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»Schließlich wird darauf aufmerksam gemacht, daß, wenn sich ein Inländer im Auslande ohne die, mit kreisamtlicher Beglaubigung versehene, Zustimmung des Stadtrathes seiner Heimath verheirathet, die ihm angetraute Ausländerin und die mit ihr erzeugten Kinder ein Heimathsrecht in hiesigen Landen nicht anzusprechen haben.« –
Aus den Kurfürstl. Hess. Heimathscheinen.
»Die Eigenschaft als Preuße geht verloren: – – 4) bei einer preußischen Unterthanin durch deren Verheirathung an einen Ausländer.« –
Preuß. Gesetzsammlung; Ges. v. 31. Dez. 1842, Nr. 2320, §. 15.
»Wie ich Euch sage, Frau Gevatterin! Wie ich Euch sage. Hat die gräulichsten, gotteslästerlichsten Dinge drucken lassen, glaubt weder an Gott, noch den Teufel, noch den König!« –
»Gott steh' uns bei, Frau Gevatterin!« –
»Wie ich Euch sage. Und heute Morgen ist der Kommissair gekommen mit vier Gensd'armen, hat ihm alle seine Briefschaften versiegelt, und ihn nach der Vogtei geführt.« –
»Was man nicht erlebt in diesen Zeiten! Dieser stille, magere Mensch mit dem Wassersuppengesicht, – ei, Du mein Gott, wer hätt's von dem gedacht, daß er einmal mit der Polizei zu thun kriegte! –
»Hab's immer gesagt, Frau Gevatterin, sind Heimtücker, die Kerle. Jetzt sieht man's. Ein Kommissair mit vier Gensd'armen, und am hellen Tage durch die Stadt geführt!« –
»Ach, und die arme junge Frau mit ihren drei Kindern! Um die thut's mir leid, Gott verzeih mir's, nicht um den Mann, nicht im Geringsten. Aber es war so eine liebe, gute Frau, trug sich immer so nett und war so freundlich – Herr, mein Gott, was wird das für ein Schlag für die arme Frau gewesen sein!« –
»Ist aber selbst Schuld daran, Frau Gevatterin, warum hat sie sich mit so Einem eingelassen. Das Literatenvolk ist gar nichts werth. Aus aller Herren Ländern werden sie weggejagt, laufen in der Fremde herum, oder werden eingesperrt. Alle Wochen steht so eine Geschichte in der Zeitung, und erst neulich hab' ich gelesen, daß sie Einen auf sieben Jahre nach Magdeburg auf die Festung gebracht haben.« –
»Ei Du mein Gott, Frau Gevatterin! Auf sieben Jahre, das ist ja gräulich!« –
»Ja, und die Zeitungen sind immer voll von solchen Sachen. Die Polizei ist ihnen immer auf den Hacken, was kann da Gutes an den Leuten sein? Nicht einen Dreier geb' ich auf solch' einen Kerl.« –
Das Gespräch, welches wir die beiden Weiber auf der Gasse in K. eben führen hörten, bezog sich auf einen jungen Mann, Namens Paul. Derselbe hatte früher dem Studium der Theologie obgelegen und seine Prüfungen mit glänzendem Erfolg bestanden. Von der Kandidatur aber war er durch das Konsistorium in seiner Heimath zurückgewiesen worden, weil die in seiner Probepredigt ausgesprochenen Grundsätze als der herrschenden Richtung zuwiderlaufend erachtet wurden. Paul hatte von Haus aus nur ein kleines Vermögen besessen, und dies war durch seine Studien fast gänzlich erschöpft. Als ihm daher durch das Konsistorium die Aussicht auf eine Anstellung abgeschnitten ward, mußte er sich eine andere Existenz zu begründen suchen. Er verließ zunächst seine Heimath und begab sich nach K., wo er Gelegenheit fand, seine Thätigkeit auf literarische Arbeiten zu verwenden. Nach einem Jahre heirathete er hier ein junges, liebenswürdiges Mädchen aus den