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Viel schlimmer erging es meinem Gefährten Nottebohm. Nach seinen eigenen Erzählungen schildere ich seine Irrfahrten an Bord der Dschunken des berüchtigten Tschung-Li und Kü-schan. – Ich lasse ihn selbst sprechen:
Schon in der Sapistraße hatten wir den ersten Zusammenstoß mit den Holländern. Ein Zolldampfer hißte die Flagge und gab einen Schuß ab. Darauf befahl Tschung-Li, der an Bord seine Kaufmannswürde abgelegt hatte und wieder Kapitän geworden war, daß die spanische Flagge gesetzt werden solle. Diese durfte der Holländer nun eigentlich nicht anhalten. Der führende Offizier schien jedoch mehr über die Dschunke zu wissen, als deren Kapitän dienlich war. Er lief längsseit und forderte den Chinesen auf, sofort beizudrehen, andernfalls müsse er Gewalt brauchen. Nun entspann sich ein Gespräch, das mich zum ersten Male in Verbindung mit dieser Sorte von Seeleuten brachte.
»Diese Dschunke ist spanisches Eigentum. Sie fährt unter spanischer Flagge. Oder sollten Sie diese nicht kennen? Dann gehen Sie nach Hause und lernen Sie erst internationales Seerecht!« Diesen groben Worten ließ Tschung-Li noch eine Reihe von malaiischen Flüchen folgen, die unter jener Menschenklasse geläufig sind.
Der Offizier ließ sich aber nicht einschüchtern. Er gab mit weithin schallender Stimme seinen zwölf Soldaten Befehl, die beiden Geschütze unter die Wasserlinie der Dschunke zu richten und die Boote klar zu machen. Hierauf wiederholte er die Aufforderung, die Dschunke zu stoppen.
Tschung-Li raste. Da er aber genau wußte, was folgen würde, wenn er sich noch länger widersetzte, so ließ er endlich beidrehen. – Der Offizier kam mit vier Soldaten selbst an Bord der Dschunke. Er schien auf solch widerborstige Aufnahme schon eingerichtet zu sein, denn er verlangte gar nicht erst das Fallreep, sondern ließ eine Leiter auf die Reling der Dschunke werfen, mittels der er bequem, und ohne die Waffe aus der Hand zu legen, hinüberklettern tonnte. Ein Soldat blieb als Wache neben der Treppe. Da kein Mensch ihm zu seinem Empfange entgegenkam, hielt er den ersten ihm begegnenden Mann mit der Frage nach dem Eigentümer des Schiffes an. Dieser Mann war ich. Höflich antwortete ich:
»Der Kapitän ist jener Herr mit der roten Leibbinde.«
»Ist das auch der Eigentümer?«
Achselzuckend erwiderte ich: »Darüber kann ich nichts sagen. Ich reise auf dieser Dschunke einer neuen Heimat entgegen. Das weitere wird Ihnen der Kapitän sagen können.«
»Sind Sie Holländer ?« fragte darauf der Offizier überrascht.
»Nein, Deutscher. Ich lebe aber schon sechs Jahre auf den Inseln. Ich war bisher bei Reis & Comp. Jetzt unterschrieb ich einen Vertrag mit Mayol hermanos.
»Mayol – hm – der Name ist nicht beliebt bei uns. – Sie heißen ?«
»Nottebohm.«
Sinnend blätterte der Offizier in seinen Papieren, als riefe ihm mein Name eine Erinnerung wach. Er wurde aber durch Tschung-Li unterbrochen, der mit großen Schritten herankam und den Offizier anfuhr.
»Wenn Sie zu mir an Bord kommen, haben Sie sich zuerst bei mir zu melden. Sie scheinen nicht viel Anstand gelernt zu haben.«
Eine leichte Röte stieg in das Gesicht des Offiziers. Der ihn begleitende Unteroffizier machte eine Bewegung, als wolle er diese Beleidigung seines Vorgesetzten rächen. Dieser aber überhörte die Worte und fragte kurz:
»Wer sind Sie und wie heißen Sie ?«
»Ich bin der Kapitän dieser Dschunke, Dong Yeng heiße ich. Und nun sagen Sie mir endlich, was Sie von mir wollen.«
Äußerlich ruhig, machte sich der Offizier seine Notizen und verlangte dann Einsicht in die Schiffspapiere.
»Was da drin steht, kann ich Ihnen auch hier sagen. Mein Schiff führt eine Ladung Mais und Mehl in Fässern, kommt von Delhi auf Portugiesisch-Timor und ist nach Pollok auf Mindanao bestimmt. Eigentümer sind Mayol hermanos in Manila, deren Vertreter dieser Herr ist, der zugleich als für die Ladung verantwortlicher Supercargo mitfährt. Heimatshafen ist Spanisch-Pollok, demgemäß führen wir spanische Flagge. Gleichzeitig protestiere ich gegen die gegen mein Schiff angewandte Gewalt, für die meine Regierung Sie zur Rechenschaft ziehen wird.«
Alle diese Angaben schrieb der Offizier in sein Notizbuch. Hierauf ließ er mich nochmals meinen Namen nennen und fragte so obenhin:
»Im übrigen stimmt das, was Sie mir vorhin sagten?«
Als ich kopfnickend bejahte, wandte er sich wieder an den Kapitän:
»Ich bitte um Ihr Flaggenattest. Das möchte ich einsehen.«
Tschung-Li fuhr herum, als hätte ihn jemand geohrfeigt. Eben wollte er zornbebend auf das Verlangen des Offiziers antworten, als der Zolldampfer drei kurze Pfiffe ausstieß. Sofort sprang der Leutnant an die Reling, und was er nun sah, würde auch eine größere Besatzung, wie die seines kleinen Fahrzeugs, mit Besorgnis erfüllt haben. Er pfiff seinen Leuten und kehrte eilig an Bord zurück.
Während der Vernehmung hatten sich in der starkbefahrenen Straße eine Anzahl Dschunken eingefunden, die, wie von einer unsichtbaren Macht gelenkt, sich nach und nach unserm Schiffe näherten und dann das große Segel fallen ließen. Andere liefen eine halbe Seemeile weiter und kehrten anscheinend absichtslos auf ihrem Kurse zurück. So bildete sich in überraschend kurzer Zeit ein Ring um den Zollkutter, der diesen vollständig einschloß. Auf allen Dschunken wurden zahlreiche, verdächtig aussehende Gestalten, meist Malaien, Chinesen und Papuaner sichtbar, die neugierig die Vorgänge auf unserer Dschunke verfolgten. Hin und wieder flog der Blick zu unserm Mast empor, als ob man von dort ein Zeichen erwarte. – Unverkennbar jedoch war die Absicht, dem angehaltenen Kameraden hilfreiche Hand zu leisten, falls dieser nicht gutwillig den Anordnungen des Holländers Folge zu geben gewillt war. Das erkannte auch das Zollboot, und der Offizier mochte wohl ahnen, daß er bei einer Kraftprobe mit seiner gesamten Mannschaft verloren war. Er gab daher die Dschunke frei, bahnte sich einen Weg durch die nun wieder unter Segel gehenden Fahrzeuge, und lief eilends zu seinem Stützpunkt auf Gili Bantu zurück. Von dort aus spielte der Telegraph nach allen Richtungen. Er begann die Fäden zu dem Netze mit großer Umsicht vorzubereiten, in dem die zu übermütig gewordenen malaiischen Schmuggler in wenigen Monaten ihr Ende finden sollten.
Tschung-Li setzte befriedigt seine Reise fort. Er ließ ein in keinem internationalen Flaggenkodex bekanntes Signal vom Vormast flattern, das den Kameraden seinen Dank anzeigte.
Nicht so zufrieden mit dem Ausgang war ich. Zu vieles war mir bei der Unterredung mit dem Offizier unklar geblieben, als daß ich es hätte mit Stillschweigen übergehen dürfen. Beim Frühstück fragte ich Tschung- Li nach den Widersprüchen zwischen seinen Angaben und den Tatsachen. – Er zog die Stirn kraus und erwiderte nach kurzer Überlegung:
«Ich will den verdammten Holländern die Schnüffelei abgewöhnen. was geht es sie an, wohin eine Dschunke läuft, hier in der Sapistraße?«
»Sie haben mich auch als Supercargo dieser Dschunke ausgegeben...«
»Nun ja! Sie sind doch von Mayol angestellt!«
»Aber nicht als Supercargo. Außerdem kenne ich die Art der Ladung gar nicht.« – »Sie haben doch gehört: Mais und Mehl in Fässern.«
»Dongsa sprach anders,« erwiderte ich. »Aber als Supercargo muß ich die Ladungspapiere in meinem Besitz haben, wenn Sie mir diese übergeben wollen, dann vertiefe ich mich in deren Inhalt. Dem nächsten, der uns anhält, kann ich dann Antwort auf seine Frage geben. Es ist jedenfalls verdächtig, wenn der Supercargo sagen muß, er wisse nicht, was für eine Fracht sein Schiff hat.«
»Das sagten Sie dem Holländer?« fragte der Kapitän unwillig.
»Ich verwies ihn an Sie. Das war das Klügste, was ich tun konnte.«
»Nun, der übermütige Zollwächter hat eine Lehre bekommen. Es fehlte nicht viel und er nähme jetzt als leidender Teil sein Frühstück bei den Fischen.«
»Sie würden doch nicht mit Gewalt gegen ihn vorgegangen sein ?« fragte ich überrascht. – »Das wäre der Erste nicht!« entfuhr es ihm. Er verbesserte sich aber rasch und sagte:
»Es sind schon viele Wachtschiffe zwischen den Inseln verschwunden, die man ohne Erlaubnis der Eigentümer geentert hat. Ich hätte diesen jungen Herrn auch über Bord geworfen, wenn er seine Zudringlichkeit noch weiter getrieben hätte.«
»Wie kam es eigentlich, daß sich so viele Dschunken wie auf Verabredung hier zusammenfanden? Würden sich die der Beschlagnahme Ihres Schiffes gewaltsam widersetzt haben?«
»Da die Belästigungen neuerdings eine weite Ausdehnung angenommen haben, so sind wir Dschunkenbesitzer übereingekommen, uns keine Beschlagnahme mehr gefallen zu lassen. Alle stehen wir dem Betroffenen bei, und das Wachtschiff möchte ich sehen, das einem Dutzend gutbewaffneter Dschunken standhält.«
»Aber das ist den Holländern doch nicht zu verdenken, daß sie die Waffenzufuhr an die Eingeborenen verhindern wollen. Dadurch wird deren Widerstand nur noch gestärkt.«
»So! Auch Sie sind so einer?!« rief Tschung-Li und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Wer gibt den Holländern das Recht, in die Inseln einzudringen, die Bewohner zu töten und deren Eigentum zu verwüsten, um sich nachher zum Herrn des Landes aufzuwerfen? Was würden Sie sagen, wenn eine fremde Macht in Ihr Heimatland eindränge und sich dort mit brutaler Gewalt festsetzte. Wären Sie nicht froh, wenn Ihnen jemand die Waffen lieferte, um sich gegen fremde Willkür zu wehren? Würden Sie nicht alles opfern, um den Eindringling zu vernichten? – Ja, jetzt schweigen Sie, weil Sie mir nicht zustimmen wollen! – Ich sage Ihnen, daß Sie genau so handeln würden wie der Balinese oder der Boeginese von Allor und Flores. Auch Sie würden denen, die von den Holländern mit allen möglichen Mitteln verfolgt und mit einem schimpflichen Tode bedroht werden, als Ihren Rettern freudig die Hand reichen! Geben Sie mir da nicht recht?«
»Das sind Fragen, die in das Gebiet der hohen Politik fallen und davon verstehe ich nichts. Ich weiß nur, daß die Holländer ein Gesetz erlassen haben, das den Besitz von jeglichen Waffen und deren Einfuhr nach allen Inseln des Malaiischen Archipels unter schwere Strafen stellt. – Danach muß ich als Fremder mich richten. Es ist nicht meine Sache zu untersuchen, ob diese Gesetze zu Recht oder zu Unrecht erlassen wurden. Jedenfalls besitzen die Holländer die Macht, ihren Willen durchzusetzen.«
»Und diese Macht erkennen wir nie und nimmer an!« rief Tschung-Li mit lästerlichen Flüchen. »Wir werden sie schon mürbe kriegen, darauf dürfen Sie sich verlassen!«
Ein Matrose rief den Kapitän nach oben. Ich folgte ihm und sah, daß sich das Wetter inzwischen verschlechtert hatte. Der Himmel zeigte eine glasige Färbung und das Meer hob sich in langen Hügeln, wie in Erwartung eines schweren Sturmes. Noch waren wir in Sicht von Gili Bantu, dessen schroff in den Äther ragenden Kegel kleine Wolkenfetzen umtanzten. Im Nordwesten war das unbewohnte Sangeang sichtbar. Eine schwere schwarze Rauchfahne wälzte sich über das Meer und zeigte, daß dort ein Dampfer in eiliger Flucht vor dem Unwetter begriffen war.
Auf dem hohen Achterdeck stand Tschung-Li in eifrigem Gespräch mit seinen Steuerleuten. Besorgt schweiften ihre Blicke zum Südwesthimmel hinüber. Sie suchten zu ergründen, ob es noch gelingen würde, einen schützenden Zufluchtsort zu erreichen, bevor der wilde Tanz losbräche. Einige Dschunken, die bis jetzt auf unserm Kurse gesteuert waren, kreuzten mit allen Segeln gegen die Ratten-Insel auf.
Ich gesellte mich zu der Gruppe und suchte aus den gewechselten Reden zu erfahren, ob eine Gefahr für unsere Dschunke bestände. – Tschung-Li war für eine Rückkehr nach der Insel Komodo. Die beiden Steuerleute waren dagegen.
»Wenn wir noch lange Zeit verlieren, hat uns der Orkan und dann sind wir wehrlos. Auf den Inseln kenne ich Schlupfwinkel genug,« rief er.
»Die kenne ich auch!« entgegnete der erste Steuermann, »wäre der Zwischenfall mit dem Holländer nicht gewesen, dann wollte ich nicht widersprechen. So aber weiß er genau, daß wir hier irgendwo Schutz suchen müssen. Da fängt er uns dann einfach ab.«
»Ach was, die Angst habe ich nicht!« sagte der Kapitän. »Laßt die Segel ändern, dann kennt er uns nicht, denn jetzt haben wir ja auch den weißen Streifen. Oder habt Ihr die Verschalung noch nicht fallen lassen?«
»Nun ja! So oder so!« antwortete unwirsch der Erste. »Soll es uns an den Kragen gehen, dann schieben wir den fatalen Moment so lange als möglich hinaus. Dem Orkan können wir niemals standhalten. Versuchen wir es mit der Ratten-Insel.«
Mit Blitzesschnelle wurde die Metamorphose der Dschunke vorgenommen. Die Reling des hohen Achterdecks ließ eine gut angebrachte Verschalung fallen. An Stelle der braunen Mattensegel flogen hellgelbe, mit roten Längsstreifen versehene neue Segel an den Masten empor. Die rote Rose, die dem Bug als Bemalung diente, mußte dem Auge weichen, das allen chinesischen Fahrzeugen eigen ist. – Wer die Dschunke vor einer Viertelstunde gesehen hatte, kannte sie jetzt nicht wieder. – Die Verwandlung wurde in der Nähe von zwei andern Seglern vorgenommen, unbekümmert um etwaige Spione. Ich ließ eine Bemerkung darüber fallen.
»Was hier an Dschunken in der Nähe ist, gehört zu meinen Freunden. Wäre ein Verräter darunter, dann würde die See die Trümmer seines Schiffes nach dem Sturme an irgendeine Küste spülen.«
Der Wind lief unstet durch den ganzen Kompaß. Er zwang dadurch unsere Seeleute zur allergrößten Aufmerksamkeit. Bald liefen wir vor dem Winde, bald mußten wir kreuzen. Schäumend flog die Dschunke durch das sich zu dem rasenden Tanze rüstende Meer, dessen schneegekrönte Wellen ihren Gischt in großen Flocken über unser Deck warfen. Tschung- Li stand mit zusammengebissenen Zähnen neben dem Steuerer und spähte angestrengt nach dem hinter Komodo verschwindenden, für ihn besonders gefährlichen Eilande Gili Bantu.
Auch ich suchte mit dem Fernrohr die rasch näherkommenden Inseln ab. Noch zeigte sich keine offene Straße zwischen ihnen, da die zerstreut liegenden gewaltigen Klippen eine einzige Küstenlinie, von Einschnitten zersägt, vortäuschten. Ein weißer Punkt fesselte meine Aufmerksamkeit. Ich wußte, daß diese Farbe nur europäisch gebaute Steinhäuser und – Kriegsdampfer trugen. Ich machte den Kapitän darauf aufmerksam.
»Wo sehen Sie einen weißen Punkt ?« fragte er hastig.
»Dort, zwischen Flores und der Ratten-Insel!... Es ist ein Dampfer. Ich sehe den Rauch, wahrscheinlich der Postdampfer nach Neuguinea.«
»Unsinn! Der hat in der Mangerai-Straße nichts zu suchen. – Das ist der neue holländische Kreuzer. – Verdammt, daß uns der gerade jetzt in den Weg läuft. Der sollte doch in Sumatra Dienst tun!« Wieder ließ Tschung-Li seine Flüche los. Gleichzeitig pfiff er dem ersten Steuermann.
