick auch an ihm und seiner Liebe gezweifelt! Fränzchen, die reiche Erbin, welche ihm ihre Liebe so klar und deutlich zeigte, welche er ohne jede Mühe zu eigen gewinnen konnte, und mit ihr all die reichen Glücksgüter, mit denen sie gesegnet war, – und dagegen – sie, die Arme, welche nichts bieten konnte, wie ihre Schönheit und ihre Liebe! Die sechzehn Ahnen, welche ihre Mitgift waren, hatten wohl für einen Grafen Niedeck Wert, für den Forstassessor Hellmuth aber waren sie tote Götzen, welchen man keine Opfer bringt. – Wie wird er nun wählen? – Mit dem Herzen oder mit dem Verstand? – Mit dem Herzen! diesem liebeheißen, ehrlichen, goldtreuen Herzen! – Dieses Bekenntnis hatte ihr aus seinem Auge entgegengeleuchtet, hatte in seinen Küssen auf ihrer Hand gebrannt, wie ein Rausch der Wonne, der überschwenglichsten Glückseligkeit hatte es das stolze, spröde Mädchen erfaßt! – Sie liebte und ward wieder geliebt, der Gipfel alles Glückes, welchen sie nie zu schauen geglaubt, war erreicht.
Und nun lag sie mit lächelnden Lippen und thränenfeuchten Augen in den Kissen und preßte ihre Hand, auf welcher seine Küsse flammten, gegen Lippen und Wange. – Nachtwache der Liebe, du gebenedeite, du heilige, selige Zeit! – Und leise, wie eine Antwort auf all die seligen Fragen, welche ihr Herz durchbebten, klang es von dem Fluß empor, voll zärtlicher Innigkeit und leidenschaftlicher Gewalt: – Gute Nacht, Du mein herziges Kind! –
Sie schließt die Augen und lauscht – – und dann überkommt es sie wie namenlose Sehnsucht – wie eine Träumende erhebt sie sich, tastet nach ihrem Morgenkleid und tritt an das Fenster. Sie will ihn sehen – nur einen – einen Blick! Unmöglich, der Kahn ist tiefer in den Schatten getrieben und hält dicht unter dem Turm, – sie greift mechanisch nach dem Riegel und öffnet leise das Fenster.
Der Mondschein taucht ihr Köpfchen in schimmernde Helle – sie sieht ihn stehen, wie er in stummem Gruß die Arme zu ihr hebt – und dann erklingt plötzlich eine herrliche, jubelnde Weise, das Liebeslied Jung-Werners, welches er als seligster Mann der Geliebten brachte. –
»Lindduftig hält die Maiennacht
Jetzt Berg und Thal umfangen,
Da komm ich durch dir Büsche sacht,
Zum Herrenschloß gegangen!
Im Garten rauscht der Lindenbaum,
Ich steig' in seine Äste
Und singe aus dem grünen Raum
Hinauf zur hohen Veste:
›Jung-Werner ist der glückseligste Mann
Im römischen Reich geworden,
Doch wer solch Glück ihm angethan,
Das sagt er nicht mit Worten,
Das schließt sich nur in Töne ein,
Wie wunderschön ist's doch im Mai'n –
Feinslieb, ich thue Dich grüßen!‹« –
Pia kannte diese Riedelsche Komposition und hatte das Duett schon öfters gesungen; – ihr Herz schlug hoch auf, – übervoll des Glückes, welches die Brust zu zersprengen droht, und sich kaum dessen bewußt, was sie that, sang sie mit köstlicher, seelenvoller Stimme die Antwort.
Die Trompete verstummte, mit weitausgebreiteten Armen, den Kopf zurückgeneigt in entzücktem Schauen, stand er im Kahne und fühlte, wie die süße Stimme ihm Herz und Seele erbeben machte:
»Im Wipfel hoch die Nachtigall
Stimmt ein mit süßem Schlagen –
Durch Berg und Thal wird weit der Schall,
Der Schall des Lieds getragen. –
Drob schauen rings die Vöglein auf,
Der Sang thät sie erwecken,
Bald schmettert laut der helle Hauf'
Aus Busch und Zweig und Hecken:
›Margretha ist die glückseligste Maid
Im römischen Reich geworden,
Doch wer das Glück ihr angethan,
Das sagt sie nicht mit Worten!
