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Die Haidehexe.


Wär' ich geblieben doch
        auf meiner Haiden

Da hätt' ich nichts verspürt
        von all dem Leiden!

Wär' ich daheim doch nur,
        wär' ich geblieben,

Da hätt' ich nichts gewußt
        von all' dem Lieben!

Bleiben, ach, darf ich nicht,
        und kann nicht scheiden;

Wär' ich geblieben doch
        auf meiner Haiden.

( Schröer.)

So hatte sie's gern! – just so. – Grau in grau, – stürmisch, wild und kalt, ganz das Spiegelbild ihres Herzens. – Sie saß auf dem eingefallenen Hügel, unter welchem der junge Bursch lag, den sie vor langen Jahren als Deserteur hier erschossen hatten, und sie kauerte sich tief zusammen, zog die Kniee empor, daß sich das braune Kinn darauf stützen konnte, und faltete die Hände um die Beine. – So saß sie stets, ob in der Sonnenglut oder den kalten Regenschauern, – träge, einsam, fern ab von der Welt. – Aber die Sonne liebte sie nicht, die stand so siegesfreudig am Himmel und strahlte und lachte – und die schwarze Marian war doch Allem, was da lacht und glückselig ist, spinnefeind. – So wie heut, so sollte es immer sein! –

Hui, wie die Wolkengespenster am Himmel jagten, so schwarz und drohend, als wollten sie jeden Augenblick herniederbrechen, um die ganze Welt zu zermalmen! Der Sturmwind packte sie in wüstem Kampf und setzte sie auseinander, so wie die Hexen-Marian so brennend gern einmal die bunten Staatskleider der Dorfweiber gekrallt hätte, sie mit Zähnen und Nägeln in Lumpen zu zerreißen, in ebensolche Lumpen, wie sie ihr selber um den jungen, schmiegsamen Leib hingen! –

Weit gedehnt, – endlos sich gen Nord und Westen streckend, lag die Haide wie unter grauen Dunstschleiern. Nach Süd und Osten grenzte sie der Wald, und der stand jetzt auch finster und schwarz, als seien seine sturmgezausten Föhren feindliche Heermassen, die sich raubend, plündernd und sengend drüben aufs Haidedorf stürzen wollen. – Hei! sie sollten nur kommen! Die schwarze Marian, die verfluchte Haidehex', die wollte ihnen schon den Weg zeigen, daß ihnen auch keine Schindel auf dem Dach entgehen sollte! – Sonst lacht sie nie, – höchstens in bitterm Hohn und in grausigem Spott mit verzerrten Lippen, – wenn aber im Dorf drüben die Sturmglocke läuten würde, wenn sie alle schrien und heulten vor Todesangst, die reichen, stolzen Bauern, –ja, dann wollte sie lachen, –so recht aus vollem Halse, so recht aus tiefstem Herzen heraus! – Und sie würde die Narben an ihrem Körper streicheln, – die langen, schrunstigen Narben, die ihr die Steinwürfe jener Dörfler gerissen, und würde sagen: »Anitzt ist die Vergeltung gekommen, – nun mögt ihr verharschen!«

Wie der Sturm in den Lüften aufgellt! – Die rote Haideblüte neigt sich zitternd, Schmetterlinge und Käfer haben sich scheu ins Moos geduckt, und nur die Krähen streichen mit heiserm Schrei zu ihren Häupten hin. Regentropfen klatschen groß und einzeln hernieder, – und wo sie auffallen, pfeift der Sturm drüber hin und trocknet sie, noch ehe sie nässen können.

Es ist kalt. Marians nackte, braune Füße bohren sich mechanisch in den Sand, und das zerrissene Zwilchröckchen flattert drüber hin. Sie friert nicht; sie ist's weit schlimmer gewohnt. –Sie schauert nicht einmal zusammen. Im Gegenteil, – ein gewisses grausiges Behagen kriecht ihr wie eine Schlange durch die Glieder. Sie ist eine Hexe, – sie ist eine »Totenkiekern,« sie steht mit dem Satan im Bund. Wär's noch wie vor hundert Jahren, so hätte man sie längst gerichtet und verbrannt, ebenso wie ihre Großmutter, die Teufelskatrein, der sie als letzte Hexe in der Stadt drüben den Prozeß gemacht. Von der ist schon viel schwarze Kunst auf die Tochter übergegangen, und von der Mutter hat's die Marian geerbt. – Aber die Marian ist die schlimmste; die ist Gottverflucht und sieht's vier Wochen vorher, wenn im Dorfe ein's stirbt. An den Kreuzweg stellt sie sich zur Nacht, und dann kommt der Leichenzug, und sie sieht's mit wachen Augen und entsetzt sich nicht einmal vor dem Höllenspuk. –

Landein bekannt ist sie dafür. – Mancherlei gelehrte Herren mit Brille und Regenschirm sind gekommen und haben mit der schwarzen Dirne ein eifrig Verhör angestellt und sie beschworen, um der Wissenschaft willen lautere Wahrheit zu sagen, wie ihr solch ein Sterben im Dorf angezeigt werde. Manche sind gut, manche bitter schlecht bei ihr angekommen Alle aber haben in der Dorfschenke erzählt, daß die schwarze Marian keine Hexe und Zauberin sei, sondern nur eine wunderbare Geistesgabe, das »zweite Gesicht,« besitze, so wie es in Schottland öfter anzutreffen sei.

Die Bauern aber schüttelten die Köpfe und fluchten und wetterten nach wie vor gegen die Haidehex', die vermaledeite, der es ein teuflisch Vergnügen sei, jählings vor einen Menschen hinzutreten und mit schriller Stimme zu schreien: »Hollah! mach dich bereit, zwischen heut und vier Wochen zimmern sie deinen Sarg!« – Totschlagen haben sie den schwarzen Satan wollen, – aber die gelehrten Leute aus der Stadt haben ein Augenmerk auf sie, – und wegen der Teufelin mag's keiner mit den Gerichten zu thun bekommen. Aber nicht Pestilenz und Galgen sind scheuer gemieden, wie die Marian! Da geht Niemand mehr über die Haide, der es nicht absolut nötig hat, – und wenn sie die zerfallene Hütte sehen, wo ehemals der alte Imker Claasen Sommers über seine Bienen bewachte, dann schlagen sie ein Kreuz und geben eilends Versengeld. – Der Claasen war der Marian Großvater, und als er starb, blieben ihr die Bienen und die Lehmhütte als einzig Erbteil. Da lebt sie nun, trotz ihrer jungen Jahre, mutterseel verlassen in der Haide und hütet ihre Bienen. Einmal, als sie nach der Stadt war, den Honig zu verkaufen, haben sie ihr die Hütte in Brand gesteckt und gedacht: »nun zieht sie ihres Weg's davon!« Aber sie irrten sich. Die Marian hat mit ihren eigenen Händen den Schutthaufen wieder aufgebaut, und seit der Zeit ist der Satan in ihr völlig lebendig geworden! Im Dorf hat's von Stund an so oft gebrannt, daß den Bauern ein Entsetzen angekommen ist, und als die Marian wieder mal zur Stadt war und kam heim, da hat sie ihre Hütte fein säuberlich hergerichtet gefunden, sogar ein paar Hühner und ein Ferkel dabei. – Obwohl die Letztern anderen Tags tot beim Großbauer Sören auf dem Miste wiedergefunden wurden, und die Leute in der Nacht ein schauerlich Gelächter in der Straße gehört haben, hat's doch aufgehört mit der Feuersnot. –

Die Haide aber ist noch verlassener gewesen wie eh und vollends, seit des Sören Pferde vor der Marian Hütte gescheut und geradeswegs in das Moor gerast sind, daß sie darin umkamen, und der Sören nur mit knapper Not sein Leben rettete, seit jener Zeit ist für die Bauern von Hollecamp die Welt da zu Ende, wo der roten Erika Reich beginnt.

Dunkler – und immer dunkler wards. Rot und gelb gefärbtes Herbstlaub wirbelte von dem Bäumchen herüber, welches als Warnungszeichen für nahes Moorland einsam aus dem Ginsterkraute empor strebte. Es bog sich und knarrte im Winde, und die braunen Brombeerranken klammerten sich im Kampf gegen das Unwetter an sein schwankes Stämmlein an.

Hoha! wie das struppige Riedgras zu Boden gepeitscht wird! wie die Wolkenschatten über das Haideland jagen! fern am Horizont birst die schwarze Dunstwand noch einmal auseinander, und ein greller, blutigroter Strich kündet an, daß dort die Sonne gesunken ist. Wie ein Flammenblitz glüht's aus, und das starre, regungslose Angesicht Marian's ist sekundenlang wie mit Purpur überhaucht.

Ein seltsames, wildes Mädchengesicht. Pechschwarze Augen lohen darin wie ein Höllenbrand, – unstät und flackernd, oder in beinah stierem Schauen wie geistesabwesend ins Leere gerichtet. Braun, frisch, wie eine rot durchleuchtete Aurikelblüte runden sich die sammetigen Wangen, und doch sind es seltsam scharf und fein gezeichnete Züge, welche dem kleinen Gesicht mit den großen Augen etwas vogelartiges, beinah übernatürlich kluges geben. Das Haar ist schwarz glänzend, als habe es seine Farbe von der Tollkirsche geliehen, wirr und wild, in langen, windzerzausten Strähnen flattert es um Hals und Schultern.

Lumpen decken den schlanken Körper, und an einem Bindfaden hängt ein geheimnisvolles Ledersäckchen auf der Brust –: »Darin trägt sie die Teufelsklaue und die Hexensalbe, welche ihr von der gerichteten Großmutter überkommen ist!« raunte man sich im Dorfe in die Ohren.

Sie kennt solches Gerede und nickt dazu und lächelt, daß einem vor Grauen das Blut erstarrt. Dem Hütejungen, mit dem sie eine Zeit lang gut Freund gewesen, weil der arme Schelm den Bluthusten hatte – und froh war, wenn er eine Seele fand, die ihm die Schafe bewachte, dieweil er bei Sturm und Wetter in des Claasen Hütte unterkroch, – dem Hütejungen Hinrik hat sie es ja selber erzählt, daß sie allerlei Zauber verstände.

Als er einstmals jählings seinen Zufall bekommen, so daß das Blut kaum zu stillen war, hat sich die Marian neben ihn gekauert und hat ihm zwei Kreuzdornzweiglein kreuzweis über die Lippen gehalten und also gesprochen:

»Unser Herr Jesus ging über das Land,
Da begegnet ihm das wilde Feuer, das Blut und der Brand. –
Sprach er zum wilden Feuer:
»geh« – sprach er zum fließenden Blute: »steh«
Und es stand.« –

Da hat des Hinrik Elend auch wirklich nachgelassen, und er ist eine Zeitlang wieder zu Kräften gekommen. Abends aber hat die schwarze Marian plötzlich auf der Thürschwelle bei des Jungen Mutter gestanden und hat mit hohler Stimme gesprochen: »Holet den Bub ein; – seine Wangen sind zwar wieder rot, aber binnen drei Nächten holt ihn der Tod.« –

Und als der Hinrik gestorben war, da gab es Niemand mehr auf Gottes weiter Welt, der eine Gutthat von der Marian gemocht oder solche empfangen hätte.

Das Feuerzeichen am Himmel erlosch, und es ward frühe, schwarze Herbstnacht. Wilder heulte der Sturm über die Haide, und der Regen fiel kalt, als wolle er auf des Mädchens nacktem Hals und Arm zu Eis erstarren.

Da erhob sich die Einsame, reckte und streckte die Glieder, wie ein Mensch, der nicht aus dem Schlaf kommen kann, und schlich mit vorgestrecktem Kopf, wie eine Mondsüchtige zur Hütte.

Sie wollte Feuer aufreiben, aber sie hielt den Zunder träge in der Hand und starrte wie geistesabwesend darauf nieder. Gewaltsam riß sie sich empor, ein-, zweimal, – endlich prasselte das Reisig auf. Wie Blei legte es sich in ihre Glieder – nur nach den Augen und dem Hirn stieg's wie heiße, fiebrische Glut empor. Ja, sie fühlte es, –es kam! … es kam!! …

Ein Aufstöhnen rang sich, wie voll wilder Verzweiflung, von ihren erbleichenden Lippen. Sie warf sich nieder an der Wand und krallte sich mit den Händen an dem morschen Balken fest. – Ihre Brust hob sich unter keuchenden Atemzügen; leise, überhastig murmelte sie vor sich hin: »Nein – nein – ich will's nicht! ich will's nicht! ich mag's nicht mehr sehen … ich graue mich ich bleibe hier! … Was nützt es, ob ich die bleichen Totenschädel erblicke? … o du lieber Herrgott … laß mich daheim!« Und sie preßte die kalten Hände gegen die Stirn und ward ruhiger. – Horch – wie der Wind tobt; – ja, es kommt! es kommt! und da ist keine Rettung, sie hat sich schon so oft hier festgeklammert, und doch ist's über sie gekommen wie eine furchtbare, dämonische Gewalt, die hat sie emporgerissen und hinausgetrieben an den Kreuzweg.

Und so kommt's auch jetzt. Immer dunkler, immer unheimlicher wird die Nacht, und Marian hebt das Haupt und lauscht. Ihr Antlitz ist leichenfarben, unnatürlich groß und gläsern werden ihre Augen. Langsam, mit den scheuen, sich schmiegenden und windenden Bewegungen eines Raubtiers richtete sie sich auf, höher und höher. Die Nasenflügel beben und blähen sich schnaufend auf, ihre Hände bekommen etwas Starres und Gekrampftes. – Es ist kein wacher, bewußter Zustand mehr, in welchem sie sich befindet, sie steht mit Leib und Seele unter dem Einfluß einer fremden, unheimlichen Gewalt.

Sie tastet nach der Thüre, stößt sie auf und tappt wie eine Trunkene in die Nacht hinaus.

Sie will nicht – sie muß. Weiter, weiter durch Regen und Sturm.

Hui, wie es in den Lüften gellt und tobt! Mit Hussa und Trara zieht ein Geisterheer über ihr hin, sie hört das Klatschen der triefenden Mäntel, hört das Heulen und Schrillen, hört das wilde Aufschnaufen der Rosse! Fürchtet sie sich? – Nein; da ist kein Tropfen lebenswarmes Blut mehr, welches in ihren Adern kreist. Eiskalt, selber wie ein ruheloser Geist, ohne Grauen und Schaudern, jagt sie mit den bleichen Gespenstern um die Wette über die brausende Haide. – Nur in ihrem Hirn, da glüht's und fiebert's, aber sie hat kein klares Gefühl davon, sie hat nur einen Gedanken, den, des unwiderstehlichen wilden Dranges, vorwärts zu stürmen bis zu jenem Kreuzweg, dem schauerlichen, wo es abermals wie Leichengeruch durch die Luft zieht, – wo sie stehen muß – wie gebannt stehen und schauen, wen die hohläugigen Spukgestalten zu Grabe tragen! –

Wenn's nur daher kommen wollte als Leichenzug! das ist ein friedliches, frohes Schauen; die Leute haben verklärte, glückstrahlende Gesichter, und derjenige, welcher im Sarg liegt, wird nicht sterben, sondern im künftigen Jahre Hochzeit machen. Aber die Hochzeitszüge! – Wehe – die sind grauenvoll!

