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Die Überraschung war auf allen Seiten. Auch Mimi, über die Ferdinand Grünmeiers Millionen herabgerieselt waren wie einst die Goldstücke Jupiters auf Io, mußte sich in die eigentümliche Situation erst allmählich hineinfinden. Es ist immerhin nicht leicht für eine Frau, auf die standesamtliche Abstempelung zu verzichten, eine Staatshandlung, die ja eigentlich zum eisernen Bestand jedes Jungferntraumes gehört. Auf das Kinderkriegen würde sie auch ohne Testamentsbestimmung keinen Wert gelegt haben, wenn nicht das Schicksal mit ihr und Ferdinand Grünmeier eine eigentümliche Narrensposse vorgehabt hätte.
Doch darüber machte sie sich vorläufig keine Gedanken.
Als sie vom Notar gekommen war, der ihr in trockenem Geschäftston die Mitteilung gemacht, daß sie glückliche Besitzerin von einer Million und sechshunderttausend Mark geworden wäre, wobei er die Einschränkungsbedingungen mit warnendem Tonfall ganz im Stile eines Bußpredigers besonders scharf akzentuierte, hatte sie das Gefühl, die Erdenschwere verloren zu haben. Der Tante Marie, bei der sie wohnte, fiel sie um den Hals, als sie in die saubere Wohnstube eintrat. Sie küßte sie ab, wie einen Liebsten, lachte ihr ins Gesicht, zog sie auf das geschweifte grüne Ripssofa, das noch von ihren seligen Eltern stammte und eine Zierde der kleinen Wohnung bildete. Sie war außer Rand und Band.
»Du bist nicht bei Sinnen«, sagte Tante Marie, als der erste Ansturm sich gelegt hatte und die gute alte Person endlich Atem schöpfen konnte. Aber Mimi stand auf und trat dicht vor die Tante hin.
»Weißt du, was ich bin?«
Sie machte eine gewichtige Miene.
Tante Marie strich verlegen über die nicht sehr saubere Küchenschürze und schaute sie ganz dumm an.
»Millionärin bin ich ...!!«
Mimi weidete sich an der kleinen Frau, die sich wie ein Vögelchen unter dem Brausen des Orkans verschüchtert in sich zusammenzog.
Dann erzählte Mimi.
Und dann sprachen die beiden Frauen von neuen ungewohnten Zukunftsmöglichkeiten, schmiedeten Pläne und faßten Entschlüsse, die sie immer wieder durch neue, besser erscheinende ersetzten.
So viel Geld!
Tante Marie konnte es gar nicht fassen, daß das große Glück über ihre Nichte gekommen.
Aber Mimi war von praktischer Veranlagung und überließ die kleine Tante ihren Phantasien, während sie selbst an die Aufmachung eines neuen Lebens ging, das der einundeinhalben Million, deren Zinsen sie sich jetzt erfreute, würdig wäre. Sie richtete sich draußen am Kurfürstendamm eine glanzvolle Wohnung ein, die sie mit des verstorbenen Ferdinands Möbeln mit gutem Geschmack ausstattete. Dann stellte sie den ganzen Haushalt auf eine höhere soziale Stufe. Sie machte Tante Marie zu ihrer Hausdame, verbot ihr die Küchenschürze und holte sie mit Gewalt aus der Mädchenkammer, wohin sich die bescheidene alte Jungfer verkrochen hatte.
In ihrem Hause galt Mimi als die reiche Frau Schwarz, Privatiere. In dem großen, palastartigen Kasten, der in der Nähe der Halenseer Brücke lag, kümmerten sich die Mieter nicht viel umeinander und für die Portiersleute war das Geld das allein Ausschlaggebende. Ihrer schauspielerischen Karriere machte sie ein schleuniges Ende, denn sie hatte nicht den Ehrgeiz in der Öffentlichkeit aufzufallen. Sie liebte die Bequemlichkeit und war froh, keine Vormittagsproben und Abendvorstellungen mehr mitmachen zu müssen. Die unbedingte Freiheit, die ihr das große Vermögen in vollem Maße gewährte, genoß sie in vollen Zügen.
Tante Marie wurde in einfach bürgerlicher Weise ausstaffiert und begleitete sie überall hin. Die kleine scheue Dame wurde von Mimi in die Theater und Konzerte, selbst in die Kabaretts mitgeschleppt, mußte bei der Modistin zugegen sein, im Schlafwagen durch die Welt mit ihr dampfen, in den Badeorten neben der schönen Nichte über die Kurpromenade wandeln. Tante Marie wurde Mimis Schlagschatten.
Gegen die Männerwelt verhielt sich Frau Mimi, wie sie sich jetzt nennen ließ, abweisend und zurückhaltend. Für das starke Geschlecht empfand sie keine Sympathie mehr, nachdem das Gespenst der Liebe sich zwischen ihre Millionen gedrängt hatte. Sie wollte nicht in Versuchung geraten. Und was sie bisher in der Liebe erlebt hatte, genügte ihr so wie so.
Das Verhältnis mit dem seligen Ferdinand zum Beispiel – – – ihr letztes Abenteuer. Es war zustande gekommen, wie eben diese Bekanntschaften immer gemacht wurden. Auf der Rennbahn, eines schönen Frühlingstages, sprach Ferdinand sie an. Und dann entwickelte sich eben aus dem ersten Tête à tête im Extrazimmer bei Hiller eine Liaison, die sie in Anbetracht des vorgerückten Alters ihres Liebhabers gleich auf eine gesicherte materielle Basis stellte. Und während der Jahre, die sie dem »Alten« opferte, verzichtete sie aus Vernunftgründen auf jede weitere Aufregungen und Liebessachen, die ihrer Veranlagung überhaupt nicht entsprachen.
