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»Fort! Laßt mich ein!« donnert Don Juan in die Finsternis – aber die von Kopf bis zu Füßen schwarz vermummten Frauengestalten, die ihm den Weg zu Luzifers unseliger Glanzwelt versperren, wiederholen zum zweitenmal in demselben unerbittlich strengen Ton ihr monoton hinsingendes: »No-o!« Don Juan tritt herrisch auf sie zu und will sie zur Seite schieben, und wohl weichen die Vorderen unberührt von seinen Griffen zurück, aber hinter ihnen schließt sich immer von neuem eine undurchdringliche schwarze Reihe. Drohend singt der Chor der schwarz Überfallenen Hüterinnen zum Dritten das: »No-o!« – Dann rennt er mit gesenktem Kopf, den Nacken straff gespannt und mit geballten Fäusten gegen sie an, und vor diesem gewaltsamen Ansturm schwanken die Gestalten wie Schatten lautlos beiseite; finster und ungewiß bahnt sich zwischen ihnen durch ein gähnender Gang vor Juan. Tappend geht er vorwärts; allmählich erhellt sich der grenzenlose Dunstraum – – eine merkwürdige, rauschende Musik, wie von Orgeln, Schlagzeug und Zitherinstrumenten, wellt ihm gedämpft entgegen – plötzlich steht er vor einem riesig großen Tor, dessen zwei Flügel sich gerade öffnen; zwei Diener in goldbetreßter hochherrschaftlicher Livree beugen sich tief vor Juan – »Knechtsseelen!« murmelt er mürrisch und geht aufgereckt an ihnen vorbei. Mächtig brandet der Musikwirrwarr ihm entgegen – – wie betäubt bleibt er mit geblendeten Augen vor dem sich auftuenden Glanz stehen. Er hört ein lautschrillendes Klingelzeichen – und plötzlich verstummt die Musik. Wispern und Schwirren weht um den Eintretenden; verwundert reißt er die Augen weit auf:

Das riesige von Weihrauch und Kerzenlicht durchschwelte Innere einer Kathedrale weitet sich unfaßbar und wunderhaft vor ihm. Die steil aufstrebenden Pfeiler, zu Spitzbogen sich verengend, verlieren sich unendlich hoch im Rauch. Ganz im Hintergrund steigt eine breite, rotbelegte Freitreppe zu einer Art Bühne an; ein mächtiger violetter Faltenvorhang entzieht dem Blick den geheimnisvollen Raum, nur über ihm ragen die Pfeifenspitzen und die Bekrönung einer Orgel hervor. Langwellend summen die letzten Töne nach. Hier und dort gehen einige, in weite violette Mäntel gekleidete Gestalten geschäftig umher und verschwinden dann eine nach der anderen unbemerkt durch kleine, in Bogennischen liegende Seitentüren.

Juans Verwirrung legt sich. Nach einer Weile des Besinnens hat er sein kühles, durch nichts aus dem Gleichgewicht zu bringendes Herrengefühl wieder gewonnen. Er zaudert unschlüssig noch einen Augenblick, dann geht er langsamen Schrittes durch den zwischen reichgeschnitztem gotischem Chorgestühl hinlaufenden, breiten Mittelgang auf die rote Treppe zu. »Da muß wohl der Herr zu finden sein«, denkt er. Richtig.

