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IX. Die französischen Spione.

Maestro Pastrini war klug und teilte die gewöhnliche Schwäche aller Menschen seines Standes, das heißt, er besaß eine bis auf den höchsten Grad gesteigerte Neugier. Sobald er daher den Besuch aus dem Zimmer des französischen Reisenden zurückkommen sah, rief er einen der Diener seines Hauses, zeigte ihm den geheimnisvollen Baron und befahl ihm, demselben zu folgen, bis er seine Wohnung entdeckte. Der Diener des Gastwirts, der gerieben und verschlagen war, wie alle italienischen Vagabunden, erfüllte den ihm erteilten Auftrag buchstäblich. So kam es denn, daß der arme, zu Grunde gerichtete Baron keinen Schritt tun konnte, ohne daß Maestro Pastrini noch an demselben Abend davon unterrichtet wurde.

Nachdem er die Maßregel ergriffen hatte, beeilte er sich, einem Menschen, der seit drei Stunden seinem Hotel gerade gegenüber beständig in der Straße auf und nieder ging, ein Zeichen zu geben, heraufzukommen. Der Mensch bemerkte das Signal des Maestro Pastrini, hüllte sich sorgfältig in seinen Mantel, zog den breiten Rand seines Hutes über die Augen herunter, stieg die Treppe hinauf und trat dann in ein Kabinett, in welchem Maestro Pastrini sein Büreau eingerichtet hatte.

Hier setzte sich der Mensch, warf den Mantel ab, nahm den Hut vom Kopf und traf Anstalt, zu warten, indem er nach dem alten Gebrauch des italienischen Volkes aus der Tasche einen Rosenkranz zog und anfing, die Perlen desselben durch die Finger gleiten zu lassen, als verrichte er seine Gebete.

»Holla, Freund Peppino,« sagte Maestro Pastrini, indem er in das Kabinett trat, dessen Tür er sorgfältig verschloß.

» Per la Madonna,« rief Peppino, indem er noch immer seinen Rosenkranz in der Hand behielt. »Mein Name ist hier bekannt genug, sogar zu bekannt, als daß es zweckmäßig wäre oder gar notwendig,« fügte er hinzu, indem er besorgte Blicke umherschweifen ließ, »daß Du ihn so mit Deiner Baßstimme ausschreist.«

»Das ist wahr, das ist wahr! Aber was willst Du – ich gab einer Regung der Freude, des Vergnügens nach,« erwiderte Maestro Pastrini.

»Und was ist das für ein Vergnügen? Woher kommt die Freude?« sagte Peppino.

Maestro Pastrini nahm hierauf ein Wesen der Wichtigkeit und des Ernstes an, welches die Aufmerksamkeit Peppinos erregte.

»Ich will es Dir sagen. Erinnerst Du Dich eines Streites, den wir hatten, als hier jener geriebene Schelm, jener Betrüger, jener verfluchte Zauberer, jener Menschenfresser wohnte, der sich Graf von Monte Christo nannte?«

»Halt da, Maestro Pastrini! Wir werden uns entzweien!« entgegnete Peppino, indem er die Stirn runzelte. »Wenn Du von unserm Beschützer, von unserm Retter sprichst, dann vergiß nicht, daß Du sagen mußt, der Herr Graf von Monte Christo, wenn Du Dich nicht mit mir erzürnen willst! Hörst Du wohl? Der Herr Graf hat mir das Leben gerettet, indem er von unserm heiligen Vater, dem Papst, meine Begnadigung erlangte, als ich schon mit einem Fuße auf der Mazzolata stand! Er hat meinen Hauptmann, Luigi Vampa, beschützt, statt ihn mit seinen besten Leuten der Justiz zu überliefern, als der Zufall ihm denselben in die Hände gegeben hatte. Du mußt daher begreifen, daß weder ich, noch Luigi Vampa, noch irgend einer von unsern Kameraden, zugeben würde, einen Menschen Deiner Art ohne Achtung von dem Herrn Grafen sprechen zu hören.«

»Es ist in der Tat sehr schade, daß das Kapitol aus der Mode gekommen ist, denn sonst würdest Du dort sicher einen Kranz als Redner erhalten. – Aber was kommt darauf an, ob ich so von Deinem Grafen Monte Christo spreche, wenn ich im Grunde doch zu seinen Gunsten arbeite?«

»Zu seinen Gunsten?« erwiderte Peppino ironisch.

