Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVII.

Regungslos stand Severa und starrte Manfred mit weit offenen Augen nach.

Er ging, – er ließ sie tatsächlich allein.

Hat sie ihre Schönheit, ihre sinnverwirrende Schönheit eingebüßt? Hat der Mondschein seinen Zauber verloren?

War das, was sie hier hörte und erlebte, Wahrheit oder nur die Rache eines schwer beleidigten Liebhabers?

Was war es?

Sie ist nicht fähig zu denken, wie brandende Meeresflut tost es hinter ihrer Stirn.

Sie lehnt sich gegen die Brüstung und schließt momentan die Augen.

Nein, gesiegt hat sie in dieser Stunde nicht, im Gegenteil, ein derart brennendes Gefühl der Demütigung hat sie noch nie im Leben empfunden, so kühl und gleichgültig hat noch keine Männerhand sie je zuvor beiseite geschoben!

Wie ein Aufstöhnen ringt es sich aus ihrer Brust.

Sie will schallend auflachen über diesen Tugendhelden, diesen Narren, welchem der Becher berauschenden Genusses an den Lippen schäumt, und welcher ihn zurückstößt, weil seine Trauben nicht auch in dem Gottesgarten der Tugend gereift sind!

Ja, lachen, lachen möchte sie!

Und doch beißt sie wie unter körperlichem Schmerz die Zähne zusammen und preßt die Hände schwer atmend gegen das Herz. Welch eine Kälte, – welch eine Gleichgültigkeit! Und dies war derselbe Mann, welcher sie einst unter Wonneschauern erbebend im Arm gehalten, ihre Lippen und ihr Antlitz mit brennenden Küssen zu bedecken?

Welch eine Erinnerung!

Wohl hat Severa einen gleißenden Goldstrom über dieses Bild in ihrem Herzen wogen lassen, aber auslöschen konnte er es nicht, und jetzt, – gerade jetzt steht es deutlicher wie je vor ihrer Seele und erfüllt sie mit heißem Weh der Sehnsucht!

Ist sie toll geworden?

Was will und verlangt sie noch von einem Mann, welchen sie doch selber von sich gestoßen, weil ihr das Leben an seiner Seite entsetzlich dünkte?

Seine Liebe?

Lächerlich!

Braucht sie nicht nur die Hände auszustrecken, um Anbeter zu haben, mehr wie Sand am Meer?

Liebe, Verehrung, Schwärmerei, Leidenschaft und Anbetung, – werden sie ihr nicht auf Schritt und Tritt entgegengebracht?

Und doch!

Wie hat ihr Herz bei der Huldigung dieses Einzigen höher geschlagen!

Erst das Verlorene gewinnt Wert und Gehalt, erst das Verbotene bekommt Reiz!

Auch bei ihr?

O, wie sich ihr Stolz, ihre Eitelkeit aufbäumen gegen die kalte Gleichgültigkeit dieses Mannes, wie sie in wildem Trotz die Hände ausstrecken möchte, gewaltsam an sich zu reißen, was sich ihr versagt!

Ihn! ihn! nur ihn allein unter Tausenden begehrt sie!

Was fragt sie danach, ob solch ein Verlangen Sünde ist?

Was fragt sie nach Recht, Gesetz – Moral?

Nichts, nichts!

Sie liebt!

Eine Leidenschaft, welche sie ehemals kaltblütig unter die Füße trat und unter schweren Goldbarren erstickte, steht plötzlich als Gespenst wieder auf und wirft ihren lodernden Höllenbrand in das Herz.

Sie liebt ihn!

Wie Fieber glüht es in ihren Adern.

Noch flüstert ihr die Stimme der Eitelkeit in das Ohr: »Glaub seinen Worten nicht! Er verstellt sich! Es gilt nur einen Kampf, einen süßen, betörenden Kampf um den Sieg! Und dieser Sieg wird dennoch dein sein!«

Aber Severa schüttelt finster das Haupt.

Sie glaubt dieser Stimme nicht.

Wenn je ein Mann wahr und aufrichtig ist in all seinen Worten und Taten, so ist es Manfred! Nur zu gut lernte sie ihn kennen, sein edles und gottesfürchtiges Herz, welches niemals das Weib des Nächsten begehren wird!

Und doch!

Tritt nicht gerade an die frommen Menschen die Versuchung am stärksten heran?

