Otto Ernst
Ortrun und Ilsebill
Otto Ernst

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Fünfter Aufzug.

Die Landschaft ist dieselbe wie im 1. und 3. Akte; aber rechts erblickt man bei größerer Helle ein Stück eines päpstlichen Palastes nach Art des Vatikans. Vorläufig ist dieser Teil der Szene noch in vollkommenes Dunkel gehüllt. Über dem Meere liegt erste Morgendämmerung. Ortrun, Irmeland und Ubbe kommen langsam in ihrem Schiffe gefahren.

1. Szene.

Ortrun. Irmeland. Lutz. Ubbe.

Ortrun (noch hinter der Szene).
Heia, ich seh die Küste, seh den Strand!
Und hier der Stein! (das Boot erscheint auf der Szene.)

Lutz (refft die Segel).

Ortrun.                           Doch wo ist denn –? – – Wie seltsam:
Ich weiß ja doch; verschwunden ist die Tonne,
Und dennoch sucht' ich sie. Was ragt so finster
Dort auf?

Irmeland.       Das ist der päpstliche Palast,
Wo Seine Heiligkeit Papst Innocenzia,
Vorzeiten Ilsebill, zu residieren
Geruh'n.

Ortrun.         O je! Wie wird sie mich empfangen?

Irmeland (lachend). Sie mag sich fragen, wie man sie empfängt!

Lutz (ist ans Land gesprungen und zieht das Boot heran. Dann reicht er Ubbe die Hand).
Nun spring! Ho hopp! – Du bist ein fixer Kerl!

Ubbe. Och, ich kann noch viel weiter springen.

Lutz.                                                                 So!

Ortrun (springt ans Land und kniet nieder).
O du geliebte Erde, lieber Strand,
Hab ich dich wieder? Treuer, sichrer Strand!
Du lieber Sand, du alter Spielgefährte,
Mit dem ich mich gebalgt, gewälzt, gewühlt;
In deine weiche, sommerwarme Flut
Grub ich, wie oft, die sonnenfrohen Glieder!
Wie oft ließ ich durch meine Hand dich rinnen,
Daß deine Körnlein in der Sonne blitzten
Wie goldner Regen! Haus und Turm und Garten
Baut ich aus dir und jauchzte, wenn sie standen,
Und jauchzte, wenn die Flut sie überrann.
Hier, lieber Freund, hier war's – haha! – ich war
Wohl kaum zwei Jahr – da lief ich stracks ins Meer
Und wollt von drüben mir die Sonne holen;
Sie winkte mir und lachte gar zu schön!

Irmeland. Und blieb sie ungerührt am Himmel steh'n,
So hat bei allem Lachen sie kein Herz;
Sonst wäre sie entgegen dir gekommen.

Ortrun (lachend). Nein nein, das tat sie nicht! doch wär' ich bald
Ertrunken, hätte mich der Vater nicht
Beim Röcklein noch erwischt. Ach Gott, mein Vater!
Es treibt mich, ihn zu seh'n!

Irmeland.                                   Still! – Ein Geräusch!
Ich möchte nicht, daß sie uns gleich bemerken!
Wenn du's erlaubst, ersteigen wir die Klippe
Und schau'n von dort ein Weilchen, wie sie's treiben.
Willst du's vergönnen und ein wenig nur
Dich noch gedulden.

Ortrun.                           Was du willst, will ich.

Irmeland. Lutz, spring voraus, und nimm das Bürschlein mit!
Wir folgen gleich.

Lutz und Ubbe (ersteigen die Klippe).

Irmeland.                     Nur einen Augenblick
Mit dir allein! In fremder Gegenwart
Kann all mein Glück nicht seine Flügel dehnen,
Gleich dem gefangnen Vogel, dem der Käfig
Der Schwingen fröhliche Entfaltung wehrt.
Nun breit' es seinen Fittig um uns beide,
Und bist du glücklich, küsse Glück das Glück.
        (Er küßt sie.)
Sprich, schaudert's dich wohl noch, den Prinzen Fisch
Zu küssen?

Ortrun.             Ja, es schaudert mich. Dein Kuß
Brennt bis ins Herz.