Wenn Marian am hellen Tageslicht einsam in der blühenden Erika sitzt und solches Hochzeitszuges, den sie in der Nacht geschaut, gedenkt, dann erstarrt ihr wohl das Blut vor Entsetzen, in der Nacht aber, wenn ihr Wahnsinn sie faßt, dann kennt sie kein Grauen, dann ist sie selber ein fleischloser Schatten, welcher ruhelos über das Land rast!

Huh – wie es zischt und pfeift, wie die Nacht so rabenschwarz und unheimlich ist! – Die Wolken knäulen sich und steigen empor wie wilde Schreckgestalten, der Mond kämpft an gegen sie – manchmal bricht ein falber Strahl gespenstisch durch sie hin. Dort ist der Kreuzweg.

Ein Wegweiser schimmert wie eine winkende Erscheinung vom Rain herab. Da teilt sich die Fahrstraße. Gradaus geht's zum Dorf, links führt der schmale Pfad ab, welcher durch Moor und andere Sumpflachen führt, und der manchem ahnungslosen Wanderer zum letzten Gang geworden. Rechts winkt die Chaussee zur Stadt.

Marian steht keuchend und preßt die eisigen Hände gegen die Brust. Das Brombeergestrüpp zerfetzt ihren Rock und reißt ihr die nackten Füße blutig, sie wirft sich neben dem Wegweiser nieder, und die Nässe trieft von den Heckenrosenranken über sie herab. Feucht, wie glänzende Schlangen ringelt sich das Haar um ihren Nacken und klebt auf der Stirn, – sie hebt mit lauten, fast stöhnenden Atemzügen das Haupt und starrt in die Dunkelheit. Kommt's?! –hört … sieht sie noch nichts? … Horch … da … vom Dorf her … Allbarmherziger Gott, ja, das sind wieder Hochzeitsklänge!! –

Leise – undeutlich … sturmzerrissen tönts ihr entgegen. Heia! eine lustige Fiedel!

Marian krallt die Finger in die schlammige Erde; ihr Körper zuckt und windet sich, als erdulde sie physische Qual, – aber ihr Auge flimmert, und es glüht mehr und mehr auf in unheimlicher Freude, – Hochzeitsjubel! – juchhe!!

Die Wolkenwand zerreißt, – im bleichen Mondenlicht liegt der einsame, sandige Haideweg. Durch die Blumen und Gräser geht's wie ein Zittern und Frösteln – zwei Käuzchen fliegen mit schrillem »Kiwitt! Kiwitt!« als Hochzeitsbitter voraus.

Da naht's … da schlängelt sich der Zug heran! Voraus schreiten zwei Gerippe, die streichen die Fiedeln mit Menschengebein, und tanzen und hüpfen zur lustigen Melodie! und dann kommen die Kranzelburschen mit den Jungfern, die sind gar festlich gekleidet und tanzen und hüpfen auch, – aber sie tragen sämtlichst die Köpfe unter'm Arm! – Huh – grauenvoll ist's anzusehen!

Nun aber das Brautpaar! – – wo ist's?!

Marian streckt in stierem Schauen den Kopf vor. Die Braut wandelt auch ohne Haupt, aber der Bräutigam … der ist der Einzige im ganzen Zug, der es lachend auf den Schultern trägt, – und darum schreitet hinter ihm der Tod.

Wer ist's? – Marian blickt starr dem Nahenden entgegen. Ein Fremder! Sie kennt ihn nicht! – Hoch und schlank ist seine Gestalt, sein Antlitz so schön und so glückstrahlend, wie die Haidehexe noch keines je zuvor gesehn. Ihr ist's, als schreie ihr Herz auf voll brennenden Weh's. Da wendet er das Haupt und sieht sie an. Durch Mark und Bein geht ihr dieser wundersam strahlende, gütige, sanfte Blick!

Allbarmherziger Gott – erbarme Dich seiner! – So jung, so schön – so glücklich und doch schon sterben!! –

In langem, schattenhaften Zug folgen die Hochzeitsgäste ohne Fleisch und Bein, – Marian aber steht und sieht nur Einen – ihn, den Tod geweihten Bräutigam. Wehe! der Zug biegt in den Pfad ein, welcher zum Moor führt, – also dort! – dort wird ihn sein Schicksal ereilen, – dort lauert sein Verderben, er wird im Moore untergeh'n!

Mit einem Schrei will Marian vorwärts stürzen, den Unglücklichen von jenem Weg zurück zu reißen, umsonst, – ihre Füße stehen wie angewurzelt, ihre Stimme versagt den Dienst. – Aber seltsam – der Bräutigam wendet jählings das Haupt und sieht noch einmal nach ihr zurück, – und diesmal ist sein Blick wie ein Hilfeschrei voller Todesangst.

Mit dumpfem Aufröcheln bricht Marian zusammen, ihr Antlitz sinkt auf das nasse Haidekraut, – vor ihren Ohren klingen die Hochzeitsfiedeln wie gelle Schreckensrufe … dann wird's still. Nur der Sturm jagt heulend über sie hinweg.

Regungslos liegt sie. Sie weiß nichts von sich. – Dann fühlte sie es warm zum Herzen strömen, und mit der lebensfrischen Wärme kommt ein Frösteln über sie. Mit wirrem Blick schaut sie auf und reibt sich die Stirn. Ist's Regen oder Angstschweiß, welcher in dicken Tropfen auf ihrer Stirn perlt?

Sie richtet sich auf. Eine Erschlaffung und Mattigkeit lähmt ihre Glieder, als habe sie eine schwere Krankheit überstanden. Wo ist sie?

Vor ihr liegt einsam und grabesstill die weite, nächtige Haide; leer und öde glänzt der Weg im Mondlicht. Der grauenvolle Spuk ist verschwunden.

Laut aufstöhnend schlägt die schwarze Marian die Hände vor das Antlitz. Sie hat abermals ein Opfer des Todes geschaut, – aber so wild aufgeschrieen vor Weh, wie dieses Mal, hat ihr Herz noch nie zuvor. Wer ist jener wundersam schöne Mann mit den Augen, den einzigen, welche sich jemals voll Güte und Liebe auf sie gerichtet? – Dort hin – dort im Moor muß sie ihn suchen!

Sie richtet sich voll wilder Entschlossenheit empor und starrt nach dem Weg, welchen der Geisterzug soeben genommen. Schrillen noch immer die Geigenklänge? … nein … horch … was ist das? …

Marian reißt sich gewaltsam von den Knieen auf und klammert sich an den Wegweiser. – Da … da wieder … »Hilfe! – Hilfe!« klingts fern her zu ihr herüber, – und das war eine Menschenstimme, welche rief, – das war er!

Die schwarze Haidehex' kennt jeden Schritt dort in den umheimlichen Sümpfen, sie geht sicher am Rande des Verderbens hin und findet ihre Furten durch das Moor, ob's auch stockdunkle Nacht ist! – Dort ringt der Todgeweihte mit dem Verderben! Aber … darf sie ihn retten? – Wehe! Wehe und Untergang über den Leichenseher, welcher dem Tod seine Beute entreißt!

Marian weiß es; sie hat schon so viele hier am Kreuzweg vorüber wandeln sehen, die nach wenig Tagen die Erde deckte, und wenn sie auch hätte warnen und retten können, – sie that es nicht, – denn wer im Zug des Todes geschritten, gehört dem Grab, und die Hand, welche sich nach solchem Opfer ausstreckt, es zurückzuhalten, muß selber verdorren und faulen. – Auch jenen Fremden darf sie nicht retten, sie darf's nicht! –

»Hilfe! Hilfe!« – hallt's abermals im Wind zu ihr herüber.

Ein Zittern durchläuft die junge Dirne vom Scheitel bis zur Sohle. – Sie schließt die Augen, – und sieht dennoch sein schönes, lächelndes Angesicht!

»Hilfe!« –

Sie ringt verzweifelt die Hände, »Herrgott – laß mich taub werden!« schluchzt sie auf, – aber sie hört es dennoch. – »Hilfe!« –

Seine Augen! seine flehenden, verzweifelt blickenden Augen!!

Ein dumpfer Schrei bricht über ihre Lippen. Die Arme weit öffnend, in Alles vergessender Leidenschaft stürzt sie haltlos vorwärts. –

»Hier! … ich komme! …« gellts durch den Sturm. – Der Haidehexe sind Flügel gewachsen, – wie die Windsbraut selber rast sie über das Flachland. Das Sumpfwasser zischt auf und spritzt um ihre Füße … hoha! – Sie kennt jeden Schritt, – sie fliegt sicher dahin durch das kurze knisternde Röhricht. Er ist's, der dort mit dem Verderben ringt, und sie fragt nicht mehr, ob sie's darf, sie rettet ihn, wenn sie noch retten kann! –


Die Wolken jagen vor dem Mond vorüber, nur wie flackernder Lichtschein fallen die einzelnen Strahlen bleich und unsicher über das Moorland. Das kurzstruppige Schilf rauscht und knistert, in dem Röhricht schrillt der Schrei aufgeschreckter Vögel, und die schwarze Marian stürmt atemlos dahin und antwortet noch einmal mit der vollen Kraft ihrer Lunge: »Hier! hier bin ich! wer ruft um Hilfe?!«

Und dann steht sie mit vorgestrecktem Haupt, zitternd in banger Ahnung und lauscht in die Nacht hinaus.

»Hilfe! – Hilfe!« –

Sie zuckt frohlockend empor. Dort! – Gottlob! dort ist die Gefahr nicht so groß wie auf jener Seite! und sie wendet sich und rast abermals, ohne rechts und links zu blicken, dem Klang der Stimme nach. Endlich steht sie. Ein heller Jubelschrei schallt durch den Sturm. Im Mondlicht zeichnet sich scharf die hohe, dunkle Gestalt eines Mannes gegen den heller werdenden Himmel ab. Er wendet sich ihr zu und hebt die Arme: »Vorsicht! ich stehe mitten in Sumpflachen, der Boden schwankt unter meinen Füßen!« – Wie klar und frisch seine Stimme klingt, – ein alter Mann ist's nicht.

»Wartet, bis ich komme, rührt Euch nicht!« antwortet die Marian hastig, und sie setzt behutsam Fuß um Fuß und nähert sich ihm.

Wieder leuchtet der Mond. »Barmherziger Gott, eine junge Dirne?« ruft er entsetzt, »zurück, Kind! – ich beschwöre Dich, es ist Dein Verderben! Du kennst die Gefahr nicht!«

Sie lacht laut auf und springt furchtlos näher. »Tretet bei Leibe nicht zur rechten Seite hin, da brichts unter Euch zusammen, – aber hierher … grad' wo ich die Hand hinhalte, da springt mit einem großen Satz herüber.« Er zaudert und starrt sie an. »Unmöglich, Kind, – die Erde trägt mich nicht, – ich werde zu schwer im Sprung, und die Erschütterung ist zu groß!« –

Sie wirft ungeduldig die nassen Haare zurück. »Ich sag' Euch –springt! – fühlt Ihr nicht, daß Eure Füße immer tiefer sinken? Noch ein paar Minuten, und es ist zu spät!«

Er krampft die Hände zusammen und preßt sie gegen die Brust. »Gott im Himmel!« – stöhnt er – »Du hast recht, – ich sinke!« –

Da schreitet sie prüfend noch um zwei Schritte näher, beugt sich jäh vor und umklammert mit eiskalten, bebenden Fingern seine Hand, die sich ihr wehrend entgegenstreckt.

»Herüber zu mir!« kreischt sie auf und reißt ihn mit der Kraft der Verzweiflung näher. Da ringt sich ein abgebrochener dumpfer Laut von seinen Lippen, er packt ihre Hand mit eisernem Griff und springt. Bis an die Kniee bricht er in das spritzende Sumpfwasser ein, und abermals gellt sein Schreckensschrei durch Nacht und Sturm. Marian aber greift zu, faßt ihn an dem Oberkörper, welcher nach ihr hingesunken und reißt ihn mit übermenschlichen Kräften zu sich heran. – Er arbeitet sich heraus und schiebt sich auf den Knieen noch einen Schritt vorwärts, dann bricht er, halb bewußtlos vor Ermattung und Todesangst, neben der sturmzerzausten Gestalt seiner Retterin zusammen.

»Ho! ho! noch ist's keine Zeit zum ruhen!« schüttelt ihn die Haidehexe ungestüm an beiden Schultern. – »Ihr seid ein großer, schwerer Mann, und der Boden ist für uns Beide auch hier noch unsicher! – Rafft Euch zusammen – dort – zehn Schritte weit – und wir sind völlig in Sicherheit!« – Sie schüttelt ihn mit kraftvollen Händen, und schaudernd schrickt er empor.

»Stützt Euch auf mich! ich kenne jeden Schritt hier!« und Marian strebt ihm hastig voran –: «Legt Eure Arme um meinen Hals – ich schleppe Euch! Denkt Ihr, ich sei eine Binse, die keinen Tautropfen tragen kann? … Haha, ich habe schon ein größeres Kreuz auf dem Nacken gehabt, denn Eure paar Pfund Knochen!« –

Sie lacht –aber er hört doch ihre Herzensangst durch dieses Lachen beben, das macht ihn wieder stark.

»Reich mir nur Deine Hand, Du braves Kind! ich bin wieder bei Kräften – so … und nun leite mich, Du lieber Schutzengel, den mir Gott gesandt!«

Er fühlt nicht, wie sie zusammen zuckt. – Beide schreiten behutsam und dennoch voll fiebrischer Aufregung durch das rauschende Riedgras. Oft erzittert der Boden unter ihnen und wird schwammig weich – es schwankt, als gehe man auf einem Bund Gras, das auf Wasser schwimmt – aber Marian tröstet lachend: »Unbesorgt, hier ist's nicht mehr schlimm, zur Not sinken wir bis an die Hüften ein – aber grundlos ist's nicht mehr! – Seht Ihr … jetzt wird's schon fest, und ich fühle Haidekraut unter den Füßen … nun sei Gott gelobt – hier ist fest Land –! nun sind wir geborgen!«

Der Fremde tritt fest auf, bleibt stehen und preßt einen Augenblick die Hände gegen die Schläfen, dann reißt er den Hut vom Haupt, kniet nieder und faltet die Hände.

Marian steht stumm und regungslos zur Seite.

Der Sturm braust über sie hin, und das Mondenlicht fällt voll und klar auf die Züge des Betenden. Die Haidehexe wagt kaum zu atmen, sie neigt sich vor und starrt ihn an.

Er ist es! – er! –

Wie ein leises Aufschluchzen schüttert's durch ihren Körper, sie fühlt ihr Herz hoch im Halse schlagen, sie blickt auf ihn nieder mit dem einzigen zitternden Verlangen: »Ach, wollt er mich nur einmal ansehn!« – Und wie sie's denkt, wendet er das Haupt und blickt ihr in die Augen. Beide Hände reicht er ihr dar und murmelt mit halb erstickter Stimme: »Gott segne Dich, Du braves, mutiges Kind!«

Wie ein Aufschrei unaussprechlichen Entzückens geht's durch ihre Seele – ja, das sind die Augen des Todgeweihten, welche ihr hier entgegen strahlen, die Augen jenes Mannes, welchen sie eigenwillig dem Grabe entrissen und welcher darum ihr selber zum todbringenden Verhängnis geworden ist!

