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Chrysta.


Vor vielen, vielen, langen Jahren war es, da stand im Frankenland auf waldiger Anhöhe eine Ritterburg. Fest und trotzig schaute sie aus, just so kühn und unbeugsam wie der Nacken und Sinn des Edelmannes, welcher in ihr sein strenges, aber gerechtes Regiment führte. –

In jener Zeit, wo die Gerechtigkeit und ihre furchtlose Ausübung so sehr im Argen lagen, stand es dem jungen Ritter von Knobelsdorff gar besonders wohl an, daß er grade dieses Wörtlein auf sein Schild und in sein Herz geschrieben, daß er zu allen Zeiten nach dem edlen Wahlspruch: »Gerecht und wahr!« handelte, und gar hitzig das Schwert aus der Scheide riß, wenn es galt, für die bedrängte Unschuld, für die verletzte Ehre und bedrohte Freiheit einzutreten; – nicht allein zum Schutz und Heil seines eigenen Hauses, sondern auch für das fremde Wohl, und um fremde Not, welche ihn um Hilfe anrief.

Ägidius von Knobelsdorff war ein stolzer, heißblütiger Mann, seit Jugend auf mehr dem raschen Handeln wie dem vorsichtigen Erwägen und Ueberlegen zugethan, und fügte es sich, daß er im Verkehr mit seinen Standesgenossen, oder bei einer abenteuerlichen Fahrt durch's Land einer Ungehörigkeit begegnete, – so geschah es wohl, daß des Knobelsdorff gerechter Zorn schwertklirrend in den Handel eingriff, und ihn zu Ehren von Wahrheit und Recht schlichtete, gleichviel ob er sich Dank dadurch erwarb oder bittere Feindschaft. –

Die Wegelagerer und Buschklepper fanden im Burggehege des Knobelsdorff nimmer ihre Rechnung, und in den Dorfschaften, welche ihm zugehörten, waltete ein glückseliger Frieden, denn so sich nur die leiseste Klage erhob, fuhr des Herrn Ägidius kraftvolle Hand dazwischen wie Wetterschlag, ohne Ansehn der Person, zu richten.

Da hingen aller Herzen in jubelnder Dankbarkeit und Verehrung an dem jungen Ritter, und so man von ihm sprach, hieß es: »der gerechte Knobelsdorff.« –

– – – Im kleinen Erkerlein, auf dessen holzgeschnitzter Bank die Hausfrau des Herrn Ägidius nur dann Auslug in's Land hielt, wenn der kalte Ostwind nicht gar zu scharf durch die offnen Fensterbogen pfiff, saß das junge, blauäugige Weib, und neigte sich voll emsigen Fleißes über den Stickrahmen. Der dicke Fensterteppich, welcher sonst die Unbill des Wetters abzuwehren hatte, war heute am eisernen Haken zurück»geringt,« und die Sonnenstrahlen fluteten lenzeswarm über die schlanke Frauengestalt, welche im Eifer des Schaffens das steife Linnentuch vom Haupt gelöst hatte, damit es über dem dichten Blondgelock nicht allzu große Hitze gäbe.

Frau Chrysta von Knobelsdorff war im Frankenland bekannt als eine der holdesten Edeldamen, und wer sie in ihrer blühenden, lächelnden und anmutig keuschen Schönheit schaute, der pries solch ein Gerede als lautere Wahrheit, und manch ein Sänger griff in die Saiten seiner Laute, um in ehrbarer Huldigung die Eheliebste des Herrn Ägidius ein »schneeweiß Täubelin sunder Galle« oder: ein »dornenlos Röselein« zu heißen. Den Ritter von Knobelsdorff freute es, wenn Tugend, und Schönheit seines Weibes gerühmt wurden, denn er hatte niemals Ursache, sich solchem Hofieren zu widersetzen. Frau Chrysta hieß »die Sittsame,« und ihn nannte der Volksmund: »der Gerechte mit der strengen Hand –« wer sollte es da wohl wagen, in schlimmem Sinne den Burgberg zu umschleichen, darauf der Edele sein Nest gebaut? –

War auch nie ein Hader oder Zwist um der Burgfrau willen entstanden, obwohl die welsche Sitte übel Vorbild gab, und manch ein Ärgernis von den Troubadour's über die Landesgrenze geschleppt wurde. Mochten aber die Wogen des Leichtsinn's noch so hoch branden, über die Burgschwellen des Knobelsdorff schlugen sie nicht, – und mochten auch manch glutrote Rosen an den Minnehöfen des Landes blühen, – ihr Gifthauch erreichte niemals jene holde Schwester im stillen Erkerlein, vor welchem der Schild des Gatten mit der drohenden Devise lehnte: »Gerecht und wahr!« –

