Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Josef war nach K–burg zurückgekehrt.
Er hatte geglaubt, durch den Wechsel der Umgebung, durch angestrengte Arbeit und den Verkehr mit den Studiengenossen die Sinne zu betäuben, und der Sehnsucht zu gebieten, welche ihn voll unwiderstehlicher Gewalt in den Zauberkreis der Geliebten zurückzog.
Aber dieser Glauben erwies sich als trügerisch. Gerade die Ruhe und monotone Gleichförmigkeit des Seminars gaben ihm Zeit und Veranlassung genug, seinen Gedanken nachzuhängen, und das Feuer, welches in seinem Herzen entfacht war, flammte höher und gewaltiger empor wie je zuvor, seine ganze Seele mit den Gluten ungestillten Verlangens verzehrend. Anfänglich schlichen sich noch bittere Vorwürfe und Selbstanklagen in sein Herz.
Hatte er recht gethan durch den Ausbruch der Leidenschaft, welcher sein innerstes Herz mit all dem hoffnungslosen Lieben und Sehnen enthüllte, den Frieden eines Mädchenherzens zu morden?
In welche Wirren, in welche Seelenkämpfe hatte er Charitas gestürzt! Welch einen Abgrund hatte er vor ihr aufgerissen, indem er die hüllenden Schleier von ihren Augen nahm und sie in die Tiefen seiner ruhelosen Seele blicken ließ!
Die Ruhe, welche ihm fehlte, hatte er nun auch ihr genommen, den Todeskeim unglückseliger Liebe, an welcher er zu Grunde ging, pflanzte er auch in ihr Herz!
Diese Überzeugung machte ihn elender wie alle Qualen bitteren Entsagens, dessen Kelch er bis zur Hefe leeren mußte.
In einer Stunde solcher Gewissenspein setzte er sich nieder und schrieb an Charitas. Er mußte es, er konnte dem Schwarm dunkler Gedanken nicht mehr widerstehen.
Er bat sie um Vergebung für sein Verschulden, für die Leidenschaft, welche ihn in der Abschiedsstunde zum Schwächling gemacht. Er gestand ihr, daß seine verlorene Selbstbeherrschung, welche ihn zum Mörder ihres Herzensfriedens gemacht, ihn gleich einem schweren Fehl bedrücke. Sein Wort – das Geständnis seiner Liebe binde ihn für ewige Zeiten an sie. Er sei Ehrenmann genug, um sich zu sagen, daß er nach dem, was vorgefallen, nun um ihre Hand werben müsse, um das Elend einer hoffnungslosen Liebe von ihr abzuwenden. Sein Beruf verbiete es ihm, zu heiraten, und nun hieße es entweder hier oder dort eine gewaltsame Entscheidung herbeiführen. Er müsse sich losreißen von der Kirche oder von ihr. Einsam, ohne Trost und Zuspruch, ohne ein einzig ihn ermutigendes Wort, stehe er in diesem Kampf. Ihm dieses zu sagen, flehe er sie hiermit an. Er müsse ihrer Liebe und Treue gewiß sein, wenn er die Brücke, welche einzig zur Vergessenheit und zum Frieden führe, hinter sich abbrechen solle.
Es war wohl ein seltsam irrer und wirrer Brief, so recht das Spiegelbild der unklaren, krankhaften Gedanken, welche ihn durchtobten, immer noch jener großen, erlösenden Offenbarung harrend, welche sie nach einem Leben voll Kampf und Unbefriedigung endlich auf die rechte Bahn leiten sollte.
Und just, als habe Charitas diese seine schriftliche Rückkehr zu ihr geahnt, ging sie voll banger Sorge dem Postboten entgegen, Tag für Tag von der Ungewißheit geängstigt: »Schreibt er wohl, und gelangt der Brief auch richtig in meine Hände?«
Sie erhielt ihn und flüchtete mit dem teuren Kleinod hinauf in die traute Waldeinsamkeit, wo jedes Blättersäuseln, jeder Sonnenstrahl sie an den Geliebten gemahnte.