»Da haben wir die Bescherung!« rief er, auf den jetzt deutlicher erkennbaren weißen Rumpf zeigend. »Jetzt ist es zu spät, einen andern Schlupfwinkel aufzusuchen, wir müssen in die Straße einlaufen und in die erste Bucht von Komodo zu Anker gehen.«
Der Angeredete spähte lange auf den verdächtigen Dampfer, bevor er antwortete.
»Das ist ein Kriegsschiff,« sagte er. «Es macht Fahrt und scheint sich die einkommenden Fahrzeuge genau anzusehen... Aber wir spielen ihm doch einen Streich, wir laufen in die Sapistraße ein!«
»Seid Ihr verrückt?« schrie der Kapitän. »Dort liegt doch der Aufpasser von heute morgen auf der Lauer, und die Kanonen von Gili Bantu werden uns sicher den Weg verlegen, wenn wir das Signal nicht befolgen. – Und wie wollen wir wieder in die Sundasee hineinkommen?«
»Laßt mich nur machen, Kapitän. Zeit zu langem Überlegen haben wir nicht, wir werden gleich ein paar Reffe in die Segel machen müssen, sonst reißt sie der Sturm mit. Achtung – wir gehen über Stag!«
Die Dschunke flog jetzt über das Wasser. Sie lag so hart auf der Seite, daß sie zu kentern drohte. Mit sicherer Hand lenkte sie der verschlagene Malaie durch die kochende See. Ein fernstehender Beobachter mußte glauben, daß sie die Nordbucht von Komodo anlaufen würde, plötzlich aber ging sie wieder über den andern Bug und flog auf die gefährlichen Klippen der Mangerai-Straße zu. Nun jagte die Küste uns förmlich entgegen. Am Maste des Kreuzers ging eine Warnungsflagge hoch. Dicker Qualm bewies, daß er sich bereithielt, der zerschellten Dschunke Hilfe zu bringen. – Aber der kühne Seemann kannte die Küste. Im letzten Augenblick, kaum eine halbe Seemeile vor den drohenden Felsen, deren Brandung trotz des Sturmes bei uns hörbar war, ging er nochmal über Stag. Das Schiff bäumte sich auf wie ein scheues Roß. Aber es gehorchte. Mit großer Fahrt sauste es unter dem Schütze des hohen Ufers der Sapistraße zu. In Sicht von Gili Bantu packte uns der Sturm wiederum mit voller Gewalt, wiederum warnte der Küstenwächter, der wohl – ebenso wie ich – keine Sekunde daran zweifelte, daß wir in den nächsten Minuten ein schreckliches Ende zwischen den zahlreichen Klippen finden würden.
Vorbei jagten wir an dem Eilande. Vorbei an dem auf seinem Anker reitenden kleinen Wachtschiff, das unsern Widersacher vom Vormittag barg. Starre, von der See in ein Schaumkleid gehüllte Klippen stiegen rechts und links aus dem brodelnden Gischt, Tod und Verderben drohend. Dem lächelnd am Steuer stehenden Malaien schien der tosende Lärm Sphärenmusik. – Da plötzlich eine himmelhohe Wand. Pfeilschnell jagte sie uns entgegen, als wolle sie uns mit ihren stürzenden Wassern zerschmettern. Gewaltige Spritzwellen überfluteten das Deck. – Dann rasselten die Segel nieder. Ein breites Tor öffnete sich und die Dschunke lief in einen Kessel, in dem es wie in einem Höllenschlunde tobte.
Der Anker fiel. Minutenlang drehte sich das Schiff wie ein Kreisel um die straff bis zum Zerspringen angespannte schwere Kette. Dann gab der Malaie mehr und mehr nach und ließ die Dschunke, unter dem Drucke der von außen herandrängenden Strömung, bis in den innersten Winkel des Kessels treiben. Dort fanden wir ruhigeres Wasser.
Nun löste sich die Spannung, die uns alle wie mit eisernen Bändern an die Bewegungen des Steuermanns gefesselt hatte. Fast die gesamte Besatzung drängte sich um den kühnen Schiffer und sprach ihm die ungeheuchelte Anerkennung aus. Selbst der Kapitän sagte:
»Das war ein Meisterstück, Steuermann, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Ich selbst stehe in dem Rufe eines Wagehalses, aber das hätte ich denn doch nicht gewagt. Ich gab keinen Deut mehr um mein Schiff und mein Leben.«
»Das ist kein so großes Meisterstück, wenn man die Küste kennt. Hier in diesem Winkel habe ich schon manche bange Stunde verbracht. Damals, als – na, Ihr wißt's ja!«
»Das glaube ich, daß Euch hier kein Verfolger suchte. Wie kommen wir aber wieder aus der Mausefalle heraus? Die haben uns von dem Turm aus doch sicher mit Staunen und Neugier beobachtet?« fragte der Kapitän.
»Die halten uns für verloren. Mit Mann und Maus. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn der Dampfer, trotz des schweren Wetters, jetzt die Klippen nach Überlebenden absuchen würde – der brave Mann!«
»Oder nach unsern Leichen,« warf ich ein. »Ist das nicht auffällig, daß er die nicht findet?«
»Durchaus nicht! Was der Hai übrig läßt, frißt der Tintenfisch. Damals gab's gerade in diesem Kessel ein paar gewaltige Kerle, deren Arme bis zum halben Mast reichten. Eines unserer Boote brachten sie zum Kentern. Die drei Mann sahen wir am nächsten Tage in den Armen der Ungeheuer, die damit vor ihren Löchern saßen und die Leichen aussaugten.«
»Wie kommen wir wieder aus diesem Loche heraus?« wiederholte der Kapitän, den das Schicksal von ein paar Menschen nicht interessierte.
»In einer Stunde wird es dunkel, dann legt sich der Sturm. Dann drängt das Wasser nicht mehr herein und die starke Strömung läßt so weit nach, daß wir mit dem heraussetzenden Strom in die Straße treiben können. Wir laufen mit ihm in offenes Wasser und nehmen Kurs auf die Sangeang-Insel. Die ist, wie Euch bekannt, bei Nacht verrufen, und jeder Schiffer geht dort zu Anker, wenn ihn die Nacht in der Straße überfällt. Deshalb läßt ihn das Wachtschiff auch unbehelligt, weil die Station auf der Vulkan-Insel Goengseng Api die Kontrolle besorgt.«
»Dann wiederholt sich das Theater von heute früh,« warf ich ein.
»Wenn wir noch da sind, ja! Aber gerade ihr Feuerberg hilft mir ins offene Meer. Vor allen Dingen laßt andere Segel anschlagen und ändert die Randbemalung. Das Wetter läßt nach. Ich will hinausrudern und mir die Gegend vorher ein wenig betrachten. – Hallo! Nieder das Boot. Vier Mann zum Rudern!«
Lange blieb der Malaie aus. Er sprang atemlos auf das Deck und rief:
»Das war eine schwere Arbeit, das Boot aus der Brandung zu bringen. Ich selbst mußte mit rudern, weil den Kao der Hai gefressen hat. Der dumme Kerl sprang auf die Klippe glitt aus und war sofort verschlungen.«
»Geschah ihm recht,« sagte gleichgültig der Kapitän. »wie sieht's aus?«
»Die Luft ist jetzt rein. Als wir die Nase aus der Brandung steckten, ging gerade der große Weiße vorbei. Sein kleiner Bruder lief hinterher. Da sie an der jenseitigen Küste fuhren, denke ich, daß sie in die Sumbasee gehen. Dort ist ja heute Versammlung von... na, Ihr wißt Bescheid.«
»Das nenne ich Glück,« jubelte der Kapitän. »Nun aber rasch heraus! Solange ich hier zwischen den Wänden sitze, habe ich das Gefühl, als ob ich eingesperrt wäre.«
»Dazu werdet Ihr nie kommen, Kapitän,« antwortete der Malaie anzüglich. »Laßt vorsichtig den Anker heben, denn die Nacht trägt jeden Laut verstärkt ins Freie. Und wenn es dem Kleinen einfallen sollte, nochmal nach dem Rechten zu sehen, dann ginge es uns schlecht genug – oder ihm.«
Die Strömung half der Seemannskunst des Malaien, wie dieser es wünschte. Nach kaum einstündiger Arbeit liefen wir unter kleinen Segeln in den Schutz der jenseitigen Küste. Dort faßte uns ein günstiger Wind, der uns noch vor Tagesanbruch in die Nähe des Vulkans brachte. Eine größere Anzahl von Seeschiffen lag dort vor Anker, weil der von zahllosen Klippen übersäete Grund selbst für die Lotsen Schwierigkeiten barg. – Unser Malaie jedoch ließ sich nicht abhalten, seine Fahrt fortzusetzen, trotz der drei farbigen Laternen, die an dem Holzgerüst sichtbar wurden.
Die aufgehende Sonne fand uns bereits auf hoher See unter Nordostkurs. Nun zog die Dschunke wiederum ein anderes Kleid an. Die Segel trugen anstatt der roten Streifen einen grünen, kugelförmigen Klecks, und aus dem weißen Bordstreifen wurde ein roter. Das Auge am Vordersteven blieb. – Fünf Tage lang segelten wir auf dem gleichen Kurse. Dschunken begegneten uns und tauschten geheimnisvolle Zeichen aus. Manchmal flackerte auf Deck eines in der Nacht vorübersegelnden Schiffes ein Feuerbrand auf. Das Signal fand kein Echo auf unserer Dschunke, eher das Gegenteil, denn solchen Fahrzeugen sandte unser Kapitän keine Segenswünsche nach. Es mußten wohl Konkurrenten meines Brotherrn sein.
Da tauchte nachmittags eine schwache Rauchfahne am Horizont auf, die rasch größere Dimensionen annahm und uns endlich einen rotgemalten Dampfer brachte, der bei unserm Anblick einen großen gelben Wimpel mit grüner Kugel im Vortopp hißte. Die Ähnlichkeit dieser Flagge mit dem Zeichen in unserm Segel fiel mir sofort auf. Ich vermutete einen Freund unseres chinesischen Kapitäns und wunderte mich daher nicht, daß dieser sofort beidrehte und ein Boot klarmachen ließ, vom Dampfer gellte ein Pfiff mit der Sirene, den Tschung-Li als die erwartete Einladung zum Besuch an Bord aufnahm. Das Boot wurde mit vier Matrosen bemannt und nahm Kurs auf den Dampfer, Es hatte aber die Seemeile, die uns von dem Fremden trennte, noch nicht durchmessen, als wiederum eine Rauchsäule auftauchte. Diesmal im Süden. Also von der Sundasee her. Sie wurde auf beiden Schiffen sofort entdeckt. Die Wirkung auf diese war die gleiche. Der Dampfer ließ kurz die Dampfpfeife ertönen und entfernte sich rasch nach Westen, während unser Erster die Segel setzen ließ und trotz der gellenden Rufe der Bootsinfassen auf Nordwestkurs davonfuhr, den Kapitän seinem Schicksal überlassend. Ich stellte den Malaien darüber zur Rede und machte ihm leise Vorwürfe, daß er seinen Vorgesetzten einfach im Stiche ließ.
»Wenn ihn Kü-schan nicht aufgenommen hat, dann ist große Gefahr im Anzuge. Warum soll ich gerade meinen Kopf in die Schlinge hängen?«
»Das war Kü-schans Dampfer?« fragte ich überrascht.
»Er selbst ist da an Bord, und daß er es so eilig hat, beweist sein schlechtes Gewissen. Ich möchte nicht von einem Kriegsschiff in seiner Nähe gefunden werden.«
»Was soll denn aber aus Tschung-Li werden? Er hat weder Wasser noch sonstige Lebensmittel im Boot. Auch führt er kein Licht.«
»Ach, der weiß sich zu helfen. Hier herum gibt's genug Atolle, wo er Wasser findet. In drei Seemeilen Abstand liegen auch ein paar größere Eilande, die zur Gruppe der Laoet-ketjil-Inseln gehören, die kann er vor morgen früh noch erreichen. Wenn es mir möglich ist, suche ich ihn dort auf. – Aber jetzt muß ich die Karte studieren, daß ich keiner der Inselchen zu nahe komme, sonst...«
Er vollendete den Satz nicht, sondern begann eifrig in den Seekarten zu messen. Endlich ließ er die Dschunke nach Norden abfallen und rieb sich vergnügt die Hände.
»So – jetzt mag er kommen und sich eine gründliche Abfuhr holen.«
Während der rote Dampfer in der Ferne verschwand, näherte sich der andere mit großer Geschwindigkeit. Schon die scharfe Bauart ließ ihn als ein staatliches Fahrzeug erkennen. In unserer Nähe hißte er die holländische Flagge und zwang dadurch unsern Steuermann, auch seine Nationalität bekanntzugeben. Nach einigem Suchen kam die portugiesische Flagge zum Vorschein. Das schien der Holländer nicht erwartet zu haben, denn wir bemerkten, daß die Matrosen, die schon am Boote standen, wieder zurücktraten. Der Dampfer näherte sich uns jedoch auf Rufweite und fragte: »Woher und wohin?«
»Von Timor nach Puerto Princesa auf Palawan. – Könnt Ihr einen Arzt senden? Wir haben Cholera an Bord.«
Die Frage wurde, wie vorauszusehen, verneint.
«Habt Ihr keinen rotgemalten Dampfer gesehen?«
»Jawohl. Vor drei Stunden lief einer dicht bei uns vorbei. Er ist nach Makassar bestimmt. Von da will er uns Schlepper senden.«
»Seid Ihr der Kapitän?«
»Nein, den haben wir heute über Bord gesetzt. Ebenso vier Matrosen.«
»Danke. Wünschen gute Reise.«
Der Dampfer ließ seine Maschine volle Kraft laufen und nahm Ostkurs – auf Celebes zu, wo er den rotgemalten Dampfer zu finden hoffte.
»Den habt Ihr aber gründlich angelogen,« sagte ich zum Steuermann, als der Holländer abdrehte, »wenn der nun einen Arzt herübergeschickt hätte?«
»Das darf er ja nicht, «Er müßte sonst die vierzig Tage Quarantäne machen, die das Gesetz für den vorschreibt, der mit einem verseuchten Schiff in Verbindung tritt. Wenn er nach Makassar kommt, wird er wohl Meldung machen. – Jetzt wollen wir uns nach unserm Kapitän umsehen, der noch nicht weit sein kann.«
Wir fanden das Boot erst am andern Morgen auf einem Atoll, das vom Schiffe aus gesehen, einen eigenartigen Anblick bot. Inmitten des Ozeans lag ein ruhiger See, der von einem Kranze von Palmen rings umgeben war. Eine kaum meterhohe Korallenmauer schützte den Pflanzenwuchs gegen den stetigen Ansturm des Ozeans. Das etwa hundert bis zweihundert Meter breite Land war von zahlreichen Seevögeln bevölkert, denen auch die Anwesenheit der wenigen Menschen keine Furcht einzuflößen schien. Hier auf diesem Atoll hatte Tschung-Li mit seinen Leuten die Nacht verbracht und mit den Eiern der brütenden Vögel den Hunger gestillt. Er wußte, daß ihn die Kameraden abholen würden. In der Tat tauchte auch bald der rote Dampfer wieder auf, der hier bekannter war, als unser Malaie, denn er lief ohne weiteres durch eine Öffnung im Riff in das ruhige Wasser ein. – Auch unsere Dschunke erhielt Befehl, zu folgen. Das lehnte Tschung-Li aber aus Sicherheitsgründen ab.
Wir kreuzten den ganzen Tag vor dem Atoll. Während dieser Zeit wurde an Bord des Dampfers zwischen den Führern unserer Schiffe verhandelt. Es muß dabei hart auf hart gegangen sein, denn die lauten Worte der Malaien drangen oft bis zu uns herüber. Als Tschung-Li dann wieder auf die Dschunke zurückkam, ließ er sofort alle Segel setzen und lief mit Nordkurs in die Makassarstraße. Während der Nacht nahm das Äußere des Schiffes wieder die gewöhnliche Farbe aller malaiischen Dschunken an, so daß nur ein Kennerauge das Fahrzeug Tschung-Lis von den vielen andern, die hier kreuzten, unterscheiden konnte.