… Frau Chrysta neigte sich tief über den Stickrahmen und zog Faden um Faden mit fleißiger Hand durch die feine Leinewand. Da trat es immer deutlicher hervor, das edle Wappen ihres Hauses, der weißblaueweißblaue Balken im roten Feld, – und drüber schwebte der Ritterhelm mit den Adlerschwingen, … seltsam, so oft ihn der Blick der jungen Frau traf, glühte heißer Purpur über ihre Wangen, und wenn es um ihre Lippen auch ein wenig schmerzlich zuckte, so strahlten die blauen Augen dennoch auf in unaussprechlich stolzer Glückseligkeit, so oft ihr Blick die beiden zusammengeklappten Adlerflügel erschaute. So vertieft war sie in ihre Arbeit, daß sie nicht die leichten Schritte hörte, welche sich näherten – zwei runde Kinderarme mußten sich erst in stürmischer Liebkosung um ihren Hals schlingen, ehe sie tiefatmend aufschaute. –

Ihr Töchterlein stand hinter ihr, herzte und küßte sie und wies plötzlich jäh erschrocken auf den Stickrahmen. »Ei, liebwerte Frau Mutter, da ist Euch diesmal das Wappenbild mißraten! Seht doch die Adlerschwingen! Man schaut sie hier nur schmal von der Seiten, dieweil sie sonsten doch stolz ausgebreitet auf dem Helme stehen!« –

Noch heißer erglühte das Antlitz der Burgfrau. Sie neigte das Gesicht auf die goldenen Haare ihres Kindes und sagte leise: »Nicht mißraten! und auch kein Fehler, klein Mägdlein! Also wie Du dies Wappen anitzt in diesem Rahmen schauest, so ist es recht gesticket, und so wird es künftighin immer sein, und alle andern Schilde wird der Vater ändern lassen, auf daß sie sämtlichst ausschauen wie selbes hier!«

Erstaunt blickten die Kinderaugen empor: – »Hat der Herr Vater solche Sach' befohlen?«

Frau Chrysta schüttelte den Kopf.

»Wer darf uns sonsten unser schön Wappenbild also verunzieren? Die breiten Flügel sahen gar viel prächtiger und schöner aus!«

»Der Herr Kaiser hat es selbsten befohlen –« flüsterte die Burgfrau leise, »und Du weißt, daß ein braver Rittersmann seinem Herrn Gehorsam schuldet!«

»Der Herr Kaiser? derselbe, zu dem Vater jüngst die Reise gethan?«

»Derselbe!« –

»Und warum that er unserm Wappen solches an?« – Da strich die Edeldame tief aufatmend über das Köpfchen ihrer Ältesten. »Bist noch ein thöricht Dirnlein, für dessen Ohren keine ernste Kunde tauget, Britta, – so Du aber heran gewachsen bist, und wurdest ein ehrbar klug Jungfräulein, will ich Dir erzählen, wie es gekommen ist, daß der Herr Kaiser uns die Helmzier geändert.« – …

– – – – Klein Britta ist eine große, holdselige Jungfrau geworden, und ihr Mütterlein hat sie in den Erker gezogen und ihr bei Mondeslicht und Waldesrauschen die verheißene Geschichte des Wappens erzählt. – Und Jahre vergingen, und in dem selben Fensterbogen saß wiederum eine Knobelsdorffin und erzählte ihren Kindern dieselbe Geschichte, und so fort von Geschlecht zu Geschlecht, bis »die Mähr von den Adlerschwingen« gleich einem sagenhaften Echo auch in unsere Zeit getragen ward. –

Keine Urkunde beweist die Thatsache, aber von Mund zu Mund ist es übertragen, ein Vermächtnis von Generationen, welches seine goldenen Fäden der Poesie um ein Wappenbild webt, geheimnisvoll und sagenhaft, unverbürgt, und doch seit Jahrhunderten geglaubt, wie ein liebes Märchen, welches die Lippen der Mutter geheiligt. – Also hat vor Jahrhunderten Frau Chrysta ihren Kindern erzählt:

