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Der Herzog von Guise geleitete seine Schwägerin, die Herzogin von Nevers, in seinen Palast, der in der Straße von Chaume, gegenüber der Straße von Brac, gelegen war, und suchte, nachdem er sie ihren Dienerinnen überantwortet hatte, seine eigenen Gemächer auf. Hier wechselte er sein Gewand, warf sich einen Abendmantel um die Schultern und bewaffnete sich mit einem jener kurzen und spitzigen Dolche, die damals die verläßlichsten Helfer der Edelleute waren, sobald sie keinen Degen bei sich hatten. Doch in dem Augenblick, als er den Dolch vom Tische nahm, bemerkte er ein Briefchen, das zwischen der Klinge und Scheide der Waffe eingeklemmt war.
Er öffnete es und las: »Ich hoffe wohl, daß der Herzog von Guise in dieser Nacht nicht mehr in den Louvre zurückkehren werde. Sollte er dies dennoch tun wollen, dann hoffe ich, daß er wenigstens vorsichtig genug sei, sich mit einem Panzerhemd zu gürten und einen braven Degen an die Seite zu schnallen.«
»Da sieh mal her!« sagte der Herzog und wandte sich zu seinem Kammerdiener um, »das ist ja eine ganz merkwürdige Warnung, Meister Robin. Wollen Sie mir vielleicht freundlichst berichten, wer alles in meiner Abwesenheit das Zimmer hier betreten hat?«
»Ein einziger Mensch, gnädigster Herr!«
»Wer das?«
»Herr von Gast.«
»Ah! Ich glaubte diese Schriftzüge gleich richtig zu erkennen! Bist du sicher, daß es Herr von Gast war? Hast du ihn selbst gesehen?«
»Mehr noch, gnädiger Herr, ich habe sogar mit ihm gesprochen!«
»Gut so. Ich werde seinem Rat folgen. Meinen Panzer und Degen!«
Der Kammerdiener, an derlei rasche Umkleidungen längst gewöhnt, brachte gleich beides herbei. Der Herzog nahm die Panzerjacke um. Sie war aus so geschmeidigen Ketten verfertigt, daß das Stahlgeflecht nicht viel unbequemer zu tragen war, als ein Wams aus schwerem Samt. Hierauf zog er darüber Strumpfhosen und ein grausilbernes Wams an, denn Grau und Silber waren seine Lieblingsfarben. Lange Stiefel, deren Schäfte bis an die Mitte der Schenkel reichten, ein Barett aus schwarzem Samt ohne Feder und Edelsteinschmuck und ein Mantel von dunkler Farbe vervollständigten seinen Anzug. Nachdem er noch einen Dolch in den Gürtel gesteckt und seinen Degen einem Pagen, dem einzigen Begleiter, überreicht hatte, machte er sich auf den Weg zum Louvre.
Als er den Fuß auf die Schwelle des Palastes setzte, rief der Wächter von Saint-Germain-l'Auxerrois gerade die erste Morgenstunde aus.
So sehr die Nacht auch vorgerückt war und so sehr zu diesen Zeiten auch die Straßen unsicher waren, dem abenteuerlustigen Prinzen begegnete nichts auf dem Wege, heil und gesund erreichte er den riesenhaften Bau des alten Louvre. Allmählich waren in diesem alle Lichter erstorben, ungeheuerlich und schweigend richtete sich in dieser finstern Stunde die Steinmasse vor dem Schreitenden auf.
Vor dem königlichen Schloß zog sich ein tiefer Graben hin, nach dieser Seite lagen größtenteils die Gemächer der Prinzen, die im Schloß wohnten. Die Wohnung der Königin von Navarra war im ersten Stock gelegen.
Dieser erste Stock, der ohne den Graben zugänglich gewesen wäre, befand sich aber infolge dieser Verschanzung etwa dreißig Fuß über dem Boden, war daher für Liebhaber und Diebe schwer zu erreichen. Dies hinderte jedoch den Herzog von Guise keineswegs, entschlossen in den Graben hinabzusteigen. Im gleichen Augenblick öffnete sich geräuschvoll ein Fenster des Erdgeschosses. Das Fenster war vergittert, doch eine Hand hob eine Gitterstange, die zu dem Zweck schon aus dem Mauerwerk gelöst war, heraus und ließ durch die Öffnung eine Seidenschnur herabpendeln.
