Ernst Eckstein
Nero
Ernst Eckstein

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Siebentes Kapitel.

Flavius Scevinus empfing die kaiserliche Familie und ihre Gefolgschaft am Vestibulum.

Während die Kaiserin-Mutter, den palla-verhüllten Arm ihrer Hofdame Acerronia berührend, stolz aus der Sänfte stieg, zogen die stämmigen Prätorianer langsam durch den bildergeschmückten Thürweg. Ohne die Rosengewinde, die sich – eine poetische Abmilderung – um die Helme und Speere flochten, hätte die Sache beinah den Eindruck einer kriegerischen Besetzung gemacht.

Als der greise Senator Flavius Scevinus über den ungewohnten Vorgang zu staunen schien, sagte sie lächelnd:

»Unsre Krieger sollen das Freudenfest, das du geplant hast, verschönern helfen. Nichts dünkt mir herrlicher und gewaltiger, als der harnischklirrende Ares zwischen den Blüten des Frühlings. Ich bitte dich, frei über die Mannschaften zu verfügen. Mische sie unter die Sklaven; gruppiere sie bei den Festspielen; stelle den Gästen, oder einigen, die du auszeichnen willst, Ehrenwachen, – ganz nach Belieben! Die Leute sind angewiesen, rückhaltslos zu gehorchen.«

Flavius Scevinus, von der meisterhaften Verstellungskunst Agrippinas ein wenig getäuscht, suchte sich einzureden, es handle sich in der That nur um eine huldvolle Aufmerksamkeit.

Bald jedoch zerfloß dieser Selbstbetrug. Um das üppig gerundete Kinn der Kaiserin spielte ein kaum bemerkbares Zucken, ein Flimmern der Ironie, und Flavius erkannte nun, was er gleich von Anfange an hätte voraussetzen dürfen.

Agrippina, durch zahlreiche Späher bedient, wußte, daß Flavius Scevinus ein ausgesprochener Feind ihrer Herrschergelüste war, daß er sogar mit andern hervorragenden Senatoren, wie Barea Soranus, Piso und Thrasea Pätus mehrfach über die Mittel und Wege verhandelt hatte, ihren übermächtigen Einfluß zu brechen.

Da sie selbst nun in der starren Verteidigung ihrer Stellung vor keinem Frevel zurückschrecken würde – ihre Vergangenheit, die nur noch für Claudius Nero und dessen Gemahlin Geheimnis war, bürgte dafür – so gewärtigte sie von den Gegnern die nämliche »Bündigkeit« der Entschlüsse. Wenn sie denn wirklich hier die Höhle des Löwen Flavius betreten mußte, so wünschte sie die Gewißheit einer heilen Zurückkunft.

Während sich Agrippina jetzt zu Metella, der Gattin des Flavius Scevinus, wandte, und sich, voll von jener majestätischen Gönnerschaft, die ihr eigen war, nach dem Befinden der Edeldame erkundigte, begrüßte der Hausherr den Imperator und die jugendliche Octavia.

Es war Sitte, daß der römische Cäsar die Senatoren bei solcher Gelegenheit küßte. Nero jedoch wußte dieser bedeutungslosen Zeremonie eine Innigkeit aufzuprägen, die allem Volke verkündete. »Diesen Mann verehre ich wie ein Sohn!«

Der sanften Octavia küßte Flavius Scevinus die Hand. Sein Auge strahlte, als die errötende Frau einige Silben der Artigkeit an ihn richtete. Octavia war von jeher sein Liebling gewesen. Er ahnte nicht, daß sie litt; er hielt ihre Ehe mit Nero für das Urbild stiller Glückseligkeit.

Mit herber Verbitterung nahm Agrippina wahr, wie sich Flavius Scevinus von dem jungen Paare nicht trennen zu wollen schien, während Metella bereits die Worte sprach: »Herrscherin Agrippina, – wenn dir's genehm ist, laß uns eintreten!«

Trotz der mangelnden Wohlgesinntheit des Flavius hatte es Agrippina für selbstverständlich gehalten, vom Hausherrn geleitet zu werden, und nicht von Metella, dieser grobknochigen, frühgealterten Krämerstochter – in Wirklichkeit entstammte sie einer der angesehensten Reeder-Familien von Ostia – dieser Plebejerin, die als halbwüchsiges Mädchen alte Segel geflickt hatte, jetzt aber den Kopf in dem Nacken trug, als sei ihr die purpurgeränderte Toga ihres zukünftigen Ehegemahls in der Wiege schon prophezeit worden.

