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Ich behielt die Zimmer im Landhause bei. Dongsa leistete mir bei jeder Mahlzeit Gesellschaft und blieb, bis der Holländer zum Nachtisch erschien. Über den Kris wurde kein Wort mehr gesprochen. Bruinsma bewahrte Stillschweigen in meinem Interesse und Dongsa hüllte sich ebenfalls in undurchdringliches Schweigen. – Dafür wurde Laban um so gesprächiger. Eine Unterhaltung zwischen ihm und mir war zwar nicht möglich, da ich nicht malaiisch und er wenig holländisch sprach. Der Holländer aber mußte um so mehr den Redeschwall über sich ergehen lassen, wobei er eine Engelsgeduld an den Tag legte, die ihm meine Bewunderung eintrug.
»Ich warte nur darauf, daß er sich einmal verplappert, dann wird ihm das Handwerk gelegt,« erwiderte er darauf.
Dongsa ging bereitwillig auf meinen Wunsch, mir eine Prau zu weiten Ausflügen zur Verfügung zu stellen, ein. Ich wollte die Fauna der wenig bekannten kleineren Eilande erforschen, vor allem das nahe Savu (Savoe) und die sich westlich an Timor anschließende Rotti-Insel. Dazu brauchte ich jedoch einen Begleiter, der neben dem Holländischen auch das Liplap beherrschte. Ich hätte mich sonst mit den Eingeborenen der Inseln nicht verständigen können. Dongsa warnte mich vor dem Eindringen in das Innere jener Felsennester, indem er darauf hinwies, daß sich die dort wohnenden Stämme jedem Europäer, aber auch jedem Malaien gegenüber feindlich stellten. Er empfahl mir Chinesen mitzunehmen. Bruinsma, der bei der Unterredung zugegen war, versprach mir einen Timoresen mitzugeben, der sowohl meine, als auch die Sprache der Boeginesen imstande wäre zu übersetzen, dann könnte ich ohne weitere Sorge sein.
Als ich die Prau betrat, fiel mein Blick zunächst auf den farbigen Kasten, der recht vordringlich über die Bordswand schaute. Ich wollte gegen Mitnahme des Möbels Protest einlegen, aber schon faßte der Wind das Segel und das scharfgebaute Fahrzeug durchschnitt pfeilschnell die Wellen. Als wir in die Rotti von Timor trennende Meerenge einbogen, wollte der Steurer mit Südwestkurs an der Küste der Rotti-Insel entlang segeln. Mir war aber darum zu tun, mich zuerst über die Meinung der holländischen Behörden zu vergewissern, und das konnte ich nur bei dem Zollposten auf der Halbinsel Handu tun. Ich befahl daher dem steuernden Chinesen, das Boot auf Nordkurs zu legen. Dieser tat jedoch, als habe er meine Worte nicht verstanden und behielt Kurs. Nun ersuchte ich Jao, den timoresischen Dolmetscher, um seine Vermittlung. Zu meinem Erstaunen antwortete aber der Chinese in gutem Holländisch:
»Ich habe das zu tun, was mir Dongsa vorschrieb, sonst nichts!«
»So – und was sagte dir Dongsa?«
»Daß ich zum Cyrushafen segeln soll. Dort ginge der Herr an Land.«
»Sieh mal an! Und du glaubst, ich würde das tun? Warte nur. Ich zeige dir, wer hier Herr ist. Wirst du sofort den Nordkurs steuern?«
Ein geringschätziges Lächeln war die Antwort. Er rührte keine Hand.
Nun sprang ich neben ihn und warf das Segel los, das ratternd niederfiel. Mit der andern Hand griff ich in den Gürtel und brachte die Mündung des Revolvers an den Kopf des Chinesen.
»Wirst du meinen Befehlen gehorchen oder nicht? Schau dir den Hai an, der wartet schon auf dich.«
Der Chinese rutschte von der Bank und flehte um Gnade. Er müsse den Vorschriften seines Herrn gehorchen, sonst kostete es ihm das Leben. Er dürfe mich nur in der Cyrusbucht an Land setzen.
Jetzt legte sich der Timorese ins Mittel. Auch er protestierte dagegen und rief: »Kennst du überhaupt die Cyrusbucht? Weißt du, wie weit sie von hier noch entfernt liegt?«
»Der Patron sagte mir nur, ich solle so lange an der Küste entlang fahren, bis ich eine weiße Flagge wehen sähe. Dort sei die Cyrusbucht.«
»Nein, guter Freund. Ich kenne zufällig Rotti sehr genau. Vor morgen früh können wir den Hafen niemals erreichen, und ich habe keine Lust, in der Prau zu übernachten. Kehren wir lieber nach Kupang zurück. Die Strömung nimmt uns ohnehin wieder mit nach Norden.«
Gegen Abend erreichten wir wieder die Klippen, die den Polypen beherbergten, und wiederum hielt uns das Wachtschiff an. Meine Papiere bewahrten mich auch diesmal vor der Untersuchung des ominösen Kastens, obwohl ich es dem Zolloffizier anbot.
Mit ungeheucheltem Erstaunen wurde ich von Dongsa empfangen. Ich fiel auch gleich mit der Türe ins Haus und erklärte ihm mit aller Bestimmtheit, daß ich unter keiner Bedingung mehr in ein Boot ginge, das nicht ohne jede Einschränkung unter meinen Befehl gestellt würde. Dabei schilderte ich den Vorfall.
Wie ich erwartete, schob er alles auf den Chinesen. Der habe seine Angaben falsch verstanden. Er habe zwar die Cyrusbucht genannt, aber nur, weil er gehört hätte, daß dort ein geeigneter Anlegepunkt sei. Im übrigen kenne er die Insel nicht. Sehr unangenehm war ihm die Mitteilung, daß ich eine Waffe bei mir hatte.