»Sind Sie es, Gillonne?« fragte der Herzog mit leiser Stimme.
»Jawohl, gnädigster Herr!« entgegnete eine Frau mit noch dumpferen Lauten.
»Und Margarete?«
»Sie erwartet Euch!«
»Gut!«
Der Herzog gab seinem Pagen ein Zeichen und der zog aus seinem Mantel eine zierliche Strickleiter und entrollte sie. Das eine Ende der Leiter wurde nun vom Herzog an die herabhängende Seidenschnur geknüpft. Gillonne zog die Schnur zu sich herauf und befestigte dann die Strickleiter an dem Fenstergitter. Der Prinz schnallte seinen Degen um und begann zu klettern. Ohne Unfall erreichte er sein Ziel. Hinter ihm verschloß sich wieder der Riegel und das Fenster. Der Page aber, der seinen Herrn schon an die zwanzigmal zum gleichen Ziel begleitet hatte, hüllte sich, nachdem er den Herzog so unangefochten in den Louvre steigen gesehen, in seinen Mantel und legte sich auf einem Heuhaufen im Graben, im Schatten des Walls, zur Ruhe.
Die Nacht war finster, von Zeit zu Zeit fielen breite, lauwarme Tropfen aus den Wolken nieder, der Himmel schien mit Schwefeldämpfen und Elektrizität übersättigt zu sein.
Der Herzog von Guise folgte seiner Führerin, die keine geringere war, als die Tochter des Jacques von Matignon des Marschalls von Frankreich. Sie war eine besondere Vertraute der Königin Margarete und man behauptete, daß es unter den vielen Geheimnissen, die sie in unwandelbarer Treue zu wahren wußte, auch schreckliche gab, und daß gerade diese sie zwangen, auch harmlosere zu verschweigen.
Kein Licht erhellte die Vorzimmer und die Gänge des Schlosses, zeitweise nur erleuchtete für einen Augenblick ein fahler Blitz die finsteren Gemächer in bläulichem Widerschein.
An der Hand seiner Führerin erreichte der Herzog endlich eine Wendeltreppe, die in einer Nische der starken Mauern angebracht war und bis an eine geheime und unmerkbare Türe führte, durch die man in das Vorzimmer der Wohnung Margaretes gelangte.
Auch dieses war, wie die Zimmer des Erdgeschosses, in tiefe Finsternis gehüllt. Hier blieb nun Gillonne stehen.
»Haben Sie mitgebracht, was die Königin wünschte?« fragte sie mit leiser Stimme.
»Gewiß!« antwortete der Prinz, »doch will ich es nur der Königin selbst in die Hände legen.«
»Kommen Sie und verlieren Sie nicht einen Augenblick!« ließ sich plötzlich aus der Dunkelheit eine Stimme vernehmen, die den Prinzen erzittern ließ, denn er erkannte die Margaretes. Gleichzeitig hob sich ein mit goldenen Lilien verzierter, veilchenfarbener Vorhang in die Höhe, und der Prinz erkannte im Zwielicht die Gestalt der Königin, die ihm ungeduldig entgegengekommen war.
»Hier bin ich!« begann der Herzog und schritt rasch unter dem Vorhang durch, der sich hinter ihm sofort wieder schloß.
Jetzt übernahm wieder Margarete von Valois die Führung des Prinzen bis zu den Gemächern, die ihm übrigens gut bekannt waren, während Gillonne bei der Türe blieb und mit dem Finger am Munde der königlichen Herrin das Zeichen verläßlicher Wachsamkeit gab.
Als ob sie die eifersüchtige Unruhe des Herzogs wohl begriffen hätte, führte sie ihn bis in ihr Schlafgemach und blieb erst in diesem stehen.
