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Karls VI. Tod.

Karl VI. überlebte jene Enttäuschung nicht lange. Er litt öfters an Anfällen von Fußgicht, ließ sich jedoch dadurch nicht abhalten, seinem Lieblingsvergnügen, der Jagd, nachzugehen. Der Hof zog zu dem Ende auf die zahlreichen kaiserlichen Lustschlösser, von denen Karl VI. Laxenburg, wo das Hauptvergnügen in der Reiherbaize bestand, Ebersdorf und Halbthurn in Ungarn, wegen der dortigen bedeutenden Wildbahn, besonders gern besuchte. So hatte er auch im Oktober 1740 seinen Aufenthalt in Halbthurn genommen, als er nach einer Jagdparthie am 11. Oktober plötzlich erkrankte und zwar unter so bedenklichen Anzeichen, daß er sich alsbald nach dem in der Wiener Vorstadt Wieden belegenen Lustschlosse, der Favorita (dem heutigen Theresianum), bringen ließ, welches der Hof in der Regel vom Anfange des Juli bis zum Herbst zu bewohnen pflegte und wo sich der Kaiser sonst mit Scheibenschießen unterhielt. Rasch verschlimmerte sich seine Krankheit, so daß die Aerzte schon am 18. Oktober an seinem Aufkommen zweifelten, und daß er sich an demselben Tage von dem päpstlichen Nuntius das Abendmal reichen ließ; in der Nacht auf den 19. erhielt er durch den Burgpfarrer die letzte Oelung. Die Kaiserin verließ sein Lager in keiner Stunde des Tages und der Nacht, und widmete ihm die treueste Sorgfalt; seine Tochter Maria Theresia dagegen, welche sich abermals in guter Hoffnung befand, und selbst das Bett hüten mußte, sah ihn nicht. Auch jetzt, da er die Nähe seines Endes fühlte, waren seine Gedanken wieder bei ihr. Nachdem er die letzte Oelung empfangen, ließ er seine zweite Tochter Maria Anna, seinen Schwiegersohn, den Großherzog von Toskana, und dessen Bruder, den Herzog von Lothringen, vor sein Bett kommen, gab ihnen seinen Segen und wendete sich dann nach dem Krankenzimmer Marien Theresiens hin, um auch sie, die er nicht mehr sehen konnte, in der vollen Inbrunst des brechenden Vaterherzens zu segnen. Mit welcher Fassung er seiner Auflösung entgegen sah, bezeugte die Antwort, welche er den um den Sitz seines Uebels streitenden Aerzten gab: »Wartet es doch nur ab, öffnet mich nach meinem Tode und seht nach«, bezeugte drei Tage vor seinem Tode die Unterredung mit dem alten Feldmarschall Palffy, den er zum Palatinus von Ungarn ernannte und bat, dem Hause Oesterreich mit gleicher Treue wie bisher zu dienen, bezeugten die ernsten Ermahnungen an seine Minister und die Anordnungen, welche er am Tage vor seinem Tode in Bezug auf die Behandlung seiner Leiche traf. In der Nacht vom 19. auf den 20. Oktober sank seine treue Pflegerin, die Kaiserin, in Ohnmacht und mußte weggebracht werden; doch kaum hatte sie sich etwas erholt, als sie wieder zu dem Kaiser eilte, der, als er sie kommen sah, noch im Sterben von ihrer Treue gerührt, die Worte sprach: »Ach, Ew. Liebden verlassen mich doch nicht!« Er verschied zwischen 1 und 2 Uhr in der Nacht; die Kaiserin drückte ihm die Augen zu und küßte ihm, vor dem Bette knieend, die kalten Hände.

Einen Blick noch auf das Leichengepränge des Monarchen, der im Leben der Etikette so streng gehuldiget!

Die Ritterstube in der Kaiserburg ist schwarz ausgeschlagen. Unter einem schwarzsammetenen Baldachin steht das kostbar gezierte Trauerbette, zu dem drei Stufen hinanführen; um dasselbe brennen weiße Wachskerzen auf silbernen Leuchtern. Da liegt nun die balsamirte Leiche des Kaisers, im schwarzen spanischen Mantelkleide, die mächtige Perücke und den aufgekrempten Hut auf dem Haupt, den Degen an der Seite; zu den Füßen erhebt sich ein silbernes Kruzifix. Da liegen auf goldenen Kissen die Zeichen der Macht, die er auf Erden bekleidet, die Kaiserkrone mit Scepter und Reichsapfel, die spanische Krone mit dem goldenen Vließ, die Kronen von Ungarn und Böhmen, der Erzherzogshut von Oesterreich. Und was enthält jener umflorte Becher zur Seite? Das Herz des Todten, das so lange in Sorgen geschlagen, und die Zunge, die so manches Gebet um einen männlichen Erben gesprochen. Und jener Kessel, umflort wie der Becher? Die Augen, das Hirn, die Eingeweide des Monarchen. So will es die Etikette, die ihr Recht auch noch auf die Leichen der Fürsten erstreckt; eine grauenhafte Ehrfurcht für Erhaltung jedes gesonderten Theils, der dem Leben so gedient, wie jedes Einzelleben ja doch auch nur im großen Ganzen seine Funktion verrichtet! Eine erschütternde Ironie liegt in diesem Privilegium für die Todten ausgedrückt; – wer sie beachten möchte! Wieden lebenden Kaiser, so umgeben auch noch die regungslose Gestalt Kammerherren und Kammerdiener; wie der Lebende wird sie von Hartschieren und Trabanten bewacht, während die Mönche der Hofkirche, unbeschuhte Augustiner, für das Heil der Seele beten, die vor dem König der Könige steht.

