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3

»Woher sind Sie eigentlich?«

»Ich kam als Kind aus Spanien und bin seitdem in diesem Land«, sagte Juan und neigte den Kopf etwas vor der Gräfin.

»So – Sie waren mal in Spanien –«, sie richtete sich auf in dem mit gelbem Brokat bezogenen Empiresessel, setzte den einen Fuß, den sie übergeschlagen hatte, sanft neben den anderen und senkte den Kopf –: »Also Jean ...«

»Juan hat man mich genannt, Madame!« unterbrach er sie; zwischen ihren Brauen zeigten sich zwei Falten –

»... gut. Juan. Wir haben unsere Diener sonst immer nur Jean genannt, aber da Sie ein spanisches Kind sind und ein – (ihr Blick sticht unter den gesenkten Lidern hervor) – interessanter Mensch, so werden Sie mit diesem bedeutungsvollen Namen gerufen werden.«

Juan hatte unbemerkt gelächelt.

»Also«, sprach sie weiter, »Sie haben die Equipage zu bedienen; die gewöhnliche Arbeit hat der Stallbursche. Sie haben stets, und das ist eine Hauptbedingung, in tadellosem Zeug zu erscheinen. Im übrigen stehen Sie ganz zu meiner persönlichen Verfügung.«

»Jawohl, gnädige Frau.« Er verbeugte sich; als er sich wieder gerade richtet, bemerkt er, daß ihre Augen leise flattern.

»Gehen Sie, Juan; der Haushofmeister wird Ihnen das Weitere erzählen.« –

Als der weißseidene Vorhang wieder zusammengefallen war, seufzte sie leicht auf und drückte auf den an der unteren Kante der ovalen Tischplatte befindlichen Knopf. Draußen begann ein Glockenspiel zu läuten. –

»Gnädige Frau?«

»Bringen Sie mir bitte aus der Bibliothek des Herrn Grafen irgendeinen Novellenband Maupassants.«

»Jawohl, gnädige Frau.«

»Ich möchte heute vormittag nicht mehr gestört werden«, sagt sie mit müder Stimme.

Der weiße Vorhang schloß sich hinter der schwarzgekleideten Zofe.

 

Die Räder der Equipage knirschten im stäubenden, grellbrennenden Sande; die lackierten Speichen wirbelten Lichtsplitter.

Da! – ein scharfer Anruck, daß die hitzigen Pferde sich bäumten; Schaum fiel in Flocken vom Gebiß. Der Wagen stand. Die Gräfin, die die Zügel geführt hatte, gab sie Juan in die Hand und stieg dann, von ihm, der schon aufgesprungen war, unterstützt, vom hohen Sitz.

Sie war durchaus ruhig nach dieser wahnsinnigen Fahrt in die abgelegene Heidegegend; ohne eine Miene zu machen, sah sie auf ihre gelben Wildlederhandschuhe, die beide an den Daumenwurzeln geplatzt waren.

Sie schlug den gerafften englischen Rock herunter und ging elastisch in den Hof des Gasthauses.

Juan, der heute auf den merkwürdigen Wunsch der Gräfin gutsitzendes Zivilzeug trug, hatte die Pferde ausgesträngt und führte sie in die Remise, um ihnen Futter zu streuen; die Pferde dampften, dick lagen die Adern auf der zuckenden, schwitzenden Haut; erregt schlugen sie aus, um die Bremsfliegen abzuschütteln.

Nach wiederholtem Rufen Juans erschien endlich der Wirt aus einem Nebenzimmer; er hatte ein schlafgerötetes, gedunsenes Gesicht; seine Augen lagen tief in Fleischwülsten und sahen, so gut sie es konnten, ärgerlich und erstaunt zugleich auf die feinen Gäste.