»Nun also?« sagte sie ihm. »Sind Sie jetzt zufrieden, Herzog?«
»Zufrieden?« staunte er. »Ich bitte mir zu sagen, worüber ich zufrieden sein soll?«
»Über den Beweis, den ich Ihnen erbringe,« antwortete Margarete mit dem Unterton eines leichten Unwillens, »den Beweis, daß ich einem Mann angehöre, der sich nicht einmal die Mühe nimmt, am Abend seiner Vermählung, in der Hochzeitsnacht, zu mir zu kommen, um mir für die Ehre zu danken, nicht, daß ich ihn erwählt, sondern, daß ich ihn als Gatten angenommen habe!«
»Oh! Madame,« meinte traurig der Herzog, »beruhigen Sie sich . . . er wird kommen . . . besonders dann, wenn Sie es wünschen!«
»Das müssen Sie mir sagen, Heinrich,« rief Margarete aus, »Sie, der unter allen anderen gerade vom Gegenteil überzeugt sein sollte! Wenn ich den Wunsch, den Sie mir da aufdrängen, gehabt hätte, würde ich Sie dann wohl gebeten haben, hierher zu mir in den Louvre zu kommen?«
»Sie haben mich nur darum in den Louvre gebeten, Margarete, weil Sie alle Spuren unserer Vergangenheit löschen wollen und weil schließlich diese Vergangenheit nicht nur in meinem Herzen, sondern auch in dem silbernen Kästchen lebt, das ich Ihnen zu Füßen lege.«
»Darf ich Ihnen etwas sagen, Heinrich?« erwiderte Margarete und sah den Herzog verwundert an, »Sie machen nicht mehr den Eindruck eines Prinzen auf mich, sondern den eines Schülers! Ich sollte leugnen, daß ich Sie geliebt habe! Ich sollte eine Flamme verlöschen, die vielleicht sterben muß, deren Widerschein aber niemals vergehen wird! Denn die Liebesgeschichten von Personen meines Ranges erleuchten, ja, kennzeichnen oft das ganze Zeitalter, in dem sie gelebt haben! Nein, nein, mein Herzog, Sie können die Briefe Ihrer Margarete behalten und auch das Kästchen, das sie Ihnen geschenkt hat. Von allen Briefen, die darin aufgehoben sind, verlangt sie nur einen einzigen zurück und zwar deshalb, weil sein Inhalt für Sie genau so gefährlich ist wie für Margarete von Valois!«
»Alles gehört Ihnen,« sagte der Herzog, »suchen Sie demnach den Brief heraus, den Sie vernichten wollen.«
Margarete wühlte lebhaft den Inhalt des offenen Kästchens durch und mit zitternder Hand erfaßte sie nacheinander ein Dutzend Briefe. Sie begnügte sich damit, die Anschriften zu besehen, so, als ob diese allein schon ihrem Gedächtnis den Inhalt der Briefe verraten könnten. Doch nach beendigter Durchsuchung sah sie den Herzog erbleichend an: »Mein Herr,« sagte sie, »der Brief, den ich suche, fehlt! Sollten Sie ihn zufällig verloren haben? Denn, was seine Übergabe betrifft . . .«
»Welchen Brief suchen Sie, Madame?«
»Den, in welchem ich Ihnen mitteilte, daß Sie sich unverzüglich verheiraten müßten.«
»Um Ihre eigene Treulosigkeit zu entschuldigen?«
Margarete zuckte mit den Schultern.
»Nein, aber um Ihnen das Leben zu retten! Den Brief will ich, in welchem ich Ihnen schrieb, daß der König unsere Liebe erkannt hatte, zugleich aber auch alle meine Bemühungen, Ihre voraussichtliche Verbindung mit der Infantin von Portugal zu hintertreiben. Er ließ damals seinen Bruder, den Bastard von Angoulême, zu sich rufen, zeigte auf zwei bereitgehaltene Degen und soll folgendes gesagt haben: ›Mit diesem wirst du noch heute abend Heinrich von Guise töten oder ich töte ihn morgen mit dem anderen!‹ Wo ist nun dieser Brief?«
»Hier!« sagte der Herzog von Guise und zog ihn aus seiner Brust hervor.
Margarete entriß ihm förmlich das Schreiben, öffnete es begierig und überzeugte sich davon, daß es das gesuchte war. Sie schrie freudig auf und hielt es an die Kerzenflamme. Das Feuer sprang vom Docht auf das Papier und verzehrte es sofort vollständig. Dann trat Margarete noch auf die herabgefallene Asche, als ob sie fürchten müßte, daß irgendwer in diesen Resten nach der unvorsichtigen Warnung suchen könnte. Der Herzog von Guise hatte die fieberhafte Handlungsweise seiner Geliebten ruhig verfolgt.