Irmeland.                       O Schelmin, und der deine
Glaubst du, er brennte minder? Sieh, dein Kuß
Ist wie ein Trunk aus klarer Waldesquelle,
Der kühl erquickend Seel und Leib durchrinnt
Und jählings in geheimnisvoller Wandlung
Den letzten Tropfen Bluts in Wallung bringt.

Ortrun. O könnt' ich sagen, wie ich glücklich bin!

Irmeland. Nein, sag es nicht und woll' es niemals sagen!
Was ausgesprochen ist, das ist verblüht.
Das Wort ist Frucht; Frucht aber ist Erfüllung
Und Ende. Glück, das glaub mir, ist ein Elf,
Den lautes Licht verscheucht. Nachtwandler ist
Das Glück: durch Mondesnebel schwebt es
Auf schmaler Zinne träumend überm Abgrund,
Doch vor des Wachen heller Stimm' erschrickt es
Und stürzt und bricht den Hals. Nein, halt das Glück
Im tiefsten Grunde deines Herzens fest,
Dann wird es ewiglebend dich durchströmen,
Wird deinen Leib wie Glorienschein umkränzen,
Wie Sommerhauch durch deine Worte wehen
Und wie Musik in deinem Gange sein. –
Sieh, süßes Lieb, die Sonne tritt hervor.

(Sie ersteigen gleichfalls die Klippe und entschwinden dem Blick.)

2. Szene.

(Der rechte Teil der Szene erhellt sich bei aufgehender Sonne mehr und mehr, und man erkennt eine Art Veranda des päpstlichen Palastes. In einem großen zweischläfrigen Bett liegen Ilsebill und Munk, jene mit der Tiara auf dem Kopfe und wachend. Am Fußende des Bettes hängt Munks Hose.)

Munk. Ilsebill.

Ilsebill (wirft sich wiederholt schlaflos herum).

Munk (schnarcht).

Ilsebill (richtet sich auf und stützt den Kopf in beide Hände). Was kann ich noch werden – was kann ich noch werden –! Was gibt es nu noch – das muß ja doch noch was geben – das muß ja doch noch was geben. – (Sie wiegt den Kopf hin und her und wirft sich dann wieder zurück, daß die Bettstelle kracht).

Munk (schnarcht).

Ilsebill (richtet sich wieder auf und guckt in die Sonne). Was kann ich nu man bloß noch werden – was kann und kann ich nu noch werden. Ich muß ja doch noch was werden – ich kann hier doch nich mein Lebenlang als Papst 'rumsitzen – das kann mir doch kein Mensch zumuten. Das tu ich auch nich, Papst bleib ich nich, un wenn's mit 'm Deubel zugeht. – (Sie wirft sich wieder zurück, um sich bald darauf wieder zu erheben.) Ich find nix un find nix. Gott, is das 'n Elend! Warum muß es nu grade mir so schlech geh'n! (Sie blickt wieder in die Sonne: ihr Gesicht nimmt einen immer starreren Ausdruck an.)

Ha!! – Munk, steh flink mal auf und geh mal schleunigst hin
Zum Butt. Ich will nu auch die Sonne un den Mond
Aufgeh'n un untergehen lassen. Du! Steh auf!
Man 'n bischen fix, ich will nich warten! Du!
Man zu!!

Munk. Wer – wie – wieso? – – Was? – Ach so. (Legt sich wieder hin.)

Ilsebill. Du du! Was fällt dir ein, du legs dich wieder hin?

Munk (richtet sich wieder auf).

Ilsebill. Ja, aufstehn solls du, aufstehn, ja, du Murmeltier,
Du solls zum Butt un solls ihm sagen, daß ich jetz
Die Sonne un den Mond aufgehen lassen will
Un lauter solche Sachen. Komms du nu bald raus?

Munk (ist weit von ihr weg an den Rand des Bettes gerückt und starrt sie mit einem unerhört dummen Gesichte an). Ach so – entschuldige, mein Deern, ich – was – has du – has du was gesagt?

Ilsebill. Herrgott, is das 'n Vieh. Ich sag, du solls zum Butt
Hingeh'n un solls ihm sagen, daß ich nu kein Paps
Mehr sein mag, daß ich nu die Sonne un den Mond
Aufgehen lassen will –

Munk (fällt aus dem Bett). Nu is sie verrückt.