»Auf dem Burghof scharrten die Rosse ungeduldig den Boden. Das schwere Streitroß des Ritters Ägidius in seiner bunten und feierlichen Rüste, mit langwehender, wappengestickter Decke unter dem Sattel, mit Bandrosetten und blitzendem Zaumzeug, und daneben zwei milchweiße Zelter, welche stolz die schlanken Hälse bogen, weil sie die Reisesänfte der schönen Frau Chrysta tragen sollten. Ein Karrenwagen, bepackt mit farbig bemalten Truhen, welche die festliche Gewandung des edeln Paares, Geld, Schmuck und die silberne Tournierrüstung des Ritters bargen, stand seitwärts und harrte der Abfahrt, und jenseits der Zugbrücke tummelten bereits fünf stark bewehrte Reisige ihre Gäule den waldigen Abhang hinab, um den engen Hof vor dem Pallas nicht noch mehr für das zudrängende Burggesind zu sperren. Da liefen sie alle zusammen, die Dienstbaren, alte und junge, kranke und gesunde, um mit viel Lamento, Tücherschwenken und Segenswünschen den Abschied ihrer Brotherrn zu schauen.

Junkerlein Desiderius saß mit trotziger Geberde in des Vaters Sattel, hieb mit dem Holzschwert mutig um sich, und rief mit krähendem Stimmlein: ›Schauet her, ihr Mannen, anitzt bin ich ein Ritter, wie der Herr Vater, und reite auch zum Turnier!‹ – aber er glitt dennoch kleinlaut zur Erde herab, als Frau Chrysta unter das Thor trat, umringt von ihren weinenden Kindern, selbst bitterlich schluchzend und das kleinste auf ihrem Arme schier krampfhaft herzend. Der Abschied kam ihr gar zu sauer an, – war auch nicht ihr Wunsch und Wille gewesen, hinaus ins Land zu fahren, aber der Herr Landgraf von Hessen hatte es in seinem Ausschreiben mit ›absonderlichem Wunsche bekräftet, daß nicht allein die Ritter und Edelmänner, sondern auch deren viel schöne und tugendsamen Gemahlinnen sollten in die Thore von Darmstadt einreiten, ein festlich Ritterspiel aufzuführen und zu schauen.« –

Der Ritter von Knobelsdorff hatte ein schönes und tugendreiches Weib, war stolz darauf und wollte es der Welt in Ehren zeigen, – darum stand nun Frau Chrysta weinend auf der hölzernen Freitreppe, und konnte sich nicht losreißen von ihren Küchlein.

Das ging Allen, die es sahen, schlimm ans Herze, und selbst Desider, der heldenhafte kleine Mann, umschlang der Mutter Kniee, und barg sein rosig Gesichtlein in ihrem Mantel, seine Thränen zu bezwingen.

Großmütterlein stand hinter ihrer Tochter und sprach tröstend: ›Geberde sie sich nicht unsinnig, Chrysta! wird in etlichen Woche wieder frisch und froh hier zur Pforte einschreiten und ihre Schreihälslein aufs neue umpfahen! – Soll der Ritter solch ein Lamentieren schauen? will sie den Kindern das Herz weich machen, und bin ich etwan umsonsten hier zur Stelle, das Haus und die Kleinen zu schirmen?‹ –

Da trocknete die junge Burgfrau flugs die Augen, küßte die Hand der Sprecherin voll Demut und lächelte freundlich: ›Habet Dank, Frau Mutter, für Euern Zuspruch! Will dem lieben Herrgott und Euch all meine Lieben anbefehlen, – dann stehen sie in treuer Hut!‹ –Gleichzeitig klirrte Sporn und Schwert auf der Stiege: Herr Ägidius trat lachend herfür, warf unversehens einen ergötzlichen Regen voll Eisenküchlein auf das Pflaster und rief: ›Hurtig, ihr Gauchlein! leset auf! Jedes mag halten, was es erwischet!‹ –

Da erhob sich ein jubelnd Geschrei; – alles Leid vergessend, stürmte die kleine Schar in den Hof hinab, wie die Spätzlein zu picken und zu raffen, der Ritter aber nutzte solchen Augenblick, hob sein Weib liebevoll in die Sänfte und schwang sich selber schnell aufs Roß. ›Vorwärts! – stoßet das Thor auf – und Jung Siewart auf dem Turme soll uns ein frommes Lied auf den Weg blasen!‹ –

Trapp, trapp ging's über die Zugbrücke, den Burgberg hinab, in das sonnige, blühende Land hinaus. Frau Chrysta neigte das Haupt tief, tief in ihren Schleier, der Ehgemahl aber ritt wohlgemut an der Seite, plauderte viel liebe Worte und reichte ihr die Hand mit treuem Druck, – die Decke unter seinem Sattel flatterte lustig im Morgenwind, und die ausgebreiteten Flügel auf dem Wappenhelm blitzten im Sonnenlicht. –

In Darmstadt herrschte ein übermäßig Getreib und hohe Lustbarkeit.