»Also, Margarete?« sagte er, als die Vernichtung beendigt war, »sind Sie jetzt vollkommen zufrieden?«
»Ja, denn jetzt, da Sie die Prinzessin von Porcian geheiratet haben, wird mir mein Bruder Ihre Liebe verzeihen. Niemals aber hätte er mir die Entdeckung eines Geheimnisses verzeihen können, das ich Ihnen aus Liebe und Schwäche verraten habe.«
»Das ist wahr,« sagte der Herzog von Guise, »damals liebten Sie mich wirklich!«
»Und ich liebe Sie noch immer, Heinrich, geradeso und mehr als je!«
»Sie . . .?«
»Ja, ich! Denn nie habe ich einen treuen und ergebenen Freund mehr gebraucht als heute . . . ich, eine Königin ohne Thron, eine Frau ohne Mann.«
Traurig ließ die junge Prinzessin den Kopf auf die Brust sinken.
»Und muß ich es Ihnen wiederholen, Heinrich, daß mein Gatte mich nicht nur nicht liebt, sondern daß er mich haßt, daß er mich verachtet! Im übrigen ist Ihre Gegenwart in dem Zimmer, in dem er weilen sollte, Beweis genug für seinen Haß und seine Mißachtung.«
»Es ist noch nicht spät, Madame, und der König von Navarra mußte sich die Zeit nehmen, seine Kavaliere zu verabschieden; wenn er bis jetzt nicht gekommen ist, wird er gewiß nicht säumen, bald zu kommen.
»Ich sage Ihnen aber,« rief Margarete mit wachsendem Unwillen, »ich sage Ihnen, daß er nicht kommen wird!«
»Madame,« schrie Gillonne, während sie die Tür öffnete und den Vorhang hob, »der König von Navarra verläßt seine Wohnung!«
»Oh, ich wußte es doch bestimmt, daß er kommen würde!« rief der Herzog von Guise.
»Heinrich,« sagte Margarete kurz und nahm den Herzog bei der Hand, »Heinrich, Sie sollen nun sehen, ob ich eine Frau bin, die ihr Wort hält, und ob man sich auf mich verlassen kann. Heinrich, treten Sie in dieses kleine Zimmer ein!«
»Lassen Sie mich gehen, Madame, wenn es noch Zeit ist, denn bedenken Sie: Bei dem ersten Zeichen der Liebe, das er Ihnen gibt, stürze ich heraus, und dann wehe ihm!«
»Sie sind verrückt! Treten Sie ein, sage ich Ihnen, treten Sie ein, ich verantworte alles!«
Sie drängte den Herzog in das kleine Nebenzimmer.
Es war hohe Zeit. Kaum hatte sich die Tür hinter dem Herzog geschlossen, als der König von Navarra lächelnd auf der Schwelle des Gemaches erschien. Zwei Pagen mit achtarmigen Kronleuchtern und Kerzen aus gelbem Wachs begleiteten ihn.
Durch eine tiefe Verbeugung verbarg Margarete ihre augenblickliche Verwirrung.
»Wie, Madame, Sie sind noch nicht zu Bett?« fragte der Bearner mit seiner offenherzigen und belustigten Miene, »sollten Sie mich etwa erwartet haben?«
»Nein, mein Herr,« antwortete Margarete, »denn gestern noch sagten Sie mir, daß Sie unsere Heirat nur für eine politische Mache hielten und daß Sie mir darum niemals Zwang antun würden.«
»Ganz richtig! Doch das soll uns nicht hindern, ein wenig miteinander zu plaudern. Gillonne, schließen Sie die Tür und lassen Sie uns allein!«
Margarete erhob sich von ihrem Lehnstuhl und streckte die Hand nach den Pagen aus, als ob sie ihnen befehlen wollte, zu bleiben.
»Soll ich Ihre Hofdamen rufen lassen?« fragte der König, »das soll sofort geschehen, wenn Sie es wünschen, obgleich ich Ihnen gestehen muß, daß die Sachen, die wir miteinander zu besprechen haben, besser unter uns bleiben sollten!«
Der König ging auf die Tür des kleinen Nebenzimmers zu.
