Georg Ebers
Eine ägyptische Königstochter Bd. I
Georg Ebers

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Die Nacht war hereingebrochen und die persischen Soldaten standen, da ihr unbefestigtes Lager einen Ueberfall der Feinde befürchten lassen mußte, in Reih' und Glied auf den ihnen angewiesenen Posten. Die Infanteristen lehnten sich an ihre Schilder und Speere, während die Reiter ihre gesattelten und gezäumten Pferde bei den Wachtfeuern hielten. Kambyses ritt an den Schlachtreihen vorüber und begeisterte durch seinen Gruß und Anblick die Schaaren der Streiter(Anm. 108) Schlacht bei Gaugamela. Curtius IV. 14. 12.. Nur das Centrum des Heeres hatte sich noch nicht aufgestellt, denn dieses bestand aus den persischen Leibwachen, den Apfelträgern, Unsterblichen und Verwandten des Königs, welche sich erst zugleich mit ihm den Feinden entgegenzustellen pflegten.

Außerdem waren die kleinasiatischen Griechen auf Befehl des Phanes, statt in die Reihen zu treten, zur Ruhe gegangen. Der Athener wünschte seine Streiter frisch zu erhalten und ließ sie, wenn auch in voller Rüstung, ruhig schlafen, während er selbst für sie wachte. Aristomachus war von den Ioniern mit lautem Jubel empfangen, vom Könige freudig begrüßt worden und sollte mit der einen Hälfte der Hellenen zur Linken des Mitteltreffens kämpfen, während Phanes mit dem andern Theile derselben auf der rechten Seite der Garden zu stehen kam. Der König wollte an der Spitze der zehntausend Unsterblichen, denen das blau-roth-goldene Reichsbanner und die Fahne des Kawe voranwehte(Anm. 109) Die Farben des Reichsbanners nach Firdusi. Die Fahne des Kawe bestand aus dem Schurzfelle jenes kühnen Schmieds aus der persischen Mythe, der zum Aufstande gegen den bösen Zohak rief und dem Feridun half, den grausamen Verwüster des Reichs zu stürzen., die Schlacht leiten, Bartja sollte das persische Gardereiterregiment (tausend Mann) und die ganz bepanzerte Kavallerie führen.

Krösus befehligte eine Abtheilung des Heeres, welche das Lager, die in ihm befindlichen unermeßlichen Schätze, die Weiber der Großen, die Mutter und Schwester des Königs zu bewachen hatte.

Als sich der leuchtende Mithra zeigte, und die finsteren Geister der Nacht sich in ihre Höhlen verbargen, wurde das heilige Feuer, welches dem Heere von Babylon aus vorangetragen worden war, zu riesenhafter Größe angefacht und von den Magiern und dem Könige mit kostbaren Wohlgerüchen gespeist. Dann verrichtete Kambyses das Opfer und flehte mit hoch erhobener, goldener Schale um Sieg und Ruhm. Hierauf gab er den Persern das Losungswort: »Auramazda, Helfer und Führer«, und stellte sich an die Spitze seiner Garden, deren Tiaren mit Kränzen geziert waren. Auch die Hellenen verrichteten ihre Opfer und jubelten laut, als die Priester verkündeten, daß die Vorzeichen Sieg versprächen. »Hebe« lautete ihre Parole(Anm. 110) Nach den Beschreibungen von griechisch-persischen Schlachten bei verschiedenen alten Autoren. In der Schlacht bei Mykale hieß das Losungswort der Griechen »Hebe«. Herod. IX. 98..

Indessen hatten auch die ägyptischen Priester mit Opfer und Gebet den Morgen begonnen und sich dann in Schlachtordnung aufgestellt.

Dem Mitteltreffen gegenüber hielt Psamtik, der nunmehrige König, auf einem goldenen Fuhrwerke mit Bogenhaltern von demselben Metalle. Seine Rosse waren mit purpurnen Decken und goldenen Schabracken geschmückt und trugen Straußenfedern auf den stolzen Häuptern. Sein Wagenlenker entstammte der vornehmsten ägyptischen Familie(Anm. 111) Daß die Wagenlenker vornehme Leute waren, ergibt sich aus der Art und Weise, in der die Könige mit ihnen verkehren. S. das Bild des Ramses und seines Wagenlenkers zu Theben. Wilkinson I. 338. In dem sogenannten Gedichte des Pentaur, dem in mehreren Exemplaren erhaltenen Nationalepos der Aegypter, wird der Pharao als in nahem Verhältnisse zu seinem Rosselenker stehend dargestellt. Zudem besitzen wir im Papyrus Anastasi III. eine Schilderung der Leiden, die ein junger ägyptischer Wagenkämpfer zu bestehen hat. Wir sehen ihn eine Militärschule besuchen und, nachdem er diese verlassen, vom Pharao, der sie ihm eigenhändig übergibt, aus dem königlichen Stalle seine Pferde erhalten. So konnte doch nur mit auserwählten Jünglingen verfahren werden. und stand, Zügel und Peitsche führend, zur Linken seines die Doppelkrone von Ober- und Unterägypten tragenden Gebieters.

