Alexander Dumas
Ange Pitou. Band 2
Alexander Dumas

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Olivier von Charny.

Als die Königin in ihr Boudoir eintrat, fand sie daselbst denjenigen, welcher das von der Kammerfrau überbrachte Billet geschrieben hatte.

Es war ein Mann von fünfunddreißig Jahren, von hoher Gestalt, mit einem Kraft und Entschlossenheit bezeichnenden Gesicht. Sein graublaues, lebhaftes Auge, so durchdringend wie das eines Adlers, seine gerade Nase, sein scharf ausgeprägtes Kinn gaben seiner Physiognomie einen martialischen Charakter, erhöht durch die Eleganz, mit der er das Kleid des Leutnants bei den Gardes-du-corps trug.

Seine Hände zitterten noch unter seinen zerrissenen und zerknitterten Battistmanschetten. Sein Degen war verbogen und fügte sich nicht mehr gut in die Scheide.

Bei der Ankunft der Königin ging er mit hastigen Schritten von tausend fieberhaften Gedanken bewegt, im Zimmer auf und ab.

Marie Antoinette trat gerade auf ihn zu.

Herr von Charny! rief sie, Herr von Charny, Sie hier?

Und als sie sah, daß er sich der Etikette gemäß ehrfurchtsvoll verbeugte, winkte sie einer Kammerfrau; diese entfernte sich und schloß die Thüre.

Die Königin ließ der Thüre kaum Zeit sich zu schließen, nahm Herrn von Charny kräftig bei der Hand und rief:

Graf, warum sind Sie hier?

Weil ich glaubte, es sei meine Pflicht, zu kommen, Madame, erwiderte der Graf.

Nein; Ihre Pflicht war, Versailles zu meiden, zu thun, was beschlossen war, mir zu gehorchen, es zu machen, wie es alle meine Freunde machen, – die Angst vor meinem Glück haben . . . Ihre Pflicht ist, nichts meinem Geschick zu opfern; Ihre Pflicht ist, sich von mir zu entfernen, mich zu fliehen.

Sie zu fliehen! Und wer flieht Sie denn, Madame?

Diejenigen, welche vernünftig sind.

Ich glaube sehr vernünftig zu sein, und darum bin ich nach Versailles gekommen.

Und woher kommen Sie?

Von Paris, vom kochenden, trunkenen, mit Blut besudelten Paris.

Die Königin drückte ihre beiden Hände an ihr Gesicht.

Oh! sagte sie, nicht einer, nicht einmal Sie kommen, um mir eine gute Nachricht zu bringen!

Madame, unter den Umständen, in denen wir uns befinden, verlangen Sie von Ihren Boten, daß sie Ihnen nur eines verkündigen: die Wahrheit.

Wollen Sie mir die Wahrheit sagen?

Wie immer, Madame.

Sie sind eine ehrliche Seele, ein wackres Herz.

Ich bin ein treuer Unterthan, Madame, nichts andres.

Nun denn! ich bitte für den Augenblick, mein Freund, sagen Sie mir nicht ein Wort. Sie kommen zu einer Stunde, wo mein Herz bricht; meine Freunde erdrücken mich heute zum erstenmal mit der Wahrheit, die Sie mir immer gesagt haben. Oh! Graf, es war unmöglich, mir diese Wahrheit länger zu verschweigen, sie bricht in allem hervor: am Himmel, der rot ist, in der Luft, die sich mit dumpfen Geräuschen erfüllt, in der Physiognomie der Höflinge, die bleich und ernst sind. Nein! nein! Graf, zum erstenmal in Ihrem Leben sagen Sie mir nicht die Wahrheit.

Der Graf schaute die Königin an.

Ja, ja, sagte sie, nicht wahr. Sie, der Sie mich als mutig kennen. Sie erstaunen? Oh! Sie sind mit Ihrem Erstaunen noch nicht zu Ende!

Herr von Charny machte eine fragende Gebärde.

Sie werden sogleich sehen, sagte die Königin mit einem nervösen Lachen.

Eure Majestät leidet? fragte der Graf.

Nein, mein Herr, setzen Sie sich zu mir, und nicht ein Wort mehr über diese abscheuliche Politik . . . Machen Sie, daß ich vergesse.

Der Graf gehorchte mit einem traurigen Lächeln.

Marie Antoinette legte ihre Hand auf seine Stirne.

Ihre Stirne glüht, sagte sie.

Ja, ich habe einen Vulkan im Kopfe.

Ihre Hand ist eiskalt.

Und sie drückte die Hand des Grafen in ihren Händen.

Mein Herz ist von der Kälte des Todes berührt, sagte er.