Am nächsten Morgen eröffnete mir der Kapitän, daß er nun Pasir anlaufe. Mit einem lauten »Gott sei Dank« quittierte ich diese Mitteilung, was offensichtlich sein höchstes Erstaunen hervorrief, denn er fragte:
»Sind Sie so ungern bei uns, daß Ihnen meine Worte den Ausruf der Erleichterung entlocken? Es fehlt Ihnen hier doch an nichts.«
»Darüber kann man verschiedener Anschauung sein, Kapitän. Ich liebe meine Freiheit und die hat man nicht, wenn man – nun, wenn man von Wind und Wetter abhängig ist. Das Leben auf schwankendem Boden ist nicht mein Fall. Das feste Land ist mir lieber.«
»Hm – ja. Aber eine Reise werden Sie doch noch mit uns machen müssen. Mayols müssen Sie kennen lernen, damit sie wissen, was für einen Posten sie Ihnen übertragen können.«
»Das sagt ja schon mein Vertrag. Ich soll die Leitung des Hauses in Pasir übernehmen.«
»Vielleicht haben wir auf den Philippinen ein einträglicheres Amt für Sie. Ich sprach darüber mit meinem Teilhaber, der Sie gern auf Mindanao untergebracht sähe.«
»War denn Ihr Teilhaber auf dem Dampfer?« fragte ich erstaunt. »Dann bedauere ich, daß Sie mich nicht hinüberholen ließen. Ich möchte doch meine neuen Vorgesetzten von Angesicht kennen.«
»Dazu bietet sich in Pasir Gelegenheit. Wir werden dort einen Teil unserer Ladung löschen und drei Tage dort bleiben.«
»Wann hoffen Sie, den Hafen zu erreichen?«
»Bis Kap Aru sind es hundertachtzig Seemeilen, die wir bei diesem Winde in fünfzig Stunden durchlaufen können. Wie lange wir bis zu dem fünfzig Kilometer flußaufwärts liegenden Städtchen brauchen, hängt von allerlei Umständen ab.«
»Dann werde ich mit dem Packen meines Koffers beginnen, damit ich bei Ankunft nicht aufgehalten bin.«
»Nun, gar so eilig brauchten Sie es nicht zu machen. Ich behielte Sie gern an Bord.«
Die Antwort, die ich darauf hätte geben können, wäre doch zu unhöflich gewesen. Deshalb schwieg ich und vertiefte mich in die Zeitungen, die Tschung-Li vom Dampfer mitgebracht hatte. – Mein Entschluß stand fest. Ich wollte die Dschunke unter allen Umständen verlassen, und wenn meine neue Firma gesetzwidrige Geschäfte mit der Bande Tschung-Lis trieb, wäre ich auch dort nicht geblieben. Mittel besaß ich, und junge Leute fanden damals in den Sunda-Inseln leicht Anstellung.
Ich begrüßte die blauen Linien der am Horizont auftauchenden Küste von Borneo zwei Tage später mit ungeheuchelter Befriedigung. Die Ostseite der Insel kannte ich noch nicht und ich war im Herzen froh, daß ich vor dem Verlassen dieser Inselwelt noch Gelegenheit fand, auch mit den abweichenden Sitten und Gebräuchen dieser Dajakstämme bekannt zu werden. Unser erster Steuermann gab mir schon jetzt manche Erklärung und empfahl mir besonders einige einflußreiche Eingeborene in Pasir, an die ich mich halten sollte. – Wir ahnten beide nicht, daß wir das so nahe Ziel nicht erreichen würden!
Gegen vier Uhr nachmittags geriet unsere Mannschaft plötzlich in eine ungewohnte Aufregung. Der Kurs wurde dichter zur Küste gelegt, das Hauptsegel eingeholt und in den Topp des Großmastes ein weithin sichtbarer Ball gehißt. Ich lief aufs Achterdeck, um mich nach der Ursache dieser Nervosität umzusehen. Anfangs bemerkte ich nur ein paar Dschunken, die mit uns liefen. Mit deren Besatzung tauschte Tschung-Li die gewohnten Grüße aus, denen aber diesmal ein geheimer Sinn zugrunde liegen mußte, denn zwei der Schiffe booteten einen Teil ihrer Mannschaft aus, die sich mit Fischereigeräten nach See zu entfernten. Zwei andere Dschunken änderten ebenfalls den Kurs und liefen nach Südost, gegen den Wind kreuzend. – Endlich fiel es mir auf, daß Kapitän und Steuermann mit den Ferngläsern angestrengt nach einer bestimmten Richtung blickten. – Ich sprang in die Kajüte und holte mein eigenes Glas.
Als ich wieder nach oben kam, hatte sich das Meer belebt. Zahlreiche Fahrzeuge liefen anscheinend regellos auf verschiedenen Kursen nach allen Richtungen. In der Ferne zeigte mir das Glas zwei Dampfer am Horizont, die einen ungeheueren Aufwand an Kohlen machten, denn der neben ihnen auf dem Wasser lagernde Qualm war dick und tiefschwarz. Die beiden waren in einem Abstand von etwa fünf Seemeilen auseinander. So schätzte es der Kapitän, wie ich aus seiner Unterhaltung mit dem Malaien entnahm. Daß eben diese Dampfer die Ursache der Aufregung an Bord der Dschunke, und wohl auch auf mancher andern, waren, entdeckte ich erst, als mir mein Glas die Einzelheiten enthüllte. Der nächste der beiden war der rotgemalte Dampfer, dessen Kapitän vor ein paar Tagen mit unserm Kapitän verhandelte. Der andere hatte einen weißen Rumpf und zwei Schornsteine – sichtlich ein holländischer Staatsdampfer! Des Rätsels Lösung war jetzt nicht mehr schwer. Der erstere wurde von dem Weißen gejagt! Nun konnte ich mir auch die Aufregung unserer Leute leicht erklären, denn nun sah auch ich mich plötzlich von dem allgemeinen Interesse angesteckt. Ich suchte mir eine schattige Ecke und verfolgte die Jagd mit großer Spannung. Meine Sympathien waren dabei auf Seiten des Weißen. Ich wünschte ihm die Erreichung seiner Beute, ohne jedoch mit diesem Wunsche der Besatzung des roten Dampfers schaden zu wollen. Rein sportliches Interesse lenkte mich bei dem Gedanken. Wie man ja auch auf Rennplätzen Partei für den einen oder andern nimmt.
Die beiden Dampfer befanden sich jetzt in Sehweite. Ich konnte sie in ihren Bewegungen genau beobachten. Der rote suchte die Nähe der Küste auf und schien die dort kreuzenden Dschunken durchaus nicht als Hindernis anzusehen. Geschickt steuerte er durch die teils unter vollen Segeln, teils nur auf der kleinen vordern Matte fahrenden Schiffe. Nicht so geschickt war sein Verfolger. Er mußte oft durch rasches Umlegen des Steuers einen Zusammenstoß mit einer vor seinem Bug plötzlich wendenden Dschunke zu vermeiden suchen. Dann wieder zwangen ihn die kleinen Sampangs der Fischer zum Ausweichen. Natürlich gewann dadurch der Verfolgte bedeutend an Raum. Trotzdem setzte der Weiße mit Volldampf die Jagd fort. Er hielt ebenfalls auf die Küste ab, wohl aus Besorgnis, daß ihm der Dampfer hinter einem der zahllosen Inselchen seinen Kapitän landen könnte. Damit war der Hauptschuldige und vielleicht auch das Beweismaterial verloren. – Aber gerade hier hatte der rote Dampfer die meisten Freunde. Eine Dschunke trieb ihre Aufopferung so weit, daß sie die Kollision sogar suchte, denn anders ließen sich wohl die Rudermanöver nicht erklären, die ein großes Fahrzeug dicht vor dem weißen Dampfer ausführte. Letzterer merkte zweifellos die Absicht. Er suchte durch rasches Umlegen des Steuers der vor ihm auftauchenden Dschunke Raum zu geben, doch war es dazu bereits zu spät. Mit einem gewaltigen Krach fuhr der Steven des Dampfers mitten in den Rumpf der Dschunke und blieb dort sitzen. Durch die Gewalt der Eigenbewegung drückte er sie noch eine große Strecke quer durch das Wasser. Jetzt mußte der Dampfer natürlich stoppen. Denn nun sah er sich im Handumdrehen von einer großen Anzahl von Fahrzeugen jeder Größe umringt. Von allen Dschunken stießen dicht bemannte Boote ab. Die Sampangs der Fischer eilten vor ihren kleinen Segeln zur Unfallstelle – kurz, das Meer wimmelte dort im wahrsten Sinne des Wortes von Menschen, die einen Lärm vollführten, der weithin hörbar war. Wenn diese erregten Eingeborenen den Dampfer angriffen, mußte die Besatzung der Übermacht erliegen.
Der einzige, der sich an dem Tumulte nicht beteiligte, war Tschung-Li. Hämische Schadenfreude lag auf seinem feisten Gesichte. Ihm war der Ausgang der Jagd nicht unerwartet gekommen. Er kannte die straffe Disziplin, die unter den Anhängern Kü-schans herrschte. Mit ruhiger Stimme befahl er die Wegnahme des weißen Balles von der Mastspitze und ließ dafür den breiten Wimpel setzen: gelb mit grünem Ball. Hierauf flog das Segel wieder in die Höhe, und rauschend brachen sich die Wasser vor seinem Bug. – Er steuerte dicht an der Unfallstelle vorüber, so daß wir genau sehen konnten, wie sich der Führer des Dampfers gegen die aufgebrachte Menge zu rechtfertigen suchte.
Wir hätten nach der Berechnung unserer Führung noch vor Sonnenuntergang in der Mündung des Pasirflusses, hinter Kap Aru, zu Anker gehen sollen. Durch den Zwischenfall war indessen eine kostbare Stunde versäumt worden, und es war schon Nacht, als wir das Leuchtfeuer quer von uns sichteten. Ich stand neben Tschung-Li auf dem Achterdeck und unterhielt mich mit ihm über die Möglichkeit, trotz der Dunkelheit den Ankerplatz zu finden. Da rief der Malaie von seinem Ausguck: Grün-rot- grün voraus! Dieser Zauberspruch wirkte auf unsern Kapitän wie ein kalter Wasserstrahl. In zwei Sprüngen stand er neben dem ersten Steuermann. Als er sich von der Richtigkeit des Signals überzeugt hatte, donnerten seine Kommandos über das Schiff. Die Segel flogen, trotz der Gefahr, durch die starke Strömung des mündenden Flusses abgetrieben zu werden, herunter. Die rot und gelben Matten wurden an deren Stelle gesetzt, der weiße Streifen erschien wieder. Dann brachte der Steuermann die Dschunke auf den andern Bug, und die Kreuzfahrt begann.
»Was bedeutet denn das wieder?« erkundigte ich mich bei dem Malaien.
»Daß wir dringend nach Celebes hinüber müssen,« antwortete dieser lachend. »Nach Pasir werden Sie in den nächsten Wochen noch nicht kommen.«
Ich nahm die Nachricht für einen Scherz und wandte mich an den Kapitän, der wie ein gereizter Panther vor sich hinknurrte.
Zum ersten Male wurde er grob.
»Danken Sie Allah, daß uns die Warnung rechtzeitig erreichte. Sonst wäre es leicht möglich, daß wir morgen früh mit ein paar Armbändern beglückt worden wären. Im übrigen ersuche ich Sie, endlich mit dem Versteckspielen Schluß zu machen. Sie wissen doch ganz genau, daß wir Sie zum Waffenschmuggel brauchen.«
»Davon weiß ich im Gegenteil kein Wort, Kapitän. Ich hätte nie den Fuß auf Ihr Schiff gesetzt, wenn man mir das gesagt hätte,« rief ich.
»Dongsa hat es Ihnen deutlich gesagt. Ich habe ihn ausdrücklich darum befragt, weil ich keine Geheimnistuerei liebe. Sie haben ihm sogar versprochen, in Pasir unsere andern Geschäfte ebenfalls zu vermitteln, zu denen wir aus guten Gründen einen Fremden, einen neutralen Europäer, brauchen.«
»Wenn Dongsa Ihnen das sagte, dann hat er Sie glatt belogen. Ich weiß nur das, was in Ihrer Gegenwart besprochen wurde – sonst nichts. – Wenn Sie jedoch den Vertrag unter andern Voraussetzungen abschlossen, dann gebe ich Ihnen Ihre Unterschrift zurück. Ich will mit Ihrem Handel nichts zu tun haben. Setzen Sie mich bei der ersten Küste an Land und trennen wir uns als Freunde.«
»Damit Sie uns der nächsten Behörde anzeigen und die Kopfprämie verdienen?« lachte er höhnisch. »Nein, mein Lieber, so dumm sind wir nicht! Ihr Vorgänger in Pasir hatte ähnliche Absichten. Zum Glück erfuhren wir es noch zeitig genug – nun ist er stumm! Sie haben wohl genügend Gelegenheit gehabt zu sehen, wie weit unser Arm reicht – merken Sie sich das! – Und nun lassen Sie mich in Ruhe. Ich habe andere Dinge im Kopf als Ihr Reuebekenntnis mit anzuhören.«
Das, was ich längst befürchtete, war also eingetroffen. Dongsa hatte mich verkauft. Ich war den Schmugglern auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Wurden sie gefangen, so mußte ich ihr Schicksal teilen! Von nun an sann ich auf Verrat. Mochten sie mich morden, die gewissenlosen Briganten. Aber den schimpflichen Tod der Schmuggler wollte ich nicht erleiden ...
Ich begab mich in die Kajüte und überdachte meine Lage. Wie konnte ich den Behörden melden, daß ich mich auf der Dschunke als Gefangener in Händen von Schmugglern befand? – Die Flaschenpost! Schon wollte ich mich niedersetzen und die in die Flasche zu legende Notiz schreiben, als mir noch rechtzeitig einfiel, daß ich mich dadurch erst recht in die Hände meiner nunmehrigen Feinde begab. Ich hatte ja gesehm, daß alles zu meinen Führern hielt. Die Möglichkeit, daß die Flasche in die richtigen Hände geriet, war nur sehr gering, denn auf hundert Malaienboote kam kaum eines der Holländerpartei.
Mitten in mein Grübeln fiel ein Schuß, der mich wieder nach oben gehen ließ. Der Mond war aufgegangen und beleuchtete fast tageshell die weite Wasserfläche, auf der ich drei Dschunken in unserer Nähe zählte. Sie liefen gleichen Kurs mit uns. Auf der andern Seite, in Lee unserer Dschunke, bemerkte ich einen scharfgebauten Kutter europäischer Bauart, der vor uns vorüber zu steuern beabsichtigte. Er richtete seinen Lauf nach dem Fortgang unseres Schiffes, und da er bei weitem schneller lief als die schwerfällige Dschunke, so war es nur eine Frage von Minuten, bis er freie Bahn hatte. Was den Kutter zu einem so rätselhaften Segeln veranlassen konnte, sah ich erst, als er uns gelegentlich eines Segelmanövers seine Breitseite zeigte. Es waren Uniformierte, die das Boot steuerten, und der Zweck ihrer nächtlichen Fahrt konnte nur der sein, eine der drei Dschunken zu überraschen. Unser Fahrzeug schien ihnen wohl unverdächtig, wenigstens deutete nichts darauf hin, daß ihr Besuch uns galt. – Einen Augenblick lang spielte ich mit dem Gedanken, die Beamten anzurufen und sie um ihren Schutz zu bitten. Mir fiel aber noch rechtzeitig ein, daß unsere Matrosen sich in dem Falle sofort auf die Beamten gestürzt und sie und mich ermordet hätten. Ich schwieg und beobachtete weiter. Der Kutter lief so dicht neben uns, daß wir uns ohne Anstrengung mit der Besatzung hätten unterhalten können. Es waren fünf Uniformierte und zwei Matrosen in Soldatenuniform.
Auf unserer Dschunke herrschte tiefste Stille. Nur das Knarren der Ruderpinne unterbrach das Schweigen. Tschung-Lis Silhouette hob sich wie der Schatten eines Riesen gegen den Nachthimmel ab. Plötzlich huschten drei Gestalten über das Deck. Sechs weitere tauchten aus den untern Räumen auf. Sie liefen eiligst zu den Masten, und im nächsten Augenblick flogen die Segel herum. Die Dschunke legte sich auf den andern Bug und brachte dadurch die Beamten, welche das Manöver nicht voraussahen, in Kollision mit unserem Schiff. Der Stoß war so hart, daß der Klüver des Kutters brach und sein Fallen eine heillose Unordnung auf dem Boote hervorrief.
Als ob der Zusammenstoß ein verabredetes Signal gewesen wäre, wurde es jetzt auf den Dschunken lebendig. Nicht nur unsere Mannschaft erging sich in den gröbsten Schmähungen, sondern auch die drei Mitläufer setzten Boote aus, um über die verhaßten Beamten herzufallen. Unser Malaie sprang als Erster auf den Kutter und überschüttete die Beamten mit den gemeinsten Schimpfworten. Der leitende Offizier suchte ihn zu besänftigen. Aber ebensowenig hätte er einen Tiger beruhigen können. Im Gegenteil. Je ruhiger er auf die Schmähungen antwortete, desto rasender wurde der Malaie. Auch Tschung-Li griff mit in die Debatte ein. Aus seinem Munde mußte wohl eine besonders schwere Beleidigung, vielleicht gar eine Drohung gefallen sein, denn einer der Soldaten griff plötzlich zu seinem Karabiner. Das war das Signal zu einem Handgemenge, in dem, wie vorauszusehen, die Schmuggler Sieger blieben. Den Überfall selbst wollte ich nicht mit ansehen. Ich hörte nur das wüste Geschrei der Malaien, das die Reden der Holländer übertönte. Dann klatschte es dreimal kurz hintereinander auf den Wasserspiegel, als ob schwere Körper über Bord geworfen würden ...