Zur Linken des Centrums sollten die hellenischen und karischen Söldner kämpfen. Die Reiterei stand an den äußersten Enden der beiden Flügel des Heeres, während die ägyptischen und äthiopischen Fußvölker sich zur Rechten und Linken der Wagenkämpfer und Hellenen in sechsfachen Gliedern ordneten.

Psamtik fuhr ermuthigend und grüßend an den Reihen der Seinen vorüber und hielt endlich vor den Hellenen still, um sie folgendermaßen anzureden: »Ich freue mich, ihr Helden, deren Waffenthaten mir von Cypern und Libyen her wohl bekannt sind, daß ich diesmal euren Ruhm theilen und neue Siegeskränze auf euer Haupt setzen darf! Fürchtet nicht, daß ich, wenn wir unsere Feinde bezwingen, eure Freiheiten schmälern werde. Verleumder haben euch in's Ohr geraunt, solchen Undanks von mir gewärtig zu sein; ich aber versichere euch, daß ich euch und eure Nachkommen, wenn wir siegen, in jeder Weise begünstigen und die Stützen meines Thrones nennen will! Bedenkt auch, daß ihr heute nicht allein für mich, sondern auch für die Freiheit eurer fernen Heimath kämpfen werdet. Ist es doch leicht zu ermessen, daß sich Kambyses, wenn er Herr von Ägypten werden sollte, nicht zufrieden geben, sondern vielmehr seine begehrliche Hand nach dem schönen Hellas und seinen Inseln ausstrecken wird. Ich brauche euch nur daran zu erinnern, daß diese zwischen Aegypten und euren asiatischen Brüdern, welche jetzt schon unter dem Perserjoche als Knechte seufzen, gelegen sind. Euer Zuruf beweist mir, daß ihr mir Recht gebt; ich bitte euch aber, mir noch einen Augenblick Gehör zu schenken, denn es ist meine Pflicht, euch den Mann zu nennen, welcher nicht nur Aegypten, sondern auch seine eigene Heimath für ungeheure Schätze an den Großkönig von Persien verkauft hat. Phanes heißt jener Mann! – Ihr dürft nicht murren, denn ich schwöre euch, daß eben dieser Phanes das Gold des Kambyses angenommen und demselben versprochen hat, ihm nicht nur den Weg nach Aegypten, sondern auch die Pforte eures heimischen Mutterlandes zu öffnen. Dieser Mann kennt Land und Leute und ist mit Gold für Alles zu erkaufen. Seht ihr, wie er dort neben dem Könige einhergeht, wie er sich vor ihm in den Staub wirft? Ist das ein Hellene? Scheint mir's doch, als hätt' ich einst vernommen, die Griechen fielen nur vor ihren Göttern nieder! Aber freilich, wer sein Vaterland verkauft, der hört auf, ein Bürger desselben zu sein! Ihr stimmt mir zu? Ihr gebt mir Recht? Ihr verschmäht es, den Schandbuben euren Landsmann zu nennen? – Wohl denn, so will ich die Tochter des Elenden, welche ich als Geißel zurückbehalten mußte, und die der Habsüchtige mit seiner Heimath verkaufte, euch überantworten. Macht mit dem Kinde eines Schurken, was ihr wollt. Schmückt es mit Rosen, fallt vor ihm nieder; vergeßt aber nicht, daß es jenem Manne angehört, der den Namen ›Hellene‹ beschimpfte, der euch, der sein Vaterland verrieth!«

Die also Angeredeten brachen in ein wüthendes Geschrei aus und nahmen das zitternde Kind in Empfang. Ein Soldat hob das unglückliche Mägdlein auf und hielt es seinem Vater, der es deutlich erkennen konnte, weil er von den Söldnern nur durch die Entfernung eines Bogenschusses getrennt war, entgegen. Zu gleicher Zeit rief ein Aegypter, welcher sich später durch seine laute Stimme berühmt machte(Anm. 112) Herod. IV. 141., dem Erbebenden zu: »Gib Acht, Athener, wie man hier zu Lande käufliche Verräther straft!« Dann ergriff ein Karer den Mischkrug, dessen vom Könige gespendeter Inhalt ihn und seine Waffenbrüder berauscht hatte, tauchte sein Schwert in die Brust des Kindes, ließ das unschuldige Blut desselben in das eherne Gefäß rinnen, füllte einen Becher mit dem gräßlichen Tranke und leerte ihn, als bringe er das Wohl des versteinert dastehenden Vaters aus. Wie die Unsinnigen fielen die anderen Söldner über den Mischkrug her und schlürften, gleich wilden Thieren, den mit Blut besudelten Rebensaft(Anm. 113) Diese furchtbare That erzählt Herod. III. 11..

