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»Ach, wenn Sie jetzt Ihre Manschetten ansehen wollten«, seufzte Frau Riesel, als der Hofrat die frischgedruckte Zeitung, die vor ihm auf dem Tische lag, mit beiden Händen glattgestrichen hatte.
Der Hofrat sah seine Manschetten nicht an; der kleine, hagere, etwas leberleidende Herr schnalzte ungeduldig mit der Zunge und murmelte einige für seine Hausdame sehr unverbindliche Worte.
Sie setzte sich still darüber hinaus. Das gelang ihr mit einem einzigen Schwung, und sie war dann moralisch so hoch placiert, daß keine Beleidigung sie zu erreichen vermochte.
Ihr Schweigen verdroß ihn: »Aha, Sie thronen schon wieder.«
»Das fällt mir nicht ein. Wie käme ich dazu?« Und sie hob einen Augenblick den Kopf, streckte den junonisch starken Hals, und die breite, hochgewölbte Büste trat majestätisch hervor. Dann stopfte sie ruhig und kunstvoll weiter an dem feinen Taschentuche des Hofrats, in das er gestern ein Loch gebrannt, als er ein noch glimmendes Zündhölzchen darauffallen ließ.
So vertieft in ihre Arbeit sie schien, entging der Augenblick ihr nicht, in dem der Gebieter seine zweite Tasse Kaffee geleert hatte, eine dritte eingegossen und die türkische Pfeife ihm gereicht werden mußte.
Alles das geschah; dann nahm Frau Riesel die Zeitung zur Hand und begann vorzulesen.
Sie saß an der schmalen Seite des länglichen Tisches, mit dem Rücken gegen das Fenster, auf einem Lehnsessel, der die Form eines ausgehöhlten halben Apfels hatte und den sie ganz ausfüllte. Da sie die Zeitung mit beiden Händen vor sich hin hielt, konnte der kleine Hofrat von seinem Platze mitten auf dem langen Kanapee an der Breitseite des Tisches aus nur ihre Ärmel wahrnehmen. Er widmete ihnen eine scharfe und mißgünstige Aufmerksamkeit. Aha! schwarze Wollbluse heute. Aha! Aha! tiefe Trauer – Sterbetag heute irgendeines Mitglieds der Familie Riesel.
Er wünschte die unangenehme Ungewißheit in eine noch unangenehmere Gewißheit zu verwandeln und kam auf Umwegen an sie heran.
»Sie waren in der Kirche – was?«
»Ja, Herr Hofrat, um sechs Uhr früh.«
»Bei dem Wetter. Es schneit und stürmt. Sie werden sich mit Ihren Laufereien in alle Kirchen einen Schnupfen abholen, und wenn Sie einen Schnupfen haben, dürfen Sie mir nicht in die Nähe«, sagte der Hofrat, der meistens den ganzen Winter hindurch an der gefürchteten Krankheit litt und dessen feines Näschen eben wieder von einer zarten Blauröte angehaucht war.
»Ich habe nie Schnupfen, Herr Hofrat«, sprach Frau Riesel gelassen.
Er überhörte den Einwand und kam auf den Kirchengang zurück, den er als unnötig bezeichnete.
»Nicht doch. Ich habe einer bestellten heiligen Messe beigewohnt.«
»So, so, so. Erinnerungsfeier; Sterbetag des seligen Gemahls?«
»Nein, Herr Hofrat. Sterbetag meines Sohnes.«
Der Hofrat knirschte in sich hinein: Ihres Sohnes. Acht Tage hat dieses Lebewesen sein armseliges Dasein gefristet, und sie besaß die Selbstüberhebung, von einem Sohne zu sprechen.
Da begann er denn Betrachtungen über den Zeitpunkt anzustellen, in dem man anfangen könne, ein Kind männlichen Geschlechts einen Sohn zu nennen, und fuhr in dieser Gedankengymnastik so lange fort, bis Frau Riesel fragte:
»Darf ich weiterlesen, Herr Hofrat?«
Er schämte sich ein wenig und sagte:
»Ich bitte.«
*
Den Schauplatz dieser Begebenheit bildete ein geräumiges Zimmer im zweiten Stock eines alten Hauses im Herzen Wiens. Noch eines von den lieben, guten, schönen mit dicken Mauern, gehörigen Fenstervertiefungen, schweren Doppeltüren, hohen Zimmern, ein famoses Haus, in dem niemand »Helf Gott!« zu sagen brauchte, wenn der Wandnachbar nieste.
Seinem gediegenen Charakter entsprach die Wohnung des Herrn Hofrats Hügel und deren Einrichtung im reinsten Biedermeierstil. Da gab es nicht ein beim Antiquar gekauftes Stück; Schränke, Tische, Konsolen, Sofas, Sessel und Stühle waren Familienerbe und verkündeten den Ruhm ihrer Verfertiger, sowie die Ordnungsliebe und den Schönheitssinn ihrer Benutzer und Erhalter.
Wenn Frau Riesel ihr Wischtuch über die Hochpolitur des hellen, gefladerten Holzwerks mit den feinen Mahagoni-Intarsien gleiten ließ, meinte sie sich sanft gestreichelt zu fühlen von zarten, unsichtbaren Händen, die durch Generationen des Amtes, das sie jetzt versah, gewaltet hatten und ihr für die Sorgfalt dankten, mit der sie ihr Werk fortsetzte.
Kamilla Riesel war in diesen Räumen gelandet wie in einem Friedensport nach schweren, drangvollen Zeiten, die ihrer sehr glücklichen Jugend folgten: dem Zusammenbruch des angesehenen Kaufmannshauses, dem sie entstammte, dem Tode ihrer Eltern, nur zu bald darauf auch des geliebten Gatten und dann das immer näher heranschleichende, häßliche, ganz gemeine Elend. Umsonst das Gebet ums tägliche Brot, um die Möglichkeit, es zu erwerben.
Wenn es nicht Sünde wäre, von einem Schicksal zu reden statt von Gottes Fügungen, Frau Riesel hätte gesagt: »Das Schicksal hat sich über mich gestürzt wie ein Geier über eine Taube und mich Stück für Stück zerrissen.« Aber sie sagte es nicht, sie sprach überhaupt wenig und von ihrer Vergangenheit nie.
Um so mehr dachte sie daran und auch mit einem aus Dankbarkeit und nachträglich noch leiser Beschämung gemischten Gefühl des Augenblicks, in dem die Wendung ihrer kläglichen Lebenslage sich vollzog.
Vor acht Jahren war's, an einem frostigen Winternachmittage. Sie hatte den Erlös einer kleinen Bestellung aus einem Weißwarenlager in der Mariahilfer Straße abgeholt und dabei erfahren, daß ein neuer Auftrag nicht in Aussicht genommen sei. Mit stummem Kopfnicken, ohne etwas von ihrer Bestürzung zu verraten, verließ sie den Laden, aber der Schlag war zu hart und unerwartet gewesen, und sie blieb wie betäubt eine Weile auf der Straße stehen. Was tun? Zurückkehren in ihr armseliges Heim? – Wie lang noch das ihre? Der jämmerliche Unterschlupf war ihr ja schon gekündigt worden – oder auf der Suche nach Arbeit neue gewiß vergebliche Wege machen?
Sie stand mitten auf dem Trottoir, wurde von den Passanten unwillig zur Seite gestoßen, bemerkte es nicht, stand und sann und blickte starr vor sich hin und blickte plötzlich in ein Paar blaue, gütige Augen, die sich auf sie gerichtet hatten, sie voll mitleidiger Überraschung anstaunten und fragten: Bist du's?
Es waren die lichtblauen Augen der Frau Rosa Hügel, einer ehemaligen guten Bekannten, einer von den vielen, denen Kamilla Riesel, seitdem sie ins Elend geraten war, ängstlich aus dem Wege ging. O Gott, nur keine Begegnung mit ihnen, die in Tagen des Wohlstandes ihren Verkehr gebildet, zu ihr emporgeschaut, sie oft beneidet hatten. Erschrocken wollte sie sich abwenden, aber die kleine Dame hatte sich die Frage: Bist du's? schon beantwortet. Sie war's. In einer Armut, die sich nicht verhehlen ließ. Dieses Sommerkleid im Winter, diese Mantille von Anno eins mit den scharf gewordenen weißlichen Falten, und der Hut, die Handschuhe . . . Großer Gott, was für ein Hut, was für Handschuhe! Aus all dem sprach das Elend.
Ja, ja, man hatte gehört: die armen Riesels sind zugrunde gegangen; schuldlos, ohne Schaden für andre. Sehr traurig, sehr. Aber sie hatten niemand mit Ansprüchen behelligt. Vielleicht geht es ihnen gar nicht so schlecht. O des gedankenlosen Gewäsches . . . Nun sah Rosa, wie es der ehemaligen Freundin erging. Freundin wurde sie in dem Augenblick von ihr genannt, die im Bettlerkleide, aber in ihrer alten würdevollen Haltung vor ihr stand. Niedergekniet vor ihr wäre die impulsive Frau, wenn das auf offener Straße sich halbwegs geschickt hätte. Da sie aber nicht gleich etwas tun konnte, begann sie wenigstens sehr viel zu reden und rief, Frau Riesels Hand ergreifend:
»Kamilla, muß man auf einen Zufall warten, um dich endlich zu erwischen? Was treibst du? Gehst den besten Freunden aus dem Wege, alle beklagen sich . . .«
Sie schwatzte, sie log, flunkerte der ins Unglück Geratenen allerlei vor von einer Teilnahme, die es weit und breit nicht gab; sie wollte die Wiedergefundene nach Hause, oder – als sie die Bestürzung bemerkte, die dieser Vorschlag erweckte – wenigstens bis an ihre Tür begleiten.
*
Rosa Hügel war eine gut erhaltene Blondine von fünfzig Jahren. Ihre kleine, aber einst berühmt schöne Gestalt hatte eine leichte Neigung nach rechts angenommen und ihre Schlankheit, nicht aber ihre Beweglichkeit eingebüßt, eine stimmungsvolle, harmonische Beweglichkeit. Alles war rund an dieser Frau, ihre Frisur, ihr Kopf, jeder Teil ihres Gesichtes, die spielenden Gebärden der in zu enge Handschuhe gepreßten Kinderhände. Gewiß waren auch ihre Empfindungen ohne Kanten und Schärfen und ihr inneres wie ihr äußeres Wesen auf dem Wege zur Kugelform, die Fechner seinen Planetenengeln verleiht.
Sie erzählte auch von sich, von ihrem Manne, einem allgemein hochgeschätzten Ministerialbeamten, von ihren Kindern, und kam endlich auf den Vetter Hofrat, der in Pension getreten sei. Kaum aber hatte sie den genannt, als sie plötzlich innehielt. Ein Einfall war ihr durch den Kopf geschwirrt, kam als guter, hilfreicher Gedanke wieder, erfreute und beglückte sie. Ihre freundlichen Augen glänzten.
»Kamilla, nein, ja, – ich sage dir, es ist kein Zufall, was uns da zusammengeführtes ist ein gnädiger Wink des Himmels.«
Und nun kam in stürzenden Wortwellen eine lange Geschichte herangeflutet. Der Vetter Hofrat befand sich einmal wieder – ach, es war sein gewöhnlicher Zustand! – in größter Verlegenheit. Sein Hauswesen brauchte dringend und augenblicklich eine Lenkerin. Mit der vorvorigen war es nicht gegangen und mit der vorigen schon gar nicht. Nun sollte Kusine Rosa eine der schwierigen Stellung gewachsene Persönlichkeit auffinden und ging schon seit drei Tagen vergeblich auf Entdeckungen aus . . . Ja, wenn Kamilla sich entschließen könnte, wollte, – sie freilich, sie wäre auf diesem Posten das Ideal, von dem der Vetter und die Familie träumten . . . Sie, mit ihrem Charakter, ihrer Erscheinung, ihrem Verstand, ja, wenn sie den Posten annehmen wollte!
»Warum nicht?« fragte Kamilla, vor der die Hoffnung auf Erlösung aus dem Elend wie Morgenröte aufzusteigen begann.
»Also du wolltest?« – Das kam ganz leise heraus . . . Rosa war auf einmal sehr verlegen geworden, besann sich, stotterte: »Es ist nur die – es ist nur das . . . Du wirst es nicht aushalten!« stieß sie mit einem schrillen Aufseufzen hervor.
Kamilla reckte sich stolz und steif in die Höhe: »Ist er unmoralisch?«
»O nein, davon keine Rede. Was das betrifft, ein Seraph. Aber wunderlich, und ach! so schwer zu behandeln . . . Scharmant nur beim Kartenspiel, das ja – aber man kann nicht den ganzen Tag Karten spielen . . . Mein armer Vetter hatte von Natur ein unangenehmes Wesen, und das hat sich schauderhaft ausgebildet in seiner langen, unglücklichen Ehe.« Sie besann sich eine Weile, seufzte mehrere Male und fuhr in hastigen, abgebrochenen Sätzen fort:
»Die Frau – wohl ihr! – starb, aber seine Unausstehlichkeit lebt fort und verbreitet sich jetzt über seine ganze Umgebung. Ach, daß ich dir das alles verrate – weil ich so ehrlich bin . . . und weil du es ohnehin merken würdest. Kamilla, wenn du dich entschließen könntest . . . du ahnst nicht, was uns daran läge, den alten Herrn in guten Händen zu wissen! – Er kann so leicht in schlechte geraten, in die einer Intrigantin, die ihn der Familie – ach, er hat ohnehin kein Herz für uns! – völlig entfremdet, ihn ausbeutet, die er am Ende – alte Herren sind unberechenbar – wenn sie leidlich hübsch ist . . .«
Sie stockte und wurde rot bis an die Haarwurzeln . . . . Sie war zu weit gegangen in den Ausbrüchen ihres maßlosen Vertrauens auf die Verläßlichkeit der Hausdame ihrer Wahl . . . Ihr »leidlich hübsch« brannte ihr auf der Zunge.
Kamilla sah ihre Bestürzung und lächelte sie ruhig und beruhigend an. ›Eine Vielgeprüfte wie ich, ist unempfindlich für eine kleine Verletzung der Eitelkeit‹, sagte dieses Lächeln so deutlich, daß Rosa, tief ergriffen, nur noch Gemütsbewegung war. Ihre kleinen Hände falteten sich, und von ihren Lippen sprudelten beredsame Worte, mit denen sie die Freundin beschwor, die ihr dargebotene Stellung anzunehmen.
