Alexander Dumas
Ange Pitou. Band 3
Alexander Dumas

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Was die Königin wollte.

Gilbert kam von Herrn Necker zurück, nachdem er den König im gleichen Grade ruhig, als er die Königin aufgeregt gesehen hatte.

Der König machte Perioden, er baute Zahlen und Rechnungen, und sann auf Reformen in den Gesetzen.

Dieser Mann von gutem Willen, mit sanftem Blick und redlicher Seele, dessen Herz, wenn es verfälscht war, es durch die dem königlichen Stande anklebenden Vorurteile war, – dieser Mann setzte seinen Kopf auf, für Hauptsachen, die man ihm nahm, Armseligkeiten wieder zu erlangen. Er setzte den Kopf auf, den Horizont mit seinem kurzsichtigen Blick zu durchdringen, während der Abgrund unter seinen Füßen gähnte. Dieser Mann flößte Gilbert ein tiefes Mitleid ein.

Bei der Königin war es nicht so, und trotz seiner Unempfindlichkeit fühlte Gilbert, daß sie eine von den Frauen war, die man leidenschaftlich lieben oder tödlich hassen muß.

In ihre Gemächer zurückgekehrt, fühlte es Marie Antoinette wie eine ungeheure Last, die sich auf ihr Herz niedergesenkt hatte.

Und in der That, weder als Frau, noch als Königin gewahrte sie etwas Haltbares um sich her, etwas, was ihr einen Teil der Bürde, die sie niederdrückte, tragen helfen würde.

Diese Lage beunruhigte sie, sie, ein Muster von Instinkt und Scharfsinn.

Wie hatte sich Charny, dieser reine Mann, wie hatte sich dieses lautere Herz so plötzlich geändert?

Nein, er hat sich noch nicht geändert, sagte sich seufzend die Königin, er ist im Begriff, sich zu ändern.

Er ist im Begriff, sich zu ändern! Eine schreckliche Ueberzeugung für die Frau, die mit Leidenschaft liebt.

Und in dem Augenblick, wo sie das Böse und das Unrecht wahrgenommen hatte, war es vielleicht noch Zeit, es wieder gut zu machen.

Doch der Geist dieser gekrönten Frau war kein geschmeidiger Geist. Sie konnte sich nicht entschließen, selbst bei einer Ungerechtigkeit, sich zu beugen; einem Gleichgültigen gegenüber hätte sie vielleicht Seelengröße gezeigt oder zeigen wollen, und dann würde sie vielleicht um Verzeihung gebeten haben. Aber demjenigen, welchen sie mit einer zugleich so lebhaften, und so reinen Zuneigung beehrt, glaubte die Königin nicht die geringste Einräumung machen zu müssen.

Von dem Augenblick an, als sie mit Andrée in ein Verhältnis der Eifersucht geriet, hatte sie moralisch sich zu verringern angefangen. Eine Folge ihrer Verringerung waren ihre Launen, ihr Zorn und die schlimmen Gedanken, die die schlimmen Handlungen nach sich ziehen.

Charny gab sich durchaus keine Rechenschaft von alledem, aber er war Mensch und hatte begriffen, daß Marie Antoinette eifersüchtig war, und zwar mit Unrecht eifersüchtig auf seine Frau, die er nie angeschaut.

Charny wußte, daß Fräulein Andrée von Taverney, eine alte Freundin der Königin, einst von ihr gut behandelt, immer von ihr bevorzugt war. Warum liebte sie Marie Antoinette nicht mehr? warum war Marie Antoinette eifersüchtig auf sie?

Sie hatte also irgend ein Schönheitsgeheimnis entdeckt, das er nicht entdeckt hatte, ohne Zweifel, weil er es nicht gesucht?

Sie hatte also gefühlt, Charny könnte diese Frau anschauen, und sie, die Königin, würde etwas dabei verlieren?

Nichts ist nachteiliger für einen Eifersüchtigen, als wenn er den andern Teil wissen läßt, er bemerke die Erkaltung des Herzens, das er just in der höchsten Glut für sich zu erhalten wünscht. Wie oft geschieht es, daß der geliebte Gegenstand durch Vorwürfe über seine Kälte eben von der Kälte unterrichtet wird, die er zu empfinden anfing, ohne sich darüber Rechenschaft zu geben. O Ungeschicklichkeit der Liebenden!