In diesem Augenblicke schoß Psamtik trinmphirend den ersten Pfeil auf die Perser ab.

Die Söldner warfen die Leiche des Kindes zu Boden, stimmten, trunken von dem genossenen Blute, den Schlachtgesang an und eilten ihren ägyptischen Streitgenossen weit voraus in den Kampf.

Aber auch die Reihen der Perser setzten sich jetzt in Bewegung und Phanes stürzte sich, rasend vor Schmerz und Wuth, begleitet von seinen über die schändliche Barbarei ihrer Landsleute entrüsteten Schwerbewaffneten, auf dieselben Männer, deren Liebe er durch zehnjährige treue Führung verdient zu haben glaubte.

Als die Sonne in der Mittagshöhe stand, schien sich das Glück der Waffen den Aegyptern zuwenden zu wollen; als das Tagesgestirn unterging, waren die Perser im Vortheil; als sich der volle Mond am Himmel zeigte, verließen die Aegypter in wilder Flucht das Schlachtfeld und kamen entweder in den pelusinischen Sümpfen und dem sie durchfluthenden Nilarme in ihrem Rücken oder von asiatischen Schwertern erschlagen, für die Freiheit ihres Vaterlandes kämpfend, um.

Zwanzigtausend Perser und fünfzigtausend Aegypter bedeckten mit ihren Leichen den blutigen Staub des Meerstrandes, während die Verwundeten, Ertrunkenen und Gefangenen kaum zu zählen waren(Anm. 114) Herod. III. 12. Ktesias, Pers. 9. Die Sieger verlieren im Altertum stets unendlich viel weniger Leute, als die Geschlagenen. Aehnlich, aber nicht so ungünstig für die Besiegten stellt sich das Verhältniß noch heute. Wir erinnern an unsere letzten Feldzüge.. Psamtik hatte zu den letzten der Fliehenden gehört und auf dem Rücken eines edlen Rosses, leicht verwundet, das rettende jenseitige Ufer des Nils erreicht, um mit wenigen Tausenden seiner Getreuen nach Memphis, der wohlbefestigten Pyramidenstadt, zu enteilen.

Von den hellenischen Söldnern in ägyptischen Diensten waren wenige übrig geblieben, so furchtbar hatte der racheschnaubende Phanes mit seinen Ioniern in ihren Reihen gewüthet. Zehntausend Karer geriethen in persische Gefangenschaft. Den Mörder seines Kindes schlug der Athener mit eigenen Händen zu Boden.

Auch Aristomachus hatte, trotz seines hölzernen Beines, Wunder der Tapferkeit verrichtet. Dennoch war es ihm eben so wenig, als seinen Genossen in der Rache, gelungen, des Psamtik habhaft zu werden.

Als die Schlacht entschieden war und die Perser mit lautem Jubel zum Lager zurückkehrten, wurden sie von Krösus, den zurückgebliebnen Priestern und Soldaten empfangen und feierten mit Opfern und Gebeten den ruhmreichen Sieg.

Am andern Morgen rief der König alle Heerführer zusammen und vertheilte an sie je nach ihren Verdiensten Ehrenzeichen, als da sind: kostbare Kleider, goldene Ketten, Ringe, Säbel und Sterne von edlem Gestein(Anm. 115) Herod. III. 130. VIII. 118. Xenoph. Cyrop. VIII. 3., während er Gold- und Silbermünzen unter die Soldaten auswerfen ließ.

Der Hauptangriff der Aegypter hatte sich gegen das Mitteltreffen der Perser, an dessen Spitze der König kämpfte, so nachdrücklich gerichtet, daß die Garden schon zu weichen anfingen, als Bartja mit seinen Reitern rechtzeitig eintraf, die Wankenden mit neuem Muthe beseelte und endlich, wie ein Löwe fechtend, den Ausgang des Tages durch seine Tapferkeit und Schnelligkeit entschied.

Die Perser jubelten dem Jünglinge entgegen und nannten ihn laut den »Sieger von Pelusium« und »den Besten der Achämeniden«.