*
Am nächsten Tage schon hatte Kamilla ihr Amt angetreten und versah es nun seit acht Jahren mit Weisheit, heldenmütiger Geduld und Selbstaufopferung. Ihr Stolz bildete den Panzer, an dem die erfinderischen Bosheiten des Gebieters abprallten. Sie hätte Demütigungen in Gegenwart andrer nicht ertragen; aber der Hofrat war ein Gewohnheitsmensch, der seine Stunden genau einhielt. Auch die, in denen er seine Widerwärtigkeit ihre giftigen Blüten treiben ließ. Zum Glück für Frau Riesel die Morgenstunden. Die Nörgeleien, denen sie fortwährend ausgesetzt war, hatten keine Zeugen und konnten ihr wohlverwahrtes Geheimnis bleiben.
Das Leben im Hause verfloß so einförmig, daß man das regelmäßige Ticken der Zeitenuhr zu vernehmen meinte. Im Winter in Wien, im Sommer in der Villa in Mödling blieb die Tageseinteilung unverrückbar gleich. Nur daß der Hofrat die Morgenstunden, je nach der Jahreszeit, der Pflege seiner Rosen oder seiner vielgerühmten Sammlung alter kostbarer Münzen, Ringe, Emails widmete. Am Vormittage unternahm er einen Spaziergang bei gutem, eine Spazierfahrt bei schlechtem Wetter. Er bekam auch einige Besuche, die er nie erwiderte und selten empfing, wenn es nicht Antiquare, besondere Kunstkenner oder Verwandte waren, die sich melden ließen. Nachmittags rauchte der Hofrat wieder eine türkische Pfeife; Kamilla brachte die Abendblätter und hatte pflichtschuldigst zu fragen:
»Darf ich vorlesen?«
Er machte über ihr Organ, ihre Vortragsweise einige kritische Bemerkungen und lehnte ab. Die stille und sogar freudige Dulderin schritt von dannen, um ihren Posten im Nebenzimmer zu beziehen. Ihre Aufgabe war, jede Störung des Nachmittagsschläfchens zu verhüten, dem sich der Gebieter nun überließ, eines Schläfchens, von dem jeder wußte und niemand etwas ahnen durfte.
Den Schluß des Tages bildete die Tarockpartie. Drei, wie der Hofrat sagte, »sogenannte« Freunde fanden sich dazu ein: ein pensionierter Major von der Infanterie, ein Großindustrieller und ein Professor der Botanik.
Der Major zählte sechzig Jahre, lebte in behaglichen Verhältnissen und verehrte Frau Riesel im stillen. Er hatte eine stattliche Gestalt, ein großes, schönes Gesicht, graue, glatt gescheitelte Haare. Sein Schnurrbart und sein Backenbart zeigten noch einige Reste von Blondheit. Er verfügte über einen großen Vorrat von Anekdoten, die er gern zu Ende erzählt hätte, wenn er nicht durch sein eigenes Gelächter oder durch eine bissige Bemerkung des Hofrats daran gehindert worden wäre.
Der Großindustrielle war etwas älter, ein hochgewachsener Mann mit langem, schmalem Halse, spärlichem Haarwuchs, sorgfältig gewaschen und rasiert, aber nachlässig gekleidet. Seine Geschäfte führte er genial, vergrößerte alljählich sein Vermögen, verschenkte ohne Herzbrechen eine Tausendkronennote, konnte aber den Verlust einiger Kronen beim Spiele nur sehr schwer verwinden und bekam so, ohne ihn zu verdienen, den Ruf, geizig zu sein.
Der Professor gehörte zu den Autoritäten in seinem Fache, war der älteste von der ganzen Gesellschaft, klein und dick. Er hatte einen breit gewölbten Kopf, eine von grauen, noch dichten Haaren umgrenzte Glatze und freundliche, braune Augen, die einen zärtlichen Ausdruck annahmen, wenn sie sich auf Frau Riesel richteten. Von Zeit zu Zeit brachte er ihr wissenschaftliche Bücher und erhielt sie nach einigen Tagen, sorgfältig eingehüllt, zurückgesandt. Auf ein Urteil über das Gelesene ließ sie sich nicht ein, sondern sagte nur, wenn er danach fragte, mit ernster und bedeutender Miene: »Ein äußerst lehrreiches und interessantes Werk.« Und das freute ihn.
Die drei Herren, in allem übrigen ganz verschieden, hatten doch eine ausgesprochene Ähnlichkeit: jeder von ihnen war ein berühmt unangenehmer Spieler, und ihre Streitigkeiten bildeten für den Hofrat die Würze der Abendunterhaltung. Schlag neun Uhr trat Frau Riesel in den Salon, gefolgt von einem Diener, der das Souper auftrug. Es bestand aus feinster kalter Küche, bayerischem Bier, französischen Weinen. Die Herren kamen vom Spieltische herüber, und die Gäste machten der Mahlzeit Ehre und der Frau Kamilla Komplimente, was ihr unangenehm war und den Hofrat verdroß. Sie entschwand leise, wie sie gekommen war, sobald ihre hausmütterlichen Pflichten es ihr erlaubten. Der Tarockkrieg wurde fortgesetzt und endete gewöhnlich mit einem faulen Frieden, die Kämpfer trennten sich in brennender Erwartung neuer Gefechte. Doch kam es auch vor, daß einer der Gastfreunde, den ganzen Abend hindurch vom Unglück gar zu hartnäckig verfolgt, von den Neckereien der Spielgefährten gar zu tief verletzt, beim Fortgehen sagte: »Tut mir leid, kann morgen nicht kommen; bin verhindert.« Gleich darauf fiel den beiden andern ein, daß sie nicht nur morgen, sondern überhaupt nicht so bald wiederkommen könnten. Der Hausherr gab äußerst spöttisch sein Bedauern kund, und die drei gingen schweigend die Treppe hinab und entfernten sich vor dem Hause nach verschiedenen Richtungen.
Am nächsten Morgen teilte der Hofrat seiner Hausdame den Vorfall mit.
»Glauben Sie, daß die alten Esel heute kommen werden?« fragte er.
Gewöhnlich erwiderte Kamilla: »Heute nicht, morgen aber gewiß.« Einmal jedoch hatte sie eine Anwandlung von Renitenz und sagte in beinahe tadelndem Tone: »Die alten Esel? Wen meinen der Herr Hofrat?«
Er fuhr in die Höhe: »Oh, jammervoll, höchst jammervoll, ich habe Sie ins Herz getroffen! Ihre Kurmacher meine ich.«
»Verzeihung. Ich konnte mir unmöglich vorstellen, daß Sie von Wesen sprechen, die es nicht gibt.«
»Hoho . . . Hat Ihnen der Major nicht gestern wieder die Anekdote von Adalbert Pointer, dem dümmsten Mann im Regiment und wahrscheinlich in der Armee, erzählt?«
»Erzählen wollen. Ich habe das Ende dieser Anekdote noch nie gehört, weil Sie den Herrn Major immer unterbrechen.«
Der Hofrat machte abwehrende Bewegungen mit der Hand, als ob er den Einwand hinwegwinken wollte: »Und der Gelehrte hat Ihnen wieder geistige Nahrung gebracht. Was denn?«
»Die ›Synopsis der Botanik‹ von Leunis.«
»Hahahaha! Synopsis! – ich wette, daß Sie nicht ahnen, was das heißt.«
»Es heißt Übersicht, Abriß, kurzer Begriff einer Wissenschaft.«
»Mein Kompliment zu Ihrer Gelehrsamkeit. Haben Sie noch gestern oder erst heute im Heyse nachgeschlagen?«
Frau Riesel errötete und schwieg. Nein, in Streitigkeiten mit ihm konnte sie sich nicht einlassen, er war zu stark.
*
Wenn es keine Spielpartie gab, fuhr der Hofrat ins Theater. Kamilla sah das nicht gern, denn von dort kam er nicht nur verdrießlich, sondern betrübt und in seinen besten Gefühlen schmerzlich verletzt heim. Voll sittlicher Entrüstung aus den kleinen, voll ästhetischer Entrüstung aus den großen Theatern. Er brach in Klagen aus über alles, was er gesehen, und auch über alles, was er nicht gesehen, von dem er nur gehört und gelesen hatte:
»Vorbei, vorbei! Das Theater als Kunstgenuß, als Bildungsstätte für Hohe und Geringe, ist tot. Es gibt Tragödien, aber keine Tragödie mehr, kein Drama, nur noch Schauspieler. Das Sprachrohr ist Stimme geworden, das heißt, es hält sich dafür, die untergeordnete Kunst bläst sich auf, bläst den Geist der höheren hinweg, um einen Mienen-, Gesten- oder Sprechknalleffekt hervorzubringen . . . Und das Publikum, dem Untergeordneten immer näher als dem Hohen, jauchzt den Histrionen zu. Das Publikum, eine Handvoll Masse – ›Die Massen sind das Unglück!‹ sagt Emerson . . . Ich aber bin nicht Publikum, bin ich, und will mich an meinen Dichtern erbauen, sie mir nicht in den Hintergrund drängen lassen durch die Gaukeleien der Interpreten. Aus der Tragödie ist die Dichtung hinweggefegt, aus der Oper die Musik. Dafür gibt's Lärm, je wüster, je lieber . . . O Publikum, das entzückt dem Lärm zuhört und aus denselben Leuten besteht, die vom Recht auf Stille in der Großstadt deklamieren. In der Großstadt! Zum Kuckuck! Setz dich nicht in den Bienenkorb, wenn du nicht summen hören kannst. Lug und Trug und Pflanz und Heuchelei! Wer moderne Musik verträgt, wird auch das Getöse der Arbeit, die zum größten Teile für ihn verrichtet wird, vertragen können.«
Der Hofrat wetterte vernünftig und unvernünftig, kam vom Hundertsten ins Tausendste, von den Theatern auf die Politik, die Landwirtschaft, die Parteien, die Zeitungen, die zynische, affektierte, perverse Literatur, verachtete und verfluchte die Moden. Die Chinesinnen verunstalten nur ihre Füße, die heutigen Frauen ihren ganzen Körper.
»Wie kann der Nachwuchs aussehen, der aus diesen aufgedonnerten Hampelpuppen hervorgeht?« fragte der Hofrat in atemraubender Erregung. »Sie wissen es nicht? Nun, ich sage Ihnen, verkümmert und verkrüppelt. Man wird das Militärmaß heruntersetzen müssen, es wird lauter krummbeinige Leutnants geben und keinen Schwadronskommandanten ohne Buckel!«
Frau Riesel raffte sich endlich zu einem Einwand auf: »Ach, Herr Hofrat, die Moden wechseln heutzutage so schnell.«
»Was schnell! Die Rasse hat schon ihren Text, einige Jahrgänge sind schon hin.«
Immer hitziger redete er sich in den Jammer hinein, prophezeite den Untergang der Zivilisation, dem ganz Europa entgegenginge und dem sein Vaterland, sein abgöttisch geliebtes, mit Riesenschritten entgegenstürmte. Er beschimpfte, verurteilte es und zerriß dabei sein eigenes Herz.
Am nächsten Tage sah er dann ganz elend, klein, gelb und mager aus. Kamilla empfand ein schmerzliches Mitleid, und drei Briefe wurden geheimnisvoll abgesandt. Sie waren an die Freunde gerichtet und enthielten in zierlich gedrechseltem Stile, nur durch die Ansprache verschieden, unter strengster Diskretion, sowohl den beiden andern Herren als dem Herrn Hofrat gegenüber, die Bitte, sich heute ganz gewiß zur Partie einzufinden.
Frau Riesels Bitte war immer erfüllt und ihr Vertrauen nie getäuscht worden.
*
Der Sommer war da, der Hofrat residierte in seiner Villa, und die drei Freunde hatten ihre Wohnung in Mödling bezogen. Seit Jahren schon verließen sie zugleich mit ihm die Stadt; auch sie waren nach und nach Gewohnheitsmenschen geworden und konnten ihre an Kämpfen reiche Tarockpartie nicht mehr entbehren.
Eines besonders heißen Julimorgens begab es sich, daß Kamilla in ihrer bedingungsweisen Seelenruhe durch die Ankunft einer Botschaft gestört wurde. Frau Hügel – nun schon Frau Sektionsrat Hügel – telegraphierte aus Wien: »Um Gottes willen, komm, muß dich sprechen, nichts sagen dem Onkel.«
Äußerst beunruhigt eilte sie sofort nach dem Bahnhofe, traf eine Stunde später bei der Freundin ein und fand sie halb aufgelöst vor Hitze in ihrem großen, hell tapezierten Schlafzimmer, in dem alle Rouleaus bis auf eines herabgelassen waren.
Sie saß am Toilettetisch in einem niedrigen Korbsessel, in ihrer weiten, mit vielen Bändern und Stickereien verzierten Gewandung.
»Ach, daß du da bist, Kamilla«, rief sie ihr hastig und erregt entgegen. »Du Engel, denke dir, sie kommen, in den nächsten Tagen kommen sie – die Kinder, Eduard und seine junge Frau . . . Kamilla, wie wird der Vetter sie empfangen, und wird er sie überhaupt empfangen? . . . Du kennst ihn ja, du weißt ja.«
Kamilla wußte. Der Neffe, Oberleutnant Eduard Hügel, dessen Regiment in Galizien stationierte, hatte sich in die Tochter eines dortigen adeligen Gutsbesitzers verliebt und sie vor einem Jahre, ohne Rücksicht auf die Einwendungen des Hofrats, heimgeführt.
Die Frau Sektionsrat sagte nicht zuviel, wenn sie die Gründe dieser Einwendungen höchst abgeschmackt nannte und ganz natürlich fand, daß ihr Sohn sie unbeachtet gelassen hatte. Das blieb ihm vom Onkel unverziehen. Übersehen und überhört zu werden, vertrug er nicht; kümmerte sich blutwenig um die Familie, wollte aber ihr Orakel bleiben.