Sie hielt nicht viel von der Liebe. Was sie bisher erlebt, gab ihr Recht. Der erste, der sie in die Geheimnisse von Jenseits von Gut und Böse eingeweiht, war ein Lumpenkerl. Ließ sie sitzen und warf sie auf die Straße, wo sie verloren gewesen wäre, wenn Tante Marie sie nicht zu sich genommen.
Dann noch zwei, drei oder mehr Versuche mit den Männern, jüngeren und älteren. Sie hatte kein Glück damit. Egoisten und Knickern fiel sie in die Hände. Sie hielt sich nicht lange mit ihnen auf. Sie wartete.
Bis ein glücklicher Zufall den alten Ferdinand Grünmeier, der wie ein gewichster Schwerenöter prüfend durch die Menge auf der Rennbahn stolzierte, auf sie aufmerksam machte.
Alle, die sich jetzt um ihre Gunst bemühten, prallten mit ihren Bewerbungen an der stahlharten Wand der Gleichgültigkeit ab, mit der sich Frau Mimi panzerte. Aber der unermeßliche Reichtum, den die Fama ihr andichtete, zog jeden Tag neue Anbeter in ihren Kreis, die wie die Motten zum Licht flogen.
Frau Mimi wollte sich nicht um ihr Glück betrügen lassen. Sie dachte an die Testamentsbestimmung und hütete sich, sie zu verletzen.
Gegen Ende des Sommers kam sie aus Swinemünde zurück, wo sie die Hochflut der Saison in vollen Zügen genossen. Diese erste Saison nach den Mühsalsjahren des Krieges hatte die Menschen zu wahren Orgien der Vergnügungen gepeitscht und aus der großen Not keine Tugend gemacht, wenn man das Sprichwort so umkehren darf.
Frau Mimi war trotz ihrer Unnahbarkeit der Mittelpunkt einer Gesellschaft gewesen, in der man sich nicht langweilte. Jetzt, da sie in ihr Berliner Heim zurrückgekehrt, wollte sie sich von den Strapazen ihrer Erholung, wie sie von ihrer Sommerreise scherzhaft sprach, ausruhen.
Sie fühlte sich gar nicht wohl. Trotz ihres blühenden Aussehens, trotz der frischen, gebräunten Gesichtsfarbe ging es ihr nicht gut. Tante Marie war sehr besorgt um die Nichte. Sie beobachtete sie und versuchte alle Hausmittel, die sie kannte. Aber kein Mittel schlug an. Mimis Laune wurde immer schlimmer, ihre Reizbarkeit nicht mehr zu ertragen.
Tante Marie witterte Unrat.
Mimi wurde still und verschlossen.
Tante Marie drängte auf eine Erklärung. Sie ahnte den Grund von Mimis Krankheit. Denn nun war die hübsche blonde Mimi wirklich krank geworden und jammerte und zeterte, daß die arme kleine Tante Marie nicht ein noch aus wußte.
Und das Unangenehmste für Tante Marie war die Weigerung Mimis, einen Arzt kommen zu lassen.
Aber eines Morgens trat Tante Marie mit einer starken großen Frau in Mimis Schlafzimmer.
»Das ist Frau Lehmann, eine Bekannte von mir«, sagte Tante Marie.
Und sie fuhr leise fort, als wenn sie sich schämte für das, was jetzt kommen würde:
»Frau Lehmann meint, es wäre richtig mit dir, Mimi!«
Es war richtig mit Mimi.
Die weise Frau berechnete, daß das nun schon über fünf Monate her sein müßte.
Mimi bekam einen schönen Schreck.
Ihr erster Gedanke war das Testament und ihr Geld.
Aber wenn doch Ferdinand Grünmeier selber der Vater ist?
Das könnte zu schweren Verwickelungen führen. Und schließlich würde man es ihr nicht glauben. Die Menschen nicht und das Gericht erst recht nicht.
Auch war der Beweis nicht leicht beizubringen.
Das hatte sie nun davon, daß sie seit dem Tode des Alten sich und seinem Andenken treugeblieben war ...
Das Kind mußte heimlich zur Welt kommen.
»Jott,« sagte Frau Lehmann (Mimi glaubte, daß die Frau ihre Gedanken von ihrer Stirn gelesen hatte), »wenn's weiter nischt ist – – 's braucht kein Mensch was davon zu erfahren. Wenn's so weit ist, kommen Sie man in die Klinik von Doktor Savorek – – –«
Nach einigen Monaten spazierte Frau Mimi wieder über den Kurfürstendamm, pudelgesund und in ihrer alten Schönheit. Sie hatte, wenn man es so sagen durfte, ein Teufelsglück gehabt: das Kind hatte der Mama den Gefallen getan, kurz nach der Geburt dieses undankbare Erdenjammertal wieder zu verlassen.
Aber Mimi konnte diese Verlegenheiten dem seligen Ferdinand nicht vergessen. Er hätte wirklich vorsichtiger sein können. Ausgerechnet kurz vor seinem Tode eine solche Dummheit ...