Diese Rufe kamen dem Könige zu Ohren und erfüllten ihn mit tiefem Groll. Er war sich bewußt, mit Aufopferung seines Lebens, wahrem Heldenmuthe und der Kraft eines Riesen gekämpft zu haben, und die Schlacht wäre dennoch verloren gewesen, wenn ihm dieser Knabe nicht den Sieg geschenkt haben würde. Sein Bruder, der ihm das Glück der Liebe verkümmert hatte, nahm ihm jetzt die Hälfte seines Kriegsruhms. Kambyses fühlte deutlich, daß er Bartja hasse, und seine Fäuste ballten sich, als er des jungen, von edlem Selbstbewußtsein strahlenden Helden ansichtig wurde.

Phanes weilte verwundet in seinem Zelte, und neben ihm ruhte der verröchelnde Aristomachus.

»Das Orakel hat dennoch gelogen,« murmelte der Spartaner. »Ich sterbe und sehe die Heimath niemals wieder!«

»Es redete die Wahrheit!« gab Phanes zurück. »Wie lauteten die letzten Worte der Pythia?

›Führt Dich der zaudernde Kahn hinab zu jenem Gefilde,
Welches dem irrenden Fuß heimischen Frieden gewährt!‹

»Verkennst Du den Sinn dieser Worte? – Sie meinen den zaudernden Kahn des Charon, der Dich zur letzten Heimath, dem großen Ruheplatz aller Wanderer, dem Reiche des Hades, befördern soll!«

»Ja, Du hast Recht, mein Freund, es geht zum Hades!«

»Und die richtende Fünf, die Ephoren, haben Dir vor dem Tode, was sie Dir lange versagt, d. h. die Rückkehr nach Lacedämon, gestattet. Auch mußt Du den Göttern, die Dir solche Söhne und Rache an Deinen Feinden schenkten, dankbar sein. Ich werde, wenn ich genesen bin, nach Hellas reisen und Deinem Sohne mittheilen, sein Vater sei, eines ruhmvollen Todes sterbend, auf seinem Schilde vom Schlachtfelde in das Grab getragen worden.«

»Thue das und übergib ihm meinen Schild, den er als Andenken an seinen alten Vater aufbewahren soll. Ich habe nicht nöthig, ihn zur Tugend zu ermahnen.«

»Soll ich Psamtik, wenn wir ihn gefangen haben werden, mittheilen, was Du zu seinem Sturze beigetragen?«

»Nein; er sah mich, bevor er floh, und ließ vor Schreck über den unerwarteten Anblick den Bogen fallen. Seine Freunde hielten dies für ein Zeichen zur Flucht und wandten ihre Rosse.«

»Die Götter verderben den Frevler durch seine eigenen Schandthaten. Psamtik verlor den Muth, als er glauben mußte, daß selbst die Geister aus der Unterwelt gegen ihn kämpften.«

»Er hatte mit den Sterblichen genug zu thun! Die Perser haben gut gekämpft. Dennoch wäre ohne die Garden und uns die Schlacht verloren gewesen!«

»Ganz gewiß!«

»Zeus Lacedämonius, ich danke Dir!«

»Du betest?«

»Ich preise die Götter, denn sie lassen mich ohne Sorge für unser Vaterland scheiden. Diese zusammengewürfelten Massen sind der hellenischen Heimath nicht gefährlich. – Heda, Arzt! Wann werde ich sterben?«

Der Heilkünstler von Milet, welcher die dem persischen Heerbanne folgenden kleinasiatischen Griechen nach Aegypten begleitet hatte, lächelte schmerzlich und sagte, auf die Pfeilspitze, welche in der Brust des Spartaners steckte, weisend. »Nur noch wenige Stunden darfst Du das Tageslicht schauen. Sobald ich das Geschoß aus Deiner Wunde entfernen würde, müßtest Du den Geist aufgeben!«

Der Spartaner dankte dem Arzte, sagte Phanes Lebewohl, bat ihn, Rhodopis zu grüßen, und zog, ehe er daran verhindert werden konnte, mit sicherer Hand den Pfeil aus seiner Brust. Wenige Augenblicke später war Aristomachus gestorben.

Selbigen Tages fuhr eine persische Gesandtschaft auf einem lesbischen Fahrzeuge nach Memphis, um den König aufzufordern, sich und die Stadt auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Kambyses folgte ihr, nachdem er eine Abtheilung des Heeres unter Megabyzus zur Einnahme von Sais abgeschickt hatte.

In Heliopolis kamen ihm Gesandtschaften der hellenischen Bewohner von Naukratis und der Libyer, welche ihn um Schutz und Frieden baten, mit einem goldenen Kranze und reichen Geschenken entgegen. Er nahm sie gnädig auf und verhieß ihnen seine Freundschaft; die Gesandten von Cyrene und Barka wies er aber zornig ab und warf ihren Tribut, fünfhundert Silberminen12,500 Rthlr. Herod. III, 3., welcher ihm verächtlich klein erschien, mit eigenen Händen unter die Soldaten aus.