Die Gräfin ließ durch Juan eine Flasche besten Rheinweins bestellen. Der Wirt wurde höflich und beteuerte offenherzig, daß er nur zwei Flaschen Rotspon habe, und die wären auch eigentlich für den Hausgebrauch da. Er mußte von diesen eine bringen. Als der Wirt mit der Flasche zwei Gläser hinstellte, schob Juan untergebenerweise seins zurück; die Gräfin setzte das Glas wieder vor ihn hin, goß sich sogar den ersten Schuß ein, und füllte dann Juans Glas bis an den Rand, wobei sie sich zu ihm bog und halblaut in korrektem Hochdeutsch (das der höfliche Wirt nicht verstand) zu ihm sagte: »Sie sind hier nicht mein Diener.«

Juan begriff. Er ordnete einiges in seinem Kopf, machte dann ein wohlgemutes Gesicht und sah die Gräfin fest und gerade mit einem selbstverständlichen Gleichmut an, als sie, die Zungenspitze zwischen den Lippen zeigend, mit etwas lüsternem Ausdruck in den Augen, ihr Glas an seins stieß.

Der Wirt war wieder verschwunden, wahrscheinlich lag er nebenan auf dem Kanapee.

Die Gräfin betrachtete den Raum genauer; sie kniff dabei die Lippen spöttisch zusammen: Mehrere altvaterische Photographien in ovalen Rahmen hingen auf der verfärbten, düsteren Tapete über dem mit schwarzem Wachstuch bezogenen Sofa, auf dem sie saß. Die gegenüberliegende Tür und zwei ziemlich kleine seitliche Fenster waren mit einem schmutzigen Weiß gestrichen. In einer Ecke stand im Halbdunkel ein mächtiger, runder, eichener Tisch mit irgendeinem Bannerträger aus Nickel darauf. Hier war jedenfalls abends der Sammelpunkt der Dorf-Honoratioren.

»Sehr interessant«, sagte die Gräfin und sah dann wieder auf Juan, der die ganze Weile über ihre volle Gestalt und ihren reifen Mund angesehen hatte. Sie hatte das wohl gefühlt – und die Gemmenbrosche, der einzige Schmuck, den sie angetan, hob und senkte sich schneller auf ihrer Brust.

»Juan, Sie sollen mich nicht so ansehen.«

»Sie werden nicht böse sein«, erwiderte er, »wenn ich Ihnen sage, daß ich Sie heimlich bewundert habe und Sie für sehr liebenswert halte.«

»Sie wissen, daß ich fünfundvierzig Jahre alt bin.«

»Eben das. – Ihr Mund muß sein, wie eine vollgereifte Traube – in Ihrem Blick ist wissende Trunkenheit – und wenn Sie so stark atmen, so blühen, so berauschen Sie sich selbst ...«

»Genug! Juan!« – sie wollte zürnen; hob abwehrend die Hände. –

»Das alles«, fuhr er unbeirrt fort, »hat ein Mädchen in meinem Alter nicht«, er lächelte ihr offen und sinnlich zu.

»Ich müßte Ihnen von hier ab jedes weitere Sprechen verbieten, aber – setzen Sie sich neben mich; Sie sind ein interessanter Mensch.« Sie machte ein kaltes Gesicht, als er sich gewandt und etwas zu dicht zu ihr setzte. Sie fühlte, daß das Polster bis zu ihr her einsank.

Einen Augenblick lang war peinliches Schweigen. Sie dachten beide, als sie den starken Pendelschlag einer Uhr hörten, daß auch eine Standuhr hier sei; sie hatten sie bisher nicht gesehen.

Die Gräfin sah Juan, der einige Korkkrumen in seinem Glase bemerkt hatte und gebeugt hineinsah, lauernd von der Seite an: »Juan, warum sind Sie nun nicht ein Graf oder dergleichen; Sie sind ganz der junge Mann, den ein solcher Rang ausgezeichnet kleiden müßte.«

»Madame, Sie werden zärtlich; Ihre Zunge hüpft und verrät Sie – Sie möchten ja ohne Kleider sein«, er betonte das boshaft und sah noch immer in sein Glas.

»Juan, seien Sie nicht so grausam – allwissend.«

»Nun ja, Sie wissen ja auch nicht, daß ein Achtundzwanzigjähriger eine sechzigjährige Seele haben kann.«

»Schwatzen Sie nicht! – Darf ich denn nicht zärtlich werden?