sogenannten gebildeten Ständen, der aus ihren einst glücklichen Verhältnissen nur ein geringes Kapital geblieben war. Indeß verschaffte dies und die Thätigkeit Pauls den beiden Gatten eine hinlänglich ruhige Existenz und ihr bescheidenes Glück ward lange durch nichts getrübt. Therese schenkte ihrem Gatten im Laufe der Zeit drei Kinder. Sie war eine schlanke hübsche Blondine, voll sittsamer, natürlicher Liebenswürdigkeit, die durch ihr einfaches Wesen Alle, die ihr nahe kamen, fesseln mußte. Ihren Gatten liebte sie mit unaussprechlicher Hingebung, und die Kinder, auf welche Beide ihre ganze Sorgfalt wendeten, befestigten das innige Band des Paares immer mehr. Um diese Zeit erregte eine Arbeit Pauls – in welcher Art, ist hier gleichgültig – die Aufmerksamkeit der Polizei. Ganz wie oben die beiden Weiber erzählten, trat eines Morgens ein Polizeibeamter mit vier Gensd'armen in Pauls Wohnung, durchstöberte, obgleich Paul sich zu dem quästionirten Artikel bekannt hatte, alle Papiere desselben, steckte Briefe und Manuscripte ein und führte Paul mit sich fort. Therese gerieth dabei in die entsetzlichste Angst. Mit Thränen der Verzweiflung fiel sie dem Beamten zu Füßen und beschwor ihn, jede Garantie zu verlangen und ihr nur den Gatten zu lassen. Der Kommissair hob sie artig auf und sagte, daß er nur das Werkzeug einer höhern Macht sei.
»Uebrigens,« meinte er beruhigend, »würde die Sache wohl nicht viel zu bedeuten haben.« –
In der That wurden auch die Besorgnisse Theresens – wenigstens für den Augenblick – bald zerstreut, denn nach Verlauf von einigen Stunden kehrte Paul von der Polizei zu seiner Gattin zurück.
Paul war ein Ausländer, ein Deutscher nämlich. Als er sich in K. verheirathet hatte, war er um Ertheilung des Bürgerrechts eingekommen, die Polizei aber hatte ihm den Bescheid gegeben, daß man gegen seinen Aufenthalt in K. zwar nichts habe, ihm aber das Bürgerrecht vorläufig nicht ertheilen könne. Da die Gemeinden zur Aufnahme von Ausländern nicht verpflichtet sind, so hatte sich Paul damals bei diesem Bescheide begnügen müssen. Als er jetzt nach der Polizei gebracht wurde, nahm man einfach ein Protokoll über seine Verhältnisse auf; sein Antrag: wenn irgend etwas gegen ihn vorliege, ihn zur gerichtlichen Verantwortung zu ziehen, ward nicht beachtet. Das Warum? mag der scharfsinnige Leser selbst errathen. Statt dessen aber erhielt Paul nach einigen Tagen die polizeiliche Weisung, Stadt und Land zu verlassen.
Eine polizeiliche Ausweisung hat viel für sich. Es bedarf dazu weder eines richterlichen Erkenntnisses, noch einer gesetzlichen Vorlage, und doch erreicht man seinen Zweck zuweilen vollständiger, als durch eine vorübergehende Haft. Der Flüchtige, der nicht weiß, wohin er sein Haupt legen soll, gewinnt selten Zeit zu sogenannten Mißliebigkeiten. Faßt er dann auch in der Fremde Fuß, so hat er doch bald den richtigen Blick für die Verhältnisse seiner Heimath verloren, und ist mindestens für die lokalen Ereignisse der Gegend unschädlich gemacht, aus der man ihn vertrieben hat. In neuester Zeit hat man denn auch die mannigfachen Vorzüge solcher Maßnahmen wohl eingesehen, und in gewissen Ländern breitet man diese Erfahrung auch dahin aus, daß man mißliebige Beamte von einer Stadt zur andern versetzt, ohne sie zu Athem kommen zu lassen.
