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Pitou hatte sich nach seiner Entdeckung am Saume des Waldes von einer großen Verachtung gegen die Dinge dieser Welt ergriffen gefühlt.
Er, der gehofft hatte, die kostbare und seltene Pflanze, die man Liebe nennt, in seinem Herzen blühen zu lassen; er, der mit einem Helme und Säbel in seine Heimat zurückgekommen war, stolz, Mars mit Venus zu verbinden, wie sein berühmter Landsmann Demoustier in seinen Briefen an Emilie über die Mythologie gesagt hatte, – er fühlte sich, sobald er sah, daß es in Villers-Cotterêts und seiner Umgegend mehr Verliebte gab, als ihm nötig schien, sehr bestürzt und unglücklich.
Er, der einen so thätigen Anteil an dem Kreuzzuge der Pariser gegen die Edelleute genommen, fand sich gegenüber dem Landadel, vertreten durch Herrn Isidor Charny, äußerst klein.
Ach! ein so schöner Junge, ein Mann imstande, beim ersten Anblick zu gefallen, ein Kavalier, der eine lederne Hose und eine Sammetweste trug!
Wie mit einem solchen Manne kämpfen! Wie gegen einen solchen Nebenbuhler in die Schranken treten! Wie sollte er gleichzeitig die Last der Scham und der Bewunderung ertragen, zwei Gefühle, die im Herzen des Eifersüchtigen eine doppelte Qual sind.
Pitou kannte also die Eifersucht, eine unheilbare Wunde, die mit ihren furchtbaren Schmerzen dem naiven, redlichen Herzen unsres Helden bisher unbekannt war.
Ein derart zerrüttetes Herz bedarf einer sehr tiefen Philosophie, um seine gewöhnliche Ruhe wiederzuerlangen.
War Pitou ein Philosoph, er, der am ersten Tage, nachdem ihn dieses schreckliche Gefühl erfaßt, den Gedanken hatte, Krieg gegen die Kaninchen und Hasen des Herzogs von Orleans zu führen, und am zweiten Tage herrliche Reden hielt?
Hatte sein Herz die Härte des Kieselsteins, aus dem jeder Schlag einen Funken springen macht, oder einfach den sanften Widerstand des Schwamms, der die Fähigkeit hat, die Thränen einzuschlucken und ohne Verwundung im Schlage der Unfälle weich zu werden?
Nachdem er seinen Besuch erhalten und seine Reden beendigt hatte, war Pitou durch seinen Appetit genötigt, zu geringeren Sorgen herabzusteigen; er kochte sein Kaninchen, aß es und bedauerte, daß es kein Hase war.
Nach dem Mahle war Pitou in den Wald gegangen, um sich ein hübsches Winkelchen zum schlafen zu suchen.
Es ist erklärlich, daß der Unglückliche, sobald er nicht mehr von der Politik sprach und sich wieder mit sich selbst allein befand, unablässig das Schauspiel des Herrn Isidor in seinem Liebeshandel mit Jungfer Katharine vor Augen hatte.
Die Natur, die beinahe immer dem befriedigten Magen zulächelt, machte zu Pitous Gunsten eine Ausnahme, und kam ihm wie eine weite, schwarze Wüste vor, in der nur noch Kaninchen, Hasen und Rehe blieben. Sobald er unter den großen Bäumen seines heimatlichen Waldes verborgen war, begeisterte sich Pitou durch ihren Schatten und ihre Kühle in seinem heldenmütigen Entschluß, aus den Augen Katharines zu verschwinden; sie frei zu lassen, sich nicht übermäßig über ihre Bevorzugungen zu betrüben, sich nicht tiefer, als es sich geziemte, durch die Vergleichung demütigen zu lassen.
Es war eine sehr schmerzliche Anstrengung, Jungfer Katharine nicht mehr zu sehen; aber ein Mann mußte ein Mann sein.
Die Frage beschränkte sich indessen nicht allein hierauf.
Es handelte sich hier nicht gerade darum, Jungfer Katharine nicht mehr zu sehen, sondern nicht mehr von ihr gesehen zu werden.
Was würde aber ein Hindernis dagegen sein, daß von Zeit zu Zeit der lästige Verliebte, wenn er sich sorgfältig verbärge, im Vorübergehen die schöne Spröde erblickte? Nichts.
Was war die Entfernung von Haramont nach Pisseleux? Kaum anderthalb Meilen.
