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XVIII.

Manfred Hoff hatte sich nach Möglichkeit beeilt, das Porträt des Kammerherrn zu vollenden. So innig es ihn auch beglückte, in Ethels Nähe zu weilen und sie täglich zu sehen und zu sprechen, so ward ihm doch der Verkehr mit Severa von Tag zu Tag unangenehmer, da seine ehemalige Verlobte es in immer kapriziöserer Weise darauf absah, ihn aufs neue zu berücken! Wenn auch nicht die mindeste Gefahr für sein Herz bestand, so machte ihn das beständige »auf Posten« sein, dennoch nervös und der Gedanke, Herr von Tempelburg könne die kaum noch beherrschte Leidenschaft seiner jungen Frau für den Vetter bemerken und diese in bezug auf ihn falsch deuten, – ließ seinen Herzschlag stocken!

So lange der Kammerherr ihm ein derart herzliches Wohlwollen bezeigte wie jetzt, stand ihm sein Haus wohl ständig offen, und er konnte auch in der Residenz weiter darin verkehren und Ethel öfters sehen, – an die Möglichkeit, daß er je um das liebliche Kind werben könne und die freundliche Gesinnung des Vaters dabei der wichtigste Faktor sei, wagte er kaum zu denken, ja, er wies solche Träume als Selbstüberhebung und unsinnige Phantasterei weit zurück!

Und dennoch!

Wieder und wieder flogen seine Gedanken voraus und malten noch viel tausendmal schönere, idealere und glückseligere Bilder wie sein Pinsel!

Wenn ihm dann das Blut wallte, voll ehrlichen Zorns Severa gegenüberzutreten und ihr mit nüchternen Worten zu sagen, daß all ihrer Liebe Müh', ihr Zürnen, Schmollen, Schmachten und Kokettieren, die bösen und linden Launen, und all die unzähligen anderen Trabanten, welche die Gefolgschaft ringender Leidenschaft sind, – ewig bei ihm erfolglos bleiben werden, so schrak er zusammen bei dem Gedanken, sich dadurch für immer das eigene Glück zu zerstören!

Er mußte sich geschickt durch die zahllosen Klippen hindurch lavieren und nur darauf bedacht sein, jedem Alleinsein mit dem schönen Weib aus dem Wege zu gehen.

Hier, in der Stille des Landlebens, bei einem Zusammensein von früh bis spät, war dies sehr schwierig und Manfred sah die Notwendigkeit ein, daß er früher abreisen müsse wie die Pariser Gäste, welche fürerst noch unbewußter Weise seine besten Verbündeten waren.

So bereitete er alles in Eile vor, beauftragte einen Geschäftsfreund zu angegebener Zeit eine »erlösende« Depesche zu senden und setzte alle Kraft daran, das Bild Tempelburgs baldmöglichst zu vollenden.

Severa hatte das Atelier mehrere Tage nicht betreten, ein Erblassen ging über ihre Züge, als sie plötzlich einem beinahe vollendeten Gemälde gegenüberstand.

Sie sagte sich, daß der letzte Pinselstrich daran Manfreds Abschied bedeute, und daß sie die Vollendung um jeden Preis hinausschieben müsse.

Am Abend machte sie dem leicht suggestierten Gatten klar, daß er beängstigend elend aussähe, daß er sich unter allen Umständen krank fühlen müsse, und daß dies lediglich durch die übertrieben langen Sitzungen komme! Es müsse unbedingt eine Pause gemacht werden, – bei der Hitze sei jede Anstrengung äußerst gefährlich.

Anfangs stritt Tempelburg ganz überrascht gegen die Behauptung, er sei krank oder fühle sich leidend, als Severa aber nur energischer ihre Meinung verfocht, trat er vor den Spiegel und sah sich prüfend an, und weil die grünen Jalousien ein livides Licht in dem Zimmer verbreiteten, sah er wirklich recht fahl und alt aus.

Seltsam! Er fühlte auch sofort Stiche im Kopf und hatte keinen rechten Appetit.

Am anderen Morgen klagte er, schlecht geschlafen zu haben und recht marode zu sein, – er bat den jungen Künstler, doch heute das Malen zu unterlassen.

