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Elftes Kapitel.

Ein kleines Gemach.

Als Mimi die hohe Stehlampe mit dem bunten Batikschirm angeknipst und das gedämpfte irisierende Licht den Raum in heimlichen Halbton tauchte, erfaßte Paul mit Behagen die Intimität dieses Boudoirs.

Frau Mimi ließ sich auf ein Kanapee, das die Ecke ausfüllte, fallen und versank in Kissen und Fellen, die die Lagerstatt ausfüllten.

Noch sprach keiner.

Hinter der dünnen Wand tönte das Geräusch der vielen Menschenstimmen, das Klappern der Chips und Scharren der Harke wie die ferne Brandung des Meeres.

Frau Mimi schluchzte.

Sie hatte ihr Gesicht in Kissen vergraben und weinte.

Ratlos stand Paul in der Mitte des Zimmers. Wagte nicht, sich der geliebten Frau zu nähern.

Aber Frau Mimi dachte, daß es nutzlos wäre, sich den Tränen zu überlassen, wo es zu handeln gelte.

Sie richtete sich auf, bat Paul neben ihr Platz zu nehmen.

»Sie sind über das alles erstaunt, was Sie in meinem Hause gesehen, Doktor?« fragte sie, ruhig jetzt, aber noch mit zitterndem Schwingen in der Stimme.

»... ich kann ja nichts für dieses Entsetzliche, was Sie gesehen – – glauben Sie mir, ich bin nicht schuld daran – nein, weiß Gott!« Sie hatte seine Hände ergriffen und schaute ihn mit ihren blauen Kinderaugen an, die sich wieder mit Tränen füllten.

»Aber ich bitte Sie, gnädige Frau,« sagte Paul, »kaltes Blut – erzählen Sie, was soll ich tun? – Wie soll ich Ihnen helfen?«

Sie rückte ganz nahe an ihn heran, so daß er den Balsamduft ihrer Haut empfand, daß er die Nacktheit ihres Körpers spürte. Da sie seine Hände auch losgelassen, zog er die bebende Frau an sich, die sich an ihn schmiegte, im sicheren Gefühle des starken Schutzes.

Paul küßte sie auf die Lippen, die sie ihm willig reichte. Dann küßte er sie auf die Augen.

»So, jetzt aber vernünftig sein, kleine Frau Mimi, die dummen Tränen habe ich weggewischt – – oder sind etwa noch ein paar Reste da – die werden wir gleich haben!!«

Übermütig bedeckte er wiederum die Augen mit seinen Küssen. Mimi schlang in süßem Vergessen ihre weichen runden Arme um den geliebten Mann.

So vergingen weltenentrückte selige Minuten ... Dann aber entwand sich Mimi plötzlich der Umarmung, eilte zur Tapetentür, die sie mit einem Riegel schloß.

»Um Gotteswillen, wenn uns jemand überrascht hätte ... Modersohn?«

»Siehst du, Paul,« fuhr sie hastig fort, »der ist es – Modersohn; das ist der Mann, der mich hier gefangen hält, der mir das Leben vergiftet hat ...«

Und nun ließ sie Paul in ihr Leben blicken, hob den Schleier von dem trügerischgleißenden Scheinbild, das sie der Welt zeigen mußte. »Ich habe dich belogen, Paul – – verzeihe mir. Ich sagte dir, daß ich Witwe bin – das war unrecht von mir ...«

Sie erzählte, wie sie zu ihrem Reichtum gekommen: Bühne, Verhältnis, reicher alter Herr mit Erbschaft – – die alte Geschichte.

Sie erwähnte keine Namen, sie beschrieb alles so obenhin, sie vermied Einzelheiten. Sie scheute sich vor dem Manne, dem sie rein und unantastbar erschien, und den sie rein und selbstlos liebte, ihre Vergangenheit zu prostituieren.

»Kanntest du einen gewissen Ferdinand Grünmeier? ... Er hieß genau wie du? ...« unterbrach sie sich plötzlich, »er war oft in unserem Kreis«, log sie. Ihr Atem stockte, als sie die Antwort erwartete.

Paul lachte.

»Onkel Ferdinand? ... Der schöne Ferdinand!! – – – natürlich kannte ich ihn, das war mein leiblicher Onkel. Er starb, während ich draußen im Felde war ...«

Frau Mimi errötete. Aber das dumpfe violettblaue Licht der Stehlampe verschleierte diese Röte, die Angst und Scham der blonden Frau auf die Wangen getrieben.

O Gott, in welche Lage war sie geraten! Dieser junge Mann war der Neffe ihres verstorbenen Geliebten – – –

Wenn er es erfahren würde ...