Mich überlief es eiskalt. Ich stürzte in meine Kabine und zog den Riegel vor den Eingang.
»Großer Gott, wohin bin ich geraten!? Herr, hilf mir aus dieser Not, befreie mich aus der Gemeinschaft dieser Teufel!« Meine Gedanken begannen sich zu verwirren. Hätte ich meine Waffe zur Hand gehabt, ich glaube, ich wäre auf Deck gesprungen und hätte Tschung-Li und seinen ersten Steuermann erschossen! – Zum Glück befand sich der Revolver in meinem verschlossenen Koffer auf Deck.
Die bei dem Zusammenstoße eingezogenen Segel glitten knirschend an den Masten empor. Die Dschunke legte sich auf die Seite, und aus dem Plätschern an den Wänden schloß ich, daß wir wieder in voller Fahrt sein mußten.
Der schlaflosen Nacht folgte ein Tag, der mir neue Schreckensnachrichten brachte. Auf unserm Deck stand, mit Matten zugedeckt, der holländische Kutter. Als ich an ihm vorbeiging, gewahrte ich Blutspuren ...
Tschung-Li saß seelenruhig in der Kajüte beim Frühstück. Ich nahm auf dem gewohnten Sessel Platz und trank wortlos meinen Kaffee. Essen konnte ich nicht. Die herrlichen Früchte, die mir der Aufwärter vorsetzte, wies ich zurück.
»Was hat denn Ihnen den Appetit verdorben?« fragte Tschung-Li launig. »Sind Sie im Schlaf gestört worden?«
»Na, ich glaube, man hat sich Mühe genug gegeben. Der Lärm mußte ja Tote aufwecken.«
»Nein, nein, sagen Sie das nicht,« wehrte er ab. »Die Toten ruhen selig in den Verdauungskanälen der Haie. Die kommen nicht wieder, und wenn man noch so viel Lärm macht.«
»Wie soll ich das verstehen? Gab es Tote letzte Nacht?«
»Nun ja – der Holländer fing an. Wir wehrten uns natürlich unserer Haut. Mein Erster warf den Beamten erst über Bord, als zwei von der andern Dschunke unter dem Kris fielen. Dann konnte ich die Leute nicht mehr halten. – Sie nahmen eben Rache ...«
»Gräßlich! Sind alle Holländer tot?«
»Bis auf einen – ja. Den Kapitän ließen wir leben. Der kann uns gute Dienste leisten, wenn ... na, wenn Kü-schan mit dem Dampfer Unglück haben sollte.«
»Der Kutter steht auf Deck. Nehmen Sie den mit?«
»Das ist Kriegsbeute. So einen Schnellsegler suchen wir schon lange,« erzählte offenherzig der Kapitän.
»Aber den kennt jeder Laie!« rief ich. »Damit können Sie sich doch in dem ganzen malaiischen Archipel nicht sehen lassen.«
»Glauben Sie? Morgen früh zeige ich Ihnen den Kutter wieder. Bin neugierig, ob Sie ihn wiedererkennen.«
»Wohin segeln wir übrigens?« fragte ich, das Gespräch abbrechend. »Ich sehe, daß wir wieder vor dem Winde laufen.«
»Ich hoffe, in der Adang-Bai neue Nachrichten zu finden. Gegen Morgen erhielt ich von einem Gegensegler Nachricht, daß Kü-schan uns entgegenkommt.«
«Hat Ihnen der denn Flaggensignale gegeben? Das Buch liegt doch in meiner Kabine.«
»Ja, nach dem Kodex signalisieren wir nicht. Das kann ja jeder lesen. Wir haben da unsere eigenen Zeichen. Sie sahen doch die Stäbe und Pfeile, die hinten neben dem Steuer in dem roten Kasten liegen. Die genügen uns vollkommen.«
»Wie signalisieren Sie denn damit?« fragte ich erstaunt.
»Das sage ich Ihnen gelegentlich. Ich dachte schon, Ihnen die Arbeit zu übertragen, da meine Malaien keine Lust zum Lernen haben. – Jetzt muß ich nach oben. Der Erste stampft schon zum dritten Male. Da wird etwas los sein.«
Die letzten Worte des Kapitäns gaben mir die Gewißheit, daß man fest damit rechnete, daß ich im Dienste der Schmuggler bliebe. Wie es schien, sollte ich auf den Dschunken bleiben, nachdem ich so kategorisch erklärt hatte, den Wünschen der Bande in Pasir nicht willfahren zu wollen. Daß mir dann eine Flucht erschwert würde, war sicher. – Ich bereute jetzt meine gestrige Übereilung. Ich hätte meine Pläne ausführen sollen, ohne den Schmugglern davon Mitteilung zu machen. Aber die Reue kommt bekanntlich immer zu spät. – So auch in meiner kritischen Lage.
Während ich noch mit mir zu Rate ging, wie ich mich am besten aus der Zwickmühle befreien könnte, kam der erste Steuermann zum Frühstück:
»Sie haben wohl unsern Kleinkrieg verschlafen?« lautete seine erste Frage. »Donnerwetter, Mann, da hätten Sie etwas lernen können. Der dicke Kapitän von der ›blauen Taube‹ da drüben nahm es mit drei Mann auf, ohne jede Waffe. Nur mit der Faust. Die Schädel krachten nur so. Die haben es gar nicht mehr gespürt, als sich der Hai an sie heranmachte!«
»Wie könnt Ihr nur so kalt über einen dreifachen Mord reden, Steuermann? Es sind doch Menschen wie Ihr, die nur Ihre Pflicht tun, wenn sie auf Schmugglerschiffe Jagd machen.«
»Das ist es ja eben. Sie sollen sich nicht um unsere Geschäfte bekümmern. Wenn sich keiner zu der Menschenjagd hergäbe, dann hörte sie bald von selbst auf. Wir sind die Gejagten, auf uns ist es abgesehen. Und nicht nur auf die Ladung, die unsere Dschunken führen, sondern auf unser Leben. Sie wollen uns ausrotten, um unser Geschäft unmöglich zu machen. Nun, da die Holländer so angefangen haben, machen wir es ebenso. Jeder Schmuggler wird ohne Verhör von den Weißen aufgehängt. Seit der Zeit haben Kü-schan und Maharani, die beiden Häupter unserer Gemeinschaft, dasselbe vorgeschrieben. Jeder Holländer, der im Dienste der Polizei oder der Kriegsmarine steht, muß getötet werden, wie und wo er auch immer gefunden werden mag. Darum war es unklug von den Holländern, so dicht an unsere Dschunke heranzulaufen. Sie wollten sich in unserm Schatten an ein Fischerboot heranschleichen, das heute Nacht zehn Kisten Patronen nach unserm Depot auf den Balabalakan-Atollen bringen sollte. Weiß Allah, wer das verraten hat! Nun, viel hätten sie nicht gefunden, denn der Dajak hatte die Kisten, bis auf eine, bereits verteilt, und die wäre im entscheidenden Augenblick über Bord gefallen.«
«Ihr lebt also immer in Gefahr, gehängt zu werden,« erwiderte ich. »Das muß doch ein verwünscht unangenehmes Gefühl sein. Da ziehe ich doch den Posten an Land vor. Der ist nicht so gefährlich.«
»Ach, wer wird denn an den Strick denken, solange er noch nicht um den Hals hängt,« rief der Malaie lachend. »Ehe sie mich kriegen, habe ich so viele von den Ihren zu den Fischen befördert, daß die Rechnung immer noch günstig für mich abschließt. Und so leicht bekommt man mich nicht. Sie jagen mich schon über zehn Jahre, und wenn ich noch ein Jahr dabei bin, kaufe ich mir eine Dschunke und gehe nach Annam hinüber. Der Opiumhandel bringt mehr ein als die alten Flinten.«
»Opium ist aber auch verboten,« warf ich ein.
»Sonst würde ich den Handel gar nicht anfangen. Glauben Sie, ich würde mich um eine Fracht von einigen hundert Gulden wochenlang mit Orkanen und Windstillen herumschlagen? Nein, jede Reise muß mir mindestens tausend Gulden einbringen, sonst danke ich. Vor drei Jahren gab es zehntausend auf einmal. Da hatten wir einen General drüben vor Palopa auf Celebes abgefangen. Der bot für seinen kahlen Schädel hunderttausend Lösegeld. – Na, das war mitzunehmen, denn der Verdienst war gering. Die Boeginesen im Latimodjong-Gebirge hatten sich unterworfen und lieferten die Waffen ab. Die fielen uns mit dem General in die Hände.«
«Habt Ihr den Kapitän, den Ihr letzte Nacht an Bord nahmt, auch für das Lösegeld aufbewahrt?«
»Nein, der soll gegen einen unserer Kapitäne ausgewechselt werden. Ich weiß nicht, wo und wann – aber er muß sich gedulden, bis Kü-schan kommt, der hat zu bestimmen. – Haben Sie ihn schon gesprochen?«
«Nein, ich weiß gar nicht, wo er sitzt. Kann ich ihn besuchen?«
«Ich habe nichts dagegen. Aber fragen Sie den Kapitän lieber, dem gehört er, denn er hat ihn sich heraufgeholt. Möglich auch, daß bei dem freundschaftlichen Klaps der Schädel geborsten ist. Dann allerdings wird die Unterhaltung ziemlich einseitig verlaufen.«
Als der redselige Malaie auf Deck gegangen war, suchte ich Tschung-Li auf. Ich hoffte von ihm dieselbe Aufforderung bezüglich des Offiziers zu erhalten. Daß ich alles daran setzen würde, mir in diesem einen Verbündeten zu suchen, das stand bei mir fest.
»Langweilen Sie sich, daß Sie die Gesellschaft des Holländers suchen?« erwiderte der Kapitän auf meine Frage. «Ich glaube kaum, daß der Mann zum Reden aufgelegt ist. Er wird noch starke Kopfschmerzen verspüren.«
»Mir liegt nicht viel an der Unterhaltung mit ihm,« entgegnete ich. «Es wäre mir nur lieb, die Gesichter kennen zu lernen, vor denen ich mich später in Pasir zu hüten habe.«
»Donnerwetter ja! Daran dachte ich nicht. Dann wird es doch besser sein, er sieht Sie überhaupt nicht ... Übrigens ist es einerlei. Er wird kaum noch Gelegenheit finden, einen von uns zu verraten.«
»Sie wollen ihn doch nicht etwa ermorden?«
»Ermorden – ermorden! Sie brauchen da starke Ausdrücke. Ein Gefangener, der zum Tode verurteilt wird, wird nicht ermordet, sondern gerichtet. Das ist nicht dasselbe. Wir leben im Kriege mit den Holländern und üben nur Vergeltung. Wie sie uns behandeln, so zahlen wir ihnen heraus. – Meinetwegen können Sie einmal nach dem Manne sehen, vielleicht ist er jetzt wach.«
Ich wollte von der Erlaubnis Gebrauch machen und hinuntergehen, als mein Blick durch einen seltsamen Vorgang auf See gefesselt wurde. – In kurzer Entfernung von uns war ein kleines Boot damit beschäftigt, ein schweres Floß, aus etwa dreißig Stämmen bestehend, aus dem ruhigen Wasser in die deutlich erkennbare Strömung zu schleppen. Die vier Ruderer mühten sich gewaltig ab, denn die Balken schienen von einer Holzart zu sein, die nicht sehr viel Schwimmkraft besitzt, obwohl sie das Aussehen von Koniferen hatten. Auch Tschung-Li und sein zweiter Steuermann betrachteten das merkwürdige Gespann mit dem Interesse, das ein Seemann jedem in sein Fach schlagenden Ereignis abgewinnt. Ich mischte mich in die Unterhaltung und erkundigte mich nach der Bedeutung des seltsamen Fahrzeuges. Beide wußten mir keine Antwort zu geben. Der schlaue Chinese vermutete irgendeine Falle für hilfsbereite Schiffe dahinter, indem er uns die kürzlich in den Zeitungen erwähnte Seeräuberbande ins Gedächtnis rief.
Wie nahe er bei der Wahrheit war, zeigte sich in den nächsten Minuten. Der Steuerer des Bootes, wohl einsehend, daß er der übernommenen Aufgabe doch nicht gewachsen war, ließ plötzlich eine weiße Flagge auswehen. Sie saß so niedrig, daß sie die Gestalt des Mannes ganz verdeckte. Dafür bemerkte man ein paar braune Hände, die vier dunkelgefärbte Stäbe auf der Bordwand aufrichteten, sie kurze Zeit in Form eines durchstrichenen Dreiecks stehen ließen und sie dann senkrecht nebeneinander stellten. – Schon beim Entfalten der Flagge hatte Tschung-Li gerufen:
»Hallo, das geht uns an. Steht bei den Segeln!«
Die mystischen Zeichen drückten ihm die Wünsche des Bootführers aus, die das Kommando des Kapitäns veranlaßten:
»Segel fallen! Weißer Ball in den Vormast! Vier Mann in das Großboot. Waffen mitnehmen!«
Kaum waren die Worte gesprochen, da war auch der Befehl schon ausgeführt. Unter dem Kommando des zweiten Steuermanns, ebenfalls Malaie, ruderten vier riesige Matrosen zu dem Schlepper hinüber. Unterdessen suchte ich meine Neugier zu befriedigen, indem ich den Kapitän nach der Bedeutung der Kommandos fragte. Er antwortete unwirsch:
»Weiß der Henker, wer dem Spanier den Gedanken eingegeben hat, gerade heute mit neuen Spielereien zu kommen. In ein paar Stunden entdeckt man das Fehlen des Kutters und dann wimmelt drei Tage lang die Straße von Kriegsdampfern, die jedes Fahrzeug anhalten. Wir besonders haben Eile weiterzukommen, und nun hält uns der da auf. – Wenn wenigstens noch ein paar Dschunken in die Nähe kämen!«
»Ich weiß nun genau so viel wie vorher, Kapitän,« erwiderte ich auf diesen Erguß. »Hängt das Boot und seine Ladung mit den Geschäften der – Gesellschaft zusammen?«
»Das Boot sicher, sonst könnte es nicht das Signal kennen. Was aber die Bäume zu bedeuten haben, weiß ich noch nicht. Der Steuermann wird es schon melden.– Aha! Schlepphilfe hat er nicht nötig... Er wechselt nur die Ruderer. Das glaube ich, daß er mit den Boeginesen die Last nicht zwingt. Da sind meine Dajaks andere Kerle!«
Nachdem die Rudermannschaft ausgetauscht war, kehrte das Boot zur Dschunke zurück.
»Unter den Bäumen sind Gewehr- und Patronenkisten befestigt,« meldete er. »Das Floß soll sie nach der Balik-Papanbucht bringen, wo Nummer neunzehn wartet. – Rawnah hat das Gewicht falsch berechnet und nun fürchtet der Steuerer, daß die Stämme in der starken Strömung sinken. Er verlangt Euer Gutachten.«
Die Zumutung versetzte Tschung-Li in heftigen Zorn. Mitten in seine lästerlichen Flüche platzte aber der Ausguckmann:
»Weiße Segel voraus. Drei Strich Backbord!«
Sofort richteten sich die Ferngläser in die Gegend. – Richtig, da schwamm vor all seiner Leinwand ein stattlicher Dreimastschoner auf dem blauen Meere. Er war eben aus der Adang-Bai gekommm und hatte Nordostkurs eingeschlagen, der ihn am Floß und unserer Dschunke vorüberführen mußte. Obwohl noch nichts von der Art des Schiffes zu erkennen war, ließ Tschung-Li den Ball wieder wegnehmen und die Segel setzen, wobei er das Steuer so richtete, daß wir an dem Segler vorbei, in die genannte Bucht einfuhren. – Der Kapitän mußte aber kein gutes Gewissen haben, denn er ließ den Kutter, dessen Farbe zum Teil bereits einem grünen Anstrich gewichen war, dicht mit Matten belegen. – Eine halbe Stunde später rauschten die beiden Fahrzeuge aneinander vorbei. »Oranje Nassau- Rotterdam« las ich am Heck.
«Ein Kraftausdruck leitete einen Zornesausbruch des Kapitäns ein:
»Sonst hängen die Weißen bei jeder Gelegenheit ihre bunten Lappen heraus,« schrie er. »Jetzt, wo ich das größte Interesse habe zu wissen, was hier herumsegelt, schwimmt der vorbei und läßt mich raten, wer er ist.« – Ein Holländer ist es, Kapitän. Ich habe den Namen gelesen.«
»Ich auch, aber ich kenne die Ortsnamen nicht. So, ein Holländer! Den habe ich hier noch nicht gesehen und es wundert mich, daß seine Ankunft nicht gemeldet ist. Was hat der wohl in der Adangbucht zu suchen?«
»Es wird ein Kauffahrer sein, der von Holland kommt und Ladung nach Europa nimmt. Das ist doch nichts Seltenes!«
»In der Adangbucht kann er nichts löschen oder laden, weil da kein Dorf oder Hafen ist. Und daß er als Holländer uns Waren bringen sollte, glaube ich nicht. Wenn der Kutter fertig wäre, würde ich den Fremdling verfolgen lassen. – Hallo! Er bekümmert sich um das Floß. Also doch ein Spion! Na, diesmal werden sie nichts finden.«
In der Tat hatte der Schoner beigedreht und mit dem Bootsführer eine Unterhaltung begonne. Er ließ ein Boot zu Wasser, und wir bemerkten, daß sich ein weißgekleideter Mann dicht an das Floß heranrudern ließ.