»Wenn die Holländer das gesehen hätten, säßen Sie jetzt nicht hier,« fügte er hinzu.
»Im Gegenteil. Ich sagte den Zolloffizieren offen, daß ich bewaffnet sei und erzählte ihnen auch den Zwischenfall mit dem Steuerer.«
»Von der weißen Flagge sagten Sie nichts?« fragte er hastig.
»Das weiß ich nicht einmal – es kann aber sein.«
Mein Gastfreund blieb den ganzen Abend über bei mir. Wahrscheinlich wollte er verhindern, daß ich Bruinsma aufsuchte. Den hatte ich aber schon durch den Timoresen Ioa benachrichtigt und ihn für den nächsten Morgen gebeten. Ohne daß ich dahingehende Wünsche äußerte, suchte Dongsa mich zu bestimmen, am folgenden Tage den Ausflug zu wiederholen. Er wolle mir einen andern Steuerer mitgeben und diesem in meiner Gegenwart einschärfen, daß er nur mir zu gehorchen habe. – Da ich nicht wußte, wie ich anders die Zeit totschlagen konnte, willigte ich ein – mit dem stillen Vorbehalt, selbst zu steuern.
Daß am nächsten Morgen Bruinsma mit Ioa erschien, war Dongsa gar nicht angenehm. Ich erzählte am Kaffeetisch ausführlich mein Abenteuer und vergaß dabei auch die weiße Flagge nicht, deren Erwähnung meinem Gastgeber augenscheinlich am meisten auf die Nerven ging.
Im Boot erwartete mich ein anderer Steuerer. Wieder ein Chinese. Auch der buntbemalte Kasten stand wieder da, obwohl ich ein anderes Boot erhielt. Ich teilte dem Holländer meinen Verdacht mit, daß diese Beigabe sicher einen ganz bestimmten Zweck verfolgte. – Beinahe traf ich damit das Richtige.
Kaum waren wir aus der Brandung, da trat ich neben den Steuermann und befahl ihm nach vorn zu gehen, ich würde selbst steuern. Nach einigem Zögern gehorchte er widerwillig. Ich änderte nun den Kurs. Statt wie gestern in die Rottistraße zu segeln, brachte ich das Boot auf den andern Bug und lief mit der Strömung nach Osten. Vor dem Hafen von Kupang führte ich einige Kreuzfahrten aus, damit die Aufmerksamkeit etwaiger Interessenten auf die Prau mit dem von der Sonne grell beschienenen Kasten gelenkt wurde. Ich hielt dann auf die Ostspitze der Samaoe-Insel zu, die ich umschiffte, und lief nun vor dem Winde nach Westen. – Kurz vor der Rottistraße hielt uns wieder ein holländisches Wachtschiff auf. Das dritte schon, ein Beweis, daß die Schiffer von Timor in keinem guten Ansehen standen. – Auf die Frage des Beamten, wohin die Fahrt ginge, nannte ich ihm die Rotti-Insel. Gleichzeitig bot ich ihm meine Papiere an. Dieser Herr, ein Farbiger, war jedoch nicht so höflich wie seine Vorgänger. Er befahl kurz beizudrehen und sandte einen Matrosen in unsere Prau, der sich sofort des Steuers bemächtigte. Mit geheimer Freude gewahrte ich, daß mein Chinese wie auf einem glühenden Roste saß.
Zwei Stunden später liefen wir in eine kleine Bucht ein, die unbewohnt schien. Nichts am Strande deutete auf menschliche Behausungen, und doch barg sie, hinter Bäumen versteckt und in der Farbe der Felsen gehalten, ein geräumiges Bauwert. Eine Art Kaserne. Die holländische Wachtstation Landu.
Als ich an der Seite des Matrosen unter die Veranda trat, tönte mir ein frohes Lachen entgegen. Die beiden Offiziere, deren Bekanntschaft ich bereits gemacht hatte, kamen mir entgegen und riefen:
»Na, Herr Naturforscher, sind Sie endlich erwischt worden? Als ich gestern von Ihnen hörte, dachte ich gleich, daß Sie beim dritten Versuche aufgegriffen würden. Was schmuggeln Sie eigentlich, Opium?«
Ich wußte nicht recht, war es Ernst oder Scherz. Jedenfalls nahm ich die Sache von der humoristischen Seite und erwiderte ebenso heiter:
»Nichts dergleichen, meine Herren. Nur Insekten. Ich komme nach Rotti, um mir einige hundert geflügelte Blutsauger zu fangen, die ich in Europa ausstelle. Man lernt dann die Unannehmlichkeiten des Dienstes der holländischen Offiziere in Indien besser würdigen.«
»Herr, machen Sie keine Witze!« fiel nun der eine in barschem Tone ein.
»Ihre Sache steht sehr ernst. Wir haben Sie nun zum dritten Male in Booten betroffen, die wir als Eigentum von Schmugglern kennen. Auch ihre Mannschaft ist uns bekannt – und was soll der auffällige Kasten? Dient der etwa zur Irreführung unserer Beamten? Herr, dann täuschen Sie sich!«
Nun konnte mich nur die offenste Aussprache retten. Ich bat den Offizier, nnt mir in seine Amtsstube zu treten und dort meinen Bericht zu Protokoll zu nehmen. Ich schilderte ihm wahrheitsgetreu, wie wir in das Haus des Chinesen Dongsa gekommen und was sich dort alles ereignet hatte. Auch von Nottebohms Engagement und dessen Verdacht erzählte ich. Der Beamte unterbrach mich mit keinem Worte. Endlich fragte er:
»Bruinsma kennt Sie?« Und als ich bejahte, wollte er wissen, wer Dongsa sei. Er kenne auf Timor einen Mann des Namens, aber der könne kein Haus sein eigen nennen. Dessen vermögen sei gleich Null. – Von Kü-schan hatte ich nichts erwähnt.