»Gewiß! Ich bedarf Ihrer kaum noch, lieber Vetter!« versicherte Manfred. »Ich nehme heute die Ausführung der Orden vor! Die werden mir hoffentlich standhalten!«

»Ich finde du überarbeitest dich!« zuckte Severa die Achseln. »Du siehst immer aus, als ob du Fieber hättest –! Warum jagst du dich so ab? Mach doch auch eine Pause und ruhe dich aus! Dein Kopf glüht ja förmlich!«

Sie hob die Hand, um sie auf seine Stirn zu legen, aber Manfred wich ihr aus und lachte: »Mir ist so wohl wie einem Fisch im Wasser und ich neige auch gar nicht dazu, mir selber eine Schlappheit einzureden! Eine Arbeit unterbrechen ist mir quälender, als wie sie mit Aufwand aller Kräfte zu vollenden.«

Als die schöne Schloßherrin nachmittags allein mit dem Vicomte und Manfred durch den Park ging, um Ethel aus dem Pfarrhaus, woselbst sie noch von dem Prediger in Kirchen- und Kunstgeschichte unterrichtet ward, abzuholen, hatte sich Severa plötzlich den Fuß verknackst.

»Ich flehe Sie an, Vicomte – gehen Sie zurück und holen Sie einen Wagen vom Schloß!« bat sie mit unwiderstehlichem Blick.

Herr d'Auvergne blieb augenscheinlich lieber allein bei ihr zurück.

»Gewiß ... ich bin Ihr Sklave, Gnädigste – aber ... ich weiß so wenig Bescheid ... Sie müßten mir erst ganz genau sagen –«

»Aber wozu! Sie melden es dem ersten besten Diener oder Mädchen – und warten bis angespannt ist!« Severa rief es sehr ungeduldig und wandte sich zu Manfred: »Deinen Arm, bitte! Du bist stärker wie der Vicomte und kannst mich stützen!«

Aber Hoff eilte bereits davon.

»Bitte bemühen Sie sich nicht, Herr Graf! Ich kenne mich ja so viel besser in Haus und Hof aus wie Sie! In kürzester Zeit bin ich zurück!«

Er grüßte hastig und stürmte davon, – Severa aber sah in diesem Augenblick wirklich »zum Erbarmen« aus und alle Galanterien des Franzosen konnten ihre zornige Ungeduld nicht beschwichtigen.

Manfred schickte einen Wagen und eilte allein zum Pfarrhaus, Ethel abzuholen.

Welch ein einsames Schreiten durch die wogenden Kornfelder, die blühenden Wiesen, das warme, leuchtende Sonnengold!

Da wuchsen den jungen Seelen Flügel, die trugen sie in den offenen Himmel hinein! Und alles, was die Herzen so weich machte, das strömte in trauten Worten über die Lippen, und lernten es beide immer mehr verstehen, daß all ihr Denken und Fühlen eins war, ebenso harmonisch zusammenklingend wie die Vesperglocken, die frommen, friedlichen, welche über die blühenden Dorflinden zu ihnen herüberklangen.

Im Spital kehrten sie noch für wenige Minuten ein, Ethel sah schnell und fürsorglich nach ihren alten Invaliden und überzeugte sich, daß es den Kranken an nichts fehlte, Manfred aber zog unvermerkt die Börse und ließ klingendes Geld in die Blechbüchse gleiten, welche in dem Andachtssaal unter dem Bild des segnenden Christus für milde Gaben angebracht war.

Und als sie heimgingen, glückselige Ruhe im Herzen, da sagte Manfred, daß er bald scheiden müsse, und daß er lieber hier, allein und unbeobachtet von ihr Abschied nehmen möchte.

Nicht für lange Zeit, in der Residenz, so Gott will, auf Wiedersehen!

Sie reichten einander die Hände und schritten Hand in Hand noch eine kurze Strecke weiter. Zarte Röte stieg in Ethels Wangen, – sie sprach nicht mehr, aber ihre Augen leuchteten wie verklärt.

Am nächsten Morgen, als Frau von Tempelburg nach recht schlechter Nacht etwas spät erwachte, brachte die Jungfer eine recht überraschende Nachricht.