»Seid mit dem Pendje nur artig, Mijnheer!« höhnte Tschung-Li, der die Szene nicht ohne innere Aufregung verfolgte. »Der trifft dich auf zwanzig Schritt Entfernung mit dem Kris ins Herz. Das ist seine Spezialität!... Aha, der gibt dem Schnüffler heraus ... Sehen Sie, er zieht ab! Nun werden wir bald wissen, wer das ist.« Langsam waren wir wieder über den andern Bug gegangen, um dem Floßführer erneut beizustehen. Da erschien plötzlich auf der Spitze des Vorderstevens eine kleine weiße Flagge, in der ein Kreuz mit einem roten und einem schwarzen Balken leuchtete.
»Dachte ich es doch!« sagte Tschung-Li. »Ein Regierungsschiff sucht nach den Vermißten. Nun ist es Zeit, eine einsamere Gegend aufzusuchen und möglichst nahe an der Küste zu bleiben. Eine Dschunke war vergangene Nacht dicht bei uns, die nicht zu uns gehörte. Wenn deren Mannschaft schwätzt, werden wir ein paar Wochen an Land verbringen müssen. Vielleicht hat aber die ›blaue Taube‹ sie schon in Behandlung genommen.«
»Woraus schließen Sie, daß das ein Regierungsschiff ist, Kapitän?« fragte ich. »Die holländische Regierung ist doch nicht so arm, wie die portugiesische, daß sie ihre Küsten von Segelschiffen bewachen läßt. Die kann sich doch Dampfer leisten.«
»Das tut sie auch. Aber trotzdem kann sie Segelschiffe nicht entbehren. Ein Dampfer ist unter uns und unsern Freunden sofort bekannt. Man geht ihm aus dem Wege oder opfert die Ladung, wenn er gar zu nahe herankommt. Segelschiffe aber sind viel schwerer zu erkennen. Die Dschunken der Regierung kann ich von unsern eigenen oft nicht unterscheiden. Ebensowenig die Prauen und Sampangs. Deshalb haben wir unsere Geheimzeichen eingeführt, die nur Eingeweihte kennen. Hier an Bord weiß nur mein Erster und ich damit umzugehen. Die Holländer haben das natürlich längst herausgebracht. Sie versuchten einige Male durch Nachahmung unserer Signale sich als Freunde auszugeben. Aber jedesmal kam der Betrug sofort auf, da irgendein wichtiges Zeichen fehlte oder falsch angewendet wurde. Natürlich wurde ihnen dann das Handwerk gelegt. Die Dschunken werden noch heute zurückerwartet! – Und nun wollen sie uns sogar mit dem Dreimaster jagen! Na, der Steuermann muß die Küste genau kennen, sonst sitzt er in den nächsten drei Tagen irgendwo auf den Riffen.«
Mehr und mehr entschwand das Floß unsern Augen. Zwei Dschunken lagen in seiner Nähe und leisteten dem Steuerer die nötige Hilfe. Wir konnten daher beruhigt unsern neuen Kurs verfolgen, der uns an der felsigen Küste vorbeiführte. Wir hatten hier kaum zwanzig Meter Wassertiefe und das Meer war so klar, daß ich die unterseeische Fauna mit Muße bewundern konnte. Große Gärten der fleischfressenden Seeanemonen, Tausende von Holothurien, die wie dicke braune Wülste auf Alpenwiesen lagen, wechselten ab mit den rot und grün schillernden Spongien, auf denen wiederum grotesk geformte Muscheltiere ihre Nahrung fanden. Auf einer fast den Wasserspiegel berührenden Klippe lagen zwei riesige Tridacnamuscheln, deren Schalen imstande sind, einen Menschen durch einfaches Zuklappen in zwei Teile zu schneiden. Eine der beiden lieferte den Beweis für diese von Tauchern bestätigte Mitteilung, denn zwischen ihren halbgeschlossenen Rändern hing der vordere Teil eines sehr großen, delphinartigen Fisches, der das Unglück gehabt hatte, die Riesenmuschel zu berühren. –
Mitten in meinen Betrachtungen störte mich der Kapitän mit der Frage: »Waren Sie bei dem Holländer?«
Als ich verneinte, ersuchte er mich, ihn zu besuchen und durch geschickte Redewendungen zu ermitteln, zu welcher Station er gehöre. Es sei das sehr wichtig für seine weiteren Entschlüsse.
»Und wenn er es nicht sagt? Es ist immerhin wahrscheinlich, da er genau weiß, welchen Wert diese Kenntnis für Sie haben muß.«
»Dann sagen Sie ihm, er würde gehängt werden!« rief Tschung-Li.
»Das wäre wohl das verkehrteste Mittel, Kapitän. Dann wird er erst recht nichts sagen, und ich täte es auch nicht. Wenn man mir schon mit dem Tode droht, dann liegt auch der Schluß nahe, daß man mich unter allen Umständen ermorden wird. Dann sage ich gar nichts mehr.«
»Dann versprechen Sie ihm die Freiheit!« rief er.
»Das glaubt er noch weniger, nachdem er die Besatzung einmal gesehen hat. Ich werde ihm sagen, man beabsichtige ihn gegen Lösegeld freizugeben oder gegen andere Gefangene auszuwechseln. Ist Ihnen das recht?«
»Meinetwegen sagen Sie ihm auch das!«
»Natürlich müssen Sie dann Wort halten,« erwiderte ich. »Sonst möchte ich lieber nichts mit der Geschichte zu tun haben.«
»Reden Sie doch nicht so naiv, Nottebohm,« antwortete Tschung-Li und schlug mir vertraulich auf die Schulter. »Sie sind jetzt einmal in unsere Geschäfte verstrickt und müssen mit uns durch dick und dünn, Ein Ausweichen ist nicht mehr möglich. Betrügen Sie uns, dann trifft Sie der Kris, wo Sie auch weilen mögen.«
Ich zog es vor, auf diese Worte keine Antwort zu geben. Sie bestärkten mich in meinem Entschlusse, nun erst recht alles daranzusetzen, um die Verbrecher der Gerechtigkeit in die Arme zu treiben. Dazu sollte mir der holländische Offizier helfen.
In dem engen Gelaß, das nur durch ein handgroßes, von außen verschließbares Loch Licht und Luft erhielt, fand ich einen Mann mit leicht angegrautem Haar, dessen Gesicht einen energischen Zug eisernen Willens trug. Seine grauen Augen schossen drohende Blicke, die einen ausgesprochen feindseligen Ausdruck annahmen, als ich mich seinem Lager näherte. Eine Bewegung der Überraschung beim Eintritt des Europäers wich sofort der ablehnenden Miene.
»Ich komme im Auftrage des Kapitäns, um mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen,« sagte ich mit lauter Stimme, da ich Matrosen in der Nähe wußte. Meine Anrede begleitete ich jedoch mit einer Gebärde, die ihm andeutete, daß ich aus eigenem Antriebe zu ihm kam. Er verstand die Geste, schien ihr aber nicht zu trauen. Ablehnend erwiderte er:
»Mein Befinden geht den Kapitän nichts an. Sagen Sie ihm das und verlassen Sie mich, wenn damit Ihr Auftrag erledigt ist.«
»Sie tun unrecht, Herr Kapitän, mich so schroff abzuweisen. Wir werden noch ein paar Tage gemeinsam reisen müssen, und da glaubte ich es in unserm beiderseitigen Interesse, wenn wir uns durch Unterhaltung die Zeit vertreiben.«
»Sagen Sie mir zunächst, wer Sie sind und welche Stellung Sie hier an Bord bekleiden?« fragte er, in strengem, inquisitorischem Tone.
»Ich bin Angestellter einer spanischen Firma und begebe mich auf meinen neuen Posten. Zunächst nach Pollok auf Mindanao. Eigentlich war ich für eine Niederlassung auf Borneo bestimmt, aber diese Dschunke, die Fracht für die Firma führt, erhielt unterwegs die Order, nach Pollok zu segeln.«
»Von wem kam die Order? Woher kommt überhaupt diese Dschunke?«
»Wir kommen von Rupang auf Timor. In der Mangerai-Straße trafen wir einen Sampang, der uns die neue Order brachte. Der Schiffer gehörte zum Semaphor auf Rindja.« Diese Lüge glaubte ich Tschung-Li schuldig zu sein.
»Ihren Namen werden Sie nicht nennen wollen?«
«Ich habe keine Ursache ihn zu verbergen. Nottebohm heiße ich.«
Sinnend blickte der Offizier in die Ferne. Halblaut flüsterte er: »Den Namen hörte ich kürzlich.«
Die Worte, im Verein mit einem wohlwollenderen Zuge im Gesichte des Gefangenen, gaben mir neue Hoffnung. Er bemerkte das und beantwortete meine warnende Geste nach dem Deck hin mit einem Kopfnicken.
Ich lenkte das Gespräch auf andere Bahnen.
»Brauchen Sie irgend etwas? Essen, Trinken, Rauchen?«
«Ja, ich möchte mich waschen. Darf ich auf Deck spazieren gehen?«
»Darüber werde ich den Kapitän befragen. Ich selbst bin ja nur Passagier – und ebenfalls Gefangener,« fügte ich leise hinzu.
Wider Erwarten fand ich keinen Horcher in der Nähe der kleinen Kabine, als ich den Holländer verließ. Der Kapitän lag in der Kajüte und grübelte. Eine dichte Dampfwolke ließ auf seine innere Erregung schließen. Ich überbrachte ihm die Wünsche des Gefangenen.
»Der Aufwärter soll ihm Wasser vor seine Koje bringen. Er kann meinetwegen auch auf Deck spazierengehen, wenn keine Fahrzeuge in Sicht sind. Sobald sich ein Segel zeigt, muß er in seine Koje zurück. – Haben Sie schon etwas erfahren?«
»Noch nicht! Der Mann ist natürlich noch zurückhaltend, wenn ich mich aber mehr mit ihm beschäftige, hoffe ich manches zu erfahren.«
»Ich will hauptsächlich wissen, ob er zu der Station in Pasir gehört. Wenn irgend möglich, möchte ich auch etwas über die Verhandlungen in bezug auf den kürzlich aufgebrachten Dampfer in Erfahrung bringen.«
»Wie soll ich das anfangen, Kapitän. Ich weiß ja kein Wort davon.«
»Hier ist eine Zeitung, die wir an Bord des Kutters fanden, da steht etwas von einem kürzlich eingebrachten Dampfschiffe.«
In Gegenwart des Aufwärters überbrachte ich dem Offizier die Zusage des Kapitäns. Darauf entfernte ich mich, um dem Gefangenen bei seiner Toilette nicht im Wege zu stehen. Als ich auf Deck kam, sah ich, daß der weiße Ball wieder im Vortopp hing. Am Heck flatterte die spanische Flagge. Ein Schiff war weit und breit nicht zu sehen. Der erste Steuermann stand allein neben dem Ruder, vor ihm lag eine Tafel mit allerlei mystischen Zeichen, in die er hineinstarrte, um nach einiger Zeit das Glas brummend auf die Küste zu richten.
»Gibt's etwas Neues, Steuermann?« fragte ich, neben ihn tretend.
»Weiß der Henker, was dem da drüben einfällt,« brummte er, ohne das Glas von den Augen zu nehmen. Der rote Ball paßt nicht zu dem grünen und beides nicht zu der weißen Flagge. – Würden Sie den Kapitän nach oben bitten. Er möchte rasch kommen, sonst wird es zu dunkel.«
Tschung-Li sprang an mir vorbei auf das Achterdeck. Er riß dem Steuermann das Fernrohr aus der Hand und suchte die steile Küste ab. Auch er blickte lange auf einen Punkt, und machte dann eine verneinende Geste.
»Das ist nicht für uns,« rief er aufgeregt. »Entweder ist das eine Falle, oder da sitzt einer, der das Signalisieren nicht versteht.«
»Da liegt aber unsere Hütte,« erwiderte der Steuermann. »Nur kann er keine Schiffssignale geben, die nicht mit der Flagge übereinstimmen. Ich denke, wir lassen sie unbeachtet, Kapitän.«
»Ja, so ist die Meldung nicht richtig. Würde sie stimmen, dann müßten wir die Dschunken doch irgendwo entdecken. Sichtet Ihr nichts?«
»Keine Spur von einem Fahrzeug. Da sind wahrscheinlich wieder die Holländer am Werk. Es ist gut, daß Ihr keine Antwort gegeben habt.«
»Der weiße Ball sitzt im Vortopp, wenn der da drüben das Verzeichnis kennt, weiß er, daß Ihr hier an Bord seid, Kapitän.«
»Alle Wetter, Steuermann! Warum wart Ihr so eilig damit?«
»Seht doch selbst. Rot und grün. Die weiße Flagge wehte nicht aus, darum glaubte ich, es sei Maharani, der ja um diese Zeit hier sein muß.«
»Na, jetzt ist's geschehen. Ein Glück, daß es dunkel wird. Lasset die grünen Segel wegnehmen und setzt die grauen. Auch die graue Bemalung wollen wir herunterklappen. Wir sind dann unter der Küste nicht zu erkennen. Lichter führen wir natürlich nicht.«
Diese Unterredung war mit lauter Stimme geführt worden. Keiner der beiden Führer hatte daran gedacht, daß der fremde Offizier jedes Wort verstehen konnte. Ich fand ihn auch noch vor seiner Koje und hatte eben noch Zeit, ihn in das Gelaß zurückzudrängen und ihm zuzuraunen:
»Stellen Sie sich schlafend.«
Da kam auch schon der Steuermann hinter mir her, um den Befehl des Kapitäns ausführen zu lassen. Er unterbrach seinen Lauf und warf mir die Frage hin: »Ist der Holländer draußen?«
«Er liegt auf den Matten und schläft oder stellt sich so.«
»Dann ist es gut. Er darf nicht auf Deck. Sorgen Sie dafür!«
»Keine Angst, Steuermann. Ich passe auf.«
Ich ging in meine Kabine zurück, um dort einige aufklärende Zeilen für den Holländer niederzuschreiben. Zufällig fiel mein Blick aus dem nach rückwärts gelegenen Fenster auf den Wasserspiegel. Da sah ich das Topplicht und beide Seitenlichter eines Dampfers, der genau auf uns zukam. – Sollte das für mich eine Rettung bedeuten, oder...? – Ich eilte nach oben. Auf dem Achterdeck war nur der Rudersmann, der die Augen auf Kompaß und Segel gerichtet hatte und sonst für nichts Interesse zeigte. Weder Tschung-Li noch der Malaie befanden sich in der Nähe. – Wie ich es von den Schiffsführern gesehen hatte, klopfte ich nun mehrere Male heftig auf die Decksplanken, mit dem Erfolg, daß beide, Kapitän umd Steuermann, nach oben stürzten.
»Was gibt's?« fragten sie, wie aus einem Munde.
«Da – seht selbst!«
Mit einem Blick hatten sie das Gefährliche ihrer Lage erkannt. Ein Hagel von Flüchen entfuhr beiden, die ihren Zorn auf den Unschuldigsten, den Rudersmann entluden. Ich rief den lautesten Schreier zur Besinnung.
»Schreit nicht so, Kapitän. Das hört man auf zehn Meilen, und der Dampfer ist nur halb so weit. – Oder soll er wissen, daß hier Ihre Dschunke ohne Lichter läuft? Dann machen Sie sich bemerkbar, sonst übersegelt er uns.«
Der Malaie hatte, ohne viel zu fragen, das Steuer herumgelegt und die Dschunke dadurch noch dichter an die Küste getrieben. Die Segel wurden festgebunden und alles Leben mußte ersterben. Wenn der Dampfer nicht mit bestimmten Absichten diesen Kurs steuerte, war es möglich, daß wir von ihm gar nicht bemerkt wurden. Der Umriß der Dschunke mußte mit der finsteren Küste verschwimmen.
Bange Augenblicke vergingen. Wohl jedem an Deck schlugen in diesen Minuten die Pulse schneller. Ich glitt leise die Treppe hinunter, um den Offizier vor einer Unbesonnenheit zu bewahren, die seinen sofortigen Tod herbeiführen mußte. Ich fand ihn lauschend vor seiner Türe.
»Kommen Sie rasch herein,« raunte ich ihm ins Ohr und drückte die Türe zu.