Ilsebill. Was sags du da?

Munk. Nu is sie ganz verrückt.

Ilsebill Soll ich dich nu ers Beine machen, alter Freund?

Munk (mit Ruhe und Ergebenheit). O Ilsebill, nu bis du also verrückt.

Ilsebill. Was bin ich? Sag mir so was noch 'n einz'ges Mal,
Mein Junge, dann verfluch ich dich sofort. Als Papst
Kann ich dich durch un durch verfluchen – Gott sei dank.

Munk. Ilsebill – Ilsebill – du wills die Sonne un den Mond aufgehn lassen?

Ilsebill. Djäwoll, auch die Sterne.

Munk. Ilsebill, das kann doch bloß der liebe Gott!

Ilsebill. Na ja??!!

Munk. Denn wills du also werden wie der liebe Gott?

Ilsebill. Djä, warum denn nich? Meins du, ich kann nich ebenso gut die Sonne aufgehen lassen? Vielleich noch 'n bischen besser. Ich lass sie überhaupt nich wieder untergehn.

Munk. Un denn wills du Vögel un Fische un Menschen machen un all solche Kramstücken, un wills die ganse Welt regieren?

Ilsebill. (springt aus dem Bett)
Jaa jaa, das will ich, Huch! das will ich. Ja. Man flink!
Nu man bloß flink! In fünf Minuten bin ich Gott,
Sonst hat's geschnappt.

Munk. Ach ja, geschnappt hat es jetzt schon. (Sehr freundlich) Nu hör mal, mein Deern, leg dich wieder ins Bett, du bis krank. Soll ich dir 'n kalten Umschlag machen, oder 'ne heiße Kruke?

Ilsebill (in halb blödsinniger Freude vor sich hin): Nu will ich wie der liebe Gott werden – nu werd' ich wie der liebe Gott – o Gott o Gott o Gott –

Munk. Soll ich den Dokter holen, Ilsebill, soll er dich zur Ader lassen?

Ilsebill. Ich werd' wie der liebe Gott – ich werd' wie der – (starrt ihren Mann an) Was, bis du noch hier?

Munk. Ilsebill, mein arme Deern, nu sei doch vernünftig, du bis ja krank –

Ilsebill (sich aufreckend). Ich will werden wie der liebe Gott, has du das verstanden?

Munk. Sie geht nich davon ab. – Ilsebill, das is ja doch Unsinn. Sieh mal, Gott kann woll 'n Butt machen; aber 'n Butt kann doch kein'n Gott machen! Sieh mal (er trocknet sich den Schweiß ab) Sieh mal: Kaiser un Paps, das kann der Butt machen, das 's ja keine Kuns; aber Gott – (die Szene hat sich nach und nach verfinstert; es stürmt und donnert.)

Ilsebill (gerät in Raserei). Huuuch – ich halt es nich mehr aus, ich halt es nicht mehr aus! Wenn du nich auf der Stelle hingehs – ich will werden wie der liebe Gott, ich will werden wie der liebe Gott, sons bring ich mich um (sie wirft die Tiara von sich und zerreißt ihr Nachtgewand.)

Munk. Is gut – is gut – ich geh ja schon – ich geh ja hin –! Wer weiß, wozu 's gut is –

(Er geht an den Strand und ruft unter Sturm und Gewitter mit größter Anstrengung):

        Mantje Mantje Timpe Tee – – – – – e,
        Buttje Buttje in de See – – – – – e,
        Mine Fru, de Ilsebill,
        Will nich so as ick wull wi – – – – – ll.

Irmeland (ruft von der Klippe): Wat will se denn?

Munk (sieht sich erst verwundert um, sieht aber Irmeland nicht und sagt dann): Sie will werden wie der liebe Gott!

(Furchtbarer Donnerschlag und Sturmgeheul. Die Szene verfinstert sich vollkommen, und als sie sich wieder erhellt, erblickt man die Szenerie vom Anfang des Stückes. Munk und Ilsebill sitzen platt auf dem Boden, mit dem Gesicht nach der Heringstonne.)