Da steht er, der Meister, Luzifer – auf der untersten Treppenstufe. Ein lang herabwallendes schwarzseidenes Gewand, an den Rändern mit einer breiten goldgewirkten Borte verbrämt, umhüllt den langen, hageren Körper; eine breite goldene Halskette mit vielen Schildern, wie sie sonst die Patrizier oder Meister der Innungen trugen, liegt über den Schultern. Nach einer hastig kurzen Verbeugung stellt sich Juan mit gespreizten Beinen und in den Hüften gestemmten Armen vor ihm hin. Der schmale, hochstirnige Kopf des Alten mit den leicht ergrauten, spärlichen Haaren neigt sich ihm zu; die kleinen stahlgrauen, klugen Augen, die durch die an den äußeren Augenwinkeln überhängenden Lidfalten etwas Listiges erhalten, blicken ihn fast väterlich freundlich an. »So bist du denn gekommen, junger Freund«, er gibt ihm die Hand; Juan spürt in seiner brennenden die eiskalte des Alten – »Du weißt ja, daß du mir vom Mutterleibe an gehörtest und mir verpflichtet bist; nun hast du dich endlich darauf besonnen.« Juan schweigt gelangweilt, er hält es nicht für nötig, etwas darauf zu erwidern. Als der Böse aber in demselben salbadernden Tone fortfährt, reißt Juan die Geduld ab; respektlos ruft er ihn an: »Schwatzen Sie nicht, Herr; ich habe keine Zeit, Ouvertüren zu hören –« und dann, mit erregt flatternden Augen, heftig auf ihn eindringend, ihn beschwörend bei den Handgelenken fassend und rüttelnd: »Ich lasse dich nicht, ich lasse dich nicht, du segnest mich denn; du segnest mich denn mit Erfüllung, mit Erfüllung meines Sehnens, mit Erfüllung meiner selbst!« Gewandt entzieht sich ihm der Meister, und nach einer ironisch gemeinten, weltmännisch kühlen Verbeugung spricht er beherrscht und langsam: »Gewiß, mein Sohn; ich weiß, was dich drückt; ob du auch viel verlangst, soll doch dein Wunsch erfüllt werden.« »Endlich!« ringt sich aus Juans banger Brust. – Sie schreiten beide, der Alte so feierlich ruhig wie der Jüngere unsicher und nervös, die breiten roten Stufen hinauf.