Ist nicht schon manch ein ehrenfester Mann um eines Weibes willen zum Verbrecher geworden?

Und begehrt er denn seines Nächsten Weib, wenn er sie küssend in die Arme schließt und im Mondenschein mit ihr flüstert und kost?

Mit ihm entfliehen? – Nimmermehr! Daran denkt Severa nicht, denn fürerst ist sie recht zufrieden mit ihrer Position in der Welt, und sollte sie die siebenperlige Krone je wieder von sich werfen, so würde es nur im Eintausch gegen die neunpunktige sein!

Nein – aufgeben will sie nichts, gar nichts, nur mit unersättlichem Verlangen noch mehr an sich reißen, – die Liebe des Geliebten, welche ihr die Langeweile vertreiben soll!

Wird sie es erreichen?

Mit unruhigen Schritten Wandert sie auf dem Balkon hin und her, aufgeregt, geärgert, voll gährender Leidenschaften.

Spät erst legt sie das Haupt in die Kissen nieder, aber Ruhe und Frieden findet sie nicht.

* * *

Die nächsten Tage vergehen unter Trubel und Festlichkeiten.

Severa behauptet, verpflichtet zu sein, ihre Gäste zu amüsieren, – die Trauer untersagt ihr zu tanzen und bunte Kleider zu tragen, nicht aber Menschen einzuladen und mit ihnen zu plaudern.

So sind die Offiziere der nahen Garnison tägliche Gäste, – angeblich um Madame la Comtesse zu amüsieren, in Wahrheit aber sind sie alle die Trabanten der schönen Hausfrau, welche voll aufgeregter Liebenswürdigkeit bemüht ist, immer neue Eroberungen zu machen!

Der Kammerherr ist durchaus nicht damit einverstanden, er wird von Tag zu Tag einsilbiger, und wenn er tief in Gedanken im Atelier sitzt, sich malen zu lassen, so seufzt er oft schwer auf und streicht mit der Hand über die Stirn, als schmerze sie ihn.

Aber ihm fehlt die Energie, seiner selbstbewußten und willensstarken Frau erfolgreich gegenüberzutreten.

Er haßt alle Szenen und fürchtet sich vor dem Schmollen und Grollen seiner erzürnten Göttin, er versucht mit, Liebe und Güte auf sie einzuwirken, und wird besiegt von der Klugheit Severas, deren geschmeidige Phantasie nie verlegen um Gründe ist und stets ein passendes Deckmäntelchen für all ihr Tun und Lassen findet.

Solchen Diplomatenkünsten ist Tempelburg nicht gewachsen, er bleibt ruhig und schrumpft mehr und mehr zum willenlosen Schatten neben seiner schönen, sonnigen Gemahlin zusammen.

Ethel ist auf Wunsch des Vaters stets zugegen gewesen, wenn die jungen Offiziere und die Familien der Nachbargüter in Laubsdorf dinierten, aber sie ist nicht die Persönlichkeit, um eine Rolle in der Gesellschaft zu spielen. Sehr still und schweigsam, von einer unüberwindlichen Scheu gegen die flotten, lebenslustigen Männer, weist sie in nie verletzender, aber unverkennbarer Weise alles zurück, was sich flirtend an sie heranwagen will.

Und ihr gegenüber verstummen die kühnen Worte und die kecken Blicke senken sich, als habe ein krankes Auge in klare, leuchtende Sonnenhelle geschaut.

Die »gute Partie« ist den Herren nicht gleichgültig, sie möchten sich wohl werbend um die Erbin von Laubsdorf bemühen, aber es liegt ein gewisses Etwas in Ethels Wesen, das die meisten Herren wenig anspricht und auch den ideal denkenden unter ihnen eine gewisse Reserve auferlegt.

Nach Tisch hat sich das junge Mädchen meist zurückgezogen, – oder wenn sie sich einer Promenade durch den Garten anschloß, so war es auf Manfreds Bitte.

Wenn es anging, schritten sie nebeneinander in die stille, rosendurchduftete Sommernacht hinaus, um sie her das laute Lachen, Scherzen und Schwatzen der animierten Gesellschaft, welches oft wie ein greller Mißakkord in den seligen Abend hineinklang.

So schweigsam Ethel zuvor gewesen, und so wenig redselig Manfred an der geschmückten Tafel gesessen, so lebhaft plauderten beide, wenn sie unbeobachtet und unvermißt durch die lauschigen Gartenwege dahinschritten.