Und als sie seinen Brief gelesen, weinte sie bitterlich.
Er wollte sich von der Kirche, von dem Beruf, an welchen sich sein ganzes Seelenheil knüpfte, lossagen – um ihretwillen!
Und warum, weil er sie so über alles, so namenlos liebt? Nein, weil er sein Liebesgeständnis ihr gegenüber als Verpflichtung empfindet!
Ohne jene schmerzlich-süße Scheidestunde, welche seine Empfindungen stärker sein ließ, als die kalte grausame Vernunft, hätte er nie daran gedacht, das Priestergewand abzulegen.
Er will jetzt nur das Wort einlösen, welches er glaubte ihr gegenüber verpfändet zu haben!
Sie soll nicht unglücklich werden.
Wieder ist es sein übertrieben seines Ehrgefühl, welches diesen Konflikt heraufbeschwört. Adel verpflichtet! Schreibt er nicht: »Ich bin Ehrenmann genug, um zu wissen, was nun meine Pflicht ist?«
Unglücklicher Mann, wie schwer macht er sich selber das Leben!
Ein schmerzliches Lächeln bebt um ihre Lippen. Nein, bei Gott, sie will ihn nicht abermals aus einer Bahn herausreißen, welche wohl die einzig richtige für ihn ist – der Weg, welcher einzig und allein zur Vergessenheit und zum Frieden führt! – Schreibt er's nicht selbst? Dies Geständnis wiegt tausendmal schwerer als jedes andere.
So lange das Schuldbewußtsein ihn menschenscheu in die Einsamkeit treibt, wird die Liebe eines Weibes ihm die Seelenqual nicht lindern können. Sein Glück ist nicht die Liebe, sondern das Bewußtsein treu erfüllter Pflicht, und er erachtet es als heilige Pflicht, für die Schuld des Stiefvaters zu büßen.
Mit dem feinen Taktgefühl der wahren, echten selbstlosen Liebe empfindet Charitas das, was Josef trotz aller Kämpfe und Leiden noch nicht erkannt – sich selbst.
Und sie hebt voll tapferer Selbstverleugnung das bleiche, von Thränen übertaute Antlitz und blickt zu dem Himmel auf.
»Ich habe ihn lieb – lieber, als er es ahnte, lieber als mein eigen Glück, darum verzichte ich! Er soll und muß seinem Beruf treu bleiben, denn dieser allein kann ihm geben, was er sucht!« Und in stiller, einsamer Nachtstunde antwortete sie ihm. Voll ruhiger, freundschaftlicher Milde und Herzlichkeit. Er sei ihr durch nichts verpflichtet, sein Blick voll Liebe, ihr leis gestammelter Name seien kein Schwur, Auch die Freundschaft könne eine leidenschaftliche Sprache führen, und sie habe nie – selbst in der Abschiedsstunde nicht – an seiner Freundschaft gezweifelt. Unglücklich werde sie niemals durch dieselbe werden, das könne sie ihm versichern. Ihre flüchtige Begegnung im Leben sei eine jener Immortellen, welche Gräber schmücken. Das Glück habe wohl in ihrer beider Brust versargt gelegen, ehe sie einander in die Augen geschaut. – Nun trägt es eine liebe, unvergängliche Zierde, die Blume der Erinnerung. Diese mache sie reicher, als sie je zuvor gewesen. Sein Weib könne sie nicht werden. Die Verpflichtung, welche ihn, seiner Ansicht nach, an sie kette, sei eine nur eingebildete, nichtige, die Liebe eines Weibes aber, welche einen Priester zum Apostaten macht, sie ist eine Schuld, welche alle Glut der Liebe nicht von ihrer Seele brennen kann. Wollen Sie mich in die Gewissenspein stürzen, welcher Sie selber entrinnen wollen? Das wäre üble Freundschaft. Ihre Liebe nahm mir den Frieden nicht, ein Ehebündnis mit Ihnen würde ihn mir für alle Ewigkeit morden. Lassen Sie uns also beide die Wege gehen, welche Gottes Wille uns vorgeschrieben, und wir werden zum Ziel gelangen. Unsere Gedanken werden sich immer finden, auch ohne jedes äußere Zeichen des Gedenkens. Schreiben Sie mir, bitte, nicht mehr. Wir reisen in zwei Tagen von hier ab, und kämen Ihre Zeilen in unrechte Hände, möchten sie namenloses Leid über mich heraufbeschwören. Wenn die Nebel durch das Land wehen, sollen sie mir stets ein Gruß von Ihnen sein, und die Erinnerung wird mich beglücken. Leben Sie wohl und bleiben Sie Ihrem Berufe treu; nur die gewissenhafte, opfermutige Pflichterfüllung wird Ihnen Befriedigung und Ihrem Leben Ziel und Zweck geben.