»Da kommt ein Dampfer, nicht wahr?« fragte er aufgeregt. »Lassen Sie mich heraus. Der muß mich retten.«
»Es wäre im Gegenteil sicherer Tod. Tschung-Li wird Sie sofort töten, wenn Sie den geringsten Versuch zu einer verräterischen Handlung unternehmen. Warten Sie eine günstigere Gelegenheit ab.«
»Ist Tschung-Li hier an Bord? Der berüchtigte Tschung-Li? O, wenn ich das geahnt hätte! Zwanzigtausend Gulden und Beförderung wären mir sicher!«
»Wer weiß, ob Sie die nicht verdienen können. Seien Sie nur jetzt vorsichtig und bleiben Sie ihm so lange als möglich aus den Augen – horch! Der Dampfer stoppt!«
Wirklich vernahmen wir das Abblasen des Dampfers. Das Geräusch der Schraube war verstummt. Eine Stimme rief das übliche:
»Ship-ahoi!« Und dann nach kurzer Zeit in englischer Sprache:
»Ist da noch jemand an Bord?«
Von unserer Seite erhielt der Frager natürlich keine Antwort. – Nach kurzer Pause hörten wir dann die Worte:
»Halten Sie sich nicht auf. Entweder schlafen die oder es ist ein verlassenes Wrack. In beiden Fällen geht's uns nichts an. Wir können es ja morgen früh in Samarinda melden...«
Das Weitere ging in dem Getöse der jetzt wieder das Meer peitschenden Schraube verloren. –
Nach einer kurzen Warnung an den Offizier eilte ich auf Deck, wo sich Tschung-Li eben aus einem Haufen Matten schälte. Seine erste Frage war: »Wo waren Sie? Haben Sie verstanden, was man rief? Das waren Deutsche.«
»Nein, Kapitän, das ist ein Engländer. Ich war bei dem Holländer in der Koje, um ihn vor einem dummen Streiche zu bewahren. – Er dachte übrigens nicht daran.«
»Was sagte der Engländer? Sie verstehen doch die Sprache?«
Ich wiederholte dem Kapitän und dem hinzutretenden ersten Steuermann die Worte, worüber Tschung-Li in ein höhnisches Gelächter ausbrach. Der Malaie aber nahm die Sache viel ernster:
»Ihr habt durchaus keine Ursache zum Lachen, Kapitän. Wenn der Dampfer die Meldung macht, geht sofort der Rettungsdampfer heraus und dann findet er uns rasch auf unserm Kurse. Ich bin dafür, daß wir so viel Seeraum als möglich zwischen uns und diese verdammte Küste bringen. Gehen wir lieber auf acht Tage nach Celebes hinüber. Von da aus ist Mindanao auch nicht weiter als von hier.«
»Das geht doch nicht, Steuermann,« rief Tschung-Li. »Ihr wißt doch, daß wir hier irgendwo mit Kü-schan zusammentreffen sollen. Und dann wollt Ihr doch wohl selbst nicht mit unserer Ladung in einen spanischen Hafen einlaufen?«
»Allerdings nicht! Hätten wir doch den roten Dampfer nie gesehen! Dann hätten wir unsere Ladung auf unserer Balabalakan-Station abgegeben und säßen zu dieser Stunde vergnügt in Pasir. Ich möchte nur wissen, was den Kü-schan neuerdings dazu treibt, jede Dschunke mitten auf See nach einem andern Hafen zu schicken. Keiner weiß mehr, wohin er gehört. Ich werde ihm das bei der nächsten Gelegenheit sagen.«
»Kü-schan muß am besten wissen, was er tut. Er verkauft seine Waren, wo er den besten Preis dafür bekommt. Augenblicklich zahlen die Dajaks die höchsten Preise.«
»Davon hat aber nur er Gewinn, und Ihr. Wir andern müssen alle Gefahr laufen, oft wochenlang fahren, ohne für die verlorene Zeit entschädigt zu werden.«
»Dongsa hat Euch doch für die Fahrt von Singapore nach Kupang ein Aufgeld gezahlt!«
»Lumpige fünfzig Gulden. Dafür brauchten wir genau drei Wochen länger und wären auf ein Haar dem Engländer in die Hände gefallen, wenn ich ihm nicht noch im letzten Augenblick zu der Strandung auf den Montaran-Riffen verholfen hätte.«
«Nun, beruhigt Euch nur wieder! Ich will mit Kü-schan reden, daß er Euch die Nummer sieben als Kapitän gibt. Das entschädigt Euch für vieles. – Jetzt aber müssen wir einen Entschluß fassen. Warum wollt Ihr die Reise nicht fortsetzen?«
»Weil ich den Rettungsdampfer nicht längsseit haben will. Entweder gehen wir in der Bucht vor der Hütte zu Anker oder wir suchen die hohe See auf. Hier ist's mir zu gefährlich.«
»Wenn der Dampfer die Küste absucht, findet er auch die Hütte. Hoffentlich merkt es der, der dort nachmittags war, beizeiten.«
»Darum können wir uns nicht auch noch bekümmern. Am besten für die Gesundheit unserer Hälse ist es, wenn wir geradewegs nach Kü-schans Insel in der Lucia-Bai laufen. Wenn er nicht da ist, wird er jedenfalls kommen und uns dort suchen. Und dann gehen wir aus der Dreimeilenzone heraus. Dann hört die Schnüffelei der Holländer von selbst auf.«
Tschung-Li gab dem Malaien nach. Als das Schiff wieder Fahrt machte, tauchte vor uns wiederum ein Dampferlicht auf. Diesmal von Norden kommend und in größerem Abstand. Der Malaie ließ neuerdings wenden. Dadurch kam er aber der Küste so nahe, daß die Dschunke leise den Grund berührte. Das entfesselte bei beiden wieder Verwünschungen.
»Weiß der Henker, was die Dampfer plötzlich hier zu suchen haben,« wetterte Tschung-Li. »Sonst können acht Tage vergehen, ehe sich einer hier blicken läßt, und jetzt gar zwei in einer Nacht!«
»Die hat Kü-schan mit seinem roten Teufelskasten in diese Gegend gezogen. Wie konnte er auch nur so unvorsichtig sein und dem Dampfer eine so auffallende Farbe geben?« – Er warf das Lot über Bord, um die Tiefe des Fahrwassers festzustellen, zog es aber sofort wieder herauf und brach nach der bei ihm üblichen Einleitung in die Worte aus:
»Wir haben keine Handbreit Wasser unter dem Kiel, Kapitän. Wenn wir nicht Gefahr laufen wollen zu stranden, dann laßt den Anker ausbringen. Bevor nicht der Dampfer vorüber ist, können wir keine Versuche machen, in tieferes Wasser zu kommen. Der Lärm muß ja drüben gehört werden. – Was macht übrigens unser Gefangener? Gehen Sie hinunter zu ihm, Nottebohm. Er darf nicht wissen, wo wir sind.«
«Habt Ihr Angst, er ginge über Bord?« fragte Tschung-Li. »Dafür sorgen schon die Haie, daß er nicht weit kommt.«
Ich brannte schon lange darauf, dem Holländer zu sagen, daß sich hier eine Möglichkeit zur Flucht für ihn böte, wagte aber nicht, unter Deck zu gehen. Der Auftrag kam mir gerade gelegen.
Der Holländer lag auf seier Matte und lauschte auf jedes Geräusch. Als Fachmann konnte er danach dieLtage der Dschunke beurteilen.
»Wir sitzen auf Grund?« fragte er leise.
Und als ich bejahte, wollte er wissen, wo wir uns befänden.
»An der Ostküste von Borneo,« raunte ich ihm zu. »Es kann nicht weit von der Adang-Bai sein. Gegen Abend sichteten wir eine Hütte, die den Schmugglern gehört. Tschung-Li sagt, sie müsse hier herum sein, da wir mit der Strömung zurücktrieben...«
»Die Hütte kenne ich. Sie ist von unsern Leuten besetzt. Ha, wenn ich dort über Bord gehe, bin ich gerettet. Wie weit mag sie noch von hier sein? Die Küste hat fast gar keinen Strand. Dort wäre ich verloren...«
»Ich werde mich erkundigen,« sagte ich. »Wenn Ihnen die Flucht gelingt, denken Sie an mich. Wird unsere Mannschaft gefangen genommen, dann muß ich mit büßen und bin so unschuldig wie Sie.«
»Mein Wort darauf. Berufen Sie sich auf Kapitän Dekker von der Station in Pasir, wenn man Ihnen den Prozeß machen will. Im übrigen haben Sie mir und uns so große Dienste erwiesen, daß Sie dadurch allein schon von jedem Verdacht befreit werden.«
Ein Rumoren auf dem Achterdeck ließ mich den Besuch abbrechen. Ich eilte nach oben. Der Dampfer war auf gleicher Höhe mit uns. Seine Umrisse hoben sich undeutlich von dem helleren Himmel ab, doch sah man, daß er einen weißgemalten Rumpf und zwei Schornsteine hatte. Er fuhr halbe Kraft, was vielleicht auf das klippenreiche Fahrwasser zurückzuführen war. – Unsere Mannschaft verfolgte seinen Lauf mit Groll im Herzen. Schienen doch die Minuten, die er brauchte, um aus unserer Nähe zu kommen, ebenso viele Ewigkeiten. Wohl jeder von uns zitterte in diesem Augenblick vor Aufregung.
Endlich schob sich der Rumpf aus unserer Gesichtslinie und gab den Blick auf die See wieder frei. Dort waren inzwischen zwei rote Lichter erschienen. Nach Norden steuernde Segler. Der Malaie wies stumm mit der Hand nach ihnen, fuhr aber mit einem Ruck herum, denn nun stieg plötzlich in unserer Nähe am Lande eine Rakete gen Himmel, die mit roter Flamme einen goldenen Regen niederfallen ließ. Ehe der Steuermann noch ein Wort darüber äußern konnte, antwortete der Dampfer ebenso.
»Zum Henker noch einmal, da ist die Hütte!« schrie Tschung-Li mit seiner lauten Stimme, worauf ich von den obersten Treppenstufen aus absichtlich laut wiederholte:
»Das ist die Hütte? Da sind wir ja keine fünfzig Meter entfernt.«
»Da ist etwas nicht richtig!« schrie plötzlich der Malaie. »Dachte ich es doch gestern abend! – Auf, alle Mann an Deck! Hoch den Anker! Nieder die Segel!«
In der nun herrschenden allgemeinen Aufregung ging das leise Klatschen unter, auf das ich mit fiebernden Pulsen wartete. Wie ein leichter Schlag eines spielenden Fisches drang das Geräusch an mein Ohr. Ich beugte mich über die Reling und sah mit geheimer Freude, wie die Oberfläche des Meeres die immer weiter auseinanderlaufenden Kreise bis unter unsern Bug trug. Da die Entfernung zur Küste nicht groß war, hoffte ich den schwer heimgesuchten Beamten in Sicherheit. Den Schmugglern aber war ein Todesopfer entrissen.
Dm angestrengten Bemühungen der Mannschaft war es endlich gelungen, die Dschunke in tieferes Wasser zu bringen, wo Wind und Strömung ihr die Bewegungsfreiheit wiedergaben. Es war auch keine Minute zu früh, denn schon vernahm man das taktmäßige Aufschlagen von Rudern und das laute Kommando eines Holländers, der seine Soldaten zur Feuerbereitschaft aufforderte. Automatisch folgte auf der Dschunke der Ruf:
»Alle Mann unter Deck!« Mich riß Tschung-Li unter einen Haufen Matten, die nach drei Seiten durch Eisenholzbretter zu einer Art Bett zusammengelegt waren. Der Malaie steuerte nun von der Kajüte aus nach den Rufen des Mannes auf der Back.
Wieder verbrachten wir bange Minuten. Die Ruderer arbeiteten mit aller Kraft, mußten aber bald einsehen, daß sie den Segler nicht mehr einholen konnten. Einen Abschiedsgruß schenkten sie uns jedoch noch. Eine Salve krachte über die Wasserfläche und brach sich im Echo an der Küste.
»Getroffen!« rief ich dem neben mir liegenden Kapitän zu, obwohl ich wußte, daß ich damit eine Unwahrheit sprach.
»Wer? Sie? Wo denn?«
»Ich nicht. Ich hörte eben einen Schrei und ein Klatschen, als ob ein Körper ins Wasser fiele.«
»Wird so ein naseweiser Malaie gewesen sein. Geschieht ihm recht.« Damit war der Fall für den Kapitän erledigt. Mir aber fiel ein Stein vom Herzen. Hatte ich doch den Verdacht der Mitschuld von vornherein erstickt.
Um das Unglück voll zu machen, gaben auch die beiden fernen Segler Signale. Ein rotes flackerndes Feuer loderte auf dem Meeresspiegel auf, das langsam in grün überging und dann verlöschte. Eine rote und eine grüne Laterne, untereinandergestellt, schob sich an einem Maste in die Höhe.
»Das ist Maharani selbst!« rief Tschung-Li in größter Erregung, »er weiß noch nicht, daß die Hütte besetzt ist. – Wir müssen ihn warnen, Steuermann. Haltet auf die Fahrzeuge ab und gebt das Signal.«
»Mit den Holländern auf den Fersen! Nein, Kapitän, das werde ich bleiben lassen. Ich brauche meinen Hals noch länger. – Hört Ihr das Klappern hinter uns? Die machen Jagd auf uns oder die andern. Ich bin nur froh, daß wir den Kutter haben. Das ist unsere letzte Rettung,« erwiderte der Steuermann in höchster Erregung.
«Ihr glaubt doch nicht, daß...«
»... wir an Land flüchten müssen? Ja, das glaube ich, Kapitän! Wenn die an der Hütte noch einen solchen Kutter haben, wie jenen, dann können wir ihnen nicht entgehen.«
»Nun, dann kämpfen wir, wie wir es schon oft getan haben. Wir sind noch immer Sieger geblieben.«
»Aber nicht wenn die Holländer mit Geschütz und Gewehren kommen, Kapitän. Ich lasse lieber den Kutter klar machen.«
»Im äußersten Falle haben wir ja noch den Holländer als Geisel!« warf ich ein. »Der muß uns mit seiner Person für unsere Freiheit haften.«
»Bei Allah – ja! Daran habe ich gar nicht mehr gedacht,« rief Tschung-Li. »Den Mann wollen wir uns jedenfalls sichern.«
»Ihr wolltet ihn doch für Kü-schan aufheben, Kapitän,« antwortete der Malaie mit anzüglicher Geste.
»Mein Kopf ist mir lieber wie der ganze Kü-schan,« erwiderte er lachend. »Aber seht doch nur, was der Maharani für Tollheiten macht. Der steuert wahrhaftig an die Küste. – Wir müssen ihn warnen, Steuermann. Es ist unser Oberhaupt, dem wir Treue geschworen haben.«
»Es heißt aber auch, daß sich im Falle der Gefahr jeder auf eigene Faust retten soll und vom Nachbarn keine Hilfe beanspruchen darf. – Glaubt Ihr, daß Maharani uns hilft, wenn er sieht, daß der Holländer uns umzingelt hat?« – »Hm – das ist etwas anderes...«
»Hahaha, weil er das Geld hat und wir, das heißt, Steuerleute und Matrosen, dafür bezahlt werden, daß wir uns von den Weißen am Halse aufhängen lassen. – Nein, Kapitän, soweit geht meine Verehrung für den Seeräuber nicht.«
Eine heftige Antwort Tschung-Lis wurde durch die Vorgänge unterbrochen, die sich jetzt auf dem Meere abspielten. Die Holländer hatten uns entweder in unserm grauen Kleide aus den Augen verloren, oder sie kannten die Beute, die ihnen mit den beiden Dschunken in die Hände fallen mußte. Während die Insassen der Hütte durch Signale, die uns durch die steile Küste verborgen blieben, die Dschunken der ahnungslosen Schmuggler immer näher an den Strand lockten, lösten sich mehrere Boote vom Lande und legten sich mit umwickelten Rudern in weitem Halbkreis um die beiden Opfer. Eines der Boote, mit zehn Matrosen bemannt, lief so dicht an uns vorüber, daß es uns wunderte, warum man uns nicht angriff. Jedenfalls bildete diese unerklärliche Unterlassung den Gegenstand der Unterhaltung zwischen uns.
»Sie glauben uns sicher zu haben,« äußerte ich auf eine Bemerkung Tschung-Lis. »Auch wir werden umzingelt wie die beiden, und wer weiß, ob wir nicht die Sonne zum letzten Male aufgehen sehen.«
»Fangen Sie auch noch an mit Ihrer Schwarzmalerei,« rief der abergläubische Kapitän. »Noch haben sie uns nicht, und so lange noch ein paar Meilen Seeraum vor uns sind, gebe ich die Hoffnung nicht auf. Ich bin ihnen schon einmal aus dem Netz geschlüpft, und hatte nicht so viel Vorsprung. Wißt Ihr noch, Steuermann?«
»Vergeßt nicht, daß wir damals auf Tapul Schutz suchen konnten. Das ist spanisch. Da durften sie uns nicht folgen. – Und dann denkt daran, daß Ihr Euch damals den Kopfpreis verdientet, weil ihr den...«
»Da – endlich scheint der Maharani den Betrug zu entdecken!« unterbrach Tschung-Li die Enthüllungen. »Er gibt das Notzeichen! was meint Ihr, Steuermann, sollen wir es wagen? Er muß viele Millionen an Bord haben. Das wäre eine gute Gelegenheit, reich zu werden.«
»Ah – so! Der Maharani liegt Euch nicht am Herzen, sondern seine Schätze!« rief der Malaie. »Die nehmen sich die Holländer! – Da! Da geht's schon los! – Nun bringt die Dschunke vor den Wind, denn sobald sie da drüben fertig sind, kommen wir an die Reihe.«
Wir hatten uns inzwischen so weit entfernt, daß uns die Einzelheiten des Dramas, das sich dort abspielte, verloren gingen. Wir hörten nur den dumpfen Lärm des Getümmels, sahen das Aufblitzen der Schüsse und hörten oft einen schwachen Schrei, der das Ende eines der Kämpfenden in die Nacht hinaus trug. Ein schwacher Feuerschein, sich zusehends vergrößernd, beleuchtete die furchtbare Szene des Zweikampfes zwischen Gesetz und Verbrechen. Man sah die einzelnen Gestalten als dunkle Punkte sich aus dem Lichtkegel hervordrängen...