»Ohne Zweifel!« entgegnete Pastrini, indem er sich in die Brust warf.

»Du mußt nämlich wissen,« fuhr er fort, »daß Dein Graf die Gabe besessen hat, sich in ein solches Licht zu stellen, daß er von den Agenten der französischen Regierung verfolgt wird.«

»Das mache andern weis!« sagte Peppino geringschätzig. »Er hat genug Geld, um die Nachsicht von so vielen Regierungen zu erkaufen, als es in der Welt gibt, von den Dardanellen bis zur Straße Magelhaens.«

»Daran zweifle ich nicht, aber es sind seine guten und schönen Handlungen, die ihn verderben; es gibt Dinge, welche keine Regierung dulden kann!«

»Was willst Du damit sagen, Maestro Pastrini? Erkläre Dich deutlicher.«

»Zum Beispiel, sich damit zu unterhalten, die Menschen zu töten, Männer von ihren Frauen zu trennen, Intrigen über Intrigen anzuspinnen, alle möglichen Schlechtigkeiten zu begehen – was weiß ich? – Nun, laß hören, Peppino, findest Du das gut? Ich weiß wohl, daß ich mit einem römischen Banditen spreche, aber jedes Ding hat doch seine Grenzen. Also Du, der Du die Unverschämtheit noch nicht so weit getrieben, in ein Grabgewölbe hinabzusteigen, um die Toten zu beschimpfen und ihre ewige Ruhe zu stören, Du lebst da mit Deinem Hauptmann in den Katakomben des heiligen Sebastian, das ist wahr; aber Du hast mir hundertmal wiederholt, daß Du die Gebeine der Seligen, die dort ruhen, ehrst!«

»O, bei der Madonna, gegen die Toten darf man sich keinen schlechten Spaß erlauben.«

»Einverstanden,« fuhr Pastrini fort. »Du und jeder andere Bandit. Ihr könnt Euch jeden möglichen Zeitvertreib gegen einen Lebendigen erlauben, denn – das ist nur geborgt zur Rückzahlung; und dann wird Dir dafür auch Gott nach einer kleinen Buße und einem mea culpa Deine Verzeihung gewähren. Aber über die Toten zu lachen, sie zu verachten, zu verspotten – während wir doch wissen, daß sie sich nicht rächen können und daß ihre Seele dort oben oder in der Tiefe Rechenschaft zu geben hat – das ist schlecht, sehr schlecht, Peppino.«

»Gewiß!« stimmte der Bandit bei. »Die Lebendigen haben nichts mit den Toten zu schaffen; sie haben gegen dieselben nur die Pflicht, sie zu beerdigen! Dann gehört die Leiche der Erde an und die Seele dem Urteile Gottes. – Aber, Pastrini,« fuhr er fort, »laß uns davon abbrechen. – Du sagst also, daß der Signor Gras Monte Christo durch die französische Regierung verfolgt wird? Ist das gewiß wahr?«

»So wahr, daß er sich, um der Verfolgung der Agenten zu entgehen, gezwungen sah, seine Gestalt und seinen Namen zu ändern.«

»Halt da! – Du wirst abgeschmackt!« sagte Peppino »Wie ist es denn möglich, daß ein Mensch seine Gestalt ändert?« '