Das schließt sich nur in Töne ein –
Wie wunderschön ist's doch im Mai'n,
Feinslieb, ich thue Dich grüßen!‹« –
Mit jauchzendem Klang setzte die Trompete wieder ein. – Ihr Ton mischte sich mit der klaren Mädchenstimme, wunderhold zog es den stillen Rhein entlang, und wer im Kurhaus davon erwachte, lächelte schlaftrunken: »des Säckingers Geist geht um!« –
Hochatmend preßte Pia die Hände gegen die glühenden Schläfen, und dann nahm sie den Fliederstrauß, welcher neben ihr in der Vase duftete, und schleuderte ihn hinab in den Kahn. –
»Lilian!« klang es wie ein halberstickter Jubelschrei zu ihr empor, da winkte sie noch einmal mit weißen Händen hinab, wich hastig zurück und schloß das Fenster.
Drunten aber klang die Trompete in dem himmelaufjauchzenden Schluß des Duettes – und der Kahn zog zurück über die schimmernde Flut und bald tönte es nur fern her wie ein süßes Echo: »Das schließt sich nur in Töne ein, wie wunderschön ist's doch im Mai'n, Feinslieb, laß Dich umschließen!« –
Die Thüre, welche aus Pias Zimmer nach dem kleinen Nebengemach, in welchem Dorette schlief, führte, knarrte leise in den Angeln.
Die Alte stand mit einem Licht in der Hand auf der Schwelle, ihr runzliches Gesicht lächelte wie verklärt! –
»Ei du liebe Zeit! über solch eine Überraschung! da hat der Turmwächter von Rheinstein den Damen ein Ständchen gebracht! Ich sagte ja gleich, der Mensch ist ganz vernarrt in unsere gnädigen Fräuleins, und wie Komtesse mir erzählte, daß er auf dem Horn vorgeblasen habe, und daß sie es so schön gefunden habe – da dachte ich gleich: »Na, da wird er wohl manchmal oben von dem Turm heruntertuten!« und nun kommt er gar im Kahn angefahren! Schön hat er geblasen! prachtvoll schön! Du lieber Gott, mir ist's ganz weich ums Herz geworden! und wie herrlich haben das gnädige Fräulein zur Antwort gesungen! so etwas kann man sich ja kaum erträumen lassen! Hätte die Frau Gräfin nicht über Kopfschmerz geklagt, hätte ich sie sicher geweckt, daß sie und Komtesse das Ständchen hätten hören müssen!«
Während des erregt hervorgesprudelten Wortschwalls der Alten hatte Pia Zeit gefunden, sich zu sammeln.
Sie wandte das Gesicht zur Seite und lachte ein wenig gewaltsam. »Ja, der Turmwächter vom Rheinstein!« nickte sie hastig, »ganz recht, er war es! Sie haben ihn also auch erkannt? O, wir wollen Fränzchen morgen mit diesem originellen Verehrer necken! Nun aber gute Nacht, Dorette, wir wollen den versäumten Schlaf schnell nachholen!«
»Ja, das wollen wir! o, und Komtesse soll morgen Augen machen!! – Wünsche gehorsamst gute Nacht, gnädiges Fräulein!«
»Schlafen Sie wohl, Dorette!« –
Die Thüre schloß sich und das bleiche Mondlicht flutete abermals durch das Turmstübchen. Pia aber trat an das Fenster, lehnte die Stirn gegen die Scheiben und blickte voll süßer Träumerei in die stille Nacht hinaus.
Von der Clemenskapelle herüber tönten Glockenschläge, ein paar dunkle Wolken traten vor den Mond, und Pias Blick grüßte noch einmal hinab nach dem Rhein, dessen Wogen soeben den Geliebten zu ihr getragen!