So hatte sie geschrieben, und als der kleine, dunkle Spalt des Briefkastens die Zeilen verschlungen hatte, da deuchte es Charitas, als habe nur ein einziges Wort in dem Brief gestanden, der Todesschrei eines brechenden Herzens! »Leb wohl für immerdar!« –
An der Weinbergmauer, wo Josef seine Schritte hingelenkt, stand er still, öffnete den Brief und las.
Seine Hand bebte nicht, keine Schmerzenslinie furchte sein Antlitz; wie eine stille, selige Verklärung lag es darauf.
Er hatte diese Antwort erwartet. Die große, edle reine Seele der Geliebten konnte ihm nicht anders antworten. Wie lieb hatte er sie darum! Welch ein Gefühl demütig weihevoller Bewunderung erfüllte ihn! Wahrlich, einer Unwürdigen schlug sein Herz nicht entgegen! Sein Auge blitzte auf, sein Haupt hob sich stolzer auf dem Nacken. Sie liebt ihn! O, daß er solcher Liebe wert sein könnte! Sein Blick schweifte wie in sehnender Ungeduld hinaus über das herrliche Land, als müßte er ungestüm vorwärtsstürmen, mit der Kraft seiner Arme einen Weg zu brechen, auf welchem sie Hand in Hand, glückselig vereint und sonder Reu und Schuld zusammen wandern könnten.
Und dann wandte er das Haupt, sein Blick traf den ernsten düstern Bau, das Kloster der Trinitarier, welches seine Mauern wie voll stummer Mahnung vor ihm ausbaute: »In uns fandest du die Heimat, und uns gehörst du zu!«
Josefs Brauen falteten sich . »Noch nicht!« bäumten sich die Gedanken wild in ihm auf. »Weiß denn Charitas, daß ich noch umkehren kann, wenn ich will? Werde ich thatsächlich zum Apostat dadurch? Nein! Noch habe ich die Weihen nicht empfangen, noch bindet mich kein Schwur an die Kirche. Ihre reine Kinderseele sah nur, was vor Augen war, das Kleid des Priesters; sie wähnt, ein jeder, der es tragt, sei schon durch jene schmale Klosterpforte geschritten, durch welche es keine Rückkehr gibt.«
Horch ... Das Glöcklein ruft zur Messe.
Langsam erhebt sich Josef und schreitet zum Kloster zurück.
Der Brief brennt wie Feuer auf seiner Brust, wie ein trotziges Auflehnen gegen fremde Gewalten zuckt es in seinem Auge.
An der Kirchpforte steht Duncaczy.
Sein Blick trifft wie in ernstem Forschen das heiß gerötete Antlitz des jungen Freundes. Josef weicht dem Blick aus.