»Und was hat er gegen meine Schwiegertochter?« fragte Frau Rosa mit Tränen des Zornes in ihrer Stimme. »Daß – man schämt sich, es auszusprechen – daß sie von Adel ist. Ein prächtiges Geschöpf, wohlerzogen, schön, aber von Adel!«
»Es ist eben sein Bürgerstolz, der . . .«
»Komm mir nicht mit seinem Bürgerstolz! Eitelkeit ist's. Ihm bangt, daß eine adelige Nichte ihm nicht so devot begegnen würde, wie wir es tun, wir wissen selbst nicht, warum. Aber alles hat seine Grenzen . . . Unterbrich mich nicht, höre!«
Sie nahm sich sehr zusammen und fuhr ruhiger fort:
»Cäcilie hat keine Ahnung von der Abneigung des Vetters gegen sie und darf keine Ahnung davon haben. Sie muß ihm unbefangen entgegentreten, in ihrer ganzen Unwiderstehlichkeit . . . Er muß sie sehen, Kamilla! Und wird sie sehen, und wenn er sie gesehen haben wird, wird alles gewonnen sein«.
»Muß? Wird?« Frau Riesel wäre nicht erstaunter gewesen, wenn die Freundin sich vermessen hätte, den Nil ins Marchfeld zu leiten.
»Muß! Wird! Ja, tausendmal ja! Wie ständen wir da, wenn Cäcilie nach Hause schriebe: ›Der nächste Verwandte meiner Schwiegereltern will mich nicht kennenlernen . . .‹ Wir lassen uns das nicht bieten, ohne Rücksicht auf die Einwendungen des Hofrats, wir verbrennen unsere Schiffe!«
Vor ihren begeisterten Blicken schien im verdunkelten Zimmer eine Flotte in Flammen aufzuleuchten. »Wir haben sie schon verbrannt. Der Vetter schließt uns seine Tür – wir brechen ein . . . Ja, brechen ein . . . Sieh mich nicht so bestürzt an, es ist lächerlich, mich so bestürzt anzusehen. Wir kommen ja nicht mit Hacken und Stangen. Unser Einbrecherwerkzeug ist ein Telegramm.«
Sie setzte der Freundin den Plan auseinander, gab ihr die Rolle an, die sie bei seiner Ausführung zu spielen hätte, und erpreßte ihr endlich das Versprechen, die ihr gestellte Aufgabe zu übernehmen und so gut wie möglich zu lösen. Ein halbes Versprechen, gegeben unter dem Drucke der drängenden Zeit – ach, ach, sie hätte längst zu Hause sein sollen! – ein verwegenes Versprechen, kaum gegeben, schon bitter bereut.
*
Auf der Heimfahrt war Frau Riesel recht übel zumute. Viel öfter, als die Freundin ahnte, hatte sie dem Hofrat in aller Ehrfurcht vorgestellt, daß ein seines ganzen Wesens unwürdiges und seiner Lebensauffassung eigentlich widerstrebendes Vorurteil den Grund seiner Abneigung gegen die Heirat des Neffen bildete. Aber ihre Vorstellungen waren erst neulich wieder zurückgewiesen worden.
»Keine Belehrungen, wenn ich bitten darf. Es handelt sich nicht um ein Vorurteil. Wir waren immer stolze Bürger, wir Hügel, wir sind nie zum Plebs herabgestiegen und haben nie zu den Feudalen hinaufgestrebt.«
»Ach, Herr Hofrat«, hatte sie zu widersprechen gewagt, »zu den Feudalen wird eine kleine galizische Gutsbesitzersfamilie sich nicht zählen.«
»Galizisch, galizisch! Polnisch! Eine Polin ist sie obendrein, die Schwiegertochter der werten Kusine.«
»Kaum Halbblut. Die Mutter war eine gute Wienerin und der Vater österreichischer Offizier, hat den Dienst erst quittiert, als er das Gut erbte.«
»So, so! Höchst interessant, aber bitte, verschonen Sie mich mit diesen Familienangelegenheiten.«
Er hatte mit Schweigen gebietender Gebärde abgewinkt und sehr bestimmt ersucht, auf die Sache nicht mehr zurückzukommen.
Und in dieser selben Sache, in der mitzureden ihr verboten war, sollte sie nun handeln, sollte einen gegen ihren Herrn gerichteten Plan ausführen. Von einem Plane spricht die Freundin. Eigentlich ist es eine regelrecht angelegte Intrige. Als ihr der Gedanke kam, fuhr sie zusammen wie von einer Biene gestochen. Sie hatte viel erlebt, viel gelitten, aber in eine Intrige war sie noch nicht verwickelt worden.
Es stand viel auf dem Spiele, auch in materieller Hinsicht. Der Hofrat war der Reichste in der Familie, und so uneigennützig Frau Rosa und ihr Gatte sich selbst immer erwiesen hatten, um ihrer Kinder willen mußte ihnen daran liegen, die ohnehin sehr lauen Beziehungen zu dem Onkel nicht in Gehässigkeit ausarten zu lassen.
Ums Leben gern hätte Kamilla vermittelnd, helfend eingegriffen; aber sich an dem kühnen Plane der Freundin zu beteiligen, war das nicht eine Aufgabe, die ihre Kräfte überstieg? Sie machte schwere Seelenkämpfe durch und war sehr echauffiert, als sie zu Tische kam. Der Hofrat beobachtete sie eine Weile mit tückischer Aufmerksamkeit und sagte dann:
»Sie sind feuerrot, was ist Ihnen denn?«
»Heiß ist mir. Ich war in der Stadt bei der Frau Sektionsrat.«
»Mußten Sie gerade heut zu ihr, bei fünfundzwanzig Grad im Schatten?«
»Sie hatte mich um meinen Besuch gebeten, sie wollte mir mitteilen . . . Ich fand sie so besonders erfreut, so sehr glücklich . . . Sie erwartet ihren Sohn Eduard, der auf Urlaub kommt, mit seiner jungen Frau.«
»So, so, so, den Sohn Eduard, den Herrn Baron.«
»Wie denn Baron?«
»Er hat ja doch eine Baronin geheiratet . . . Bitte, widersprechen Sie nicht, bevor ich noch ausgeredet habe . . . In Spanien, meine liebe Frau Riesel . . .« – der Hofrat wurde höhnisch belehrend – »in Spanien nimmt der Gatte den Adelstitel der Frau an.«
»Daß es auch in Galizien geschieht, habe ich nicht gehört – wenn Sie es aber sagen, Herr Hofrat . . .«
Dieser Satz kam so nett heraus, ein klein wenig spitzbübisch und dabei doch so sehr demütig, daß der Hofrat sich beinahe entwaffnet fühlte. Er sah sie sogar mit einer Art von Wohlwollen an und gestand sich, daß sie gar nicht übel gewesen sein mußte – vor zwanzig Jahren und heute noch gut genug sei für den Major, wenn es dem einfiele, sie ihm zu entführen. Was ihm unangenehm wäre. Denn, gab er zu, ganz still in seinem Innern: »Sie ist mir zwar unausstehlich, aber unentbehrlich.«
*
Zwei Tage später, an einem schönen, warmen Sommermorgen, saßen Frau Riesel und der Herr Hofrat auf der Veranda der Villa beim Frühstück. Ein Zeltdach aus blau- und weißgestreiftem Stoffe spannte sich über ihren Häuptern aus, und im Garten zu ihren Füßen sprudelte ein Springbrünnelein zu dem kleinen Bassin nieder, das von zahlreichen Goldfischen belebt wurde. Sein steinerner Rand war so blank wie Schnee und von den zierlichsten Blumenbeeten umgeben. Seltene Pflanzen standen auf den wie ein Teppich gehaltenen Rasenplätzen, hohe edle Bäume beschatteten die mit feinstem, glitzerndem Kies bestreuten Wege. Den Stolz des Gartens aber bildeten zwei Gruppen prachtvoller Rosen, die vom Hofrat in eigener Person gepflegt wurden, wie junge Prinzessinnen. Seine Liebe zu ihnen war sehr eifersüchtiger Natur. Nur aus respektvoller Entfernung durfte die Bewunderung für sie sich äußern. Das eiserne Gitter, das den Garten umgrenzte, erhob sich hinter dichten Gebüschen, und von der Straße aus konnte man nur zwischen den Stangen der schlanken, mit hübschem Maßwerk gekrönten Pforte hereinblicken, und wenn Neugierige sich an ihnen das Gesicht plattdrückten, lachte oder wetterte der Hofrat, je nachdem er gelaunt war.
An diesem Morgen befand er sich in ganz ausnahmsweise guter Stimmung und bot in dem weißen Flanellanzug, den er angelegt hatte, einen erfreulichen Anblick. Er trug ein weißes, weites Jackett und weiße, weite Beinkleider, und der elegante Anzug aus weichem Stoff, der eigenes Leben besaß wie die Gewandung griechischer Statuen, gab dem ernsten, kleinen Herrn etwas Munteres, beinahe Flatterhaftes.
*
Auch die Toilette Frau Riesels hatte einen Zusatz von Heiterkeit; ihre schwarze Seidenbluse war geschmückt mit lilafarbigen Passepoils und kleinen lilafarbigen Knöpfchen. Sie entsprachen dem Ring mit dem Amethyst am vierten Finger ihrer Linken, von dem sie sich auch in ihrer bittersten Not nicht getrennt hatte. Verhungern, ja, aber mit ihrem Verlobungsring an der Hand. Zum neunundzwanzigsten Male jährte sich heute der Tag, an dem der einzig Geliebte ihn ihr dargeboten hatte, und sie beging die Erinnerungsfeier an einen der schönsten Augenblicke ihres Lebens voll seliger Wehmut, nicht nur im Innern, auch in stimmungsvoller äußerer Ausstattung.
Der Hofrat hatte schon die zweite Tasse Kaffee zu sich genommen und noch keine einzige Bosheit gesagt, als er plötzlich den Arm in der Richtung gegen die Gartentür ausstreckte und rief: »Hoho, was will der Kerl?«
Draußen stand ein Mann in Amtstracht, rüttelte am Schloß, öffnete, trat ein.
Der Hausherr fuhr in die Höhe: »Da haben Sie's! Wozu ist der Seiteneingang da? Sie halten die Leute nicht in Ordnung, das Tor war nicht abgesperrt, der erste beste Bandit rennt hier herein wie in seine Spelunke!«
Der Bandit in Amtstracht war weitergeschritten, befand sich schon unter der Veranda. Kamillas Herz stand einen Augenblick still und fing dann an, mit rasender Schnelligkeit zu schlagen.
»Was will der Kerl? Wer ist der Kerl?« wiederholte der Gebieter zornig.
Jetzt galt's! Die Intrige setzte ein, die Rolle mußte gespielt werden.
»Ich glaube, es ist der Telegraphenbote«, brachte Frau Riesel mit äußerster Anstrengung hervor und bekreuzte sich verstohlen.
»Gehen Sie ihm entgegen, schicken Sie ihn fort, sagen Sie ihm: Telegramme werden hier nicht angenommen.«
»Das ist nicht gut möglich.«
»Was, nicht gut, was, nicht möglich? Alles Vernünftige ist möglich.«
»Auch alles Unvernünftige, Herr Hofrat?«
»Geistreicheln Sie nicht. Gehen Sie, bitte.«
Und sie ging. Aber es half alles nichts, sie kam wieder, und nach einigen Minuten lag das Telegramm geöffnet auf dem Tisch. Es lautete:
»Möchte mir erlauben, dir, lieber Onkel, meine Frau vorzustellen; wir bitten um Obdach in deiner schönen Villa, kommen ein Uhr. Eduard.«
Der Hofrat trommelte in kurzen, raschen Schlägen mit der Faust auf dem Telegramm herum: »Das ist stark, das ist stark unverschämt! ›Wir kommen‹ . . .« Die Empörung raubte ihm plötzlich das Gedächtnis: »Wer kommt? – Wer ist dieser Eduard? Ich kenne ihn gar nicht.«
»Aber, Herr Hofrat, er ist ja der älteste Sohn Ihrer lieben Kusine Rosa, von dem wir erst neulich gesprochen haben.«
»Aha, der Baronessenjäger. Hat schon profitiert von dem vornehmen Umgang, leistet schon das Seine in aristokratischer Unverfrorenheit . . . Und jetzt, bitte recht sehr, nicht schwatzen, sondern gleich abtelegraphieren. In Ihrem eigenen Namen: Herr Hofrat empfängt keine Besuche. Im Auftrag, Frau Kamilla Riesel.«
»Und wohin telegraphieren?«
»Dahin, woher die Depesche kommt.«
»Nach Wien? Das Telegraphenamt wird eine nähere Adresse verlangen.«
»Wird, wird . . . So telegraphieren Sie an die Eltern . . .«
»Ach ja, ach – es geht nicht . . .«
Nun mußte Kamilla lügen und tat's beschämt, voll Selbstverachtung, mit verzweifelter Entschlossenheit. »Die Eltern wohnen nicht mehr in Wien, sind schon auf das Land gezogen.«
»Wohin?«
»Ich weiß nicht – es war neulich noch nicht bestimmt.«
Der Hofrat fieberte. »So telegraphieren Sie ans Platzkommando, er muß doch gemeldet sein. Dient ja bei den Dragonern, dieser E–du–ard.«
»Man müßte wissen, bei welchem Regimente.«
»Ja, das weiß wieder ich nicht. Das sollten viel eher Sie wissen, die Sie ja die lebendige Chronik seiner Familie sind und Abgötterei mit seiner Mutter treiben.«
»Wie sollte ich nicht. Sie hat mich ja doch in Ihr Haus gebracht. Ich verdanke ihr meine Stellung bei Ihnen.«
Der Hofrat war gerecht und gescheit genug, um einzusehen, daß diese Stellung ihre Mißlichkeiten hatte, und warf halb spöttisch, halb gnädig hin: »Na, wenn Sie nur zufrieden sind.«
Kamilla fühlte sich von einer milderen Luft angeweht und nahm ihren Vorteil wahr.
