Alexander Dumas
Königin Margot. Erster Band
Alexander Dumas

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Die Hand Gottes

Heinrich von Navarra hatte, als er Frau von Sauve verließ, folgendes zu ihr gesagt: »Begeben Sie sich zu Bett, Charlotte, und tun Sie so, als ob Sie schwer erkrankt wären. Sie dürfen auch tagsüber unter gar keinen Umständen jemand empfangen.«

Charlotte folgte, ohne sich über die Ursache der vom König empfohlenen Verhaltungsmaßregel Aufschluß geben zu können. Doch langsam gewöhnte sie sich an seine Verschrobenheiten, wie man heute sagen würde, oder an seine Einbildungen, wie man damals gesagt hat.

Auch wußte sie, daß Heinrich Geheimnisse in seinem Herzen barg, die er niemand mitteilte, daß er Pläne im Kopfe hatte, die er sogar im Traum auszuplaudern fürchtete. Sie fügte sich allen seinen Wünschen, weil sie sicher war, daß auch seine absonderlichsten Einfälle Kopf und Fuß hatten.

An diesem Abend also beklagte sie sich bei Dariole über Kopfschmerzen und Schwindelanfälle. Das waren die Krankheitserscheinungen, die ihr Heinrich anzugeben empfohlen hatte. Am nächsten Tag gab sie vor, aufstehen zu wollen; kaum hatte sie aber den Fuß auf den Boden gesetzt, als sie sich schon über eine allgemeine Schwäche beklagte und sich wieder ins Bett legte.

Diese Erkrankung, von der Heinrich schon dem Herzog von Alençon Mitteilung gemacht hatte, war die erste Neuigkeit, die Katharina erzählt wurde, als sie sich erkundigte, warum die Sauve nicht wie gewöhnlich zur Morgenaufwartung kam.

»Krank!« antwortete die Herzogin von Lothringen, die gerade anwesend war.

»Krank?« wiederholte Katharina, ohne daß nur die geringste Bewegung in ihrem Gesichte verraten hätte, wie sehr sie auf diese Nachricht gespannt gewesen. »Wahrscheinlich müde und faul?«

»Nicht so, Madame, sie klagt über heftigen Kopfschmerz und über eine Schwäche, die sie am Gehen hindert.«

Katharina antwortete nicht. Um ihre Freude zu verbergen, trat sie an das Fenster und erblickte Heinrich von Navarra, der gerade nach seinem Gespräch mit Mouy über den Hof schritt. Sie erhob sich etwas, um besser zu sehen, und gedrückt vom Gewissen, das immer, wenn auch nicht bemerkbar, die Herzen der verstocktesten Verbrecher beunruhigt, fragte sie den Kapitän ihrer Garde: »Hat es nicht den Anschein, als ob mein Sohn Heinrich heute morgen viel blässer aussieht, als es sonst der Fall ist?«

Davon war nicht die Rede; Heinrich war zwar mit seinen Gedanken sehr beschäftigt, sonst aber frisch und munter.

Allmählich entfernten sich die Personen, die beim Aufstehen der Königin, wie gewöhnlich, anwesend gewesen waren. Drei oder vier vertrautere Persönlichkeiten blieben zurück, doch Katharina wurde ungeduldig und verabschiedete sie, weil sie allein zu bleiben wünschte.

Als der letzte Höfling verschwunden war, sperrte Katharina die Tür hinter ihm ab und ging auf einen Schrank zu, der in einer Wandfüllung ihres Zimmers verborgen war. Sie schob die Tür in eine Spalte des Holzgetäfels zurück und entnahm dem Schrank ein Buch, dessen zerknitterte Blätter auf häufigen Gebrauch schließen ließen.

Dann legte sie das Buch auf einen Tisch, schlug die Seite auf, in der sich ein Buchzeichen befand, stützte sich mit dem Ellbogen auf dem Tisch und legte den Kopf in die Hand.