Armer Olivier, ich sagte es Ihnen wohl, vergessen wir. Ich bin nicht mehr die Königin; ich bin nicht mehr bedroht; ich bin nicht mehr gehaßt! Nein, ich bin nicht mehr Königin! ich bin Weib. Was ist das Weltall für mich? Ein Herz, das mich liebt, das würde mir genügen.

Der Graf kniete vor der Königin nieder und küßte ihr die Füße mit jener Ehrfurcht, welche die Ägypter für die Göttin Isis hegten.

Oh! Graf, mein einziger Freund, sprach die Königin, während sie ihn aufzuheben suchte, wissen Sie, was mir die Herzogin Diana that?

Sie wandert aus, antwortete Charny, ohne zu zögern.

Er hat es erraten, rief Marie Antoinette; er hat es erraten! Ach! Man konnte das also erraten?

Oh! mein Gott, ja Madame, erwiderte der Graf, alles läßt sich in diesem Augenblick denken.

Aber Sie und die Ihrigen, rief die Königin, warum wandern Sie nicht ebenfalls aus, da das eine so natürliche Sache ist?

Ich, vor allem, Madame, thue es nicht, weil ich Eurer Majestät tief ergeben bin, und weil ich mir gelobt habe, nicht ihr, sondern mir selbst, sie nicht einen Augenblick während des Sturmes, der heranzieht, zu verlassen. Meine Brüder werden nicht auswandern, weil mein Benehmen das Beispiel sein wird, nach dem sie das ihrige richten; Frau von Charny endlich wird nicht auswandern, weil sie Eure Majestät – wenigstens glaube ich das – aufrichtig liebt.

Ja, Andrée ist ein sehr edles Herz, sprach die Königin mit einer sichtbaren Kälte.

Darum wird sie Versailles nicht verlassen, fügte Herr von Charny bei.

Somit werde ich sie immer bei mir haben, sagte die Königin mit demselben eiskalten Ton, der schattiert war, um nur ihre Eifersucht oder ihre Verachtung fühlen zu lassen.

Eure Majestät hat mir die Ehre erwiesen, mich zum Leutnant der Garden zu ernennen, sagte der Graf von Charny, mein Posten ist in Versailles, ich würde meinen Posten nicht verlassen haben, hätte mir Eure Majestät nicht die Bewachung der Tuilerien übertragen. Das ist eine notwendige Verbannung, hat mir die Königin gesagt, und ich bin in diese Verbannung abgegangen. Bei alledem, Eure Majestät weiß das, hat mich die Gräfin von Charny ebenso wenig getadelt, als sie um Rat gefragt worden ist.

Das ist wahr, erwiderte die Königin, immer eisig.

Heute, fuhr der Graf unerschrocken fort, heute glaube ich, daß mein Posten nicht mehr in den Tuilerien, sondern in Versailles ist. Wohl denn! möge es der Königin nicht mißfallen, ich habe mein Gebot verletzt, meinen Dienst selbst gewählt, und hier bin ich. Mag Frau von Charny vor den Ereignissen bange haben oder nicht, mag sie auswandern wollen oder nicht, ich bleibe bei der Königin . . . wenn nicht etwa die Königin meinen Degen zerbricht. Wäre das der Fall, sollte ich nicht mehr das Recht haben, für sie im Gemach hier in Versailles zu kämpfen, zu sterben, so bleibt mir immerhin noch das Recht, mich vor der Thüre, auf dem Pflaster töten zu lassen.

Der junge Mann sprach so mutig, so bieder diese einfachen aus dem Herzen gekommenen Worte, daß die Königin von ihrem Stolze herabfiel, hinter den sie sich zurückgezogen hatte, um mehr ein menschliches als königliches Gefühl zu verbergen.

Graf, erwiderte sie, sprechen Sie nie wieder dieses Wort aus, sagen Sie nicht, Sie werden für mich sterben, denn wahrhaftig, ich weiß, daß Sie es thun werden, wie Sie es sagen.

Oh! ich werde es im Gegenteil immer sagen, rief Herr von Charny. Ich werde es allen und überall sagen; ich werde es sagen, wie ich es thun werde, weil, ich befürchte es, die Zeit gekommen ist, wo alle diejenigen sterben müssen, welche die Könige der Erde geliebt haben.

Graf! Graf! was giebt Ihnen denn diese unseligen Ahnungen ein?