»Nein!« rief Margarete und stellte sich ihm mit einer gewissen Heftigkeit entgegen, »nein, das ist unnötig, denn ich bin bereit, Sie anzuhören.«
Der Bearner wußte nun, was er wissen wollte. Er warf einen raschen und bedeutungsvollen Blick zum Zimmer hinüber, als wollte er, trotz des deckenden Vorhanges, sein Inneres erforschen. Dann sah er wieder seine schöne Gattin an, die bleich und ängstlich vor ihm stand.
»In dem Fall, Madame,« meinte er mit vollkommen ruhiger Stimme, »plaudern wir gleich ein Weilchen.«
»Wie Eure Majestät belieben,« sagte die junge Frau und fiel fast auf den Stuhl, den ihr der königliche Gatte anwies.
Der Bearner setzte sich nahe zu ihr hin.
»Madame,« begann er, »obwohl es die Leute schon gesagt haben, so glaube ich selbst auch, daß unsere Ehe gut ist. Ich bin Ihnen gut und auch Sie sind mir wohlgesinnt.«
»Aber . . .« fiel Margarete erschrocken ein.
»Infolgedessen,« fuhr dir König von Navarra fort und schien das Zögern Margaretes gar nicht zu beachten, »müssen wir wie zwei gute Verbündete zusammenarbeiten, haben wir uns doch heute vor Gott feste Treue geschworen! Ist das nicht auch Ihre Meinung?«
»Zweifellos, mein Herr.«
»Ich weiß, Madame, wie groß Ihr Scharfsinn ist, ich weiß auch, daß der Boden dieses Hofes viel lauernde Abgründe birgt . . . nun aber bin ich noch jung, habe nie jemandem ein Leid angetan und besitze trotzdem eine Unmenge von Feinden. In welches Lager, Madame, darf ich diejenige einreihen, die meinen Namen trägt und die mir zu Füßen des Altars Zuneigung geschworen hat?«
»Oh, mein Herr, könnten Sie glauben . . .«
»Ich glaube nichts, Madame, ich hoffe nur und will mich davon überzeugen, daß meine Hoffnung begründet ist. Es ist doch gewiß, daß unsere Heirat nur ein Vorwand oder gar eine Falle ist.«
Margarete erzitterte, denn der gleiche Gedanke war ihr vielleicht auch schon gekommen.
»Also welches von den zwei Lagern?« begann Heinrich von Navarra von neuem, »der König haßt mich, der Herzog von Anjou desgleichen, es haßt mich der Herzog von Alençon und Katharina von Medici hat meine arme Mutter zu sehr gehaßt, um mich nicht selbst auch zu hassen.«
»Oh, mein Herr, wie können Sie so etwas sagen?«
»Das ist die pure Wahrheit, Madame,« meinte der König, »und weil ich nicht willens bin, die Leute glauben zu lassen, daß ich der Ermordung des Herrn von Mouy und der Vergiftung meiner Mutter ganz harmlos gegenüberstehe, möchte ich hier jemand finden, der mich hören und verstehen könnte!«
»Ach, mein Herr,« sagte Margarete lebhaft und in möglichst ruhiger und freundlicher Haltung, »Sie wissen wohl, daß außer uns beiden sich niemand hier befindet.«
»Das ist ja gerade das, worauf ich mich verlasse, und darum will ich Ihnen auch gestehen, daß mich weder das Haus Frankreich, noch das Haus Lothringen mit seinen falschen Liebenswürdigkeiten zum Narren halten kann.«
»Sire, Sire!« entsetzte sich Margarete.
»Aber was gibt es denn, meine Liebste?« lächelte nun wieder der König.
»Ich will Sie darauf aufmerksam machen, daß es gefährlich ist, eine solche Sprache zu führen.«
»Doch sicherlich nicht, wenn das unter vier Augen geschieht?« meinte der König, »ich sagte Ihnen doch . . .«
Margarete stand sichtlich Höllenqualen aus. Sie hätte jedes Wort aufhalten wollen, das über die Lippen des Bearners kam, doch Heinrich fuhr mit seiner scheinbaren Biederkeit fort: »Ich sagte Ihnen also, daß ich von allen Seiten bedroht war. Erstens durch den König, dann durch den Herzog von Alençon, durch den Herzog von Anjou und durch die Königin-Mutter. Ferner fühlte ich mich durch den Herzog von Guise, durch den Herzog von Mayenne und durch den Kardinal von Lothringen bedroht, mit einem Wort: durch die ganze Welt! Man fühlt das so aus dem Unterbewußtsein heraus, nicht wahr, Madame? Nun gut, gegen alle diese Gefahren, die doch gewiß nächstens Angriffe mit sich bringen werden, kann ich mich nur mit Ihrer Hilfe wappnen, denn Sie werden von allen denen, die mich so hassen, geliebt.«
»Ich!« stammelte Margarete.
