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VII.

Als Asbjörn Krag hier eintrat, führte er die gleiche Komödie auf wie in den anderen Geschäften.

»Es ist ein Skandal,« rief er, »daß Sie sich erlauben, solche Zitronen zu verkaufen!«

Und verächtlich warf er die Zitronenschalen auf den Tisch. Die Inhaberin, eine dicke, große Madame, wurde wütend.

»Ich verkaufe stets nur frische Zitronen«, rief sie. »Sie können mein ganzes Lager untersuchen, um sich zu überzeugen, daß ich recht habe.«

Krag zeigte ihr nun genauer die Reste von dem Tisch der Ermordeten.

»Aber mein Bruder hat die hier heute nachmittag gekauft,« wiederholte er, »und sie erwiesen sich als vollkommen verdorben.«

»Das ist nicht möglich«, erwiderte sie. »Ich erinnere mich, daß vor ein paar Stunden ein Herr hier war und ein paar Zitronen kaufte, doch er bekam tadellose Ware.«

»So kann es nicht mein Bruder gewesen sein.»

»Ja, das weiß ich nicht. Es war der einzige Mensch, der heute nachmittag Zitronen bei mir kaufte. Und die er bekam, waren vollkommen frisch. Wie sieht übrigens Ihr Bruder aus?« fragte sie mißtrauisch.

»Ein großer schwarzer Mann.«

»Stimmt.«

»Mit langem, grauem Rock.«

»Richtig.«

»Und einem Elfenbeinstock in der Hand.«

»Ja, das muß er gewesen sein. Aber er bekam gute Zitronen.«

»Wann war er hier?« fragte nun Krag.

»Vor ungefähr drei Stunden.«

»Haben Sie gesehen, wohin er ging, als er Ihren Laden verließ?«

Sie sah ihn erstaunt an.

»Das werden Sie doch wohl selbst wissen,« sagte sie, »wenn er Ihr Bruder ist. Im übrigen ging er hier entlang.«

Und sie zeigte die Straße hinaus nach der Richtung des Hauses, in dem die Fabrikarbeiterin gewohnt hatte.

Der Detektiv überlegte.

»Nun,« sagte er dann, »ich werde der Sache noch weiter nachgehen.«

Und sie verließen den Laden. Krag war sehr ernst geworden.

»Nehmen wir nun einen Wagen«, sagte er. »Der Mann mit dem Elfenbeinstock hat einen Vorsprung von drei Stunden. Wir haben keine Sekunde zu verlieren.«

Er hielt eine vorüberkommende leere Droschke an, und die beiden Herren stiegen ein. Er nannte dem Kutscher eine Adresse, die den Arzt vor Staunen die Brauen heben machte.

»Meinen Sie dort etwas erfahren zu können?« fragte er.

Während der Wagen nach dem Zentrum der Stadt fuhr, erklärte der Detektiv:

»Lieber Doktor, Sie dürfen nicht vergessen, daß ich hier in diesem kleinen Paket zwei Dinge habe, die sich vor drei Stunden in der Hand des Mörders befanden, nämlich die Zitronen und die Austern. Wir haben bereits so viel herausbekommen, daß der Mann mit dem Elfenbeinstock, der geheimnisvolle Fremde, der Mörder des Mädchens ist. Unvorsichtigerweise hat er die Zitronen in einem nahe gelegenen Geschäft gekauft. Ich hatte die Befriedigung, selbst die Erinnerung der Verkäuferin an ihn auffrischen zu können. Wird er nun vor Gericht gestellt, so wird sie ihn sofort erkennen. Ferner haben wir auch noch die Austern. Es ist nicht ausschließlich eine Folge meiner Tätigkeit als Detektiv, lieber Doktor, daß ich ein Kenner von Austern bin – wir vertreiben hier erstens die Krageröauster, dann die Limfjordauster und außerdem die große amerikanische und französische Auster. Ich weiß genau, wo man die verschiedenen Arten bekommt. Wir fahren nun also nach einem Geschäft in der Torvgate. Es würde mich nicht wundern, wenn diese Austern dort gekauft wären.«

Als Krag vor dem großen Geschäft hielt, war man gerade im Begriff, es zu schließen. Der Chef stand auf der Türschwelle. Krag stieg aus und wollte sich ihm vorstellen. Der andere unterbrach ihn jedoch mit einem liebenswürdigen Lächeln:

»Stehe zu Ihrer Verfügung, Herr Krag.«

Der Detektiv trat ein und bat den Inhaber, seine Angestellten noch einen Augenblick zurückzubehalten. Er packte die Austernschalen aus.

»Sie kennen diese Austern sicher?« fragte er.

»Limfjord,« erwiderte der Chef, nachdem er einen Blick darauf geworfen hatte, »große, frische Limfjord. Wir haben heute gerade eine Sendung davon bekommen. Ich glaube fast, diese sind von der heutigen Sendung.«

»Das wollte ich nur feststellen«, erwiderte Krag. »Würden Sie die Güte haben, den Verkäufer herbeizurufen, der diese Waren zu expedieren pflegt?«

Der Verkäufer kam. Er bestätigte, daß die von Krag vorgezeigten Austern zu der heute angekommenen Partie gehören müßten. Er erinnerte sich auch, daß er am frühen Nachmittag einem Herrn drei Dutzend davon verkauft hatte. Das Signalement des Betreffenden paßte genau auf den Wann mit dem Elfenbeinstock.