Er kam nun auf meine Fahrten zu sprechen, wobei er wieder des farbigen Kastens Erwähnung tat. Er schien meine Erklärung, daß ich meine Sammelausbeute vor Nässe schützen müsse, als stichhaltig anzusehen, wenn ihm auch nicht in den Sinn wollte, daß ich der auffälligen Färbung des Behälters keine besondere Bedeutung beilegte.
»Wir von der Wasserpolizei müssen in jeder Abweichung vom Gewöhnlichen eine Falle wittern. Nehmen wir an, Ihr Kasten würde zehnmal untersucht und als harmlos befunden. Läge da nicht der Schluß nahe, daß die Polizei ihn fortan als einwandfrei unbehelligt ließe? Darauf baut der Schmuggler und stopft den Kasten das nächstemal voll Gewehrkugeln, auf die unsere Gebirgler hier schon lange warten.«
»Einen ähnlichen Verdacht äußerte ich heute früh schon Bruinsma gegenüber,« erwiderte ich. »Es kann kein Zufall sein, daß der Behälter immer so frei und weithin sichtbar in der Prau steht. Irgendein Zweck muß damit verfolgt werden, ob das nun Schmuggel oder ein Signal ist.«
»Donnerwetter, das kann auch sein! Man will unsere Aufmerksamkeit auf Ihre Prau lenken und während wir die untersuchen, landet eine andere in aller Ruhe Bannware an der Küste. Es laufen ja genug Fahrzeuge hier in den Gewässern herum. Herr, das will ich einmal ausprobieren!«
Der Kapitän wurde ganz aufgeregt.
»Bitte nicht so laut, Herr Kapitän. Draußen sind die Leute der Prau.«
»Den Ioa kenne ich. Der hält's nicht mit den Schmugglern. Der andere ist ein Chinese und die verstehen unsere Sprache nicht.«
»Täuschen Sie sich nicht!« erwiderte ich. »In den paar Tagen, die ich auf Timor weile, habe ich in der Beziehung viele Erfahrungen gesammelt. Es gibt dort unscheinbare Chinesen, die in allen Sprachen beschlagen sind. Nur lassen sie es nicht merken.«
»Wie lange wollen Sie auf Rotti bleiben?« fragte der Kapitän nach einigem Nachdenken.
»Ein paar Tage, denke ich. Ich wollte in das Gebirge, um meine Sammlungen zu bereichern.«
»Sehen Sie sich vor. Die Eingeborenen lassen keinen Weißen in das Innere des Landes. Hier auf der Halbinsel können Sie ein paar Kilometer Wald am Strande durchstreifen, das ist aber auch alles. Haben Sie Waffen? – Ach ja – in dem Passe steht ja, daß Sie zum Tragen von Schießwaffen berechtigt sind.«
»Ich habe natürlich den Revolver bei mir. Die Büchse wollte ich nicht mitnehmen, weil es hier nichts zu jagen gibt. Und dann fürchtete ich Unannehmlichkeiten von seiten Ihrer Behörde – trotz der Erlaubnis. Hätten Sie mich auch wirklich nicht beanstandet, dann wäre ich auf Timor in falschen Verdacht geraten.«
»Sie wollten nicht als Freund der Holländer angesehen werden!« warf einer der Offiziere ein.
»Ich wollte neutral bleiben. Es verträgt sich nicht mit meinem Berufe, der mich durch alle Länder der Welt führen soll, irgendeine Partei zu ergreifen. Ich achte stets die Gesetze der Gastfreundschaft des Landes, in dem ich gerade verweile.«
Dunkelheit lagerte schon auf dem Meere, als mein Verhör beendet wurde. Mit dem Timoresen ging es rascher. Er bestätigte meine Angaben, soweit sie ihm bekannt geworden waren. Dann erschien ein farbiger Offizier, der den Chinesen ausfragte. Obwohl ich kein Wort von der Unterhaltung verstand, hielt man meine Anwesenheit doch wohl für nicht erwünscht. Man kleidete das in eine höfliche Form. Der Offizier erhob sich und deutete nach der Tür.
»Sie werden nun doch wohl auf unserer Station übernachten müssen. Ich kann Ihnen aber nur einen Liegestuhl auf der Veranda zur Verfügung stellen, wenn Sie Ihre Decken zu Hilfe nehmen, werden Sie kaum schlechter schlafen als im Gasthofe irgendeiner unserer Inselstädte.«
Ich nahm unter einigen Dankesausdrücken das Anerbieten an, verzehrte das mitgebrachte Abendessen, das ich mir aus dem beschlagnahmten Gepäck förmlich erbetteln mußte, und streckte mich dann zum Schlafe nieder. – Die ersehnte Nachtruhe aber sollte ich noch nicht finden. Eine Stunde später warf das Echo der Felsen das Heulen einer Sirene zurück. Vor der Einfahrt leuchteten die farbigen Seitenlichter eines Dampfers, der seinen Weckruf dringender ertönen ließ. Nun erschienen, aus dem Dunkel der Uferbüsche sich schälend, ein paar Matrosen, deren blanke Knöpfe Zollsoldaten erkennen ließen. Sie lösten hastig das große Boot von der Kette und ruderten eilig zu dem wartenden Dampfer hinüber, wo sie mit einer Flut von Vorwürfen empfangen wurden. Die Stille der Nacht, im Vereine mit dem Echo, ließ jedes Wort so deutlich verständlich werden, daß ich unschwer den Grund der nächtlichen Störung erfuhr. – Man hatte das Boot eines Schmugglers aufgegriffen, und der Dampfer brachte die Mannschaft gefangen ein. Es waren fünf Mann, die man, an eine Kette gefesselt, vorüberführte. – Ich betrachtete die Gestalten ohne besonderes Interesse, da mir die Dunkelheit die Gesichter verbarg. Und doch ging mich gerade dieser Gefangenentransport mehr an als ich ahnte.