»Ach, Herr Hofrat«, sagte sie gelassen und nachdenklich und wie ohne Zusammenhang mit dem früheren Gespräche, »da habe ich unlängst in den Gastzimmern zu ebener Erde nachgesehen, es sind wahre Schmuckkästchen, und es ist Sünd und schade, sie unbenutzt zu lassen . . . Herr Hofrat – schon diesen Zimmern zu Ehren sollte man sich den Besuch eines jungen, schönen Ehepaares wünschen. Wie gut würde das hineinpassen!«
»Ins Schmuckkästchen, der Dragoner? Ja, ja, solche Wohnungen werden hergestellt, damit die Soldateska ihr Lager in ihnen aufschlagen könne!«
»Soldateska! Herr Hofrat sind doch ein begeisterter Freund des Militärs und müssen sich erinnern, daß Oberleutnant Hügel ein sehr netter Mensch ist.«
»Das ist alles vollkommen gleichgültig. Ich habe ihn vergessen, mich seiner nur erinnert, um ihm meine Unzufriedenheit mit seiner Heirat kundgeben zu lassen. Er aber nimmt davon nicht mehr Notiz, als wenn ein Frosch gequakt hätte, und kündigt ganz einfach, ohne nur zu fragen: ›Ist's erlaubt?‹ seinen Besuch an. Wie finden Sie das?«
Der Hofrat bohrte einen Blick, der wie mit Nadeln stach, in die Augen Frau Riesels. Sie senkten sich schmerzhaft verletzt, und er fuhr fort: »Kündigt seinen Besuch in einer Weise an, die es unmöglich macht, ihn abzulehnen . . . Wie finden Sie das?«
Kamilla bewahrte nur mit größter Mühe ihre äußere Ruhe.
»Es geht schief! Es geht schief!« dachte sie und beging in ihrer Verwirrung eine Ungeschicklichkeit und sagte: »Er wird gewiß nicht lange bleiben.«
Der Hofrat lachte grimmig: »Dafür steh ich Ihnen gut. Daß die Herrschaften bei mir einbrechen, kann ich nicht verhindern, erleben aber sollen sie, wie man Einbrecher empfängt . . .«
Er entwarf im stillen einen Feldzugs- und Racheplan und gab dann seine Befehle kund: »Sie werden diese Leute empfangen. Sie nicht zu mir führen. Sie werden mit ihnen im Speisezimmer auf mich warten.«
»Im Salon, Herr Hofrat. Sie kommen zu einem Onkel, der ihnen ungnädig gesinnt ist, aber zu einem Gentleman.«
»Sie schwelgen wieder in feinen Unterscheidungen, na, schwelgen Sie!« brummte er, trank tief verstimmt seinen Kaffee, rauchte zur dritten Tasse ohne den geringsten Genuß seine türkische Pfeife, unterbrach Kamilla beim Vorlesen der Zeitung. »Entfalten Sie doch nicht solches Pathos dem Leitartikler zu Ehren! Jedermann weiß ja, wer uns da Moral predigt. Setzt sich aufs hohe Roß und könnte nicht einmal auf einem Geißbock reiten.« Was auch schwerer wäre, dachte Frau Riesel, sagte es aber nicht. Und das war klug.
Der Hofrat befand sich in übelster Laune. Auf den feinen, aber harten Zügen seines kleinen Gesichtes lag eine schwere Wolke. Plötzlich, mit kurzem Danke, wurde die Hausdame entlassen.
Sie ging auf ihr Zimmer und war sehr traurig. Er tat ihr leid, und die Freundin tat ihr leid, die eine offenbar verfehlte Unternehmung ins Werk gesetzt hatte, und sie, die sich daran beteiligte, sie selbst – was ist die Welt doch voll Wehmut! – sie selbst tat sich auch leid. Da saß sie nun, die Intrigantin, hatte ihr Gewissen mit mehreren Lügen belastet und nichts erreicht, weniger als nichts. Die jungen Leute würden die Wege, die sie ihnen bereiten sollte, verlegt finden wie mit Stacheldraht.
*
Schlag halb ein Uhr fuhren die unwillkommenen Gäste an der Gartentür vor. Sie kamen, Gott sei Dank, nicht im Automobil, – der Hofrat haßte nichts so sehr wie diese moderne, Mißtöne und Mißgerüche verbreitende Karosse.
Kamilla stand an der offenen Pforte, begleitet von Dienern, die die Koffer in das Haus schaffen sollten. Sie bemerkte gleich, daß es nur zwei ganz kleine waren, wie man sie zu einem kurzen Ausflug mitnimmt, und wieder dachte sie: »Gott sei Dank!«
Unterdessen hatte sich der Offizier, der einen grauen Reiseanzug trug, schon aus dem Wagen geschwungen und wollte seiner Frau beim Aussteigen behilflich sein. Sie drückte nur die Fingerspitzen auf seine dargebotene Hand, hüpfte rasch und leicht auf den Boden, schritt Kamilla entgegen und sprach: »Stell mich vor, stell mich vor!«
»Ja«, sagte er, »ich glaube, daß ich bei mir selbst anfangen soll. Kennen Sie mich denn noch, gnädige Frau?«
Sie sah zu dem schönen, schlanken Menschen empor und lächelte: »Kaum mehr. Sie waren fast noch ein Jüngling, als ich Sie zum letzten Male sah, und jetzt . . .«
»Jetzt bin ich ein alter Oberleutnant und Ehemann.«
»Und ich bin seine Gattin und stelle mich Ihnen selbst vor, da er es durchaus nicht tun will. Liebe, gnädige Frau, sagen Sie mir: Grüß Gott!«
Cäcilie streckte ihr beide Hände entgegen, und in dieser Gebärde lag eine Herzlichkeit und auch etwas so respektvoll Fragendes: Darf ich? daß Kamilla sich sehr zusammennehmen mußte, um nicht einer jähen Regung der Zärtlichkeit zu folgen und das liebliche Geschöpf, das ihr so zutraulich nahte, in die Arme zu schließen.
Als sie dann dem Hause zuschritt zwischen den beiden, die munter plauderten, die blühend, sorglos, voll Zuversicht waren, denen das Glück, das ihnen aus den Augen sah, ein eigenstes, angeborenes Eigentum zu sein schien, kam eine große Ruhe über sie. Nein, nein, törichte üble Laune konnte nicht standhalten solchen Mächten gegenüber, mußte schwinden vor soviel Lebensfreudigkeit, wohltuender Wärme, Schönheit und Jugend.
Nachdem Kamilla die Gäste in ihr Zimmer geführt und sie gebeten hatte, pünktlich um ein Uhr im Salon zu sein, empfahl sie sich. Der Oberleutnant gab ihr das Geleite und flüsterte ihr rasch und leise zu: »Cäcilie ahnt nicht, daß wir unwillkommen sind, sie hätte sich sonst kaum entschlossen, mir hierher zu folgen. Das Revolvertelegramm hat Mama nach langem Studium selbst aufgesetzt . . . Mir sind alle diese Machenschaften in der Seele zuwider, und wenn meine stürmische Mutter nicht wäre, die mir am Ende immer das neue Jahr abgewinnt, ich hätte den Onkel mit seinen antediluvianischen Vorurteilen links liegenlassen.«
»Es ist doch besser nicht«, sagte Frau Riesel; aber diese mannhafte Erklärung gefiel ihr sehr gut. Sehr gut auch die Pünktlichkeit und die einfache Kleidung des Ehepaares, das eine kleine Weile später im Salon erschien.
Er trug seinen, allerdings sehr eleganten Reiseanzug, sie zu ihrem hellgrauen Rock aus feinem, englischem Stoff eine gestickte weiße Batistbluse. Und der Rock war nicht eben sehr faltenreich, aber kein Sack, und der graue Seidengürtel, der die runde, schmiegsame Taille umschloß, war nicht stramm gespannt, und die Schuhe an den edelgeformten Füßen hatten niedrige Hacken. Wenn böser Wille den Hofrat nicht durchaus blind machte, mußte er der Toilette der jungen Frau Gerechtigkeit widerfahren lassen. Er durfte auch kein Wort des Tadels über die Frisur sagen. Da war nichts Falsches dabei, da war nicht viel Kunst angewendet. Die reichen dunkelbraunen Haare, einfach zurückgestrichen, bildeten einen schweren, flachen Knoten am Hinterhaupte, wölbten und wellten sich aus eigenem Reichtum und nach eigener Weise über der klaren, mädchenhaften Stirn.
›Die Holde, die Hohe!‹ dachte Kamilla. ›Alles reizvoll an ihrer anmutigen Erscheinung und ganz unwiderstehlich der Ausdruck ihrer von samtschwarzen Wimpern beschatteten Augen. Hat man je so dunkle Augen ein so helles Leuchten ausstrahlen gesehen? Es ist ja sonniger Tag, der hervorbricht aus tiefer geheimnisvoller Nacht.‹
»Sollten wir dem Onkel nicht vor Tische unseren Besuch machen?« fragte die junge Frau.
»Er hat Sie bitten lassen, ihn hier zu erwarten.«
»Ich bin neugierig, ihn kennenzulernen. Mama sagt, daß er eigen ist, und ich habe Menschen, die eigen sind, sehr gern.«
Kamilla und der Oberleutnant wechselten einen besorgten Blick. Cäcilie war ans Fenster getreten, sah in den Garten hinab, bewunderte die herrlichen Rosen, und Frau Riesel gab zu verstehen, daß sie große Lieblinge ihres Züchters und Pflegers wären und daß er sie gern loben höre.
*
Es schlug ein Uhr. Im Speisezimmer ließen die Schritte des Dieners sich vernehmen. Beide Flügel der Tür wurden geöffnet, eine Stimme meldete: »Es ist serviert.«
Der Hofrat ließ warten.
Der Fanatiker der Pünktlichkeit war einmal selbst unpünktlich. Ein böses Vorzeichen, das Unheil ahnen ließ. Mit Recht, denn als er eintrat, schien ein Strom kalter Luft mit ihm ins Zimmer gekommen und fahles, gelbes Licht sich darin zu verbreiten.
Kamilla zitterte, aber die jungen Leute gingen dem Hausherrn unbefangen entgegen. Eduard verbeugte sich und sprach:
»Verzeih unsern Überfall, lieber Onkel, ich habe dem Wunsche nicht widerstehen können, dir meine Frau vorzustellen.«
Der Hofrat brummte etwas zum Glück ganz Unverständliches, nahm die Hand nicht, die Cäcilie ihm bot, stand steif und stachelig wie eine Distel und sprach gletschereisig: »Ich habe die Ehre, Frau Baronin.«
Cäcilie errötete. Der Onkel kam ihr nun doch mehr »eigen« vor, als sie es gern hatte. Allerdings glaubte sie nur an einen Scherz, der ihr nicht gefiel, auf den sie aber eingehen wollte.
»Ah – nun muß ich also sagen: Herr Hofrat«, sprach sie mit etwas erzwungener Munterkeit. »Und wenn ich schon einen Titel haben soll, bitte ich um den, der mir gebührt. Ich bin Frau Oberleutnant.«
Der Hofrat hatte bisher an ihr vorbeigesehen und nur bemerkt, daß sie größer war als er. Jetzt faßte er sie ins Auge, prüfend, scharf, ungut. Aber dieser Ausdruck milderte sich, verwandelte sich in ein unwillkürliches und darum unbesiegbares Wohlgefallen. Er kämpfte dagegen. Umsonst, umsonst! Wurde sich seiner Ohnmacht bewußt, und das Unerhörte geschah – auf seinem Gesicht erschien ein Anflug von Verlegenheit. Und da auch die gescheitesten Leute in der Verlegenheit um die Herrschaft über ihre geistigen Kräfte kommen, äußerte er seine Bedenken gegen eine Verbindung zwischen Bürgerlich und Adelig, mit der Tür ins Haus fallend, seltsam hastig und recht verworren. Fühlte sein Ungeschick und hätte viel darum gegeben, gar nichts oder etwas anderes gesagt zu haben.
Cäcilie hörte ihm ratlos staunend zu. Sie wußte nicht, ob man einen Onkel, der gar so eigen ist, ernst zu nehmen hat oder nicht.
Der Ruf Kamillas: »Zu Tisch, meine Herrschaften, zu Tisch!« hatte für beide einen erlösenden Klang, und der Herr des Hauses, einmal in Unsicherheit geraten, tat, was nicht zu tun er sich vorgenommen hatte, er bot Cäcilie den Arm und führte sie ins Speisezimmer.
Frau Riesel und Eduard folgten. Er raunte ihr zu, und seine blauen Augen funkelten: »Wir sind auf dem Holzwege. Es gibt etwas. Ich werde nicht leiden, daß er sie kränkt.«
»Haben Sie Geduld, nur etwas Geduld«, erwiderte sie mit einem Anschein ruhiger Überlegenheit, aber sie bebte.
»Nun, etwas in Gottes Namen, man verlange von mir nur nicht zuviel.«
Das Gespräch bei Tische kam bald in Fluß. Der Hofrat fühlte, daß die angeheiratete Nichte, die da an seiner Seite saß, etwas merkwürdig Sympathisches hatte.
Die ernsten Augen und der wunderhübsche Mund, der so bereit schien zu lachen, vielleicht auch – auszulachen? . . . zum Beispiel die Menschen, die Dummheiten redeten . . . Hoho, das wollte er ihr doch zeigen, daß dergleichen ihm wohl einmal zufällig passieren könne, Wiederholungen aber nicht stattfänden.
Zuerst ließ er sich vom Leben in der Garnison erzählen, und sie tat es mit gutem Humor und berief sich alle Augenblicke auf das Zeugnis ihres Mannes. Er stimmte oft zu, berichtigte aber auch oft und rückte eine Großtat oder Guttat von ihm, die sie in allzu helles Licht gestellt hatte, in die gebührende Beleuchtung.
Auch von ihrem Leben zu Hause erzählte sie, von dem Gute, das nicht groß war und das ihr Vater selbst verwaltete. Ihr älterer Bruder nahm ihm schon einen Teil der Arbeit ab, und seitdem sie geheiratet hatte, machte ihre jüngere Schwester sich der Mutter nützlich bei der Führung des Haushaltes.