»Es stimmt auffallend,« murmelte sie vor sich hin, »Kopfschmerz, allgemeine Schwäche, Brennen der Augen, geschwollener Gaumen! Bisher hat man zwar nur von den Kopfschmerzen und von der Schwäche gesprochen . . . die anderen Erscheinungen werden aber nicht lange auf sich warten lassen.«

Sie las weiter: »Die Entzündung geht dann auch auf die Kehle über, zieht den Magen in Mitleidenschaft, umgibt das Herz mit ihrem Feuer, das Gehirn birst, als ob sich Pulver in ihm entladen hätte.«

Sie überlas diese Zeilen noch einmal und fuhr dann mit halblauter Stimme fort: »Für das Fieber sechs Stunden, für die allgemeine Entzündung zwölf Stunden, für den Brand zwölf Stunden, für den Todeskampf sechs Stunden, im ganzen sechsunddreißig Stunden . . . jetzt nehmen wir an, daß die Aufsaugung langsamer vor sich geht, als das Verschlucken, und statt sechsunddreißig Stunden werden wir auf vierzig, vielleicht auf achtundvierzig Stunden kommen. Ja, achtundvierzig Stunden müssen unbedingt genügen! Doch er, Heinrich, wieso kommt es, daß er noch auf ist? Vielleicht weil er ein Mann ist, von kräftiger Verfassung ist und möglicherweise nach der Umarmung etwas getrunken und sich nachher gleich die Lippen gereinigt hat?«

Mit Ungeduld erwartete Katharina die Stunde des Mittagmahles, denn Heinrich war täglich beim König zu Tisch geladen. Er kam auch, beklagte sich seinerseits ebenfalls über stechenden Kopfschmerz, aß fast gar nichts und zog sich gleich nach der Mahlzeit zurück, indem er vorgab, in der vergangenen Nacht lange wach gewesen zu sein und darum ein dringendes Schlafbedürfnis zu haben.

Katharina hörte, wie er sich wankenden Schrittes entfernte und schickte ihm jemand nach. Man meldete ihr dann, daß der König von Navarra in die Wohnung der Frau von Sauve gegangen wäre.

»Heinrich,« sagte sie sich, »wird vielleicht an diesem Abend das Werk des Todes bei ihr vollenden, das ein unglücklicher Zufall unvollständig gelassen hat.«

Der König von Navarra war wirklich zu Frau von Sauve gegangen, doch nur um ihr zu sagen, daß sie ihre Rolle weiterspielen müsse.

Am nächsten Tage verließ Heinrich sein Zimmer während des ganzen Vormittages nicht und erschien auch nicht zur Mahlzeit beim König. Von Frau von Sauve erzählte man, daß es ihr immerfort schlechter gehe, und das Gerücht von der Erkrankung Heinrichs, für dessen Verbreitung Katharina gesorgt hatte, beschäftigte die Menschen, wie eine jener Vorahnungen, deren Ursache niemand kennt, die aber trotzdem in der Luft liegen.

Katharina zollte sich Beifall. Schon vor Tagesanbruch hatte sie Ambrosius Paré fortgeschickt, der einem Lieblingsdiener in Saint-Germain ärztliche Hilfe leisten sollte.

Der Arzt, der also zu Frau von Sauve und zu Heinrich gerufen werden sollte, mußte unbedingt ein ihr ergebener Mann sein. Der würde nur das sagen, was sie ihm zu sagen befahl. Wenn sich aber gegen alle Erwartung doch ein anderer Arzt in diese Angelegenheit mischen sollte, wenn die Feststellung einer Vergiftung den Hof, wie schon früher so oft, in Schrecken versetzen sollte, dann hoffte sie sich die Eifersucht Margaretes infolge der Liebschaften ihres Gatten nutzbar zu machen. Wie erinnerlich, hatte sie diese Eifersucht, die schon in mancher Beziehung Aufsehen erregt hatte, zufällig unter anderem bei jener Wallfahrt zum blühenden Weißdorn ausdrücklich betont. In Anwesenheit mehrerer Personen hatte sie damals Margarete laut gefragt: »Sie sind also sehr eifersüchtig, Margarete?«

Sie erwartete also mit einer einstudierten Miene den Augenblick, in dem sich die Tür öffnen würde, irgendein dienstbarer Geist blaß und entsetzt hereinstürzen würde, um zu schreien: »Majestät, der König von Navarra ist im Sterben und Frau von Sauve ist tot!«

Es schlug vier Uhr nachmittags. Katharina hatte ihr Vesperbrot bei ihrem Vogelhaus eingenommen und zerkrümelte ein Stück Zwieback für einige seltene Vögel, die sie mit eigener Hand zu füttern pflegte. Obgleich ihr Antlitz, wie immer, ruhig und fast trübsinnig aussah, klopfte ihr Herz beim geringsten Geräusch sehr heftig.