Die frische morgendliche Brise riß mich aus traumlosem Schlummer. Noch lag die nächtliche Stille rings um mich her auf Fels und Wald. Nur der wachhabende Matrose unterbrach mit seinen einförmigen Schritten die köstliche Ruhe der Natur. Da erhob ich mich von meinem Lager und schritt zum Strande, um in dem kühlen Salzwasser den Körper für den beabsichtigten Tagesmarsch neu zu stärken. Mit dem ersten Sonnenstrahl kehrte ich auf die Veranda zurück und warf sehnsüchtige Blicke auf den dampfenden Kaffee, den ein Aufwärter eben in das Wachzimmer trug. Bei seiner Rückkehr fragte ich ihn, ob ich für Geld und gute Worte nicht auch eine Tasse Kaffe haben könnte. Er zögerte mit der Antwort und warf einen Blick auf den in der Tür erscheinenden Offizier.
»Eigentlich müßte ich die Haft aufrechterhalten, da Sie inzwischen als Verbrecher entlarvt sind. In Anbetracht Ihres Regierungspasses aber will ich Ihnen jede Vergünstigung zukommen lassen, die ich verantworten kann.«
Da es derselbe Offizier war, der mich am Abend vorher schon angehaucht hatte, als ich seine Worte von der scherzhaften Seite nahm, so dankte ich ihm mit einfachen Phrasen und trat in das Zimmer.
Während des reichhaltigen Frühstücks ließ einer der Offiziere – es saßen sechs an der Tafel – die Worte fallen: »Wir haben Taban gefangen!«
Aller Augen hingen gespannt an meinen Zügen bei dieser Mitteilung. Man erwartete wohl, mich auf irgendeiner Gefühlsäußerung zu ertappen. Die Worte überraschten mich aber nicht im geringsten. Hielt ich den schlauen Malaien doch längst für den Spießgesellen der Schmuggler. Demgemäß fiel auch meine Antwort aus.
Der Offizier aber fuhr fort: »Wir fanden in seinem Boote tausend Gewehrpatronen. Wissen Sie, wo er die versteckt hatte?«
Mit ruhiger Miene antwortete ich: »Keine Ahnung! Ich kenne auch die Listen der Schmuggler zu wenig, um es raten zu können.«
Er richtete sich auf und sah mich scharf an. Dann sagte er mit erhobener Stimme: »In einem buntgestrichenen Kasten! Dem Gegenstück zu dem, den Sie in Ihrem Boote mitführen!«
Nun aber zeigte sich höchste Überraschung auf meinem Gesichte. Ein sehr natürliches »Donnerwetter« entfuhr mir und ich blickte mich um, ob ich nicht den Beamten im Zimmer sähe, mit dem ich am Abend vorher über die mutmaßliche Bedeutung des Kastens gesprochen hatte. – Der Blick wurde jedoch von dem mißtrauischen Offizier falsch aufgefaßt, denn er sagte höhnisch: »Seien Sie unbesorgt. Von hier gibt es kein Entrinnen!«
Nun begann ich meine Ruhe zu verlieren. Ich faßte den Herrn scharf ins Auge und sagte mit Nachdruck:
»Herr Leutnant, ich bin Deutscher. Im Militärverhältnis Offizier. Ich muß mir also jede Zweideutigkeit energisch verbitten. Ich weiß nicht, ob in Ihrer Armee der Geist unseres Offizierkorps herrscht, vermute es aber. Glauben Sie, daß sich irgendeiner Ihrer Offiziere dazu hergeben würde, für Geld eine ehrlose Handlung zu begehen?«
Betreten blickten sich die Beamten an. Der Sprecher wurde rot bis in die Haarwurzeln und versuchte eine Abschwächung mit den Worten:
»Unser Beruf verpflichtet uns zum Mißtrauen. Daher...«
Ich ließ ihn nicht aussprechen, sondern erwiderte kurz:
»Das mag manches entschuldigen. Ich suchte eben nur jenen Herrn, der das Verhör mit mir aufnahm. Er wird mir bestätigen, daß ich mich mit ihm über die Bedeutung des Behälters unterhielt und ihm sogar gewisse Mutmaßungen aussprach, die als Fingerzeige für Sie wertvoll sein können. – Bitte den Herrn zu rufen!«
»Der Kapitän ist dienstlich abwesend,« erwiderte er. »wir erwarten ihn gegen Abend zurück. In bezug auf Sie hinterließ er, daß Sie sich frei bewegen könnten, doch sollten wir für Ihre persönliche Sicherheit, durch Mitgabe eines bewaffneten Matrosen, sorgen.«
»Nun ja, das war verabredet. Haben Sie inzwischen Anklagepunkte gegen mich gefunden, die Ihnen die Zurücknahme des Befehls zur Pflicht machen?«
»Die «Anbringung jenes Taban und seines Bootes! Sie werden zugeben, daß hier der Zufall merkwürdiges Spiel treibt.«
»Das gebe ich zu, obgleich ich unangenehm davon berührt bin, daß man mich mit einem Subjekt, wie jenem malaiischen Schiffer, auch nur in einem Atem nennt! – Wenn Sie das gestrige Protokoll nachlesen, werden Sie wissen, daß ich ahnungslos in die mir gelegte Falle ging. – Ich bitte nun um die Erlaubnis, mich ins Freie zurückziehen zu dürfen.«
Ein Hopfnicken als Zustimmung deutend, verließ ich das Zimmer und ging an den Strand hinunter, wo ich mißmutig das Spiel der Wellen betrachtete. Nach einigen Minuten folgte mir ein Soldat, der mit Seitengewehr und Karabiner bewaffnet war und sich mir für den Spaziergang zur Verfügung stellte. Eigentlich war mir die Lust dazu vergangen. Mich kränkte das Mißtrauen der Beamten, und wenn ich nur eine andere Art der Beschäftigung bis zum Abend gewußt hätte, wäre ich bestimmt im Bereiche des Wachthauses geblieben.