Das alles klang nicht gerade feudal, und mit Genugtuung dachte der Hofrat: »Sind halt freiherrliche Krautjunker und stehen in der Bildung so hoch wie ihre Hühner.«
»Recht schön, recht schön der Sommer auf dem Land. Was macht man aber im Winter, wenn es nichts zu tun gibt in der Wirtschaft?«
Nun, ein paar Monate wurden in Lemberg zugebracht; man unterhielt sich dort recht gut und konnte trotzdem den Augenblick kaum erwarten, in dem es hieß: Heimwärts! heimwärts! Wir fahren nach Hause. »Und dort hatten wir wieder Arbeit und Freude genug und die schönen Leseabende. Papa liest gern und gut vor.«
Der vorlesende Papa war dem Hofrat ein Dorn im Auge. Er setzte die Inquisition schärfer fort:
»Und was pflegte er vorzulesen, der Herr Baron?«
»Pflegte?« wiederholte sie. Auf ihrem Gesicht stand die Frage: »Wollen Sie mich zum besten haben?« und sie sprach ernst und entschieden: »Er las alte und neue Klassiker und auch Modernes.«
»Mit Auswahl.«
»Mit nicht allzu strenger.«
Der Hofrat ließ ein langgedehntes, mit Abscheu und Verachtung geladenes: »S–o?« ertönen, und Frau Riesel erschrak. O Gott, nur dieses Thema nicht! Ihr angstvoll warnender Blick streifte den Oberleutnant, der neben ihr saß. Er blieb gleichgültig und erwiderte ihren Seitenblick mit einem Achselzucken, das leicht zu verstehen war. Es hieß: ›Werden streiten. Sollen nur.‹ Sie schauderte vor diesem Leichtsinn, im Grunde des Herzens jedoch entzückte er sie. Ein Erbschleicher war er nicht, dieser »E–duard«.
Und wirklich, der Streit entbrannte. Der Hofrat sandte gegen die moderne Literatur, Journalistik, Musik, Malerei, Bildhauerei, Schauspiel- und Baukunst zuerst einzelne scharfe Pfeile, dann ganze Pfeilbündel ab. Cäcilie glaubte anfangs, daß er sie nur zum Widerspruch reizen wolle, was ihr ein wenig kindisch vorkam. So ging sie denn auf seine Übertreibungen nicht ein, machte bloß hie und da einen lässigen Einwand, nahm obenhin die Literatur in Schutz. Es gab neue Autoren, die sie liebte, es gab neue Bücher, die ihr gefielen.
»Ausnahmen wird es geben bis ans Ende der Welt«, rief er. »Aber auch sie sind nur Reflexe, einige sogar von Lichtern, die auf falschen Wegen umherirren, und sie drohen erstickt zu werden im Wust der rastlos hervorbringenden Eintagstalente. Lessing spricht von einem großen Maler ohne Hände, wir haben geschickte Hände ohne den Maler. O ja, sehr geschickte, technische Fertigkeiten glänzend. Aber wo ist das mit Naturgewalt hervorbrechende schöpferische Müssen, der große Charakter, die große Seele? Wo ist die göttliche Kraft, die uns emporträgt zu den Höhen des Lebens, wo ist die Leidenschaft, die noch begeistert, indem sie tötet und zertrümmert? Die geschickten Hände, denen die Höhen unerreichbar sind, greifen in die Niederungen. Das Gebiet der menschlichen Triebe wird durchwühlt, durchforscht, mikroskopisch beobachtet und als das Allumfassende erklärt. In ihm wird untergebracht, was sich irgend denken läßt. Lauter Triebe, nichts als Triebe, alles sexual, unser Denken, unser Träumen, das Sexuelle Grund und Ursache jedes Interesses, jeder Anhänglichkeit und Zuneigung. Eltern- und Kindesliebe, Freundschaft, Andacht, Frömmigkeit, unsere Liebe zu Bäumen, Blumen, Pflanzen – sexual. Nächstens wird uns bewiesen werden, daß Kant mit dem Ding an sich in einem sexualen Verhältnis gestanden hat.«
Der Oberleutnant lachte, seine Frau lächelte, und dieses Lachen und dieses Lächeln schmeichelten dem Hofrat. Er fuhr eifrig fort:
»Wenn ich heute vor einen Buchladen trete, die Titel lese und die illustrierten Umschläge ansehe, graut mir. Mir! Andern nicht. Neulich steh ich so da und koche Galle. Neben mir aber steht ein junges Fräulein und genießt den Anblick.«
»Versteht wahrscheinlich gar nichts davon.«
»Ihre Augen sagen das Gegenteil. Sie haben ähnliches schon gesehen. Wozu hätten wir die Kunstausstellungen? . . . Aber das gehört zum Ganzen, ist ein Schimmer vom Geiste dieser Zeit. Wann und wo offenbart er sich nicht? . . . Wenn ich von irgendeinem Bahnhof in die Stadt fahre, frage ich mich: Geht es wirklich meinem alten, noblen Wien oder einer amerikanischen Yankee-Niederlassung entgegen? Krasse Riesenplakate schreien mich an. Wo mich früher nette, kleine Vorstadthäuser erfreuten, aus denen es förmlich sprach: ›Sieh uns nur an, in uns wohnen Behagen und Zufriedenheit‹, wendet mein Blick sich jetzt angeekelt ab von turmhohen Wohnungetümen, ordinär aufgeputzt und herausfordernd nackt. Was sie bergen, steht ihnen auf der Fassade geschrieben. Sinnlosen Luxus und seine Geschwisterkinder, Not und Anarchie . . . So häufen sich Zeichen auf Zeichen, so steuern wir mit herrlicher Sicherheit unaufhaltsam dem Untergange zu.«
Cäcilie hielt die Augen auf ihn gerichtet. Ihr Befremden wuchs. Sie konnte nicht mehr zweifeln, daß seine Reden ihm aus dem armen, verbitterten Herzen flossen. Es kommt vom Alter, dachte sie; er tat ihr leid, und sie sagte mit einem Bedauern in der Stimme:
»Das glauben Sie, lieber Onkel?«
Und er, im Banne dieser jungen, schönen Augen, erwiderte sehr nachdrücklich: »Das glaube ich, Frau Nichte.«
Ein Aufatmen der Wonne entstieg der Brust Kamillas. Jetzt hatte die Adoption stattgefunden. Ihr aber, der dieses Glück zuteil geworden, kam es zunächst nicht zum Bewußtsein. Sie hatte sich entschlossen, den Kampf gegen den armen, alten Oheim aufzunehmen. »Und die Wissenschaft?« fragte sie, »wird die mit einbegriffen in diese allgemeine Verdammnis?«
»Respekt vor ihr und ihren Entdeckungen und Erfindungen. Sie ist unsere Wohltäterin, unsere Leuchte, unser Ruhm und Stolz – unsere Rettung kann sie nicht werden. Daß sie auf der Höhe, auf der sie jetzt steht, in untergegangenen Weltreichen schon gestanden hat, ist uns jüngst, überzeugender denn je, dargetan worden. Staatenerhaltende Kräfte sind ihr versagt, die wachsen aus einem andern Boden. Die Eigenschaften, die sie fordern, sind von sittlicher Natur, und wie es mit denen aussieht, darüber täuschen wir uns doch nicht. Oder gelingt dir das, Frau Nichte, leugnest du« – Du! Kamilla atmete abermals tief und wonnig auf –, »daß unser Nachwuchs besonders in dieser Hinsicht das ist, was Sombart sehr höflich: ›Minder qualifiziert‹ nennt?«
»Vielleicht weichen wir, wie man so sagt, nur zurück, um den Anlauf zu einem großen Sprunge zu nehmen.«
»Sprünge gibt es nicht, es gibt nur Übergänge. Das solltest du wissen, junge Weisheit.« Der Hofrat merkte nicht, daß ihm schon ein zweites »Du« entschlüpft war. »Freilich ändert es an der Sache nicht viel, ob wir in den Abgrund springen oder gleiten.«
Cäcilie sah gequält vor sich hin: »Schade wär's um soviel Schönes, das es gibt, und um das viele Gute, das gute Menschen getan haben. Freilich geschieht auch vieles, was mir nicht gefällt, mich sogar anwidert, und schrecklich sind mir die Feindseligkeiten und der Haß und das Mißtrauen der einen gegen die andern . . . Es ist ein unblutiger Krieg, aber oft grausamer als ein blutiger . . . Und so häßlich ist er, daß die Menschen seinen Anblick nicht mehr ertragen mögen und nach Frieden verlangen werden . . . Und auch in den Niederungen, von denen du gesprochen hast, Onkel, wird es ihnen nicht immer gefallen, sie werden sich nach den Höhen eines geistigen Lebens sehnen . . . Mir kommt vor, o mir kommt oft vor, daß es heute schon vielen so geht . . . und nicht mehr blind, nein, mit geöffneten Augen werden sie ihnen zustreben. Dann wird es auf Erden heller werden, als es jemals war. Die soviel gelitten haben durch all das Böse, das sie einander angetan, werden sich eines lang vergessenen Wortes erinnern, des größten, das jemals an die Herzen der Menschen geschlagen hat, ihm nachleben und gut und weise und glücklich sein.«
»Das Wort lautet?«
»Du weißt es so gut wie ich.«
»Nun?«
»Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.«
Während sie eifrig, dabei aber doch nicht sehr sicher und oft in abgebrochenen Sätzen geredet, hatte der Hofrat kein einziges Mal gespöttelt oder widersprochen, ihr vielmehr nachsichtsvoll zugehört mit dem stillen Vergnügen, das man am Gezwitscher eines Vogels, am Gelalle eines Kindes empfindet.
Nun füllte er ihren Römer mit Rheinwein und forderte sie auf, mit ihm anzustoßen und auf das Wohl des kommenden goldenen Zeitalters zu trinken. Auch Eduard und Kamilla mußten Bescheid tun, und dann fuhr er fort, seine Überzeugungen an den Tag zu legen, wurde aber immer weniger scharf, ließ auch fremde Meinungen gelten und war am Ende des Mittagessens ein höchst liebenswürdiger Hausherr.
*
Als der Hofrat die Tafel aufhob, hatte er nicht um einen Tropfen Wein mehr getrunken als gewöhnlich, befand sich aber in erhöhter Stimmung. Seine Augen leuchteten in einem ganz seltsam weichen Glanze, und die Röte seiner Wangen verdunkelte das Rosa seines zierlichen Näschens. Nach einer ritterlichen Verbeugung führte er die Nichte munteren Schrittes am Arme aus dem Speisezimmer zur Veranda. Eduard und Kamilla folgten, und mit einem sanften, seligen Lächeln flüsterte sie ihm zu: »Sie hat gesiegt.«
Ihre warme Teilnahme rührte ihn, er drückte ihre Hand und sprach: »Wie gut sind Sie, gnädige Frau!«
Beim schwarzen Kaffee sprach man nur noch von Rosen. Schon auf dem Wege ins Haus war dem Ehepaar aufgefallen, was für erlesene Exemplare sich im Garten befanden. Man ging hinab, bewunderte sie in der Nähe. Dann schlug der Hofrat seinen Gästen eine Spazierfahrt nach dem Föhrenwald in der Brühl, eine Tasse Tee auswärts im Freien vor. Sie nahmen gern an. Ein Wagen wurde sofort geholt.
›Das Nachmittagsschläfchen hat er rein vergessen‹, dachte Frau Riesel. Weil es aber ein Inkognitoschläfchen war, wagte sie nicht, ihn daran zu erinnern. Mitzufahren lehnte sie ab und bat den Hofrat, nur nicht zu spät nach Hause zu kommen zur Tarockpartie.
Ach was, die fade Tarockpartie! Die mochte einmal ausbleiben, die konnte man doch absagen. Kamilla meinte, es sei zu spät, und die jungen Leute erhoben heftigste Einsprache. Um keinen Preis durfte der Onkel in seinen Gewohnheiten gestört werden. Er fügte sich, wenn auch ungern, und man fuhr ab.
Kamilla winkte freundlich nach, während sie schon in Gedanken ein Telegramm an die Freundin verfaßte, das ihr die beglückende Kunde bringen sollte:
»Sieg auf der ganzen Linie, im Sturm gewonnen, beinahe verliebt!«
Wegen dieses letzten Wortes vertraute sie ihr Telegramm einem Diener nicht an, sondern trug es persönlich ins Aufgabeamt.
Die drei Freunde fanden sich rechtzeitig ein, der Hausherr nicht. Frau Riesel bemühte sich, ihn zu entschuldigen; es gelang nur halb, und das Erstaunen verwandelte sich in Entrüstung, als der Hofrat endlich erschien und nur ganz nachlässig bat, sein spätes Kommen zu verzeihen. Der Spaziergang war sehr schön gewesen, die Nichte konnte sich von dem Föhrenwalde nicht trennen.
Kamilla beobachtete den Gebieter mit Besorgnis. Seine funkensprühende Aufgeregtheit war verschwunden, er sah blaß und müde aus. Nun ja, wenn man bei Tische redet statt zu essen, wenn man sich das gewohnte Nachmittagsschläfchen versagt, bleiben die Folgen nicht aus. Doch die kriegerische Stimmung der Freunde schmolz im Augenblick dahin, in dem das junge Ehepaar sich einfand. Die drei Herren wurden der Nichte, der Neffe den drei Herren vorgestellt, und Kamilla konnte sich ihren stillen Betrachtungen hingeben über die Veränderung, die sogleich mit ältlichen Herren vorgeht, wenn eine junge, reizende Frau in ihrem Kreise erscheint. Der Mürrische wird liebenswürdig, der Steifnackige ganz Geschmeidigkeit, der Eigensinnige hat kaum noch eine selbständige Meinung, wenn sie der ihren widerspricht.
»Kannst du Tarock spielen?« fragte der Hofrat seine Nichte.
»Miserabel, ja.«
»Dann werde ich den Ratgeber machen. Nimm meinen Platz ein, wenn es den Herren recht ist.«
Recht? Entzückt waren sie. Man setzte sich, der Hofrat rückte einen Stuhl neben den seiner Nichte, legte den Arm auf die Lehne des ihren und leitete ihr Spiel. Er war zerstreut und beging manchen Fehler, der ihm jedoch weder Spott von den Gegnern noch eine Rüge von seinem Partner eintrug. Es kam zu einer Tarockpartie, wie sie in diesem Räume noch nicht gespielt worden war. Ein abgefangener Mond, ein mißlungener Ultimo erweckten die Heiterkeit der dabei Verunglückten. Cäcilie verlor, gewann, verlor wieder, blieb immer in bester Laune, voll guter Einfalle, und dankte den großen Meistern für die rührende Nachsicht, die sie mit ihr hatten.