Wie viel gemeinsame Interessen hatten sie, wie liebte das eine so sehr, was auch dem andern teuer war!

Und je mehr sie ihre Gedanken aussprachen, desto tiefer blickten sie einander in die Herzen und was sie darin schauten, war ihnen traut und sympathisch und beglückte sie. Seit Ankunft des gräflichen Ehepaares lag in Ethels Blick ein besonders warmes Leuchten, ein stiller Stolz, welcher sich mit Bewunderung mischte.

Sie hatte täglich das Kokettieren der Gräfin beobachtet, hatte es mit angesehen, wie die skrupellose Weltdame sich bemühte, den jungen Maler mit feinen Netzchen zu umstricken, und da die elegante Frau für Ethels naiven Sinn recht verführerisch schien, schlug ihr Herz desto höher, als Manfred auch nicht die mindeste Notiz von den Avancen der Französin nahm. Wie kalt musterte sein Blick die Gräfin, wenn sie auch noch so raffiniert kostbare und »berauschende« Kleider anlegte, dem Kunstsinn des Malers Rechnung zu tragen, und wie herzlich lachten seine Augen oft zu Ethel herüber, wie innig drückte er ihre Hand wie aufrichtig und vertraut plauderte er mit ihr!

Sie, das unscheinbare Wegekraut neben den prunkenden, königlichen Blumen!

Sie liebte das schlichte nicht nur an dem inneren sondern auch an dem äußeren Menschen und Severa hatte anfänglich etwas ironisch den Kopf geschüttelt, als sie die einfachen Mull- und Batistkleidchen der Stieftochter sah, und als sie eines Abends mit dem Grafen musizierte, wandte sich dieser voll Humor nach dem jungen Mädchen um und rezitierte die Worte eines Liedes:

»Die Lilie – wie eine Heilige,
Ganz in weiß, die geb' ich verloren –
Die Schönste von allen habe ich mir,
Die Königin Rose erkoren!«

Die letzteren Worte waren wieder an Severa gerichtet, und als Ethel sich errötend abwandte, trat Manfred neben sie.

»Die Rose trägt Dornen, welche grausam verletzen können, die heilige Lilie aber, kann nie verwunden, sondern nur beglücken!«

Er sagte es leise, mit weichem Klang in der Stimme und Ethel lächelte: »Wenn mein weißes Kleid derartig gute Dienste leistet, daß mich Männer wie Graf d'Auvergne auf den ersten Blick verloren geben, möchte ich es niemals ablegen!«

Da diese »simplen Fähnchen« nach Severas Begriffen so gut wie nichts kosteten, so war sie sehr »nachgiebig«, die seltsame Marotte der lieben Kleinen zu dulden, ja sie versicherte, daß gerade die anspruchslosesten Kleider die eigenartige »Madonnenanmut« in das beste Licht stellen und Ethel stets bemüht sein müsse, durch Originalität zu wirken, da es ja durch Schönheit leider nicht möglich sei!

Sie begriff es auch nicht, daß Manfred noch keinen Versuch gemacht hatte, Ethel als irgendeine Heilige zu malen, und daß er behauptete, dies werde ihm auch niemals in den Sinn kommen.

»Nun – zu welch einem Bild würdest du die Kleine eventuell als Modell verwerten können?« fragte sie in der kurzen, etwas gereizten Art, welche ihr seit der nächtlichen Begegnung auf dem Balkon mit dem Vetter eigen war.

Manfred zuckte die Achseln.

»Ich habe noch nicht darüber nachgedacht!«

»Nun, so denke jetzt einmal nach.«

»Porträt würde mir das sympathischste sein!«

»Das ist in diesem Fall ausgeschlossen, – deine Wahl des Motives soll gleicherzeit eine Charakteristik sein!«

Der junge Maler umfaßte Ethels Köpfchen mit langem Blick, ohne durch eine Miene zu verraten, welche Empfindungen dabei sein Herz bewegten.

Dann sagte er nach kurzer Pause: »Ich würde sie als Personifizierung einer Tugend oder sonst einer Allegorie auffassen!«

»Ah! und welch einer?« – Severa neigte den Kopf interessierter wie sonst vor und musterte ihre Stieftochter mit einem scharfen Blick.

»Sicherlich das schärfste Gegenteil von dem berühmten ›Studienkopf‹?« warf der Kammerherr etwas ironisch ein.