Schwer fielen die Lider über ihre Augen. Sie sank müde in die Kissen zurück und noch einmal klang es wie leiser Wiederhall in ihrem Herzen: »Feinslieb, ich thue Dich grüßen!« –
*
Noch perlte der Frühtau an den Blüten und Weggräsern, als Pia leichtfüßig durch die Gartenanlagen schritt.
Die Luft, welche schwül wie vor einem Gewitter geworden, hatte sie aus dem engen, heißen Stübchen in das Freie getrieben. Sie sehnte sich nach einer Stunde der Einsamkeit, um sich hier in Gottes schöner Natur ihres jungen Liebesglückes voll bewußt zu werden. Wer mochte wissen, ob der Tag ihr solch ein wonnevolles Alleinsein gönnen werde!
Die Sonne blinkte nur hie und da noch einmal verstohlen durch die Dunstschleier, welche sich düster und dichter um die Berge zogen und kaum noch den freien Blick auf Bingen gewährten.
Über Falkenburg und Sonneck stiegen dunkle Wolken empor, welche wohl ein Gewitter anmeldeten, und die Wogen des Rheins färbten sich im Schatten der Berge dunkelgrün und grau, und doch war es schön hier in der duftigen Morgenfrühe, wo Vogelkehlchen zwitscherten und das emsige Hasten und Treiben des Schiffs- und Uferverkehrs sich immer lebhafter gestaltete.
Fernab in dem Teil des Parkes, welcher sich jenseits des Kurhauses erstreckt, befand sich ein lauschig umwachsenes Sitzplätzchen, welches das junge Mädchen unbemerkt zu erreichen hoffte.
Kaum aber daß sie in die schattigen Anlagen eingetreten war, klang ihr ein eiliger Schritt entgegen, und scharf um das Fliedergesträuch biegend, stand Hellmuth vor ihr, ehe sie Zeit fand, ihrer Betroffenheit Herr zu werden. Und abermals schallte ihr der Jubellaut glückseligster Überraschung von seinen Lippen entgegen: »Lilian!« Sie hatte die bebende Hand auf das Herz gepreßt, einen Augenblick sanken ihre dunklen Wimpern tief auf die Wange hernieder, – dann fühlte sie mehr als daß sie es sah, wie er ihr beide Hände stürmisch entgegenbot.
Und nun schaute sie ihn an, – willenlos, überselig, unvermögend, die Seligkeit zu verbergen, welche sie heiß durchschauerte. Sie hatte sich niemals verstellen, niemals ihre leidenschaftliche Erregtheit zügeln können, weder im guten noch im bösen. Was sie fühlte und empfand, das stand auf ihrem Antlitz geschrieben, das klang von ihren Lippen, ob sie es wollte oder nicht!
»Lilian!!« –
Er hielt ihre beiden Hände krampfhaft umschlossen und blickte ihr wie ein Trunkener in die Augen, und sie glühte wie die Phyrrusblüten am Strauch neben ihr und rang vergeblich nach Worten.
»Sie kommen bereits von einem Spaziergang zurück?« stammelte sie in ratloser Verlegenheit.
»Ja, Lilian, ich komme von dem Bahnhof, wo ich eigenhändig dem Frühzug einen Brief anvertraute, welchen ich in dieser seligsten Maiennacht an meine Eltern geschrieben. Darf ich Ihnen erzählen, Lilian, was in diesen Zeilen stand?« –
Sie lächelte wie im Traum und bewegte zustimmend das Köpfchen, und dann schritten sie langsam nebeneinander her, zu der kleinen versteckten Bank im Gebüsch.