So feig es vonseiten Pitous wäre, nach dem, was er gesehen, sich um die Gunst von Katharine zu bewerben, so geschickt wäre es, fortwährend über ihre Handlungen und Thaten durch eine Leibesübung, in die sich Pitous Gesundheit vortrefflich schicken würde, auf dem Laufenden zu bleiben.
Dabei hatten die hinter Pisseleux liegenden und bis nach Boursonne sich erstreckenden Bezirke des Waldes Ueberfluß an Hasen.
Pitou würde bei Nacht dahin gehen, um seine Schlingen zu legen, und am andern Morgen würde er von einem Hügel herab die Ebene erforschen und die Ausgänge von Jungfer Katharine belauern. Das war sein Recht, das war bis auf einen gewissen Grad seine Pflicht, so wie er vom Vater Billot mit Vollmachten versehen war.
Auf diese Art durch sich selbst gegen sich selbst gestärkt, glaubte Pitou das Seufzen aufgeben zu können. Als der Abend kam, legte er ein Dutzend Schlingen und streckte sich auf dem noch von der Sonne des Tages erwärmten Heidekraut aus.
Hier schlief er wie ein Mensch in der Verzweiflung.
Die Kühle der Nacht weckte ihn auf. Er untersuchte seine Schlingen, noch war nichts gefangen; aber Pitou zählte gewöhnlich nur auf den Wechsel am Morgen. Da er indessen seinen Kopf ein wenig beschwert fühlte, so beschloß er, nach seiner Wohnung zurückzukehren und am andern Vormittag wieder zu kommen.
Doch diesen Tag, der für ihn so leer an Ereignissen und Intriguen vorübergegangen, hatten die Bewohner des Fleckens damit zugebracht, daß sie nachgedacht, und Kombinationen gemacht.
Um die Mitte dieses Tages, den Pitou im Walde verträumte, hätte man können die Holzhauer sich auf ihre Aexte stützen, die Drescher mit ihren Flegeln in der Luft bleiben, die Tischler den Hobel auf dem glatten Brette anhalten sehen.
An allen diesen verlorenen Augenblicken war Pitou schuld. Pitou hatte die Uneinigkeit in den Geistern, die schon durch die verworrenen Gerüchte aufgeregt waren, vollends angefacht.
Und er, der Urheber dieser Unruhen, erinnerte sich ihrer nicht einmal mehr.
Doch in der Stunde, wo er nach seiner Wohnung zurückkehrte, erblickte er, obgleich es zehn Uhr geschlagen hatte, und zu dieser Stunde in der Regel nicht ein Licht mehr angezündet, nicht ein Auge mehr offen war, in der Umgebung seines Hauses einen ungewöhnlichen Auftritt. Es waren sitzende, stehende und gehende Gruppen.
Die Haltung jeder dieser Gruppen hatte eine ungewöhnliche Bedeutung.
Ohne zu wissen warum, stellte sich Pitou vor, diese Leute sprechen von ihm.
Und als er in die Straße kam, waren alle wie von einem elektrischen Schlage getroffen und zeigten sich ihn einander.
Was haben sie denn? fragte sich Pitou; ich habe doch meinen Helm nicht aufgesetzt!
Und er ging bescheiden in seine Wohnung hinein, nachdem er da und dort gegrüßt hatte.
Er hatte indessen die schlecht zusammengefügte Thüre des Hauses noch nicht geschlossen, als er an das Holz klopfen zu hören glaubte.
Pitou zündete kein Licht an, ehe er sich niederlegte; das Licht war ein zu großer Luxus für einen Menschen, der, da er nur eine ärmliche Lagerstätte besaß, sich im Bette nicht irren, und da er keine Bücher hatte, nicht lesen konnte.
Er war indessen sicher, daß man an seine Thüre klopfte.
Er hob die Klinke auf.
Zwei junge Leute von Haramont traten vertraulich bei ihm ein.
Ah! Du hast kein Licht, Pitou, sagte der eine von ihnen.
Nein, antwortete Pitou, wozu?
Um hier zu sehen.
Oh! ich sehe in der Nacht: ich bin Tagblinder.
Und um dies zu beweisen, fügte er bei:
Guten Abend, Claude, guten Abend Désiré.
Nun! sagten diese, da sind wir, Pitou.
Das ist ein angenehmer Besuch; was wollt Ihr von mir, meine Freunde?