»Ja, sehr richtig, Sie!« setzte Heinrich von Navarra mit ausgesprochener Treuherzigkeit fort, »Sie werden von Ihren Brüdern geliebt, vom König Karl, vom –« – und er betonte dieses Wort – »Herzog von Alençon! Die Königin Katharina liebt Sie und endlich liebt Sie auch der Herzog von Guise.«
»Mein Herr . . .« murmelte Margarete.
»Ist das verwunderlich? Es liebt Sie doch die ganze Welt und die, die ich nannte, sind Ihre Brüder, sind Ihre Verwandten. Seine Nächsten zu lieben, bedeutet ein gottgefälliges Leben . . .«
»Wo wollen Sie damit hinaus?« fragte beklommen Margarete.
»Ich will immer wieder auf dasselbe zurückkommen: wenn Sie sich – ich will gerade nicht Ihre Freundschaft beanspruchen – doch immerhin als meine Helferin und Verbündete bekennen, dann kann ich allem Trotz bieten; wenn Sie aber im Gegenteil meine Feindin bleiben, dann bin ich verloren.«
»Oh! Ihre Feindin? Niemals, mein Herr!« lief Margarete.
»Auch niemals meine Freundin?«
»Vielleicht!«
»Und meine Verbündete?«
»Ganz bestimmt!«
Margarete hielt dem König ihre Hand hin.
Heinrich von Navarra küßte sie artig und während er sie mehr aus Begierde, etwas zu erfahren als aus bloßer Zärtlichkeit, länger in seinen beiden Händen festhielt, sagte er: »Ich glaube Ihnen, Madame, und begrüße Sie als meine Verbündete. Man hat uns verheiratet, ohne daß wir uns kannten, ohne daß wir uns liebten, man hat uns überhaupt gar nicht gefragt, uns, die wir uns vermählen sollten. Wir sind uns daher als Gatte und Gattin nichts schuldig. Sie sehen, Madame, daß ich Ihrem Wunsche entgegenkomme und daß ich Ihnen heute bestätige, was ich Ihnen gestern sagte. Doch wir haben uns nun frei von jedem Einfluß verbündet. Wir verbünden uns mit aufrichtigem Herzen, wie zwei Menschen, die eines gegenseitigen Schutzes bedürfen. Verstehen Sie mich so recht?«
»Ja, mein Herr!« erwiderte Margarete und versuchte ihre Hand zurückzuziehen.
»Gut!« sagte der Bearner und hielt seinen Blick unverwandt auf die Tür des kleinen Nebenzimmers gerichtet. »Da die erste Probe eines ehrlichen Bündnisses auf einem unbegrenzten Vertrauen beruht, will ich Ihnen den Plan und seine geheimsten Einzelheiten übermitteln, den ich mir zur erfolgreichen Bekämpfung meiner Feinde zusammengeschmiedet habe.«
»Mein Herr . . .« flüsterte Margarete, und ohne zu wollen, richtete auch sie ihren Blick zur Tür des Nebenzimmers hin. Der Bearner, der seine List gelingen sah, lächelte in seinen Bart hinein.
»Folgendes also will ich tun . . .« begann er, ohne die Verwirrung der jungen Frau bemerken zu wollen, »ich werde . . .«
»Mein Herr!« rief Margarete, indem sie sich rasch erhob und den König beim Arm faßte, »erlauben Sie, daß ich Atem hole . . . die Aufregung . . . die Hitze . . . ich ersticke . . .!«
Tatsächlich wurde die junge Frau blaß und zitterte so, als müßte sie in jedem Augenblick auf den Teppich hinsinken.