Der Priester reicht ihm die Hand, in festem, mahnendem Druck umschließt er die bebende Rechte Torisdorffs mit seinen kühlen Fingern. Eine Blutwelle schießt in Josefs Antlitz und läßt es noch erregter erscheinen. Seine Hand zuckt auf, als empfinde er einen Schmerz. Hastig schreitet er an dem väterlichen Freunde vorüber in das Dämmerlicht der Kirche. Wie in wehmutvollem Verstehen verdüstert sich Duncaczys klares Auge, – über ihm, von dem Epheu, welcher sich an dem grauen Gemäuer emporspinnt, löst sich ein Blatt und fällt nieder, der Wind faßt es und treibt es fort, über die Klosternmuer hinweg, in die Welt hinein.
Heißt das Blatt Josef? –
Mit tief geneigtem Haupt sitzt Torisdorff und lauscht der Messe.
Aber er hört und versteht nichts; wie Frühlingsstürme braust und surrt es vor seinen Ohren, – mechanisch regt er die Lippen, hebt die Hand, den Kopf zu stützen ... Aber seine Gedanken sind weit ab.
Er schrickt zusammen, als seine Studiengenossen sich erheben und gehen.
In dem dämmrig kühlen Lehrsaal mußte er Vortrag hören. Er saß, das Haupt in die Hand gestützt, und starrte ins Leere. Er hörte – aber nichts wie eine Stimme. Er sah – aber nichts wie den Wechsel von Schatten und Licht.
Der Brief der Geliebten schien Gluten auszustrahlen, welche ihn zu verzehren drohten. Er sollte ihn an seine Pflicht gemahnen, ihn seinem Beruf erhalten, und dennoch bewirkte er gerade das Gegenteil bei dem Empfänger. Nie war ihm ein Weib so edel, so tugendreich und begehrenswert erschienen, wie die Schreiberin dieser Zeilen.
Sie sagte ihm für ewige Zeiten Lebewohl, und doch schien Josef jedes Wort ein Schrei der Sehnsucht: Komm!
»Nur gewissenhafte, opfermutige Pflichterfüllung kann Ihrem Leben Zweck und Reiz geben –«, schrieb sie nicht so?
Was ist Pflichterfüllung? – Arbeit!
Jedwede Arbeit? – Nein, nur die, welche Gutes schafft, welche etwas Großes, wahrhaft Befriedigendes erwirkt.
Was wirkt er hier? Er lernt, betet, studiert, hört Messen ... ist das der große, heilige Lebenszweck, welcher den Einsatz aller Kraft und aller Tüchtigkeit erfordert?
Wem nutzt er dadurch? Er kann wohl Gutes stiften, viel Gutes, – das Amt eines Weltgeistlichen ist eines der segensreichsten, welche es gibt – und doch! – und doch! – Noch nie hat es Josef mit solch vernichtender Gewißheit empfunden wie jetzt, daß ihn selbst das erfolgreichste Wirken auf dem Gebiet des Seelenhirtentums nicht voll befriedigt. Ein unbezwinglicher Durst nach dem frisch quellenden Lebensbronnen erfüllt ihn. Das Blut des kampfesfreudigen, thatendurstigen Geschlechts der Torisdorffs wallt auf, Arbeit! Arbeit im Schweiße des Angesichts, ein Abarbeiten aller Schuld mit dem Spaten in der Hand!
Seltsam, jenes Bild, die Verkörperung seines Glückes, welches er in dem Licht des Blitzes geschaut, verläßt ihn nicht mehr. Er hört den knirschenden Ton des Spatens, als das Eisen in die Erde stieß. Wie ein Alarmsignal deucht es ihm, wie ein Weckruf aus träger Unthätigkeit. »Ja, ich wache auf! – Mir ist's, als blende ein Strahl des Morgenlichts die Augen! Ich komme!! – – Wohin? – Ach wohin!« –
Wie ein Träumender schreitet Josef einher. In seinem Innern ist's wie vor Sonnenaufgang. Die Schatten kämpfen mit dem Licht; noch sieht und erkennt man nicht, man ahnt nur eine große, leuchtende, naturgewaltige Kraft, welche siegen wird.