Ach! Madame, erwiderte Charny, den Kopf schüttelnd, zur Zeit des leidigen amerikanischen Kriegs bin ich auch von dem Unabhängigkeitsfieber befallen gewesen, das die ganze Gesellschaft durchlaufen hat. Ich wollte auch einen thätigen Anteil an der Emancipation der Sklaven nehmen, wie man zu jener Zeit sagte, und ließ mich als Maurer aufnehmen. Ich schloß mich mit den Lafayette, mit den Lameth einer geheimen Gesellschaft an. Wissen Sie, Madame, was der Zweck dieser Gesellschaft war? Die Zerstörung der Throne. Wissen Sie, was der Wahlspruch der drei Buchstaben: L. P. D. war? Lilia pedibus destrue Zertritt die Lilien mit Füßen.

Was haben Sie dann gethan?

Ich habe mich mit Ehren zurückgezogen; doch für einen, der sich zurückzog, ließen sich zwanzig aufnehmen. Was nun heute geschieht, Madame, ist der Prolog des großen Dramas, das sich in der Stille und in der Nacht, seit zwanzig Jahren, im Kopfe der Menschen vorbereitet hat, die gegenwärtig Paris in Bewegung setzen, das Stadthaus regieren, im Besitze des Palais-Royal sind und die Bastille genommen haben. Ich habe die Gesichter meiner alten Bundesbrüder erkannt. Täuschen Sie sich nicht, Madame, alle Ereignisse der jüngsten Zeit sind keine Ereignisse des Zufalls, es sind seit langer Zeit vorbereitete Aufstände.

Oh! Sie glauben! Sie glauben, mein Freund! rief die Königin, in Thränen zerfließend.

Weinen Sie nicht, Madame, begreifen Sie! sagte der Graf.

Ich soll begreifen! ich soll begreifen! fuhr Marie Antoinette fort; ich, die geborene Gebieterin von fünfundzwanzig Millionen Menschen, soll es begreifen, wenn diese fünfundzwanzig Millionen Unterthanen, die bloß da sind, um mir zu gehorchen, sich empören und meine Freunde töten! Nein, ich werde das nie begreifen.

Sie müssen es aber begreifen; denn von diesen Unterthanen, die Ihnen gehorchen sollen, sind Sie, sobald dieser Gehorsam ihnen zur Last wird, eine Feindin geworden; und bis diese widerwillig Gehorchenden die Macht besitzen, Eure Majestät zu verschlingen – wozu sie bereits ihre hungrigen Zähne wetzen – verschlingen sie Ihre Freunde, die noch mehr verhaßt sind als Sie.

Und finden Sie vielleicht, daß die Leute recht haben, Herr Philosoph? rief gebieterisch die Königin, das Auge weit aufgerissen, die Nasenflügel bebend.

Ach! ja, Madame, sie haben recht, antwortete der Graf mit seinem sanften, liebevollen Ton, denn wenn ich mit meinen schönen englischen Pferden, mit meinem goldenen Rock und mit meinen Leuten, deren silberne Tressen mehr kosten, als man brauchte, um drei Familien zu ernähren, auf den Boulevards spazieren fahre, so fragt sich Ihr Volk, das heißt, es fragen sich diese fünfundzwanzig Millionen ausgehungerte Menschen, wozu ich ihnen diene, ich, der ich nur ihresgleichen sei.

Sie dienen ihnen mit diesem, Olivier, rief die Königin, indem sie den Degen des Grafen am Griff faßte, Sie dienen ihnen mit diesem Degen, den Ihr Vater als Held bei Fontenon gehandhabt hat; den Ihr Großvater bei Steenkerke, Ihr Urgroßvater bei Lens und Rocroi, Ihre Ahnen bei Ivry, bei Maridnan, bei Aziencourt geführt haben. Der Adel dient dem französischen Volk durch den Krieg, er hat das Gold, das seine Röcke verbrämt, das Silber, das seine Livreen bedeckt, durch den Krieg um den Preis seines Blutes gewonnen. Fragen Sie sich also nicht mehr, Olivier, wozu Sie dem Volke dienen, Sie, der Sie ebenfalls als Braver diesen Degen führen, den Ihnen Ihre Väter vermacht haben!