Sie lächelt und hebt triumphierend das Haupt – und dann zuckt sie plötzlich zusammen, wie unter tiefem Weh und fragt leise: »Wo soll ich Euch nun unterbringen?« Er richtet sich auf und hält ihre rauhen, wetterharten Finger noch immer in seiner Rechten.

»Zum nächsten Obdach, Kind. Ich bin müde und matt zum Umsinken. Ich habe eine Stunde lang Brust an Brust mit dem Tode gerungen, und das hat mich schwach gemacht wie einen Kranken.«

»Das Dorf ist aber eine Stunde weit von hier – und die Ziegelbrennerei hinter dem Wald drüben hat drei Typhuskranke in der Kammer.«

»Und wo wohnst Du?«

»Ich?« – das klang beinah wie ein Schrei des Schreckens.

»Ja Du, mein braves Kind! Wenn ein Mädchen um Mitternacht mutterseelallein in Haide und Moorland zu finden ist, so kann ihre Heimat wohl nicht allzufern von hier sein!« –

Sie steht einen Augenblick schweigend, ihre Zähne schlagen zusammen – sie reißt ihre Hände los und knäult ihr langes, schwarzes Haar darum her.

»Seid Ihr ein Fremder hier?«

»Nein –ich bin seit drei Wochen drunten in der Dorfpfarre.« –

Sie lacht scharf auf: »Und habt noch nichts von der Haidehex', der schwarzen Marian, gehört – der Zauberin und der ›Totenkiekern,‹ vor der die Bauern sich bekreuzigen?!«

Er tritt ihr hastig einen Schritt näher und starrt ihr in das Antlitz; bitterer, herber Spott und Trotz verzerrt es.

»Marian! –wahrlich die Marian! Daß mir der Gedanke nicht längst gekommen! Gewiß habe ich von Dir gehört, Du wildes, armes Kind, und darum weiß ich auch, daß Du in des Imker Claasen Hütte wohnst! Sie ist doch gewiß nicht weit von hier, Marian, und darum sei barmherzig und nimm den Mann, dem Du das Leben rettetest, nun auch zur Herberge unter Dein Dach!« –

Da geschah ein Seltsames. Einen Augenblick stand die braune Dirne und zitterte an allen Gliedern wie Espenlaub, dann kam's über sie wie die Wildheit einer Waldkatze. Sie sprang auf ihn zu, packte mit beiden Fäusten seine Schultern so leidenschaftlich und hitzig, als wolle sie die Nägel in sein Fleisch graben. Ihre Augen funkelten dicht vor den seinen, glühender Atem streifte sein Antlitz.

»Du! … Du hast's gewußt. daß ich die Haidehex' bin – Du weißt's, daß Du jetzt vor der schwarzen Marian stehst – und doch – doch willst Du über meine Schwelle treten?!«

Sie schrie die Worte laut wie eine Trunkene und schüttelte ihn dabei, als wolle sie seine hohe Gestalt hernieder brechen.

Langsam und sanft löste er ihre eiskalten, umklammernden Finger: »Ei, Marian, was ficht Dich an!« – schüttelte er den Kopf, »glaubst Du in Wahrheit, ich sei ein so thörichter, abergläubischer Mensch, daß ich mich von blödem Bauerngeschwätz ängstigen ließe? – Ja, man hat mir gar manch grausig Ding von der Haidehex erzählt, und dennoch lege ich mein Haupt furchtlos zum Schlaf in Deinen Schoß! Weiß ich's denn nicht besser, daß meine Lebensretterin viel eher ein guter Engel, denn eine Teufelin ist?« –

Sie wich zurück von ihm, krampfte die Hände zusammen und preßte sie gegen die Brust. – Ein Schüttern und Schluchzen ging durch ihre schlanke Gestalt, als ob der Sturmwind sein Spiel mit einer Weide treibt, – sie wankte und brach vorn über auf die Knie: – »Herrgott … lieber Herrgott!« schrie sie auf, – und in diesen drei Worten sprach sie das längste Gebet ihres Lebens. –

Das Haupt tief herabgeneigt, als wolle sie den Saum seines Rockes küssen, so lag sie regungslos. –

»Marian, – sei nicht wunderlich« – bat er sanft: – »ich bin zum Sterben müd' und matt!« –

Da schnellte sie empor und warf wie in jauchzendem Frohlocken die nassen Haare in den Nacken zurück. »Kommt!« – sprach sie kurz und eilte ihm voraus wie auf Windesflügeln.

Er vermochte nicht so schnell zu folgen. Sie schlug sich wie in rauher Selbstzurechtweisung hart gegen die Stirn und blieb wartend stehn. Zögernd, fast scheu, bot sie ihre Schulter dar: »Stützt Euch fest auf mich, lieber Herr, ich habe Kraft.«

Er thats, – seine Füße versagten fast den Dienst.

»Legt den Arm lieber um meinen Hals!« – sprach sie nach wenig Schritten, »da schreitet Ihr sichrer.«

»Gute Marian!« – murmelte er wie im Traum, und ihr schmächtiger Körper beugte sich tief unter der Wucht des halb bewußtlosen Mannes, welchen mehr und mehr die Schwäche nach der so lange ausgestandenen Qual und Todesnot übermannte. Aber sie biß die Zähne zusammen und keuchte vorwärts. –

Wie schwer sein Arm auf ihrem Nacken lag; Marian's Kniee zitterten, – da umfaßte sie ihn sonder Besinnen und hielt ihn aufrecht und schritt nun auch selber leichter dahin. Aber sie ging Arm in Arm mit ihm, auf demselben schmalen Sandweg, auf welchem vor kurzer Zeit noch der gespenstige Hochzeitszug an ihr vorübergezogen war. –

Nun wandelte sie an Stelle der Braut und hielt gleich wie diese den Bräutigam im Arm. – Aber er war kein Todgeweihter mehr, – sie hatte ihn dem Verderben entrissen. Um welchen Preis? – Nun schritt der Tod hinter ihr.

Marian erschauderte. Vor wenig Stunden noch hatte sie ihr armes, freudloses und geächtetes Leben geringer geachtet, denn das Dasein der niedersten Kreatur, – da hätte sie es voll Bitterkeit und Ekel von sich werfen mögen, um erlöst zu sein von allem Elend, von ihrer Einsamkeit und der grauenvollen Gabe des Totensehens, welche sie aufzehrte im schleichenden Wahnsinn der Angst vor sich selber. – Und nun? – nun, da sie in sinnloser Vermessenheit sich selber in die Macht des Todes gab, um diesen Fremden zu retten, – nun stieg es plötzlich heiß und weh empor in ihrem starren Herzen, – nun zuckte es auf wie in jäher, brennender Sehnsucht nach dem Leben!

Bereute sie ihr Thun? – Nein, und tausendmal nein! Der Mond steht jetzt voll und klar am Himmel, und Marian starrt empor in das Antlitz dessen, für den sie sich selber zum Opfer gab. Und schaut – und schaut. –

Wie wird es ihr plötzlich so wundersam zu Sinn? – Aufjauchzen möchte sie, – die Arme ausbreiten und hinaus stürmen ohne Ziel und Halt, – jubelnd durch alle Welt, ihre heiße, glühend heiße Stirn zu kühlen! So eng wird es ihr um's Herz, – so zitternd wohl und weh, – daß sie weinen möchte ohne Aufhören, – weinen ohne zu wissen warum!

Ist das etwa das Glück? – Sie war noch niemals glücklich im Leben, – sie kennt das Wörtlein nur vom Hören und Sagen. Oder … oder … ist es gar ein Anderes? Es wird ihr so dunkel vor den Augen, – und einen Moment lang ist's ungewiß, ob sie ihn stützt – oder er sie! Aber solche Gedanken sind wie die Nachtvögel, welche zu ihren Häuptern dahinschwirren. Sie halten nicht lange Rast.

Um Marian's Haupt weht die frische, herbe Nachtluft. Sie streicht langsam mit dem Handrücken über die feucht perlende Stirn und atmet tief auf. Sie denkt nichts mehr, weder vorwärts noch zurück, sie blickt empor in sein mondbeglänztes schönes Angesicht; und lächelt.


Das Feuer knistert hell auf. Trockenes Tannenreisig brennt bläulich hüpfende Flammen, und die dicken Holzscheite schwälen dazwischen mit kräuselnden Rauchfahnen.

Es giebt wohl auf der ganzen Welt kein ärmlicheres Lager, als das der Haidehex'. Trockene Blätter und Moos sind in einer Ecke der Lehmhütte aufgeschüttet, – ein alter, strohgeflochtener Bienenkorb dient als Kopfpfühl. Marian hat ihren zerlumpten Regensack darüber gebreitet und wird glühend rot vor Stolz und Freude, als der Fremde sonder Hochmut sein Haupt darauf niederlegt, voll tiefen, wohligen Behagens aufatmend. Sie greift hastig nach einem Tuche und breitet es sorgsam über den fröstelnden Schläfer. Der öffnet noch einmal die Augen und reicht ihr in stummem Dank die Hand entgegen, – sie schüttelt heftig den Kopf und wendet sich jäh ab. –

Es überkommt sie eine unsagbare, nie gekannte Verlegenheit. Sie atmet wie erleichtert auf, als ihr schöner Schützling tief und fest entschlummert ist. Da kauert sie sich leise neben das Feuer, faltet die Hände um's Knie und schließt ebenfalls die Augen. Aber sie schläft nicht. Durch die dunklen Wimpern huscht ihr Blick wieder und immer wieder zu dem Fremden hinüber. Er ist dunkel und fein gekleidet und trägt ein weißes Tuch von Seide um den Hals.

Just wie ein geistlicher Herr. –

Sagte er nicht auch, daß er seit vier Wochen in der Dorfpfarre drüben wohnt?!

Marian zuckt jäh zusammen, eine finstere, zornige Falte senkt sich in ihre Stirn, wenn sie an die Pfarre denkt. Sie haßt die Schwarzröcke. – Wenn sie ein wildes, gottloses und schlechtes Geschöpf war, das Niemanden etwas Gutes, allen aber gern das Böseste anthat, – das sich nimmer in der Kirche sehen ließ und fertig war mit allem, was die Menschen Gottesdienst und Frömmigkeit heißen, so war der alte Pfarrer daran schuld. –

Am Todestage ihrer Mutter war's gewesen. Da saß die schwarze Marian einsamer und verlassener wie je auf dem eingesunkenen Haidegrab, und ihr ward so weh, so weich und sehnsuchtsvoll zu Sinn, daß sie die Hände vor ihr Angesicht legte und bitterlich weinte. Da trieb sie ihr Herz zurück in die Gemeinschaft der Menschen. Sie wollte alles vergessen und vergeben, was man ihr angethan, und wollte um Vergebung bitten für all das Uebele, was sie jemals den Dörflern zugefügt. –

Vom Kirchturm herüber klangen die Glocken – und die Haidehexe kämpfte einen schweren Kampf mit ihrem erbitterten, verstockten und dennoch so schmerzlich blutenden Herzen, legte ihr Sonntagskleid an und ging zaghaft, scheu und doch mit bestem Wollen und Willen zur Kirche.

Einen Strauß blühender Haide hatte sie an die Brust gesteckt, und ihre Augen blickten so flehend und bang, als ob sie sprechen wollten: »Seht, ich komme zu euch, ich thue den ersten Schritt zur Versöhnung! Ach, bietet mir nun auch freundlich die Hand und laßt mich eine der euren sein!«

Sie verlangte ja keine Zeichen von Gunst und Freundschaft – sie wollte nur geduldet sein. Sie wollte nur unbeachtet, unverhöhnt und unverspottet in der Kirche beten. – Und sie schritt über die Schwelle, wohl erstaunt gemustert von allen Augen, aber unbehelligt. Die Leute raunten sich in die Ohren – aber das hörte sie nicht; sie saß bescheiden vorn im Eckchen der ersten Bank und senkte hochklopfenden Herzens die Augen.

Es ward ihr so eng und so scheu zu Sinn – sie fühlte sich unter den neugierigen Blicken wie eine Gerichtete. Aber sie sah keine bösen und höhnischen Gesichter, und das gab ihr die Hoffnung, daß sie sich nun allsonntäglich hier einfinden könne, daß dies der Weg sei, welcher langsam aber sicher zu einem versöhnenden Ausgleich führen mußte.

Da trat der alte strenge Pfarrherr auf die Kanzel, und sein Blick fiel groß und scharf auf die junge Dirne in der ersten Bank. Seine Stimme erhob er und sprach über die räudigen Schafe, welche sich von der Herde des Herrn verirrt, und welche glaubten, ihre Seligkeit sei gerettet, wenn sie einmal einen neuen Staatsrock zum Begaffen in die Kirche trugen!

Da richteten sich aller Augen auf der Marian sauberen Zwilchrock, und die Leute stießen sich an und nickten einander zu. – Der Prediger aber fuhr, hart gegen die Dirne gewendet, fort zu eifern: ›Daß solch ein Einschauen in das Haus Gottes keine Sünde merzen könne, daß in der Dorfstraße Schutthaufen von Schadenfeuern lägen und die Hand, welche sie gezündet, wohl geahnt, aber noch nicht überführt sei zur Strafe, – daß es ein schweres Sündenwerk sei, die Mitmenschen durch grausige Prophezeihungen von Tod und Elend zu ängstigen, daß es ein Lästern Gottes sei, die Schleier der Zukunft zu lüften!‹ – Aller Groll, welchen der strenge Geistliche wider die Haidehexe hegte, brach hervor aus seinen Donnerworten, und die, welche neben der Marian saßen, rückten ab von ihr, als sei sie eine Pestkranke, und alle Gesichter wandten sich ihr zu, und in keinem stand ein Wort der Teilnahme, des Mitleids und des Erbarmens. –

Die Einsiedlerin aus Claasen's Hütte aber glaubte zuerst, sie solle in die Erde sinken vor Scham und Entsetzen, heiße flammende Glut stieg in ihr Angesicht, und dann kam's über sie wie eine wilde, zügellose und rachedurstige Empörung, welche sich zur Wehr setzt gegen die Hand, welche Steine auf sie wirft. Verraucht und verflogen war alle Milde, alle versöhnende Weichheit ihres Herzens, der kleine Keim der guten, frommen Sehnsucht nach Frieden und Besserung war von unbedachten Worten in den Staub getreten. – Aufgesprungen wie eine gereizte Löwin ist die Marian und hat hinein geschrieen in die Worte des Predigers. –

Was sie gesagt hat, weiß sie nicht mehr, – sie weiß nur, daß sie von ihrer niedergebrannten Stätte, von der Roheit und Schlechtigkeit ihrer Peiniger gesprochen! Da hat sich ein großer Tumult erhoben – man hat sie greifen wollen, um sie zu züchtigen und fand doch nicht den Mut dazu! Die Haidehexe aber hat die Leute mit kraftvollen Armen zur Seite geschleudert und ist hinaus gestürmt, zurück in ihre stille Einsamkeit. Da ist's zu Ende gewesen mit ihrem Glauben und mit ihrem Verlangen nach Gott und den Menschen.