Sie zerbiß das kleine Spitzentaschentuch, das sie die ganze Zeit über in den Händen gepreßt hatte. Ihre Seele war zerrüttet, ihre Sinne drehten sich, sie wußte nicht mehr aus noch ein. Das Schicksal spielte grausam mit ihr.

»Was hast du, mein Lieb«, fragte Paul sanft und zärtlich.

Sie wollte ihn zurückstoßen, ihm alles gestehen, fliehen, das Leben weiter leben, wie sie es jetzt tun mußte unter Modersohns Zwang ... Aber in plötzlicher Eingebung warf sie sich dem Geliebten an den Hals, zuckend wie ein verwundetes Wild. Sie küßte ihn leidenschaftlich.

Er soll es erfahren, wenn die Zeit herankommt, dachte sie, als sie an seinen Lippen hing und ihre Körper sich aneinanderschmiegten. Er soll es erfahren, wer ich war und wer ich bin – aber er soll mich lieben. – Auch ich habe ein Recht auf Liebe ...

»Dieser Modersohn ist ein gefährlicher Mensch«, sagte sie ihm, später, als sie wieder ruhig miteinander sprachen. »Vielleicht ist er sogar ein Verbrecher ...?«

Sie schüttelte sich, als sie das Wort nannte.

»Ich war leichtsinnig genug, einmal an einem langweiligen Abend, seine Gesellschaft zu dulden. Nun hat er eine Gewalt über mich gewonnen, von der ich nicht mehr loskomme.«

Paul hatte ihr Geständnis bisher ohne Erschütterung entgegengenommen. Er kannte als geborener Großstädter diese typische Erscheinung wie sie Frau Mimi darstellte. Vielleicht war er zuerst ein wenig enttäuscht, da sie den Vorhang lüftete, ihre eigentliche Daseinsbedingung zeigte. Er bedauerte, daß sie wirklich nicht die »Frau der Gesellschaft« war, für die sie sich ausgegeben und für die er sie gehalten.

Schade. Der Schmetterlingsstaub, der über der keuschen Liebe flimmert, war in tausend Atome zerdrückt – – –

Das alles sollte aber seine Liebe nicht mindern. Er liebte diese blonde Frau mit aller Glut seiner unverbrauchten Sinne. Und er wollte ihr helfen, soweit er es vermochte.

»Dieser Modersohn – hast du ihn gesehen, vorhin, als er das Banko verspielte? – –

O, er spielt mit Hunderttausenden, als ob das Geld aus Seifenblasen gemacht wäre –«

Wo er das viele Geld herhabe?

Allerlei Geschäfte mache er. Schiebungen wahrscheinlich, sie wüßte nicht recht. Aber er werfe das Geld aus dem Fenster, streute es auf den Spieltisch, in die Sektbars. Immer neue ungeheuere Summen fließen durch seine Hände ...

»Und sein Blick – seine Riesenkraft! Ich fürchte mich vor ihm.«

Sie kauerte sich in die Diwanecke.

»Vor diesem Manne mußt du mich retten, Paul!« sagte sie, ihren Freund scheu anblickend. »Gegen ihn habe ich dich zu Hilfe gerufen, weißt du? Vorgestern zwang er mich, ihm 100.000 Mark zu zahlen und gestern –«

Sie wollte nicht fortfahren. Sie schämte sich, Modersohns Angebot zu wiederholen.

»Heiraten muß ich ihn und ihm mein Vermögen ausliefern, damit er mich mit Haut und Haaren verschlingen kann!«

Paul stand auf. Kerzengerade richtete er sich in die Höhe.

»Wir werden dem Herrn das Handwerk legen – da scheint nicht alles zu stimmen. – Verlaß dich auf mich.«

»Wenn du das könntest, Paul!«

Der Doktor reichte ihr seine Hand: »Ich will dich aus diesem Sumpf ziehen!«

»Ja, ein Sumpf ist es, du hast recht«, schrie Mimi auf. »Alles ist sumpfig, moderig, feil und lasterhaft um mich herum. Glaube nicht, Paul, daß ich mich überheben will. Aber ich schwöre es dir, ich bin nicht eine von jenen, die in dieser Giftluft auf die Dauer leben können. Es ist wahr, ich habe mein Leben anders geführt als ehrsame Bürgermädchen. Ich bin nicht schlecht darum. Ich liebe nur den äußeren Glanz des Lebens, ich verachte die Schmach ...«

Tränen flossen über ihr süßes Gesichtchen, die sie mechanisch mit dem Taschentuch wegtupfte.