*
Die Hausdame wollte sich wie gewöhnlich bis zum Abendessen in ihre Gemächer zurückziehen, aber der Oberleutnant erlaubte es ihr nicht.
»Sie müssen mir doch Gesellschaft leisten«, sagte er, »während meine Frau in der Gefangenschaft von drei Raubrittern schmachtet.«
Sie setzten sich an den großen Tisch und plauderten. Er sprach von seinen Jünglingsjahren. »Ich war damals ein rechter Aff. Eitel, eingebildet, überzeugt, daß die Welt nur auf mich gewartet hatte, um aus allen Fugen zu geraten und in die Bahnen hineinzustürmen, die ich ihr vorzeichnen wollte . . . Der Kampf, der mich zur Vernunft gebracht hat, war schwer, aber kurz, gottlob. Statt eines Führenden bin ich ein Dienender geworden.«
»Ich dien!« Den Wahlspruch stark und mild
Trug jenes Luxemburgers Schild,
Der kämpfend bei Crécy gefallen.
Kamilla hatte ihm mit hingebendem Interesse zugehört. Daß er so offen über sich selbst mit ihr sprach, war ihr schmeichelhaft, und als der Dragoneroberleutnant nun gar Verse von Betty Paoli, ihrer Lieblingsdichterin, zitierte, erschien er ihr als das entzückendste aller Phänomene.
»Jetzt bin ich glücklich durch und durch«, fuhr er fort. »Ich übe den Beruf aus, in dem ich das Beste leisten kann, das zu leisten mir gegeben ist, und ich habe die heimgeführt, die ich liebe. Sie war nicht leicht zu erringen, aber jetzt gehört sie mir. Kein Engel – ich wüßte auch nicht, was ich mit einem Engel anfangen sollte – ein Schatz, der mir anvertraut ist und den ich hüte.«
Er redete vertrauensvoll, wie zu einer alten Freundin, er durfte sie ja als solche ansehen und erwartete Vertrauen auch von ihr. Mindestens eingestehen möge sie ihm, daß ihr Leben an der Seite des launenhaften Onkels gar oft unerträglich schwer sei.
Sie leugnete es. Sie liebte ihre Tätigkeit, sie verehrte den Herrn Hofrat, weil er ein edler und reiner Mensch sei. »Schwerlebig, ja«, gab sie zu, »aber das ist mehr sein Unglück als seine Schuld, und mißtrauisch nur in kleinen Dingen. Einen beleidigenden Verdacht faßt er nicht bald und wäre spielend leicht zu betrügen. So sehe ich in meinem gestrengen Herrn einen Schutzbefohlenen, für den ich gern und freudig sorgen darf.«
Der Oberleutnant neigte das Haupt und sagte lächelnd: »Sie sind eine Römerin: ›Es tut nicht weh, Paetus.‹ Eine Märtyrerin sind Sie, die unter Qualen noch Hymnen singt.«
Frau Riesel lächelte gleichfalls; es war ein feines, matronenhaftes Lächeln, das milde Freude an den Scherzen des jungen Offiziers verriet.
Das Abendessen fand gebührende Anerkennung. Nur der Hausherr hatte keinen Appetit, sah leidend und merkwürdig beklommen aus . . . Frau Riesel machte sich Gedanken . . . sollte das Scherzwort, das sie übermütig in ihr Telegramm gesetzt . . . Aber nein, um Gottes willen, nein! Was für einen lächerlichen Einfall hatte sie da gehabt. Sie verachtete sich selbst, daß sie einen so lächerlichen Einfall haben konnte.
Indessen ließen die drei Freunde ihre Geisteslichter leuchten. Das Gespräch nahm allmählich eine ernste Wendung.
Die furchtbare Schwere, mit der die Frage: ›Was wird die nächste Zukunft uns bringen?‹ auf jedem lastet, der nicht völlig gedankenlos ist, kam allen zum Bewußtsein.
Der Major verkündete den Weltkrieg und war entschlossen, beim Ausbruch der ersten Feindseligkeiten wieder in Dienst zu treten. »Herr der Heerscharen, die Gelegenheit gib mir, und ich will zeigen, daß ich noch etwas anderes kann als Anekdoten erzählen« – was er nicht kann, dachte Kamilla – »und Tarock spielen. Aber wozu wird unser Soldat heute verwendet? Kordon zu ziehen bei Festlichkeiten oder bei Pest und Cholera. Gelegte Brände zu löschen. Dazustehen wie eine Mauer, wenn der Mob einmal eingeladen wird, einen Feiertag zu halten – und losgeht – losgeht – und mittendrin steht der Soldat, wird beschimpft, verhöhnt, weiß nicht warum, kriegt Steine an den Kopf . . . weiß nicht warum . . . Seine Kameraden, sein Offizier bluten, und der Soldat« – die Stimme des Majors bebte – »hat die Waffe in der Hand und rührt sich nicht – rührt sich nicht!« – stotterte er, »und – und – und . . .« Sein gewohntes Erzählerschicksal ereilte ihn, er kam nicht weiter.
»Rührt sich nicht, was auch in ihm vorgehen möge«, fiel der Oberleutnant rettend ein. »Ja, ja, ich habe so etwas erlebt. Auch meine Leute standen wie Mauern. Wir hatten den Befehl: ›Äußerste Schonung walten lassen.‹ Und das muß sein! weil ja fast immer bei Repressalien gar zu leicht Unschuldige getroffen werden. Und auch den anderen soll womöglich nichts geschehen. Die Strafe könnte am Ende ärger ausfallen als das Unrecht . . . Die Schramme da«, er wies auf eine Narbe über dem rechten Auge, »habe ich einem der emsigen Mineraliensammler zu verdanken, die bei jedem Putsch und Streik aus dem Boden wachsen. Wenn diese Jünglinge die Stücke, die sie für ihre gelehrten Studien nicht brauchen können, in knabenhaftem Übermut wegwerfen und dabei eine Laterne oder einen Kopf treffen, wer möchte ihnen das übelnehmen? Nun, ich muß schon sagen, ich hätte meinem unwillkürlichen David sehr gern ein paar Denkzettel mit dem flachen Säbel überreicht. Aber: ›Äußerste Schonung!‹ – so hab ich mich pariert.«
Sich in ein gemeinsames Gespräch zu mischen, war sonst nicht Frau Riesels Sache. Aber als sie nun ihren jungen Freund im Geiste vor sich sah, wie er beschimpft und verwundet, das Gesicht voll Blut, das Herz voll Grimm, stolze Regungslosigkeit bewahrte, weil die Pflicht es gebot, mußte ihre Bewunderung sich Luft machen, und sie sprach im Tone, in dem ein Ritterschlag erteilt wird: »Das war groß! Was Sie da getan haben, oder vielmehr nicht getan haben, war – ich wiederhole: groß!«
Der Oberleutnant hatte das unangenehme Gefühl, ruhmredig gewesen zu sein, und erwiderte trocken: »Das war Disziplin, zu der wir erzogen sind und zu der wir uns bemühen, unsere Leute zu erziehen.«
»Durch ein bewährtes Mittel«, meinte der Gelehrte, »durch die Furcht.«
»Nicht allein durch die!« rief Eduard entrüstet und kampfbereit.
»O bitte! bitte!« Der alte Herr streichelte ihm besänftigend den Ärmel mit seiner breiten, gutmütigen Hand. »Ich habe gar nichts dagegen, daß die Furcht der Soldaten vor ihren Offizieren größer ist als die vor einer wilden Rotte. Aber man nenne doch nicht Heldentum, was Furcht ist.«
»Was Gehorsam ist, schöner, kluger, das Fundament aller Pflicht und Treue, jeder gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung.«
»Jawohl, ich gebe Ihnen zu, daß der Gehorsam sich in mancherlei Gestalt äußert. Aber die erste darunter, die gesundeste und kräftigste, heißt: Furcht. Gönnen Sie mir doch meine Freude an ihr. Sie gehört zu unseren besten Lebensgütern. Was wäre ohne sie aus uns geworden? Sie hat den Menschen gezwungen, Waffen anzufertigen, Pfahlbauten zu errichten, Wohnhäuser zu erbauen, Städte zu gründen. Sie hat ihn an einen unsichtbaren und allvermögenden Herrn über Naturkräfte, denen die arme Kreatur hilflos gegenübersteht, glauben und um Erbarmen und Schonung zu ihm beten gelehrt.«
»Verzeihen Sie«, erhob sich plötzlich eine weiche und klangvolle Stimme, wurde aber sofort leiser, als die allgemeine Aufmerksamkeit sich ihr zuwandte. »Verzeihen Sie«, wiederholte Cäcilie, »ich habe schon oft gehört und gelesen, daß Schrecken und Todesangst den Menschen das erste Gebet erpreßten, und das kann ja vielleicht sein, viele glauben es – ich nicht, ich glaube« – sie hielt inne und sah den Gelehrten mit einem Blick an, der um Nachsicht bat – »ich glaube, das erste Gebet ist gekommen aus einer Brust, die jubelte und jauchzte, und war ein Dankgebet . . . Warum soll der erste gewaltige Eindruck, den ein junger, zum Bewußtsein erwachter Mensch durch die Wunder empfing, die ihn umgaben, der des Schreckens gewesen sein? Warum nicht der des Entzückens und der Begeisterung? . . . Er hat ja doch die Sonne blendend schön aufgehen gesehen, und den hellen Mond, und die Sterne, und den Anblick der herrlichen Erde gehabt und ihn genossen, und ihre unerschöpflichen Gaben empfangen . . . Und er war jung, stark, gesund, und sein Herz war voll Fröhlichkeit. Warum soll da nicht einmal ein Gefühl heißer, brennender Dankbarkeit in ihm aufgestiegen sein und ihn ergriffen haben wie ein Sturm? . . . Warum soll da nicht ein Mann oder ein Weib oder vielleicht ein Kind auf die Knie gestürzt sein und die Hände gefaltet und gedankt haben, inbrünstig gedankt, gedankt!«
Sie brachte das befangen und immer leiser hervor, und in ihrem Ton lag eine Bitte um Hilfe, als sie sich nun an den Gelehrten wandte: »Wäre das nicht möglich?«
Er war äußerst galant, verneigte sich und sagte: »Warum nicht, meine Gnädigste?«
Auch die anderen pflichteten ihr bei; nur der Hofrat, bis zur völligen Selbstvergessenheit in den Anblick seiner schönen Nichte versunken – schwieg. Alles Herbe und Harte war aus seinen Zügen verschwunden, und aus ihnen sprach eine milde Bewunderung, eine tiefe Traurigkeit.
Der Professor hatte nach einiger Überlegung wieder das Wort nehmen wollen: »Warum nicht? Aber . . .«
Da unterbrach ihn der Großindustrielle: »Nein, nein. Kein Aber mehr! Zur Partie! Meine Herrschaften, es stehen noch zwei Zweier. Darf ich bitten, Frau Oberleutnant?«
Er bot ihr den Arm und führte sie zum Spieltische.
So wurde die Konversation im Augenblick abgeschnitten, in dem sie anfing, interessant zu werden.
Eduard und Kamilla gingen auf die Veranda, wo er seine Sehnsucht nach einer Zigarre erfüllen durfte. Nun saß er Kamilla gegenüber in einem bequemen Lehnsessel, und sie freute sich an dem Genuß, mit dem er weiße Wölkchen in die milde Luft der Sommernacht blies. Es war schon dunkel. Sie konnte ihn nicht deutlich sehen, von seiner Gestalt nur die Umrisse, von seinem Gesicht nur einen Schein, wenn die glühende Zigarre ihn darüber hinfliegen ließ. Aber sie hörte ihn fröhlich und munter plaudern von seinem Glücke, von seinen Zukunftsplänen, und seine Sicherheit, sein festes Vertrauen auf kommende bessere Tage erquickte sie. Sie wurde von vielen Gedanken, aber von fast noch mehr Gefühlen ergriffen. Seit dem Tode ihres seligen Riesel hatte noch nie eine Stimme ihr Ohr so sympathisch berührt wie die des Sohnes ihrer lieben Freundin. Er war ihr in kurzer Zeit teuer geworden, und daß sie etwas für ihn hatte tun können, dafür dankte sie Gott.
*
Am nächsten Morgen erwachte Frau Riesel lachend. Ihr hatte geträumt, daß sie in einer fremden Gegend am Arme des Oberleutnants spazierenging, ganz jung und schlank, leichten Schrittes und schwebend. Sie wiegte sich ein wenig in einem heiteren Nachgefühl, kniete dann nieder auf ihren Betschemel und verrichtete voll Andacht ihr Morgengebet.
Mit besonderer Liebe gedachte sie ihres Verlorenen, Unverlorenen, ihres Toten, der ein ewig Lebender für sie blieb, und des Kindleins, das seine Augen nur geöffnet hatte, um sie gleich wieder zu schließen und sie dem himmlischen Lichte zuzuwenden.
Sie hatte eben gelacht; nun weinte sie, ohne sich einer besonderen Veranlassung bewußt zu sein. Ihr kamen die Tränen inbrünstig, warm, unsäglich erquickend.
Beim Verlassen des Zimmers kam sie an ihrem großen Spiegel vorbei, blieb stehen, betrachtete ihr Bild mit ungewohnter Aufmerksamkeit. Der Anblick kränkte sie. Zu groß war der Zwiespalt zwischen ihrem Äußerlichen und ihrem Innerlichen. Ihre Empfindungen, ihre Anschauungen waren fein und zart. Ihre Seele – o gewiß! wenn Seelen sichtbar werden könnten, die ihre wäre als hohe, biegsame Sylphidengestalt zur Erscheinung gekommen. Warum mußte diese schlanke Seele in einer untersetzten Gestalt Wohnung genommen haben? Warum mußte eine Frau, die nur von Erinnerungen lebte, so wohlgenährt aussehen, warum auch noch jünger, als sie war? Sie haßte ihre starken, dunklen Haare, die noch immer nicht grau werden wollten, und frisierte sie so unmodern wie möglich à la George Sand. Trotzdem mußte sie sich fortwährend wiederholen lassen, daß sie wunderbar konserviert sei, und – was sie am meisten kränkte – vortrefflich aussähe.