»Sie dürfen alles, denn nur der Mensch selber kann seiner Natur Gesetz sein.«

»Oh, wie gelehrt«, spöttelte sie.

»Ja ...«, sagt Juan und dreht sich laut lachend zu ihr um, »... und der Mann ist die aktive Gewalt, und Gewalt geht vor Recht!«

Hastig hat er sie mit beiden Armen kräftig umfaßt und küßt die Überraschte zweimal, dreimal, viermal.

Sie reißt sich los, springt auf und spricht mit zitternder, doch beherrschter Stimme durch die Zähne:

»Jean! sofort anspannen!«

Juan steht gehorsam auf: »Jawohl, gnädige Frau.«

Als er sich aus der zu tiefen Verbeugung aufrichtet, bemerkt die Gräfin, daß er ein verächtliches Lächeln verbeißt.

Juan warf ein Geldstück auf den Tisch und folgte der vor ihm eilig hinausgehenden Gräfin. Er sah, daß ihre Schulterblätter zuckten.

Während der Fahrt hatte Juan, der diesmal allein auf dem Bock saß, sich einmal umgedreht und gesehen, daß die Gräfin totenblaß vor sich hinstarrte und ihr Spitzentaschentuch mit nervösen Fingern zerknüllte.

Er ließ die Pferde laufen, wie sie wollten; sie waren müde. Ein feiner Landregen setzte ein.

 

Als stände sie in Schuld bei ihm, als hätte er eine berechtigte Forderung an sie, so stand Juan vor ihr; sein ganzer Körper war unruhig, er bewegte fortwährend die Füße, und seine sonst so bewußt ruhigen Augen blickten erregt an der Gräfin auf und nieder.

Sie hatte sich eben in den Sessel gesetzt, mit dem Ausdruck des heftigsten Unwillens in den Zügen, den sie von vorhin, als Juan ungerufen, laut hereingekommen war, noch nicht beruhigen konnte.

»Madame, Sie wissen ...« Die Gräfin warf spitz dazwischen: »Ich bin gewohnt, gnädige Frau genannt zu werden!« Juan überhörte dies. –

»... Sie wissen, daß ich Sie liebe ...«

»Ich weiß nichts, Jean!«

»Juan, bitte – !«

»Pardon, also ich weiß absolut nichts!«

Juan fuhr hitzig und laut fort: »Wenn Sie mir nicht kündigen, dann muß ich gehen.«

»Vorerst, mäßigen Sie sich. Sodann – es stehen Ihnen alle Türen offen, Sie können hinausgehen, wo Sie wollen.«

»Ich werde durch diese Tür hinausgehen, Madame, und sofort!« Er riß die Tür auf.

»Um Gotteswillen, bleiben Sie!«

Er trat zurück und schloß die Tür.

»Wie können Sie so hinausstürmen. Was wird die Zofe draußen ...?«

»Natürlich die Zofe! die Zofe!« unterbricht er sie bissig. Sie ist aufgestanden. Juan sieht eine kleine Diamantagraffe in ihrem vollblonden Haar flimmern. Ihr Wesen strömt wie ihr leises, unaufdringliches Parfüm müde Weichheit aus; sie steht ganz dicht vor ihm und zupft an den Knöpfen seiner Livree: »Juan, Sie vernachlässigen Ihr Äußeres; Sie sollten sich diese losen Knöpfe von der Anna festnähen lassen.«

Juan antwortet gar nicht – er glaubt zu bemerken, daß sie sich heute nicht geschnürt hat. – »Die Anna näht mir keine Knöpfe mehr an; das sollten Sie eigentlich tun –«, sagt er und faßt einen ihrer Finger; ohne eine Miene zu verziehen, weicht sie zurück:

»Sie werden aufdringlich, Juan«, und sie geht an das hohe weiße Fenster, um durch die Tüllstores in den Garten zu sehen. Sie sieht den Gärtner draußen den Weg harken – er hat einen riesigen Strohhut auf. Juan ist ihr leise gefolgt; sie bemerkt es wohl, aber sie glaubt, daß der Vorwand genug sei, ihn nicht zu sehen, wenn sie ihm, wie jetzt, den Rücken kehrt und scheinbar träumerisch in den Garten sieht. Sie fühlt, daß er hinter ihr steht – und spürt seltsame Wärme vom Nacken bis in die Schultern rieseln. Sie fühlt, wie sich zwei Hände ganz sacht auf ihre Schultern legen – und – plötzlich küßt Juan sie auf den Nacken!