An demselben Orte kam ihm auch die Nachricht zu, daß die Memphiten bei der Ankunft seiner Gesandtschaft schaarenweis herbeigeströmt wären, das Schiff in den Grund gebohrt und seine Fahrgäste, ohne Unterschied, wie rohes Fleisch in Stücke gerissen und in die Festung geschleift hätten(Anm. 116) Herod. III. 13.. Kambyses rief, sobald er dies gehört hatte, zornig aus: »So sollen denn, beim Mithra, für jeden dieser gemordeten Männer zehn Bewohner von Memphis zu Tode gehen!« – Zwei Tage später hielt er mit seinem Heere vor den Thoren der Riesenstadt. Die Belagerung derselben dauerte nur kurze Zeit, denn die Besatzung war viel zu klein für die Größe des Platzes und die Bürgerschaft entmuthigt von der furchtbaren pelusinischen Niederlage.

König Psamtik selbst zog dem Könige mit seinen vornehmsten Hofbeamten entgegen. Der unglückliche Mann erschien in zerrissenen Kleidern und hatte alle Zeichen der Trauer angelegt. Kambyses empfing ihn mit kaltem Schweigen und befahl, ihn sammt seinem Gefolge festzunehmen und abzuführen. Die Wittwe des Amasis, Ladice, welche gleichfalls erschienen war, wurde mit Rücksicht behandelt, und auf Verwenden des Phanes, gegen den sie sich immer huldreich bewiesen hatte, unter sicherer Bedeckung in ihre Heimath Cyrene zurückgeschickt, woselbst sie bis zum Sturze ihres Neffen Arkesilaus III. und der Flucht ihrer Schwester Pheretime verblieb. Dann siedelte sie nach Anthylla, der ihr in Aegypten gehörenden Stadt, über(Anm. 117) Nach Athen. I. 25 gehörte Anthylla der jedesmaligen Königin. Ueber Cyrene und Arkesilaus Herod. IV. 163–165., lebte dort still und einsam und starb in hohem Alter.

Kambyses verschmähte es, den an ihm verübten Betrug an einem Weibe zu rächen, und hatte als Perser zu viel Ehrfurcht vor einer Mutter, besonders aber vor der Mutter eines Königs, um der Wittwe des Amasis ein Leid anzuthun.

Psamtik verweilte, in fürstlichen Räumen und fürstlich bedient, unter strenger Bewachung im Palaste der Pharaonen, während Kambyses die Residenzstadt Sais belagerte und einnahm.

Unter den vornehmen Aegyptern, welche das Volk zum Widerstande aufgereizt hatten, nahm Neithotep, der Oberpriester der Neith, den ersten Platz ein und wurde mit hundert seiner unglücklichen Mitschuldigen zu schwerer Gefangenschaft nach Memphis geschickt. Der größte Theil der Hofbeamten des Pharao brachte dagegen zu Sais dem Kambyses freiwillig seine Huldigung dar, gab ihm den Namen Ramestu, d. i. Kind der Sonne, und veranlaßte ihn, sich förmlich als König von Ober- und Unterägypten krönen und nach alter Sitte in die Priesterkaste aufnehmen zu lassen. Kambyses ließ sich das Alles auf den Rath des Phanes und Krösus, wenn auch widerwillig, gefallen; ja er opferte sogar im Tempel der Neith und ließ sich von dem neuen Oberpriester der Göttin einen flüchtigen Einblick in das Wesen der Mysterien geben. Einige der alten Höflinge zog er in seine Nähe, viele Verwaltungsbeamte beförderte er auf hohe Posten; der Admiral der Nilflotte des Amasis verstand es sogar, sich seine Gunst zu erwerben und sich zum Tischgenossen ernennen zu lassen(Anm. 118) Eine naophore Statue im Gregor. Museum des Vatikans führt eine Inschrift, welche von dem Aufenthalte des Kambyses zu Sais in der im Texte mitgetheilten Weise Kunde gibt. Er verfuhr dort milde, ordnete sich, wohl um seine Stellung als legitimer Pharao zu befestigen, den Wünschen der Priesterschaft unter, ließ sich sogar in die Mysterien einweihen und trug für den Tempel der Neith besondere Fürsorge. Auch seine Annahme des ägyptischen Namens Ramestu wird von der Statue bestätigt. E. de Rougé, Mémoire sur la statuette naophore du musée Grégorien, au Vatican. Revue archéol. 1851.. Als Kambyses endlich die Stadt verließ, bestellte er Megabyzus zum Gouverneur derselben. Kaum hatte aber der König Sais verlassen, als das niedere Volk seinem verhaltenen Groll Luft machte, persische Wachtposten meuchlings ermordete, Brunnen vergiftete und die Ställe der Reiterei in Brand steckte. Megabyzus begab sich nach diesen Vorfällen zum Könige und stellte ihm vor, daß solche Feindseligkeit, wenn sie nicht durch Furcht niedergehalten werde, leicht zum offenen Aufstande führen könne. »Laß,« so sagte er, »die zweitausend vornehmen Jünglinge von Memphis, die Du, zur Strafe für die Ermordung unserer Gesandtschaft, zum Tode bestimmt hast, unverzüglich hinrichten. Auch kann es nicht schaden, wenn Du den Sohn des Psamtik, um den sich die Empörer einstmals schaaren werden, zu den Verurtheilten gesellst. Die Töchter des früheren Königs und des Oberpriesters Neithotep müssen, wie ich höre, für die Bäder des edlen Phanes Wasser tragen.«