»Allerdings. Gerade das, was dem Studienkopf ewig fehlen wird, verkörpert Ethel!« Das klang sehr ruhig und nur objektiv geurteilt, und doch hob Severa jäh das Haupt und ihr Blick begegnete sekundenlang dem des Sprechers.

»Also gibt es doch etwas, was einem Meisterwerk wie dem Studienkopf fehlen kann?« lachte sie nervös. »Bitte, Farbe bekennen! Als was malst du Ethel?«

»Als Frieden

Wie feierlich das klang.

Die junge Frau starrte sprachlos geradeaus, Herr von Tempelburg aber fragte erstaunt: »Ich verstehe nicht ... was hat der Frieden mit Severa zu tun, lieber Vetter?«

»Nichts!«

Wieder traf sein ernster Blick das schöne, leicht erblassende Antlitz der Hausfrau, dann fuhr er in beinahe trockenem Ton fort: »Man muß nicht nur ein Gemälde nach Farbe und Pose auffassen, sondern muß tiefer blicken und das Rätsel zu lösen versuchen, welches uns jedes Menschenantlitz zu lösen gibt. Ich spreche jetzt nicht von Severa, sondern lediglich von dem Studienkopf und seiner Wirkung als Bild. – Ich stellte ein gekettetes Weib dar, welches voll glühender Leidenschaftlichkeit und Erbitterung die verhaßten Fesseln trägt. – Das ist meine Ansicht von dem Bild; was die Kritik zeitweise von einer ›Märtyrerin‹ faselt, ist Torheit, denn in den Augen des Studienkopfes spiegelt sich kein Himmel, sondern eine ganze Welt voll heißen Wünschens, voll Liebe, Haß, Sehnsucht und hohen Leidenschaften. – Und weil nur dies stürmische Begehren, das ungestüme Verlangen darin zum Ausdruck kommt, um jeden Preis die drückenden Ketten zu sprengen, so liegt dem Studienkopf nichts ferner, als ein seliger Frieden, welcher lächelnd die Hände den Schergen des Schicksals entgegenstreckt und sagt: ›Zum leben oder sterben, – wie Gott es will, ich bin bereit.‹«

Einen Augenblick herrschte tiefe Stille, dann brach ein lautes, etwas konvulsivisches Lachen von Severas Lippen.

»In der Tat, solch ein Opfermut stand wohl nicht in meinem Gesicht geschrieben, als ich dir Modell saß!« sagte sie sehr übermütig, »denn zum sterben war und bin ich noch nicht bereit, wenigstens möchte ich nicht an Hunger und Langeweile zu grunde gehen! Und Frieden? – Noch fehlt mir auch für ihn der rechte Begriff!« ein spöttischer Zug trat scharf um ihre Lippen. »Kampf und Frieden sind die schroffsten Gegensätze, welche sich denken lassen, aber die Weisen jeder Kampfesrichtung haben den Kampf stets ›Leben!‹ genannt, darum kann der Frieden kaum etwas anderes sein wie ein geistiger Tod. – Wunschlos, – freudlos, – leidenschaftslos, – ein bleiernes, traumhaftes Einerlei, welches mir furchtbar deucht! Nein, mit dem haben weder ich noch der Studienkopf etwas gemein und ich bin überzeugt, daß ich nie im Leben Sympathie dafür haben werde. Je toller es im Leben drunter und drüber geht, desto besser! Man muß sich ausleben! Dieses moderne Schlagwort unterschreibe ich aus vollster Überzeugung, denn Menschen, welche Rosen verblühen und Früchte verfaulen lassen, ohne sie zu pflücken, sind Narren!«

Ihr Blick blitzte wie in jäher Herausforderung zu Manfred hinüber, dieser aber stäubte lächelnd seine Zigarre ab und sagte unendlich ruhig:

»Wer sagt, daß Menschen, welche den Frieden im Herzen tragen, Rosen und Früchte verachten? Im Gegenteil, sie werden im genießen erlaubter Freuden ungleich mehr davon haben wie die Diebe, welche mit frevlen Händen alles von dem Lebensbaum abreißen, was sie erwischen können, welche in der Hast die Rosen entblättern, ehe sie ihren Duft geatmet und die Früchte kaum schmecken, weil sie übersättigt sind und bei allem Schwelgen doch immer die Faust im Nacken fühlen, welche sie aus dem verbotenen Paradies hinausstoßen wird!«

»Sehr recht, – ausgezeichnet!« nickte der Kammerherr, einen beinahe bewundernden Blick des Einverständnisses auf den Sprecher heftend, Severa aber zuckte ironisch die schönen Schultern.