Komm doch an die Helle, sagte Claude.
An die Helle von was? es scheint kein Mond.
An die Helle des Himmels.
Du hast also mit mir zu sprechen?
Ja, wir haben mit dir zu sprechen, Ange, erwiderte Claude, indem er einen bezeichnenden Nachdruck auf diese Worte legte.
Vorwärts, erwiderte Pitou.
Alle drei verließen das Haus.
Sie gingen so bis zum ersten Kreuzwege des Waldes, wo sie stehen blieben, ohne daß Ange Pitou wußte, was man von ihm wollte.
Nun? fragte Pitou, als er sah, daß seine Gefährten Halt machten.
Siehst du, Ange, sagte Claude, da sind wir, ich und Désiré Maniquet, wir beide, die wir die Leute in der Gegend leiten, willst du mit uns sein?
Wozu? fragte Pitou, indem er sich hoch aufrichtete, um was zu thun?
Um eine Verschwörung zu machen, flüsterte ihm Claude ins Ohr.
Ah! ah! wie in Paris, versetzte Pitou kichernd.
Es ist nämlich eine Thatsache, daß er vor dem Wort und vor dem Echo des Wortes selbst mitten im Walde bange hatte.
Sprich, erkläre dich, sagte er.
Vernimm, wie sich die Sache verhält; nähere dich, Désiré, du, der du von Natur Wildschütze bist und alle Geräusche des Tages und der Nacht, der Flur und des Waldes kennst, schau', ob man uns nicht gefolgt ist; horche, ob man uns nicht bespäht.
Désiré nickte mit dem Kopf, beschrieb um Pitou und Claude einen Kreis, so leise als es der eines Wolfes ist, der sich um eine Schafherde dreht.
Dann kam er zurück und sagte: Sprich, wir sind allein.
Meine Kinder, sprach Claude, alle Gemeinden Frankreichs wollen, wie uns Pitou gesagt hat, unter den Waffen und auf dem Fuß von Nationalgarden sein.
Das ist wahr, versetzte Pitou.
Nun, warum sollte Haramont nicht unter Waffen sein, wie die andern Gemeinden?
Ei! Du hast es gestern gesagt, Claude, als ich den Antrag stellte, uns zu bewaffnen, erwiderte Pitou. Haramont ist nicht unter den Waffen, weil es keine Flinten hat.
Oh! die Flinten, das beunruhigt uns nicht, da du weißt, wo es welche giebt.
Ich weiß es, ich weiß es, sagte Pitou, der Claude kommen sah und die Gefahr begriff.
Nun wohl! fuhr Claude fort, wir haben uns heute beraten, alle wir patriotischen jungen Leute der Gegend.
Gut.
Und wir sind unser dreiunddreißig. Verstehst du das Exerzieren? fragte Claude.
Bei Gott! erwiderte Pitou, der nicht einmal das Gewehr schultern konnte.
Gut. Und du kannst das Manöver?
Ich habe zehnmal den General Lafayette mit vierzigtausend Mann manövrieren sehen, antwortete Pitou verächtlich.
Sehr gut, versetzte Désiré, der es müde war nicht zu reden, und, ohne sehr anspruchsvoll zu sein, wenigstens auch ein Wort anbringen wollte.
Willst du uns also kommandieren? fragte Claude.
Ich! rief Pitou, indem er einen Sprung des Erstaunens machte.
Du selbst, antworteten die zwei Verschwörer.
Und sie schauten Pitou fest an.
Oh! Du zögerst, versetzte Claude.
Aber . . .
Du bist also kein guter Patriot? sagte Désiré.
Oh, gewiß bin ich das.
Du hast also Angst vor etwas?
Ich, ein Sieger der Bastille, ein Dekorierter!
Du bist dekoriert!
Ich werde es, wenn die Medaillen geschlagen sind. Herr Billot hat mir versprochen, die meinige in meinem Namen in Empfang zu nehmen.
Sprich, nimmst du unsern Vorschlag an? fragten Désiré und Claude.
Ja, ich nehme ihn an, sagte Pitou, fortgerissen durch seine Begeisterung und vielleicht auch durch sein Gefühl des Stolzes, das in ihm erwachte.
Das ist abgeschlossen! rief Claude; von morgen an kommandierst du uns.
Was werde ich Euch kommandieren?
Das Exerzieren.
Und die Flinten?