Agrippina bezwang indes ihren Unmut, versuchte zu lächeln und schritt hoheitsvoll durch den Thürgang.

Das große korinthische Atrium des Flavius Scevinus war bereits von einer glänzenden Schar vornehmer Gäste erfüllt. Senatoren mit ihren Frauen und Töchtern; Ritter, die sich im Staatsdienste oder als Rechtsbeistände hervorgethan; der Pontifex Maximus; die Priester der drei obersten Gottheiten; der Stadtpräfekt; mehrere süditalische Großgrundbesitzer; einzelne Klienten von bevorzugter Stellung –: das alles mischte sich in dem halb überdeckten Raum bunt durcheinander.

Nur wenige Schritte vom Ostium entfernt stand eine mittelgroße Männergestalt von überraschender Klarheit und Sicherheit. Das geistvolle Auge gemahnte an Seneca; Antlitz und Haltung jedoch verrieten in höherem Grade, als bei dem Staatsminister, die Fülle einer unwankenden Willenskraft.

Dieser bedeutende Mann war Thrasea Pätus, der grimme Verurteiler Agrippinas, der glühende Patriot, der seine ganze Hoffnung auf den Regierungsantritt Neros gesetzt hatte, und der nun erleben mußte, wie die ehrsüchtige Kaiserin-Mutter trotz aller offenen und heimlichen Gegenströmungen dennoch den Staat im wesentlichen nach ihrem Geschmack lenkte, die Käuflichkeit und Verderbtheit allenthalben begünstigte, die einflußreichsten Aemter mit ihren ödesten Kreaturen besetzte und selbst den Staatsminister nur um deswillen duldete, weil die Einseitigkeit seiner Philosophie den jungen Kaiser zur Bethätigung wirklich praktischer Kräfte untauglich machte.

Beim Erscheinen der Kaiserin-Mutter neigte Thrasea Pätus kaum bemerklich das Haupt. Dem jungen Paare jedoch eilte er lebhafter noch als vorher Flavius entgegen, hielt die schlanke Apollogestalt des Kaisers lange umschlungen und küßte ihn dreimal weihevoll auf die Stirne.

Octavia schien beim Anblick dieses edelsten aller Römer lebhaft ergriffen. Ihr Busen hob sich und senkte sich stürmisch, als vergesse sie jegliche Selbstbeherrschung. Wehmütig-schwärmerisch weilte ihr Blick eine Sekunde lang auf den Zügen ihres Gemahls. Niemals war er so schön gewesen, so unvergleichlich. Sie hätte ihm zurufen mögen: »Alle Herrlichkeit dieser Erde wollte ich dafür hingeben, wenn du dereinst als Fünfzigjähriger auf ein Leben zurückschauen könntest, wie dieser Thrasea!«

Nachdem die erlauchten Ankömmlinge hier und dort noch einige Worte mit den Bevorzugtesten unter den Gästen gewechselt hatten, gab ein lustiges Trompetengeschmetter das Zeichen zum Beginne des Festmahls.

In Paaren gereiht, wandte sich die Gesellschaft nach dem Cavädium, wo der Hausverwalter unter dem tiefblauen Frühlingshimmel zwei lange Festtafeln aufgestellt hatte.

Rings an der dorischen Kolonnade brannten in erzgetriebenen Haltern mannshohe Fackeln, deren würzige Rauchwolken sanft gekräuselt in die beginnende Dämmerung emporstiegen. Kleinere Lichter glänzten auch oben vom Gesimse des Daches.

Die Tafeln selbst konnten bei dieser taghellen Beleuchtung der üblichen Bronzelampen entbehren. Um so üppiger glänzte ihr Blumenschmuck. Rosen- und Veilchengewinde schlangen sich duftend um die silbernen Mischkrüge, um die kostbaren Murrhagefäße und die kunstvollen Schaugerichte. Für die Stirnen der Festteilnehmer lagen dreihundert schwellende Kränze bereit. Rosenblätter und zerpflückte Narzissen überdeckten, so weit das Auge reichte, den Fußboden. Sämtliche Säulenschäfte waren mit Epheu und Akanthus umwunden.