Die Bürger hatten den Wunsch ihres gnädigsten Herrn gar wohl zu respektieren gewußt, hatten ihre Häuser, Lustgärten und freien Plätze fein zierlich herausgeputzt und die schmalen Gassen hergerichtet mit Tannengrün, Eichlaub und farbigen Blümlein, daß man vermeinte, in einer schattigen Laube zu wandeln. Die Gewerke hatten ein Besonderes geleistet. Wo ein Metzger seinen Schauladen errichtet, da zog sich ein üppig Gewinde quer über die Straße, von einem Giebel zum andern, und an dem runden Bogen schaukelte sich eine mächtige Bratwurst, so lecker und appetitlich, daß mancher fremde Gesell, welcher hungrig zur Gasse einritt, ein lustig Lanzenstechen nach solchem Leckerbissen anhub. Da gab es eitel Gelächter und Fröhlichkeit, und der würdige Meister schnitt kein sauer Gesicht, wenn ein besonders geschickter Fant das Würstlein spießte und herabholte, – sondern ließ ein neues an Stelle des Erwischten knüpfen. Die Bäcker hatten anstatt der Wurst eine riesengroße Bretzel oder einen Ziebeben Kringel in das Tannicht gebunden, die Böttcher und Küfer ein Fäßlein, die Krämer bunte Papiertüten mit duftigem Gewürz und die Schankwirte wußten vollends das ihre zu thun, sie hatten grellbunte Bilder malen lassen, besoffene Landsknechte und zechende Pfäfflein, dralle Schenkinnen und fromme Heilige, die das Fäßlein segnen, so daß man schon von weitem erschauen konnte, was die Gaststube hinter den bleigefaßten Fensterlein bot. –

Fahnen und Schilde mit hellen Glöcklein flatterten und klangen dazwischen, – aus den Erkern schauten lachend die schönen Bürgerinnen, Röslein und Rosmarin hernieder werfend, wenn junge Ritter daher zogen und fein sittsam ihr Roß parierten, die holden Maiden zu grüßen.

Herolde, Wachtsoldaten und Söldner trieben ihr wichtig Wesen, Musik schmetterte ehrenden Willkomm', und wenn eine Sänfte oder ein Zelter eine Ritterdame herzu brachte, setzte sie sich an die Spitze ihres Reisetrosses und geleitete sie feierlich zu der Herberge. Nah bei dem Marktplatz ragt ein mächtig, steingebautes Giebelhaus. Die Holzvertäfelungen zwischen den Fenstern zeigen bunte Wappenschilde, riesenhafte Gemälde von Kaiser und Königen und schön verschnörkelte Sprüche und Liederverse in deutscher Schrift. –

Eine hölzerne Altane mit prächtigem Schnitzwerk ist über die Hausthür vorgebaut, die trägt zwei adlige Wappen als Zierrat.

Hier wohnt der Kämmerer des Landgrafen, ein reicher, altangesessener Edelmann, dem es auf seiner Burg zu einsam geworden, seit er und die jugendustige Hausfrau das Hof- und Städteleben kennen gelernt.

Auf der Altane standen etliche Junker, um sich die einziehenden Gäste und das Leben und Treiben in den Gassen anzusehen. Ein älterer Ritter im schwarzen Lederkoller, mit gelbschwarzer Feldschärpe und dunkel farbenem Sammetbarett, saß kecklich auf einem der Holzpfeiler und zwirbelte den Schnauzbart unter der roten Nase empor. Daß er den Becher sonderlich lieb gewonnen, sah man ihm an, und daß er ein launiger, etwas unstäter und abenteuerlustiger Herr war, merkte man aus seinen Reden. Just das schien dem blutjungen, bartlosen Herrlein zu gefallen, welches in kostbarer, goldciselierter Rüste, federumwallt und mit Rosen geschmückt, neben ihm am Gelände lehnte. Ein eigenwilliger, beinah noch knabenhaft trotziger Zug lag um die aufgeworfenen Lippen, und die blauen Augen blitzten ein Gemisch von Uebermut, Herausforderung und Willkür.