3. Szene.

Munk. Ilsebill. Dann Ortrun, Irmeland, Ubbe.

Munk und Ilsebill (sitzen anfangs schweigend und in vollständigster Verblüffung da. Dann muß)

Munk (lachen, erst kurz und halb unbewußt, dann etwas länger und bewußter, und endlich löst sich seine Spannung in einem ungeheuren, elementaren Gelächter).

Ilsebill (sitzt noch immer entgeistert da).

Munk (verlegen und gutmütig). Djä – mein Deern – sieh mal, du muß mir das nich übelnehmen: ich muß schrecklich lachen, wenn ich – hahahahahahaha – na, is ja gut – sieh mal, du tus mir ja leid – ich kann mir das ja denken, daß dir das unangenehm is – aber nu kuck mal, wir haben doch früher auch nich mehr gehabt, un zu Anfang, ich mein: gans zu Anfang, da bis du doch auch zufrieden damit gewesen. Du muß blos nich an das andere denken, denn solls du mal sehn, mein Deern, denn wird das noch gans gemütlich. Ich wollt man bloß, wir hätten unse Göhrn wieder, denn sollts du mal sehn, denn wollten wir herrlich un in Freuden leben. Na, nu komm man, Altsche (er bemüht sich, sie emporzuziehen, was ihm auch nach vieler Mühe gelingt), nu sei man nich so verbast, un komm man mit rein, da machen wir uns 'n steifen Grog – wenn der Rumbuddel noch da is, heißt das – un denn legs du dich – (Sie sind bis vor die Heringstonne gekommen, als Ortrun über die untere Halbtür hervorlugt.)

Ortrun. Kuckuck! Ich wünsche guten Morgen!

Munk. Nee – – Nee! – Ortr–! Ortrun! (Er läßt Ilsebill los, die wieder teilnahmslos auf einen Stein niedersinkt).

Ortrun (stürmt heraus und fliegt ihm an den Hals.)

Munk (wiegt sie in den Armen und bedeckt sie mit Küssen). Mein Snutjeputje, mein Deern, mein Hötjepötje, mein Knudelpudel. Deern, wo komms du denn her, wo komms du denn bloß her! Wo is denn Ubbe? Wo is denn der Junge?

Ubbe (kommt aus der Tonne gesprungen). Ich bin all hier!

Munk (fängt ihn in den Armen auf). Hurraaaaah, da is ja mein Junge, da is ja mein Junge!

Ilsebill (verbirgt das Gesicht in den Händen.)

Munk (halblaut). Kinder, geht mal zu Mutter, sie is gans aus Rand un Band –

Ortrun (nimmt Ubbe an die Hand.) Komm, Ubbe!

Ubbe (reißt sich los, schreiend): Nein, nein, ich bin bange!

Munk. Na Jung –!

Ortrun. Nun, Mutter? Guten Tag.

Ilsebill (ohne aufzublicken). Was wills du hier? Wir haben nix.
Wir haben nix! (Aufheulend und sich die Haare raufend.)
Wir haben garnix, garnix mehr!

Munk. Na laß sie man, laß sie sich man erst 'n bischen verpusten. – Junge, Junge, Kinners, nu wirds fein, habt ihr schon geseh'n: unsre Tonne haben wir auch wieder, nu wirds großartig. Aber – sagt mal Kinners, ihr seid ja so fein angezogen – was is denn – wie seid ihr denn losgekommen – hat der Meermann euch laufen lassen?

Ortrun. Nein nein, er läßt uns nicht! Er hält uns fester
Denn je! Ich hab als Braut mich ihm verlobt,
Und bald werd' ich sein Weib!

Ilsebill (horcht auf).

Munk (überrascht und traurig). Ja – jaaaa? Sooo, so. Na ja – na ja, mein Kind, das is ja – am Ende – Geschmackssache – man kann sich ja an alles gewöhnen –

Ortrun (lacht). O ja, ich glaub, ich werde mich gewöhnen,
Und du wirst's auch, wenn du ihn nur erst siehst –
        (Sie zeigt nach der Tonne, aus der Prinz Irmeland heraufsteigt.)

Munk. Wa – wa – wer is – wer is das?