»Herr Hoff sei vor einer halben Stunde in größter Eile abgereist, diesen Brief habe er für die gnädige Frau hinterlassen, – den Herrn Baron habe er noch persönlich einen Augenblick gesprochen!«

Mit weitoffenen Augen starrte Severa die Sprecherin an.

Mechanisch griff sie nach dem Brief und öffnete ihn mit scharfem Riß.

Ein paar Zeilen mit Bleistift gekritzelt: »Soeben einliegende Depesche erhalten, muß leider sofort reisen! Werde mit deiner und Ottos Erlaubnis das Bild später in der Residenz vollenden! Tausend Dank für alle mir erwiesene Güte und Gastfreundschaft! Es küßt dir die Hand dein gehorsamster Vetter Manfred.«

Ah!

Und die Depesche?

»Soeben reicher Russe im Kunstsalon Ihre ›Frühlingsidylle‹ gesehen, will kaufen. – Sofort persönlich herkommen. Neubestellungen nicht ausgeschlossen. – Hasdecker.«

Severa starrte schweigend auf das Papier.

»Wird Herr Hoff noch den Schnellzug erreichen?« fragte sie dann plötzlich.

»Doch wohl, gnädige Frau, der Wagen konnte gerade noch zur Zeit abfahren.«

»Es ist gut. – Reich mir den weißen Kaschmirschlafrock. – Mich friert.«

* * *

Frau von Tempelburg war sehr reizbar, sehr nervös und fast immer schlechter Laune. Sie klagte, daß ihr die weiche, trockene Luft von Laubsdorf durchaus nicht bekomme, – sie sei nie mehr ohne Migräne.

»Wenn du mich lieb hast, Otto, reist du mit mir an die Nordsee, – ich brauche Erholung und Zerstreuung!«

Der Kammerherr machte ein wahrhaft entsetztes Gesicht.

»Wir haben in diesem Jahr ganz ungeheuere Ausgaben gehabt, mein Liebling – und die Seebäder sind sehr kostspielig!«

»Nun gut, – so bleiben wir hier! Was liegt daran, ob ich zugrunde gehe!«

Und dann Weinkrämpfe.

Schon nach zehn Minuten bekam die Zofe Befehl, die Koffer zu packen.

Die »Frau Rätin-Großmama«, Hans und Ludolf sollten während dieser Zeit in Laubsdorf Haus halten, so hatte es sich Ethel als »Entschädigung« ausgebeten.

Der Kammerherr und seine schöne Gemahlin reisten ab und aufs neue begann eine Zeit ruheloser Zerstreuung, ein Jagen von einem Vergnügen zum andern, – ein unsinniges Einkaufen von Toiletten.

Es schien Herrn von Tempelburg, als ob die »Freude am Leben« bei Severa immer ärger anstatt mäßiger wurde, als ob sie einen wahren Heißhunger danach habe, sich immer in den wildesten Strudel der Lustbarkeiten zu stürzen!

Und dennoch war sie nie zufrieden, hatte stets auszusetzen, zu tadeln, sich zu ärgern.

Jede Minute, welche nicht neue Zerstreuung – und wären es auch nur die abgeschmacktesten und törichsten Modenarrheiten – brachte, deuchte ihr verloren.

Während sie das eine genoß, dachte sie schon wieder an das, was sie eventuell versäumte, und wenn ihr sechs Verehrer den Hof machten, so verdroß es sie, daß es nicht deren sieben waren!

Nichts genügte!

Immer höher, immer mehr – immer besseres! – Sie streckte die Hände aus und hatte, was sie wollte, – das langweilte sie.

Wahrlich? hatte sie alles, was sie wollte?

Oft, mitten im heitersten Genießen, biß sie die Zähne zusammen und krampfte, wie in ungestümer Leidenschaft die Hände.

Nein, sie hatte nicht alles!

Gerade das eine, einzige, was sie besitzen möchte, wonach ihre ganze Seele lechzt, nach dem sie vor Sehnsucht verschmachtet, das einzige ist ihr versagt!

Und je klarer es ihr wird, daß sie dieses Glück für ewige Zeiten verscherzt hatte, desto hitziger strebt sie danach, desto begehrenswerter und beseligender deucht es ihr!