›Bislang ist noch kein absonderlich schönes Weib zu diesem Thore eingekehrt!‹ spottete er, ›und so nicht noch eine Huldin kommt, welche die märkischen, sächsischen und mecklenburgischen Schönen in Schatten stellet, wie die Sonn' ein Sternlein, so werd' ich keiner süßen Minne Aventiure aus selber Stadt heimbringen!‹ –

›Wartet getrost, gnädiger Herzog! Anitzt stecket all die Schönheit noch unter Schleier und Fürtuch, – so aber nachher beim Abendtanz die Kerzen flackern, sollet Ihr schon sehen, was für artige Blümlein im Hessen- und Frankenlande wachsen! – Teufel ja! werdet da schon einen Schwarm schöner Weiber schauen, daß Ihr nicht wisset, bei welcher Ihr das Hofieren beginnen sollet!‹

›Das soll mir eine lustige Qual sein! – aber hollah … da nahet abermalen eine Sänfte, – und wie es scheinet, eine leere, – es bieget sich zum erstenmal kein Antlitz heraus!‹

›Mit nichten, da wehet ein Stücklein Schleiertuch!‹

›Sassa! ist's etwa ein sprödes Täublein? – locket mir das Köpflein herfür, Ritter, nun lüstet es mich grad danach, die Holde zu schauen!‹ –

›Scheint keinen Rittersmann im Geleit zu haben!‹

›Um so besser!‹

›Merket auf, gnädiger Herr, gleich sollt Ihr sie erblicken!‹

Und der schwarze Ritter riß sonder Besinnen eines der Blechschilde vom Altan und warf es hell klirrend und schmetternd auf die Straße nieder, just neben die Sänfte. –

Allgemeines Gekreisch und Auseinandergestieb der Menge – aus dem Fenster der Sänfte jedoch neigte sich erschreckt ein Frauenhaupt so hastig, daß ein Riegel den Schleier faßte und ihn von dem Köpfchen zurückzog. Goldblonde Lockenhaare wallten hervor, so glänzend und üppig, wie diejenigen der Fee Melusine, von denen die Mähr erzählt, und gleicherzeit entfuhr den Lippen des schwarzen Ritters auf der Altane der erschreckte Ruf: ›Bassa manelka! Frau Chrysta!!‹ Da sie ihren Namen so hart über sich erschallen hörte, blickte die Edeldame überrascht empor, und nun war es an dem jungen Herzog, einen lauten Ruf des Entzückens zu thun. Ohne Besinnen griff er rasch in die Rosenguirlande des Altans, riß die Blumen heraus und ließ sie mit einem kecken: ›Ich grüß Dich minnig, fein's Jüngferlein!‹ hernieder wirbeln.

Erschrocken fiel ihm sein Nachbar in den Arm, dieweil sich Frau Chrysta heiß und unmutig erglühend zurückzog und die Rosse auf neue ausschritten.

Gleicherzeit sprengte ein Ritter, welcher zur Begrüßung eines Bekannten an der Straßenecke zurückgeblieben, herzu, und nahm seinen Platz neben der Sänfte wieder ein.

Der Herzog bemerkte ihn kaum. ›Heda, Hans Christian! wer war dies wonnige Engelein?!‹ rief er mit flammendem Auge. ›Ein Schelm will ich sein, wenn ich jemals ein schöner Weib geschaut!‹

›Das sei Gott geklagt!‹ atmete der schwarze Ritter betroffen auf; ›bei Frau Chrysta ist kein Minnelohn zu holen, gnädiger Herr, solchen Gedanken laßt bei Zeiten fahren!‹

›Frau Chrysta? wer ist selbe Frau Chrysta?!‹ trotzte der Andere auf.