»O, die Wissenschaft ist unerschöpflich,« erwiderte Pastrini. »Wie es scheint, ist sie durch den Teufel geschaffen worden, um die Menschen in Versuchung zu führen und zu verderben, und zwar in eben dem Augenblick, in welchem sie sich der Eitelkeit überlassen, zu glauben, daß ihre Wissenschaft sie ebenso stark, ebenso mächtig gemacht habe wie Gott! Dein Graf von Monte Christo ist aber einer von denen, welche diese Eitelkeit besitzen: denn seinem eigenen Urteil vertrauend, hat er richten und verdammen wollen, als ob er zugleich ein Mensch wäre und den Geist Gottes besäße. Glaubst Du nun etwa, unsere Regierung würde einen Menschen solcher Art nicht verfolgen? Nein! In diesem Augenblick haben sich die französischen Agenten gewiß schon mit unserm Ministerium verständigt, und morgen wird der berüchtigte Halbgott nicht nur in Rom, sondern durch ganz Italien verfolgt werden.«

»Aber hast Du mir denn nicht gesagt, daß er seine Gestalt und seinen Namen veränderte?« fragte Peppino, welcher anfing, den Albernheiten, die der Gastwirt ihm mitteilte, einigen Glauben zu schenken. »Wie kann er denn nun aber von den französischen Agenten erkannt werden, wenn er diese Veränderung vorgenommen hat?«

Maestro Pastrini lächelte wie jemand, welcher die Blindheit eines andern bei irgend einer Angelegenheit entschuldigt.

»Freund Peppino,« sagte er, indem er ihn auf die Achsel schlug, »hier in meinem Hause ist einer dieser französischen Agenten und derselbe hat schon gewaltigen Argwohn gegen eine geheimnisvolle Person, die ebenfalls bei mir wohnt.«

»Was sagst Du?« rief heftig Peppino. »Der Herr Graf sollte in Rom sein?«

»Welcher Graf, mein Lieber? Habe ich Dir nicht schon gesagt, daß es keinen Grafen Monte Christo mehr gibt, sondern einen geheimnisvollen Zauberer, den die Gesetze verfolgen?«

»Und Du glaubst an das alles?« murmelte Peppino, indem er mit ungläubigem Wesen den Kopf schüttelte, denn das Wort Zauberer erweckte bei ihm den Gedanken an die vollständigste Abgeschmacktheit.

»Ob ich daran glaube!« entgegnete Pastrini. »Ich glaube daran wie an Gott. O, wenn Du nur wüßtest, wie mein Gast, der klein, schwächlich und mager ist, der nur mit schwankenden Schritten geht, der stets in einen großen Mantel eingehüllt ist und meine Begegnung sowie die aller Welt scheut – der überdies eben das Zimmer bewohnt, in welchem früher der Graf –«

»Und zahlt er auch wie dieser?« fragte Peppino rasch.

» Per Baccho! Nicht eine Obole weniger! Ich bediene ihn daher auch mit der größten Aufmerksamkeit, ich ehre ihn und befriedige buchstäblich alle seine Launen.«

Peppino versank einen Augenblick in Träumerei; dann sagte er, als hätte er plötzlich einen Plan entworfen:

»Wärst Du wohl geschickt genug, mich Deinen geheimnisvollen Gast sehen zu lassen, der das Zimmer des Herrn Grafen bewohnt?«

»Ei,« fragte der Gastwirt, »weshalb denn?«

»Ich wäre wohl imstande, ihn wiederzuerkennen.«

»Freund,« sagte der Gastwirt mit wichtiger Miene, »verschmähe den Rat eines klugen Kopfes nicht. Sobald Dein Hauptmann Luigi Vampa in näherem Verkehr mit Monte Christo steht, verkünde ihm ohne Weilen, in welchem Grade derselbe in der Achtung Europas gesunken ist. Das könnte ihm von außerordentlichem Nutzen sein, um ihm einen überraschenden Besuch der Dame Justitia zu verhindern; denn Du weißt ebensogut wie ich, daß die Bande Luigi Vampas die Toleranz der römischen Gerichte nur dem Einflusse des Grafen verdankt; ist nun dieser Einfluß aber zerstört, so gebe ich nicht eine Perle meines Rosenkranzes für den Kopf des berüchtigten Luigi Vampa.«

