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Böhmen und Kroatien (ein anderes losgerissenes Glied der slawischen Völkerfamilie, mit dem die Ungarn so zu Werke gingen wie die Deutschen mit Böhmen) waren die Heimat jener Erscheinung, die man auf dem europäischen Kontinent »Panslawismus« nennt. Weder Böhmen noch Kroatien waren stark genug, um als Nation eine selbständige Existenz führen zu können. Die eine wie die andere Nationalität, nach und nach durch die Wirkung geschichtlicher Ursachen untergraben, die unvermeidlich zu ihrer Aufsaugung durch kraftvollere Stämme führen, konnte nur dann hoffen, wieder eine gewisse Selbständigkeit zu erlangen, wenn sie sich mit andern slawischen Völkern verband. Es gab zweiundzwanzig Millionen Polen, fünfundvierzig Millionen Russen, acht Millionen Serben und Bulgaren; warum also nicht eine mächtige Konföderation aus den achtzig Millionen Slawen bilden und die Eindringlinge vom heiligen slawischen Boden vertreiben oder sie vernichten – den Türken, den Ungarn und vor allem den verhaßten, aber unentbehrlichen »Njemez«, den Deutschen? So wurde in den Studierstuben einer Handvoll slawischer Dilettanten der Geschichtswissenschaft jene lächerliche, antihistorische Bewegung aufgezogen, eine Bewegung, die sich kein geringeres Ziel setzte als die Unterjochung des zivilisierten Westens durch den barbarischen Osten, der Stadt durch das flache Land, des Handels, der Industrie und des Geisteslebens durch den primitiven Ackerbau slawischer Leibeigener. Aber hinter dieser lächerlichen Theorie stand die furchtbare Wirklichkeit des russischen Reiches, jenes Reiches, das mit jedem seiner Schritte den Anspruch erhebt, ganz Europa als Domäne der slawischen Rasse, insbesondere des einzig kraftvollen Teils dieser Rasse, der Russen, zu betrachten; jenes Reiche, das trotz zweier Hauptstädte wie Petersburg und Moskau solange nicht seinen Schwerpunkt gefunden hat, bis nicht die »Stadt des Zaren« (Konstantinopel, auf russisch Zarigrad – Zarenstadt), die jedem russischen Bauern als seine wahre religiöse und nationale Hauptstadt gilt, tatsächlich die Residenz seines Kaisers geworden ist; jenes Reiches, das bei jedem Krieg, den es im Lauf der letzten 150 Jahre begonnen, nie Gebiet verloren, sondern immer gewonnen hat. Und man weiß in Mitteleuropa recht gut, durch welche Intrigen die russische Politik das neu in Mode gekommene System des Panslawismus gefördert, ein System, wie es passender für seine Zwecke gar nicht erfunden werden konnte. Die böhmischen und kroatischen Panslawisten arbeiteten also im direkten Interesse Rußlands, die einen bewußt, die andern, ohne es zu wissen; sie verrieten die Sache der Revolution für den Schemen eine Nationalität, die bestenfalls das Schicksal der polnischen Nationalität unter russischer Herrschaft geteilt hätte. Zur Ehre der Polen muß indessen gesagt werden, das sie niemals ernstlich in die panslawistische Falle gingen, und wenn einige wenige Aristokraten wütende Panslawisten wurden, so wußten sie, daß sie unter dem russischen Joch weniger zu verlieren hatten als durch eine Revolte ihrer eigenen hörigen Bauern.
Die Böhmen und Kroaten riefen nun einen allgemeinen Slawenkongreß nach Prag zur Vorbereitung einer allumfassenden slawischen Allianz. Dieser Kongreß hätte auch ohne das Eingreifen des österreichischen Militärs einen entschiedenen Mißerfolg erlitten. Die einzelnen slawischen Sprachen unterscheiden sich voneinander ebenso stark wie das Englische, das Deutsche und das Schwedische, und als die Versammlungen eröffnet wurden, fehlte es an einer gemeinsamen slawischen Sprache, in der die Redner sich verständigen konnten. Man versuchte es mit dem Französischen, aber die Mehrzahl kam damit nicht zurecht, und so waren die armen slawischen Enthusiasten, deren einziges gemeinsames Empfinden der gemeinsame Haß gegen die Deutschen war, schließlich gezwungen, sich der verhaßten deutschen Sprache zu bedienen, weil sie die einzige war, die alle verstanden! Gerade damals versammelte sich aber in Prag noch ein anderer Slawenkongreß in der Gestalt galizischer Ulanen, kroatischer und slowakischer Grenadiere, böhmischer Kanoniere und Kürassiere, und dieser reale, bewaffnete slawische Kongreß unter dem Kommando von Windischgrätz jagte in weniger als vierundzwanzig Stunden die Begründer einer imaginären slawischen Oberherrschaft zur Stadt hinaus und zerstreute sie in alle Winde.