Gehaßt hat sie den Mann, welcher sich einen Hirten nennt und dennoch die wiederkehrenden Lämmer für ewige Zeit von der Herde zurück scheucht, und sie hat sich gerächt an ihm!

Vor wenig Wochen erst konnte sie's ihm heimzahlen. In der Kürbislaube des Pfarrgartens hatte er gesessen und sich an seinem leckern Vesper gütlich gethan. Da ist's plötzlich aus dem Gebüsch hervor gesprungen wie eine schwarze Pantherkatze, – die Totenseherin Marian hat vor ihm gestanden, grausig anzuschauen in ihrer wilden unheimlichen Freude. Und sie hat ihm in die Augen gestiert und mit schriller Stimme geschrieen: »Bist Du bereit zum Sterben, Du frommer Mann? Laß Dein Grab schaufeln! in drei Tagen deckt Dich die Erde!«

Der alte Herr aber hat den Bissen nicht mehr zum Munde gebracht, Er ist wie gelähmt vor Entsetzen in den Sessel zurückgefallen, die Hände schaudernd gegen seinen erbarmungslosen Todesengel hebend. – Sprechen wollte er und konnte es nicht, – und als die Wirtschafterin mit dem Eierbier zur Laube kam, hat ihr Herr kalt und starr vornüber auf dem Tisch gelegen. – Am Herzschlag war er gestorben, und am dritten Tage klangen seine Totenglocken.

Ja, die Marian hatte sich gerächt an ihm, der in ihrem jungen Herzen den letzten Funken von Glauben und Reue gelöscht hatte, und doch war ihr Haß gegen die Diener der Kirche nicht mit dem Pfarrer von Hollecamp in das Grab gesunken. Selbst jetzt, wo sie am Lager des Mannes sitzt, für den sie freiwillig in Tod und Verderben ging, für den eine unerklärlich liebe, süße Stimme in ihrem Herzen spricht, – selbst jetzt kraust sich ihre Stirne im Zorn und Groll, da sie ihn in der Kleidung derer sieht, welche sie alle haßt um eines Einzigen willen. Schon schnellt Marian empor, um voll finsteren Trotzes hinaus in die Nacht zu gehen, damit nicht ein Dach sich über ihr und einem Pfarrer wölbe, – da fällt ihr Blick abermals auf sein Antlitz, dieses edle, milde, wundersam friedliche Angesicht, welches sich so traut und freundlich auf der geächteten Haidehexe zerlumpten Regensack schmiegt, als ruhe er der holdseligsten Geliebten im Arm.

Und die Kniee der Schauenden erzittern, und sie sinkt wie gebrochen auf ihr Reisigbündel zurück.

Ja! er ist hier in die Hütte getreten, er hat sich voll Glauben und Vertrauen hier zum Schlafe niedergelegt und weiß es doch, wem diese Lehmmauern zugehören!

Er hat ihr vertraut! – er hat sie einen Engel Gottes genannt, seinen Schutzengel, und er hat ihre Hände sonder Abscheu und Furcht ergriffen und sie dankend in den seinen gedrückt.

Da kommt's abermals über die Marian, wie damals, als ein brennendes Weh, als die Sehnsucht nach Besserm ihr Herz und Seele auseinander riß! –

Sie blickt umher. Wie ist alles so verwahrlost, – so unsauber, so trostlos und ärmlich hier! und dies könnte doch so viel besser sein; die Marian hat einen ganzen Topf voll Silberthaler draußen am Erlenbäumchen vergraben, teils vom Großvater ererbt, teils selber durch ihren Honighandel verdient. Aber sie war gleichgiltig gewesen gegen ihre Umgebung und gegen sich selbst, – sie stand als junges Reis auf trockenem Boden und war aus Hunger und Durst nach geistigem Tau der Erquickung abgestorben vor der Zeit. Nun mit einemmal überkam sie ein Gefühl des Vorwurfs gegen sich selbst.

Sie schämt sich bei dem Gedanken, daß er beim Erwachen diese dürftige, unordentliche Stube im hellen Tageslicht schauen und sich über die Einwohnerin entrüsten könne! Das treibt sie empor. Lautlos, wie ein Schatten huscht sie umher, so gut es gehen mag, Ordnung zu schaffen. Sie fegt den Estrich, indem sie sich auf die Kniee legt und mit einem alten Lumpen das trockene, zerstreute Reisig, Staub und die Abfälle von Speise und Kleidung zusammen wischt und vor die Thüre trägt. Das sieht gleich viel besser aus. Die Kiste deckt sie mit einem Brett zu, und dann blickt sie auf den wackeligen Holztisch –

Der hat wohl seit Jahren kein Wasser und Scheuertuch gesehen. –Das Blut steigt der Marian ins Gesicht, und sie geht so lautlos wie möglich an das Werk, ihn zu reinigen. Das ist kein leichtes Stück Arbeit. Dicke Schweißtropfen perlen auf ihrer Stirn, aber je mehr sie reibt und scheuert und putzt, desto befriedigender leuchten ihre Augen. Ei, – wie fremd steht der ehedem so schmutzige Gesell nun da! Etliche große Flecken, Brandringe und dunkle Fettmale sind allerdings diesem ersten Ansturm noch nicht gewichen, aber der Grund ist wenigstens blank geworden. –

Marian überlegt einen Augenblick und schaut beinah angstvoll sinnend in dem kleinen Raum umher. Endlich kommt ihr ein guter Gedanke. Von ihrer seligen Mutter bewahrt sie noch etliche Kleidungsstücke zum Angedenken. Die rohen Brandstifter, welche ihr damals die Hütte ansteckten, besaßen wenigstens die Gutherzigkeit, ihr das Kleiderbündel auf die Haide hinaus zu werfen, ebenso wie ihren armseligen kleinen Hausrat. –

Die Mutter hatte ein buntes Schultertuch, schwarzgrundig mit einer dicken Rosenguirlande als Kantenverzierung, Marian hat es nie wieder nach jenem Sonntag, da sie den bösen Austritt in der Kirche erlebt, zur Hand genommen.

Sie zögert auch jetzt, aber nur einen Augenblick, dann reißt sie geschäftig das Bündel herzu und zieht das Tuch hervor. Das ist eine herrliche Tischdecke! Nun das blühende Goldlackstöckchen, welches sie auf Mutters Grab tragen wollte, in die Mitte auf den Tisch gesetzt. Das Fenster wird freilich dadurch ganz öde aussehen, – aber halt! Sie reibt die zerbrochene, blinde, kleine Scheibe vorsichtig mit einem nassen Tuche ab, und da just das erste Frührot den Himmel färbt, huscht sie hinaus, gräbt die blühende Erika mit dicken Erdknollen aus und setzt sie als Schmuck auf das angenagelte Fensterbrettchen. Breite Borkenstücke bedecken die Sandballen und ersetzen die Blumentöpfe, – das war eine herrliche Erfindung! Wie schmuck es nun im Stäbchen aussieht! – Was liegt da Weißes in dem Bündel? – Ah, die Sonntagsschürze der Mutter!

Juchhe! – das giebt eine prachtvolle Gardine! Oben über das Fensterchen an der Schraube läßt sie sich gut anbinden, dann mit einer Binse schräg zurück genommen – und die zerbrochene Scheibe ist auf das Erfinderischste verdeckt. Marian's Wangen glühen vor Freude und Eifer an solch ungewohntem Werk.

Ihr Blick huscht jeden Moment nach dem Schläfer herüber, voll Angst, er möge schon jetzt erwachen, – aber die Ermattung ist allzugroß; regungslos liegt das schöne Antlitz –, und nur ein zeitweises Aufschrecken und leises Stöhnen thut ihr kund, daß die große Gemütserregung der letzten Stunden noch in seinem Traum nachwirkt. Die Haidehexe streicht tief aufatmend über die Stirn und läßt, momentan erschöpft, die Arme niedersinken. Den Schemel hat sie auch abgerieben, daß er wackelig und zerschunden ist, kann sie leider Gottes nicht ändern, aber man merkt es kaum! Das ganze Stübchen sieht so sonntäglich und ungewohnt aus, daß es eine wahre Lust ist. Die ersten Sonnenstrahlen fallen durch das helle Fensterchen und beleuchten die Pracht, – sie treffen aber auch das Kochgerät, und Marian, die schon geglaubt, die Arbeit sei geschehen, entdeckt –, daß sie gewissermaßen die Hauptsache vergessen!

Wenn der Fremde erwacht, wird er hungrig und durstig sein, und das wälzt eine neue Sorge auf ihr Herz! –

Himmel, wie sieht das Kochgeschirr aus! – Der Wasserkrug ist erschöpft, und Marian greift ohne Besinnen den rußigen Kessel, die paar Töpfe und Teller packt sie in den Kleiderrock. Direkt an den Bach damit! Da spült und scheuert es sich flinker! –

Atemlos fliegt sie durch den glitzernden Sonnenschein über die Haide. Der Tau blinkt an Rispen und Gräsern und sinkt als funkelnde Brillanttropfen in der Marian pechschwarzes Haar. Glücklicherweise ist das Wässerlein nicht weit, und das Waschen und Spülen geht schneller von der Hand, als wie es sich die junge Dirne gedacht. Mit glückstrahlenden Augen sieht sie, wie all der alte, blinde, unreine Kram so gut noch ausschaut, nachdem die dicke Nuß-, Staub- und Schmutzkruste davon ist! Blitzblank ist's geworden, und die Marian nickt sehr zufrieden vor sich hin. Dabei fällt ihr Blick in das Wasser, und sie sieht ihr eigenes, verwahrlostes und zerlumptes Bild. –

Sie schrickt ganz entsetzt vor sich selber zurück! Wieder eine Hauptsache, welche sie beinah' vergessen hätte! Gott im Himmel, was giebts nicht all' zu bedenken, wenn man einmal gründlich sein Häuslein und alles, was dazu gehört, säubern will! –

Nach den Töpfen und Häfen nimmt sich die Marian selber vor und spült alles ab von sich, was an die ehemalige wilde, nachlässige Haidehex' erinnert. Ei! sie hat's gar nicht gewußt, wie schmuck sie aussehen kann, wenn sie's will, – oder hat sie sich noch niemals zuvor mit solch prüfenden Blicken angeschaut?

Blank und frisch lacht ihr das eigene, rosig-braune Gesicht entgegen; die Haare sind mit Wasser genetzt, sie glatt und gefügig zu machen, und hängen in zwei glänzenden Flechten über den Nacken, – nun noch das Sonntagskleid und ein reines Hemd, – auch einen Strauß von Haide und roten Ebereschenbeeren an die Brust, dann sieht sie aus wie die beste Bauerntochter! – Schuh und Strümpfe besitzt sie leider nicht. –

Fiebernd vor Freude und Ungeduld geht's zur Hütte zurück. – Gottlob, er schläft noch. –

Leise packt Marian ihren Sonntagsstaat, den so lange unbenutzt liegenden, zusammen und eilt in die Ellernbüsche am Bach zurück. Da kleidet sie sich um und läßt das alte Lumpenzeug auf einem Ast zurück. In der Hütte würde es die Ordnung stören.

Sie spiegelt noch einmal ihr Bild, lacht sich selber zu und wendet sich in glückseliger Hast abermals zurück.

Das Feuer brennt noch. Sie wirft neues Holz in die Glut, öffnet die Thüre, daß der Rauch besser abzieht und hängt den blanken Kessel in die Gabel. Dann stellt sie den einzig unversehrten Tassenkopf in einen Suppenteller von blau geblümtem Steingut auf den Tisch, legt das Brot daneben und schöpft voll großer Genugthuung ihren Prachthonig aus der großen Steinkruke in ein anderes kleines Näpfchen und stellt auch ihn unter den Goldlackstock auf den Tisch. Das Herz jubelt ihr auf bei solchem Anblick. –

Der Herr wird es zwar gewohnt sein, Kaffee zu trinken, da sie aber leider keinen besitzt, nimmt er wohl mit einer Mehlsuppe fürlieb. Im Notfall kann sie ihm von dem Neunkräuterthee aufbrühen, welchen sie selber an kalten Wintertagen trinkt.

Nun ist alles in schönster, festlichster Ordnung, – nun kann er aufwachen! –

Er schläft aber tief und fest, ohne sich zu rühren.

Die Marian schleicht noch hin und her in dem Stübchen, den Staub von den Holzpflöcken und aus den Ecken zu wischen, die moosverstopften Stellen der Wand fein säuberlich auszubessern und hie und da noch eine sorgliche Verschönerung zu treffen. Dann setzt sie sich wieder neben das Feuer und wartet darauf, daß das Wasser kochen möge, aber ihr Blick schweift voll Ungeduld nach dem Schläfer, und es deucht ihr, daß er doch recht lange der Ruhe pflege. –

Die Sonne steigt höher und höher, und die Marian beschließt, ein weniges mit dem Küchengerät zu rasseln, daß er endlich die Augen öffnen möge! Ihr Herz lechzt nach einem freundlichen Blick, und sie brennt darauf, zu sehen, mit welch' einer Ueberraschung er seine Umgebung, die Hütte der Haidehexe anschauen wird! – Aber ihre Hand zuckt von dem Kessel zurück.

Närrin! wenn er erwacht, so rückt auch die Stunde des Abschieds heran, und wer weiß, ob sie ihn jemals wieder sieht! – Ein bitteres Weh preßt ihr Herz zusammen, lautlos kniet sie neben ihm nieder und blickt in sein schönes, sonnig-helles Angesicht. – So lange er noch schläft, darf sie es, – so lange gehört er ihr. Und weil sie ihn jetzt so völlig und ungetrübt besitzt, so will sie die köstliche Zeit ausnutzen und sich satt sehen an diesem Antlitz, welches es ihr angethan hat mit unerklärlicher Zaubermacht!