»Du dummes kleines Mädchen, du!«

Paul streichelte sie, setzte sich nieder zu ihr, nahm sie in die Arme.

»Ich weiß, daß du ein goldenes Herz hast und daß du lieben kannst, wenn du Liebe findest – –«

Ein endloser Kuß ließ ihre Tränen versiegen. Ja, sie lachte wieder.

Sie fühlte den Willen des Mannes an ihrer Seite und sie hob den Kopf voller Zuversicht.

»Da drinnen die Menschen ...«

Sie plauderte jetzt lebhaft und dabei gewichtig.

»Die Menschen ... uch, was für eine seltene Mischung: der reine zoologische Garten – – Affen, Hyänen, Panther und Tiger und Schlangen – – Und das ganze Zeug hat mir Modersohn angeschleppt. Er war es auch, der mich zwang, unter meinem Namen diesen Spielklub in meiner Wohnung aufzumachen. Wie eine auf Draht gezogene Puppe muß ich durch die Säle gehen, animieren und schön tun. – Es ist schrecklich! –

Rauche doch. Liebster!« sagte sie plötzlich und reichte ihm eine Schachtel Zigaretten hin.

Paul zündete eine Zigarette an und sah den aufsteigenden Wölkchen nach, die sich unter den bunten Lampenschirm verkrochen. Seine Gedanken beschäftigten sich mit diesem Modersohn, dessen finsterstarrer Blick in seiner Seele haftengeblieben.

»Ganz Berlin kannst du in meinen Salons sehen. Die sogenannte Neuberliner Gesellschaft, die nach dem 9. November nicht weiß, woran sie ist. Heute rot und morgen keinen Pfennig mehr oder heute nichts und morgen ein paar Millionen: Die Menschen ohne Valuta!«

Paul lachte.

»Du bist eine scharfe Beobachterin!«

»Das Geld, das sie ergaunert, verspielen sie. Es geschieht ihnen schon recht, daß sie keine Freude von dem Sündengeld haben. Der Spielteufel zwickt und zwackt sie und macht ihnen das Leben verdammt schwer. Alles findest du an den Spieltischen: da sitzt die berühmte Filmdiva Litta Marowska, die blonde Bestie, wie man sie nennt. Sie verliert ihre Riesengage im Bac und hält außerdem mit der Apanage, die sie von einem Kriegsgewinnler bekommt, einen ehemaligen U-Boothelden aus. Und hast du den kleinen Kahlkopf gesehen, der die Tausendmarkscheine wie Straßenbahnbilletts aus der Westentasche zieht? Der war früher beim Proviantamt Schreiber. Der dicke Herr mit den schmutzigen Fingernägeln, und seine massive Frau Gemahlin mit dem pickligen Halsausschnitt, die neben uns standen, als die Französin die Bank zog, sind auch solche Typen von heute: vor einem halben Jahr haben sie noch in der Halle einen Stand innegehabt. Jetzt bewohnen sie eine Etage am Reichskanzlerplatz und setzen 3 000 Mark auf eine Karte.«

Paul amüsierte sich köstlich über Frau Mimis Schilderungen. Aber ihn erschreckten sie gleichzeitig. Ihm war das alles neu. Er hatte ein anderes Berlin verlassen, damals, als er als Freiwilliger in den Krieg zog. Nun war über sein Berlin der Pesthauch gekommen, der es mit seinem Gift versengte.

»Und unsere Frauen sind die tollsten am Spieltisch. Vorn im ersten Salon am runden Tisch sitzt jede Nacht die berühmte Olly Kérely, die entzückendste Soubrette. Sie trägt Hüte, deren Reiher Tausende kosten und ihre Pelze und Toiletten verschlingen Unsummen. Ihre Brillanten und Perlen sind Millionen wert. Sie hat keine andere Leidenschaft mehr als das Spiel: bis zum frühen Morgen Karten und Zigaretten – – – Und dabei rast das Publikum jeden Abend, wenn sie mit ihren wundervoll gewachsenen Beinen den Saisonschlager tanzt – beinahe hätte ich gesagt: singt – –«

Sie lachten beide.

Die schreckliche Not war vergessen.

Mimis Geplauder halte dem Beisammensein eine herzliche Wärme verliehen.

Nun sprang sie aus ihrer Ecke auf.

»Aber man wird mich vermissen, Liebster. – – ich muß mich wieder zeigen, damit dieser entsetzliche Modersohn keinen Verdacht schöpft – – hier ...«

Sie wies ihm den Weg durch das anstoßende Zimmer, das im Dunkeln lag.