Mit dieser Auskunft verließ Krag das Geschäft.

Die Angestellten sahen ihm interessiert nach. Das Gerücht von dem Besuch des berühmten Detektivs hatte sich rasch in dem ganzen Geschäftslokal verbreitet.

Krag und der Arzt fuhren nun direkt zur Polizei.

Hier erwartete der Chef in höchster Spannung Krags Rückkehr.

»Der Beamte, der mit Ihnen bei der Untersuchung war, berichtete mir soeben, daß es sich um ein Verbrechen handelt.«

»Ja, einen Mord«, erwiderte Krag.

»Und der Mörder ist gefunden?«

»Noch nicht. Doch ich weiß, wer es ist.«

Der Chef sah ihn erstaunt an.

»Es ist der Mann mit dem Elfenbeinstock,« sagte Krag ruhig, »der sogenannte Herr Brandt.«

»Aber welche Ursache kann ihn nur zu dieser Untat veranlaßt haben?«

»Das weiß ich noch nicht«, erwiderte Krag, und ein merkwürdiges Lächeln kräuselte seine Lippen. »Danach werden wir ihn fragen.«

»Aber Sie haben ihn ja noch nicht gefunden.«

»So werden wir ihn finden.«

»Noch heute abend?«

»Vielleicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach hält er sich noch hier in Kristiania auf. Es wäre also seltsam, wenn ich ihn nicht finden sollte, da ich ein so vorzügliches Signalement von ihm habe.«

Der Chef sah Krag neugierig an.

»Ja, glauben Sie denn aber, er wüßte nicht, daß Sie ihm auf der Spur sind?«

»Er ahnt es wohl kaum. Wenigstens vorläufig noch nicht. Ich habe meinen Plan fertig. Doch muß ich zu seiner Ausführung einen Schritt tun, den Sie vielleicht unverantwortlich nennen werden.«

»Und das wäre?«

»Wir müssen den Verbrecher aus der Christian Krohgsgate freigeben.«

»Sind Sie verrückt?« rief der Chef aus. »Er ist ja der einzige, den wir bisher aus dem ganzen Komplott bekommen haben. Geben wir ihn frei, so stehen wir mit leeren Händen da.«

»Er gehört nicht zu dem Komplott.«

»Sind Sie dessen so sicher?« fragte der Chef mit besonderer Betonung.

»Unbedingt.«

»Gut, so handeln Sie, wie Sie es für gut befinden.«

»Es gilt ja nichts weniger, als einen Mörder zu fassen. Wir geben ihn also frei?«

»Das kann ich nicht tun, ohne einen höheren Befehl dazu zu haben.«

»So ist nichts anderes zu machen, als daß wir ihn die Flucht ergreifen lassen.«

»In welcher Weise?«

»Das ist nicht schwierig«, meinte Krag. »Sie brauchen nur anzuordnen, daß er noch heute abend in ein anderes Gefängnis überführt werde.«

Der Chef überlegte einen Augenblick. Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch und fertigte den gewünschten Befehl aus.

Asbjörn Krag steckte das Papier ein.

»Alles andere überlassen Sie mir«, sagte er, indem er ging.

Wenige Minuten später trat der Detektiv in die Zelle des Verhafteten. Dieser hatte sich den Rausch ausgeschlafen und war nun ruhig und vernünftig. Krag bemerkte zu seiner Freude, daß er ein ganz heller Junge zu sein schien. Er hatte ein Paar fixe dunkle Augen und ein gutmütiges Lächeln, das Krag Vertrauen einflößte.

Als der Detektiv eintrat, erhob er sich rasch von seiner Pritsche. Der Wärter war an der Zellentür stehengeblieben, das große Schlüsselbund in der Hand. Krag bat ihn, sich zu entfernen.

Als er dann mit dem Gefangenen allein war, sagte er:

»Du weißt, daß ich dir versprach, dir zur Freiheit zu verhelfen.«

»Ja.«

»Nun also: du sollst heute abend Gelegenheit zur Flucht bekommen.«

»Zur Flucht?!« Der andere lachte laut auf. »Soll die Polizei vielleicht davon wissen?« fragte er.

»Ich weiß davon«, antwortete Krag. »Aber du brauchst die Sache gar nicht so scherzhaft zu nehmen. Es ist mein Ernst.«

»Nun, ich bin bereit zu fliehen. Doch wie soll das vor sich gehen?«

»Man wird sogleich kommen und dich mit dem Gefangenwagen abholen. Ich werde dafür sorgen, daß die Tür nicht verschlossen wird. Wenn der Wagen um die Grubbegate biegt, die um diese Zeit ziemlich menschenleer ist, springst du heraus.«

»Aber der Kutscher? Und der Wächter?«

»Darum kümmere dich nicht. Sie werden tun, als merken sie nichts. Sie sind meine Leute.«

Der Arrestant lachte wieder hell auf und klatschte sich vor Vergnügen auf die Schenkel.

»Das wird ja ein feines Spiel!« rief er aus. »Und was soll ich tun, wenn ich aus dem Wagen bin?«

»Ruhig die Straße hinuntergehen.«

»Aber wohin?«

»Nach dem Café in Vaterland unten, wo du mit dem Bolzen an jenem Abend warst, als man dich fast erschlagen hätte.«

»Was soll ich da machen?«

»Das überlaß mir. Sei nun vernünftig. Ich höre den Wärter kommen.«


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