Atemlos verfolgten unsere Matrosen das Schauspiel. Mancher der braunen Söhne des Archipels faßte in diesen bangen Augenblicken den Entschluß, dem gefährlichen Berufe zu entsagen. Nur Kapitän und Steuermann betrachteten die längst gewohnten Kämpfe mit der kalten Entschlossenheit des Spielers, der seinen Kopf als Einsatz auf die letzte Karte gesetzt hat: Va banque!
»Der Maharani verbrennt seine Dschunke,« sagte Tschung-Li, und ein Bedauern klang aus seinen Worten. »Alle die Werte, die er in einem Leben voll Gefahren zusammengetragen, verschlingt dort das Meer.«
»Besser als wenn sie den Holländern in die Hände fielen,« antwortete der Malaie. »Ich kenne den Platz, und wenn mir niemand zuvorkommt, hole ich mir das, was das Feuer übrig ließ.« Ein bezeichnender Blick streifte dabei den Kapitän.
Dieser empfand die Anspielung. Mit gleichgültiger Miene entgegnete er: »Die Schätze bleiben auch Eigentum unserer Gemeinschaft, wenn sie versenkt worden sind. Ihr wißt das so gut als ich. Wir haben das doch schon öfter erlebt, und das letzte Strafgericht Rü-schans wird Euch hoffentlich noch recht frisch im Gedächtnis sein?«
»Darüber reden wir, wenn wir erst wieder unser eigener Herr sind. Seht Ihr den weißen Kutter, der von See her kommt? Dem müssm wir ausweichen oder...«
»Wieviel Gewehre haben wir eigentlich an Bord?« fragte plötzlich der Kapitän, nachdem er den Kutter längere Zeit durch das Glas betrachtet hatte. Jeder Zug seines Gesichtes war in Spannung.
»Gewehre genug – aber nur vier Mann, die schießen können,« antwortete der Malaie geringschätzig. »Unser Heil liegt in der Flucht. – Wir wollen versuchen, unsern Ankerplatz in der Koetei-Mündung zu erreichen. Dort finden wir Freunde.«
»Die ist viel zu weit weg, Steuermann. Bei einem Wettsegeln holt uns der Kutter sicher ein. – Und dann blickt einmal hinter Euch. Sagte ich es nicht, daß sie uns nach Sonnenaufgang jagen werden. Da habt Ihr den Beweis. Der läuft, wie wir, vor dem Winde. – Also bleibt uns nur die Küste. Vorwärts, in die Mündung des Pirobong.«
Letzterer ist ein kleiner Fluß, der bei seiner Mündung ein großes Becken aus den Felsen gewaschen hat. Von dichtem Urwald umgeben, bildet dieser natürliche Hafen ein leicht zu verteidigendes Versteck, das noch dazu durch vorgelagerte Klippen und Sandbänke für den Nichteingeweihten sehr gefährlich werden kann. Hierhin steuerte Tschung-Li die Dschunke. Und da die Entfernung nur wenige Seemeilen betrug, so liefen wir in den Fluß ein, bevor noch der Führer des Kutters die genauen Kennzeichen unseres Fahrzeuges in sich aufnehmen konnte.
In dem Becken trafen wir Gesellschaft. Vier tiefbeladene Dschunken harrten des Befehls zur Abreise. Drei davon hatten Landesprodukte geladen und waren nur hier eingelaufen, um von den Schmugglerfahrzeugen Bannwaren aufzunehmen. Die vierte lag in Ballast.
Die Nachricht von der Gefangennahme des Maharani wurde mit verschiedenen Gefühlsausbrüchen aufgenommen. Wirkliches Bedauern sah ich auf keinem Gesichte – eher das Gegenteil. Größere Aufregung verursachte die durch die Kutter drohende Gefahr. Zwar führte keine Dschunke, außer unserer, verbotene Waffen in ihrer Ladung, aber jeder einzelne der hier Versammelten hatte ein Verhör durch die Holländer zu fürchten. Fünf Minuten nach Bekanntwerden der Gefahr verschwanden bereits Matrosen und sogar Steuerleute in den das Ufer in ein undurchdringlich scheinendes Gewirr hüllenden Mangroven.
Aber auch auf unserer Dschunke herrschte fieberhafte Aufregung. Tschung-Li war kaum in den Kessel eingelaufen, als er auch schon über eine im Wege liegende Dschunke hinweg auf ein schlankeres Fahrzeug, allerdings auch als Dschunke getakelt, hinübersprang. Mit fliegender Hast riß er dort die Seitenbretter herunter. Seine Donnerstimme zwang die wenigen an Bord befindlichen Matrosen, an Stelle der gewöhnlichen grauen, schwarzgestreifte Mastensegel, die ihm die erste Dschunke liefern mußte, anzuschlagen. Hierauf rief er seinen zweiten Steuermann und befahl diesem, das Fahrzeug bis vor die Mündung zu verholen und dort auf ihn zu warten.
In der Zwischenzeit leitete der Malaie auf unserer Dschunke die zum Verlassen des Schiffes erforderlichen Arbeiten. Alles, was irgendwie mit den Signalen und der Metamorphose der Dschunke zusammenhing, blieb ruhig an Bord. Nur mein Gepäck – und hierauf legte der Steuermann besondern Wert – mußte mit hinüber auf das neue Fahrzeug, dessen ursprüngliche Besatzung, zufällig waren es nur Chinesen, beibehalten wurde.
Kaum eine Viertelstunde später waren wir auf dem neuen Schiffe auslaufbereit. Nur Tschung-Li fehlte noch, während der Steuermann ungeduldig auf dem Vorderdeck auf- und ablief und unter hundert Flüchen auf den saumseligen Kapitän seinem Zorn Luft machte. Endlich wurde er aus dem Dickicht nahe der sandigen Ausfahrtrinne angerufen. Dort stand ein Chinese mit einem um den Mund hängenden Schnauzbart und lackiertem Hute. Ein Pfiff belehrte den Malaien, daß er seinen Kapitän vor sich hatte, der mit der Jolle an Bord geholt werden wollte.
»Zum Henker, wo bleibt Ihr denn so lange, Kapitän?« fuhr ihn der Malaie an. »In einer halben Stunde haben uns die Kutter eingeholt!«
»Ich fand die passenden Papiere nicht gleich!« – Er wandte sich an mich. »Passen Sie genau auf: Wir kommen von Tawao – das ist britisch und gehört zu Nordborneo – und gehen in Ballast nach Delhi auf Timor. Wir liefen vor drei Tagen hier ein, um ein paar Tote zu begraben, die an den Pocken starben. Verstanden?«
»Sehr gut – und was für Ladung führen wir?«
»Ballast – Sand!«
Mit einem geheimen Unbehagen sah ich dem Augenblick entgegen, in dem man das Verschwinden des Holländers entdecken würde. Als dann in der fieberhaften Aufregung, mit der man sich zur Flucht aus der Umklammerung vorbereitete, weder Tschung-Li noch der Steuermann ein Wort darüber verloren, dankte ich Gott, daß er alles so gefügt hatte, daß auch nicht der Schatten eines Verdachtes auf mich fallen konnte. Bis der Anker dem Fahrzeuge freien Lauf gab, und wir durch die Sandbänke in das offene Meer liefen, zitterte ich noch innerlich. Dann aber, angesichts der drei Kutter, die in kurzem Abstande hintereinander vor dem Winde nach Westen liefen, fragte ich, das Gespräch der beiden Schiffsführer unterbrechend, so ganz nebenbei:
«Kann auch der Holländer seinen Landsleuten kein Zeichen geben?«
Wenn eine Granate neben uns eingeschlagen wäre, hätte sie kein größeres Entsetzen hervorrufen können als meine Frage.
«Ja, zum Henker, wo habt Ihr den Offizier untergebracht, Steuermann?« rief Tschung-Ki voller Heftigkeit.
«Ich? Ich habe mich nicht um ihn bekümmert. Ich schloß kurz vor Sonnenaufgang seine Koje mit dem Riegel ab. Seit der Zeit habe ich nicht mehr an ihn gedacht.«
»Sahen Sie nicht nach ihm, bevor Sie von Bord gingen, Nottebohm?«
«Nein, Kapitän. Ich hatte genug mit meinen Sachen zu tun...«
«Dann sitzt er noch in der Koje!« rief Tschung-Ki unter seinen gräßlichsten Flüchen, »wenn ihn da die Holländer finden, ist uns auch der Zufluchtsort verloren. – Und alle die Kameraden, die dieser Tage dort einlaufen, mit ihm. Daß Ihr das auch vergessen konntet, Steuermann!«
«Alles Reden darüber hat jetzt keinen Zweck mehr,« erwiderte dieser schroff. »Haltet lieber die Flagge bereit. Ich glaube, der eine von den dreien möchte seine Neugierde befriedigen.«
In der Tat hatte einer der drei Kutter noch ein Segel gesetzt und dadurch einen Vorsprung vor den andern gewonnen. Er lief unzweifelhaft in unsern Kurs, und schon erwog der Steuermann, ob er ihm nicht einen Streich spielen und eine Kollision herbeiführen sollte. – Aber da uns nur noch wenige hundert Meter von der Dreimeilenzone trennten, hoffte er diese zu erreichen, bevor der Holländer sich zu erkennen gab.
Tschung-Ki schärfte mir mein Verhalten ein. Ich sollte englisch sprechen und nach Art der Engländer grob und abweisend antworten. Bis ein Einverständnis im einen oder anderen Sinne erzielt worden wäre, mußten wir in der neutralen Zone sein. Dann waren wir überhaupt zu keiner Antwort mehr verpflichtet.
Bis dahin hatte ich mir das immer fesselnde Bild schnellsegelnder Fahrzeuge in voller Fahrt auf dem Meere, hinter der Reling stehend, von Deck aus angesehen. Jetzt mußte ich meinen englischen Tropenhut aus dem Koffer holen und mich in meine Rolle hineinfinden. Ich hoffte auch, den Engländer täuschend markieren zu können, denn wir hatten das früher oft in fröhlichen Stunden geübt. Ein Gedanke allerdings war geeignet, meine Sicherheit zu erschüttern. Wenn der Kapitän Dekkers in einem der Boote wäre!
«Der Kutter hißte die holländische Zollflagge. Der Aufforderung mußten wir Folge leisten. Nach einigem Zögern stieg die englische Flagge an unserm Heck empor. Darüber entstand anscheinend ein Zwiespalt unter den Insassen des Kutters, denn es dauerte geraume Weile, bis ein Anruf durch's Sprachrohr erfolgte. Der Frager sprach holländisch.
Jetzt erschien ich bedächtig auf der Treppe zum Achterdeck. Englischer Tupiehut, kurze Pfeife, Hände in den Taschen. Ich wartete eine neue Frage ab. Tschung-Li und der Steuermann standen gleichgültig an ihren Posten. Jeder hatte die Winchesterbüchse im Bereich seines Armes. Selbst der Chinese am Steuer verbarg unter seinen Füßen ein Gewehr.
Die Frage wurde wiederholt. Ein drohender Ton lag in den Worten.
Nun antwortete ich in echt englischer Weise: »Sprecht englisch, oder geht zur Hölle! Auf Piraten sind wir vorbereitet.«
Diese englischen Worte erschütterten das Selbstvertrauen der Bootsbesatzung noch mehr. Sie hatten nicht erwartet, einen Engländer, und noch dazu einen Weißen, vorzufinden. Dennoch setzte der Holländer das Verhör fort. Diesmal in ziemlich schlechtem Englisch, das mit den Ausdrücken der Eingeborenen vermischt war.
»Woher kommt die Dschunke und wohin geht sie?«
»Zur Hölle, wohin ich auch euch verdammte Piraten schicke, wenn ihr uns nicht in Ruhe laßt. Wer seid Ihr eigentlich?«
»Wir sind Zolloffiziere der Königlich Niederländischen Regierung. Das seht Ihr doch aus unserer Flagge.«
»Die hatte der Pirat auch gehißt, als er uns vor drei Tagen begegnete. Wir gaben es ihm aber so, daß er schleunigst das Weite suchte: Also gebt Raum. Außerdem sind wir hier in freiem Wasser. Ihr wißt, daß wir hier keine Zollboote anerkennen. Seid froh, daß ich euch glaube, sonst...« Eine bezeichnende Gebärde beschloß meine kurze Rede, die aber den gewollten Eindruck nicht verfehlte. Der Kutter wendete und fiel langsam nach hinten ab.
Tschung-Li fiel mir beinahe um den Hals.
»Mann, dem haben Sie es gut gegeben. Was der für ein Gesicht zog, als er sich drücken mußte. Sie will ich Rü-schan besonders empfehlen. Das verdient eine Belohnung. – was haben Sie denn eigentlich gesagt?« Ich gab den Inhalt meiner Unterredung mit dem Holländer möglichst wortgetreu wieder und erntete dafür das volle Lob der beiden Führer. Sie kamen aus dem Lachen über den gelungenen Streich gar nicht mehr heraus. Am größten war ihre Freude, als sie die drei Kutter jetzt nebeneinander treiben, und dann den Rückweg nach der »Hütte« einschlagen sahen. – Ich allerdings bereute es im Stillen, daß ich nicht die Gelegenheit benutzt hatte, mich von den Schmugglern zu trennen. – Allerdings wäre ich kaum den Kugeln der betrogenen Schiffsführer entgangen.
Am Spätnachmittag glaubte Tschung-Li das schützende freie Meer verlassen und wieder in die Nähe der Küste zurücklehren zu sollen. Ihm lag daran, allen uns begegnenden Dschunken der Gemeinschaft das Vorgefallene zu melden. Insbesondere brannte er darauf, etwas über Kü-schan zu erfahren, der hier stündlich erwartet wurde. Nicht wenig Sorge bereitete ihm auch das gänzliche Fehlen befreundeter Fahrzeuge, die zu gewöhnlichen Zeiten das inselreiche Gebiet um die Dondrekingruppe belebten. Aus seinen Gesprächen mit dem ersten Steuermann klang immer die Befürchtung heraus, daß auch jener Schlupfwinkel für die Schmuggler verschlossen, und ihre geheimen Lager aufgehoben seien.
»Fast möchte ich glauben, daß auch Kü-schan das Schicksal des Maharani betroffen hat,« sagte er. »Er müßte uns schon längst begegnet sein.«
»Das wäre ein fetter Bissen für die Holländer,« entgegnete der Malaie gleichmütig. »Allein seine reichen Besitzungen in Kupang, Samarang, Makassar und auf Flores sind hundert Millionen wert. Nicht gerechnet das bare Geld und die Juwelen. Donnerwetter, Kapitän, wenn wir das gewiß wüßten, segelte ich sofort nach der englischen Insel und träte die Erbschaft an!«
Tschung-Li gab darauf keine Antwort. Er verarbeitete wohl ähnliche Pläne in seinem Hirn, bei denen er jedoch keineswegs mit der Teilhaberschaft des Malaien rechnete, wie ich ihn kennen gelernt hatte.
Kurz nach Sonnenuntergang wurden in regelmäßigen Abständen vier langsam, vor kleinen Segeln kreuzende Dschunken sichtbar. Sie gehörten unzweifelhaft der Gemeinschaft an, denn jede trug, neben den gewöhnlichen Seitenlaternen, noch ein gelbes Licht in jedem Topp – wie dies bei Dampfern gebräuchlich ist.
Die Wahrnehmung entlockte dem Kapitän einen tiefen Seufzer der Erleichterung. Er wandte sich an seinen Steuermann mit dem Auftrage, die bekannten Warnungszeichen auszuhängen.
»Wo habt Ihr denn die Lichter hinstauen lassen?« fragte dieser.
»Das müßt Ihr wissen. Das ist Euere Sache!«
«Ich hatte genug zu tun, um diesen Kahn fahrbereit zu machen. Um die verdächtigen Signale kümmerte ich mich nicht. Ihr selbst habt befohlen, daß nichts an Bord genommen würde, was uns verraten könnte.«
»Aber die Signale waren doch ausgenommen davon,« brüllte Tschung-Li, der ganz außer sich hin- und herlief.