Und als er an ihrer Seite saß, nahm er abermals ihre bebende kleine Hand zwischen die seinen. »Dem Himmel sei Dank, daß ich es Ihnen endlich sagen kann, daß uns diese Stunde des Alleinseins noch geschenkt wurde!« flüsterte er hastig und erregt. »O, Lilian, ich bezweifelte, daß ich Ihnen jemals ohne lästige Gesellschaft hier begegnen würde, und darum wollte ich soeben auch an Sie schreiben, wie ich es meinen Eltern brieflich sagen mußte, daß ihr Sohn, gleich Jung-Werner, der glückseligste Mann im Reich geworden ist! – O, Lilian, ich finde ja gar keine Worte, um alles auszusprechen, was in mir singt und klingt, was mein ganzes Sein durchbebt und durchflutet, seit ich Sie zum ersten mal im Arm gehalten und in Ihr Auge schaute! Lilian, ich empfinde mehr für Sie, als wie das kleine, armselige Wörtchen Liebe ausdrücken kann. Ich – o Süße – o Wonnigste!« – – und er verstummte unter dem heißen Blick unermessenen Glückes, welcher aus ihren Augen brach, schlang voll kühner Leidenschaft den Arm um sie und sagt ihr in Küssen, was er mit Worten nicht mehr auszusprechen vermochte. –
Über ihnen nickten die Blütendolden und stäubten demantenen Tau, noch einmal brach die Sonne mit flammendem Gruß durch die Wolken und tauchte die Welt in goldenen Glanz, in den Gebüschen aber blieb es still, zauberstill – nur der Wind strich wie ein wonnevolles Aufatmen über die Gräser am Weg.
Und dann richtete sich Pia in seinen Armen auf und lächelte ihn unter Thränen des Glücks an. »So liebst Du mich wirklich wahr und wahrhaftig ohne Lug und Falsch? mich, die Fremde, kaum Gekannte, – gleichviel, welchen Namen ich trage, welcher Heimat ich entstamme, mich – so, wie Du mich hier im Arm hältst?!«
Seine Antwort lag in seinem Blick. »Just so! Just so liebe ich Dich!« lächelte er mit strahlenden Augen, sie fester und inniger noch an die Brust schließend, »und doch stehe ich voll Lug und Trug vor Dir, Geliebte, und trage eine Maske, welche Dir bisher mein wahres Ich verhüllte! Darf ich Dir eine Beichte ablegen und willst Du mir die kleine Täuschung vergeben, welche nicht der Übermut, sondern lediglich die Vernunft bedingte?«
Mit großen, erstaunten Augen blickte sie zu ihm auf, und beide waren so sehr von dem Zauber des Augenblicks befangen, daß keiner das leise Rauschen der Äste, das Knistern und Rascheln der Zweige seitlich von ihnen im Gebüsch vernahm.
»Eine Täuschung!« lächelte Pia halb ungläubig, halb verlegen. »O, ich fürchte, daß ich Dir noch mehr zu beichten habe, wie Du mir, Herzlieber, und wenn Du mir ebenfalls Deine Verzeihung zusicherst, so will ich gewiß jedes Geständnis mit doppelter Liebe lohnen!«
Er lachte. »Was solltest Du lieber, holder Engel wohl zu sagen haben, was mehr überraschen könnte, wie meine Demaskierung! Lilian, Du hast Dich dem Forstassessor Karl Hellmuth zu eigen gegeben, wie nun, wenn dieser Name nur das Visier ist, hinter welchem sich ein ganz anderer versteckt?«
»Ein anderer?« fragte sie und umklammerte seine Hände so krampfhaft, als fürchte sie, der Geliebte könne ihr mit diesem Namen entschwinden wie eine Vision.
Eine stolze Zuversicht leuchtete von seiner Stirn, ein innerer Jubel erfüllte ihn, daß er nun die unscheinbare graue Hülle von sich werfen konnte, der Geliebten eine schimmernde Krone, ein edles Wappenschild zu zeigen, als herrliches Angebinde, welches seine Liebe ihr zu Füßen legen wollte.