Manfred!

Ihn und seine Liebe!

Oft preßt sie die Hände vor das Gesicht und denkt an jene süßen, wonnigen Stunden eines ersten Liebesglückes in seinem Arm!

So wie damals hat ihr Herz nie wieder in trunkenem Entzücken gebebt, – nie wieder hat sie eine solche Himmelsruhe gekannt, als wie an seiner Brust.

Da schwieg alles Hoffen und Wünschen, da war kein Sehnen in ihr, – da hatte sie des Daseins reichste Fülle!

Und jetzt?

Friedlos, ruhelos ... gepeinigt von tausenderlei Verlangen, die nie befriedigt werden können. Liebt sie ihn denn noch immer, ihn, den sie so leichtfertig von sich stieß?

Vielleicht bildet sie es sich nur ein, – aber es ist seltsam, daß sie ohne ihn keine Ruhe findet, daß sie mitten aus dem lustigen, amüsanten Seebadleben wieder fortstrebt, nach Hause, nach der Residenz, dahin, wo er ist!

Schon grübelt sie, ob sie diesem heftigen Verlangen nicht folgen soll?

Es ist undenkbar, daß Manfred, welcher in allen Dingen so treu und gewissenhaft ist, seine heiße, leidenschaftliche Liebe zu ihr schon vergessen haben sollte, – aber seine Redlichkeit, sein Gewissen! Das gerade ist's, was sich trennend zwischen sie und ihr Glück drängt!

Wenn sie völlig frei wäre ... Witwe oder geschiedene Frau – dann würde er ihr fraglos nicht so kühl und gleichgültig gegenüberstehen wie jetzt!

Ach, diese Kälte in seinem Blick, dieses absichtliche meiden und aus dem Wege gehen – das hat sie schier von Sinnen gebracht!

Was soll sie tun?

Sich schon jetzt wieder von Tempelburg trennen? Auf eine Illusion hin?

Das wäre Wahnsinn!

Sie hat sich an Luxus und Wohlleben gewöhnt, sie kann ohne Geld, sehr viel Geld, nicht mehr existieren, und in der Residenz winken ihr all die Freuden eines Lebens, welches sie stets voll fiebernder Leidenschaft ersehnte!

Kann Manfred es ihr jetzt schon bieten?

Er ist ein aufgehender Stern am Himmel der Kunst, er verdient schon jetzt recht viel, und wenn es mit ihm weiter bergan geht wie jetzt, so ist er bald ein gefeierter Meister, welcher über eine nie versiegende Goldquelle verfügt!

Bis dahin muß sie warten, ehe sie einen unüberlegten Bruch mit Tempelburg herbeiführt, – sie muß es!

Und während dieser Zeit will sie sich amüsieren, herrlich! königlich, unersättlich!

Und die Kosten?

Was fragt sie danach? So lange ihr Gatte über Mittel verfügt, muß er bezahlen.

Und Frau von Tempelburg amüsiert sich!

Die Wochen fliegen dahin und endlich seufzt der Kammerherr erleichtert auf: »Die Nachsicht meiner hohen Gebieterin und mein unbemessener Urlaub haben gottlob ein Ende! Ich erhielt soeben Befehl, mich zur Dienstleistung in der Residenz einzufinden. Anläßlich des bevorstehenden Dienstjubiläums Seiner Majestät werden eine Reihe von Festen geplant, zu deren Vorbereitung ich bereits an Ort und Stelle sein muß!«

In Severas Augen flimmert es.

»Vortrefflich! Endlich einmal etwas Neues, Abwechselndes in diesem ewigen Einerlei eines Badelebens! Du glaubst nicht, Otto, wie sehr es mich bereits anödete! – Also reisen wir! – Nicht erst nach Laubsdorf, sondern sogleich in die Villa Freya! – Ethel kann mit Miß Maud fürerst noch auf dem Lande bleiben, es wird viel Trubel im Hause geben, schon allein durch unsere Visiten und Gegenbesuche, – das taugt nicht für junge Mädchen, welche seelisch erst ausreifen müssen!«

»Aber, Liebste! Ethel ward siebzehn Jahre alt, – im Winter zählt sie bereits siebzehn ein halb – ich hatte die Absicht, sie bei Hofe zu präsentieren und auszuführen!«

Die schöne Frau schüttelt sehr unwillig den Kopf.