Sie dreht sich um und sagt kein Wort, gibt sich nur Mühe, beleidigt auszusehen. Ihre Verwirrung weicht, und ihre dunkel getrübten Augen werden wieder kaltgrau: »Juan, Sie vergessen Ihre Stellung!«

»Mag sein«, sagt er nachlässig, aber seine Blicke brennen noch. Er nimmt sich zusammen und wiederholt sein Anliegen: »Madame, wenn Sie mir nicht kündigen, dann muß ich gehen!«

Sie hat sich auf den Hocker niedergelassen, der am Fenster steht und sieht Juan verheißend an. –

»Juan, sehen Sie mich mal an – so – Sie werden ...?«

»Jawohl, gnädige Frau, ich werde bleiben.«

»Sie werden bleiben, Juan –«

»Jawohl – wenn Sie mir ein Versprechen geben ...«

»Ein Versprechen gebe ich nicht, aber ich sage Ihnen – daß ich Sie diese Nacht erwarte.«

Juan stürzt nieder und umklammert brünstig ihre Knie; sie schrickt zusammen.

»Sie vergessen, daß Sie eine Livree anhaben!« sagt sie in schneidendem Ton.

Juans Hände fallen zurück; es war ihm, als ob ihm jemand Eis ins Gesicht würfe; er steht bebend auf und erwidert ironisch: »Ja, gnädige Frau, ich vergaß, daß mich die Uniform eines minderwertigen Bediensteten ziert.«

»Sie können jetzt gehen, Jean!«

Er verbeugt sich und geht. Seine Ohren waren purpurrot; die Gräfin deutete das auf Verlegenheit – es war aber Wut.

 

Sacht flackernder Nachtwind schob auf Augenblicke die niedrig hängenden, dunkelnden Wolken beiseite, und der regendunstige rote Mond warf Juans Schatten vor dessen Füße. Unruhig ging er die Kieswege des Gartens auf und ab – er hörte nicht, daß es in den Gebüschen knackte, merkte auch nicht, wenn taube Blätter auf seinen Hut wehten – es sauste in seinen Ohren; das war das Blut. Ab und zu blieb er mit gesenktem Kopf stehen und bohrte seine Stiefelspitzen in den Sand; er ächzte auf wie ein Tier, das am Ersticken ist.

Er stöhnte, weil er ein Mann war. Er kam sich vor wie ein höriges männliches Tier.

Ein Ruck ging durch seinen Körper; entschlossen ging er auf das Haus zu, aus dessen einem Fenster – er wußte, daß es das Gemach der Gräfin war – noch Licht flimmerte, das durch die Vorhänge sanft gedämpft wurde. Als er auf den ersten Steinstufen der Gartentreppe seine Sohlen scharren hörte, wachte er auf, ging leiser und machte vorsichtig die Tür auf.

Das Entree war vollständig finster; nach einigem Tasten mit dem Fuß hatte er die Treppe, die nach oben führte, gefunden; mehrere der teppichbelegten Stufen knarrten.

Er stand nun oben vor der großen, gespenstisch weißleuchtenden Salontür. Er hielt sich am Geländer.

Nachdem er wenigstens fünf Minuten so gestanden, trat er in den Salon. Blaues, durch die verhängten Fenster etwas gelblich einfallendes Halbdunkel füllte den riesig groß erscheinenden Raum. Er schlich sich an das Fenster und sah in den gerade entblößten Mond; einige dürre Zweige der dicht am Haus stehenden Birken raschelten über die Scheiben. Da – zwölf silberne, feine Töne zitterten und hallten wider in seinem erregten Gehör; es war die kleine goldene Pendule, die auf dem Marmorsims des Kamins stand. Er drehte sich langsam um und sah einen dünnen, flirrenden Lichtstrahl auf dem Teppich liegen; er verfolgte ihn und bemerkte, daß er aus dem Schlüsselloch der einen Tür fiel, die halb von einem Vorhang bedeckt war; es war die Boudoirtür.