Und als er lächelnd zögerte, um sich an dem vollen Genuß dieses seligen Augenblicks zu weiden, fühlte er, wie ihre schlanke Gestalt plötzlich höher empor wuchs, wie ihre Augen sich angstvoll, unnatürlich erweiterten, wie sie plötzlich mit bebender, leise veränderter Stimme fragte: »Wer bist Du?«
»Ich bin Wulff-Dietrich, Graf von Niedeck!« antwortete er tief aufatmend mit beinahe feierlichem Ton, und verstummte erschrocken bei dem erstickten Aufschrei, welcher über ihre Lippen brach.
»Wulff-Dietrich!! – Gott im Himmel, meine Ahnung!« Sie riß sich voll leidenschaftlicher Erregung von ihm los und streckte die Hände wie in zorniger Abwehr gegen ihn vor, sie wollte sprechen, aber die Stimme versagte ihr, wie qualvolles Schluchzen rang es sich aus ihrer Brust.
Aufs höchste bestürzt sprang er auf und wollte sie voll unerklärlicher Angst an die Brust ziehen. »Lilian – allmächtiger Gott, was ficht Dich an?«
Da flammte ein Blick zu ihm auf, welcher ihn wie gelähmt zurückweichen ließ.
Das rosige Antlitz der Geliebten war weiß wie Schnee, Zorn, Stolz, Verachtung sprühten die tief umnachteten Augen.
»Lilian! warum nennen Sie mich noch so, Graf Niedeck, da Ihre Komödie doch so glänzend zu Ende gespielt wurde?« stieß sie schneidend hervor, hingerissen von der leidenschaftlichen Verzweiflung, welche sie durchtobte. »Das war die stolze, edle Entsagung, welche ich an dem Majoratsherrn von Niedeck bewunderte, das seine heilige Achtung vor der Liebe, daß er sie zum Possenspiel entwürdigt! Und doch wagen Sie mir von Liebe zu sprechen, von einer Liebe, welche nur gewissenlose Jagd nach sechzehn Ahnen ist! Bei Gott, Sie haben den Plan schlau erdacht und geschickt insceniert, Graf Niedeck, aber Ihres Sieges haben Sie sich zu früh gefreut! Was ich einem Karl Hellmuth zugestanden, gilt nie und nimmermehr dem Majoratsherrn von Niedeck, so wie ich es geschworen habe bei meiner Ehre und bei meinem Stolz, daß ich mich nicht verhandeln und verschachern lasse! So lange aber ein Niedeck um sechzehn Ahnen wirbt, ist er ein Sklavenhändler, bei dem nur krasser Egoismus, aber keine Liebe mitspricht!«
Außer sich, vor Qual und Schmerz die Worte überstürzend, in höchster Erregung, hatte sie gesprochen, noch einmal traf ihn ihr Blick, und dann wandte sie sich ab und entschwand wie ein gehetztes Wild hinter den blühenden Gebüschen.
Regungslos, wie betäubt, stand Wulff-Dietrich, leichenfahl, unfähig, ein Wort zu erwidern, nur ein Aufstöhnen rang sich aus seiner Brust, ein leise gemurmeltes »Pia von Nördlingen!« und dann trat er zu der Bank zurück, sank schwer darauf nieder und legte die Hand über die brennenden Augen.
Einst hatte er mit einem Meisterschuß einen Hirsch niedergestreckt, just in dem Augenblick, als er voll königlichen Siegesstolzes neben dem verendeten Gegner stand, die Brust geschwellt voll jauchzender, triumphierender Liebe!
Da hatte ihn die Kugel mitten in das Herz getroffen, und lautlos war er zusammengesunken, die brechenden Augen voll unaussprechlichen Ausdrucks auf den Schützen gerichtet. Dieser Blick verfolgte ihn, an ihn dachte Wulff-Dietrich auch in diesem Augenblick, wo er selber auf der Höhe alles Liebesglückes plötzlich die tötende Wunde im Herzen fühlte.
Der Kies knirschte neben ihm, und emporzuckend starrte er in das ernste, blasse Gesicht Fränzchens. Ein wunderlicher Ausdruck lag darin, halb Schmerz und Mitleid, halb triumphierende Genugthuung. Er sprang empor und wollte hastig mit kurzem Gruß vorüberschreiten, – sie streckte den Arm aus und sperrte ihm den Weg.