An demselben Tage traf ein Brief von Klaus ein. Er schrieb oft und lang, seine Zeilen atmeten das Entzücken, die hohe Befriedigung, welche ihm sein Schaffen gewährte. Er hoffte, daß ein Bild von ihm sich in der nächsten Kunstausstellung einen Platz erobern werde. Am Schluß des Schreibens fragte er an, ob Josef bereits direkte Nachrichten über die neue Goldquelle von Lichtenhagen erhalten habe. Durch Zufall seien Braunkohlen bloßgelegt, beim Graben eines neuen Brunnens auf dem Vorwerk Krembs sei man in einer mäßigen Tiefe auf eine Kohlenschicht gestoßen. Er, Klaus, habe es für geboten gehalten, durch einen Sachverständigen eine oberflächliche Nachforschung anstellen zu lassen, welche ein ungemein günstiges Resultat ergeben habe. Zwar sei er von Josef mit der Vollmacht betraut, während seines Aufenthaltes in K–bürg die geschäftlichen Angelegenheiten von Lichtenhagen zu ordnen, – in diesem Falle aber wage er es doch nicht, in die Rechte des Besitzers einzugreifen. Wie ungeheuer schwerwiegend die Entdeckung sei, könne Josef selber am besten ermessen, da er sich in letzter Zeit besonders gern mit Ingenieur-Arbeiten in Bergwerken beschäftigt habe. Der Grund und Boden von Lichtenhagen könne Millionen bergen; um dieselben aber zu heben, sei selbstverständlich vorerst ein großes Betriebskapital nötig. Schon die genaue und gründliche Erforschung des Lagers bedinge recht bedeutende pekuniäre Opfer. Er sei der Ansicht, daß man in diesem Falle, wo so viel auf dem Spiel stehe, wohl berechtigt sei, Kapital aufzunehmen. Auf jeden Fall bitte er, daß Josef der Angelegenheit persönlich näher treten möge.
Heiße Glut brannte auf den Wangen des Lesers. Hochatmend, wie unter der Einwirkung einer gewaltigen seelischen Erregung, schritt er in dem Zimmer auf und nieder, und die Gedanken stürmten durch sein Hirn. Kohlengruben! Auf seinem eigenen Grund und Boden ein Bergwerk! Solch eine Möglichkeit allein wirkte wie berauschend auf ihn!
Der Bergbau hatte ihn seit je auf das lebhafteste interessiert, er hatte nur seiner Passion Vorschub geleistet, wenn er während seiner Studienzeit in Bonn jede Gelegenheit wahrgenommen hatte, die Bergwerksdistrikte zu bereisen.
O wie reizte es ihn damals schon so unwiderstehlich an, auf diesem Gebiete thätig zu sein! Und nun birgt die Erde von Lichtenhagen das Material, welches solch ein Schaffen und Arbeiten bedingt!
Josefs Augen leuchteten, es zuckt in seinen Armen, als müsse er sie strecken und dehnen, ihre Muskelkraft zu proben!
Und dann stöhnt er auf und läßt sie schlaff herniedersinken! Er weiß, was es heißt, ein Bergwerk zu erschließen; er weiß, wie viel es kostet, seinen Reichtum zu erforschen.
Woher aber solch ein Kapital nehmen?
Leider Gottes mußten so wie so schon Hypotheken auf das Gut aufgenommen werden, weil kein Barvermögen da war, um Wasserschäden, Baufälligkeiten alter Stallungen und die gründliche Renovierung des Gutshauses vornehmen zu können. Das Gut war sehr heruntergewirtschaftet und durch einen gewissenlosen Pächter ausgesogen worden, nun arbeitete man daran, all die Löcher wieder zuzustopfen, welche eingerissen waren, und das hatte Hypotheken absolut unerläßlich gemacht.