Der Athener lächelte bei diesen Worten und sagte: »Kambyses, mein Herr, hat mir auf meine Bitte so vornehme Dienerinnen zu halten gestattet.«

»Dir aber verboten,« fügte Kambyses hinzu, »das Leben irgend eines Mitgliedes des gestürzten Herrscherhauses zu gefährden. Nur ein König darf Könige bestrafen!«

Phanes verneigte sich; Kambyses aber wandte sich wiederum an Megabyzus und befahl ihm, die Hinrichtung der Verurteilten am folgenden Tage als warnendes Beispiel vollziehen zu lassen. Ueber das Schicksal des Königssohnes wollte er später eine Entscheidung fällen; derselbe sollte aber jedenfalls mit den anderen Verurtheilten zum Richtplatze geführt werden. »Man muß sehen,« rief er, »daß wir der Feindseligkeit mit Strenge zu begegnen wissen!«

Als Krösus sich erlaubte, um Gnade für den unschuldigen Knaben zu bitten, lächelte Kambyses und sagte: »Sei ruhig, alter Freund, das Kind ist noch am Leben und wird es vielleicht nicht schlimmer bei uns haben, als Dein Sohn, der bei Pelusium so wacker kämpfte! Uebrigens möcht' ich wissen, ob Psamtik sein Schicksal gefaßt und männlich, wie Du vor fünfundzwanzig Jahren, zu tragen versteht!«

»Das käme auf einen Versuch an!« sagte Phanes. »Laß den König in den Schloßhof treten und die Gefangenen und Verurteilten an ihm vorüberführen, dann wird sich erweisen, ob er ein Mann ist oder ein Feigling.«

»So sei es!« rief Kambyses. »Ich werbe mich verbergen und ihn ungesehen beobachten. Du begleitest mich, Phanes, und nennst mir den Namen und Stand der einzelnen Gefangenen.«

Am Morgen des nächsten Tages begab sich der Athener mit dem Könige auf den Altan, welcher den riesengroßen, mit Bäumen bepflanzten Schloßhof umgab. Dichtes Blumengebüsch verbarg die Lauscher, welche jede Bewegung der Menschen unter ihnen erkennen und jedes ihrer Worte verstehen konnten. Psamtik stand, von einigen seiner früheren Genossen umgeben, an einen Palmenbaum gelehnt und schaute finster zu Boden, während seine Tochter mit dem Kinde Neithotep's und anderen Jungfrauen in Sklavenkleidern, gefüllte Wasserkannen tragend, in den Hof schritten. Sobald die Mädchen den König erblickten, erhoben sie ein lautes Klagegeschrei, welches Psamtik aus seinen Träumen weckte. Nachdem er die Jammernden erkannt hatte, beugte er sein Antlitz zur Erde nieder, richtete sich aber bald wieder auf und fragte seine älteste Tochter, für wen sie das Wasser trage? Als er vernommen hatte, daß sie Phanes Sklavendienste leisten müsse, erbleichte er, nickte mit dem Kopfe und rief den Mädchen zu: »Geht!«

Wenige Minuten später traten die Gefangenen, mit Stricken am Halse und Zäumen im Munde, von persischen Wachen geführt, in den Hof(Anm. 119) Diese Angabe des Herod. III. 14 wird durch die Denkmäler bestätigt, auf denen wir häufig Gefangene mit Stricken um den Hals einherführen sehen. Die ganze folgende Begebenheit ist derselben Stelle des Herodot entlehnt.. Dem Zuge voran ging der kleine Necho, welcher seinem Vater die Händchen entgegenstreckte und ihn bat, daß er die fremden, bösen Menschen, die ihn tödten wollten, bestrafen möge. Die Aegypter weinten bei diesen Worten vor übergroßem Schmerz; Psamtik aber beugte sich abermals thränenlos tief zur Erde nieder und winkte dann dem weinenden Knaben mit der Hand ein letztes Lebewohl entgegen.