Plötzlich öffnete sich die Tür.

»Madame,« meldete der Kapitän, der Garde, »der König von Navarra ist . . .«

»Krank?« unterbrach Katharina lebhaft.

»Nein, Madame, Gott sei Dank! Seine Majestät scheinen sich sehr wohl zu befinden.«

»Was wollen Sie also sagen?«

»Daß der König von Navarra hier ist!«

»Was will er von mir?«

»Er bringt Eurer Majestät einen kleinen Affen von besonders seltener Gattung.«

In dem Augenblick trat schon Heinrich ein. Er trug einen Korb in der einen Hand und liebkoste mit der anderen einen Seidenaffen, der in dem Behältnis lag.

Der König lächelte beim Eintreten und schien ganz mit dem kleinen, herzigen Tier beschäftigt zu sein, das er brachte. Trotz dieser scheinbaren Aufmerksamkeit, vergaß er aber nicht den ersten forschenden Blick, der ihn in den schwierigsten Lagen immer genügend aufklärte. Katharina war sehr blaß und diese Blässe nahm in dem Maß zu, als sie auf den Wangen des näher kommenden jungen Mannes das Rot der Gesundheit strahlen sah. Dieser Anblick brachte die Königin-Mutter aus der Fassung. Sie empfing maschinenmäßig das Geschenk aus der Hand Heinrichs, wurde verlegen und sagte ihm eine Artigkeit über sein gutes Aussehen.

»Ich bin umso mehr erfreut, mein Sohn, Sie bei so gutem Wohlbefinden zu sehen, als man mir berichtete, daß Sie krank seien, und wenn ich mich recht erinnere, so beklagten Sie sich auch in meiner Anwesenheit über ein Unwohlsein. Doch jetzt verstehe ich alles,« fügte sie bei und zwang sich zu einem Lächeln, »die Krankheit war ein Vorwand, um sich ein wenig frei zu machen.«

»Ich war wirklich recht krank, Madame,« antwortete Heinrich, »doch ein in unseren Bergen gebräuchliches Heilmittel, das ich noch von meiner Mutter her habe, hat mein Unwohlsein behoben.«

»Ah, da müssen Sie mir die Anweisung für diese Arznei angeben, nicht wahr, Heinrich?« meinte Katharina, und sie lächelte diesmal wirklich, aber mit einem Hohn, den sie nicht verstellen konnte.

Und später sagte sie sich: »Vermutlich ein Gegengift! Wir werden darauf Bedacht nehmen müssen oder besser auch nicht. Als er Frau von Sauve erkranken sah, wird er mißtrauisch geworden sein. Wahrhaftig! Man möchte glauben, daß die Hand Gottes diesen Mann schützt.«

Ungeduldig erwartete Katharina die Nacht. Frau von Sauve erschien nicht. Während des Spieles fragte sie nach Neuigkeiten. Man erzählte ihr, daß Frau von Sauve von Stunde zu Stunde leidender würde.

Den ganzen Abend über war sie äußerst unruhig und man fragte sich mit Bangen, was für Gedanken dieses sonst so unbewegliche Gesicht beeinflussen mochten.

Alles zog sich zurück. Katharina ließ sich von ihren Kammerfrauen entkleiden und zu Bett bringen. Als der ganze Louvre schlafen gegangen war, erhob sie sich und warf einen langen, schwarzen Schlafrock über. Dann nahm sie eine Lampe, suchte aus allen ihren Schlüsseln denjenigen heraus, der die Wohnung der Frau von Sauve öffnete und begab sich zu ihrer Hofdame.

Heinrich hatte diesen Besuch vorhergesehen. War er bei sich beschäftigt, war er irgendwo verborgen? . . . Immerhin die junge Frau war allein.

Mit Vorsicht öffnete Katharina die Tür, ging dann durch das Vorzimmer, trat in das Empfangszimmer ein, stellte die Lampe auf einen Tisch, weil bei der Kranken ein Nachtlicht brannte, und schlich sich dann, wie ein Schatten in das Schlafzimmer.