»Vetter Wulff-Dietrich, – bleiben Sie!«
Er biß die Zähne zusammen und hob stolz fragend das Haupt. »Vetter Wulff-Dietrich?« wiederholte er mit gefurchter Stirn.
»Ja, mein Vetter! ich bin Franziska Niedeck und Mr. Luxor und seine Gattin sind meine Eltern, die Erbgrafen von Niedeck.«
»Franziska – – Onkel Willibald ...« Er strich wie ein Träumender über die Stirn: »Ja, ja, ganz recht, nun fang ich an zu begreifen, daß sie Pia Nördlingen ist!« –
Fränzchen trat näher, faßte seine Hand und zog ihn zur Bank zurück. »Armer Wulff-Dietrich, wie hat sie Dir so bitter Unrecht gethan!«
Sein Blick belebte sich. Er hob den Kopf. »Hörten Sie es, Cousine Fränzchen?« stieß er leise hervor.
Sie nickte. »Alles; aber nenne mich nicht ›Sie‹, wir sind ja so nah verwandt und waren seit Anfang an so gute Freunde, seltsam, als hätte ich es empfunden, daß wir zusammen gehören.«
»Und Du traust mir nicht eine schlechte, ehrlose Komödie zu, wie – – wie Pia es thut?«
Sie drückte ihm kräftig die Hand: »Nein, bei Gott nicht! Habe ja selber Niedecksches Blut in den Adern, und weiß, daß wir uns zu solch krummen Wegen nicht hergeben würden! Ich habe Dich ehrlich gern! Wulff-Dietrich, Du bist ein redlicher, braver Kerl, und – mein Wort darauf – es hat mich lange nichts so herzlich gefreut, als die Entdeckung, daß Du mein Vetter bist!«
Er schüttelte finster den Kopf, aber seine Hand umschloß die ihre beinahe krampfhaft. »Seltsam, unsere Väter sind seit langen Jahren verfeindet, sie hassen sich, und ich fürchte, Onkel Willibald hat die Gefühle, welche er gegen den Vater hegt, auch auf mich, den Sohn, übertragen!«
Fränzchen schüttelte energisch den Kopf. »Nein, das hat er nicht, und wäre es auch so gewesen, jetzt, wo er Dich so gut kennen lernte, hat er Dich aufrichtig lieb gewonnen!«
Wieder senkte der junge Graf die Stirn in die Hand. »Niemand hat mich in diesen Tagen wohl so gut kennen gelernt, wie sie,« sagte er leise, »und doch beschuldigt sie mich so ungerecht und so falsch, und doch verurteilt sie mich so grausam hart!«
»Pia hat sich sehr albern benommen!« polterte Fränzchen in ihrem derben Ton, »aber sie hat sich nun einmal in die Idee verbissen, daß Du nicht um sie, sondern nur um ihre sechzehn Ahnen wirbst! – Na, laß sie laufen, Kopf hoch, alter Junge! Es giebt mehr Mädchen in der Welt!«
Wulff-Dietrich preßte die Lippen zusammen und schüttelte stumm den Kopf.
»Hast Du sie denn wahrhaftig so furchtbar lieb?«
Er stöhnte leise auf und bedeckte das blasse Antlitz sekundenlang mit den Händen.
Auch Fränzchen seufzte. »Du lieber Gott, ja, ich kann es so gut begreifen, rein toll vor Liebe kann einen das Mädel machen, lieber Wulff, Du thust mir unbeschreiblich leid!«
Da faßte er jählings ihre beiden Hände und blickte ihr wie ein Sterbender in die Augen.
»Fränzchen, hilf mir –!«
»Dir helfen? Wie das?«
»Du glaubst an mich und an meine Wahrhaftigkeit, Fränzchen, – ach, überzeuge auch Pia davon!« – und dann plötzlich sprang er auf, machte eine heftige leidenschaftliche Bewegung mit der Hand und warf stolz das Haupt in den Nacken.