Du weißt ja, wo sie sind.
Ah! ja, beim Abbé Fortier.
Allerdings.
Nur ist der Abbé Fortier imstande, sie mir zu verweigern.
Dann wirst du es machen, wie es die Patrioten im Invalidenhause gemacht haben: Du wirst sie nehmen.
Ich ganz allein?
Du wirst unsre Unterschriften haben, und überdies werden wir im Notfalle Arme zuführen, wir werden, wenn es sein muß, Villers-Cotterêts aufwiegeln.
Der Abbé Fortier ist halsstarrig! sagte er.
Bah! Du warst sein Lieblingsschüler; er wird nicht imstande sein, dir etwas abzuschlagen.
Man sieht wohl, daß Ihr ihn nicht kennt, erwiderte Pitou mit einem Seufzer.
Wie, du glaubst, der Alte würde sich sträuben?
Er würde sich gegen eine Schwadron von Royal-Allemand sträuben. Das ist ein hartnäckiger, injustum et tenacem . . . Ah! es ist wahr, unterbrach sich Pitou, Ihr könnt nicht einmal Lateinisch.
Doch die zwei Haramonter ließen sich weder durch die Citation, noch durch die Apostrophe blenden.
Ah! bei meiner Treue, sprach Désiré, da haben wir einen schönen Anführer gewählt, Claude; er hat vor allem Angst.
Claude schüttelte den Kopf.
Pitou bemerkte, daß er seine hohe Stellung gefährdet hatte. Er erinnerte sich, daß das Glück die Kühnen liebt.
Nun! es sei, sagte er, man wird sehen.
Du übernimmst es also, die Flinten herbeizuschaffen?
Ich übernehme es . . . den Versuch zu machen.
Ein Gemurmel der Befriedigung trat an die Stelle von einem leichten mißbilligenden Gemurre, das sich erhoben hatte.
Ho! ho! dachte Pitou: diese Leute schreiben mir schon vor, noch ehe ich ihr Anführer bin. Wie wird es sein, wenn ich es erst wirklich bin.
Den Versuch machen, sagte Claude, den Kopf schüttelnd, – oh! das ist nicht genug.
Wenn es nicht genug ist, antwortete Pitou, so thue mehr, ich trete dir mein Kommando ab; reibe dich immerhin am Abbé Fortier und seiner Schulgeißel.
Es ist wohl der Mühe wert, mit einem Säbel und Helm von Paris zurückzukommen, um vor einer Schulgeißel Angst zu haben, sagte Maniquet verächtlich.
Ein Säbel und Helm sind kein Harnisch, und wenn sie ein Harnisch wären, so hätte der Abbé Fortier mit seiner Schulgeißel doch wohl rasch die Blöße des Harnisches gefunden.
Claude und Désiré schienen die Bemerkung zu begreifen.
Auf, Pitou, mein Sohn, sprach Claude.
(Mein Sohn ist ein auf dem Lande ein sehr üblicher Freundschaftsausdruck).
Gut, es sei, sagte Pitou, doch, alle Teufel! ich fordere Gehorsam.
Du sollst sehen, wie gehorsam wir sein werden, rief Claude, Désiré mit dem Auge zublinzelnd.
Nur übernimm die Herbeischaffung von Flinten, sprach Désiré.
Das ist abgemacht, versetzte Pitou, im Grunde sehr beängstigt; aber der Ehrgeiz fing an, ihm ein kühnes Vorgehen zu raten.
Du versprichst es?
Ich schwöre es.
Pitou streckte die Hand aus, seine zwei Freunde thaten dasselbe, und so wurde beim Sternenschein, in einer Lichtung, im Departement der Aisne durch die drei Haramonter, unschuldige Nachtreter Wilhelm Tells und seiner Freunde, der Aufstand erklärt.
Pitou erschaute allerdings am Ende seiner Mühewaltungen das Glück, sich stolz mit den Ehrenzeichen eines Kommandanten der Nationalgarde bekleidet zu zeigen, und diese Ehrenzeichen schienen ihm ganz geeignet, bei Jungfer Katharine, wenn nicht Gewissensbisse, doch wenigstens Reflexionen hervorzubringen.
Geweiht durch den Willen seiner Wähler, kehrte Pitou, von den Mitteln und Wegen träumend, seinen dreiunddreißig Mann Nationalgarde Waffen zu verschaffen, in seine Wohnung zurück.