In kurzer Zeit waren die Gäste verteilt, dank der großen Gewandtheit der Obersklaven und ihrer Gehilfen. Während vom Garten her eine schmelzende südhispanische Weise erscholl – ›Schlummerst du‹ war sie betitelt – gossen die Sklaven und Sklavinnen aus etruskischen Henkelkrügen goldenes Vesuvgewächs in die mattglänzenden Becher.

Den Ehrenplatz an der Spitze der linken Tafel – vom Atrium aus gerechnet – hatte die Kaiserin-Mutter. Ihr zur Rechten lehnte Afranius Burrus, der Oberst der Leibwache; auf der andern Seite Flavius Scevinus, der Hausherr. An der Spitze der zweiten Tafel thronte der Imperator zwischen Octavia und der Gemahlin des Hausherrn. Eine querlaufende Verbindungstafel, wie dies sonst üblich war, fehlte.

Da nur die äußeren Seiten der Tische mit Speisesofas bestellt waren, die inneren aber, nach römischer Sitte, frei blieben, so hatte Flavius und seine Gattin Metella keine Seitennachbarn.

Die Reihe der Gäste schloß sich vielmehr drüben an Burrus, hüben an die Gemahlin des Imperators.

Und zwar folgte bei Octavia zunächst der Stoiker Thrasea Pätus; hiernach eine reiche Aegypterin, Epicharis mit Namen; dann der Staatsminister Annäus Seneca; und links von ihm die vierzehnjährige Frau eines Senators.

Thrasea Pätus wandte sich gleich beim Beginn des Mahles, das mit lucrinischen Austern und asiatischen Meertulpen eröffnet wurde, der jungen Kaiserin zu.

Octavia hatte nur ein unbedeutendes Wort an ihn gerichtet, eine höfliche Frage wegen der jüngst in Scene gegangenen Cirkusspiele, die ganz Rom in fieberhafter Erregung hielten: denn immer noch war es nicht ausgemacht, ob der sausende Fulgur des Tigellinus gesiegt hatte, oder die Flava des Anicetus. Ein Ausschuß war niedergesetzt worden zur Erledigung dieses weltbewegenden Streites. Zeugen wurden verhört, als handle es sich um einen Prozeß wegen Steuererpressung. Die meisten Aussichten hatte bis jetzt Anicetus, was die Partisanen des Tigellinus um so bitterer verdroß, als der unangenehme Gegner eigentlich auf dem Land nichts zu suchen hatte. Anicetus war Seeoffizier. Seit kurzem befehligte er die Flotte am Kap Misenum, und nur aus besonderem Anlaß weilte er jetzt in Rom, wo er sofort dem altbewährten Agrigentiner den Rang bestritt . . .

Thrasea Pätus lächelte bei der Frage Octavias, als glaube er nicht an den Ernst ihres Interesses. Er gab ihr Auskunft – ganz in dem Tone, mit dem er gesagt haben würde: ›Ja, Herrin, das Wetter ist allerliebst‹. –

Octavia nickte zerstreut und that eine zweite Frage, die nach einigen Abschweifungen auf ein geradezu unerschöpfliches Thema führte: auf den Kaiser Augustus und die allbewunderten Großthaten dieses Monarchen für die Entwickelung des Weltreichs.

Auch Nero und die ägyptische Nachbarin des Thrasea Pätus – Epicharis – nahmen mehrfach an diesem Gespräche teil. Ja, selbst der Staatsminister Annäus Seneca löste sich bald von dem öden Geplauder seiner Partnerin links, um an geeigneter Stelle ein epigrammatisches Wort einzuwerfen.

So ernst, so feierlich wogte der Strom dieser Erörterungen, daß Nero sich fast im Arbeitsgemache der Hofburg wähnte, wo ihm der geistreiche Philosoph gerade während der letzten Wochen so unaufhörlich betont hatte, wie das Leben Entsagung, Selbstbeherrschung und Pflicht sei.

Bei dieser Erinnerung überkam den jugendlichen Monarchen plötzlich inmitten der festlich-lauten Gesellschaft das Wehgefühl einer unermeßlichen Oede.

In der That, es war ein unvermittelter Gegensatz, der die Künstlerseele des jungen Kaisers seltsam erregen mußte.

Während man hier, an dem oberen Ende der Tafel, nahezu Vorlesungen aus dem Gebiete der lichtlosen Stoa hielt, scherzte und lachte es von dort unten herauf, wie das Murmeln einer geschwätzigen Quelle in den Gründen von Tibur.