Die Offiziere mochten inzwischen auch von ihrem Verdachte zurückgekommen sein. Ein sehr junger Leutnant kam zu mir heraus und fragte mich nach meinen Wünschen für das Mittagessen. Ich erwiderte brüsk:
»Als Gefangener werde ich wohl die für diese Leute bestimmte Kost essen müssen.«
Eine dunkle Röte überflutete sein Antlitz, und sichtlich kämpfte er gegen einen Zornesausbruch. Er bezwang sich aber und sagte in höflichem Tone:
»Die Offiziere wären erfreut, Sie an ihrer Tafel zu sehen. Um elf Uhr werden Sie erwartet. Sie haben inzwischen Zeit, Ihren Spaziergang in Ruhe zu machen.«
Ich nahm die Einladung an und ging, von dem Offizier und dem Soldaten begleitet, über einen Hof, der ein starkes Blockhaus, das Gefängnis, einschloß. In dem Augenblick erschienen Taban und mein Bootssteuerer, inmitten einer Eskorte, unter der Tür. Bei meinem Anblick zuckten sie überrascht zusammen. Sie glaubten, ich würde zur Hinrichtung geführt!
Hinter dem Blockhause bezeichnete mir der Leutnant den Weg, der sowohl auf die Berge als an einer späteren Abzweigung wieder ans Meer führte. Er warnte mich dringend vor einem zu kühnen Vordringen in das innere Land, denn die Bewohner seien nicht nur Feinde der Weißen, sondern führten auch untereinander Krieg. – Zwar besäßen sie keine Feuerwaffen, aber ihre Pfeile verfehlten selten das Ziel.
Der Weg stieg durch eine geröllhaltige Schlucht ziemlich steil aufwärts. Am oberen Rande des Einschnittes zeigte sich noch üppiger Baumwuchs, der sich, je höher wir stiegen, verlor. Kahles, rotes Gestein, auf dem wenige Kasuarinen, Gummibäume und Akazien ihr Dasein fristeten, fiel in schroffen Wänden zum Meere ab, das sich in donnernder Brandung an den Klippen brach. Vergeblich hatte ich mich bisher nach einem Lebewesen umgesehen, das mir in meiner Sammlung als Erinnerung an Rotti dienen konnte. Aber weder Käfer, noch Schmetterling noch andere Insekten wurden sichtbar. Wäre nicht ein einsamer Kakadu und ein Zug Krähen über unsere Köpfe geflogen, so hätte ich das Plateau für ausgestorben gehalten. – Nach halbstündiger Wanderung kamen wir an die beschriebene Abzweigung des Weges. Mein Soldat wollte hier zum Meere absteigen. Ich sah jedoch in der Ferne einen dichteren Pflanzenwuchs und vermutete dort einen Wald. Den wollte ich mir wenigstens noch ansehen. – Nur zögernd, und unter vielen »wenn« und »aber« ging er mit. Der Sicherheit halber fünf Schritt hinter mir. – Wenn er all die Schauermären von abgeschnittenen Köpfen und dergleichen wirklich glaubte, so war ihm sein Zögern nicht zu verdenken. Ich hatte in Borneo und auf Celebes die Erzählungen ähnlicher Art auf ihren Wert hin bereits geprüft.
Der Wald entpuppte sich als ein schmaler Gürtel von Laubbäumen, nach dessen Durchqueren wir einen weiten Blick auf die Gebirge hatten. Man sah auf einzeln aufstrebende Kegel, auf messerartige Rücken und steile, schroff abfallende Abhänge. Durch das Glas erkannte ich auf den anscheinend unzugänglichsten Höhen bewohnte Häuser, die mit hohen Zäunen umgeben waren. Ein Beweis, daß hier tatsächlich jeder seines Nachbars Todfeind war.
Rechts von unserm Aussichtspunkt senkte sich das Gelände ein wenig. Dort sah ich einen freistehenden Baum, in dessen obersten Ästen ein seltsam geformtes Nest saß. Mein Begleiter, der schon seit Jahren in den Inseln Dienst tat, glaubte darin einen Begräbnisplatz zu erkennen. – Den wollte ich natürlich kennenlernen. Als ich mich aber, unter lebhaftem Prolest meines Begleiters, dem Baume näherte, sah ich mich plötzlich vor einer sehr starken Pfahlmauer, die mit lebenden Dornen durchflochten war. Über die Umzäunung ragte das Satteldach einer großen Behausung. Grunzen von Schweinen ließ das Haus bewohnt erscheinen. Ich wollte nun auch die Bewohner in ihrem Heim sehen und beschloß, den Leuten einen Besuch zu machen.
Um sie von meiner friedlichen Absicht zu überzeugen, ließ ich den Soldaten abseits warten, was dieser nur zu gern tat. – Da ich auf dieser Seite keinen Eingang fand, umging ich das Haus und näherte mich dabei auch dem Baume, auf dem sich, unter einem dachartigen Bambusgeflecht, eine im Becken zusammengeklappte, ausgedörrte Leiche befand. – Endlich fand ich ein ungeheuer massives Tor, das mit starken Balken kreuz und quer versteift war. Im Begriff, mich dort bemerkbar zu machen, hörte ich ein Klappern. Über dem Tore wurde eine Stange sichtbar, auf der ein abgeschlagener Kopf stak. Die auf mich gerichtete Spitze eines Pfeiles unterstützte die Warnung des Hausbesitzers. – Natürlich hielt ich mich nicht lange in der Nachbarschaft des menschenfreundlichen Bewohners auf.