»Davon weiß ich nichts. Überhaupt verlohnt es sich nicht über Dinge zu reden, die dadurch nicht geändert werden können. – Wenn wir denen etwas sagen wollen, können wir ja längsseit laufen.«
Das wurde auch nach längerer erregter Auseinandersetzung beschlossen. Wir nahmen Kurs auf die vier Schiffe und setzten noch ein kleineres Hilfssegel, um sie vor ihrem Eindringen in das bedrohte Gebiet noch zu erreichen. – Das Manöver wurde jedoch von den andern mißverstanden. Kaum bemerkten sie unsern veränderten Lauf, als auch sie vor den Wind gingen und unter vollen Segeln zurückeilten.
Man male sich die Wutausbrüche aus, mit denen Tschung-Li diese Flucht vor seinem Fahrzeug begleitete. Er überhäufte den Malaien mit den gröbsten Schimpfworten, die dieser auch nicht ruhig hinnahm. Bald standen sich die beiden Verbrecher mit gezogenem Kris gegenüber... da war es wieder ein Ereignis auf dem Meere, das sie zur Besinnung brachte. Den Lärm der Streitenden übertönend, flog die aufgeregte Meldung des Chinesen vom Ausguck hinüber auf das Achterdeck:
»Dampfer rechts voraus!«
Die drei Worte schlugen wie eine Bombe ein. Sofort schlang die Nähe der Gefahr ihr einigendes Band um die gleichgesinnten Kumpane. Jeder sprang an seinen Posten auf der erhöhten Schanzkleidung und betrachtete abwägend das sich nähernde Schiff, von dem man Top- und Seitenlichter sah. Er kam also genau auf uns zu.
»Seitenlichter löschen! Steht bei den Segeln! Hart Backbord das Ruder!« Kurz und entschlossen kamen die Befehle.
Kaum gegeben, waren die Kommandos auch schon ausgeführt. Der Bug drehte sich dem Lande zu, und schwerfällig verfolgte die Dschunke ihre neue Bahn. Als man von dem fremden Dampfer nur noch das grüne Licht bemerkte, ließ Tschung-Li die Seitenlaternen wieder anzünden, um etwa begegnenden Fahrzeugen keinen Grund zum Verdacht zu geben. – Zornig lief er die Treppe hinunter, um seinen Ärger in der Kabine zu »ertränken«. Dazu kam er indessen noch nicht, denn der laute Aufschrei seines ersten Steuermanns brachte ihn rasch wieder an dessen Seite:
»Was ist los? Warum schreit Ihn denn, als ob Euch der Kris an der Kehle säße?« rief er, dem Malaien das Glas aus der Hand reißend.
»Vielleicht entdeckt Ihr es selbst, wenn es auch zu spät ist!« erwiderte dieser mit seinem gewohnten Gleichmut.
Tschung-Li untersuchte lange den Streifen, der den Dampfer andeutete, mit dem Fernglas. Selbstverständlich suchte er dort die Ursache des ungewöhnlichen Ausrufes seines Steuermannes.
»Seht Ihr immer noch nichts?« rief dieser wütend. »Die beiden rot und grünen Kugeln an Steuerbordseite sehe ich doch ohne euer verwünschtes Glas!« Die Bemerkung elektrisierte den Kapitän.
»Zwei rote und zwei grüne Kugellaternen sagt Ihr? Mann, das ist ja doch das Zeichen von Kü-schan! Und der ist uns vorbeigelaufen, ohne daß ich eine Ahnung davon hatte?!« Gräßlichere Flüche und Verwünschungen kamen wohl selten aus dem Munde eines Menschen, als die, welche Tschung-Lis herbe Enttäuschung über diesen Mißerfolg seines überstürzten Segelmanövers Ausdruck verliehen. Er raste wie ein wildes Tier, das gegen die Eisenstangen seines Käfigs rennt.
»Verloren ist er! Verloren ist er!« brüllte er in kurzen Zwischenpausen, und jedesmal flog seine Faust krachend auf die Platte des Kompaßtisches. Er machte auch einige Male den Versuch, seine Wut an der Person seines ersten Steuermannes auszulassen, aber dieser hatte den Kris mit dem langen und schweren Mandang vertauscht und war auf seiner Hut. Seine ganze kaltblütige Haltung ließ klar erkennen, daß er gewillt war, seinen Vorgesetzten bei der geringsten Beleidigung zu töten.
Eine Stunde mochte vergangen sein. Ich lag im ersten Halbschlummer auf meinen Polstern. Unweit von mir warf sich der Kapitän ruhelos auf seiner Liegestatt umher. Da drang der langgezogene Ton einer Dampfsirene an mein Ohr. Ich hob den Kopf, um mich zu vergewissern, daß ich nicht träumte. Da auch ein dumpfes, ungewöhnliches Geräusch auf dem Meere lagerte, ging ich an das nach rückwärts gehende Fenster und erblickte nun ein aufregendes Bild. Eine Jagd, wie ich sie schon einmal bei Tage erlebt hatte. Zwei Dampfer fuhren mit voller Kraft, die ruhige See zu schäumenden Bergen aufwühlend, auf kaum eine halbe Seemeile Entfernung zwischen uns und der Küste vorüber...
Das durfte ich dem Kapitän nicht vorenthalten. Daß der Malaie die Meldung unterließ, schob ich auf die gereizte Stimmung des Mannes. Ich rüttelte Tschung-Li, vergebens, dann brüllte ich ihm in die Ohren:
»Auf, Kapitän! Zwei Dampfer in nächster Nähe!« Das brachte ihn auf die Beine, und da in demselben Augenblick auch ein Chinese in der Türe erschien, der eine Meldung überbrachte, schob ich mich an diesem vorüber auf Deck. – «Eben stieg die große Mondsichel aus dem Meere und überschüttete die leicht bewegte See mit ihrem silbernen Lichte, aus dem sich die vollbeleuchteten Dampfer mit ihrem weißgestrichenen Rumpfe plastisch ins Auge drängten. Beide befanden sich in diesem Augenblick etwa dreihundert Meter hinter uns. Sie mußten uns in einem geringeren Abstand von unserm Bord überholen. – Bildet unter gewöhnlichen Verhältnissen ein schön gebauter Dampfer in voller Fahrt schon einen dem Auge wohltuenden Anblick, wie viel mehr, wenn eine innere Erregung das Interesse an dem Ausgange des Wettlaufes aufs höchste spannt. So konnte auch ich mich an dieser aufregenden Jagd in den ersten Minuten nur erfreuen. Bis mich die Unterhaltung der beiden Schiffsführer in die Wirklichkeit zurückrief. Die ersten Worte, die fielen, war ein Ausruf des Kapitäns, aus dem volle Befriedigung klang:
»Brav, Kü-schan! Laß ihn laufen, bis die Kessel platzen. Locke ihn zwischen unsere Inseln, dann haben wir bald zwei Dampfer.«
»Er scheint nicht zwischen die Dondrekins laufen zu wollen,« meinte der Malaie, »sonst müßte er jetzt schon abfallen. Vielleicht sitzt dort auch schon einer im Hinterhalt.«
»Das würde den Holländern nicht gut bekommen,« entgegnete Tschung-Li, jede Bewegung des gejagten Schiffes mit Spannung verfolgend. »In unserm Kanal sind genug Leute, um die ganze Dampferbesatzung zu den Fischen zu schicken.«
Ein zweifaches, kurzes Sirenenzeichen lenkte unsere Aufmerksamkeit auf den uns am nächsten liegenden holländischen Dampfer. Er drückte, nach dem Seerecht, damit eine veränderte Schiffsbewegung aus. In der Tat lief er jetzt näher an seinen Feind heran und kam dadurch unserer Dschunke so nahe, daß wir deutlich die Offiziere auf der Kommandobrücke erkennen konnten. Den, welchen ich suchte, fand ich nicht darunter.
Tschung-Li hatte sich bei dem dumpfen Tone unwillkürlich hinter die Schanzkleidung auf den Boden geworfen und ein Gewehr ergriffen. Er wollte seinem tödlichen Hasse eine Genugtuung verschaffen. – In einem Satze lag ich neben ihm und drückte das Knie auf den Lauf:
»Sind Sie denn toll geworden, Kapitän?« raunte ich ihm zu. »Sie bringen uns ja heute noch an den Galgen. Was nutzt es Ihnen, wenn Sie zwei oder drei Mann abschießen?« Es sind drüben so viele, daß wir in den nächsten fünf Minuten an der Rahe baumeln.«
Anfangs sträubte er sich gegen mein Eingreifen. Er gab dann aber selbst zu, daß er sich durch diese unbesonnene Tat das Todesurteil gesprochen haben würde. Er erhob sich und trat neben den Steuermann, der die Dschunke dem Kurse des eben vorüberrauschenden Dampfers anpaßte und fast unmerklich hinter dessen Heck auf die deutlich sichtbaren Felsen der in der Koetei-Mündung liegenden Inseln zusteuerte. Denselben Kurs hatte der verfolgte Dampfer eingeschlagen, und das Steuermanöver des Holländers konnte nur den Zweck haben, ihn von dem einzigen sicheren Kanal abzuschneiden.
»Wenn der Holländer erst merkt, daß Kü-schan die Inseln besser kennt, als er, dann ist es zu spät. Dann ist unser Baas gerettet,« bemerkte Tschung-Li mit großer Befriedigung. »Steuert die Balit-Riffe an, Steuermann. Dort wird er von Bord gehen, wir nehmen ihn dann zu uns, und unser 'englischer Raufherr' nimmt ihn unter seinen Schutz.«
»Er geht aber nicht in die Balit-Riffe,« erwiderte der Malaie nach kurzem Studium der Fahrtrichtung des Dampfers. »Er fällt eben wieder ein wenig nach Steuerbord ab! ... Wißt Ihr bestimmt, daß Rü-schan dort an Bord ist?«
»Na, wer sollte es sonst sein? Kein anderer von uns besitzt einen Dampfer. Jener dort hat zwar einen andern Anstrich und Briggtakelung, aber das ändert sich ja bei uns wie das Wetter.«
Durch den geäußerten Zweifel des Malaien wurde unser Interesse an den beiden Schiffen noch erhöht und wir ließen die Ferngläser fast nicht von den Augen. Das klare Mondlicht ließ uns auch jede ungewohnte Erscheinung auf dem Meere sofort erkennen. So entging es uns nicht, daß auf einem der Berge ein kaum bemerkbares rotes Licht auftauchte und nach kurzer Dauer wieder verschwand. Das wiederholte sich in ganz bestimmten Zwischenräumen dreimal.
»Gleich werden wir wissen, ob es einer der unsern ist,« rief Tschung-Li. Und unmittelbar nachher: »Seht Ihr! Er ist's! Er kehrt wieder um. Bei Kap Bajor ist also die Luft nicht rein! – – Wenn er das grüne Riff umfährt, muß er auf Rufesweite an uns vorüber. Dann melde ich mich.«
Aber auch der Verfolger bemerkte die veränderte Maßnahme seines Wildes, Er hatte durch sein auf falschen Voraussetzungen aufgebautes Manöver an Seeraum verloren. Die Nähe der seinen Lenkern offenbar nicht genau vertrauten Riffe ließ es ihm auch wohl nicht ratsam erscheinen, dem Schmuggler in das Gewirr der Klippen zu folgen, und so fuhr er einfach auf seinem Kurse zurück. Mit etwas mehr Backbordruder konnte er sich dann dem andern derart nähern, daß er ihm mit Gewalt den Weg an die Küste verlegen konnte. – Das alles hörte ich aus den Reden meiner beiden Nachbarn, die nun nicht mehr so zuversichtlich an ein Entkommen ihres Baas glaubten.
»Wenn er nur nicht aus dem Balik-Riff hinausginge,« sagte der Malaie. »Dahin folgt ihm der Holländer niemals. Er könnte sogar die Papan-Insel ganz gut noch erreichen. Dort, in unserm Schuppen, sind immer dreißig bis vierzig Dajaken anwesend. Die freuen sich, wenn sie ein paar Dutzend Holländerköpfe mit heimbringen können.«
»Er kommt wahrhaftig wieder heraus,« rief Tschung-Li, ärgerlich mit dem Fuße stampfend. »Das ist doch Tollkühnheit...«
»Ah, ich begreife jetzt das Manöver!« frohlockte der Malaie. »Er will den Verfolger an das grüne Riff heranbringen. – Sicher hat er den Pendje als Steuerer an Bord. Das ist so ziemlich der einzige von uns, der einen großen Dampfer durch den Kanal bringen kann. Wenn ihm der Holländer dahin folgt, ist er verloren.«
Wir lagen jetzt genau zwischen dem Verfolger und dem Verfolgten, so, daß wir ersterem die Aussicht auf den Schmugglerdampfer verdeckten, wenn dieser unter unserm Schutze eine Wendung ausführte, gewann er weiteren Vorsprung vor dem Holländer.
»Helft ihm ein wenig, Steuermann,« sagte Tschung-Li. »Geht ein wenig mehr über den andern Bug... So... Noch etwas...«
Durch diese Befehle brachte der Kapitän unsere Dschunke so zwischen die beiden Dampfer, daß sie dem befreundeten viel näherkam, als dem Holländer. Tschung-Li nahm die Gelegenheit wahr, um seinem Baas, unbemerkt von dem Feinde, ein Zeichen zu geben, das ihn als Anhänger kennzeichnete. Da ihm jedoch alles fehlte, was zu der gut ausgebauten Telegraphie gehörte, so versuchte er durch die Stellung seiner Arme und zweier Bambusstäbe seinen Namen hinüberzumelden. – Diese Manipulation hatte eine überraschende Wirkung, die keiner von uns erwartete: Der Dampfer drehte den Vordersteven auf das Riff zu, zeigte uns sein Heck und in demselben Augenblick löste sich ein weißes Wölkchen neben seinem Steuer. Zischend durchschlug eine faustgroße Kugel unsere Bordwand und bohrte sich in den Mast, den sie noch bis zur Hälfte seines Durchmessers absplitterte. Kaum eine Minute später folgte eine zweite Kugel. Diesmal fand sie ein Opfer – richtiger zwei! Einen herbeieilenden
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Chinesen, der sich um den beschädigten Mast bekümmern wollte, traf das Geschoß vor den Kopf und gleichzeitig riß es Tschung-Li, der hinter ihm stand, drei Finger der linken Hand weg. – Ein weiteres Bombardement verhinderte der Holländer, der inzwischen freies Gesichtsfeld bekommen hatte, und uns zu Hilfe eilte. Auch er ließ sein Geschütz feuern, während er rasch seinen Rumpf schützend vor uns legte. Allem Anscheine nach wollte er auch in Fühlung mit uns treten. – Das aber konnte nur unangenehme Folgen für uns haben. Unser erster Steuermann zog es vor, das ungastliche Gestade zu verlassen und die hohe See aufzusuchen.
Ich hatte inzwischen den Kapitän in die Kajüte begleitet, während er seine heftigen Schmerzen unter der bekannten Flut von Schimpfworten verbarg. Die Kugel hatte seine Hand getroffen, als er eben im Begriff stand, den Mast auf seine Festigkeit hin zu prüfen. Die drei letzten Finger waren fast zu Brei gedrückt und mußten amputiert werden. Schleunige ärztliche Hilfe tat not. Durch den Aufwärter ließ ich den ersten Steuermann herunterrufen, der sich auf Wundbehandlung verstehen sollte. Da ich aber derartigen Operationen gern aus dem Wege ging, verließ ich den Raum und besuchte den Chinesen, der nur noch schwache Lebenszeichen von sich gab. Er wurde eben von seinen Landsleuten nach vorn getragen, wo ihn ihr Ältester in Behandlung nahm. Der arme Teufel starb noch an demselben Abend.
Auf dem Achterdeck hatte jetzt der zweite Steuermann das Kommando. Ein Chinese, der, wie ich kurz darauf erfuhr, auf eine ähnliche Art zwischen die Schmuggler geraten war, wie ich. Er hatte den von dem Malaien übernommenen Kurs etwas geändert und schien nicht übel Lust zu haben, unsere Dschunke den Holländern in die Arme zu steuern. Ich machte ihn auf das Gefährliche seines Vorhabens aufmerksam und, um ihm seine Absicht zu erschweren, hißte ich selbst die englische Flagge, als wenige Minuten später die Nacht dem Tagesgestirn die Herrschaft über diesen Teil der Erdkugel zurückgab. – Anfangs wollte er diesen Eingriff in seine Befugnisse wieder rückgängig machen. Als ich ihm aber erzählte, wie es mir bisher ergangen war, und daß, nach Lage der Dinge, uns nur eine Flucht auf neutrales Gebiet retten könne, erblickte er in mir einen Verbündeten. Er ließ die Dschunke wieder vor den Wind laufen, und der jetzt auffrischende Ostmonsun brachte uns rasch in freies Wasser. – Die beiden Dampfer waren bald nach Beginn der Kanonade hinter den Dondrekin- Inseln verschwunden, und die bis in die höchsten Spitzen bewaldeten Berge lagen so friedlich und glückverheißend im Scheine der goldenen Sonnenstrahlen, als ob auch hinter ihren Felsenleibern, in der Koetei- Mündung eitel Friede und Eintracht herrschte. – Dort spielte sich aber in eben diesen Stunden ein Drama ab, das die Vernichtung der weitverzweigten Schmugglerbanden des Malaiischen Archipels einleitete. Gar bald sollte ich dem Schlußakt, als leidender Teil, beiwohnen.