›Sie ist die sittsamste und tugendreichste Dame des Frankenlandes, die Hausfrau des Edeln von Knobelsdorff, in dessen Geheg' kein fremder Gesell das weiße Rehlein zu jagen wagt! –›

›Hoho! hat er's etwan mit der Eifersucht?‹

›Das just nicht, Herr Herzog; der Knobelsdorff weiß es, daß sein Weib ihm wankellose Treue hält, und sorget sich nicht, so die jungen Gesellen ihr kurtisan sind. Aber man heißet Herrn Ägidius den Mann mit der gerechten und der strengen Hand, und weiß, daß er jedwede Ungehörigkeit bitter ahndet und rechtlich richtet, und weil man seinen graden Sinn und edeln Stolz im Lande respektieret, so mag keiner einen Handel mit ihm haben.‹

›Der Mann mit der gerechten und strengen Hand?‹ – Der Herzog lachte scharf auf: ›einem fürstlichen Herrn gegenüber dürfte diese Hand wohl fein bescheiden und demütig gefüge bleiben!‹

›Möcht's bezweifeln, liebwerter Herr! Ihr kennet den Stolz des Knobelsdorffs nicht; er hat schon manches Recht geübt, und Bauer und Edelmann stehen gleich wert vor ihm, wenn er für Wahrheit und Recht eintritt!‹

›Bauer und Edelmann sind auch kein herzoglich Blut!‹ brauste der junge Fürst Friedrich auf; ›wisset Ihr wohl, Hans-Christian, daß Ihr anitzt meinen Trotz gereizt habt, den Mann mit der "strengen Hand" auf die Probe zu stellen?! – Bin nicht durch das halbe deutsche Land hierher geritten, um müßig im Winkel zu stehen, wenn mir ein Weib gefällt!‹

›So Ihr sie in Ehren hofieret, wird der Knobelsdorff sich der Gnade freuen, welche ein Herzog seinem Weibe erzeiget!‹

›Und so ich ein weniges kecklicher um ihre Minne werbe?!‹

›Wahret Euch, gnädiger Herr! Möchte auch dem Herrn Landgraf von Hessen unlieb sein, so Ihr mit dem Knobelsdorff Handel bekommt!‹

Trotzig warf Fürst Friedrich den Kopf zurück ›Ihr sprecht plötzlich so zaghaft, wie ein alt Weib, Herr Ritter! Kriechet Ihr immerhin vor dem Mann mit der "strengen Hand" in ein Mausloch! ich, der Herzog, will ihm justement aufbegehren, und es sehen, ob solch ein Blippenplapp etwan auch an einem herzoglichen Prinzen möcht Gerechtigkeit üben!‹ – Unwirsch trat er von der Altane in das getäfelte Prunkgemach seines Gastgebers zurück.


Die Sonne warf ihre letzten Strahlen über den zerstampften Turnierplatz, welcher nach reich belebtem Tage jetzt still und einsam da lag, nur noch durch bunte Fahnenfetzen, zersplitterte Speerschafte und gebrochene Lindenholzschilde an die letzten Stunden gemahnend, wo hierselbst ein Bild üppigster Pracht, Schöne, Ritterlichkeit und Furchtlosigkeit die Augen einer zahllosen Menschenmenge entzückte. Der Kampf zwischen hessischer und fränkischer Ritterschaft war nach langem, heißem Ringen kaum zur Entscheidung gelangt, denn auf beiden Seiten sprengten die vortrefflichsten Streiter in die Schranken, und so endlich einer der Herrn geworfen ward, hatte zumeist ein tückischer Zufall oder Unfall sein Spiel dabei. Auf fränkischer Seite hatte der Name Knobelsdorff gar besonders hell geglänzt, und der Landgraf von Hessen, welcher stets ein besonderes Wohlgefallen an dem wackeren Edelmann gefunden, suchte jede Gelegenheit, Herrn Ägidius und seine schöne Gemahlin auf das ehrenvollste auszuzeichnen. Er sah es auch mit Genugthuung, wie die Edelleute in gehorsamer und dienstwilliger Weise Frau Chrysta hofierten, nur das Wesen des jungen Herzog Friedrich mochte ihm nicht behagen, und bemerkte auch, wie der Knobelsdorff die Brauen zusammenzog, wenn ihm das unmutig erglühende Antlitz seines Weibes zeigte, welche ungebührlichen Reden der kaum volljährige Fürst führte.

Nahm auch manch älterer und erlauchter Ritter den jungen Hitzkopf bei Seite, ihm höfliche Warnung zu geben, allerdings nur, um sich eine aufbrausende und kecke Antwort zu holen. –

– – – – Die Lichter flammten im Saal, die Banketttafeln brachen fast unter der Last von Blumengewinden, Silbergeschirr und köstlichen Schaugerichten; Weinesglut erhitzte die Köpfe, ein üppig Mahl regte die Sinne an. Was Wunder, wenn die Herren in launigster Stimmung zum Abendtanz traten, und manch sonst so kühles Blut in diesen Stunden überschäumte, wie der perlende Wein über Bechersrand. –