Eine halbe Stunde später hatte sie ihr Tagewerk schon begonnen und das Decken des Frühstückstisches auf der Veranda überwacht.
Es war schwül, und im Westen stiegen schwere Wolken auf. Vielleicht stellte der langersehnte Regen sich endlich ein. Die Dürre beginnt unerträglich zu werden, die Bäume, der Rasen sind staubbedeckt. Hinabblickend sieht Frau Riesel etwas Schneeweißes aus dem Laubgang schlüpfen und sich gegen das Rosenbeet hinbewegen. Es ist der Hofrat. Die Schere in der Hand, die Tasche mit dem kleinen Werkzeug umgehängt, tritt er an seine Lieblinge heran. Nun beginnt die Pflege. Die Kelche werden mit Bürstchen von Ungeziefer befreit, die welken Blumen entfernt, die Schößlinge abgeschnitten. O schrecklich! – jetzt hat er sich vergriffen, hat eine Madame Charles Druski an langem Stiele vom Stamme getrennt, und nun eine Gloire de Dijon, eine la France, eine Coupe d'Hébé . . . Nein, was für Wunder man doch erfahren kann in der Alltäglichkeit. Der Hofrat, der das Verkürzen eines ohnehin kurzen Rosenlebens einen Frevel nennt, begeht ihn selbst an den erlesensten Exemplaren. Nun hat er einen prachtvollen Strauß zusammengestellt und flattert damit dem Hause zu, vergnügt wie eine Lerche.
»Guten Morgen, Frau Riesel!« ruft er ihr entgegen, »eine Blumenvase, bitte, die große, die vieux Saxe aus dem Salon!«
Die vieux Saxe, das Erbstück des Großvaters, die hinter Glas im Eckschrank residiert und bisher von keiner Hand außer der des Hofrats berührt werden durfte?
Ja, ja, die war gemeint und stand, köstlich anzusehen und mit märchenhaften Rosen gefüllt, auf dem Tische, als die Gäste sich einfanden.
Der erste Blick der jungen Frau fiel auf sie, und voll Entzücken brachte sie ihnen ihre Huldigung dar.
»Sie haben das gern, ich weiß«, sagte sie. »Ihre kleinen Seelen duften und schweben dem, der sie versteht, wonnig entgegen. Jede in ihrer Art . . . Von diesen Coupe d'Hébé drei an einem Stiele, welche ist die schönste? Die, die man gerade ansieht. Diese Madame Charles Druski – die Vestalin unter den Rosen – trägt den Schnee weißer Wölkchen auf ihren glanzumsäumten Blättern . . . Und Souvenir de la Malmaison, die reizendste von allen. Findet ihr nicht auch? Ihr melancholisches Rosa, das in der ganzen Welt der Rosen seinesgleichen nicht hat, gleitet so leise hinüber in die Stille der Farblosigkeit. Erinnerung an die Idylle in einem Heldenleben, ich liebe dich!« Sie stand auf und küßte die Rose.
Halb gerührt, halb gequält blickte der Hofrat zu ihr empor, die Bewegung seines kleinen, grauen Schnurrbartes verriet, daß seine Lippe zuckte. Mit etwas umflorter Stimme brachte er den Plan vor, am Nachmittag einen längeren Ausflug zu unternehmen.
»Ich fürchte nur, daß es regnen könnte«, meinte Kamilla.
Da wurde er ungeduldig: »Könnte ›es‹? Ja, wenn ›es‹ wollte, könnte ›es‹. Aber ich glaube, daß ›es‹ nicht wollen wird, und, bitte, lassen Sie einen Wagen bestellen.«
Frau Riesel erhob sich und mit ihr zugleich Cäcilie. Sie mußte ihren Eltern schreiben, einen großen, ausführlichen Brief über ihren Besuch in der Villa Hügel, ihnen viel, viel Böses von dem Onkel Hofrat erzählen.
»Na, mach's gnädig«, sagte er, und nach einer kleinen Pause mit Selbstüberwindung: »Empfiehl mich dem Herrn Baron und der Frau Baronin.«
»Ich werde meinen Eltern schreiben, daß mein lieber Onkel sie grüßen läßt«, erwiderte sie und verließ mit Kamilla zugleich das Zimmer.
Die Herren gingen in den Garten.
Ein feiner Regen setzte ein, der bald dichter wurde. Die kleinen Tröpfchen, die er einzeln auf die Blumen und das Gezweige gesetzt hatte, rannen ineinander, bedeckten die Beete, Wiesen, Gesträuche mit einem kühlen Schleier.
»Es ist gut«, sagte der Hofrat, »es löscht wenigstens den Staub.«
»Ja, den löscht es«, bestätigte der Oberleutnant so harmlos, als ob er aus der Schule Frau Riesels käme. Es war völlig windstill, kein Lüftchen rührte sich, die kleine grüne Welt ringsum hielt den Atem an, schien sehnsüchtig zu warten auf etwas, das kommen und sie erquicken sollte. Und nun erhob sich in dieser Lautlosigkeit ein sanftes Rauschen, eindringlich und segensreich rieselte der Regen nieder, und was da keimte, wuchs, blühte, empfing wohlig und wonnig die Himmelsgabe. Dem Boden entstieg kräftiger, nahrhafter Duft, und welkende Zweige sahen wieder frisch und jung aus.
»Schade, daß Cäcilie nicht da ist«, sagte Eduard, »sie würde behaupten, daß sie sieht, wie die Bäume und Gesträuche sich freuen und ihre Zweige und Zweiglein dem Regen entgegenheben und -strecken, um seine Labe zu genießen, und wie jeder Grashalm und wie jedes Blatt und jede Blüte dankt und dankt.«
»Hole sie.«
Er ging, kam aber allein zurück. Sie konnte sich von ihrem Briefe nicht trennen, war ja auch erst bei der fünften Seite. Der Oberleutnant schlug eine Partie Schach vor, in dessen Anfangsgründen ihn der Onkel einst unterwiesen, und beide begaben sich hinauf in das Schreibzimmer, in das Heiligtum, wie Frau Riesel diesen ernsten Raum nannte, weil er von Besuchern nur äußerst selten betreten werden durfte. Er machte mit seinen schweren Fenstervorhängen, seinen altertümlichen Lehnsesseln, den dunklen Bronzen auf Tischen und Sockeln einen düsteren Eindruck. Zwei Vitrinen aus Ebenholz bargen die Sammlung von Meisterstücken der Kleinkunst. In hohen Schränken standen hinter Glas kostbar eingebundene Bücher und Bildwerke; und über ihnen hingen ringsum an den Wänden Familienporträts in altmodischen Rahmen, die bürgerlichen Ahnen, auf die der Hofrat so stolz war. Roh und dilettantenmäßig ausgeführte Bildnisse eröffneten die Reihe; in Stieler-Manier gehaltene schlossen sie. Ein modernes Gemälde gab es nicht.
Beim Spiel, das nun begann, war der Schüler ganz versunken in Aufmerksamkeit, der Meister so zerstreut, daß er endlich in Gefahr geriet, es bloß zu einem Remis bringen zu können.
Knapp vor der Entscheidung klopfte es an die Tür. Freudiger Ahnung voll schnellte der Hofrat empor: »Herein!«
Sie war's. Sie kam in Begleitung Frau Riesels, was ihn verstimmte und sogleich einen schnöden Verdacht in ihm erweckte.
»Aha! Sie kommen, um einen meteorologischen Triumph zu feiern!«
»Ich komme, um Ihre Befehle einzuholen«, erwiderte sie sanft, ohne den Schatten einer Duldermiene.
»Warten Sie noch, das Wetter macht sich, wir bekommen vielleicht den schönsten Nachmittag.«
»Aber warum sollen wir ihn nicht zu Hause zubringen?« fragte Cäcilie. »Ich möchte gar zu gern deine Sammlung sehen, lieber Onkel. Ich habe soviel von ihr gehört.«
»Wirklich? – Durch wen?«
»Nun, durch Mama.«
»Ja so-o, ja s-o, durch die Mama . . .« Er überwand die kleine Enttäuschung und versprach, den Wunsch der Nichte zu erfüllen. Aber erst später, man brauche Zeit. – »Also«, wandte er sich an Kamilla, »wenn sie also durchaus nicht ausfahren will, dann können Sie den Wagen abbestellen.«
Frau Riesel neigte das Haupt und schritt dem Ausgange zu; Eduard eilte ihr nach, öffnete vor ihr die Tür und flüsterte:
»Gnädige Frau haben eine himmlische Geduld.«
Von seiner Bewunderung getragen wie von Flügeln, schwebte sie mehr, als sie ging, die Treppe hinab und begegnete in der Nähe der Gastzimmer dem alten Diener des Hofrats. Er trug die Vase mit den herrlichen Rosen und blieb lächelnd vor Kamilla stehen:
»Für die gnädige Frau Oberleutnant.«
»Ja, ja, ich weiß», log sie und ließ ihre Augen halb gerührt, halb beängstigt auf den Blumen ruhen.
In dem kostbaren Rosenbukett fehlte die Malmaison.
Beim Mittagessen wurde durch die Heiterkeit Cäciliens und durch ihre lustigen Einfälle die gute Stimmung wiederhergestellt. Zum schwarzen Kaffee ging die kleine Gesellschaft in das Rauchzimmer und hatte kaum dort Platz genommen, als sich auf der Treppe und im Gange Schritte vernehmen ließen. Eine laute, wohlbekannte Stimme fragte:
»Wo sind sie? Ja so, im Rauchsalon. Josef, mein Parapluie! Betty, mein Regenmantel!«
Die Tür flog auf, und da stand Frau Sektionsrat, dunkelrosa und hellblond, den Ausdruck eines Baby im ältlichen Gesichte.
»Die Mama!« rief Cäcilie; Eduard sprang auf, breitete die Arme aus und deklamierte:
»Aus dem bewegten Wasser steigt
Ein feuchtes Weib empor.«
›Wieder ein Zitat! – unglaublich nett für einen Oberleutnant von der Kavallerie‹, dachte Kamilla.
Rosa löste sich aus den Armen ihrer Kinder und ging auf den Vetter zu: »Verzeih den Überfall, aber ich konnte nicht vorbeifahren, ohne euch zu begrüßen.«
Dabei sah sie Kamilla mit einem unendlich vielsagenden Blick an, und die Freundin nahm in ihrem Herzen auf, was er ausdrücken wollte: Dankbarkeit, Liebe, Verehrung.
»Regnet es noch?« fragte der Hofrat.
»Nein, es schüttet.«
»Setz dich und trink eine Tasse Kaffee.«
Sie gehorchte. »Danke dir. Gern, sehr gern. Ich komme nur für einen Augenblick. Wollte nur sagen . . . Also Kinder, von den Wohnungen, die ich angesehen habe, paßt mir keine. Ich habe jetzt eine Sommerwohnung für den Herbst genommen.«
»Das sieht dir ähnlich«, sagte der Hofrat.
»Papa bekommt schon in vierzehn Tagen Urlaub. Wir fahren dann direkt nach Karlsbad und erwarten euch dort, und ihr bleibt bei uns, bis es wieder einrücken heißt.«
»Und vorher?« fragte der Onkel.
»Bevor wir nach Karlsbad fahren, meinst du? Wir haben große Projekte«, erwiderte Eduard. »Wir wollen wandern, wandern! großartige Fußtouren durch unsere Alpenländer unternehmen. Ich treibe mich lange genug in der Heimat meiner Frau herum, sie soll jetzt die meine kennenlernen.«
»Dazu wäre mehr Zeit nötig, als euch zur Verfügung steht.«
»Oh, wir haben Zeit«, sagte Cäcilie, »es ist ja heute erst der zwölfte Juli, und morgen abend«, es klang wie ein unterdrücktes Jauchzen, »grüßen wir schon die Ischler Berge.«
Was bei diesen Worten in dem alten Herrn vorging, bemerkte niemand, nicht einmal sie, die ihn am besten kannte. Sie war dazu viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, war ganz erfüllt von Scham und Reue. Heute der zwölfte Juli! Ihres Vinzenz Geburtstag. Wohl hatte sie im Gebete ihres Entschlafenen besonders liebreich gedacht, aber ohne Beziehung auf diesen doppelt geweihten Trauer- und Feiertag.
»Nach Ischl wollt ihr bei dem Wetter?« brachte der Hofrat mit gequältem Lächeln hervor.
Sie aber schwelgten in Vorfreude, machten die kühnsten Pläne, erstiegen unter tausend Gefahren und Schwierigkeiten die höchsten Berge. Ihre Beschreibungen wurden so schwindelerregend, daß die Mama erklärte, sie nicht länger mit anhören zu können. Sie stand auf und nahm allerseits herzlichen Abschied. Auch Eduard empfahl sich, aber nur für ein paar Stunden. Er wollte die Mama nach Hause bringen und den Papa noch einen Augenblick sehen.
Cäcilie erinnerte den Onkel an sein Versprechen, ihr seine Sammlungen zu zeigen, und als die beiden nun einander im »Heiligtum« gegenübersaßen, ließ der Hofrat den Kunstschatz, den er in vielen Jahren zusammengebracht hatte, vor ihren Augen erstrahlen. Er machte sie aufmerksam auf kleine Bronzen, seltene Denkmünzen, Gemmen und Emails, um die ihn die kaiserliche Schatzkammer beneiden durfte. Cäcilie folgte seinen Erklärungen mit größtem Interesse. Er freute sich an ihrem ernsten Verständnis, würdigte ihr gutes Urteil, ihren Geschmack, ihm schmeichelte ihre Bewunderung der schönen Bücher in den Schränken und die Anteilnahme, mit der sie die Gemälde an den Wänden betrachtete. Ihr Blick glitt suchend umher, sie ließ ihn auf dem Schreibtisch ruhen und fragte endlich:
»Und die arme Tante? Wo ist ihr Bild?«
Er stutzte: »Wen meinst du?«
»Deine Frau« . . . erwiderte sie, betroffen über seinen Ton.