Sein blondes Lockenhaar hängt ihm zwar wirr in die Stirn, aber es glänzt, wie gesponnen Gold. Edel und friedlich sind seine Züge, so, wie sich die Marian den Jünger Johannes im Geist gemalt, wenn der Großvater aus der Bibel von ihm vorgelesen! Ja, die Bibel! – Wo ist ihre Bibel? –

Marian springt hastig empor. Tief unten in Mutters Kleiderbündel Sie wischt das Buch sorglich ab und legt es ebenfalls unter den Blütenstock auf den Tisch. Sie erglüht bis auf den Nacken herab. Nun wird er vollends überzeugt sein, daß die Haidehexe keine Teufelin ist, – daß sie seit langen, langen Jahren diese heilige Schrift nicht in der Hand gehabt, – das weiß er ja nicht und soll es auch nicht wissen. Die heutige Nacht hat Alles in der Hütte des Krischan Claasen verändert, – sie hat auch das Herz der Marian gewandelt, und von heute an soll die Bibel da liegen bleiben, wo sie anitzt liegt, nicht nur zum Anschauen, nein zum Lesen und Beten: wer weiß, wie lange sie noch Zeit hat, sich mit ihrem Herrgott wieder auszusöhnen. Wunderlich, – sie, die dazu verurteilt ist, den Tod in seiner grausigsten Gestalt zu schauen, die stets von neuem an ihn gemahnt wird, sie hatte an ihr eigenes Ende am wenigsten gedacht. –

Sie will auch nicht daran denken, – jetzt schon gar nicht. Sie fühlt es, dieser Tag ist das heilige, wonnesam und glückselige Abendrot ihres Lebens, – ist's ausgeglüht, wird's ewige Nacht. –

Sie ist glücklich. Mit andächtig gefalteten Händen sitzt sie neben dem Mann, dem Einzigen, welchem sie in ihrem Leben eine Gutthat erwiesen, dem Einzigen, welcher dieselbe um seiner braven, freundlichen Seele willen verdient hat, und blickt wie verklärt in sein friedlich Angesicht. –

Ja, er gehört ihr. Sie hat ihn dem Tode abgerungen, sie hat ihn dem Verderben abgekauft und sich selber zum Preis gezahlt. Oder ist's ein Aberglauben damit? Noch hat sie's ja niemals erfahren, nur von ihrer Mutter erhielt sie die Warnung, niemals dem Grab ein Opfer zu entreißen, sie selber müsse dafür hinab. –

Ist das gewißlich wahr? – Marian beißt trotzig die Zähne zusammen. Sie will sich zur Wehr setzen und ankämpfen gegen den Sensenmann mit der ganzen leidenschaftlichen Zähigkeit ihres jungen Lebens. –

Leise regt sich die Hand des Fremden und gleitet von der Brust herab auf den Estrich. Ein Sonnenstrahl trifft sie und leuchtet auf dem breiten Goldreif, welcher den Finger schmückt.

Mechanisch haftet Marian's Blick auf dem blitzenden Funken, welcher durch den Lichtschein in dem Metall gezündet wird. – Sie entsinnt sich jetzt genau der Worte ihrer Mutter; »Wer einen Todgeweihten rettet, erkauft ihn mit dem eignen Leben. Das Leben und alle Lebenslust werden von ihm weichen, seine Seele wird kranken und all' seine Sehnsucht wird das Grab sein. Keine Ruhe wird er finden, bis er selber in der kühlen Erde ruht, welche für seinen Geretteten geschaufelt war!« –

Marian lächelt und atmet tief auf. Sind Leben und Lebenslust etwa von ihr gewichen? Im Gegenteil, nie hat ihr das Dasein wonniger gelächelt wie jetzt, nie hat sie so mit aller Innigkeit an demselben gehangen, wie seit der Stunde, wo sie diesen Fremden hier aus dem Moor gezogen! – Narretei ist's mit solchem Aberglauben. Marian wird sich nie nach dem Tode sehnen und ihn nie freiwillig suchen, – nie! –

Sie schüttelt fast wild den Kopf und deckt die Hand über die Augen. Der Funken in dem Goldring brennt so blutig rot und blendet sie. Jählings, voll heißer, fiebernder Leidenschaft neigt sie sich und küßt die Hand, welche ihn trägt.

Er zuckt zusammen und scheint zu erwachen, und Marian springt lautlos auf und huscht mit glühenden Wangen vor die Thüre, heimlich will sie durch die Spalte derselben die erstaunten Blicke sehen, mit welchen der junge Priester die Hütte der Haidehexe schaut.

Die Sonne strahlt durch das kleine Fensterchen dem Erwachenden just in die großen, weitaufgerissenen Augen.

Mit verwirrten Blicken sieht er sich um, – und ganz allmählich erst kommt ihm das volle Bewußtsein zurück. Die vergangene Nacht mit all ihren Schrecken spiegelt sich momentan noch einmal auf seinem Angesicht, dann legt er einen Moment die Hand über Stirn und Augen und verharrt wie in tiefen Gedanken.

Als er abermals aufschaut, tragen seine Züge den Ausdruck milden, lächelnden Friedens. Er richtet sich empor, stützt sich auf den Arm und schaut mit hellen Blicken um sich.

Marian preßt die Hände gegen die Lippen, um nicht laut aufzujubeln, da sie seine Betroffenheit, sein Staunen und die sichtliche Ueberraschung in seiner Miene liest. Nein, so hatte er sich Krischan Claasens Hütte nicht vorgestellt!

Hier haust die Haidehexe, die schwarze Teufelin, vor welcher die Bauern sich bekreuzen, wie vor einem Höllenspuk? So sieht dies Stübchen nicht aus, als ob böse Geister hier walteten! – Sauber und freundlich im hellen Tagesglanz, mit duftenden Blumen und behaglich flackerndem Feuer! … Das Wasser brodelt im Kessel, und die bunte Tischdecke leuchtet ihm mit ihren riesigen, blauroten Rosen grell in die Augen! – Und wie lecker und appetitlich das Frühbrot auf dem Tische steht – und das Buch neben dem Goldlackstöckchen … der junge Prediger erhebt sich und schreitet schnell heran – – ist eine Bibel! –

Wie ein Schein innigster Rührung fliegt es über sein Antlitz: »Gute, arme, verkannte Marian!« steht deutlich in seinem Blick zu lesen.

Die Lauscherin erglüht abermals, und da sich ihr Gast zur Thüre wendet, will sie sich nicht auf dem Lauscherposten ertappen lassen, sondern öffnet vollends und tritt über die Schwelle. Den Wasserkrug hält sie in der Linken, und mit der Rechten streicht sie verlegen über ihr glänzendes Haar, da sie nun im Tages-Sonnenlicht ihrem Erretteten gegenüber steht. –

Welch ein anmutiges, frisches Bild in dem Thürrahmen! Die zierliche Gestalt zeichnet sich scharf ab gegen den rotleuchtenden, wolkenlosen Haidehimmel, wie eines jener alten Gemälde, dessen Gestalten sich auf goldenem Hintergrund erheben. Und es ist keine Unholdin in schmutzigen Lumpen, unheimlich und schleichend wie eine Wildkatz, die auf Raub ausgeht, welcher .Art sie die Bauern ihrem neuen Pfarrherrn geschildert, es ist ein bildsauber Dirnlein, blühend frisch und schmuck, wie der bethaute Haidestrauch an ihrer Brust.

Er reicht ihr voll herzlicher Freude beide Hände dar. »Grüß Dich Gott, Marian, meine freundliche kleine Wirtin Du! Habe tausendfachen Dank für all das Gute, was Du an mir gethan hast!« –

So hat noch nie ein fremder Mensch zu der Einsamen gesprochen, so hat ihr noch Keiner in die Augen geschaut!

Sie umfaßt seine Hände mit krampfhaftem Druck, und da sie nicht zu sprechen vermag, nickt sie ihm nur mit strahlendem Lächeln zu und wendet sich geschäftig zum Feuer. Auch er lächelt.

»Ei, Dirnlein, braust Du gar eine leckere Morgensuppe?« Da schaut sie zu ihm auf: »Setzt Euch nieder, Herr, – und schmeckt die Mehlsuppe, ob sie Euch behagt. Wenn Ihr solche Kost nicht gewohnt seid, so kann ich Euch auch einen Thee aufgießen!«

«Danke Dir; ich freue mich jeglicher Kost, die unser lieber Herrgott mir beschert! – Sieh an, wie appetitlich Du den Tisch zurecht geputzt hast. – Aber ich sehe nur einen Platz gedeckt, und wir sind doch ihrer zwei!«

Sie wird glühend rot. »Eßt nur, Herr, – ich spüle nachher den Teller und halt's mit dem Rest!«

Da merkt er, daß seine bedürftige Wirtin wohl Alles hergestellt hat, was sie besitzt. Er hebt den Tassenkopf von seinem Teller und stellt ihn an der Marian Tischplatz: »Du hast mir des Guten zu viel gethan, Mädchen, – Teller oder Tasse, – eines genügt. Und nun mußt Du mir Gesellschaft leisten, dann mundet es mir doppelt gut.«

Sie schöpft ihm gerade die Suppe auf, und da sie es so sehr gut gemeint, ist's mehr ein Brei geworden.

Ihre Wangen glühen, – sie rückt sich die Kiste heran und setzt sich gehorsam nieder.

Er greift aber nicht alsogleich nach dem Löffel, wie sie gehofft, er zögert einen Augenblick. Und dann nimmt er die Bibel herzu, hält sie in der Hand und blickt wie fragend in der Haidehexe Angesicht.

Sie nickt hastig, und er schlägt mit freudigem Lächeln das Buch auf, da wo es bei Hiob also zu lesen steht: »Aus sechs Trübsalen will ich dich erretten, und in der siebenten wird dich kein Uebel rühren.«

Marian aber faltet auch, gleich wie er, die Hände und dieweil er liest, schaut sie still und verklärt in sein Angesicht, als wäre ihr in ihm der Himmel aufgethan.

Eine kurze, wundersam friedliche Andacht, mehr ein Gebet, denn ein Bibellesen, und der junge Priester legt die heilige Schrift zurück unter die Blütenzweige des Goldlackstöckchens, nickt mit frischem, frohen Angesicht seiner Wirtin zu und spricht: »Und nun segne Gott unser Mahl und segne Dich, Du wackeres Kind, die es mir so gastlich bereitet hat!«

Wenn er nur nicht immer wieder danken wollte, das macht sie so verlegen! Glücklicherweise greift er gleich herzhaft zu und sagt heiter: »Wundere Dich nicht über meinen Bärenhunger kleine Marie-Anna, ich habe seit gestern Mittag einen leeren Magen!« –

»Ei – seid ihr so lang schon unterwegs und im Haideland gewesen?« – fragt sie erstaunt und sieht's mit unbeschreiblichem Stolz, wie trefflich ihm ihre Suppe schmeckt.

Er schüttelt den Kopf: »Die Marie-Anna oder die schwarze Marian, wie die Leute Dich kurzweg heißen, ist bei uns im Dorf ein seltener Gast und kennt ihren neuen Pastor gewiß weder von Angesicht, noch dem Namen nach! – Nun sieh' mich 'mal an, Kleine! Seit vier Wochen bin ich in der Pfarre drüben eingezogen, und ich heiße Martin Kayser. Ein braver Seelsorger aber soll jeder Zeit bereit sein, wenn seine Beichtkinder Verlangen nach ihm tragen, und als gestern Nachmittag, just als ich auf meinen Kaffee wartete, der Jochen aus Borkenried kam, mich zu seinem totkranken Weib zu holen, da hatte ich keine Zeit mehr, an mich zu denken, sondern stand im Dienst der lieben Sterbenden. Und so es gilt, Nahrung für die Seele zu bringen, so muß diejenige für den Körper jedesmal zurückstehn!«

»So gingt Ihr gleich mit dem Jochen mit?«

»Gewiß – und wir sind scharf zugegangen, um die arme Susanne noch am Leben zu treffen!« –

»Sie lebt.« –

»Ja, Gottlob, sie lebt – wenigstens war sie noch nicht verschieden, als ich von ihr ging.«

»Sie wird gesund werden.«

Der junge Pfarrherr blickte erstaunt in die düstere, seltsame Miene der Sprecherin. Dann schien ihm ein Verstehen zu kommen. »Ach, Marian, die Totenseherin« – lächelte er voll Wehmut, – »ist Dir das unglückliche Weib nicht im Hochzeitszug erschienen? Nun, dann sei Gott gelobt; es würde ein schweres Sterben geworden sein, wenn die junge Mutter von ihren fünf kleinen Kindern hätte scheiden sollen.«

»Ein Sterben ist wohl so schwer wie das andere,« murmelte sie düster.

»Doch nicht, Marie-Anna! Ich habe schon an mancherlei Totenbetten gestanden und habe gar verschiedentliches Entschlafen gesehen. Nicht allein Geist, Herz und Gewissen sprechen dabei mit, oft ist's auch noch die Welt mit ihren Banden, welche die entfliehende Seele mehr oder weniger an sich fesselt und das Scheiden schwer macht. Ein alter Mann stirbt anders wie ein junger – eine Witwe anders wie eine Braut. Ich habe den Tod in seiner wundersamsten, glückseligsten Verklärung geschaut, wenn er als Erlöser und Wiedervereiniger kam, und ich habe ihn geschaut als erbarmungslosen Henker, welcher grausam mit sich fortriß, was sich doch voll verzweifelter Leidenschaft gegen ihn sträubte.«

Einen Augenblick herrschte tiefe Stille, – nur ein Vöglein zwitscherte durch die offene Thür. Da schaute Marian empor. Es lag ein ganz wunderlicher Ausdruck in ihrem jungen Angesicht, und ihre Stimme klang unsicher und zitternd, als sie leise fragte: »Nun, Herr Pfarrer, wäret Ihr wohl gestern im Moor gern oder ungern gestorben, wäre Euch das Scheiden von der Welt leichter geworden wie der Susanne?«

Er war nicht erstaunt über die Frage, sondern nur über die seltsame Art des Mädchens, welche sie stellte. Er neigte das Haupt zur Brust und blickte einen Augenblick ernst vor sich nieder, und dann wieder hob er es tief aufatmend, und sein Blick schweifte hinaus durch die offene Thür in die sonnengoldene, blühende, glückselige Gotteswelt hinein. – Weit, weit in die Ferne – und sein blaues Auge schimmerte wie in feuchtem, unbeschreiblich sehnsuchtsvollem Glanz.

»Nein, »Marian, es wäre mir nicht leichter geworden,« sagte er leise. »Ich stehe jeder Zeit in der Hand meines himmlischen Vaters und bin bereit zu folgen, wenn er mich ruft, – aber jetzt – gerade jetzt sterben – –« und er atmete abermals tief von Grund des Herzens auf und legte die Hand vor das Antlitz, daß seine Lippen just den goldenen Ring wie im ernsten Kuß berührten: – » jetzt grade würde ich mich so schwer vom Dasein getrennt haben, – und darum war der Todeskampf im Moor doppelt hart. – Oh, Marian!« rief er plötzlich voll jäher Leidenschaft und faßte ihre Hand mit fast schmerzendem Druck: – »Gott segne Dich für mein gerettet Leben!«

Groß und starr, wie im Fieber glänzend, schauten ihre Augen in sein schönes, erregtes Angesicht. Sie lächelte wie im Traum. »So war also mein Opfer kein vergebliches, –so habe ich ein gutes Werk gethan!«

»Ja, ein gutes Werk – wahrlich ein gutes!« – nickte er, »und das will ich Dir danken mein lebenlang!« – Einen Augenblick herrschte tiefes Schweigen, dann hob Marian jäh das Haupt.