Kurze Zeit darauf traten die zu Sais Gefangenen durch die Pforte. Unter ihnen befand sich der greise Neithotep. Der frühere Oberpriester war in Lumpen gekleidet und schlich an einem Stabe mühsam vorwärts. Am Thore des Hofes schlug er die Augen auf und erblickte Darius, seinen einstigen Schüler. Alsogleich ging er, ohne sich um seine Umgebung zu kümmern, auf ihn zu, klagte dem Jünglinge seine Noth, bat ihn, ihm zu helfen, und flehte ihn endlich um ein Almosen an.

Darius that seine Hand auf und veranlaßte dadurch die anderen Achämeniden, welche in seiner Nähe standen, den Alten scherzend anzurufen und ihm kleine Münzenstücke zuzuwerfen, die er mühsam und dankend von der Erde auflas.

Sobald Psamtik dies erblickte, weinte er laut, rief den Namen seines Freundes klagend aus und schlug sich mit der Hand vor die Stirn.

Kambyses wunderte sich, als er dieses sah, zertheilte die Blumen, trat an die Brüstung des Altans und rief dem Unglücklichen zu: »Sage mir, Du seltsamer Mensch, warum Du beim Anblicke Deiner unglückseligen Tochter und Deines in den Tod gehenden Sohnes nicht gejammert und geweint, einem Bettler aber, der nicht einmal mit Dir verwandt sein soll, so große Teilnahme erwiesen hast?«

Psamtik schaute zu seinem Besieger hinauf und antwortete: »Meines Hauses Unglück, Sohn des Cyrus, war für Thränen zu groß; das Ungemach eines Freundes aber, der im Greisenalter vom angesehensten, glücklichsten Manne zum elenden Bettler wurde, durfte ich beweinen!«

Kambyses nickte dem Unglücklichen beifällig zu und bemerkte, als er sich umschaute, daß nicht allein in seinem Auge eine Thräne schwamm. Krösus, Bartja und alle anwesenden Perser, ja sogar Phanes, der den beiden Königen als Dolmetscher gedient hatte, weinten laut.

Der stolze Sieger sah diese Thränen gern und sagte, sich dem Athener zuwendend: »Ich meine, hellenischer Freund, daß die uns zugefügte Unbill gerochen ist. Steh' auf, Psamtik, und suche Dich, wie dieser edle Greis (dabei zeigte er auf Krösus), an Dein neues Schicksal zu gewöhnen. Der Betrug Deines Vaters ist an Dir und Deinem Hause gestraft worden. Dieselbe Krone, welche Amasis der Tochter des Hophra, meiner unvergeßlichen Gattin, raubte, habe ich von Deinem Haupte gerissen. Um Nitetis willen begann ich diesen Krieg; jetzt schenke ich Deinem Sohne das Leben, weil sie ihn liebte. Ungekränkt magst Du von nun ab als Tischgenosse an unserem Hofe leben und die Ehren meiner Großen theilen. Hole den Knaben, Gyges! Er soll, wie Du vor Jahren, mit den Söhnen der Achämeniden erzogen werden!«