Als Paul die polizeiliche Ausweisung aus Stadt und Land erhielt, antwortete er in einem Anflug von Humor, er würde binnen 5 Minuten dem Befehl nachgekommen sein. Er traf zu Hause noch einige Vorkehrungen, tröstete seine weinende Frau mit der Hoffnung, daß sie bald wieder vereinigt sein würden, und begab sich über die Grenze nach der Residenzstadt des benachbarten Landes. Aber der Empfang war hier nicht der erwartete. Wer einmal von der Polizei gezeichnet worden ist, kann einer steten Aufmerksamkeit von kleinlichen, berichtlustigen Polizeiseelen gewiß sein, denn wenn man irgend in deutschen Verhältnissen Einigkeit suchen dürfte, so wäre es in denen der Polizei. Paul wurde abermals verwiesen, oder erhielt vielmehr von vornherein keine Erlaubniß zum Aufenthalt. Ein Grund wurde ihm für diese Maßnahme nicht angegeben, aber man gab ihm zu verstehen, daß es wegen seiner Verweisung in K. geschehe; man wollte der Möglichkeit vorbeugen, in eine ähnliche Notwendigkeit versetzt zu werden. Das nennt man eine Präventivmaßregel. Paul wollte zwar die Richtigkeit einer solchen nicht einsehen, und meinte, daß man demgemäß auch Jeden auf die bloße Möglichkeit hin, er könne einmal wahnsinnig werden, in ein Irrenhaus sperren dürfe, eine Sache, die doch noch nicht erhört sei: die Polizei aber gestattete ihm, auswärts darüber nachzudenken, und transportirte ihn über die Grenze. Diese Geschichte wiederholte sich noch einmal, und wenn Paul nicht noch einige dreißig Mal ausgewiesen wurde, so lag das einzig darin, daß er endlich die Gelegenheit dazu vermied. Sein Gemüth wurde allmählig furchtbar erbittert, und es läßt sich schwer beschreiben, was in der Brust des Flüchtlings vorging, während er so gehetzt von Stadt zu Stadt zog. Aber er bedurfte der Ruhe, und wiewohl es ihm gar sauer erschien, beschloß er doch zuletzt, sich wieder in seine Heimath zu begeben, deren Verhältnissen er entfremdet worden war. Er begab sich also nach – Kurhessen.
Kurhessen ist ein schönes, deutsches Land. Es sind viel brave Leute da gestorben, wie z. B. der Bürgermeister Schomburg, viele auch nicht, wie die im vorigen Jahrhundert nach Amerika versendeten Soldaten. In Kurhessen ist Herr von Hassenpflug Minister gewesen, und Sylvester Jordan nicht geboren.
Als Paul in diesem Lande angekommen war, miethete er sich eine Wohnung, und schrieb seiner Frau, daß sie ihre Sachen ordnen und ihm mit den Kindern nachkommen möge. Therese wurde von ihren Einrichtungen fast zwei Monate zurückgehalten, da der Verkauf ihrer Möbeln, die Vermietung den Wohnung und ähnliche Anordnungen ihr viel zu schaffen machten. Als sie bei ihrem Gatten eintraf, war der Herbst eben angebrochen. Hier wurden die Anstalten indeß schneller besorgt und die wiedervereinigten Gatten begannen bald ihre Trennung in der freudigen Zuversicht auf eine ruhige Zukunft zu verschmerzen. Aber das Unglück, wenn es einmal ein Opfer erkoren, läßt sich so leicht nicht von der Spur bringen.