Heinrich eilte rasch an ein erreichbares Fenster und öffnete es. Das Fenster ging zum Fluß hinaus.
Margarete folgte ihm ebenso schnell.
»Ruhig, ruhig, Sire, Ihretwillen Ruhe!« murmelte sie.
»Madame,« meinte der Bearner und lächelte auf seine Art, »sagten Sie mir nicht früher, daß wir ganz unter uns seien?«
»Gewiß, mein Herr, doch haben Sie noch nie gehört, daß man mit Hilfe eines in der Zimmerdecke oder in der Mauer eingefügten Sprachrohres alles zu vernehmen vermag?«
»Selbstverständlich, Madame!« sagte der Bearner lebhaft, doch mit unterdrückter Stimme, ». . . Sie lieben mich nicht . . . das steht wohl fest, aber Sie sind eine ehrliche, aufrichtige Frau!«
»Was wollen Sie damit sagen, mein Herr?«
»Ich will damit sagen, daß Sie, wenn Sie eines Verrates fähig wären, mich einfach hätten weiterreden lassen können, da ich mich dann selbst verraten hätte. Sie haben mich aber unterbrochen. Jetzt weiß ich es gewiß, daß sich jemand hier verborgen hält, und ebenso gewiß, daß Sie wohl eine untreue Frau, aber eine umso treuere Verbündete sind. Allerdings muß ich gestehen,« und der Bearner lächelte vor sich hin, »daß mir in diesem Augenblick die Treue in Staatsangelegenheiten mehr wert ist, als die Treue aus Liebe . . .«
»Sire . . .« murmelte Margarete verwirrt.
»Ja, ja, wir wollen von diesen Dingen später reden,« begütigte Heinrich, »später, wenn wir uns besser kennen gelernt haben.«
Dann erhob er seine Stimme: »Nun, hat sich Ihr Atem jetzt schon beruhigt?«
»Ja, Sire, ja!« hauchte Margarete.
»Dann will ich Ihnen nicht länger lästig fallen. Ich bin Ihnen Hochachtung schuldig, ebenso muß ich Sie guter Freundschaft versichern. Wollen Sie beides so entgegennehmen, wie ich es Ihnen aufrichtigst anbiete, von ganzem Herzen! Und nun angenehme Ruhe und gute Nacht!«
Margarete warf ihrem Gatten einen dankbaren Blick zu und reichte ihm die Hand.
»Abgemacht!« sagte sie.
»Ein politisches Bündnis, freimütig und aufrichtig?« fragte Heinrich.
»Freimütig und aufrichtig!« antwortete die Königin.
Hierauf schritt der Bearner gegen die Türe und zwang Margarete mit den Augen, ihm zu folgen. Und als der Vorhang sich zwischen ihnen und dem Schlafzimmer gesenkt hatte, sagte er herzlich, doch mit leiser Stimme: »Ich danke, Margarete, ich danke! Sie sind eine wahre Tochter Frankreichs. Ich scheide beruhigt. In Ermanglung Ihrer Liebe wird mich Ihre Freundschaft behüten. Ich baue auf Sie, wie Sie auch jederzeit auf meine Hilfe rechnen können. Adieu, Madame.«
Heinrich von Navarra küßte die Hand seiner Frau und drückte sie zärtlich. Dann kehrte er mit leichten Schritten in seine Wohnung zurück und führte auf dem Wege ein gedankenvolles Selbstgespräch.
»Wer, Teufel, ist wohl bei ihr? Der König etwa? Der Herzog von Anjou, der Herzog von Alençon? Oder Heinrich von Guise? Ist es ein Bruder oder Liebhaber, der eine oder der andere? Wahrhaftig, jetzt ärgert es mich fast, der Baronin von Sauve ein Stelldichein gegeben zu haben! Doch da ich ihr mein Wort verpfändet habe und Dariole auf mich wartet . . . was liegt denn daran! Ein wenig Zeit verliert sie allerdings, das fürchte ich, weil ich meinen Weg zu ihr über das Schlafzimmer meiner Frau genommen habe, aber . . . Himmel und Hölle! Diese Margot, wie sie mein Schwager Karl der Neunte zu nennen beliebt, ist ein anbetungswürdiges Wesen!«
Mit zögernden Schritten betrat Heinrich von Navarra die Stiege, die zur Wohnung der Baronin von Sauve führte.