»Wie kamt Ihr aber zu solch später Stunde so ganz allein in Haide und Moor? – Ihr mußtet es wissen, daß die Gegend hier gefährlich ist, und wagtet Euch ohne Führer in dunkler Nacht durch den Sumpf?«

Er lachte wieder sein altes, heiteres Lachen. »Wenn man vom Rathaus kommt, ist man in der Regel klüger, als wie wenn man hingeht! Als der Jochen mich im hellen Tageslicht des Weges führte, da deuchte mir derselbe sehr grad und einfach und nicht zu verfehlen! Ich hatte lange bei der Susanne gesessen, die Nacht war darüber heraufgekommen, und als es dem armen Weibe endlich ein weniges besser ging, da that's Not, daß ihr Mann zur Hilfe und Wartung bei ihr blieb. Wie hätte ich es da annehmen dürfen, daß er abermals um meinetwillen zwei Stunden unterwegs und von ihr fern war? – So vertraute ich meinem guten Ortssinn und schlich mich heimlich davon. Aber solch ein flach Haideland ist gar trügerisch, namentlich in stockdunkler Nacht, wo man den Weg weder sieht, noch ihn inmitten all der sandigen Umgebung fühlen und spüren kann! Solch eine Sandwehe muß mich irre geführt haben – ich kam ab vom rechten Wege – und … nun, das andere weißt Du ja, Marian, – es ist eine übele Erinnerung, und ich denke ungern zurück.« –

Sie nickte abermals sinnend mit dem Kopf und starrte auf ihre gefaltenen Hände nieder, er aber erhob sich und trat in die Thüre. »Die Sonne steht schon hoch am Himmel, und es wird Zeit, daß ich mich auf den Heimweg begebe! Meine arme Mutter wird schon in großer Sorge um mich sein, und ich fürchte, sie schickt Boten nach mir aus. – So laß mich denn weiter ziehn. Du meine liebe, wackere Retterin, Du guter Engel, den mir Gott in der höchsten Not gesandt« – wieder streckte er ihr voll warmer Innigkeit beide Hände entgegen und Marian legte diesmal sonder Scheu die ihren hinein; – Martin aber fuhr hastig fort: »Ich sage Dir nicht Lebewohl! Ich hoffe Dich bald wieder zu sehn, hier und im Dorf drunten, wo mein Mütterlein den Schutzgeist ihres einzigen Sohnes gewiß voll herzlichen Dankes in die Arme schließen will! Ei, was schaust Du mich denn so entsetzt an?!«

Wie eine Mondsichtige starrte sie mit dunklen Augen zu ihm empor: »Eure Mutter – mich … mich in die Arme?« … stotterte sie.

Er lächelte: »Glaubst Du, daß sich ein Mutterherz solches Dankes enthalten könnte?« –

»Ich bin die Haidehexe! – ich bin die Totenseherin! im Dorf drunten hassen sie mich und fürchten sich vor mir, – ich darf mich nicht mehr drüben sehen lassen! …« stieß sie schwer atmend hervor: »Ich bin verachteter wie ein Hund, – sie werfen mit Steinen nach mir und so sie nur den Mut hätten, schlügen sie mich tot.« Sein Antlitz ward tief ernst, finster fast.

»Solche Zeit ist um, Marian!« sprach er und hob das Haupt so stolz und gebietend, wie ein Königssohn, der eine Geächtete unter die Menschen zurückführt und sagt: »Ich gebe ihr die Ehre wieder, wer wagt's noch, sie zu verfolgen?!« –

Und dann spielte wieder das milde, so unbeschreiblich freundliche Lächeln um seine Lippen. Er legte seine Hand auf ihr Köpfchen und fuhr heiter fort: »Das soll anders, ganz anders werden, Marie-Anna! Diese Hütte ist so schmuck und traulich, wie ich es nimmer für möglich gehalten hätte, aber sie ist viel zu einsam und zu weltfern für solch ein junges Blut, wie Du eines bist! Den Bauern will ich gründlich die Augen öffnen über ihren thörichten Aberwitz, und dann soll die Enkelin des Krischan Claasen ihren Einzug im Dorf drunten halten, ganz und gar eine der Unsern zu sein!« –

Ein leiser, zitternder Aufschrei: »Ach lieber, guter Herr, – könnte solch eine Glückseligkeit wirklich zur Wahrheit werden?«

»Ganz gewiß! ich verspreche es Dir!« –

»Und die Leute werden mich nicht mehr für eine Hexe halten?«

»Wenn ich ihnen erzähle, was Du mir gethan? Nein, Kind, Menschen mit eigner Lebensgefahr retten, ist kein Teufelswerk!«

Und der Sprecher verstummte plötzlich und lauschte auf. »Horch … waren das nicht Stimmen? Es klang wie ein lautes Rufen vom Walde her!« –

Marian schrak jählings zurück. Sie hob die Hand über die Augen und schaute. Wie ein angstvolles Beben ging's über ihr Angesicht. »Ja, ja, es sind die Bauern! Die rufen und suchen Euch, Herr Pfarrer. Hab's lang gefürchtet, daß sie kommen würden, Euch hier fort zu holen!« –

Er verstand nicht ihre letzten, leisen Worte, er war hinaus vor die Thüre geeilt und schwenkte sein weißes Taschentuch unter lauten Zurufen.

Vom Wald her stürmten unter jubelndem Hurrah eine Schar Männer. Schon von weitem entspann sich die laute Begrüßung, die stürmische Freude über das Wiederfinden ihres bereits verloren geglaubten Seelsorgers

Näher und näher kamen die Leute heran, plötzlich stockte der frohe Lauf, – scheu, – in gemessener Entfernung blieben die Bauern stehen, und ihre entsetzten, hoch betroffenen Mienen drückten es aus, daß es ihnen jetzt erst zum Bewußtsein kam, wo und in welcher Gesellschaft sich der junge Prediger befand.

Wie ein Aufstöhnen rang's sich von Marians Lippen. »Ach, seht Ihr wohl? seht Ihr's, lieber Herr, wie sie sich vor mir bekreuzigen? Solch ein Zeichen mit der Hand ist gegen bösen Zauber und Höllenspuk, – ach, ich weiß es wohl!« –

»Thorheit!« lächelte Martin, das Haupt schüttelnd; »sie werden erst vom hitzigen Lauf verschnaufen wollen!«

Da klang eine schrille Stimme ans dem Haufen herüber: »Herr Pfarr'! bi allen gauten Geistern wahr't Üch! Eh'r sitter jo in des Claasen Hütte, und de lüttje Dirn dar is de Haidehex'!« –

»Bleib' ruhig hier stehen, Marian. Ihr Leute! im Namen unseres Gottes bitte ich Euch, kommt furchtlos näher!« –

Zögernd, nur um wenige Schritte, kam man dem Wunsche Martins nach. Da faßte dieser die eiskalte, zitternde Hand seiner jungen Wirtin und führte sie durch den goldenen Sonnenschein den Bauern entgegen! »Grüßt Euch Gott, meine Getreuen! Die ihr brav und hochherzig gekommen seid, mich zu suchen! Ja, wäre dieses mutige, wackere Mädchen, die gute Marian, nicht gewesen, so hätte mich in dieser Nacht das tückische Moorland verschlungen! Ihr lieben Freunde! schaut sie wohl an, diese meine Lebensretterin! So ich recht verstanden, hat soeben Eines unter Euch gerufen: ›die Dirne ist die Haidehex'!‹ – Nein, Leute, die Marie-Anna Claasen ist keine Hexe und keine Teufelin, sondern sie ist der liebe Schutzengel gewesen, welcher sich meiner erbarmt hat! – Auf Leben und Tod hat sie sich in das Moor zu mir herangewagt, hat mich herausgezogen aus seiner drohenden Tiefe, hat mich barmherzig in ihre Hütte geführt und mich gepflegt wie eine fromme Schwester!« –

»Herr Pfarr', see staht mit 'n Düwel im Bunne, darüm mog see sich getrosten in Sumpf und Moor wagen, eine Hex' gieht nich onner!« rief eine Stimme warnend entgegen.

Mit gerunzelter Stirn trat Martin gegen den Sprecher vor: »Schämst Du Dich nicht, Sören, mit solch einem gottverfluchten Aberglauben?« und er wandte sich hoch erhobenen Hauptes und schritt in die Hütte zurück, Marian aber kniete abgewendet neben der Thüre nieder und weinte bitterlich.

Da tönte die Schwelle abermals von Martin's Schritt, und er kam zurück aus dem Stübchen und hielt die Bibel, welche unter dem Goldlackstöckchen gelegen, weit hin sichtbar über sein Haupt empor. »Ist dies etwa ein Buch, aus welchem Hexen ihre Teufelskünste lernen?« rief er voll edlen Zorns; »wo das Wort Gottes unter einem Dache wohnt, da hat die Hölle keinen Platz! Wenn die Marie-Anna Claasen mit dem Satan im Bunde steht, dann thuen wir es sämtlich, denn dieses brave, einsame, verfolgte und gepeinigte Kind ist eine ebenso fromme Christin, wie wir Alle rechtgläubige Christen sind! – Und darum steh' auf, liebe Schwester Marian –« Martin neigte sich und hob die Schluchzende an seine Brust empor, »und laß' es Dir vor all diesen Zeugen sagen: So Du hinab in das Pfarrhaus kommst, soll es eine freudige Ehre sein für Alle, die darin wohnen, denn ein Weib, welches sein eigen Leben nicht achtet, um einen Fremdling aus Todesnot zu erretten, welches trotz all der bösen Nachstellungen seiner Mitmenschen dennoch nicht den Glauben an seinen Herrgott verloren, das verdient es, mit Liebe und Freundschaft ausgezeichnet zu sein allerwegen! Leb wohl, Marian, Du sollst bald wieder von mir hören!« –

Sie stand neben ihm, viel bleicher denn sonst, aber glückstrahlend und durch Thränen lächelnd, wie ringsum die blühende Haide im Morgenthau. Sprechen konnte sie nicht, sie nahm ihre Bibel aus seiner Hand entgegen und drückte sie gegen die Brust. – Lange stand sie und sah ihm regungslos nach, wie er mit den Bauern davon schritt, wie er so hoch und herrlich zwischen ihnen einher ging, jedem Einzelnen die Hand mit herzlichen Worten drückend.

Von Zeit zu Zeit wandte er sich um und schwenkte lächelnd seinen Hut nach ihr zurück. Seine Begleiter aber standen und staunten noch immer die Marian an. Was war aus der Lumpendirn über Nacht geworden? So schmuck und hübsch sah sie aus, daß wohl Keiner sie wieder gekannt hätte, wäre sie ihm unvermutet begegnet. – Wie der Sonnenschein sie umstrahlte, wie scharf sich ihre schlanke Gestalt gegen den Himmel abhob! Der junge Peter Holtensen, der reiche Bauernsohn, hielt die Hand über die Augen und starrte noch unverwandt nach ihr hin, dieweil die Andern schon weiter gingen. Putzwetter! er hatte die Haidehex' noch nie in der Nähe gesehen, nun aber hatte er ihre kohlschwarzen Augen geschaut, und … »Herr Pfarr',« sprach er jählings und zog den Hut, »nach Ehren Wooren hollet Ehr gar graute Stöck off de Marian Claasen! Aberst,« er kraute sich bedenklich in seinen flachsblonden Locken und blickte scheu nach der Genannten zurück, »mit dem Totenkieken, dat is on blieft eene Wahrheit, denn so often see's vorher geseggt, is et auk jedesmol wohr und wahrhaftig introffen!«

»Jo, wohr un leibhoftig, Ehrwärden, sei kiekt op'n Krüzwag' und dar sieht's 'n hol' kümmen, de in dri Dagen all sterfen sall!« riefs eifrig im Chor.

»Jo, sei is ne' Totenkiekern – und schell is 'ne Düwelssaak!«

»Ja, ja, lieben Leute, das ist eine Thatsache, aber keine Teufelssache! – Gut, Peter Holtensen, daß Du mich darum befragst. Hört zu, lieben Leute, und laßt Euch belehren. Der liebe Gott hat den Menschen gar seltene und verschiedenartige Gaben verliehen. Du, Jochen, kannst die Flöte blasen und spielst jeglich Stücklein auf, ohne daß man es Dich je gelehrt hat. –Kannst Du das auch, Peter?«

»Nee – bei Leibe!!«

»Und der alte Schäfer Klickersen kann die Rose besprechen und hilft unfehlbar allen Menschen, die das kalte Fieber haben – wer kann das noch von Euch Allen?«

Tiefe Stille und allgemeines Kopfschütteln großer Betroffenheit.

»Die Mutter Katterli's braucht bloß mit der Hand zu streichen –« fuhr Martin fort, »so hören die schlimmsten Flußschmerzen auf, und …« der Sprecher lächelte: »wie ich höre, soll im Nachbarsdorf eine Frau wohnen, die es sagen kann, an welcher Krankheit ein Mensch leidet, wenn ihr derselbe auch völlig unbekannt und auf Meilen entfernt ist.«

»Jo, jo, schell kan' se! wohr und leibhoftig, Herr Pfarr'! man brook er nor den Nom' un' Gebortsdag tau nenn'. Dann feult se an ehr'n eigen Körper un' weit gliek, wat em' fehlt!«

»Ganz recht, und –« der junge Prediger lächelte noch mehr, »da giebt es in der Gegend hier ferner Männer und Frauen, die sich den Anschein geben, in die Zukunft sehen zu können, die teils aus Karten, aus Eiern oder Kaffeesatz wahrsagen.« –

»Allemol, Herr Pfarr'! Du laive God! wat hatt de oll' Trümpern schon all feggt!!« schrie's eifrig Antwort.

»Hm; – könnt Ihr das sämtlichst auch? oder kann es nur ein Einziger von Euch?« –

Wieder tiefe, verlegene Stille; Kayser aber fuhr ernst und erregter fort: »Und haltet Ihr alle diese Leute, von denen wir eben sprachen, um ihrer Außergewöhnlichkeit willen, für Zauberer und Zuhälter des Teufels?«

»God' in Himmel – weil ik de Flöt' speul', sull ik'n Düwelskirl sin?« – entsetzte sich Jochen und verfärbte sich bei dem Gedanken, solch bösen Leumund zu bekommen, »ik flöt' ja ok de frömmsten Lierer, Hochwürden, on' wenn Ent' sik so recht erbauen well an Sonndag, dann röpt's 'n Jochen, det hei Mosik makt!« – Rings in der Schar der Bauern aber erhob sich auch ein eifrig Verteidigen, und jeder versicherte, daß all die genannten Personen ganz fromm und unbescholten lebten, und daß sie halt nur ganz erschrecklich klug seien! –

»Sehr wahr, lieben Freunde, und seht Ihr, so hat der liebe Gott auch die Marian Claasen viel klüger gemacht, wie uns Alle, indem er ihr die wunderbare Geistesgabe verlieh, in Gestalt von Visionen oder Traumgestalten den Tod eines Menschen voraus zu sehen. Solch einen hellen Blick findet man nicht viel, aber doch öfters noch unter den Menschen, und die Armen, welche unter dieser besonderen Klugheit und Schärfe ihres Geistes selber unendlich leiden, erfreuen sich überall in der Welt der vollen Freundschaft und Liebe ihrer Mitmenschen, weil man sie bedauert. Bedenkt doch, welche Angst mag die arme Marian leiden, plötzlich für ein liebes, teures Wesen den Tod vorher zu sehen? Wie mag sie in ihrer Einsamkeit zittern, sich selber als Todgeweihte zu erblicken? – Glaubt mir, lieben Leute, wenn Ihr die Marian nicht mehr reizt und gallig macht, sondern ihr freundlich begegnet, so wird sie nun und nimmermehr ihre Geistesgabe benutzen, um Euch zu entsetzen und zu schrecken damit, sondern wird im Gegenteil alle Bedrohten warnen und ihnen vielleicht noch rechtzeitig Hilfe bringen, wie mir heute Nacht, – und dadurch könnte sie viel, sehr viel Gutes im Dorfe schaffen.«

Einen Augenblick herrschte tiefe Stille – mit lautlosem Beifallsnicken schauten die Bauern nachdenklich drein, um solch' jähen Umschwung der Meinung gründlich zu erfassen.