In Pauls Vaterstadt befand sich unter den Gemeindevorständen ein Mann, mit dem Paul zusammen die Schule und Universität besucht hatte. Die beiden Gespielen waren einander früh entfremdet worden. Paul hatte sich von Anfang an mit ausschließlichem Ernst seinen Studien zugewendet, während der lebhafte Konrad den Freudenbecher des ungebundenen Studentenlebens bis auf die Hefe genoß. Sie sahen sich dazumal schon selten. Ein tieferes Mißverhältniß entstand aber, als Paul in Folge eines Zusammentreffens mit einem andern Studenten sich weigerte, »loszugehen.« Konrad hielt ihn von da an für einen Feigling und Heimtücker, und wenn sich die früheren Jugendgespielen auf der Straße begegneten, gingen sie stumm an einander vorüber. Später verloren sie sich aus den Augen. Paul siedelte nach K., während Konrad in Staatsdienste trat. Er hatte in der Residenz einen mächtigen Verwandten, dessen Protektion ihn eine schnelle Karriere machen ließ. Gegenwärtig bekleidete er das oberste Gemeindeamt in seiner Vaterstadt, und galt hier seiner persönlichen Stellung, wie seines weitern Einflusses wegen für den angesehensten Mann. Als Paul jetzt zurückkehrte, war der alte Groll zwar im Laufe der Zeit ziemlich verdampft, aber eine leise Mißachtung war doch in Konrads Herzen gegen den »Heimtücker« geblieben. Da Paul keinen Schritt that, um sich dem ehemaligen Kameraden zu nähern, vielmehr als er Konrads Stimmung erkannte, sich in kalte, fremde Gleichgültigkeit zurückzog, so stieg in Konrad bald auch eine gewisse Eifersucht auf sein bürgerliches Ansehen auf, und er wünschte im Stillen eine Gelegenheit herbei, den zweideutigen Kaltsinn Pauls durch einen Beweis seiner Macht zu beugen. Diese Gelegenheit wurde ihm, Dank einigen kleinen Beamtenseelen, ganz unerwartet schnell gegeben.
Eines Morgens erhielt Paul eine Zuschrift der städtischen Polizei, worin er aufgefordert wurde, einen Heimatschein für seine Frau und Kinder beizubringen, indem man ihnen nur gegen einen solchen Nachweis den Aufenthalt gestatten dürfe. Paul war ziemlich entrüstet über diese fortgesetzte »Plackerei,« wie er meinte. Er schrieb an die Behörde zurück, daß er selbst Heimathrechte am Ort besitze, und daß es für seine Frau und Kinder wohl weiter keiner Nachweise bedürfe. Nach Verlauf einiger Tage erhielt er eine neue Zuschrift, die ihn belehrte, daß seine im Auslande ihm angetraute Gattin und deren Kinder kein Heimathrecht am Ort hatten; daß man ihnen den Aufenthalt nicht verweigern wolle, aber zuvörderst ihre Heimath kennen müsse, damit sie bei eintretender Verarmung nicht der Gemeinde zur Last fielen. Paul begann nun einzusehen, von welcher Seite betrieben werde, und wendete sich mit einer ausführlichen Beschwerde an das Ministerium. Es währte einige Wochen, bevor er von diesem beschieden wurde, und als er die Entschließung erhielt, erfuhr er, daß seine Beschwerde für unbegründet befunden worden sei.
»Seine Frau und Kinder,« hieß es, »hätten gesetzlich ein Heimathrecht in den kurhessischen Landen nicht anzusprechen, und da die Gemeinden zur Aufnahme von Ausländern nicht verpflichtet seien, so könne sich der Minister auch nicht für ermächtigt halten, die Entschließung der ... Behörde in irgend einer Weise abzuändern.«
Gleichzeitig aber mit dieser Bescheidung Pauls traf auch ein Schreiben an die Polizeibehörde ein, wonach diese angewiesen wurde, Pauls Gattin und Kinder, welchen von der Gemeinde die Aufnahme versagt worden sei, sofort nach ihrer Heimath zu verweisen. Vielleicht hatten die harten Worte in Pauls Beschwerde diese schnelle Maßnahme hervorgerufen, – wenigstens meinte der Polizeibeamte, der den Befehl an Paul überbrachte, daß es wohl anders ausgefallen wäre, wenn Paul, statt sich zu beschweren, bittend eingekommen wäre. Selbst Konrad war von dieser Wendung überrascht. Da er von Natur nicht boshaft war, hatte er an einen solchen Ausgang nicht gedacht. Seine Absicht war vielmehr einzig die gewesen, Paul seine Macht fühlen zu lassen und ihm eine Art Ergebenheit abzuzwingen. Paul empfing die Nachricht stumm und schweigend. Er ließ Theresen nur ihre nöthigsten Sachen ordnen, und geleitete sie und die Kinder noch bis zur Grenze.