Am 24. Oktober wurde, der Observanz zu Folge, zuerst jener Becher mit dem Herzen und der Zunge des Fürsten in der Lorettokapelle der Augustiner-Hofkirche, dann der Kessel mit Hirn, Augen und Eingeweide unter den gewöhnlichen Ceremonien im St. Stephansdom beigesetzt. Um sieben Uhr des Abends verkündete das Geläute aller Glocken, daß die Leiche zu ihrer Ruhestätte in der Gruft der Habsburger getragen werden sollte. Diese befindet sich in dem Kapuzinerkloster, welches Kaiser Mathias gestiftet und wozu Kaiser Ferdinand II. am 8. September 1622 den Grund gelegt. Dort erwarteten den letzten Fürsten vom Mannsstamm der Habsburger bereits die Leichen von 36 Mitgliedern seines Hauses und das Herz der Kaiserin Claudia Felicitas, zweiter Gemahlin Leopolds I., deren Körper bei den Dominikanern bestattet worden. Zwölf Kammerherren erhoben nun den kupfernen Sarg, in welchem sich der innen mit rothem, außen mit schwarzem Sammet ausgeschlagene hölzerne befand, worin die Leiche lag, das Haupt auf einem mit Gold verbrämten Kissen, – und trugen ihn in die Augustinerkirche. Dort wurde der hölzerne Sarg aus dem kupfernen genommen und auf eine Bahre gestellt, welche nunmehr 24 Kammerherrn anfaßten, um ihn zur letzten Ruhestätte zu tragen. Der Leichenzug ordnete sich in folgender Weise. Es eröffneten ihn die Spitäler und die ganze Clerisei der Residenz, die Beamten der Kanzeleien und die Hofoffizianten. Dann schritten zwölf infulirte Prätaten einher, begleitet von dem Chor alter Sänger und Musiker. Hieran reihten sich die Kammerdiener, Kammerherren, Hofräthe und andere Räthe, so wie alle zum Hofmarschallstab gehörigen Personen; Hofmarschall, Oberstallmeister, Oberstjägermeister u. s. w. ohne Trauermäntel. Hierauf folgten abermals zwölf infulirte Prälaten, und hinter ihnen schritten sämmtliche in Wien anwesende Ritter des goldenen Vließes, worunter auch Prinz Karl von Lothringen. Nun kam, von vier Bischöfen begleitet, der Kardinal-Erzbischof von Wien, welcher der Leiche unmittelbar voranschritt. Unmittelbar hinter derselben ging der Premier-Minister, Graf Gundaker von Stahrenberg, an welchen sich der Großherzog Franz Stephan von Toskana anschloß. Diesen begleiteten der Hofkanzler Graf Sinzendorf und der Obersthofmeister Graf Königseck; hinter ihnen ging der Hofzwerg, Baron Klein. Nun erst folgten die Erzherzoginnen Maria Anna und Maria Magdalena mit sämmtlichen Damen. Die Gassen, durch welche der Zug kam, so wie der Platz vor dem Kapuzinerkloster waren durch Fackeln erhellt und mit Soldaten besetzt, welche das Gewehr verkehrt hielten; die Trommeln waren mit Flören überzogen. Als der Sarg vor der Thüre der Kapuzinerkirche ankam, war dieselbe – dem herkömmlichen Ceremoniel gemäß – geschlossen und es erscholl die Frage: wer vor derselben harre? »Es ist«, lautete die Antwort, »Kaiser Karl VI., welcher sich in dieser Kirche seine Ruhestätte erwählt hat«. Da öffnete sich die Kirche und acht Guardiane der in geringerer und weiterer Entfernung um Wien liegenden Kapuzinerklöster, zu jener Trauerceremonie nach der Residenz berufen, standen auf der Schwelle, um den Sarg zu übernehmen. Fackelschein füllte jetzt die Kirche; der Sarg wurde hineingetragen und auf einen erhöhten Ort gestellt. Der Erzbischof segnete die irdischen Reste des Monarchen ein, und die Psalmengesänge erschollen. Dann trugen die ernsten Mönche in ihren braunen Ordensgewändern beim Fackelschein den offenen Sarg in die Fürstengruft hinab und stellten ihn neben den Josephs I., mit dem Haupt nach dem Altäre zu.

Keine Siegesbanner wehten über der kaiserlichen Leiche. Statt erhebender Gedanken an den ewig österlichen Sieg des Lebens über den Tod durch die Idee, konnte an diesem Sarge nur der Gedanke sich geltend machen, wie eitel alle irdische Größe! Was war von dem Monarchen, dem die Erhaltung der Form das Höchste gewesen, jetzt vorhanden, als die starre Form, vor der sich einst Tausende wie vor einem Wesen höherer Art gebeugt, – der Körper, nun nicht mehr als das Mantelkleid, der Hut und die Perücke! Was hatte Karl VI. als Summe seines Lebens hinterlassen – der Geschichte und seinen Erben? Der Geschichte nichts; seiner Tochter statt geförderter Volksentwickelung, statt einer moralischen Macht, statt einer physischen, statt Goldes- und Eisens, – nur eine Hoffnung, nicht haltbarer als ein Luftgebild, eine Urkunde, wie jedes andere Papier oder Pergament, – die pragmatische Sanktion.

Einen Blick jetzt auf den Inhalt und die Geschichte derselben!

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