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Nachdem die Frankfurter Nationalversammlung den König von Preußen zum Kaiser von Deutschland (minus Österreich) erkoren, sandte sie eine Abordnung nach Berlin, um ihm die Krone anzubieten, und vertagte sich dann. Am 3.April empfing Friedrich Wilhelm die Abgeordneten. Er erklärte ihnen, daß er zwar das Recht des Vorrangs vor allen anderen Fürsten Deutschlands, den ihm der Beschluß der Volksvertreter verliehen, anerkenne, daß er aber die Kaiserkrone nicht anzunehmen vermöge, solange er nicht sicher sei, ob seine Oberhoheit und die Reichsverfassung, die ihm jene Rechte übertrage, von den übrigen Fürsten anerkannt würden. Es sei Sache der deutschen Regierungen, fügte er hinzu, zu prüfen, ob diese Verfassung von ihnen gutgeheißen werden könne. Auf jeden Fall, schloß er, ob Kaiser oder nicht, werde man ihn immer bereit finden, sein Schwert gegen jeden äußeren und inneren Feind zu ziehen. Wir werden bald sehen, wie er dieses Versprechen in einer Art und Weise hielt, die die Nationalversammlung einigermaßen verblüffte.
Die Frankfurter Neunmalweisen kamen nach tiefgründiger diplomatischer Untersuchung zu guter letzt zu dem Schluß, diese Antwort komme einer Ablehnung der Krone gleich. Sie beschlossen daher (am 12.April), die Reichsverfassung sei Landesgesetz und müsse aufrechterhalten werden; und da sie sich gar keinen Rat wußten, wählten sie einen Dreißigerausschuß, der einen Vorschlag ausarbeiten sollte, wie die Verfassung durchgeführt werden könnte.
Dieser Beschluß löste den Konflikt aus, der jetzt zwischen der Frankfurter Versammlung und den deutschen Regierungen ausbrach.
Die Bourgeoisie und namentlich das Kleinbürgertum hatten sich ganz plötzlich für die neue Frankfurter Verfassung erklärt. Sie konnten den Augenblick nicht mehr erwarten, der »die Revolution abschließen« sollte. In Österreich und Preußen war die Revolution vorläufig durch das Eingreifen der bewaffneten Macht zum Abschluß gelangt. Die erwähnten Klassen hätten eine weniger gewaltsame Methode der Durchführung dieser Operation vorgezogen, aber es blieb ihnen keine andere Wahl; die Sache war geschehen, und sie mußten sich damit zufrieden geben, ein Entschluß, den sie sogleich faßten und höchst heroisch durchführten. In den kleineren Staaten, wo die Dinge verhältnismäßig glatt vor sich gegangen waren, waren diese Klassen längst in jene äußerlich blendende, aber ergebnislose, weil machtlose parlamentarische Agitation zurückgefallen, die ihrem Wesen so trefflich entsprach. Betrachtete man also die verschiedenen deutschen Staaten jeden für sich, so schienen sie die neue, endgültige Form erlangt zu haben, von der man annahm, sie werde fortan das Einlenken in den Pfad friedlicher konstitutioneller Entwicklung ermöglichen. Nur eine Frage war offen geblieben, die Frage der neuen politischen Organisation des deutschen Bundes. Und die Lösung dieser Frage, der einzigen, die noch Gefahren zu bergen schien, hielt man für unverzüglich notwendig. Daher der Druck, den die Bourgeoisie auf die Frankfurter Versammlung ausübte, um sie zu bewegen, die Verfassung so schnell wie möglich fertigzustellen; daher die Entschlossenheit der oberen wie der unteren Schichten der Bourgeoisie, diese Verfassung, ob gut oder schlecht, anzunehmen und für sie einzutreten, um unverzüglich geordnete Zustände zu schaffen. Von allem Anfang an also entsprach die Agitation für die Reichsverfassung reaktionären Gefühlen und ging von jenen Klassen aus, die der Revolution seit langem überdrüssig waren.
Die Sache hatte aber noch eine andere Seite. Die ersten, grundlegenden Prinzipien der künftigen deutschen Verfassung waren in den ersten Monaten des Frühjahrs und Sommers 1848 beschlossen worden, zu einer Zeit, als die Volksbewegung noch in vollem Gange war. Die zu jener Zeit gefaßten Beschlüsse, die damals freilich ganz reaktionär waren, erschienen jetzt, nach den Willkürakten der österreichischen und preußischen Regierung, außerordentlich liberal, ja demokratisch. Der Vergleichsmaßstab war ein anderer geworden. Die Frankfurter Versammlung konnte, ohne moralisch Selbstmord zu begehen, diese einmal beschlossenen Bestimmungen nicht streichen und die Reichsverfassung nach dem Muster jener Verfassungen gestalten, die die Regierungen Österreichs und Preußens mit dem Schwert in der Hand diktiert hatten. Überdies hatte sich, wie wir gesehen, die Mehrheit in der Nationalversammlung verschoben, und der Einfluß der liberalen und demokratischen Partei war im Ansteigen. Die Reichsverfassung zeichnete sich also nicht nur dadurch aus, daß sich ihr Ursprung ausschließlich vom Volke herleitete, sondern sie war auch bei all ihren Widersprüchen gleichzeitig noch die liberalste Verfassung in ganz Deutschland. Ihr größter Fehler war, daß sie bloß ein Stück Papier war, ohne jede Macht, ihren Bestimmungen Geltung zu verschaffen.