»Du sprichst von Feiglingen! von Menschen, welche durch die Werte des Lebens angelockt werden und welche doch zu rückgratlos sind, um sich in ihren vollen Besitz zu setzen! Ein Dieb kann freilich nur stehlen und sich dabei fürchten, aber ein Held, welcher kämpft und siegt – ist der Herr alles dessen, was er dem Schicksal abgezwungen!«

»Durch brutale Gewalt oder listiges Erhaschen! – diese Begriffe verschwimmen bei hellem Sonnenlicht zu einem einzigen, und alle Schönfärberei durch Worte ändert nichts daran! Ob ich als Stärkerer dem Schwachen den Krieg erkläre und ihn ausplündere, mich zum Herrn über das Seine zu machen, oder ob ich nachts in meines Nächsten Haus schleiche und ihm sein Liebstes abwendig mache – die Wirkung bleibt dieselbe, ein Raub!«

»Sehr wahr, mein lieber Hoff! Sie sprechen mir ganz aus der Seele!« stimmte Tempelburg eifrig zu, Graf d'Auvergne aber verhielt sich nach wie vor sehr schweigsam, kniff die Augen zusammen und rauchte Ringel, nur manchmal streifte sein Blick das sich immer lebhafter rötende Gesicht der schönen Hausfrau und er zuckte etwas ungeduldig die Achseln, als wolle er sagen: » Mon Dieu, so laß ihn doch schwatzen!«

Severa aber sah und hörte nicht, mit immer gereizter sprühendem Blick richtete sie sich empor und warf das Haupt in den Nacken.

»Wenn man allerdings nur das Seziermesser verknöcherter Moral ansetzen will – was bleibt dann noch von Leben, Liebe und Poesie? – Als man die Ehebrecherin vor die Pharisäer schleppte, schrien sie: ›Steinigt die Sünderin! Sie war eine Diebin und hat an verbotenen Früchten genascht!‹ – Der Gott der Liebe aber, welcher weiß, daß die Liebe stärker ist wie der Mensch, sprach sie um dieser Liebe willen frei! – – Die pharisäischen Richter verdammen auch heutzutage noch, was sie nur mit dem Verstand, aber nicht mit dem Herzen beurteilen, und manch süßer Liebestraum voll hinreißender Poesie wird vor dem Gesetze ›ein brutaler Raub!‹ und manche Rose wird von den Dornen erstickt, weil sie nicht auch als starrer, scharfer, duftloser Dorn geboren wurde!«

»Bravo! – Ganz scharmant!« nickte der Vicomte und hob huldigend sein Bowlenglas, – der Kammerherr aber schüttelte ärgerlich den Kopf und in Manfreds Stirn grub sich eine Falte.

»Es wäre schlimm um unsere Nation und Religion bestellt, wenn jedes leichtfertige Weib glaubte, ungehindert sündigen zu dürfen, weil der Gott der Liebe ehemals eine aufrichtige Büßerin begnadigte! – Nicht für die lebenslustigen Ehebrecherinnen und Dirnen, welche auf dem breiten Weg sich amüsieren wollen, ist solch ein heiliges Gleichnis geschrieben, sondern für die zerschlagenen und zerrissenen Herzen, welche reumütig in den schmalen Weg einlenken möchten und von unbarmherzigen Splitterrichtern daran gehindert werden! Das ist ein gewaltiger Unterschied! Unsere modernen Richter dürften in vielen Fällen sehr viel milder und nachsichtiger urteilen, wie der heilige Gott in seinem gerechten Zorn, in dessen Schuldbuch auch nicht ein Tüpfelchen gestrichen wird, welches nicht von heißen Bußtränen benetzt wurde! Man braucht nur in Frankreich die Prozesse frivoler Sünderinnen zu verfolgen, um zu sehen, wie tolerant man heutzutage geworden ist!«