Schöne Jünglinge neigten sich mit verbindlichen Reden zu ihren blühenden Nachbarinnen, – und zwischen den jugendfröhlichen Paaren saß unsichtbar der geflügelte Gott, seine Pfeile schärfend.

Reifere Männer schwelgten in heiterem Geplauder über Vergangenes, wußten ganz allerliebste Geschichten aus ihren Amtserfahrungen in Sicilien oder Kleinasien, leerten Becher um Becher, und citierten, wie zur Entschuldigung, die Worte des hellenischen Trinkliedes: ›Nyn chre methyskein‹ . . .

Ach, und dort – der verliebte Ehemann, der allezeit eifersüchtige Otho, der von zwei lustigen Tarraconenserinnen förmlich belagert, dennoch immer und immer wieder nach seiner reizenden Gattin Poppäa Sabina hinüberlugte!

Ferne von ihm, an der Tafel der Kaiserin-Mutter, lehnte sie neben dem höchst gefährlichen Tigellinus!

Bei allen Göttern, ein entzückendes Weib, diese Poppäa Sabina mit ihren sanft verschwimmenden Augen und der liebenswürdigen Art, ihr blumengeschmücktes Köpfchen nach rechts zu neigen! Otho mußte in ihrem Vollbesitz das überschwenglichste Glück empfinden, und dieses Glück erklärte auch seine Eifersucht. Je teurer das Kleinod, desto vernunftgemäßer die Sorge um seine Verwahrung.

Sophonius Tigellinus mußte ihr jetzt eine scharfgewürzte Bemerkung zugeraunt haben. Poppäa Sabina blinzelte wie ein schalkhafter Satyr unter den Wimpern hervor, kämpfte ein wenig und lachte dann mit den perlweißen Zähnen so herzlich, daß ihrem angstbeklommenen Eheherrn Salvius Otho alles Blut in die Schläfe stieg.

Nero hatte das schöne, lachende Weib fast wie im Halbschlaf beobachtet. Jetzt verweilte sein Blick etwas gedankenvoller auf ihrem Antlitz.

In zwei Jahrzehnten würde der schwellende Mund dieser Poppäa Sabina von abscheulichen Furchen umrahmt, ihr strahlendes Auge gerötet, ihre blühenden Wangen verdorrt sein, schier wie das Antlitz des philosophischen Staatsministers . . .

Aber sie konnte sich dann doch sagen: ›Ich habe genossen, was dies vergängliche Leben mir darbot! Ich habe den Becher geschlürft, eh' mir ein widriges Schicksal ihn umstürzte! Ich habe nicht Qual erduldet um einer sogenannten Idee willen!‹

Es war, als ob die Gedanken des Imperators geheimnisvoll strömend die Seele Poppäas berührt hätten. Sie, die bis dahin gänzlich unter dem Banne des Tigellinus gestanden, schaute jetzt plötzlich zu Claudius Nero hinüber und so begegnete sie seinem traurig sinnenden Blick.

Poppäa Sabina errötete heftiger, als zuvor ihr Gemahl. Ihr ganzes Haupt, ihre Kehle, ja selbst ihre Schultern leuchteten wie in Purpur getaucht. Da sie erwog, daß Claudius Nero dieses Erröten bemerken mußte, ward sie vollends dermaßen verwirrt, daß Tigellinus ihr zuraunte: »Herrin, was gibt's? Fühlt sich die schöne Poppäa nicht wohl?«

Sie faßte sich rasch.

»Das ewige Lachen ist mir zu Kopf gestiegen,« sagte sie scherzend.

»O, ich verstehe den Vorwurf,« gab Tigellinus zurück. »Aber siehst du, vieledle Poppäa, mein Beruf wird nachgerade so ernst, so pathetisch und würdevoll, daß ich mich ab und zu einmal austoben muß. Im Verkehr mit dem Cäsar ist das Lachen neuerdings eine recht seltene Ware. Wenn's noch lange so währt, dann verschlingt mich der Abgrund der Melancholie, – oder ich werfe mich auf die Stoa.«

»Das klingt außerordentlich komisch.«

»Meinst du? Aber ich rede die Wahrheit. Ich merke, wie ich seelisch verknöchere. So nutze ich's denn nach Möglichkeit aus, wenn mir der Zufall die Gelegenheit bietet, einer so reizenden Epikuräerin, wie Poppäa, hilfreiche Hand zu leisten in der Betätigung ihrer Lebensweisheit.«