Er ging darauf zu, lauschte und trat dann ein.

Im ersten Augenblick war er vom Licht geblendet, dann schloß er die Tür hinter sich.

Die Gräfin saß vor dem Frisiertisch und drehte sich mit einem leichten Laut der Überraschung um; drei Kerzen brannten im silbernen Leuchter neben ihr.

»Was machen Sie nur für ein Gesicht«, spricht sie sehr leise zu ihm, der mit dem Rücken an der Tür lehnt.

Er scheint nicht antworten zu wollen; nach langem Zögern, als die Gräfin ihn immerfort fragend ansieht und nochmals »Juan –?« sagt, bequemt er sich schwerfällig: »Ich – mache das Gesicht des Knechtes.«

»Juan, was ist das für ein roher Witz!«

»Scherz und Ernst«, antwortet er.

»Es war ein schlechter Witz, Juan.«

»Wie Sie wollen«, spricht er mürrisch.

Ihre Augen zucken etwas nervös, doch gleich darauf lächelt sie ihm wieder zu und droht mit dem Finger: »Vor allem, Juan, leise, ganz leise sprechen.«

»Ja, die Sprache der Liebe ist Flüstern und Gestammel; man denkt nicht immer daran.«

Sie erhob sich und setzte sich auf den kleinen Diwan, der quer am Fußende des Bettes stand; sie war in ein duftiges Spitzennegligé gehüllt, und die Füße staken rosig nackt in weißen Schuhen. Sie lächelte ihm zu und zögerte mit Worten.

Juan sah das alles, aber es machte nicht den geringsten Eindruck auf ihn. Er glaubte, eine Faust zu fühlen, die sich um sein Herz krampfte, glaubte, seine Gedanken in der Brust bohren zu fühlen. Er versank in sich; es wurde dunkel um ihn her.

Er hörte plötzlich ein Schwirren in den Ohren – wurde sich bewußt, daß jemand etwas gesagt hatte. Nun hörte er es deutlich nachsurren. – »Was träumst du, Juan?« – das hatte die Gräfin gesagt; er sah hoch und sah zuerst nur die drei Kerzen wieder; dann erinnerte er sich, daß sie aufgestanden war, er sah zur Seite – da saß sie mit glänzenden Augen –

»Was träumst du?« fragte sie wieder.

»Ich war nicht im Traum, ich war im Schlaf meines Fleisches.«

Sie wußte nicht, ob sie lachen oder nachdenken sollte: – »Sie sprechen rätselhaft, Sie sind heute wirklich merkwürdig – wissen Sie, wie spät es schon ist? Es ist ein Uhr.«

Abwesend sah er auf die Fußknöchel und fand sie sehr dick – er dachte, ihr Körper müsse auch so sein.

Die Gräfin sah, wie er den Mund zusammenkniff; sie zog die Füße zurück und strich den Spitzenrock darüber.

»Juan!« sagte sie mit geheuchelter Entrüstung. –

»Ich heiße Don Juan«, knurrte er.

Da konnte sie das Lachen nicht unterdrücken: »Nicht Jean, nicht Juan, nein – Don Juan. Aber heute abend sind Sie es wirklich nicht. Sie sind wirklich zu grotesk.«

Seine Blicke tasteten auf dem Frisiertisch herum, er glaubte, das Etikett des einen Fläschchens auf Wasserstoffsuperoxyd hin zu entziffern. – Da wußte er, daß sie ihr Haar künstlich blond machte. Er bildete sich ein, auf der weißlackierten Platte Spuren von schweißigen, fetten Fingern zu sehn, er ekelte sich. Er sah nicht, daß sie ihm beide Hände entgegenstreckte, hörte nicht, daß sie sagte: »Juan, liebst du mich nicht?« Es hämmerte in seinen Schläfen, und seine Augen starrten groß und leer; er ging, nein, er taumelte auf einen Stuhl, der neben dem Frisiertisch stand; sein Kopf fiel auf die Brust.