»Nein! nein! thue es nicht! es ist ja doch vergeblich, sie wird ja doch nicht an meine Liebe glauben, so lange ich der Erbe des Majorats bin! – und was sie mir in dieser Stunde angethan, das kann sie nicht wieder gut machen, nicht im Leben – nicht im Tode.« –
Fränzchen sah ihn mit wunderlich flimmernden Augen an.
»So verzichte um ihretwillen auf das Majorat!«
Er schritt erregt vor ihr auf und nieder. »Das habe ich heute morgen gethan, als ich den Eltern mitteilte, daß ich mich an dem heutigen Tage mit Miß Lilian Luxor verloben würde! da habe ich zu Gunsten meines Bruders auf die Erbfolge von Niedeck verzichtet. – Ich opferte alles – um ihretwillen, und alles vergeblich! glaube mir, Fränzchen, mein Herz hat nie an diesem unglückseligen Majorat gehangen, und heute Morgen, als ich seine fürstlichen Renten von mir warf, habe ich mich dennoch reicher gefühlt wie ein König! Nicht jener Brief, den ich schrieb, hat mich arm gemacht, sondern die grausamen Worte, welche ein Mädchenmund zu mir gesprochen, machten mich zum Bettler an allem Glück!«
Mit großen starren Augen schaute Fränzchen zu ihm auf, den Kopf vorgeneigt, als habe sie nicht recht verstanden, und dann ging eine große Veränderung in ihrem Gesicht vor sich.
Bewunderung, Staunen und Rührung malten sich darin, und sie hob ungestüm die Arme und schlang sie jählings um seinen Hals.
»Wulff-Dietrich!« rief sie erregt: »Beim Himmel, Du bist ein braver Mensch, und Du verdienst sie! erzwingen kann ich Dir ja Pias Liebe nicht, aber ich will Dir nicht mehr im Wege stehen, ich will nicht weniger edel sein wie Du! – laß mir kurze Zeit, das meine zu thun, – und dann komm wieder und wirb noch einmal um Pia –, und ist ihre Liebe sodann so groß und wahr, wie sie sein muß, um diese Stunde an Dir zu sühnen, sollt Ihr beide glücklich werden!« –
Er blickte ihr beinah streng in die Augen. »Willst Du ihr etwa sagen, daß ich verzichtet habe? nur das nicht, Fränzchen, diese Demütigung ertrage ich jetzt nicht mehr!«
Sie zuckte die Achseln. »Nein, das sage ich nicht, denn sie würde es doch nicht glauben und uns einer neuen Intrigue beschuldigen.«
Eine laute Stimme rief den Namen des Assessors Hellmuth.
Wulff-Dietrich trat hastig auf den Gartenweg und winkte dem Hausknecht, welcher herzugelaufen kam.
»Eine Depesche, gnädiger Herr!« –
Einen Moment herrschte tiefe Stille, die Schritte des Mannes verklangen. »Die Antwort meiner Eltern,« lächelte Wulff-Dietrich bitter, mechanisch öffnete er das Papier und überflog die kurzen Zeilen, dann rang sich ein dumpfer Laut über seine Lippen, wie vernichtet sank seine hohe Gestalt zusammen, »Mein Bruder Hartwig ...« er konnte nicht weitersprechen und reichte das Blatt aufstöhnend der jungen Gräfin.
»Hartwig beim Rennen gestürzt und soeben verschieden. Komme sofort zurück.«
Fränzchen preßte die Lippen zusammen und schwieg.
»Nun ist der Verzicht ungültig geworden. Nun trage ich für ewige Zeit den Fluch, der Majoratsherr von Niedeck zu sein!« flüsterte Wulff-Dietrich durch die Zähne, drückte mit umflorten Augen Fränzchens Hand und schritt durch die grauwehenden Nebel davon. Schwer und kühl fielen die ersten Regentropfen.