Der Peter Holtensen aber blieb noch einmal, bevor die kleine Schar in den Kiefernwald eintrat, stehen und blickte wiederum zurück nach der schlanken Mädchengestalt, welche mit flatterndem Röckchen, noch immer unbeweglich und sonnebestrahlt vor ihrer Hütte stand, ihnen nachzuschauen.

Auch der junge Prediger stand still und grüßte noch einmal zurück nach ihr, und als sie's sah, hob die braune Dirne beide Arme und winkte ihm zu, daß es gegen den Himmel aussah, als wolle sie ihn ungestüm umfassen und festhalten.

Die Kiefern rauschten im Morgenwind, und Peter schob den Hut von dem rechten Ohr auf das linke, räusperte sich und sprach in seiner wortkargen Weise: »Wenn dei Saak derort utschäut, Herr Pfarr', könn' jo dee Marie-Anne Claasen bei mir al't Magd in Diensten gahn!«

Alle Köpfe schnellten herum und starrten den Sprecher erschrocken an, Martin aber bot ihm in freudigster Ueberraschung beide Hände dar und rief: »Der Peter Holtensen! ei, wer hätte sich's träumen lassen, daß der Peter ein so vernünftiger, braver und kluger Mann ist, der thörichten Altweiberklatsch und Aberglauben verlacht! Ja, lieber Freund! nimm getrost die einsame, kleine Dirne als Magd unter das Dach und sei wohl versichert, daß Du ein rechtlich, fleißig und ordentlich Frauensbild an ihr gewinnst. So Du willst, Peter, spreche ich selber mit der Marian und stelle ihr das Ding vor.«

»Schün Dank, will't schon selfsten utrichten, Herr Pfarr'!« und der große, stämmige Bursch blieb schweigend zurück, that gar nicht weiter desgleichen und sprach keine Silbe mehr. Nur leise durch die-Zähne vor sich hinpfeifen that er, und als der Jochen ihn unbemerkt in die Seite stieß und ihm zuraunte: »Bin Düwel, Peter, hänst dann auk gar wuhl bedenkt, wat dau dhost?« Da steckte er beide Hände in die Hosentaschen, antwortete kurz durch den rechten Mundwinkel: »Jo; ik hevt dohn,« – wandte den Kopf aufmerksam nach ein paar zwitschernden Grasmücken und pfiff weiter.

»Wem nich tau roten is, dem is auk nich tau helpen« – schüttelte Jochen besorgt den Kopf. »Ersten hättest dau wat taukieken sollen, ob's ok all wohr is!« – flüsterte er und stolperte gedankenvoll seines Weges fürbaß. –


Auch Martin Kayser schritt in tiefen Gedanken daher und verstummte für eine kurze Weile. Aber er sah nicht besorgt und ungläubig drein, sondern lächelte wie ein Mann, der guten Weg geht. – Er hatte sich zum Anwalt der armen Verlassenen gemacht, und die Arznei, welche er dem Aberglauben und der Thorheit seiner Bauern vorschrieb, war nicht ein Mittel geistiger Ueberzeugungskraft und Belehrung, sondern ein schlichtes Säftlein und bereitet aus solchen Dingen, welche einem Bauernhirn bekannt und bekömmlich sind. Er griff nach dem, was am nächsten lag.

Die Kartenschlägerin – er wußte es gar wohl! – war die gefeierte und allbegehrte Gastin des Dorfes, so oft sie sich nur blicken ließ, wenn aber der Bauer ein Weib, welches ihn belügt: »die Zukunft sehen zu können« an seinen Tisch setzt und traktiert, warum soll denn ein armes Wesen, welches, »die Toten sieht,« als Hexe verdammt sein? – Jene ist zumeist eine Betrügerin, die Totenseher aber sind unsrer Weisheit nach ein unerforschtes und unerklärliches Rätsel. – Mögen unsere Nachkommen es einst lösen, wir wollen uns genügen lassen, sein beklagenswertes Dasein vor Verfolgung zu schützen. – So dachte Martin Kayser und atmete tief auf.


Marian Claasen sitzt im Sonntagsstaat vor ihrer Hütte. Das Abendrot flammt purpurn über den Himmel und weckt spiegelnde Lichter auf ihrem glattgescheitelten, peinlich ordentlich gestriegelten Haar. Es ist jetzt Tag für Tag hohe Festzeit für sie. In der Morgenfrühe putzt und schmückt sie ihr Stübchen, so schön, wie des reichsten Bauern Prunksaal. – Am Tag, da der Pfarrer Martin Kayser ihr Lebewohl gesagt und mit den Bauern davon gegangen war, hatte sie ihm nachgeschaut, so lang noch seine hohe Gestalt zu erblicken war, und dann war sie davon gestürmt zu ihrem vergrabenen Schatz. Sie packte einen Teil der Silberthaler in die Tasche, nahm ein Stück Brot zur Wegzehrung und lief ohne rechts und links zu blicken die drei Stunden Wegs bis zum nächsten Städtchen. Da kaufte sie ein, was ihr schön und notwendig deuchte, und als sie abends heim kam, keuchte sie wohl unter ihrer Last, aber jauchzte doch mit glühenden Wangen auf, als sie die kostbare Bürde glücklich und wohlbehalten in dem Hüttchen ablud. – Wie ein Taumel, wie ein glückseliger Rausch war's über sie gekommen. Nun sollte Alles gar herrlich bereit stehen, wenn er wiederkam, sie in das Dorf hinüber zu holen! Darum legte sie auch täglich ihren besten Staat an, den sie besaß, und den sie sogar noch durch Schuhe und Strümpfe auf das sauberste vervollständigt hatte. –

Ueber ihr jubilierten die Vögel, und der Himmel war so fern – so hoch und so weit – weit gewölbt, daß es selbst dem Falkenauge der Marian nicht gelang, sein Ende zu erschaun. Wie die lustigen, kleinen Sänger ihre Schwingen in dem unendlichen Luftmeer badeten, – kerzengrad stiegen sie empor, höher … immer höher … schließlich sind's nur noch winzige schwarze Pünktchen, welche in dem Azurblau kreisen.

Marian hat, eine Binse zwischen den Zähnen zerbeißend, ihnen lange zugeschaut, jetzt wendet sie wieder den Blick nach dem Wald herüber, wo der Weg zum Dorfe führt. Sie zuckt empor und vermeint, der Atem stehe ihr still. Dort erscheint eine hohe Männergestalt in den Kiefern. – Ist er's? – Jetzt tritt er heraus auf die Haide. Mit einem tiefen Seufzer schmerzlicher Enttäuschung sinkt die Haidehexe in ihre frühere, gleichmütige Art zurück und verschlingt die Hände um das Knie. Ein Bauer ist's, – der Peter Holtensen, der wohl drüben nach dem Torfstich sehen will.

Nachdenklich schaut sie zu ihm hinüber, – ihr Blick wird mechanisch von Allem angezogen, was sich hier auf der Haide regt und bewegt. Seltsam, – der große, blonde Bursch hebt die Hand über die Augen und schaut zu ihr herüber. – Zu ihr? – Ja, jetzt biegt er links ab vom Wege und schreitet gradaus auf des Krischan Claasens Hütte zu.

Einen Augenblick noch glaubt Marian an eine Täuschung und verharrt stumpfsinnig in ihrer gekauerten Stellung, dann hebt sie mehr und mehr das Haupt und richtet sich schließlich vollends empor, dem sich Nähernden entgegen zu schauen. Wie lang ist's her, daß sich kein Schritt freiwillig dieser Hütte genähert?

Marian's Herz klopft hoch im Halse. Sie steht regungslos an dem Thürpfosten und starrt der kraftvollen Gestalt entgegen, welche, gleich wie sie, im sonntäglichen Bauernstaat einherschreitet. Er blickt unverwandt in ihr Angesicht, und wenn auch seine Schritte verlegener und linkischer werden, je näher er kommt, so schreitet er doch ohne eine Spur von Unbehagen heran. Auf fünf Schritt weit steht er vor ihr und starrt wie gebannt in ihre großen, vor Staunen weit aufgerissenen Augen. Er rückt den breitkrempigen Filzhut noch weiter in den Nacken, stellt sich breitbeinig in die blühende Haide und stützt beide Hände auf seinen Stock.

»Grüß Euch Gott, Marie-Anne Claasen!« sagte er endlich und nickt ihr ernsthaft zu.

»Schön Dank und guten Weg, Peter Holtensen.«

Tiefe Stille. Tirri witt! tirri witt! zwitscherts nur im nahen Ginsterbusch.

Da wischt er mit dem Aermel über sein erhitztes Gesicht.

»Ich komme nämlich zu Dir, Marie-Anne!«

Sie ist zwar noch immer betroffen und erstaunt, aber ihr Auge leuchtet auf in ehrlicher Freude. Sie geht ihm entgegen und bietet die Hand. »So sei in Gottes Namen willkommen. Was führt Dich zu mir?«

Er hält ihre Hand und starrt unverwandt in ihr Gesicht.

»Das ist wohl nicht so schnell ausgericht', Dirn'.«

»So es Dir behagt, komm' über die Schwelle und setze Dich.«

Sie winkt freundlich, und er stolpert ihr verlegen nach.

»Ich thu's schon, ich fürcht' mich nicht!« – murmelt er. Und dann steht er wie vom Schlag gerührt und blickt mit großen, runden Augen wortlos in dem Stübchen umher. Weil er verstummt, sagt die Marian auch nichts, aber ihre Brust hebt sich unter den Atemzügen höchster Genugthuung.

»Das ist aber 'mal schön hier,« sagt er endlich und schiebt seine Pfeife von einem Mundwinkel in den andern, »und rein und ordentlich obendrein.«

»O ja!« nickt die Haidehexe.

»Der Krischan Claasen hat wohl gar in den Strumpf gespart?«

»O ja! – 's liegt vergraben!« nickte sie wichtig.

Er pafft ein paar gewaltige Dampfwolken und streicht mit der Hand über das Knieleder. »Dann gehst Du wohl gar nicht als Dienstmagd?« fragt er kleinlaut.

Sie horcht hoch auf. »Als Magd? ei, was meinst Du damit?« –

Er thut wieder etliche Pfeifenzüge, bis er sich die Antwort überlegt hat. »Ich wollt' Dich nämlich dingen, Marian!« sagt er dann, und macht dazu ein Gesicht, als sei ihm ein Zentner vom Herzen genommen, daß er's 'raus hat

»Mich dingen?« – und die braune Dirne neigt mit offenem Munde den Kopf herzu, als habe sie nicht recht verstanden.

Da fährt er mit gespreizten Fingern durch sein krauses Flachshaar. Das Reden ist so gar nicht seine Sache. »Ja, ja, glaub's nur ,« nickt er, »der Herr Pfarrer hat's auch gemeint und mir gut zugesprochen, – hat gesagt, Du wärst ein ordentlich Weibsbild und könntest schon was schaffen! Da will ich's in Gottes Namen mit Dir versuchen, –dann kommst Du in's Dorf, sagt der Herr Pfarrer, und bist gerechtfertigt und gehörst zu uns!«

»Das hat er gesagt, er – der Pfarrer!« – ringt sich's wie ein leises Aufschluchzen des Entzückens von ihren Lippen: »O Du mein Herr Jesus, und kommt nicht selber, mir solch eine frohe Botschaft auszurichten?!«

Peter stierte just mit ungeniert großen Augen auf den grellbunten Kattunvorhang, welcher, auf einen Bindfaden gezogen, die rechte Seite des Stübchens schmal abteilte, und hinter welchem, wie bei den reichsten Bauern, sicher das Bett steht. –

»Das ist aber 'mal staatsch!« murmelte er ganz in Gedanken. Die Marian freute sich zwar gewaltig über sein Staunen, aber sie schüttelte ihn aufgeregt am Arm und wiederholte: »Hör' Peter! und er kommt nicht selbst, mir das zu sagen?«

Holtensen stemmte beide Hände auf die Kniee. »Ja,« sagte er lachend, »das hätt' er schon gethan – und wollt's auch, – aber er ist zur Zeit über Land, und einen Auftrag hab' ich auch von ihm an Dich!« – Der Sprecher drückte die Augen zu und schluckte ein paar Mal, um sich besser zu entsinnen: »Da hat er nämlich noch an demselben Nachmittag, wie er früh hier von Dir fort ist, seine Mutter in des Sören Wägelchen gesetzt und sie hier hinaus kutschiert, denn die alte Pastorin hat Dich wohl mögen von Angesicht sehen, und gehen kann sie nicht, wegen ihres lahmen Beins, sonst wäre sie schon einmal wiedergekommen, – läßt sie sagen. – Wie das Wägelchen aber hier bei der Hütte vorfuhr, hat der Herr Pastor vergeblich geklopft.«

»O weh! o hätt' ich das geahnt, ich wäre nimmer zur Stadt gegangen!« – klagte Marian und rang auf's Höchste bestürzt die Hände.

»Ja, und nun ist der Hochehrwürden über Land gefahren.« Peter zwinkerte verschmitzt mit den Augen und stocherte mit dem Finger in dem Pfeifenkopf, welcher ihm zum ersten Mal im Leben ohne sein Wollen kalt geworden war. »Wohin … hm, ssoll's nicht verraten, hat die alte Frau gemeint, das solle eine ganz besondere Ueberraschung sein. Aber hör, Marie-Anne, was nun mein Auftrag ist! Am künftigen Sonntag – lassen Dir die Pfarrers sagen, –da sollst Du so schön geputzt und gestriegelt wie menschenmöglich in unsere Kirche kommen. Um zwölf Uhr aber erst, hörst Du wohl? es geht erst um zwölf Uhr los. Und wegen des Mittagsessens solltest Du Dich nicht sorgen, denn nach der Kirche sei für Dich in der Pfarre ein Platz am Tisch gedeckt, – hörst Du wohl? Bist geladen, Marie-Anne Claasen.«

So redselig war der Peter noch nie gewesen, und darum wischte er nun auch den Schweiß von der Stirne und stand auf. –

»Ich bin geladen! – und soll zur Kirche kommen! O. Du mein Gott im Himmel, und er wird auf der Kanzel stehen!« – flüsterte das braune Dirnlein und faltete die Hände im Schooß, als ob sie bete.

Der Peter aber schaute noch einmal recht genau in dem Hüttchen umher, griff in die Tasche und zog die Börse. »Also gedingt zur Magd hab' ich Dich, – und Du hast eingeschlagen. –Topp; hier ist das Mietgeld.«

»Ja, ja,« nickte die Haidehexe, wie trunken vor Seligkeit, und war weit ab mit ihren Gedanken.