Marie Antoinette hatte also durch ihren Zorn und durch ihre Ungerechtigkeit selbst Charny belehrt, es sei etwas weniger Liebe im Grunde seines Herzens. Und sobald er dies wußte, sah er sich nach der Ursache um, und fand sie ganz natürlich in der Eifersucht der Königin.

Andrée, die arme verlassene Andrée, Gattin, ohne Frau zu sein!

Er beklagte Andrée.

Die Scene bei der Rückkehr von Paris hatte ihm das tiefe, vor aller Augen verborgene Eifersuchtsgeheimnis entdeckt.

Auch ihr, der Königin, entging es nicht, daß alles entdeckt sei, und da sie vor Charny sich nicht beugen wollte, wandte sie ein andres Mittel an, das sie nach ihrer Meinung zu demselben Ziele führen mußte.

Sie fing wieder an, Andrée gut zu behandeln. Sie ließ sie bei allen ihren Promenaden, bei allen ihren vertrauten Abendgesellschaften zu; sie überhäufte sie mit Liebkosungen; sie machte, daß sie von allen andern Frauen beneidet wurde.

Und Andrée ließ dies alles gewähren, wohl mit Staunen, aber ohne Dankbarkeit. Sie hatte sich seit langer Zeit gesagt, sie gehöre der Königin, die Königin könne mit ihr machen, was sie wolle, und ließ sie machen.

Als Entschädigung, da die Gereiztheit der Frau gegen irgend jemand einen Ausbruch nehmen mußte, fing die Königin an, Charny sehr zu mißhandeln. Sie sprach nicht mehr mit ihm; sie fuhr ihn an; sie gab sich den Anschein, als brächte sie Abende, Tage, Wochen hin, ohne nur zu bemerken, daß er anwesend war.

Sobald er aber abwesend war, schwoll ihr Herz an; ihre Augen irrten unruhig umher und suchten denjenigen, von welchem sie sich abwandten. Bedurfte sie eines Arms, hatte sie einen Befehl zu geben, hatte sie ein Lächeln zu verschenken, so war es für den ersten besten. Dieser ermangelte übrigens nie, ein schöner und ausgezeichneter Mann zu sein.

Die Königin glaubte sich von ihrer Wunde zu heilen, indem sie Charny verwundete.

Dieser litt und schwieg. Er war ein mächtiger Mann gegen sich selbst. Nicht eine Bewegung des Zornes oder der Ungeduld entschlüpfte ihm während dieser gräßlichen Marter.

Man sah dann ein seltsames Schauspiel, ein Schauspiel, das nur die Frauen zu geben und zu begreifen vermögen.

Andrée fühlte alles, was ihr Gatte litt, und da sie ihn mit jener engelhaften Liebe liebte, die nie eine Hoffnung gefaßt hatte, so beklagte sie ihn und bezeigte es ihm.

Aus diesem Mitleid ging eine sanfte, teilnehmende Annäherung hervor. Sie suchte Charny zu trösten, ohne ihn merken zu lassen, daß Sie es wisse, er bedürfe des Trostes.

Marie Antoinette, die zu teilen suchte, um zu herrschen, bemerkte, daß sie einen falschen Weg eingeschlagen habe, und daß sie, ohne es zu wollen, Seelen einander näher brachte, die sie gern durch ganz verschiedene Mittel getrennt hätte.

Sie, die beklagenswerte Frau, erlitt dann in der Stille und in der Einsamkeit der Nächte Verzweiflungsanfälle, und sie würde sicherlich so vielen Leiden unterlegen sein, wäre sie nicht so gewaltig von den Besorgnissen ihrer Politik in Anspruch genommen worden.

Dies waren die Umstände, in denen die Königin seit der Rückkehr des Königs nach Versailles bis zum Tage lebte, wo sie im Ernste darauf bedacht war, die unumschränkte Ausübung ihrer Gewalt wieder aufzunehmen.

In ihrem Stolze schrieb sie nämlich dem Verfalle ihrer Macht die Entwertung zu, welche die Frau seit einiger Zeit zu erleiden schien.

Für diesen thätigen Geist war denken soviel als handeln. Sie ging ans Werk, ohne einen Augenblick zu verlieren.

Aber, ach! dieses Werk, zu dem sie nun schritt, war das ihres Verderbens.


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