»Ihr Männer seid doch wirklich in allen Dingen rücksichtslos! – Glaubst du, es sei sehr angenehm für mich, gleich im ersten Jahr, wo ich die Feste bei Hofe mitmache, als Ballmutter zu figurieren? Und was denkst du, was diese doppelten Toiletten kosten werden? – Ich sollte meinen, unnütze Ausgaben würden so lange wie möglich vermieden! – Und schließlich – Ethel selbst! Du solltest in Laubsdorf gesehen haben, wie total unfertig sie noch ist! Sie sitzt neben den liebenswürdigsten Herren wie ein Marmorbild und spricht kein Wort! Für eine derart kindliche Schüchternheit würde die große Geselligkeit eine Tortur, aber keine Freude sein! – Wenn ein junges Mädchen von Ethels Art und Wesen mit neunzehn Jahren ausgeführt wird, so ist dies reichlich früh, und ich gehe jede Wette ein, daß deine Tochter noch nicht das mindeste Verlangen hat, die große Welt kennen zu lernen, das bewies ihr permanentes Sichzurückziehen in Laubsdorf.

Der Kammerherr war bei Erwähnung der doppelten Rechnungen nervös zusammengezuckt.

Er hob abwehrend die Hand.

»Ja, ja! Ich glaube selber, daß du recht hast, über all diese Dinge hatte ich noch nicht nachgedacht. Ich werde mit der Kleinen reden und ihr die Sache klar machen, glaube selber, daß sie noch keinen Wert auf all diesen Trubel legt! Es war mir nur wegen der Königin-Mutter, welche doch, wie du weißt, Ethels Patin ist und sich stets voll lebhaften Interesses nach ihr erkundigt.«

»Laß sie nur, – ich werde schon antworten!« entschied Severa trocken, »in die Rechte der Eltern wird sie wohl nicht eingreifen.«

Wie Frau von Tempelburg befohlen, geschah es. Das Ehepaar traf allein in Villa Freya ein und Severa hatte unendlich viel zu tun, tausendmal Änderungen in der kostbaren Einrichtung zu treffen, welche zumeist nicht nach ihrem Geschmack war!

»Zur Dekoration meines Boudoirs, welches etwas ganz Originelles werden soll, bedarf ich eines künstlerischen Beirats,« sagte sie, »ich werde an Vetter Manfred schreiben, daß er sich sofort bei uns einstellt. – Dein Bild muß ja auch vollendet werden, ich hätte es gern als Mittelstück auf der Hauptwand meines gelben Salons!«

Tempelburg nickte. »Wie du willst!« sagte er mechanisch.

Und Severa schrieb.

Manfred erhielt ihr hochelegantes, duftendes Billet zu gleicher Zeit mit einem der so sehr schlichten Briefe der Rätin.

Als er die Zeilen der Cousine gelesen, stieg ihm das Blut in die Wangen.

Endlich zurück!

Nun kann er Ethel bald wiedersehen und die geheime Sehnsucht seines Herzens stillen! Wie lang ist ihm schon die Zeit geworden, wie oft ist er abends an Villa Freya vorübergegangen, mit zärtlichem Blick das Fenster zu grüßen, wo Ethels schlankes Köpfchen oft sinnend an den Scheiben lehnt!

Selbstredend wird er Severa eine Zusage schicken und schon am nächsten Tage im Hause Tempelburg seinen Besuch abstatten!

Mit Augen, aus welchen eine tiefe, innere Erregung strahlt, greift er nach dem Brief der Tante.

Er liest, und plötzlich weicht das Blut aus seinen Wangen und der erst so lachende Blick wird starr und finster.