Die böhmischen, dalmatinischen und ein Teil der polnischen Abgeordneten (die Aristokratie) im österreichischen verfassunggebenden Reichstag führten in dieser Versammlung einen systematischen Kampf gegen das deutsche Element. Die Deutschen und ein Teil der Polen (der verarmte Adel) waren in der Versammlung die Hauptvertreter des revolutionären Fortschritts; die Masse der slawischen Abgeordneten, die gegen sie auftraten, begnügten sich jedoch nicht damit, auf diese Weise die reaktionäre Tendenz ihrer ganzen Bewegung zu zeigen, sondern waren tief genug gesunken, um mit der gleichen österreichischen Regierung, die ihre Versammlung in Prag auseinanderjagte, zu intrigieren und zu konspirieren. Auch sie erhielten für dieses schmähliche Verhalten ihren Lohn; nachdem sie sich während des Oktoberaufstandes 1848, der ihnen schließlich die Mehrheit im Reichstag verschaffte, auf die Seite der Regierung gestellt, wurde der nunmehr fast ausschließlich slawische Reichstag ebenso durch österreichische Soldaten auseinandergetrieben wie der Prager Kongreß, und den Panslawisten wurde mit dem Kerker gedroht, falls sie sich nochmals rühren sollten. Und sie haben nur das eine erreicht, das die slawische Nationalität jetzt überall durch österreichische Zentralisation untergraben wird, ein Ergebnis, das sie ihrem eigenen Fanatismus und ihrer eigenen Blindheit zu danken haben.
Wären die Grenzen zwischen Ungarn und Deutschland irgendwie problematisch gewesen, so wäre bestimmt auch dort ein Streit entstanden. Aber zum Glück gab es dazu keinen Vorwand, und da die Interessen der beiden Nationen eng miteinander verknüpft waren, kämpften sie gegen die gleichen Feinde, nämlich die österreichische Regierung und den panslawistischen Fanatismus. Ihr gutes Einvernehmen wurde nicht einen Augenblick getrübt. Dagegen verwickelte die Revolution in Italien wenigstens einen Teil Deutschlands in einen für beide Seiten mörderischen Krieg, und als Beweis dafür, wie weit es dem Metternichschen System gelungen war, die Entwicklung des politischen Denkens allgemein hintanzuhalten, muß hier festgestellt werden, daß im Verlauf der ersten sechs Monate des Jahres 1848 die gleichen Männer, die in Wien auf die Barrikaden gestiegen, voll Begeisterung zu der Armee eilten, die gegen die italienischen Patrioten kämpfte. Diese bedauerliche Ideenverwirrung war indessen nicht von langer Dauer.
Endlich gab es noch den Krieg mit Dänemark wegen Schleswig und Holstein. Diese Länder, der Nationalität, Sprache und Neigung nach unzweifelhaft deutsch, sind auch aus militärischen, maritimen und kommerziellen Gründen für Deutschland notwendig. Ihre Bewohner haben während der letzten drei Jahre einen harten Kampf gegen das Eindringen der Dänen geführt. Überdies war nach den Staatsverträgen das Recht auf ihrer Seite. Die Märzrevolution brachte sie in offene Kollision mit den Dänen, und Deutschland unterstützte sie. Aber während in Polen, in Italien, in Böhmen und später in Ungarn die militärischen Operationen mit dem größten Nachdruck betrieben wurden, ließ man die Truppen in diesem Kriege, dem einzigen, der populär, dem einzigen, der wenigstens zum Teil revolutionär war, geflissentlich hin und her marschieren und nahm die Einmischung auswärtiger Diplomatie hin, was nach manchem heldenmütigen Gefecht zu einem höchst kläglichen Ende führte. Die deutschen Regierungen übten an der schleswig-holsteinischen revolutionären Armee bei jeder Gelegenheit Verrat und ließen sie, wenn sie verstreut oder geteilt war, absichtlich von den Dänen zersprengen. Mit den deutschen Freiwilligenkorps verfuhr man in gleicher Weise.
Aber während so der deutsche Name auf allen Seiten nichts als Haß erntete, rieben sich die deutschen konstitutionellen und liberalen Regierungen vergnügt die Hände. Es war ihnen gelungen, die Bewegung in Polen und Böhmen niederzuwerfen. Überall hatten sie die alten nationalen Gegensätze zu neuem Leben erweckt, die solange einem guten Einvernehmen und gemeinsamen Vorgehen von Deutschen, Polen und Italienern im Wege gestanden. Sie hatten das Volk an Bürgerkrieg und militärische Unterdrückung gewöhnt. Die preußische Armee hatte in Polen, die österreichische in Prag ihr Selbstvertrauen wiedergefunden; und während die von Patriotismus überströmende revolutionäre, aber kurzsichtige Jugend (die »patriotische Überkraft«, wie Heine sie nannte) nach Schleswig und in die Lombardei gelenkt wurde, damit sie unter den Kartätschen des Feindes verblutete, gab man der regulären Armee, dem wirklichen Werkzeug in der Hand sowohl Preußens wie auch Österreichs, durch Siege über das Ausland Gelegenheit sich bei der Öffentlichkeit wieder in Gunst zu setzten. Wir wiederholen jedoch: Kaum hatten diese Armeen, von den Liberalen neu gestärkt, um gegen die fortgeschrittenere Partei eingesetzt zu werden, ihr Selbstvertrauen und ihre Disziplin einigermaßen wiedererlangt, da wendeten sie sich gegen die Liberalen und verhalfen den Männern des alten Systems wieder zu Macht. Als Radetzky in seinem Lager jenseits der Etsch die ersten Befehle der »verantwortlichen Minister« in Wien erhielt, rief er aus: »Wer sind diese Minister? Sie sind nicht die österreichische Regierung. Österreich existiert jetzt nur mehr in meinem Lager; ich und meine Armee, wir sind Österreich; wenn wir erst die Italiener geschlagen haben, werden wir das Reich für den Kaiser zurückerobern!« Und der alte Radetzky hatte recht -nur die schwachköpfigen »verantwortlichen« Minister in Wien achteten nicht auf ihn.
London, Februar 1852