Den ersten Menschen sahen wir beim Abstieg an das Meer auf einer Klippe. Er hatte uns noch nicht bemerkt, und ich zog meinen Begleiter in ein Versteck, da ich den Eingeborenen gern in seinem freien Leben beobachten wollte. Es war ein gut gebauter, kräftiger Mann, der außer der von den Hüften zwischen den Beinen durchgezogenen Binde keinerlei Kleidung trug. Seine Hautfarbe war schokoladenbraun, das Haar schwarz, auf dem Hinterkopf in einen Knoten geschlungen. In der Hand trug er einen Bogen und ein Bündel Pfeile aus leichtem Rohr. Er war mit dem Fischfang beschäftigt. Von seiner Klippe aus konnte er die fischreichen Vertiefungen zwischen den Steinen gut einsehen. Jedesmal, wenn sich ein größerer Fisch nahte, schnellte der Pfeil von der Sehne. Der Fischer warf sich ins Wasser und verwahrte seine Beute in einer im Wasser hängenden Basttasche. Beim dritten Fisch mußten wir uns leider bemerkbar machen, da unsere Zeit abgelaufen war. Bei dem Geräusch fuhr der Wilde blitzschnell herum und hielt uns den gespannten Bogen entgegen. Ich hob sofort beide Hände und rief ihm einige Worte zu, worauf er die Waffe senkte und mit großen Sprüngen von Klippe zu Klippe davonlief. Gern hätte ich ihm seinen Bogen abgekauft. Er hörte aber auf unser Rufen nicht, sondern verdoppelte eher seinen Lauf.
Das Essen im Wachthause verlief anfangs ziemlich bedrückt. Alle standen unter dem Eindruck der Szene vom Morgen. Keiner fand so recht den Ton, um die gesellschaftliche Ungezwungenheit wieder herzustellen. Ich war aber durch meinen Spaziergang wieder auf andere Gedanken gekommen und sah den Zwischenfall jetzt mit andern Augen an. Das ließ ich in meiner Unterhaltung durchblicken und brachte dadurch eine mehr kameradschaftliche Note in die Einzelgespräche. Sogar mein Widersacher, der stellvertretende Kapitän, taute auf und dehnte die sonst übliche Mittagspause bis in den Spätnachmittag aus.
Kurz nach Einbruch der Nacht kehrte der Kapitän zurück. Jetzt erst bemerkte ich, daß Ioa, an den ich gar nicht mehr gedacht hatte, mit diesem weggefahren war. Nach dem Essen erfuhr ich auch den Grund seines Fehlens. Noch in der Nacht, kurz nach dem Einbringen von Taban und seinen Kumpanen, war er mit dem Kutter nach Samaoe aufgebrochen. Von dort ließ er Ioa nach Kupang hinüberrudern und Bruinsma um eine Unterredung bitten. Wie ich später von meinem holländischen Freunde erfuhr, handelte es sich in der Hauptsache um mich und meine Verbindung mit Dongsa, den Taban später ohne Skrupel verriet. Ich stand ernstlich im Verdachte des Waffenschmuggels, der in jener Zeit, unter Mißbrauch der Unkenntnis fremder Reisender, eben in neue Bahnen gelenkt werden sollte. Meine zufällige Bekanntschaft mit Bruinsma rettete mir das Leben.
Die Offiziere zogen sich nach dem Abendessen zurück. Auch der Kapitän, der mir persönlich ein Bett in einem freigewordenen Beamtenzimmer anwies, entschuldigte sich mit dringenden Geschäften. Da er mir beim Verlassen des Raumes eine gute Nacht wünschte und die Türe hinter sich zuzog, nahm ich an, daß mein Erscheinen auf der Veranda nicht mehr gewünscht wurde. Ich warf mich daher in den Liegestuhl auf der Galerie und ließ meinen Gedanken über das bisher Erlebte freien Lauf.
Nach einer Weile begann es sich in den unteren Räumen zu regen. Feste Tritte ließen das Zimmer leicht erzittern. Soldaten mußten das sein, die dienstlich ab und zu gingen. Ein murmelndes Durcheinander von Stimmen ließ auf erregte Auseinandersetzungen schließen. Das dauerte etwa eine halbe Stunde. Dann gellte ein Schrei durch die Wände. Der feste Tritt wurde neuerdings erkennbar und leitete mit seinem Ersterben die abendliche Stille wieder ein.
Natürlich achtete ich auf jedes Geräusch, in der Hoffnung, irgend etwas erlauschen zu können, was mich über die geheimnisvollen Vorgänge zu unterrichten imstande war. Ich blieb jedoch auf meine Vermutungen angewiesen, die mir denn auch während eines großen Teiles der Nacht den Schlaf raubten. Immer trieb es mich wieder auf den Altan, der mir zwar nur ein Stück Himmel und die dunklen Umrisse einer jäh abfallenden Wand als einzige Aussicht gewährte, aber wenigstens den kühlen Luftzug der Seebrise nicht hinderte.
Meine Uhr zeigte die zwölfte Stunde, als plötzlich neuerdings dumpfe Geräusche an mein Ohr drangen. Sie trieben mich wiederum auf den Altan. Kaum hatte ich das Geländer erreicht, da rollte eine Gewehrsalve durch die Nacht. Der Schall tat mir weh und ein Frösteln überlief mich ....