So waren also die beiden Eheleute durch einen polizeilichen Machtspruch geschieden. Paul blieb zurück, in seinem Innern voll tiefen, bitteren Grolles über die Misere der deutschen Heimathverhältnisse; Therese reiste nach K., bangen und geknickten Herzens über ihr Schicksal und die Trennung von ihrem Gatten. Ihr ahnte im Stillen, daß sie einander nicht wiedersehen würden. In K. wurde ihre Stimmung trüber und krankhafter. Ihr scheues Herz zog sich vor jeder Berührung mit Menschen zusammen, der Gram nagte an ihrem Lebensmark, und das junge blühende Geschöpf begann langsam und elend hinzusiechen. Zu allem Unglück war durch die mehrfachen Reisen und Einrichtungen der größte Theil ihres Vermögens erschöpft worden. Paul mühte und quälte sich zwar, aber es wollte doch nichts recht gelingen. Die stille, friedliche Ordnung war jetzt nicht herzustellen, wie auch Paul mit neuen Hoffnungen auf eine glücklichere Zukunft in der Fremde sie aufzurichten suchte; es erkrankten zudem zwei von den Kindern, und Therese, selbst leidend, konnte nun ihrem Hauswesen vollends nicht mehr, wie früher, ordnend und sorgend vorstehen. Da traf sie zerschmetternd der letzte Schlag, die Trauerpost von Pauls Tode.
In Pauls Gemüth hatte sich seit der Trennung von Theresen und den Kindern immer mehr und mehr der verbissene Grimm gehäuft. Sein frommer, häuslicher Friede war ihm geraubt, sein stiller Heerd mit der heiligen, abgeschiedenen Ruhe der Liebe zerstört, was Wunder, daß da der Haß gegen seine Verfolger wie Unkraut aus den Trümmern seines Glücks emporwucherte? Eines Tages ließ sich Paul in Gesellschaft einiger Freunde an einem öffentlichen Ort sehr heftig über gewisse Verhältnisse aus. An einem benachbarten Tisch saß ein Lieutenant, dessen eben ausgezahlte Gage ihm eine besondere Würde zu verleihen schien. Bei den Worten Pauls erhob er sich, und an die Gesellschaft herantretend forderte er Paul auf, seine Ausdrücke zurückzunehmen, oder ihm dafür Satisfaction zu geben. Paul antwortete ihm, daß er gar nicht zu ihm oder über ihn gesprochen, also ihm gegenüber auch nichts zurückzunehmen habe; von Satisfaction könne aus demselben Grunde keine Rede sein, weshalb er sich eine andere Gelegenheit zur Auszeichnung suchen möge. Der trunkene Lieutenant riß hierauf, in einem herzerhebenden Anfall ritterlicher Treue gegen den Landesherrn, den Degen aus der Scheide, und mit dem Ausruf: »Blut muß es abwaschen!« versetzte er Paul einen tiefen Stich in den Oberschenkel. Wie er später aussagte, hatte er Paul keineswegs zu tödten beabsichtigt, da er ihn in diesem Fall wohl durch die Brust gestoßen haben würde; vielmehr sei es nur seine Absicht gewesen, ihn zu verwunden, und durch das Blut seine verletzte Standesehre wieder herzustellen. Der Degen aber hatte eine Röhre zerschmettert, und Paul starb unter großen Schmerzen und gefoltert von dem Gedanken an Frau und Kinder noch in der folgenden Nacht.