Das Antlitz des jungen Herzog Friedrich glühte, seine Augen blickten durch die feinen Schleier des Rausches, seine Lippen bebten in Leidenschaft. Still und ernst schritt Frau Chrysta an seiner Seite, doppelt sittsam ihre Würde wahrend, weil der Tänzer mit laut schallender Stimme ihre Schönheit pries und von seinen Gefühlen sprach. – Unwillkürlich hemmten die andern Paare ihre Schritte, man stand und hörte lachend, welch ein süßes Geheimnis der Fürst in den Saal hineinschrie. Unbewußt im Rausche des Weins? oder mit Ueberlegung, um Herrn Ägidius zur Eifersucht zu reizen? Derselbe war ernst und ruhig näher getreten, und hörte jedes Wort, und Herzog Friedrichs flammender Blick suchte ihn sogar, – und jetzt schien er sich sogar direkt an ihn zu wenden.

›Ja, ja! hörets nur an, Herr von Knobelsdorff! Werdet Ihrs etwan bezweifeln, daß Frau Chrysta die Schönste von Allen ist?‹ –

›Gewiß nicht, Herr Herzog! Für mich war sie es jederzeit!‹ antwortete des Ritters ruhige Stimme.

›Nun, so begreifet Ihr wohl auch, daß eines Mannes Herz in Minne für sie entbrennen muß?‹ voll Spott und Herausforderung zog der Sprecher den Arm seiner Tänzerin noch fester an sich, und Ägidius faltete die Brauen zusammen und antwortete ernst: ›Das hab' ich an mir selber erfahren, Fürst Friedrich, und sie darum zu meinem Weibe gemacht, auf daß mir das Recht werde, sie vor unliebsamer Minne fürder schützen zu können.‹

Alles drängte näher; – es ward eine tiefe Stille, und Frau Chrysta erbleichte angstvoll bis in die Lippen und bemühte sich, solch einen Worttausch zu unterbrechen. Aber ihr Tänzer überschrie ihre sanfte Stimme mit lautem Gelächter.

›Zu schützen? – gegen Eures Gleichen vermöget Ihr wohl eine "strenge Hand" zu führen, – was aber wolltet Ihr wohl anfangen, so ein Herzog Gelüst verspürte, Euer Weiblein einmal zu herzen?‹ –

Ägidius wechselte die Farbe. Hoch und markig richtete er sich empor, sein hell flammender Blick traf furchtlos des Sprechers Auge.

›Das will ich Euch wohl sagen, gnädiger Herr!‹ antwortete er kalt: ›ein Herzog, der Respekt heischet und solchen verdient, der ehret seines Herrgott's Gebot: "Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Weib" –So er aber ein Solches außer acht lässet, darf er sich nicht wundern, wenn ihn ein beleidigter Edelmann nicht als hohen Herrn erachtet, sondern mit ihm abrechnet, just wie mit seines Gleichen!‹ –

Der schwarze Ritter Hans-Christian war unversehn's neben Herrn Friedrich getreten und berührte warnend seinen Arm, – der Herzog aber war im Banne des Weines und seines Trotzes, darum wandte er sich jählings, umfaßte Frau Chrysta und küßte wie ein Sinnloser ihre Lippen. –

›Nun, Herr Ritter?‹ höhnte er tief aufatmend, ›schabt ab und freuet Euch, daß ein fürstlich Blut Euerm Weibe schön gethan!‹ –

Ein leiser, verzweifelter Aufschrei der Edelfrau; Ägidius griff an seine Seite, – das Schwert fehlte; dunkle Glut stieg ihm in das Antlitz, und schnell wie der Gedanke, ehe ein Arm sich zwischen ihn und seinen Beleidiger werfen konnte, schallte der Saal wieder von einem derben Backenstreich, welchen seine "strenge Hand" auf Fürst Friedrichs Wange zeichnete.

›Dies meine Antwort auf Eure That und Eure Worte, Herr Herzog!‹ – sprach er mit donnernder Stimme: ›wer mein Weib küsset, dem streichle ich hin wider die Wange auf meine Art!‹ –

Ein furchtbares, wilderregtes Durcheinander. Die Ritter des Herzogs umringten ihren Herrn und schrieen: ›Waffa!‹ – die Franken scharten sich um Knobelsdorff und die Hessen suchten voll Bestürzung zu vermitteln.