Die Rätin schreibt: »Soeben erhielt ich einen sehr herzigen Brief von meiner Ethel, in welchem sie mir mitteilt, daß Severa und Otto am 10. d. M., in der Residenz eintreffen. Auf den Wunsch der ersteren werden Miß Maud und ihre Schutzbefohlene fürerst noch in Laubsdorf bleiben, bis der ›Visitentrubel‹ und all die großen Feste des Königlichen Jubiläums vorüber sind. – Also trifft Ethel wohl erst Ende Oktober in Villa Freya ein! Mir wird das Warten sehr sauer, denn du glaubst nicht, Manfred, wie ich das Kind so lieb gewonnen habe! In der Stille von Laubsdorf haben sich unsere Herzen vollends gefunden, und ich denke oft: hätte Severa mir im Leben auch nur den hundertsten Teil all der Liebe und Zärtlichkeit erwiesen, wie Ethel – ich wäre trotz alles Leids und aller Sorgen eine glückliche Frau gewesen! – Nun muß ich noch wochenlang warten, bis ich meinen Liebling hier in meine Arme schließen kann, aber dann hoffe ich auf viel traute, behagliche Winterabende, bei welchen auch Du nicht fehlen darfst, lieber Manfred! – Von Severa selbst habe ich seit Wochen keine Nachricht, – sie hat in allen ihren Zerstreuungen keine Zeit mehr für die Mutter!«

Ein tiefes, beinahe zorniges Aufatmen hob die Brust des Lesers.

Severa kam allein hierher, – und auf ihren Befehl blieb Ethel in Laubsdorf zurück?

O, er durchschaut den klugen Plan.

Alles soll fern gehalten werden, was ein Tete-a-tete mit dem ehemaligen Geliebten stören könnte! Diese widerwärtigen, empörenden »Aussprachen«, wie sie eine solche damals in Laubsdorf nächtlicherweise auf dem Balkon erzwungen hatte!

Noch steigt ihm die Schamröte in die Wangen, wenn er daran denkt!

Und hier?

Was will und bezweckt sie?

Ihn zum Spielzeug erniedrigen?

Ihm die schmachvolle, entehrende Rolle eines Hausfreundes anweisen?

Kennt sie ihn nicht besser? Eine Schande würde es für ihn sein und eine Entweihung jenes Hauses, in welchem Ethels reine Seele lebt!

Mit einem Ausdruck von Abscheu und Ekel schleudert er das süß duftende Briefchen von sich, – – und dann stützt er den Kopf in die Hand und beißt die Zähne zusammen.

Die Antwort!

Was soll er schreiben?

Er betritt Villa Freya nicht eher, als bis Ethel anwesend ist, – aber welche Gründe und Ausflüchte finden, die ihn genugsam entschuldigen?

Er darf Severa nicht reizen – und den Kammerherrn nicht beleidigen, – um Ethels willen.

Was tun?

Die Gedanken flirren aufgeregt hinter seiner Stirn.

Fort von hier!

Das ist das beste. Aber wohin?

Er hat ein großes Gemälde auf der Staffelei und ist voll glühenden Eifers dabei, das begonnene zu vollenden!

Es hilft nichts, er muß die Arbeit unterbrechen. Oder er nimmt sie mit!

In München lebt sein Studiengenosse, sein treuster Freund, der beabsichtigt nach Italien zu gehen, er wird ihm sein Atelier gern für etliche Wochen überlassen!

Also packen! In schwindelnder Eile alles für die sofortige Abreise einrichten!

Die große Kiste, in welcher sein »Frühlingsidyll« nach Hamburg reisen sollte, steht im Dachkämmerchen nebenan, – schnell ist das begonnene Gemälde am Deckel festgeschraubt, – das weitere besorgt der Portier!

Und dann den Koffer herzu!

Wie gut, wenn der Mensch gewöhnt ist, sich zu behelfen!

In wenigen Stunden ist Manfred bereit, die Residenz für etliche Wochen zu verlassen.

Gern tut er es nicht, er liebt es nicht, so plötzlich aus seinem streng geregelten Leben herausgerissen zu werden, aber ein einziger Gedanken an Ethel genügt, um ihn zu größter Eile anzuspornen!

Von München aus wird er Severas Billett beantworten. – –

Eine Stunde später sitzt er in dem Schnellzug und blickt träumerisch in die sinkende Nacht hinaus.