»Behüt's Gott, Marie-Anne, und Michaelis ziehst Du an. So Du all das Gerät hier bei Dir behalten willst, schick ich Dir einen Knecht mit dem Wagen, der kann's aufladen.«

Er trat an das Herdfeuer, zündete die Pfeife gelassen daran an und reichte seiner neuen Magd die Hand mit kraftvollem Druck. Dabei sah er sie wieder an und stand und schaute, als ob er noch etwas sagen wolle. Aber er wußte nichts mehr, und die Marian sprach auch nichts mehr, – da drückte er den Hut fester auf den Kopf und ging davon. – »Gott segne Dich und laß Dir Dein Angebot nie leid werden!« rief sie ihm plötzlich nach, als erwache sie aus einem Traum. –

Er fuhr herum und stand wieder still: »Nee, nee!« lachte er, und nickte ihr zu. Und als er dann weiter ging, stieß er mit dem Fuße einen großen Stein bei Seite und that, als ob er sich danach umsähe; aber sein Blick traf die Marian. Sie stand just wie neulich und schaute starren Auges grad aus; nach ihm oder nach dem Abendgold? – Gleichviel, – der Peter nahm plötzlich die Pfeife aus dem Mund und pfiff sich eins. –

Das hatte er noch nie im Leben gethan. –


Zwei Tage drauf kam der Peter wieder zu des Claasen Hütte. Er sagte, daß er morgen zur Stadt fahre, und ob die Marie-Anne am End' was eingebracht haben möchte? Sie jubilierte und war glückselig wie ein Kind. Ja, ein recht schönes, recht buntes Fürtuch wollte sie haben. Sie griff in die Tasche und hielt ihm eine Hand voll Münzen hin. Er schüttelte den Kopf. »Laß nur, – erst will ich zuschaun, ob ich auch eins krieg.« – Und dann setzte er sich auf das Haidgrab neben sie und rauchte schweigend seine Pfeife. Die Marie-Anne aber flickte just ihren alten Regensack und sprach auch nicht viel. Aber sie lachte ihn von Zeit zu Zeit freundlich an, und dann nickte der Peter und lachte auch. Endlich stand er wieder auf und ging heim.

Am andern Abend kam die Marian spät nach Hause; sie hatte im Wald Beeren gepflückt, und weil sie so schön und reif waren, wollte sie dieselben morgen am Sonntag mit ins Pfarrhaus nehmen. Als sie in ihre Hütte trat, lag auf dem Tisch ein herrlich Brusttuch, himmelblauer Grund mit roten Nelken darauf gedruckt, und daneben noch ein feuerfarben Seidenband und auf allem daraus ein großes, braunes Lebkuchenherz. Das zeigte in der Mitte ein Bild, zwei verschlungene Hände in einem Blumenkranz. –

Die Marian freute sich gar sehr und jubelte laut auf vor Glückseligkeit Wie gut war der Peter zu ihr! wie gut werden nun auch alle Andern im Dorfe zu ihr sein! Sie war wie betäubt von dem großen Umschwung, ihre ganze Seele stand in Flammen. Vor die Thüre trat sie, kniete nieder und hob die Arme in stummem Dank zum Himmel. Der hatte sich plötzlich bezogen, – ein Blitzstrahl züngelte grell durch die Wolken und blendete ihr die Augen. –


Gegrollt und gewetterleuchtet hatte es die ganze Nacht, aber dennoch war das Gewitter nicht zum Ausbruch gekommen, so sehr auch alle Kreatur nach dem erlösenden Regen lechzte.

Und nun am Sonntag Morgen zogen auch die Duftwogen der Haide aus schwüler, glühender Lust dahin, just, als wolle der scheidende Sommer noch einmal die Welt voll heißer Leidenschaft auf das verblühende Antlitz küssen. Marian war's zu Sinnen, als könne und dürfe es gar nicht anders sein, als müsse auch die ganze Erde flammen und glühen, so wie in ihrem Herz und in ihrer Seele ein allverzehrender Brand der Liebe loderte. Lang genug war's kalt und still in ihrer Brust gewesen; aber die Natur forderte ihr Recht, und ein Funken traf all die vielen, verdorrten Keime der Hoffnung, die welken Palmzweige des Glaubens und der Liebe in ihrem Herzen, daß jählings das Feuer emporstieg, rettungslos, allgewaltig, durch nichts mehr zu löschen und zu dämmen. Das Naturkind Marian glich dem Waldbach. So lang ihn Eis und Schnee in starren Banden halten, liegt er im tiefen, öden und gleichgiltigen Traum, wenn aber die Glut der Sonne einmal das Eis gebrochen, schäumt er im wilden, planlosen Ungestüm daher, die Verwirklichung solcher Träume zu finden, oder sich zerrinnend und vergehend in die Unendlichkeit des ewigen Meeres zu stürzen. Schmuck und glückselig lächelnd wie eine Braut schritt Marian zum Dorf. Der Sandweg, auf welchem ihr noch vor wenig Tagen der grauenvollste aller Hochzeitszüge begegnet war, lag blendendweiß im grellen Sonnenschein. Da war kein Schatten, kein Gedanken mehr, welcher das Herz der einsam Wandelnden geschreckt hätte. Sie stand mitten in dem blühenden, jauchzenden Leben, und Tod und Grab lagen so weit von ihr, wie dort am Horizont die dunkle Wolke. – Aber je weiter sie schritt, desto höher und näher stieg die Wolke heran, den fernen Himmel umziehend, wie mit einem schwarzen Trauerrand. Marian sah es nicht, sie hörte bereits die Glocken wie wundertraute Worte des Willkommens an ihr Ohr schlagen, und obwohl ihr Angesicht schon glühte, so beschleunigte sie dennoch ihren Gang, dahinfliegend über das geneigte Riedgras, wie ein junger Vogel, den die Sehnsucht zur Heimat treibt.

Hatte sie sich im Eifer, ihren Anzug stets schöner und schöner zu gestalten, derart verspätet? – Richtig, schon sieht sie von weitem, wie die harrende Schar der Bauern beim Geläut in das Gotteshaus tritt, wie nur noch Einzelne herzueilen in seltsam froher Hast.

Der Atem versagt der jungen Dirne. Hier droben unter der Linde will sie erst einen Augenblick verschnaufen. Die Sonne versteckt sich hinter Wolken, – das ist gut, – und ein frischer Windzug streift daher und kühlt ihre Wangen. Drunten in die Kirchenthüre tritt Peter Holtensen und schaut den Weg nach der Haide hinab, – da er die Marie-Anne bereits dicht vor ihm unter der Linde erblickt, nickt er ihr mit leuchtenden Augen zu. »Kommst spät, lüttje Dirn, aber immer noch zur Zeit!«

Sie streicht über ihre perlende Stirn. »Grüß Gott, Peter, gleich bin ich zur Stell'.« –

»Laß' – und verschnauf noch ein Weilchen! Du bist glutrot vom Laufen, und in der Kirche ist's kalt!« – An so etwas hatte er früher noch nie gedacht, und weil ihm das selber wunderlich erscheint, nickt er ihr noch einmal zu und tritt durch die gewölbte Thüre zurück.

Da liegt die Pfarre zur Seite. – Marian preßt die Hände gegen die Brust, als fürchte sie, dieselbe könne zerspringen bei dem Jubelschrei, welchen sie bergen muß. Ganz und gar mit Wein und Kletterrosen ist das Haus bewachsen, und weil es plötzlich gar so dunkel am Himmel wird, so liegt's im tiefen Schatten. Seltsam, beinah sieht's aus wie ein großer blumenbedeckter Sarg. – Warum drängen sich so viele Kinder vor der Thüre zusammen? Und jetzt öffnet sich dieselbe, und eine Schar Bauerndirnen, im vollen Putz der Kranzjungfern tritt heraus. Was bedeutet das? –

Sie schreiten feierlich im Zug die Treppe hinab, und die Kinder erheben ein jauchzendes Hurrah. Und jetzt … jetzt Marian taumelt einen Schritt näher, – ihre Augen treten stier hervor, – sie krampft sich wie-im Schwindel an den Lindenstamm. –

Ein Brautpaar, – ein junges, blondlockiges Weib im weißen Kleid, umweht vom leichten Schleier, den grünen Myrtenkranz im Haar. Wie ein Engel so schön und lieblich anzuschauen, – und der Bräutigam … welcher ihr durch die schmale Thüre erst jetzt folgt? –

Gott im Himmel!! –

Ein dumpfer Schrei bricht über Marian's Lippen. Der Wind verweht ihn, saust daher und faßt den Schleier der Braut. –

Martin! – Martin der Bräutigam!! – Ist's ein Fieberwahn? – Nein, er trägt den Myrtenstrauß im Knopfloch, und er legt mit einem Blick unaussprechlicher Liebe die Hand seines bräutlichen Weibes auf seinen Arm. – Aug' in Auge schreiten sie und hinter ihnen folgt der Zug der Gäste.

Marian sieht's wie schwarze Schatten vor dem Blicke kreisen. Sie fühlt's, wie jeder Blutstropfen in ihren Adern erstarrt zu Eiseskälte. Aber sie steht wie gebannt und starrt zu ihm herab. – Martin! Martin! – Ja, so schritt er auch neulich Nacht, so lächelnd, so glückstrahlend und doch dem Tode geweiht.

Die Zähne der Haidehexe schlagen wie im Schüttelfrost zusammen, keuchend gräbt sie die Nägel in ihr Fleisch, sich aus solchem grauenvollen Traume zu erwecken, aber es ist Wirklichkeit, – fürchterliche, entsetzliche Wirklichkeit. Da überkommt es sie wie Wahnsinn. Hinzustürmen will sie! sich in den Weg werfen und den Geliebten aus den Armen jener Fremden reißen, mit dem Schrei der Verzweiflung: »Mir gehört er zu, ich rettete ihn vom Verderben und gab mich selber dafür in des Todes Gewalt, – und darum rettete ich ihn! für mich – die kurze Spanne Zeit, welche mir noch geblieben, selig zu sein in seiner Liebe und seinem Besitz!«

Sie will hin zu ihm – aber ihre Füße scheinen von Blei und festgewurzelt im Boden, – sie will die Worte rufen, – aber nur ein leises Röcheln entpreßt sich ihren Lippen.

Da treten sie in die Kirche, und der Orgelklang braust durch die offene Thüre.

Wie Donnerklänge treffen sie Marian's Ohr, wie ein furchtbares Getöse, welches ihr Herz und Seele auseinander reißt.

Sie drückt die Hände vor die Ohren; – ihr Blick glüht wild auf. Ja, die Leute haben immer gesagt, sie sei nicht richtig im Kopf – und jetzt, jetzt fühlt und glaubt sie's selber.

Ein schrilles, irres Lachen gellt durch den Sturm, welcher sich machtvoll erhebt und rauschend durch der Linde Wipfel fährt. – Sie wirft die Arme wie eine Rasende empor und schüttelt die Fäuste wie in wilder Drohung, und dann schreit sie auf, wie ein Mensch, den eine tödliche Kugel trifft, und stürzt sinnlos davon – zurück zu ihrer Haide, dahin, wo sie diese furchtbaren Orgelklänge nicht mehr hört!

In demselben Augenblick tritt Peter Holtensen abermals in die Thüre, besorgt auszuschauen, wo die schwarze Marian bleibe. Er hört noch ihren Schrei, – er sieht sie, wie von bösen Mächten gepeitscht, nach der Haide zurück stürmen.

Da kommt es ihm plötzlich wie ein unheimliches Ahnen. Ohne Besinnen folgt er ihr. »Marian!« ruft er, »Marian!« Aber sie hört ihn nicht, –sie fliegt schneller wie der Sturm, und so sehr der schwere, ungefügige Bursch' auch keucht, er kann ihr kaum folgen, geschweige sie einholen.

Und der Himmel wird immer schwärzer, und das Unwetter zieht immer drohender herauf, schon sprühen die Blitze durch das Gewölk. Dunkler – immer dunkler wird's.

Die Marian aber jagt haltlos weiter. Vor ihr liegt der Sandweg, welcher an allem Elend schuld ist. Huh … wie schwarz und finster … wie unheimlich liegt die Haide.

Horch … was ist das? – die Fliehende schaudert zusammen. Geigenklänge? – –Hahaha! – kommt abermals ein Hochzeitszug? Juchheisa! frisch gefiedelt, Freunde! Die Haidehex will mit euch tanzen und jubilieren! –

Hoho! – da kommen sie ja die grausigen Knochenmänner, da schreiten sie ja im feierlichen Zug, die lustigen Hochzeitsgäste ohne Kopf. – Wen bringt ihr heute? – einen Herzallerliebsten, oder ein wonnesam Bräutlein? – An ihr vorüber tanzen die fiedelnden Gerippe, und dann kommt das Brautpaar. Es ist der Peter Holtensen und trägt den Kopf unter dem Arm – sein Feinliebchen aber, hinter welcher der Tod schreitet? –

Ein gurgelnder Laut von Marian's Lippen – halb Lachen, halb Entsetzen, – die Braut trägt den Kopf lachend auf den Schultern, die Braut ist sie selbst! –

Hahaha! Wie die schwarze Marian sich selber zuwinkt! wie sie so fröhlich daher geht – wohin? Auch in das Moor? – dorthin – just an dieselbe Stelle, wo vor wenig Tagen der Martin mit dem Untergange rang?

Wartet ihr lustigen Hochzeiter! nehmt mich doch mit – will sehen, wo ihr euch das Hochzeitsmahl bereitet. – Juhu! huhuhu – so schnell wie ihr läuft die Haidehexe auch noch! –

Sumpfwasser! Hei! wie's um die Füße zischt und spritzt! – Das Röhricht neigt sich zum Willkommen tief herab – und da – just da war die Stelle, wo der Martin ehemals stand! – Ist er nicht wieder da? Ja, ja, da steht er und breitet die Arme aus. – Martin, Martin –bist Du's, lieber Bräutigam? Wehe! wehe – nein, es ist der Tod!

Gott im Himmel – erbarm Dich! –

Und dann ein Gurgeln, Spritzen, – leises Rieseln und Glucksen … das Röhricht und Schilf sinkt nach. – –

Donnernd rollt's über die stille Haide, – ein Blitz zuckt herab wie eine Feuergarbe und beleuchtet die schwarze kleine Sumpflache im grünen Moor, – sie ist zuvor nicht gewesen.

Aus dem Sandweg aber kniet Peter Holtensen, breitet mit schmerzlichem Aufschrei: »Marian!« die Hände zum Himmel und weint die ersten Thränen in seinem Leben.


An dem Kreuzweg, gegenüber der Stelle, wo Marie-Anna Claasen im Moor verunglückt ist, erhebt sich ein Kreuz, – das trägt ihren Namen und den Spruch: »Herr, ich bin Dein!«

Es ist das Ziel des jungen Pfarrerpaares, wenn sie in die Haide wandeln. Das blonde, liebliche Weib schlingt einen Kranz um das ernste Denkmal und Martin Kayser faltet die Hände und betet für die, welche ihm das Leben an derselben Stelle rettete, wo sie das ihre verlor. Das Riedgras singt ein traurig Lied im Wind, und die rote Erika weint im Frühthau. Peter Holtensen aber hat Hab und Gut verkauft und ist nach Amerika ausgewandert. Hat kein Mensch je wieder von ihm gehört.


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