Da trat der Landgraf mit erhobenem Arm dazwischen und gebot Ruhe: – ›Wollet nicht mich zum Richter dieses absonderlichen Handels machen!‹ rief er; ›die Klage eines Fürsten gehört vor den Kaiserlichen Stuhl.‹ – –

So geschah's. – Herzog Friedrich klagte bei dem Kaiser gegen den Ritter von Knobelsdorff, und verlangte, daß demselben durch den Henker Haupt und Hand vom Rumpfe geschlagen werde, darum, weil er sich gegen einen fürstlichen Herrn thätlich vergangen. –

In banger Sorge harrte die fränkische Ritterschaft des Entscheids, und als des Kaisers Vorladung an Ägidius von Knobelsdorff erging, schloß sich ihm die Mehrzahl der Ritter an, – freiwillig Zeugnis abzulegen von dem, was sie zu Darmstadt erschaut. – Jeglichen hat der Kaiser gehört, hat den Kläger und den Verklagten vor sein Angesicht treten lassen, die Wahrheit des Vorgangs zu erforschen. Dann hat sein Blick lang und voll besondern Wohlwollens auf dem Ritter von Knobelsdorff gehaftet. –

Endlich sprach er: ›Der Herzog Friedrich hat Euch und Euer Weib, und Euer Beider Ehre in Uebermut und Weinlaune angetastet, und als Ehemann stand Euch wohl das Recht zu, die Schmach zu rächen, gleichviel an welch einem Haupte. Man nennt Euch den "Gerechten," Ritter von Knobelsdorff; wohl an, der Kaiser will nicht minder gerecht sein wie Ihr, und darum höret meinen Spruch: – "Ein Ritter soll seines Hauses Ehre schützen gegen Jedermann, aber er soll bedenken auf welche Art. Gegen seines Gleichen fechte er den Strauß mit Hand und Schwert aus, – einen fürstlichen Herrn aber soll er nicht thätlich angreifen, denn das ist wider Ehr' und Würden. Den soll er durch eine Klage vor den Richterstuhl des Kaisers bringen. Recht thatet Ihr, Ägidius von Knobelsdorff, indem Ihr den Kuß von Eures Weibes Mund durch Handstreich rächtet, aber Unrecht thatet Ihr, weil Ihr einen Herzog berührtet. Dessenthalben soll Euch der Schlag zurückgegeben werden durch meine Hand!"‹ – Der Kaiser erhob sich und schlug voll großer Kraft die beiden ausgespannten Adlerschwingen auf des Ritters Helm zusammen. ›So sollet Ihr und Eure Nachkommen künftighin die Helmzier tragen, auf daß Euer Geschlecht zeitlebens eingedenk sei, daß es dem Ritter nicht ziemet, einen Herzog zu schlagen. "Die Ehre des Edelmannes stehet hoch, die Würde eines Fürsten aber noch höher!" Das ist die Deutung der zusammengeschlagenen Flügel in Eurem Wappen. – Und nun ziehet mit Gott, mein wackerer Kämpe! Des Kaisers Auge hat stets der Knobelsdorff Fähnlein bei Kampf und Sieg in den Reihen seiner Treuesten und Tapfersten gegrüßt, – es wird auch in Zukunft mit Freuden den "weiß-blauen Balken im roten Felde" schauen, – und so auch die Adlerschwingen künftig hin seitwärts gekehrt auf dem Helm stehen, soll mir sein Träger dennoch stets willkommen sein, und mich durch solch ein Wappen gemahnen, wie treu und wie gerecht ein Knobelsdorff für seine und des Landes Ehre steht!‹ – –«

Voll Jubel und Freude haben die fränkischen Edelleute ihren Genossen heimgeführt. – Von Stund' an haben jedoch die Helmschwingen zusammengeschlagen auf dem Wappen gestanden, und just, als habe der gütige Handschlag des Kaisers das Geschlecht doppelt geadelt, ist es aufgeblüht in Kraft, Ehre und Rechtlichkeit. Der Balken im roten Feld ist zum Tragbalken des Hohenzollernhauses geworden, denn die Knobelsdorffs sind aus dem Frankenland nach der Mark übergesiedelt, den Balken ihres Wappens in das Fundament des Preußenreichs einzurammen. Heldenblut ist der Kitt gewesen, welcher ihn mit Brandenburg für ewige Zeit verbunden, und die zusammengeschlagenen Helmschwingen haben in goldener Treue fleckenlos geleuchtet durch viele Jahrhunderte hindurch bis auf den heutigen Tag. –


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