Madame, Madame, sprechen Sie nicht so viel vom Blute des Adels! das Volk hat auch Blut in den Adern; sehen Sie die vor der Bastille fließenden Bäche; zählen Sie seine auf dem geröteten Pflaster ausgestreckten Toten und erfahren Sie, daß deren Herz, das nicht mehr schlägt, an dem Tage, wo Ihre Kanonen gegen dieselben donnerten, so edel geschlagen hat, als das eines Ritters; an dem Tage, wo das Volk, eine für seine Hand unbekannte Waffe schwingend, mitten unter dem Kartätschenhagel Lieder anstimmte, was unsre braven Grenadiere nicht immer thun. Ei! Madame, ei! meine Königin, ich bitte Sie inständig, schauen Sie mich nicht mit diesen zornigen Augen an. Was ist ein Grenadier? Es ist ein blauer verbrämter Rock auf dem Herzen des Volks, von dem ich soeben sprach. Was ist der Kugel, die durchbohrt und tötet, daran gelegen, ob das Herz mit blauem Tuch oder mit einem Fetzen Zwillich bedeckt ist? Was liegt dem Herzen, das bricht, daran, ob die Hülle, die es beschützte, von Drillich oder von Tuch war? Die Zeit ist gekommen, an alles das zu denken, Madame; Sie haben nicht mehr fünfundzwanzig Millionen Sklaven in Frankreich; Sie haben nicht mehr fünfundzwanzig Millionen Unterthanen, Sie haben sogar nicht mehr fünfundzwanzig Millionen Menschen, Sie haben fünfundzwanzig Millionen Soldaten.

Die gegen mich kämpfen werden, Graf?

Ja, gegen Sie, denn sie kämpfen für die Freiheit, und Eure Majestät steht zwischen ihnen und der Freiheit.

Ein langes Stillschweigen folgte auf diese Worte des Grafen. Die Königin brach es zuerst.

Nun, sprach sie, die Wahrheit, die ich Sie mir nicht zu sagen bat, Sie haben Sie mir also gesagt?

Ach! Madame, antwortete Charny, unter welcher Form sie meine Ergebenheit auch verbirgt, unter welchem Schleier sie auch meine Ehrfurcht erstickt, wider meinen Willen, wider Ihren Willen, schauen Sie, hören Sie, fühlen Sie, betasten Sie, denken Sie, träumen Sie: die Wahrheit ist da, Madame, ewig da, und Sie werden nicht mehr imstande sein, sie von Ihnen zu verbannen, wie sehr Sie sich auch anstrengen mögen! Schlummern Sie, schlafen Sie, um zu vergessen, und sie wird sich zu Ihren Häupten setzen, und sie wird das Gespenst Ihrer Träume, die Wirklichkeit Ihres Erwachens sein.

Oh! Graf, sagte die Königin stolz, ich kenne einen Schlaf, den sie nicht stören wird.

Diesen, Madame, fürchte ich so wenig, als Eure Majestät, und ich wünsche ihn vielleicht ebensosehr, als sie.

Oh! sprach die Königin mit Verzweiflung, Ihrer Ansicht nach ist dies also unsre einzige Zuflucht?

Ja, – doch übereilen wir nichts, Madame! gehen wir nicht schneller, als unsre Feinde, und wir gehen eben durch die Beschwerlichkeiten, die uns so viele Tage des Sturms bereiten, geradeswegs zu dem Schlaf.

Und ein neues Stillschweigen, noch düsterer, als das erste, lastete auf Marie Antoinette und Olivier von Charny.

Sie saßen, er bei ihr, sie bei ihm. Sie berührten sich, und dennoch war eine unermeßliche Kluft zwischen ihnen! Es war der Zwiespalt ihrer Geister, die getrennt auf den Wogen der Zukunft schwebten.

Die Königin kam zuerst auf den Gegenstand des Gesprächs zurück, doch auf einem Umweg. Sie schaute den Grafen starr an und sprach:

Mein Herr, ein letztes Wort über uns; – und . . . Sie werden mir alles sagen, alles, alles, alles, hören Sie wohl!

Ich höre, Madame.

Sie schwören mir, daß Sie nur meinetwegen gekommen sind?

Oh! Sie zweifeln daran?

Sie schwören mir, daß Ihnen Frau von Charny nicht geschrieben hat? Hören Sie: Ich weiß, daß sie ausgehen wollte; ich weiß, daß sie eine Idee im Kopfe hatte . . . Schwören Sie mir, Graf, daß Sie nicht ihr zu Liebe zurückgekommen sind.

In diesem Augenblicke klopfte man an die Thüre.

Herein! sagte die Königin.

Die Kammerfrau erschien wieder.

Madame, sagte sie, der König hat zu Abend gespeist.

Der Graf schaute Marie Antoinette mit Erstaunen an.

Nun, sagte sie, die Achseln zuckend, was ist dabei so Erstaunliches? Muß der König nicht zu Abend speisen?

Olivier faltete die Stirne.

Sagen Sie dem König, antwortete die Königin, ohne sich stören zu lassen, ich erhalte Nachrichten von Paris, und ich werde sie ihm mitteilen, sobald ich sie vernommen habe.

Dann wandte sie sich gegen Charny um und sprach: Fahren wir fort; da nun der König zu Abend gespeist hat, ist es billig, daß er verdaut.

 


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