Jetzt treibt ihn das Schicksal hinaus in die Ferne, wenn er aber heimkehrt, sind die Tage kurz und die Nächte lang geworden und in dem Haus der Rätin warten die traulichsten, glückseligsten Abendstunden auf ihn, welche selbst die rosigste Phantasie nicht hold genug ausmalen kann.

Auf Wiedersehen, Ethel!

* * *

Severa hatte Manfreds Brief aus München erhalten.

Sie hatte gelesen, daß der Vetter sehr bedauere, sich ihr zurzeit nicht zur Verfügung stellen zu können, eine unaufschiebbare Arbeit fessele ihn noch während der nächsten Wochen in München, sowie er jedoch seine Pflichten daselbst erfüllt habe und heimkehren könne, werde sein erster Besuch der Villa Freya gelten.

Es schien der Leserin, als ob der Ton des Schreibens etwas wärmer klänge wie all die gleichgültigen Worte, welche sie in Laubsdorf gehört, und für kurze Zeit belebte neue Zuversicht und die frivole Hoffnung auf endlichen Sieg all ihre Gedanken.

Das Neue ihrer Stellung, der Trubel einer sehr ausgedehnten Geselligkeit, in welche sie durch zahllose Visiten eingeführt werden mußte, und endlich all die zeitraubenden und kostspieligen Vorbereitungen für die Jubiläumsfeste fesselten und zerstreuten sie für kurze Zeit.

Aber es war seltsam, als ob all diese Vergnügungen und Beschäftigungen nur Eintagsfliegen wären, welche vorüberschwirren, ohne den mindesten Eindruck zu hinterlassen, zogen die Stunden und Tage dahin, ohne die volle, ersehnte Befriedigung zu bringen!

Immer und immer wieder tauchte aus dem öden, gehaltlosen Leben das Bild Manfreds vor ihr auf, und je mehr sie sich voll nervösen Trotzes einredet, daß er der schönste und begehrenswerteste von allen Männern sei, und daß nur er allein ihr ein volles Glück der Liebe geben könne, desto bitterer empfand sie seine Abwesenheit, desto ungeduldiger ersehnte sie seine Rückkehr.

Die Trennung wirkt auf die Liebe, wie der Wind auf die Flamme. – Die große entfacht er zu verheerender Glut, die kleine erstickt er.

In Severas Herzen aber flammte die Leidenschaft immer höher und gewaltiger auf und beherrschte sie völlig.

Das brachte mancherlei Enttäuschung für ihre ehemaligen Verehrer mit sich.

So launenhaft und unliebenswürdig hatte man die schöne Frau nicht erwartet.

Ihre mehr wie fürstlichen Toiletten und Ansprüche ärgerten die Damen, während die Herren es voll eifersüchtigen Grolls empfanden, daß sie mit allen kokettierte, alle zu ihren Füßen sehen und an ihren Triumphwagen spannen wollte, ohne auch nur einen einzigen durch etwas größere Huld auszuzeichnen.

»Sie ist kalt und herzlos, – und über alle Begriffe eitel!« wurden gar bald schon einzelne Stimmen laut. »Wartet es ab!« lachten die Spötter, »sie prüft ja nur die besten und behält alle!« »Armer Tempelburg! Sollte sein großes Los doch ein Reinfall gewesen sein?«

Die noch immer sehr auffallende Gunst der Kronprinzessin, welche die Gemahlin ihres Kammerherrn bei jeder nur denkbaren Gelegenheit an ihre Seite berief, ließ fürerst die giftigen Saatkörner des Neids und der Mißgunst auf unfruchtbaren Boden fallen.

Man drängte sich um Frau von Tempelburg, huldigte ihr, zeichnete sie aus, um so rückgratloser und intensiver, je mehr man höchsten Orts durch sie zu erreichen hoffte, Schönheitsenthusiasten meinten es wohl auch ehrlich, wenn sie dem strahlenden neuen Stern zujubelten, um so mehr, als bei den großen Jubiläumsfesten das sensationelle Gerücht auftauchte, zwischen der Kronprinzessin Ingeborg und Frau von Tempelburg sei nun tatsächlich die heitere Schönheitskonkurrenz ausgebrochen, welche auf dem Wohltätigkeitsbasar unbewußt ihren Anfang genommen!


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