Margarete hatte ihn solange mit den Augen verfolgt, bis er entschwunden war, dann kehrte sie in ihr Zimmer zurück. Sie fand den Herzog von Guise vor der Tür des Nebenzimmers, sein Anblick drückte fast ihr Gewissen.
Der Herzog blickte ernst vor sich hin, und seine gerunzelten Brauen verrieten eine bittere Erkenntnis.
»Margarete ist heute noch unparteiisch,« sagte er, »in acht Tagen wird sie unsere Feindin sein!«
»Ah! Sie haben alles erlauscht?«
»Was hätte ich denn in dem Zimmer auch tun sollen?«
»Und finden Sie, daß ich mich nicht so aufgeführt habe, wie es sich für die Königin von Navarra geziemt?«
»Nein, aber Sie haben sich anders benommen, als es der Geliebten des Herzogs von Guise zukommt!«
»Mein Herr,« antwortete die Königin, »ich mag wohl meinen Mann nicht lieben können, daraus hat aber niemand das Recht zu folgern, von mir verlangen zu dürfen, daß ich ihn verrate. Aufrichtig gesagt, würden Sie die Geheimnisse der Prinzessin von Porcian, Ihrer Gemahlin, verraten wollen?«
»Lassen wir das,« sagte der Herzog und senkte sein Haupt »schon gut, schon gut! Aus allem ersehe ich, daß Sie mich nicht mehr so lieben, wie in jenen Tagen, als Sie mir den Anschlag verrieten, den der König gegen mich und gegen die Meinigen im Schilde führte.«
»Der König war der Starke, und Sie waren die Schwachen. Jetzt ist Heinrich der Schwache, und Sie sind die Starken. Sie sehen, ich spiele noch immer die gleiche Rolle, wie früher.«
»Nur springen Sie aus einem Lager in das andere!«
»Dieses Recht, mein Herr, habe ich mir erworben, als ich Ihnen das Leben rettete.«
»Gewiß, Madame, und weil es bei Liebenden, wenn sie voneinandergehen, Sitte ist, sich alles, was man sich geschenkt hat, zurückzugeben, so werde ich Ihnen meinerseits, wenn sich die Gelegenheit ergibt, ebenfalls das Leben retten, und wir sind uns dann nichts mehr schuldig!«
Und auf diese Worte hin verbeugte sich der Herzog und ging, ohne daß Margarete nur ein kleines Zeichen gemacht hätte, um ihn zurückzuhalten.
Im Vorzimmer traf er Gillonne, die ihn wieder bis an das Fenster des Erdgeschosses brachte, und im Graben weckte er seinen Pagen, mit welchem er in den Palast Guise zurückkehrte.
Während dieser Zeit hatte sich Margarete in träumerischer Stimmung bei ihrem Fenster niedergelassen.
»Was für eine Hochzeitsnacht! Mein Gatte flieht mich, mein Geliebter verläßt mich . . .«
In diesem Augenblick schritt an der anderen Seite des Grabens von Tour de Bois her gegen die Mühle la Monnaie ein Schüler vorbei. Er hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt und sang ein Lied.
Will ich dein reiches Haar,
Den Mund so wunderbar,
Küssen in Lieb und Lust,
Machst du ein Nönnchen nach
Unter dem Klosterdach,
Und klopfst an deine Brust.
Wem wird dein Aug' so rein,
Dein Brüstchen zart und fein,
Die Stirn, der Mund, gewährt?
Küßt du den Pluto dort.
Wenn dich zum finstern Ort
Charon im Nachen fährt?
Und bist du einmal tot.
Bleibt dir in deiner Not
Nichts, als der Mund so bleich.
Daß du die Liebste mir.
Das leugn' ich dann vor dir
Im ew'gen Schattenreich.
Drum, eh' dein Glanz dahin,
Ändere deinen Sinn:
Es sei der Kuß gewagt!
Sonst auf dem Totenbett
Bereust du im Gebet,
Was du mir hast versagt!
Schwermütig lächelnd hörte Margarete dieses Lied. Dann, als sich der Gesang des Schülers in der Ferne verloren hatte, schloß sie das Fenster und rief nach Gillonne, um sich zu Bett zu begeben.