Und nun neue Schulden auf den Besitz häufen, um einer Möglichkeit willen, welche sich vielleicht als ein Phantom erweist?
Undenkbar! Es wäre sündhafter Leichtsinn! Es wäre ein Hazardspiel, bei welchem der Einsatz zum Spielball des Zufalls wird!
So lange seine Mutter lebt, darf Josef sich nicht auf derartig gewagte Unternehmungen einlassen. Er muß Gott danken, wenn die Hälfte des Gutes für die Zeit ihres Lebens ausreicht, denn bei dem heutigen Stand der Landwirtschaft können ein paar Jahre die traurigsten Veränderungen für einen Landbesitz mit sich bringen.
Nein, nein! Nicht noch mehr Schulden machen! Es ist nicht abzusehen, ob sie jemals abgetragen werden können – und Geld leihen, ohne die feste Aussicht, es zurückzahlen zu können, ist in Josefs Augen gleichbedeutend mit Diebstahl.
Und Interessenten werben? Kapitalisten für das Unternehmen gewinnen?
Torisdorff beißt mit finsterm Blick die Zähne zusammen. – Unmöglich! Mit dem Sohn des Bankrotteurs Sterley wird sich keiner associieren, und eine ablehnende Antwort, womöglich gar in verletzender Form – er ertrüge sie nicht. Sie würde ihn treffen wie ein Peitschenhieb, welcher seine Ehre brandmarkt!
Also Abschied nehmen von dem schönen, lockenden Traum – wieder scheiden und entsagen! Heute wie immer.
Doch ob er auch entsagte und die Möglichkeit einer Kapitalsaufnahme entschieden von sich wies, – vergessen konnte er nicht.
Tag und Nacht verfolgte ihn die Vorstellung von den Lichtenhagener Kohlenlagern. Der Gedanke an Charitas selbst wird durch diesen zurückgedrängt.
Seine ganze Seele war erfüllt von dem lockenden Bild einer Thätigkeit, welche jeden Nerv, jede Muskel an ihm straffte!
Lag er nachts mit offenen Augen auf seinem Lager, so sah er im Geist, wie sich das Bergwerk daheim gestaltete. Er selber allen Arbeitern voran mit rastlosem Fleiß, mit leidenschaftlichem Eifer!
Da gab es kein Ermüden, kein Erschlaffen! Den spitzen Bergmannshammer in der Hand, stand er selber und riß die tiefen Narben in die Scholle, welche sein Geschlecht geboren. Dann hörte er das Knirschen des Erdreichs, scharf und sein, so wie es damals durch die Gewitternacht zu ihm emporklang, als er sein »Glück« in den Flammen des Blitzes geschaut.
Arbeit! Ja, das wäre eine Arbeit! Das wäre die heilige, große Pflicht, welche seine Ahnen ihm aufbewahrt, die Schätze zu heben, über welche seit Jahrhunderten der Pflug dahingeglitten, wahrend und hütend, bis einst die ernste Stunde kommen werde, wo ein später Enkelsohn jenes Schatzes bedarf, um seine Ehre frei zu kaufen!
Arbeit und opfermutiges Erbarmen! Wie eine Binde fällt's von Josefs Augen, wie eine große, wundersame Erleuchtung kommt es über ihn; er weiß es plötzlich, zu was ihn der Adel seiner Gesinnung verpflichtet, was die Schuld sühnt, was die Wunden, welche der Stiefvater geschlagen hat, heilen kann. Er sieht sich stehen in rastlosem Schaffen, er sieht sich im Schweiße seines Angesichts an einer Lebensaufgabe arbeiten, so edel, so groß, so wahr, daß sie eines Menschen Dasein reichlich füllt. Er träumt von dem Sieg, von dem Ziel, wo er durch eigene Kraft die schlummernden Millionen gehoben, nicht für sich, nicht für sein Geschlecht, sondern für jene, welche durch Sterleys Schuld an den Bettelstab gebracht sind.