Irmeland (jubelnd). Das ist der Buttje Mantje Timpe Tee!
Und willst du ihn beim rechten Namen nennen,
So ist's Prinz Irmeland, des Königs Irmbald
Von Nordland Sohn. Ich wette, alter Freund,
Du kennst den Butt, den du so oft gerufen,
Nicht wieder.

Munk. Nee – Herr – nee, das muß ich sagen – wie' n Butt sehn Sie nich aus –

Irmeland (stürmisch, indem er Ortrun umfängt).
Und ist dir's recht, und willst du sie mir geben?

Munk. Djä, mein Junge – so was behält man ja lieber selbs – nich wahr? aber was bleibt mir schließlich andres übrig –

Irmeland. Dank, dank, du guter Mann – mein Vater jetzt!

Ilsebill. Ach, Herr Schwiergersohn, ich wollte man sagen: ich geb auch meine Einwilligung!

Irmeland (lächelnd). Ists möglich?

Ilsebill. Ja, un denn wollt ich noch sagen: ich hab mir das anders überlegt: mit Papst bin ich jetz' zufrieden.

Irmeland. Man denke nur: mit »Papst« ist sie zufrieden!
Du wirst, vieledle und erhabne Frau,
Wohl auch mit Mindrem dich bescheiden müssen.
Die Heringstonne bleibe dein Palast,
Doch sie gehört dir künftig auch allein!
Dies Kind (Ubbe umfassend) nehm ich mit mir – wofern es will.
Willst du mit Ortrun gehn und mir?

Ubbe. Fährst du ganz, ganz weit weg?

Irmeland. Das tu ich, freilich.

Ubbe. Un geht Ortrun auch mit?

Ortrun. Ich denke doch!

Ubbe. Ja, denn geh' ich mit euch.

Munk. Ubbe, du wills von mir weggehn?

Irmeland. O nicht doch, lieber Vater, du auch gehst
Mit uns – wir bitten's dich von ganzem Herzen,
Und was du wünschen, was du hoffen magst,
Wir wollen's dir erfüllen, eh du sprichst.

Ortrun (zu Irmeland). Jedoch die Mutter, Freund –

Munk. Laß nur, mein Deern, ich bleibe hier.

Irmeland. Du willst nicht –

Munk. Nee nee, mein Junge, das is nix für mich. So'n altes Boot wie ich geht nich mehr auf hohe See, das is höchstens noch an der Küste zu brauchen.

Irmeland (auf Ilsebill zeigend).
Und willst mit ihr auch fernerhin dein Leben –

Munk. Dscho, ich bin ja nu einmal an sie gewöhnt, nich? – Ich kann sie hier ja doch auch nich so ganz allein lassen! Noch dazu jetz!

Irmeland. Ehrwürdger Alter – du beschämst mich tief.
Ein König möchte dir die Krone neiden,
Die unbewußt dein grauer Scheitel trägt. –
Doch will ich Männer senden, die ein Haus,
Ein stattlich-schönes dir erbauen sollen –

Munk. Danke, danke – meine Tonne genügt vollkommen.

Ilsebill. Aber ich – ich – wenn ich bitten darf – ich möchte wohl –

Irmeland (heiter). Nun wohl! In eines Jahres Frist seht ihr uns wieder.
Wenn dann dein Herr – verstehst du wohl: dein Herr –
Du solltest ihm die Füße küssen, Weib;
Denn er ist Herr von Gottes reinster Gnade, –
Wenn dann dein Herr uns deine Sanftmut rühmt
Und wenn du dann mit innerstem Gefühl,
Mit heitrem Lächeln, ohn' Gesichterschneiden
Das Lied »Zufriedenheit ist mein Vergnügen«
Vom Anfang bis zum Ende singen kannst –
Dann sollen Haus und Garten neu dir glänzen,
Wie du sie einst an diesem Ort geseh'n.

Munk. Hahahaha – na, Ilsebill, denn üb' man tüchtig!

Irmeland. Und nun gehabt euch wohl!

Ortrun und Ubbe (umarmen den Vater aufs zärtlichste).

Munk (schiebt sie dann Ilsebill zu, leise). Sagt ihr auch Adieu.