»Ich eine Epikuräerin? Nun ja, wenn du willst . . .! Weshalb sollte ich nicht? Ist dies entschwindende Leben nicht kurz genug? Lohnt es, den Kopf zu hängen? Das Trübe noch trüber zu malen? Ein Jammer um euren Cäsar, daß er sich so von Seneca in die Wüste verbannen läßt! So jung ist Nero und so geschaffen zum Glücklichsein! Sieh doch nur: diese nachtschwarzen Augen! Sind sie nicht himmlisch?«

»Welche Begeisterung! Dächtest du halb so günstig von mir, – beim Zeus, vor Wonne und Seligkeit würde ich närrisch werden!«

»Heuchle nicht!« sagte Poppäa. »Du, der Gefeierte, der allein hier im Cavädium zwölf oder zwanzig angenehme Erinnerungen zählt! Du, dessen reizvolle Abenteuer bis in das fernste Hispanien und Lusitanien berühmt, oder besser: berüchtigt sind . . .! Aber lassen wir dies verfängliche Thema! Folge lieber dem Rat einer Freundin – denn das bin ich, trotz allem und allem . . .«

»Sehr verbunden! Also was rätst du mir?«

»Dem Staatsminister und seinem philosophischen Unsinn gründlich entgegenzuwirken.«

»Wie soll ich das anfangen?«

»Lächerlich! Mache dem Kaiser begreiflich, daß man ein großer Regent, ein gewaltiger Denker, ein glorreicher Volksbeglücker und dennoch ein ganz vernünftiger Mensch sein kann! Sieh nur, jetzt breitet sich über sein Antlitz wiederum jener seltsame Schleier von Traurigkeit, den ich vorhin schon ein paarmal beobachtet habe. Wahrlich, wenn die Sitte nicht wäre, und die abgeschmackte Rücksicht auf die Gesellschaft, ich würde mich ohne weiteres erheben, ihm die Hände sanft auf die Schulter legen, und . . . und . . . und ihm Trost einsprechen.«

»So? Und was würdest du sagen?«

»›Cäsar,‹ würde ich sagen, ›was kränkt dir das Herz? Warum lachst du nicht? Weshalb ziehst du die Stirne in Falten? Schau um dich her! Jugend, Anmut und Schönheit umleuchten dich! Genieße mit uns, was die flüchtige Stunde beut! Sei ein Mensch unter Menschen!‹ So würde ich sprechen, – schmeichlerisch und so recht aus der Seele heraus; – und wenn er mich hörte, käm' er doch vielleicht auf den Gedanken, es sei klüger, sich den Weg bis ins ewige Dunkel mit Rosen zu überstreuen, als auf die Dutzendphrasen seines Ministers zu hören, und bei so wundervoller Musik dreinzuschauen wie ein Verurteilter!«

Der Agrigentiner lachte.

»Das wäre ein echter Geniestreich, höchst würdig unsrer liebenswerten Poppäa! So verachte doch die Gesellschaft und ihre thörichten Redereien! Geh und versuch's!«

»Das ist leichter gesagt als ausgeführt. Du rechnest ohne den Ingrimm meines Gemahls. Otho würde mich kreuzigen . . . Ueberhaupt, – ich bitte dich, goldner Sophonius, neige dein salbenduftiges Haupt nicht gar zu eifrig zu mir herüber! Ich bemerkte soeben, wie Salvius Otho mir seinen balearischen Kampfblick zuwarf . . . Du verstehst mich doch? Einen Blick von der Wucht einer balearischen Bleikugel! Jüngsthin schon, im Hause des Piso, fand er, daß du mir gar zu tief in die Augen schautest. Und du weißt doch, daß ich dir nur erlaubt habe, mir als Bruder und Freund zu huldigen.«

Tigellinus krauste die Stirne.

»Ich entsinne mich,« sagte er spöttisch. »Vergieb mir, daß ich's für Augenblicke vergessen konnte. Du warst so . . . lebhaft eben, da du von Claudius Nero sprachst. Freilich, dem philosophischen Imperator, den du bekehren möchtest, ihm würdest du mehr gestatten als dem unbedeutenden Agrigentiner . . . Ich begreife das vollständig. Jedem nach Rang und Verdienst!« –

»So? Was gibt dir ein Recht zu dieser schlimmen Bemerkung? Hüte die Zunge, du Ausbund aller Verderbtheit! Man ist ja leider gewöhnt, dir vieles zu gute zu halten – aber nicht alles!«