»Beginnt!« ruft mit launiger Stimme der schwarzherzige Bühnenmeister und hebt die Hand; ohne daß ein Mensch sichtbar wird oder zu hören ist, gleitet der Vorhang nach beiden Seiten auseinander und flankiert wie zwei Säulen die dämmrige Szene. Nun ist oben die Empore mit der Orgel darauf zu sehen; unten scheint alles etwas in Unordnung zu sein; ein Altar, der mit schwarzen Schleiern behangen ist, so daß eben die Umrisse zu erkennen sind, steht da, davor ein schwergeschnitztes Lesepult, und überall im Hintergrunde regellos verstreut eine Unmenge mannshoher, bronzener Stehleuchter mit angerauchten Wachstupfen. – Nun beginnt ganz unvermittelt aus einem dunklen Winkel eine merkwürdige Musik; eine heiß singende Violine und der untermalende dünne Drahtton eines Spinetts spielen eine im Zickzack, in Drehungen und Sprüngen und Trillern wild hinwirbelnde Melodie. Die Teufelstrillersonate von Tartini: Juan erinnert sich, sie einmal im Konzert gehört zu haben, gemeinsam mit seiner – er erschrickt, wie er an seine Frau denkt, und es ist ihm, als ob ihn jemand eben mit dem Finger bei der Schulter anrühre – unwillkürlich dreht er sich um, und dann lacht er bitter. »Wollt ihr eine eurer Seelen auf diesen Folterbrettern noch mehr in die Länge ziehen?« ruft er barsch zu dem Meister hinüber, der an der anderen Seite der Bühne am Vorhang lehnt; dieser hebt die Hand wieder: zwei Diener in roten Livreeröcken setzen für Juan einen prachtvollen brokatüberzogenen Sessel in die breit abwärtsflutenden violetten Falten des Vorhangs. Wilder beginnt der Violinbogen zu fuchteln, und die Klavierdrähte scheinen springen zu wollen. – Juan setzt sich schwerfällig in den Sessel und streckt beide Füße von sich, er zwinkert noch einmal nach dem Alten hinüber, und dann starrt er erwartungsvoll in die fast dunkle Szene. Der Lichtschein einer tief seitwärts aufgehenden Tür zuckt eine Sekunde über die Bühne, dann ist es wieder wie zuvor; doch eine weiße Gestalt kommt langsam in den Vordergrund: wirklich. – Sie ist da, die Andersen-Tochter, von damals am dänischen Strand. Im weißen Sommerkleide, weiße Handschuhe bis zu den Ellenbogen, und einen Florentinerhut auf dem Kopf und – nicht sprechend, nicht grüßend – fast unbeweglich wie eine Puppe; nur die Augen blicken lebendig. Juan ist aufgesprungen und getraut sich nicht, es zu glauben, dann setzt er sich wieder, halb wütend auf den Bösen, der ihm nach seiner Meinung einen Streich spielen will, und doch auch wieder seltsam gepackt. Grübelnd versinkt er in Nachdenken; er seufzt, als er an seine ungebundene, schwarzlockige Jugend denkt – jetzt hat er graue Strähnen im Haar, sein Herz ist alt geworden und ist doch noch immer wund – – er rafft sich auf und sieht wieder das weißgekleidete junge Mädchen. »Diese Marionette«, murmelt er, »diese nüchterne Pflanze – – Fort mit solchem Zeug!« schreit er, nach rechts hinüber, »ich habe euch nicht gebeten, mir Photographien meiner Jugend zu geben!« Der Böse richtet den Blick, der heimlich beobachtend auf Juan weilt, auf die Bühne und winkt ab; kaum kann er eine kleine boshafte Freude, die in seinen scharfen Gesichtszügen aufleuchtet, unterdrücken. Die Weißgekleidete verschwindet. Der Böse ist ein kluger Kaufmann, er weiß mit seinem Pfunde zu wuchern; er zeigt erst seine geringen Stücke und behält den Trumpf bis zuletzt in der Hand, um damit dann den Vabanque-Spieler da, der sich selbst als Spielgewinn einsetzt, im letzten entscheidenden Wurf niederzuschmettern und zu gewinnen. Unruhig rückt Juan auf seinem Sitz; er ist unzufrieden mit dieser schalen Spielerei: – »Er will mich zur Langweile erziehen und tut dies, damit er Feuer, verzehrendes Feuer, in mein Herz gießt ...« Zerstreut hört er nach den Musikanten hin: sie trällern noch immer, und wie es scheint, noch wilder die Teufelsmelodie. »Sie haben aus Langerweile wieder von vorn angefangen –«. Er scharrt mit den Füßen hin und her und tritt schließlich unbewußt den Takt mit. Bis ihn abermals Verwunderung bannt: denn in der Bühnenmitte steht eine neue Person: es ist die Gräfin; die Gräfin, der er einst diente, die warmblütige und sehr stolze Gräfin; mit einer gewissen Neugier betrachtet er sie und findet sie »noch immer interessant«; er vergißt ganz, welchen Aufruhr sie einst in seinem Blut hervorrief, welche neuen starken Regungen, die er dann nach kurzem Kampf mit hartem Willen entschlossen abbrach. Sie steht da in einem vornehm-einfachen, hellgrauen Schneiderkleid, den großen, schwankenden Hut mit überhängenden, schwarzen Straußenfedern geschmückt – und poliert noch einmal mit einem Wattebausch chen ihre rosig gefärbten Fingernägel, als wolle sie gerade ausgehen. Sie ist durchaus in ihre niedliche Beschäftigung vertieft und scheint außer sich selbst niemand und nichts zu bemerken. Juan hat erst nicht übel Lust, sie durch einen dummen Zuruf aufzuschrecken; er läßt diese Laune aber gleich fallen und fühlt sich wieder als teilnahmsloser Zuschauer. Ungeduldig ruft er: »Macht weiter, Meister, diese Intermezzi nutzen Euch nichts, sie entziehen Eurem Braten nur das lange angestaute Fett der Begierde und lassen ihn aus Überfluß an Wartezeit schmaler werden.« Der Alte lächelt und gibt wieder das Fingerzeichen. Und eine andere erscheint nach der Abgehenden; aber so geräuschlos gleitend die Vorgängerinnen kamen, so lärmend und gestikulierend kommt diese Person in klappernden Holzschuhen herein. Juan muß sich erst besinnen, ehe er sie in seinem Gedächtnis einordnen kann – er erinnert sich, daß das ja ehemals seine Frau war; die Arbeiterin. Sie scheint noch unordentlicher geworden zu sein als früher; das eine Tragband der blauen gestreiften Hausschürze ist abgerissen, der Rocksaum ist zerschlissen, ausgefranst, und das ungekämmte Haar hängt ihr in wirren Strähnen um die zornig gekräuselte Stirn. Unermüdlich Schimpfworte sprudelnd steht sie da und fuchtelt mit den Händen drohend in der Luft herum: »Treuloser Mensch! Betrüger! Ich kenne dich schon noch wieder, du Lump!« und als sie so fortfährt, da muß Juan doch herzlich laut lachen. »Das habt Ihr gut gemacht, Herr!« ruft er übermütig. »Laßt ihr und uns noch eine Weile dies erschütternde Vergnügen!«

*

Hier bricht das Manuskript ab. Über die vom Dichter geplante Weiterführung findet sich Näheres in dem an Jakob Kneip gerichteten Brief vom 1. 6. 1915.


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