»Gehe über den Korridor in den Spielsaal zurück!«

»Auf Wiedersehen morgen, mein Lieb,« sagte Paul, »ich werde dich auf dem Laufenden halten!«

*

Drinnen am langen Tisch hielt Modersohn die Bank.

Jetzt pointierte die kleine Französin gegen ihn. Die Bank verlor.

Modersohns Gesichtsausdruck war hart und eisern. Seine Maske aus Erz. Nicht eine Miene zuckte, wenn er immer wieder schlecht spielte. Nur seine Hände schienen zu zittern. Die Adern waren hochgeschwollen, zum Platzen dick.

Mit hohler Stimme bot er das Spiel aus: »... es geht nichts mehr ...«

Die kleine Französin forderte den »Rest auf beiden Seiten« – – –

Modersohn lächelte spöttisch. Jetzt hatte er sie. Er wußte bestimmt, diesen Coup würde er gewinnen.

In der Bank waren etwas über 50 000 Mark. Wenn er das Geld verdoppelt hätte, wäre er wieder flüssig. Es war das Letzte, was er besaß. Während er die Karten langsam aus dem Holzkasten zog, dachte er daran, daß es ja noch ein Mittel gäbe, um wieder zu Geld zu kommen, heute nacht noch – – er brauchte nur bei der nächsten Bank, die er ziehen würde, den »Schlitten zu legen«, ein bißchen das Glück zu korrigieren – – – Aber diese Falschspielerangelegenheiten verachtete er. Kleinkram – höchstens: im Augenblick des letzten Zusammenbruches, wenn gar nichts anderes mehr einschlagen wollte.

»Ick 'aben ackt!« sagte die Französin und schlug den »kleinen Schlag« um.

»Ich danke«, ertönte es auf der anderen Seite.

Paul hörte die Stimme seines Vaters. Blieb stehen.

Richtig: da saß Herr Grünmeier mit den Karten vor sich und einen Stoß Spielmarken daneben. Paul stellte sich hinter ihn.

Modersohn drehte seine beiden Karten um. Er hatte drei Punkte im Lager. Er zog eine weitere Karte: die Sieben. Ein ausgemachtes Pech, »bac« zu kaufen. Er warf die drei Karten und den Rest aus dem Holzkasten in den Mittelkorb und stand auf.

Sein Gesicht war aschfahl. Die Augen hatte er fest zusammengekniffen unter dem Kneifer. Seine Lippen zogen sich tief hinunter.

Suchend ging er in die vorderen Salons.

Adolf Grünmeier raffte seine Chips zusammen und erhob sich. Als er sich seinem Sohne gegenüber sah, stutzte er einen Augenblick. Dann aber, in der guten Laune über den fetten Gewinn, den ihm die letzte Bank gebracht, begrüßte er ihn freudig.

»Na Junge, siehst du dir Berlin an?«

Paul war geniert.

Es war ihm peinlich, seinen Vater hier an diesem Ort getroffen zu haben. Er versuchte, sich zu entschuldigen, aber der Alte meinte:

»Ach, laß doch, mein Sohn, das gehört zum guten Ton jetzt – – – aber ich rate dir, mache es so wie ich: setze nur den richtigen Coup – – – dann kannst du nie verlieren.«

Er sagte das treuherzig und überzeugt, als wenn er ihm sonst eine gute Maßregel fürs Leben gegeben hätte.

Sie schritten beide dem Ausgang zu.

Frau Mimi stand bei der Soubrette Olly Kérely, die mit ihren prachtvollen weißen Zähnen über einen Witz ihres Nachbarn lachte.

Mimis und Pauls Blicke trafen sich.

Paul grüßte und trat an Mimi heran, der er galant die Hand küßte.

»Ich empfehle mich, gnädigste Frau«, sagte er förmlich.

Dann kehrte er wieder zu seinem Vater zurück, der mit offenem Munde dastand, erstaunt seinen Sohn anstarrend.

»Die kennst du?« fragte er.

»Ja, Frau Mimi Schwarz – – eine Bekanntschaft aus Oberhof«, antwortete Paul.

»Aber das ist doch Onkel Ferdinand ›seine‹ gewesen – –«

Er machte eine wegwerfende Schulterbewegung.

»... die uns Onkel Ferdinands Vermögen weggeschnappt hat«, fuhr er fort.

Paul blickte seinen Vater an.

Dann drehte er sich noch einmal zurück, wo er Frau Mimi in den großen Spielsaal verschwinden sah.

Der Vater nahm seinen Sohn unter dem Arm, führte ihn auf die Diele zur Garderobe. »... aber das weißt du ja alles noch nicht, Junge, das muß ich dir erzählen – diese dumme Geschichte mit Onkel Ferdinands Testament.«


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