Sie heftete wieder die halbverschämten Blicke auf Nero, seufzte, und fuhr dann schwärmerisch wie im Selbstgespräch fort: »So unterscheidet sich die Unschuld von der Entartung. Drei oder viermal im Leben hat der Cäsar mit mir geredet: aber wenn er auch zehnmal so lange mit mir vertraut wäre, als dieser entsetzliche Tigellinus, er würde doch niemals – des bin ich gewiß – einen so ungezogenen Ton wagen. Er achtet, er fühlt, er begreift. Er ist ein Gott, wo ihr andern insgesamt nur zerbrechliche, staubüberqualmte Menschen seid!«

Nero inzwischen war mit jeder Minute stiller und ernster geworden. Er hörte nichts mehr von dem würdevollen Gespräche Octavias mit Thrasea Pätus. Nur Tonwellen ohne Sinn und Verstand murmelten um ihn her, klanglos, abgedämpft, wie aus unendlicher Ferne. Seine Gedanken weilten wieder bei jenem Tage, da er den Freigelassenen Artemidorus begnadigt hatte. Er sah im Geiste das entzückende Mädchen mit dem herrlichen Blondhaar und den lichtblauen Augen. Er hörte, wie sie mit ihrer herzbewegenden Stimme sein Mitleid anflehte. Ja, sie war es, die Einzige, Unvergleichliche. Da kniete sie vor der palatinischen Sänfte, und hob die schneeigen Arme empor – er hätte sie malen können! Und nun plötzlich zerfloß dies wunderliebliche Bild, – und ein schöneres, wonnesameres tauchte vor seiner Seele empor, – ach, die einzige Stunde, da er wahrhaft glücklich gewesen! Er stand im Zelte des ägyptischen Zauberers, Acte ihm gegenüber, – und die nämliche Stimme drang ihm tiefer noch und verführerischer ins leidenschaftlich pochende Herz.

Acte! Unsäglich geliebte Acte! Warum verschwandest du wie du kamst, – flüchtig, eine Blume des Lenzes, ein verschwimmender Lufthauch, der schon dahin ist, wenn er uns kaum erst die fieberglühende Stirn berührt hat?

Sonderbar! In diesem Augenblick ward ihm zu Mute, als sei die Lösung des Rätsels endgültig aufgedeckt. Vor ihm war sie geflohen – aus Liebe zu ihm, nicht aus Liebe zu einem andern. Sie hatte gefühlt, daß auch er sie vergötterte; sie wollte vermeiden, was sie voraussah: den furchtbaren Kampf.

Er schaute nach der jenseitigen Tafel hinüber, wo die Kaiserin-Mutter den Ehrenplatz inne hatte.

Ja, die unerbittliche Agrippina würde sein Herz verdammt haben!

Eine Freigelassene, eine ehemalige Sklavin!

Kaum als Liebchen hätte sie ihm die Niedriggeborene gegönnt: wieviel weniger als Gemahlin!

Freilich, Acte konnte nicht wissen, was er um sie gewagt haben würde; wie ihm kein Opfer zu kostbar, kein Zwist zu schrecklich gewesen wäre, wenn sie ihm als Siegespreis vor den Augen schwebte.

Die Thörin! Weshalb nur entwich sie mit jenem orakelhaften »Lebt alle wohl!« . . .? Eine Zeile der Aufklärung, ein einziges ehrliches Wort, und alles wäre vielleicht noch gut geworden.

Er sann und sann, und verfiel dann wieder in die seltsamsten Zweifel. Nicodemus, der grübelnde Nazarener, hatte beteuert, daß Acte ihm eine Sphinx sei mit ihrer völlig unbegründeten Flucht. Wenn der selbst nicht einmal klar sah, der sie doch kannte von Anbeginn . . .! Es war und blieb für den trauernden Imperator ein unheimlich-drückendes Phänomen. Er fühlte nur eines: daß ihm die ganze unermeßliche Welt gleichgültig war – bis auf die eine weh- und lusterfüllte Erinnerung.

Welch ein trostloses Schicksal! Welche Zerrissenheit! Hätte er Acte zur Seite gehabt statt des Weibes, das ihn so gar nicht verstand, das bei aller Herzensgüte sein tiefstes Fühlen beleidigte – wie wäre das göttliche Werk seiner Regierung gediehen! Wie hätte das Glück und die Liebe ihn zu Thaten begeistert, die er jetzt nur mit Hilfe der kalten Lehrsätze seines Ministers und der phantastischen Winke des Nicodemus mühe- und qualvoll zu leisten strebte!