Ortrun. Mutter, leb wohl.

Ilsebill (ohne sie anzusehen, ihre Hand reichend). Adieu.

Ubbe (schüchtern). Adieu.

Ilsebill (hält seine Hand und spricht rauh): Wills du nich hier bleiben?

Ubbe (reißt sich schnell los). Nein! (und läuft zu Ortrun).

Irmeland. Nach einem Jahr sollst du ihn wieder fragen,
Vielleicht steht seine Antwort dann bei dir!
Vorwärts an Bord!

Lutz (der inzwischen das Schiff zur Fahrt bereitet hat).
Mein Prinz! Um Gotteswillen: Siehst du's auch?
Mein Prinz, sieh dorthin – was – was siehst du dort?

(Rungholt ist in der halbklaren Beleuchtung einer Vision aus der Meerflut aufgestiegen. Man sieht den Marktplatz mit Kirche, Brunnen und Rathaus, dahinter Dächer und Türme.)

Irmeland. Allmächt'ger Gott – das ist ja Rungholt – Rungholt!
Und lockender und zaubrischer denn je!
O bindet mich mit Stricken an den Mast
Wie jenen Mann, dem die Sirenen sangen!
Ich will nicht hinseh'n – will nicht – Ortrun, laß
An deiner Brust mich bergen mein Gesicht,
Daß ich dem Zauber nicht aufs neu erliege.
Du bist mir Rungholt, sollst mir Rungholt sein,
Und nur aus Deines Herzens Fluten steige
Mir meiner Sehnsucht Sonnenstadt empor!

Ortrun (leise). Und willst du nicht die tote Stadt erlösen?
Ich sah sie jüngst, da sie vom Schlaf erwachte,
Und eine Stimme rief aus Leidenstiefen
Mich an: »Erlöse, Mägdlein, ach erlöse!«
So lang ich lebe, wird in meinem Ohr
Die Sehnsucht dieser Stimme nicht vergehn.
Und noch ein andres Wort sprach jene Stimme,
Horch, welch ein Wort – vergessen könnt' ich's nie:
        »Liebe, die des Todes Blick bestand,
        Hebt aus dunkler Flut versunknes Land.«
Wie göttliche Verheißung klang dies Wort
Und brach hervor aus Schmerzen, die nicht lügen.
Willst du ein tausendjährig Elend lösen,
So will ich wohl mit dir den Tod bestehn.

Irmeland. Ortrun! – Ortrun! Dein Wort ist Gottesatem,
Und höh'res Leben wird durch ihn der Tod.
Sieh, dürft' ich Rungholts Zauber nicht versuchen,
Verwelken müßt' ich einst am Durst nach ihm!
Nun hin zum Land, wo die Sirene singt,
Du hast Gewalt, die jeden Trug bezwingt.

Lutz. Mein Prinz, mein Prinz, was willst du tun, mein Prinz?
Hast du der langen Jahre Not vergessen?

Irmeland. Hast du die Stern' am Himmel je geseh'n?
Blieb Stern nicht Stern, ob ihn auch Nacht umdrang?
Lenk unser Schiff, wie' s ihre Lieb gebeut,
Nie werd ich König oder werd' es heut!

(Eine leise Musik hebt an; das Schiff treibt dem Strande Rungholts zu. Sobald das Boot den Strand berührt, erglänzt die Stadt im vollen, klaren Glanze der Wirklichkeit. Irmeland und Ortrun steigen ans Land, und die ganze Stadt erwacht; aus den Fenstern schauen lächelnde Bewohner, und aus Gassen und Türen kommen Bürger und Bürgerinnen geströmt, die alle das landende Paar mit Blumen überschütten; aus dem Rathause kommt der Rat der Stadt, und als der Oberste des Rates auf einem Kissen Szepter und Krone knieend darreicht, kniet das ganze Volk der Stadt. Ein melodisches Glockengeläute mischt sich in die Musik.)

Munk (ist unwillkürlich in die Knie gesunken und hat unbewußt die Hände gefaltet).

Ilsebill (stützt beide Hände auf die Knie und starrt in den Glanz der erwachten Stadt. – Indem die Musik wie ein Traum verklingt, fällt langsam der Vorhang).


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