»Pastrini,« rief Peppino, »ich habe Dir schon gesagt, daß ich Deinen geheimnisvollen Gast sehen will, um ihm die Unterstützung Luigi Vampas anzubieten. Bedarf der Herr Graf unserer Dolche, unserer Büchsen oder unserer Tätigkeit, so könnten wir ihm auch jetzt noch zeigen, daß wir stets dieselben sind.«

»Du bist hartnäckiger als ein Maultier,« erwiderte Pastrini, indem er aufstand, um eine Kerze anzuzünden. »Mein Gast empfängt niemand. Ist er in der Tat der Graf Monte Christo, so mußt Du seinen Willen ehren und Dich also nach einer andern Richtung drehen. Ich lade Dich zum Mittagessen ein; während desselben kannst Du auf einen andern Plan sinnen.«

In diesem Augenblicke hörte man ein leises Geräusch an der Tür; Pastrini machte Peppino ein Zeichen des Einverständnisses, und dieser setzte sich rasch in die finsterste Ecke des Kabinetts und ließ hier seinen Rosenkranz durch die Finger gleiten. Pastrini öffnete die Tür und sah den, dessen Ankunft er vermutet hatte, das heißt den Menschen, den er beauftragte, dem vorgeblichen französischen Agenten zu folgen. Dieser Mensch stattete mit der gewissenhaftesten Treue Bericht über den Erfolg seiner Sendung ab, und empfing zum Lohn dafür die Erlaubnis, sich ein Mittagessen in der Küche des Maestro Pastrini geben zu lassen, wo sich jeden Abend eine Anzahl von verdächtigen Menschen befand, die er in der heiligen Phalanx seiner geheimen Polizei verwendete und die er unter dem Vorwand reiner Barmherzigkeit speiste.

»Bei dem Blute Christi!« rief Peppino, indem er aufsprang und hastig den Mantel über die Schultern warf, sobald der Spion sich entfernt hatte.

»Was hast Du denn?« fragte Pastrini, als er bemerkte, daß der Bandit sich entfernen wollte. – »Und das Essen?«

»Bildest Du Dir denn etwa ein, Dummkopf, wenn Du mir so merkwürdige Geschichten über meinen Befreier erzählst, könnte Dein Essen mich zurückhalten? Nichts da! – Aus morgen! Jetzt habe ich anderen Hasen nachzurennen – dem französischen Agenten zum Beispiel.«

Indem er so sprach, machte er jene Bewegung eines entschiedenen Entschlusses, deren besonderes Vorrecht die römischen Banditen haben, wenn sie irgend eine schwierige Unternehmung vor sich erblicken. Dann verließ er, ohne länger zu zögern, das Kabinett des Maestro Pastrini, um sich nach der Wohnung des armen, zu Grunde gerichteten Barons, des gegenwärtigen Portiers beim Theater Argentino, zu begeben.

»Ja, ja,« murmelte Pastrini, indem er ihn sich entfernen sah, »ich sagte es ja stets, daß ein so reicher und so sonderbarer Mensch, wie dieser Graf Monte Christo, seines Titels ungeachtet, kein guter Christ sein kann. Einen stummen Nubier zum Diener zu haben! Und weshalb mußte denn sein Kammerdiener eben stumm sein? Wenn man nur erlaubte Dinge begeht, Dinge, die in den Augen der Welt nicht strafbar sind, wozu bedarf man dann eines Dieners, der nicht sprechen kann? – Und dann war auch seine Geliebte eine Griechin, die kein Wort Italienisch, noch Französisch, noch Englisch verstand! – Er unterhält Verbindungen mit den Banditen! – Das ist genug, um der Welt Stoff zum Denken und zum Schwatzen zu geben! – Was mich betrifft, so spreche ich es aus, daß ich fest überzeugt bin, dieser vorgebliche Graf ist im Grunde genommen nichts, als der geriebenste von allen vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Schurken. – Und nun fort zu dem Zimmer des andern französischen Agenten!«

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