Heilig, heilig die Stunde, wo er die Schuld an jene Menschen abzahlen kann, wo sein Schweiß den Schandfleck abwäscht, welchen der Bankrott des Bankhauses und das Zurückbehalten von Lichtenhagen auf den Schild der Ehre gezeichnet. Wie eine Offenbarung ist es über ihn gekommen und eine Begeisterung erfüllt ihn, welche ihn voll unwiderstehlicher Gewalt seiner Bestimmung entgegentreibt.
Dennoch trauert der Adler mit gebundenen Schwingen; das Geld, welches einzig die Pforten des Glückes erschließen kann, ist unerreichbar. Abermals vergehen Tage.
Eine unbeschreibliche Gleichgültigkeit gegen alles, was ihm früher als Inbegriff des Lebens gedünkt, ergriff ihn; wie ein Frost hatte es die zarte Blüte phantastischer Jugendschwärmerei getroffen.
Wenn am Morgen der Gruß des Wöchners im Schlafsaal ertönte: » Laudetur Jesus Christus, surgant omnes reverendi domini fratres!« (Gelobt sei Jesus Christus, wacht auf, ehrwürdige Brüder!) – so durchschauerte ihn ein Empfinden, als gehe ihn diese Anrede, diese Gemeinschaft nichts mehr an, als sei er ein anderer, ein Fremder geworden, dessen Körper wohl noch als wesenloses Etwas in diesen Mauern weilt, dessen Geist aber längst einen anderen Flug genommen – fernhin, wo ihm eine Heimat winkt! –
Duncaczy faßte seine Hand und schaute mit ernstem Blick in sein übernächtiges, verstörtes Antlitz. »Bist du krank, Josef?«
Torisdorff lächelte zerstreut und schüttelte den Kopf: »Sie wissen es ja, was mich quält, lieber Freund! Ich gab Ihnen mein Herz von Grund aus zu schauen, als ich ehemals kam.«
»Und die bösen Geister des Zweifels, der Ruhelosigkeit sind noch nicht gebannt?«
Josef biß die Zähne zusammen. »Sie werden es wohl nie!«
»Kleinmütiger! Arbeiten Sie! Beten Sie! Die Zeit hilft Ihnen.«
Arbeiten! O, daß er es könnte! Jenes tote, kalte Studium, jene Bücherweisheit, welche das Hirn nur belastet und den brennenden Durst dennoch ungestillt läßt, ist keine Arbeit für ihn; früher ahnte er es, jetzt weiß er es. Er schrieb an Klaus. Er beschwor ihn, auf Mittel und Wege zu sinnen, das Unmögliche möglich zu machen.
Und wieder verstrichen Tage.
Da klopfte der Depeschenbote an die Klosterpforte.
Ein Telegramm für den Freiherrn von Torisdorff. Es ist während des » Silentium«.
Josef saß im Schatten der alten Kirchhofmauer und studierte.
Er sah mit glanzlosem Blick auf, als einer der Präfekten an ihn herantrat und ihm die Depesche mit fragendem Blick entgegenhielt. Der junge Mann zuckte zusammen, eine Blutwelle schoß ihm in die Schläfen. Seine Finger vermochten kaum das Papier zu öffnen. Er blickte darauf nieder, und alles Blut wich aus seinem Antlitz, Ein Aufstöhnen, ein leiser Aufschrei des Entsetzens – »Mutter! Mutter!«
Der theologische Professor nahm das Blatt aus Josefs bebender Hand. Er las:
»Ihre Frau Mutter durch einen Lungenschlag soeben von ihren Leiden erlöst. Erwarte Sie und Herrn Bruder hierselbst, alle weiteren Bestimmungen zu treffen. Charles Verdan, Doktor.«
Er legte die Hand auf die Schulter des Schluchzenden.