Den Eindruck schildern zu wollen, den diese Nachricht auf Theresen machte, ist mir nicht möglich. Als sie aus ihrem besinnungslosen Zustand erwachte, erfuhr sie, daß sie fast zwei Monate krank, in fremder Pflege, darniedergelegen hatte. Die Erinnerung an die Veranlassung hatte sie beinahe von Neuem aufs Krankenlager geworfen, und ihre Auszehrung nahm seitdem einen schnelleren Gang an. Nur der Gedanke an ihre Kinder hielt sie so weit noch aufrecht, daß sie sich mühsam in ihrem Hauswesen dahinschleppen konnte. Aber das Hauswesen selbst kam immer mehr zurück. Es fehlte das Band des zufriedenen, wenn auch noch so bescheidenen Glückes, welches das Ganze in Ordnung und schaffender Luft zusammenhält, und allmählig ging auch der kleine Rest ihres früheren Vermögens, der durch die Krankheit noch mehr geschmälert worden war, gänzlich zur Neige. Therese duldete und zögerte in ungewisser, zager Erwartung lange Zeit; als sie aber keinen anderen Ausweg sah, wendete sie sich, um Unterstützung bittend, an – die Armendirektion. Hier stieß sie auf neue Schwierigkeiten.
Der Gemeindevorstand bestritt ihre Heimathrechte am Ort, da sie nach den Gesetzen des Landes durch ihre Verheirathung an einen Ausländer derselben verlustig gegangen sei. Es wurde daher erst mit den Heimathbehörden ihres verstorbenen Mannes eine ausführliche Korrespondenz eröffnet, ihr selbst aber, auf ihr wiederholtes dringendes Ersuchen, einstweilen und ein für alle Mal eine so kleine Summe Geldes gereicht, daß die Familie kaum zwei Wochen davon zu leben hatte.
Während dessen hatte sich auch ein früherer Bekannter Pauls der Frau angenommen und durch eine Kollekte für sie eine neue Summe zusammengebracht. Das Geschenk war als augenblicklicher Nothbehelf recht ansehnlich, aber zur Sicherung eines bessern zukünftigen Looses reichte es entfernt nicht aus, und nach einigen Wochen mußte die Lage der Unglücklichen wieder dieselbe sein. Therese scheute sich ihre Wohlthäter abermals anzusprechen, und nur spät auf mehrfache Versuche, nachdem ihre bitterliche Noch erst geprüft und konstatirt worden war, erhielt sie von der Armendirektion von Neuem eine kleine, mehr als dürftige Unterstützung.
Das ist das ewige Geschick des Armen. Die Wohlthätigkeit ist nur eine Grausamkeit, die ihn im Elend erhält und durch das Gefühl seiner hülflosen, jedem Versuch eigner Erhebung trotzenden Abhängigkeit entwürdigt und demoralisirt.
Ewige Zeit später treffen wir jene beiden Weiber wieder, deren Gespräch wir oben schon einmal belauschten. Sie stehen vor einer Hausthür und schauen dem schwarzen Leichenwagen nach, der einfach und ohne Geleit die Straße hinabfährt.
»Gott habe sie selig!« sagt die Eine. »Es war doch eine brave Frau, und es thut mir wahrhaftig leid um die armen Kinder. Sie haben eine gute und rechtschaffene Mutter verloren.« –
»Ja, Gott verzeih' ihr. Sie hat den dummen Streich, daß sie den confiscirten Büchermacher geheirathet, schwer genug gebüßt! Was aber die Kinder betrifft, nun so ist ja das eine schon versorgt, und die beiden andern werden wohl auch noch unterkommen.«
»Ja, das älteste hat der Schuhmacher im Keller dort zu sich genommen, die andern sind in's Waisenhaus gebracht worden.« –
»Das hat lange genug gedauert. Der Magistrat wollte nichts davon wissen, weil der Mann ein hergelaufener Mensch war, und bei ihm zu Hause wollten sie auch nichts damit zu thun haben. Also jetzt sind sie doch hier im Waisenhaus untergebracht.« –
»Ja, die Stadt hat zuletzt für Alles aufkommen müssen, auch für das Begräbniß der Frau. Nun, Gott hab' sie selig!« –
So war es. Die Kinder im Waisenhaus und in fremder Pflege, die Mutter auf öffentliche Kosten begraben, und der Vater – nun, gute Nacht!
Das ist so eine Geschichte aus der deutschen »Heimath«.