Mit Sonnenaufgang bat mich ein Soldat zum Kapitän. Er empfing mich im Speisezimmer, reichte mir die Hand und sagte:
»In einer Stunde möchte ich Sie nach Samaoe begleiten. Wenn Sie sich mit dem Bade etwas beeilen, nehmen wir noch ein gründliches Frühstück ein, denn vor Abend bietet sich kaum noch Gelegenheit zum Essen.«
Erst als wir an Bord des Kutters waren, der mein Boot mit dem bunten Kasten im Schlepptau hatte, machte mir der Kapitän Mittelungen über die Vorgänge der letzten Tage. Der Fang des von Taban geführten Bootes war darauf zurückzuführen, daß ich, entgegen den Absichten der Schmuggler, mit meinem Fahrzeug die Insel östlich umsegelte. Von einem Versteck auf den Klippen von Samaoe aus sollte Taban, wenn die Wache meinen Kasten untersucht haben würde, die weitere Führung übernehmen, mich für kurze Zeit zum Verlassen der Prau auf den Felsen veranlassen, und dann nach Austausch der Kästen mit mir an der Westspitze von Rotti landen. Was dort mit mir beabsichtigt war, konnte der Kapitän nicht sagen, und so mußte ich mich wohl oder übel bescheiden.
»Es liegt nun in unserm Interesse, daß Sie Ihre Fahrten zwischen den Inseln noch fortsetzen. Wir möchten unsern Fang noch einige Tage geheimhalten. Dagegen wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Gefangennahme und Freilassung durch unsere Küstenwache recht laut bekanntmachten. Natürlich dürfen Sie nur das erzählen, was Sie selbst gesehen haben ....«
»Darf ich wissen, wo Taban mit seinen Leuten ist?« unterbrach ich.
»Wenn Sie meine Antwort als streng vertraulich behandeln wollen, ja!«
Ich versprach es durch Handschlag. Der Kapitän sah mir in die Augen.
»Sie wurden in der vergangenen Nacht erschossen!«
Obwohl ich längst davon überzeugt war, griff mich die Nachricht doch an. Nicht weil notorische Verbrecher von ihrer Strafe ereilt wurden, sondern weil ich nunmehr die Gastfreundschaft des Chinesen nicht mehr ohne Gewissensskrupel in Anspruch nehmen durfte.
Wieder war es Bruinsma, der mir über die erste Verlegenheit hinweg half. Als meine Prau an der gewohnten Stelle hinter dem Garten des Radja den Strand berührte, kam mir der Holländer in Gesellschaft meines chinesischen Gastfreundes entgegen.
»Wie bedauere ich es, daß Sie durch meine Schuld in so große Unannehmlichkeiten gerieten,« rief Dongsa mit übertriebener Höflichkeit. »Ich hätte das aber auch voraussehen sollen! Hoffentlich hat man Sie nicht gar zu hart behandelt, denn man mußte doch aus Ihren Pässen sehen, daß Sie mit den politischen Dingen auf den Inseln nichts zu tun haben?«
»Nun, angenehm war es mir gerade nicht, als Verbrecher angesehen zu werden,« erwiderte ich. »Ich verschaffte mir aber durch mein Auftreten die nötige Achtung. Schließlich fiel auch mein Regierungspaß ausschlaggebend ins Gewicht. Allerdings erst, nachdem er irgendwo anders von einer höheren Stelle geprüft worden war.«
»Saßen Sie in einem richtigen Gefängnis?« fragte Dongsa weiter.
»Ich war in dem Wachthause interniert!«
»Sahen Sie viele Gefangene?« Auf Dongsas Zügen wuchs die Spannung.
»Nein. Ich glaube nur noch zwei. Das heißt, ich sah die Männer mit einem Soldaten über den Hof gehen Weiter sah ich nichts.«
Da mir das Gespräch peinlich wurde, redete ich den Holländer an und bat ihn, mit mir irgendwo in der Nähe zum Essen zu gehen, da wir zum Landhause Dongsas, das im Europäerviertel lag, noch einen weiten Weg hatten. Bereitwillig führte er mich, nach kurzer Rücksprache mit Dongsa, in ein nahes chinesisches Speisehaus, wo wir in einer Ecke des Gartens Platz nahmm. Dem gebotenen Essen sprach ich mit wahrem Heißhunger zu. Mehr um den erwarteten Fragen einiger chinesischer Herren, die sich neben uns niedergelassen hatten, auszuweichen, als aus wirtlichem Bedürfnis. Derselbe Grund veranlaßte mich auch, unmittelbar nach dem Essen zum Aufbruch nach der Villa zu drängen. Immerhin mußte ich noch einigen höflich gestellten Fragen der Fremden nach meiner Behandlung durch die Holländer Antwort stehen.
Auf meinen Wunsch verbrachte Bruinsma den Rest des Abends mit uns in dem Landhause. Ein plötzlich einsetzendes Gewitter mit schwerem Regen unterstützte dann mein Anerbieten, auch die Nacht bei mir zu bleiben. Dongsa schloß sich wider Erwarten meiner Bitte an. Er selbst aber verließ uns, trotz des Regens, noch vor Mitternacht. Von Taban war kein Ton gesprochen worden.
Unsere Unterhaltung mußte sich um Dinge drehen, die jedermann hören konnte, denn die drei Diener hielten sich in unserer Nähe auf. Wegen des Unwetters konnten wir sie auch nicht ins Freie weisen. – Ich sprach von der Abreise. Der Zwischenfall mit den holländischen Behörden lag mir wirklich schwer in den Knochen, und ich war fest entschlossen, wenigstens Kupang zu verlassen und irgendeinen andern Ort auf Timor aufzusuchen, wo ich den Dampfer erwarten konnte.
Das Thema spannen wir am andern Morgen am Kaffeetische in Dongsas Gegenwart weiter.