»Armer, junger Freund, – armer Freund!« murmelte er.
Und dann schritt er auf leisen Sohlen davon, dem Rektor die erschütternde Nachricht mitzuteilen, welche Aufschluß über das auffällig veränderte Wesen des jungen Klerikers gab. Er wußte wohl schon seit seiner Rückkehr, wie es um die Mutter stand, und die Qual seines Herzens hatte ihr gegolten.
Josef aber sank an der steinernen Bank nieder, barg das Antlitz in den Händen und weinte bitterlich.
Wie ein Keulenschlag, jäh, unerwartet hatte ihn die entsetzliche Nachricht getroffen, er brach momentan unter ihr zusammen.
Der Wind aber raschelte in den Blättern der Bibel und wandte sie leise um, Seite für Seite. Als Josef sich aufrichtete und sein verstörter Blick, voll Schmerz und Bitterkeit, mechanisch über die Buchstaben irrte, haftete er plötzlich an einer Stelle: »Hiob! – Aus sechs Trübsalen will ich dich erretten, und in der siebenten soll dich kein Übel rühren!« – Wie eine tröstende Prophezeiung leuchtete es ihm entgegen.
Zurück nach Montreux!
War in der letzten Zeit das Bild der Mutter, welches in seinem Herzen bisher stets den ersten Platz eingenommen, durch das holde, liebverklärte Antlitz einer Charitas ein wenig verdunkelt worden, – jetzt leuchtete es mit all der Glorie, mit welcher trauernde Liebe ihr größtes Kleinod schmückt, und nichts drängte sich daneben; selbst das Andenken der Geliebten wich in diesen Stunden einer stillen Totenfeier.
Josef empfand es beinahe als Trost, daß Charitas nicht mehr in der Printaniere weilte.
Es hätte ihm ein Verbrechen gedeucht, wenn sich auch nur der Hauch eines Gefühls, welches nicht tiefste Trauer und Wehmut gewesen, in sein Herz geschlichen hätte.
Der Tod hatte eine noch viel engere Schranke um ihn und die Mutter gezogen, wie das Leben, jetzt gehörte er ihr allein, mit all seinem Denken und Empfinden. Welch schwere, namenlos schwere Stunden.
Wie übervoll die Welt an Leid und Schmerz, so lange ihm das bleiche Antlitz noch aus den Blüten des Sarges entgegenlächelte, und wie öde, wie leer, seit dieser Sarg in die kühle Erde gesenkt war.
Welch einen Trost fand Josef in diesen Stunden in der Treue seines Stiefbruders! Nie waren sich die beiden jungen Männer so nahe getreten, als in dieser Zeit der Vereinsamung, in den stillen, grauen Tagen, welche sie nach der Beisetzung noch zusammen in der Printanière verlebten.
Es galt, den kleinen Haushalt der Mutter, welche sich mit viel eigenem Hab und Gut die fremden Wohnungen heimisch gemacht, aufzulösen.
Sie konnten sich nicht allsogleich dazu entschließen, und diese bange Zeit des Verwindens und Harrens gewährte Klaus einen tiefen Einblick in das Herz des Bruders, was die Pläne und Hoffnungen betreffs des Lichtenhagener Kohlenlagers betraf. Über seine Liebe zu Charitas verlautete kein Wort. Es hätte Josef wie eine Entweihung seiner heiligsten Gefühle gedünkt, die Person der Geliebten, welche für ihn ein Bild der Gnade war, der leisesten Mißdeutung auszusetzen. Seine Liebe war für ihn die zarte Wunderblume aus Wala al Walhas Garten: traf sie ein fremder Blick als Knospe, so sank sie in die Tiefe, unwiederbringlich dahin mit all dem Zauber und Glück, welches sie verheißen.