Er schwieg eine Weile. »Hat dir Mama Rosa nicht gesagt«, sprach er dann plötzlich, »daß ich sehr unglücklich in meiner Ehe war?«
»Nein.«
Er ließ sie nicht aus den Augen, er sah ihre Verwirrung: »Von dem, was du jetzt denkst, ist keine Spur. Meine Frau war mir treu.«
»Und trotzdem . . .«
»Und hat mich trotzdem unglücklich gemacht, und ich habe ihr das vergolten.«
»So habt ihr einander nicht liebgehabt?«
»Im Gegenteil. Ich habe sie geliebt bis an ihr Ende. Sie hat mich auch lange sehr geliebt . . . Dann aber, zuletzt . . . mich gehaßt.«
»Das ist fürchterlich.«
»Ja.«
Sein finsterer Ausdruck wurde ihr unheimlich, sie hätte ihn gern von den peinigenden Gedanken, die ihn erfüllten, abgelenkt und wußte nicht, wie das beginnen. Teilnahmslos wollte sie nicht erscheinen und ebensowenig neugierig. So sagte sie denn nur zaghaft und leise:
»Armer Onkel.«
Er sah ihre Ratlosigkeit und fand Vergnügen daran. Sie ein wenig zu quälen, freute ihn, es schmeichelte ihm, daß er die Macht dazu hatte. Jedenfalls gehörte ihm in diesem Augenblick ihr volles Interesse, und er geizte danach, es festzuhalten, sogar um den Preis von ein wenig Selbstachtung. So tat er, was er nie getan hatte, er sprach von seiner Ehe, die ein Kampf gewesen war vom ersten bis zum letzten Tag. Zwei gleichstark entwickelte Individualitäten standen einander gegenüber und rangen um das gleiche Recht, das Recht, sich zu entfalten nach dem eigenen, innersten Gesetz. Und diese Kämpfer waren zwei Liebende, und an ihnen erfüllte sich das Dichterwort: »Wir brannten, doch wir schmolzen nicht.« Den Stunden heißer Zärtlichkeit folgten Tage der Auflehnung, der Empörung: »Sei anders!« verlangte er von ihr, sie von ihm, tadle nicht, wo ich bewundere, und wo ich bete, da spotte nicht . . . Es gab weiche Stunden, in denen die Liebe sprach: »Beuge dich, schmiege dich, verleugne dich.« Und es geschah, aber auf Kosten der inneren Wahrhaftigkeit; es war eine Lüge und der Preis zu hoch, die Lüge rächte sich . . . Immer kleinlicher und häßlicher wurde der Streit. Aus welchen Arsenalen holte sie ihre Waffen! Wie heimtückisch wurden sie geschärft! Ein Nadelstich konnte vergiften wie ein Vipernbiß.
Es ging so weiter, bis die Krankheit kam, deren tödlichen Ausgang die Frau vor sich sah und von der sie nicht geheilt werden wollte. Nur fort, nur fort aus dem unerträglichen Leben wollte sie. Vor dem Manne verheimlichte sie ihre Leiden, und das war nicht schwer. Er war kein Ahner, kein Errater, lebte fest eingesponnen in das Netz seiner Friedlosigkeit, mit Blindheit geschlagen für das Nächste. Andere mußten ihm die Augen öffnen. Und andere waren es auch, die sie in den letzten Tagen ihres Lebens umgaben. Die Krankheit hatte ihr die Kraft der Selbstbeherrschung genommen, er mußte sehen, daß seine Nähe ihr quälend war. Sich fernhalten blieb die einzige Wohltat, die er ihr noch erweisen konnte. Er tat's, er brachte es über sich. In Unfrieden gelebt, entfremdet gestorben. Wer trägt die Schuld? Sie, er, beide? keines?
Er war in seiner Rede immer gedrängter, seine Sätze waren immer kürzer geworden. Manchmal kam es ihm: ›Warum erzähle ich ihr das alles?‹ Dann sah er sie an und – erzählte weiter. Sie hörte ihm mit so gespannter Aufmerksamkeit zu, so voll innigsten Mitgefühls, schüttelte nur manchmal den Kopf und sagte mit leisem, schüchternem Tadel: »Das versteh ich nicht.« Aber auf die Frage: »Wer trägt die Schuld? er? sie? keines?« antwortete sie ernst und durchdrungen: »Keines.«
»Du absolvierst also?« Ein herbes Lächeln überflog sein Gesicht. Die bösen Geister des Unmuts und der Verdrossenheit regten sich. Nun war ihm doch leid, daß er gesprochen hatte, und wieder dachte er selbstquälerisch: ›Wozu? Warum?‹ . . . Eine Erklärung schien ihm nötig, eine Entschuldigung vor ihr und vor sich selbst. »Du solltest nur wissen«, sprach er mit erzwungener Gleichgültigkeit, »warum bei mir kein Bild von meiner Frau zu finden ist.«
Sie erriet, was in ihm vorging. Der alte Mann war ihr ehrwürdig geworden, weil er soviel gelitten hatte: »Bereue nicht, daß du mir dein Vertrauen geschenkt hast.«
»Nein, nein – wenn's auch überflüssig war. Findest du nicht?«
»Gewiß nicht, es ehrt mich ja.«
Er schwieg, vermied, sie anzusehen, hielt die Augen auf ein Fenster gerichtet, an dem die Regentropfen in langen Fäden, lichte Streifen bildend, niederglitten.
Cäcilie geriet wieder in Ratlosigkeit. Sollte sie das Schweigen unterbrechen? Von gleichgültigen Dingen reden war ebenso unmöglich wie ein Zurückkommen auf das frühere Gespräch, und die Stille begann peinlich zu werden.
Da schlug die große Renaissanceuhr auf dem Kamin die Stunde an.
»Sechs Uhr«, sagte die Nichte mechanisch, und der Onkel fragte ungläubig:
»Wirklich, schon sechs Uhr?«
Jawohl, und da kam denn auch Eduard und entschuldigte, wie der Hofrat fand, sehr unnötigerweise sein langes Ausbleiben. Er hatte den Papa zu Hause gefunden und ihn nicht sogleich wieder verlassen können. Ein heller Freudenglanz war bei seinem Eintreten über das Gesicht seiner Frau geflogen. Er schloß sie in die Arme und küßte sie:
»Morgen um diese Stunde sind wir weit fort.«
Zur Partie kamen die drei Herren heute zu früh. Und dann war wieder so ziemlich alles wie gestern und wie es morgen sein wird und übermorgen und alle die armen noch kommenden farblosen Tage im Zeichen der alten Tyrannin Gewohnheit. Das innerhalb der vier Mauern. Und – außerhalb? Der Widerstreit, in dem der Hofrat stand mit seiner Zeit, hatte ihn noch nie mit solcher Bitterkeit erfüllt; er war sich noch nie so entsetzlich einsam vorgekommen.
An der Konversation beim Souper beteiligte er sich zum allgemeinen Erstaunen nur selten und dann ohne die gewohnte Schärfe. Um so eifriger führten die drei Freunde das Redeturnier. Jeder wollte den Preis erringen, die Anerkennung und Bewunderung einer reizenden jungen Frau. Der Professor verteidigte die neue Zeit gegen die Angriffe der beiden anderen Herren und führte seine Sache, wenn auch durchaus nicht immer mit tadellosen Waffen, so geschickt, daß die Gegner sich in ihren Sätteln bedenklich wanken fühlten. In seiner Bestürzung wurde der Major, wie er nachträglich zugab, »massiv«, und der Großindustrielle schleuderte dem Gelehrten im Zorn über eine schlaue und hinterlistige Behauptung die Worte zu:
»Ach was! Verschonen Sie mich! Am Ende hat noch Bakunin recht: ›Alles zerstören und sehen, was nachwachsen wird.‹«
»Zu arg!« stieß Frau Riesel unwillkürlich hervor, und auch Cäcilie wünschte das Ende des Streites herbei.
Sie legte ihre Hand auf die des Onkels, neben dem sie saß. »Ich bitte dich, sprich du, was sagst du zu alledem?«
Er hatte gezuckt bei ihrer Berührung. »Nichts, was dich freuen könnte. Was nachwachsen wird«, wandte er sich an seine erregten Gäste, »ist leicht vorauszusehen. Wenn der Anarchismus über unsere heutige Kultur wie ein wahnsinnig gewordener Dampfpflug über Getreidefelder hinrasen, zermalmen und zerstören, das Unterste zuoberst kehren wird, was für einen Nachwuchs bekommt, der's erlebt, zu sehen? Unendliches Unkraut, saures Gras, und hier und da, spärlich vereinzelt, einen Halm mit einem Ährenbüschel. Da ist ein Keimchen von der Vernichtungswut unerreicht geblieben und treibt nun aus der alten Erde die alte Blüte, die alte Frucht. Ein Sämann wird kommen, die Körner sammeln, den Boden bereiten, vermutlich fern in einem andern Weltteil, und dort . . .«
»Dort«, fiel der Professor ein, »werden nach dem Verlaufe einer langen Zeit wieder unabsehbare Saaten sich dehnen, fruchtschwere Felder wallen, die wieder nach abermals langer, langer Zeit der Rost anfressen und reif machen wird zur vernichtenden Mahd. Und wieder werden gescheite Leute, vielleicht ein Staatsdiener, ein Soldat, ein Kaufherr, ein Bücherwurm, beisammensitzen und Betrachtungen anstellen über den Lauf der Welt.«
»Glaube ich nicht!« rief der Major, »ich glaube an den Fortschritt.«
»Auch ich; von ganzer Seele, aus allen meinen Kräften, ich möchte nicht leben, wenn ich an ihn nicht glauben dürfte«, sagte Cäcilie, und der Major triumphierte, ihm war der Preis des Wortgefechtes – ihre Zustimmung – zugefallen. Der Großindustrielle jedoch fühlte sich gänzlich mißverstanden und grollte.
Es war schwül geworden im Zimmer. Frau Riesel öffnete die Tür der Altane. Der Gelehrte trat hinaus, stellte Wetterbeobachtungen an und verkündete, daß der Regen aufgehört habe, daß schon einige Sterne blinkten und daß es morgen das schönste Reisewetter geben werde.
Die Tarockpartie war vor dem Souper abgeschlossen worden, die Herren empfahlen sich, und der Großindustrielle bedauerte, daß er morgen abend nicht werde kommen können.
»Dann gibt es also keine Partie«, erwiderte der Hofrat trocken, und seine treue Hausdame seufzte im stillen: Das auch noch!
Nun kam der Abschied.
Die jungen Leute nahmen ihn schon heute. Sie wollten morgen mit dem frühesten fortfahren.
»Was heißt das früheste?«
»Schlag sieben Uhr, und du darfst dich durchaus nicht durch uns stören lassen, wir werden abziehen, so leise wie ein Paar Fledermäuse«, sagte Cäcilie, und sie und ihr Mann dankten dem liebsten, besten Onkel auf das wärmste für seine Gastfreundschaft und seine große, große Güte. Sie dankten auch von Herzen der teuren gnädigen Frau. Cäcilie umarmte sie, und Eduard küßte ihr die Hand.
Noch einige Abschiedsworte, Verneigungen, Händedrücke, und der Hofrat und seine Hausdame waren allein.
Er blieb eine Weile unbeweglich und ganz in sich versunken. Sein Mund hatte einen wehmütigen Zug, den Kamilla nicht an ihm gekannt. »Also morgen reisen sie«, sagte er.
»Und das ist gut«, erwiderte sie unhörbar leise.
*
Die Prophezeiung des Gelehrten traf ein, der Sommermorgen war von strahlender Pracht. Zur bestimmten Stunde hielt der Wagen vor dem Tor, und Frau Riesel, in der Toilette ihrer Halbtrauertage, überwachte die sorgfältige Unterbringung der eleganten Reiseeffekten auf dem Kutschbocke.
Das Ehepaar trat aus dem Hause. Er trug zwei Handtaschen, sie das schöne Rosenbukett.
Und nun begrüßte man einander.
»Nein, gnädige Frau, Sie schon da! Das ist doch zuviel! . . .«
»Meine Schuldigkeit«, erwiderte sie gelassen, »aber bitte, sehen Sie nur, wer kommt da? . . .«
Der Hausherr war's, so fein und sorgfältig angetan, als ging's zu einem Feste.
Die jungen Leute überhäuften ihn mit liebevollen Vorwürfen.
»Onkel! So früh aufgestanden und uns zuliebe! Wir sind unglücklich, wir sind beschämt.«
Er versuchte zu scherzen, er verneigte sich tief: »Frau Baronin, ich weiß, was sich gehört.«
»Und ich auch!«
Im nächsten Augenblick fühlte er auf seiner Wange den festen Druck junger, frischer, Gesundheit atmender Lippen.
»Adieu! Adieu!« Sie stieg in den Wagen. Eduard folgte: »Vorwärts!«
Der Hofrat und Frau Riesel blieben vor der Gartentür stehen und blickten den Davonfahrenden nach, die sich erhoben und umgewendet hatten, grüßten und winkten.
Der alte Mann folgte mit den Augen noch eine Weile der Richtung, in der sie entschwunden waren. Dann wandte er sich dem Hause zu. Seine Untergebene folgte. »Die bleibt mir«, spöttelte er, sich selbst zuleide, und bewahrte gegen sie ein feindseliges Schweigen. Die Feinfühlige ging auf in großherzigem Mitleid, verzieh alles, begriff alles, verstand alles – ach, nur zu gut! . . .
Ihr war wie einem Schwan, der einen kleinen Tintenklecks auf dem schneeweißen Gefieder davongetragen hat.
Ihm saß ein Stachel tief im Herzen.
*
Cäcilie sah sich noch einmal nach der Villa um.
»Der Onkel ist unbeschreiblich gut für uns gewesen«, sagte sie zu ihrem Manne. »Unser Besuch hat ihn gefreut, aber wiederzukommen hat er uns nicht eingeladen.«
»Nein, es ist eigentlich merkwürdig, das hat er nicht getan.«
Und sie fuhren mit sonnenhellen Herzen in den sonnenhellen Tag hinaus, den grünen Wäldern und Bergen, den schimmernden Seen, den ehrwürdigen Gletscherriesen munter und unternehmungslustig entgegen; sie blühten in Jugend und Schönheit, und kraft ihrer Liebe und Begeisterung gehörte ihnen die Welt.