Der Lyder eilte, um diesen erfreulichen Auftrag auszurichten, der Thür des Altanes zu; Phanes aber rief ihn, ehe er sie erreichen konnte, zurück, stellte sich in stolzer Haltung zwischen den König und den vor Wonne bebenden Psamtik und sprach: »Dein Gang, edler Lyder, würde vergebens sein; Necho, der Sohn des Psamtik, ist nicht mehr! Deinem Befehle trotzend, mein Herrscher, hab' ich die Vollmacht, welche Du mir einst gegeben, benutzt, um dem Henker aufzutragen, den Enkel des Amasis als ersten von allen Gefangenen hinzurichten. Jener Hörnerton, den ihr vernommen haben werdet, gab Kunde von dem Tode des letzten am Nil geborenen Thronerben von Aegypten. Ich kenne mein Geschick, Kambyses, und bitte nicht um ein Leben, dessen Ziel erreicht ist. Auch Deinen vorwurfsvollen Blick, o Krösus, verstehe ich. Du beklagst die gemordeten Kinder; das Leben ist aber ein solches Gewebe von Jammer und Enttäuschungen, daß ich mit Deinem Warner Solon Denjenigen für den Glücklichsten halte, dem die Götter, wie einst dem Kleobis und Biton(Anm. 120) Krösus hatte dem Solon seine Schätze gezeigt und ihn dann, in der Hoffnung, seinen eigenen Namen zu vernehmen, gefragt, wen er für den Glücklichsten halte. Der Weise nannte zuerst den Tellus, einen ruhmreichen Bürger von Athen, – dann die Brüder Kleobis und Biton. Diese schönen Jünglinge, welche auch den Preis im Ringspiele davongetragen hatten, zogen ihre Mutter, als die Zugthiere nicht zur rechten Zeit vom Felde kamen, im Angesichte des ganzen Volkes in den weit entfernten Tempel. Die Männer von Argos priesen die Stärke der Söhne, die Frauen ihre Mutter, der solche Kinder zu Theil geworden waren. Die Mutter nun, entzückt über die That und das Lob ihrer Söhne, stellte sich vor das Bild der Göttin und betete, sie möchte ihnen das Beste geben, was einem Menschen werden könnte. Nach diesem Gebet und dem Opfer schliefen die Jünglinge ein und erwachten nicht wieder, denn sie waren gestorben. Herodot I. 31. Cicero, Tuscul. I. 47., einen frühen Tod bescheren. Gestatte mir, wenn ich Dir jemals werth war, wenn mein Rath Dir je zum Heile gereicht, o Kambyses, als letzte Gnade, nur noch wenige Worte reden zu dürfen. Du, Psamtik, weißt, was uns entzweite. Ihr, an deren Achtung mir gelegen ist, sollt es jetzt Alle erfahren. Ich bin von dem Vater dieses Mannes an seiner Stelle zum Befehlshaber der gegen Cypern gesandten Gruppen ernannt worden und errang große Erfolge, wo er Demütigungen erntete; ich wurde ohne meinen Willen zum Mitwisser eines, seine Ansprüche auf den Thron gefährdenden Geheimnisses; ich verhinderte ihn endlich, eine tugendhafte Jungfrau aus dem Hause ihrer Ahne, einer allen Hellenen ehrwürdigen Greisin, zu rauben. – Das ist es, was er mir nicht verzeihen konnte, was ihn bewog, mich, als ich die Dienste seines Vaters verlassen mußte, zum Kampf auf Tod und Leben herauszufordern. Jetzt ist der Streit entschieden. Du hast meine unschuldigen Kinder morden und mich selbst, gleich einem schädlichen Thiere, hetzen lassen; das ist Deine ganze Rache! Ich habe Dich Deines Thrones beraubt und Dich und Dein Volk zu Knechten gemacht. Ich habe Deine Tochter meine Sklavin genannt, habe Deinen Sohn verbluten lassen und mit angesehen,. wie dieselbe Jungfrau, welche Du verfolgtest, zur glücklichen Gattin eines Helden wurde. Du, Gestürzter, Sinkender, sahest mich zum Reichsten und Mächtigsten meiner Landsleute werden; Du, Unglücklicher, mußtest mich – und das war meine schönste Rache – vor unbezwinglicher Rührung über Dein entsetzliches Schicksal weinen sehen! Wer so, wie ich, das tiefste Elend seines Feindes nur um einen Athemzug überleben darf, den preise ich glücklich gleich den seligen Göttern. Jetzt habe ich nichts mehr zu sagen!« –

Phanes schwieg, die Hand auf seine Wunde pressend. Kambyses schaute ihn staunend an, trat einen Schritt vorwärts und wollte eben den Gürtel des Atheners berühren, eine Handbewegung, welche der Unterzeichnung eines Todesurtheils gleichgekommen wäre(Anm. 121) Der letzte Darius bezeichnete in derselben Weise seinen trefflichen griechischen Feldherrn Memnon, dessen Freimüthigkeit ihn verletzt hatte, als dem Tode verfallen. Derselbe rief, als man ihn abführte, auf den heranrückenden Alexander deutend: »Meinen Werth wird Deine Reue bezeugen: mein Rächer ist nicht fern!« Droysen, Alex. d. Große S. 148. Diod. VII. 30. Curtius III. 2., als seine Blicke auf die Ehrenkette fielen, welche er ihm zum Lohn für die Klugheit, mit der er die Unschuld der Nitetis bewiesen, um den Hals gehängt hatte. Die Erinnerung an das Weib seiner Liebe und den Dank, welchen er dem seltenen Manne für zahllose Dienste schuldete, besänftigte seinen Groll und ließ seine zum Zeichen des Todes erhobene Hand sinken. Während einer Minute stand der strenge Herrscher dem ungehorsamen Freunde zaudernd gegenüber, dann erhob er abermals, einer schnellen Eingebung folgend, seine Rechte und wies mit derselben gebieterisch auf den Ausgang des Hofes hin.

Phanes verneigte sich schweigend, küßte das Gewand des Königs und stieg gemessenen Schrittes in den Hof hinab. Psamtik schaute ihm bebend nach und sprang an die Brüstung des Altans, sank aber, eh' er seine Lippen zu einem Fluche öffnen konnte, kraftlos zusammen.

Kambyses winkte seinem Gefolge und befahl dem Jägermeister, Vorbereitungen zu einer Löwenjagd in den libyschen Bergen zu treffen.


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