Ja, er hätte gesiegt! Er wäre der ewig-unsterbliche Schöpfer einer ruhmreichen Aera menschlicher Freiheit und Brüderlichkeit geworden! Der Himmel der Nazarener mit seiner friedvoll-klaren Versöhnung ward ja Wirklichkeit in den Augen der blonden Acte!

Nero preßte die Hand wider die Brauen.

Er, der Erste unter den Römern, der Herrscher über das weite, gewaltige Reich von den Säulen des Herkules bis zum fernsten Mesopotamien, er, angebetet von seinem Volke, reicher als der König von Lydien, jung, voll heimlich tobender Lebenskraft, von Begierde erfüllt nach allem Guten, Edlen und Schönen – wie war er arm und einsam auf seinem weltüberstrahlenden Hochsitz! Einsam und öde zum Herzbrechen!

Eine unerwartete Stille schreckte ihn aus seinen Betrachtungen auf.

Der fröhliche Lärm, der rings das blumengeschmückte Cavädium erfüllte, war plötzlich verstummt.

Flavius Scevinus, den rosenumwundenen Becher hoch in der Rechten, brachte den Trinkspruch aus auf Nero den Allgeliebten, den Hehren, den Glücklichen.

In artiger Wendung flocht er Octavia und die Kaiserin-Mutter in diesen Trinkspruch mit ein, um dann wieder ausschließlich zu der erhabenen Person des Kaisers zurückzukehren, und jeden Segen der Götter aus das teure, jugendstrahlende Haupt hernieder zu flehen.

Stürmischer Jubel folgte dem oratorischen Meisterstück.

Ganz besonders hatte die Stelle gezündet: ›Nero, Octavia, und nächst ihnen die edle Mutter, die einen Princeps von so vortrefflichen Eigenschaften herangebildet.‹

Dieses ›nächst ihnen‹ bedünkte den Anhängern des Scevinus, die sämtlich der Kaiserin-Mutter feindlich gesinnt waren, geradezu mustergültig.

Man fühlte hier die kaum noch verhüllte Mahnung an die Festversammlung und das ganze mitauflauschende Rom heraus, die Gegner der Agrippina wirksam zu unterstützen, und Nero von dem übermäßigen Einfluß des ehrsüchtigen und tyrannischen Weibes zu lösen.

Gleichzeitig war es nach langer Pause der erste deutliche Wink an die Adresse der Fürstin, freiwillig zu entsagen, und dem römischen Volk auf die Dauer nicht zuzumuten, was unerträglich schien.

Gerade jetzt hatte der Wink einen besonderen Zweck.

Zu Anfang der nächsten Woche stand eine wichtige politische Beratung im Senate bevor.

Es handelte sich um eine Streitigkeit mit dem germanischen Nachbarvolke der Chatten. Der Zwist konnte gar leicht eine Kriegserklärung herbeiführen, obschon der römische Festungsverwalter im Kastell von Moguntia alles angestrengt hatte, um den berechtigten Forderungen der Chatten thunlichst entgegenzukommen.

Man hoffte nun, Agrippina werde sich aus der offenherzigen Wendung des Flavius den Wunsch herauslesen, daß der Kaiser allein und ohne ihre Bevormundung in der Sitzung erscheine.

Der Trinkspruch und die jubelnden Ave-Rufe waren verklungen. Agrippina lächelte mit Aufbietung all ihrer Selbstbeherrschung. Ihre Augen zwar sprühten unheimliche Flammen des Hasses, aber dennoch: sie lächelte.

Feierlich vergoß nun ein jeder unter den Festteilnehmern einige Tropfen des duftigen Samiers als Trankopfer.

Dann erscholl es von neuem: »Heil dem Cäsar! Heil dem Geliebten, dem Glücklichen!«

Nero hatte sich langsam erhoben. Er dankte wortlos mit einer Bewegung der rechten Hand; es schien als ob die Rührung über die Herzlichkeit dieser Begrüßung ihn übermanne. Was ihm jedoch die Thränen ins Auge trieb, das lag weit ab von dem Geräusch dieses Festes, das klammerte sich mit der starren Kraft einer erstorbenen Hoffnung an die Lichtgestalt eines rosigen Mädchens, an den heißgeliebten Namen einer ewig Verlorenen.


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