Dariole schlief, ausgestreckt in einem breiten Lehnstuhl, neben dem Bett ihrer Herrin.

Dieses Bett war gänzlich verhängt.

Das Atmen der jungen Frau war so leicht, daß Katharina einen Augenblick lang glaubte, daß sie überhaupt nicht mehr atme.

Endlich hörte sie ein leichtes Seufzen. Mit bösartiger Freude begann sie die Bettvorhänge beiseite zu schieben, um endlich selbst die Wirkung des furchtbaren Giftes feststellen zu können. Sie zitterte schon im voraus vor dem Augenblick der fahlen Blässe oder der Röte eines verzehrenden Fiebers, den sie zu haben hoffte. Doch statt dessen schlief die schöne junge Frau und lächelte im Schlafe. Ruhig, die Augen verdeckt von zarten, weißen Lidern, mit rosigem, halboffenem Mund, die Wange angelehnt an einen wohlgerundeten Arm, während der andere, frisch und glänzend, wie Perlmutter, ausgestreckt auf der karmesinroten Bettdecke lag, so bot sich Frau von Sauve den Augen Katharinas dar. Zweifellos ließ ein reizender Traum dieses Lächeln auf ihren Lippen aufblühen und malte auf den Wangen das Rot eines behaglichen, ungestörten Wohlbefindens.

Katharina konnte sich nicht enthalten, einen Ruf des Staunens auszustoßen, der Dariole für einen Augenblick erwachen ließ.

Die Königin-Mutter warf sich rasch hinter die Vorhänge des Bettes zurück.

Dariole öffnete die Augen, doch vom Schlaf übermannt, versuchte sie gar nicht, benommen wie sie war, nach der Ursache des Erwachens zu forschen, ließ wieder die schweren Augenlider sinken und schlief ein.

Katharina kam hinter den Vorhängen hervor und ließ ihren Blick im Zimmer umherschweifen. Auf einem kleinen Tische stand ein Fläschchen spanischen Weins, Früchte, gezuckerte Bäckereien und zwei Gläser. Heinrich mußte also bei der Baronin zu Abend gespeist haben und die befand sich augenscheinlich ebenso wohl wie er selbst.

Alsbald ging die Königin-Mutter auf den Spiegeltisch der Frau von Sauve zu und nahm die kleine Silberdose in die Hand, die um ein Drittel geleert war. Es war genau dieselbe oder sie war zum mindesten der Dose, die sie Charlotte hatte zukommen lassen, auf ein Haar ähnlich. Sie entnahm mit der Spitze einer goldenen Nadel dem Inhalt der Dose ein Teilchen von der Größe einer Perle, kehrte in ihre Wohnung zurück und hielt die Salbe dem kleinen Affen hin, den ihr Heinrich geschenkt hatte. Angelockt durch den Wohlgeruch, verschlang das Tier gierig den Brocken, rollte sich wieder in seine Kissen ein und schlief. Katharina wartete eine Viertelstunde.

»Mit der Hälfte dessen, was dieses Tier zu sich genommen, ist mein Hund Brutus sofort angeschwollen und war in einer Minute verreckt. Man hat mir einen Streich gespielt! War es René? René, das ist ganz unmöglich! Also muß es Heinrich gewesen sein. O Verhängnis! Das steht fest: weil er einmal herrschen muß, so darf er nicht sterben. Doch vielleicht ist nur das Gift unwirksam? Das werden wir sehen, wenn wir es mit Stahl und Eisen versucht haben werden.«

So sprach Katharina, legte sich nieder und quälte sich mit neuen Gedanken, die scheinbar schon am nächsten Morgen einen fertigen Plan gezeitigt hatten, denn an diesem Morgen rief sie den Kapitän ihrer Garde und übergab ihm einen Brief. Sie befahl ihm, das Schreiben an die in der Anschrift bezeichnete Person gelangen zu lassen und es dieser persönlich und selbst einzuhändigen.

Die Anschrift trug den Namen des Herrn Louvier von Maurevel, Kommandanten der Petardenabteilung des Königs, Straße de la Cerisaie, nächst dem Arsenal.

 


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