Unter diesen Umständen war es ganz natürlich, daß die sogenannte demokratische Partei, daß heißt die Klasse des Kleinbürgertums, sich an die Reichsverfassung klammerte. Diese Klasse war in ihren Forderungen immer fortschrittlicher gewesen als die liberale monarchistisch-konstitutionelle Bourgeoisie; sie war kühner aufgetreten, hatte nicht selten mit bewaffnetem Widerstand gedroht und mit Versprechungen um sich geworfen, Gut und Blut im Kampf für die Freiheit zu opfern; sie hatte aber schon vielfach bewiesen, daß sie in der Stunde der Gefahr nirgends zu finden war und das ihr niemals wohler zumute war als am Tage nach einer entscheidenden Niederlage, wenn zwar alles verloren war, sie aber wenigstens den Trost hatte zu wissen, die Sache war jetzt so oder so erledigt. Während somit die Zustimmung der großen Bankiers, Fabrikanten und Kaufleute reservierten Charakter trug, mehr in der Art einer einfachen Demonstration zugunsten der Frankfurter Verfassung, tat die Klasse unmittelbar unter ihnen, unsere wackeren demokratischen Kleinbürger, gar großartig und verkündete wie gewöhnlich, sie werde eher ihren letzten Blutstropfen vergießen, als die Reichsverfassung fallenzulassen.
Unterstützt von diesen beiden Parteien, den Bourgeois, die für die konstitutionelle Monarchie waren, und den mehr oder weniger demokratischen Kleinbürgern, gewann die Agitation für die sofortige Einführung der Reichsverfassung rasch an Boden und fand ihren stärksten Ausdruck in den Parlamenten der einzelnen Staaten. Die Kammern in Preußen, Hannover, Sachsen, Baden und Württemberg erklärten sich für sie. Der Kampf zwischen den Regierungen und der Frankfurter Versammlung nahm rasch bedrohliche Gestalt an.
Die Regierungen handelten indessen rasch. Die preußischen Kammern wurden aufgelöst, was in Widerspruch zur Verfassung stand, da sie die preußische Verfassung zu revidieren und bestätigen hatten; in Berlin kam es zu Krawallen, die von der Regierung absichtlich provoziert wurden; und am nächsten Tag, am 28.April, erließ das preußische Ministerium eine Zirkularnote, in der die Reichsverfassung als ein höchst anarchisches und revolutionäres Dokument hingestellt wurde, das die deutschen Regierungen umgestalten und reinigen müßten. Preußen bestritt also rundheraus jene souveräne verfassunggebende Gewalt, deren sich die weisen Männer von Frankfurt immer gerühmt, für die sie aber nie feste Grundlagen geschaffen hatten. So wurde denn ein Kongreß von Fürsten, der alte Bundestag in neuer Form, berufen, der über die bereits als Gesetz verkündete Verfassung zu Gericht sitzen sollte. Und zur gleichen Zeit konzentrierte Preußen Truppen bei Kreuznach, drei Tagesmärsche von Frankfurt entfernt, und forderte die kleineren Staaten auf, seinem Beispiel zu folgen und ebenfalls ihre Kammern aufzulösen, sobald diese sich für die Frankfurter Versammlung erklärten. Dieses Beispiel wurde von Hannover und Sachsen schleunigst befolgt.
Eine Entscheidung des Kampfes durch Waffengewalt war offensichtlich unvermeidlich geworden. Die Feindseligkeit der Regierungen, die Gärung im Volke kamen von Tag zu Tag heftiger zum Ausdruck. Überall wurde das Militär von den demokratischen Bürgern bearbeitet, in Süddeutschland mit großem Erfolg. Überall wurden große Massenversammlungen abgehalten, auf denen beschlossen wurde, für die Reichsverfassung und die Nationalversammlung einzutreten, nötigenfalls durch Waffengewalt. In Köln fand zu dem gleichen Zweck eine Versammlung von Abgeordneten aller Gemeinderäte Rheinpreußens statt. In der Pfalz, im Bergischen, in Fulda, in Nürnberg, im Odenwald kamen die Bauern in hellen Scharen zusammen und ließen sich von der Begeisterung mitreißen. Um dieselbe Zeit löste sich die französische Konstituante auf, und die Vorbereitungen zur Neuwahl gingen unter heftiger Erregung vor sich, während an der östlichen Grenze Deutschlands die Ungarn innerhalb eines Monats durch eine Reihe glänzender Siege die Hochflut der österreichischen Invasion von der Theiß an die Leitha zurückgedrängt hatten und man täglich erwartete, sie würden Wien im Sturme nehmen. Weil aber die Phantasie des Volkes so von allen Seiten aufs höchste erregt und die aggressive Politik der Regierung mit jedem Tage bestimmtere Gestalt annahm, war ein gewaltsamer Zusammenstoß unvermeidlich, und nur feige Schwachköpfigkeit konnte sich einreden, der Konflikt könne auf friedlichem Wege beigelegt werden. Aber diese feige Schwachköpfigkeit war in der Frankfurter Versammlung ausgiebigst vertreten.
London, Juli 1852