»Der Dampfer läuft nur noch Deli an und das ist nur mit einer Dschunke zu erreichen,« gab Dongsa zur Antwort. »Bei dem herrschenden Winde ist es aber gar nicht ausgeschlossen, daß Sie Deli erst erreichen, wenn der Dampfer schon abgefahren ist. – Sie können also gerade so gut hier bleiben, bis er kommt. Es sind ohnehin nur noch acht Tage. Übrigens erfuhr ich gestern abend noch, daß übermorgen die Dschunke eines portugiesischen Kaufmannes nach Allor geht. Auf meine Fürsprache hin nimmt er Sie gern mit.«
»Lassen Sie mir Zeit zur Überlegung bis heute mittag,« bat ich. »Wie ich höre, liegen zwei Dampfer im Hafen. Ich werde mich bei denen erkundigen, ob sie mich an mein Ziel bringen können, denn, offen gestanden, die timoresischen Segler bringen mir kein Glück.«
Die beiden Dampfer waren Australier, nach Singapore bestimmt, kamen also für mich nicht in Frage. Dafür erfuhr ich aber auf der Agentur des Küstendampfers, daß der erwartete »Landsberg« bei Amboina auf Grund saß. Ob und wann er flott würde, wußte kein Mensch, wohl aber war mit Sicherheit anzunehmen, daß ein Ersatzdampfer in den nächsten Wochen nicht zu erwarten stand.
Die Nachricht traf mich hart. Ich hatte mir fest vorgenommen, die Insel Allor zu besuchen, da man mir überall gesagt hatte, daß das Innere dieses Felseneilandes noch fast unbekannt wäre. Mehr wie acht Tage konnte ich ohnehin nicht darauf verwenden, weil ich auch noch einen Abstecher nach Neuguinea in meinen Reiseplan aufgenommen hatte. Dort lebte ein lieber Freund und Begleiter auf gefahrvollen Unternehmungen, der Inspektor der holländischen Forsten Hienfeldt. Mit diesem gedachte ich den Schauplatz unserer Entdeckungsreisen noch einmal zu besuchen. – Alle diese Pläne drohten zu Wasser zu werden, wenn sich der »Landsberg« wirklich verspäten sollte. Das Schicksal schien mich tatsächlich für eine Dschunkenreise bestimmt zu haben.
Bruinsma war während meines Aufenthaltes auf der Agentur nicht untätig gewesen. Er hatte sich mit den in Kupang wohnenden wenigen Besitzern von Dschunken in Verbindung gesetzt, aber nur eine gefunden, die auf ihrer Reise die Kalabahibucht hätte anlaufen können. Gerade diese aber mußte ihre Ladung an der Westküste von Timor, in den Häfen Amanatong und Kailako einnehmen. Das konnte unter Umständen ebenfalls Wochen dauern und meine ganzen Pläne und Absichten vereiteln.
»Es bleibt mir keine Wahl,« sagte ich endlich meinem Freunde. Ich muß das Anerbieten Dongsas annehmm. Ich möchte Sie aber dringend bitten, vorher Erkundigungen darüber einzuziehen, ob der Portugiese nicht auch schmuggelt. In dem Falle bleibe ich lieber hier oder fahre mit dem Australier nach Singapore.«
Gegen Abend brachte mir Bruinsma beruhigende Nachrichten.
»Man kennt den Portugiesen als einen jeder Politik fernstehenden Mann. Er lebt in geordneten Verhältnissen und verfrachtet nur eigene Waren. Allerdings hörte ich auch, daß die Dschunke, die übermorgen abend nach Allor und Wetter in See gehen soll, bis jetzt noch sehr wenig Ladung hat. Ob sie von den genannten Inseln Fracht holen soll, war nicht zu erfahren.« Die Auskunft Bruinsmas beruhigte mich vollkommen.
Als später Dongsa erschien, teilte ich ihm meine Bereitwilligkeit mit, bemerkte aber gleichzeitig, daß der Tag der Abfahrt wohl nur mit der landesüblichen Einschränkung zu verstehen sei, da die Dschunke ja noch keine Ladung habe, ihre Ausfahrt also erst nach mehreren Tagen erfolge.
»Da irren Sie sich,« rief er lebhaft aus, erfreut über meine Zustimmung.
»Die Dschunke hat ziemlich viel Reisladung und wird bis übermorgen abend so voll sein, daß kein Sack mehr hineingeht. – Nun will ich mich aber auch sofort mit dem Kapitän in Verbindung setzen und ihn um Aufnahme für Sie als Fahrgast bitten.«
»Was soll ich von der Zuvorkommenheit des Chinesen denken?« fragte ich den Holländer, als Dongsa sich entfernt hatte. »Will er mich los sein oder hat er Interesse daran, daß ich an Bord der Dschunke bin?«
»Hm – ich glaubt das erstere. Er hat nach seiner Überzeugung durch Sie erreicht, daß Taban die Patronen auf Rotti landen konnte und nun kann er Sie nicht mehr brauchen, denn er weiß, daß die Holländer Ihre Person jetzt stark beargwöhnen.« – »Ist das wirklich so?«
»Im Gegenteil. – Aber Dongsa glaubt es. Er hat auch schon einen andern Weißen, einen Franzosen, als Gast in Kü-schans Villa untergebracht. Der soll, ebenso wie Sie und Nottebohm, die Kastanien aus dem Feuer holen.«
»Na, dann wünsche ich ihm Glück. Mich fängt er kein zweites Mal!«
Ich ahnte nicht, daß ich schon halb gefangen war!
Nach einem langen Abschied von dem lieben Holländer begab ich mich vor Eintritt der Dunkelheit, nur mit dem nötigsten Gepäck versehen, an Bord des Seglers, wo mich Dongsa und ein dunkelhäutiger Kapitän, ein Allorese, freundlich empfing. Mein großes Gepäck sandte mir Bruinsma nach Japan voraus. Kurz vor der Abfahrt, und nachdem Dongsa bereits an Land zurückgekehrt war, traf noch ein Weißer an Bord ein. Er gab sich für einen Portugiesen, namens Teireira, aus und erklärte der Eigentümer der Ladung zu sein. Er teilte die einzige Kajüte mit mir.