»Gott sei Dank, daß man so aufgeklärt ist!« lachte der Vicomte mit tausend Fältchen um die Augenwinkel. »Man hat endlich eingesehen, wieviel Rechte der Mensch daran zu stellen hat, ohne sich die kurze Spanne Zeit durch törichte Klauseln und selbstgeschaffene Gesetze verkümmern zu lassen! Je energischer man mit diesem alten Zopf aufräumt, den Ballast knechtender Moral über Bord wirft und die vollen Menschenrechte proklamiert, je glücklicher und genußfreudiger wird sich die kommende Generation entwickeln!«

»Wahrlich?«

»Ohne Zweifel!«

»Und hat man dies nicht schon während der großen Revolution versucht, eine Dirne auf den Altar gesetzt, getan und erlaubt, was gefiel – und doch kläglich Fiasko damit gemacht?«

»Es war verfrüht! – Jede Frucht kann nur zu ihrer Jahreszeit gedeihen!« rief Severa eifrig dazwischen. »Und zur Zeit der großen Revolution war der Boden noch lange nicht genug vorbereitet, um eine derart gewaltige Saat reifen zu lassen! Jetzt ist es anders geworden! – Freie Forschung – freie Lehre – freie Liebe! Diese drei Reislein haben bereits kräftige Wurzeln geschlagen und wie lange wird es noch dauern, so sind sie zu mächtigen Stämmen herangewachsen, in deren Schatten die Nationen in ungestörtem Frieden leben und ihr Dasein genießen werden!

»Leben werden sie! Vielleicht auch nach dem Programm des Faustrechts ihr versumpftes und sittenloses Leben genießen – aber Frieden? – nein, Severa, den Frieden werden sie unter den vergifteten Blüten und Früchten dieser Bäume niemals finden! Gerade er wird das einzige sein, was den aufgeklärten Nationen fehlt, und diejenigen, welche schon jetzt die Lehren der falschen Freiheitsapostel zu den ihren machen, werden es erfahren, daß ich mit dieser Überzeugung recht habe!«

Wieder lachte sie ironisch auf. »Ich gehöre vielleicht zu jenen Fortschrittlerinnen!« spottete sie, »aber bis jetzt habe ich noch keine schlaflose Nacht kennen gelernt!«

Manfreds Blick traf sie so fest und durchdringend, daß die Sprecherin wie in jähem Unbehagen, gleich einem Menschen, welcher bei einer Lüge ertappt wird, die Wimpern senkte.

»Wenn noch nicht heute oder morgen, so doch sicher später, je mehr und rücksichtsloser du dich in die Freiheitslehren des zwanzigsten Jahrhunderts verstrickst! – Vielleicht sprechen wir uns später noch einmal wieder!«

Wie ein trotziges Kind warf sie das schöne Haupt in den Nacken und lachte abermals ihr kurzes, nervöses Lachen.

»Gut! Vielleicht gehen wir eine Wette ein, falls dich dieser frivole Gedanken nicht allzusehr entrüstet! Vorläufig male Klein-Ethel als ›Frieden‹, damit doch wenigstens noch eine Kopie dieses ewig Verlorenen auf der sündhaften Welt zurückbleibt! Und nun laßt uns bitte dieses abscheuliche Thema wechseln, ich glaube, es fällt uns allen auf die Nerven und selbst der schönen Erdbeerbowle wird es warm dabei! – Laß neues Eis besorgen, Otto, und schenk ein! Warum sollen wir schon vor der Zeit verschmachten? – Noch ist ja die blühende, goldene Zeit, noch sind die Tage der Rosen!«

Sie hatte ihre Hand auf die Rechte des Gatten gelegt und umschloß sie heimlich und von den andern unbemerkt mit zärtlichem Druck, das ging wie ein elektrischer Strom durch die Adern des nachdenklichen Mannes.

Er schaute lachend auf und nickte seiner schönen Frau zu.

Seine Stimmungen wechselten so schnell, er war so leicht besorgt – aber auch so leicht, durch einen Blick, durch einen Händedruck wieder beruhigt.

Er weiß, daß Severa gerne debattiert, – sie hat dem Vetter nicht aus Überzeugung, sondern lediglich aus Vergnügen am Disput widersprochen, das gibt ihm all seine Laune wieder.

Die Gräfin, welche einen eiligen Brief geschrieben, erscheint auch wieder in der kleinen Runde, – Ethel erhebt sich und bietet ihr mit stummer Bewegung den Sessel an. Sie hat sich nicht an dem Gespräch beteiligt, aber Manfred hat in ihren großen, glänzenden Augen noch mehr denn sonst gelesen.


 << zurück weiter >>