Die Gräfin, die nicht recht wußte, ob er etwa getrunken habe, ging verwundert langsam zu ihm. Mit der einen Hand hielt sie das nachschleppende Gewand, die andere legte sie auf sein Haar. Sie fühlte, wie er zusammenzuckte und zog erschrocken ihre Hand zurück; er hob den Kopf und sah sie mit großen, ausdruckslosen Augen an, so daß sie zurückwich und sich wieder auf den Diwan setzte. Die beklemmende Stille wurde ihr peinlich, sie bereute, daß sie einen solchen Menschen bevorzugt hatte. Sie merkte, daß ihre Nerven dicht vor einer Abspannung, einer Erschöpfung waren, doch mochte sie sich nicht vom Tisch eins ihrer Plättchen holen, denn er sah noch immer mit so merkwürdigen Augen hoch, irgendwohin, es kam ihr vor, als ob sich seine Pupillen im Kreise drehten – es wurde ihr unheimlich, und als sie die Hand auf die kurzatmende Brust legte, fühlte sie ihr Herz stark und unregelmäßig klopfen.

Da senkte sich Juans Kopf wieder, und nun glaubte sie doch, daß er angetrunken war. Nun wollte sie ihn auf die Probe stellen. Sie zwang ihre ermüdeten Nerven mit künstlicher Energie zur Beherrschtheit.

Juan rührte sich auf dem Stuhle; plötzlich schlug er mit der Faust auf den Tisch, daß die Gläser und Fläschchen kreiselten und klirrend umfielen; vom Bett her kam ein halbunterdrückter ängstlicher Schrei. Da blickte er hinüber und sah – er sprang auf, und mit gebeugtem Körper, vorgestrecktem Kopf und zusammengepreßten Händen stand er da und sah – und sieht – daß sie nackt auf dem bunten Diwan sitzt! nackt!

Daß sie ein hilfloses, verstörtes Gesicht macht, als sie ihn da wie ein Tier stehen sieht: – das bemerkt er nicht. Aber er sieht, daß ihr Fleisch rosig leuchtet, daß sie einen herrlichen Körper hat –

Er steht und zaudert; es wühlt in ihm, so daß er hin und her bebt – da geht er langsam Schritt um Schritt auf sie zu –

»Nicht! nicht! gehen Sie! gehen Sie!« stammelt sie. Er hat aber ihre beiden Handgelenke so fest gepackt, daß sie ächzt; doch wie er sie küssen will, da sieht er ihr unversehens in die Augen und sieht, daß sie sich vor ihm fürchtet – und mit einem gräßlichen Auflachen wirft er ihre Arme mit solcher Wucht zurück, daß sie auf den Diwan fällt. Er bleibt noch stehen, weidet sich am Anblick dieses wimmernden Fleisches, und sagt dann zynisch: »Gnädige Frau, Sie brauchen sich nicht zu fürchten, ich will jetzt nicht Euer Diener sein.« Dann geht er zurück, stützt sich mit beiden Händen auf die Platte des Toilettentisches und sieht sie, die in der entferntesten Ecke kauert, mit wildem Blick an.

Sie will an die Tür stürzen, wo die Klingel sitzt, aber sie wagt sich nicht an diesem Wahnsinnigen vorbei – ihre Knie zittern, und ohne daß sie es will, sinkt sie in der Zimmerecke auf den Boden.

Sie sieht, wie er jetzt ein Licht ausknipst – das zweite – und nun das – nein! sie schreit! da hält er ein –

»Gnädige Frau, ich habe hier meine Rolle ausgespielt, denn ich bin kein Mann, ich bin ein Gehirn, und Sie sind ein Stück Fleisch!«

Sie glaubt zu sehen, daß der Wahnsinnige wieder auf sie zukommt, da schreit sie gellend: »Hilfe! Hilfe!« und bricht zusammen.

Juan geht gelassen zur Tür, reißt sie auf und poltert die dunkle Treppe hinunter. Dröhnend schlägt er die Haustür hinter sich zu.

Dann war es einen Augenblick still im ganzen Hause.


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