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Ich bin der Herr, du bist der Knecht,
So ist es gut, so ist es recht!
Altes Lied.
Die Glocken hallten am frühen Morgen zu dem ersten Festtage. Die Sonne war hell in sonntäglichem Glänze an dem blauen Himmel aufgestiegen, auf den Wäldern und den weiten Fluren lag eine heilige Ruhe. Die Bauern in ihren säubern Festtagskleidern, die Mädchen mit ihrem bunten Putz, das Gesangbuch in der Hand, zogen der bemoosten kleinen Kirche zu, die auf einer Anhöhe über das Dorf emporragte. Als die Glocken leise anschlagend verhallten, trat der Pfarrer an den Altar, und oben auf dem Chor stimmte der Vorsänger das Lied an, in welches die ganze Gemeinde dann einfiel. Auch Herr Stempel war in der Kirche. Der freidenkende Mann wollte seinen Bauern ein gutes Beispiel geben, damit sie nicht den Freibrief ihrer Armut auf das Jenseits vergäßen und gleich ihm den Himmel auf der Erde suchten. Herr Stempel besuchte dreimal sehr regelmäßig im Jahr die Kirche, zu Pfingsten, am Erntefest und zu Weihnachten; dies waren zugleich die Tage, an denen er den Pfarrer zu Tisch bei sich hatte und ihm jedesmal Lobeserhebungen über seine vortreffliche Predigt machte. Hinter ihm kniete Lolo, die mit Max zusammen in das Gesangbuch sah. Über den Zügen des Mädchens lag eine liebliche Verklärung. Ihr Antlitz leuchtete von dem frischen blühenden Ausdruck ihrer Empfindung, und ihre sorgfältige, aber einfache Tracht, die sie zu Ehren des Festes unter fremden Gästen gewählt, gab ihrem natürlichen Reiz eine heilige, andächtige Färbung. Ob sie aber ihre Andacht aus dem vor ihr liegenden Buch und nicht in ihrer ganzen Herzensstimmung seit den letzten Tagen fand, ist zu bezweifeln. Der Hauch ihres Nachbarn bewegte die Wellen ihres dunklen Haares, und ihr klares, glänzendes Auge streifte wohl öfter über die Blätter des Buches hinweg. Neben ihrer schlanken, so weich eingegossenen Gestalt kniete auf der anderen Seite die Tochter Susannens. Das arme, mißgeschaffene Arbeitermädchen schien den vollen, seligen Frieden nicht ganz zu teilen. Sie blickte bisweilen zerstreut nach der Seite und vergaß, in dem Gesang mit fortzufahren. Aber das Äußere der armen Kleinen hatte sich unter Lolos Fürsorge zu ihrem Vorteil verändert. Eine einfache, bessere Kleidung als sie bisher gewohnt war, verhüllte ihre Glieder und ließ trotz ihrer Mißgestalt einzelne kleine Vorzüge an ihr hervortreten. Der weiße Kragen über dem buntseidenen Halstüchlein ließ sich in einiger Entfernung kaum von der Weiße ihres Halses unterscheiden, und zum ersten Mal konnte man die Schönheit und stolze Fülle ihres sorgfältig geordneten Haares erkennen. Als sie an Lolos Seite aus der Kirchentüre schritt und die Blicke der einzelnen Gruppen von Bauern auf sich gerichtet sah, senkte sie verlegen den Blick und fühlte, wie eine hohe Glut in ihr Antlitz schoß. –
In dem Herrenhaus begann unterdessen ein eifriges Wirtschaften. Die Mägde rannten über die Treppen der Küche zu und wieder zurück nach den Vorratskammern und dem Keller; auch den Hof hatten die Knechte in aller Frühe geräumt und gekehrt und standen jetzt in ihren sauberen Sonntagsjacken in einiger Entfernung an den Remisen und Ställen, von wo sie die Wagen der ankommenden Gäste betrachteten. Herr Stempel befand sich in einem großen, eleganten Vorgemach, wo er sich mit dem Pfarrer, dem ersten der Gäste, unterhielt. Der kleine, dicke Gutsherr hatte sich heute eine besondere, imponierende Würde angeeignet; sein volles Gesicht glänzte wohlgefällig in der weißen, zierlich geknüpften Halsbinde; das graue, gelichtete Haar, welches er so kunstvoll vom Nacken aus über das glatte, rötliche Haupt zu ziehen pflegte, war heute mit einer dunklen Perücke bedeckt, die ihm ein jugendliches Ansehen gab; unter der kurzen, reichen Weste und dem schmalen modernen Frack zeigte sich das Embonpoint, Spitzbauch. welches der ehrwürdige Herr bei lebhaften Gesprächen wie zur Beruhigung zu streichen pflegte. Ab und zu ging er in das Nebenzimmer, um dort nach den Anordnungen zu sehen.
»Man muß den Leuten immer auf den Fersen sein«, sagte er zu dem Pfarrer, der seine lange, schwarze Gestalt über eine Stuhllehne gelegt hatte. »Wenn keine Hausfrau da ist, glauben die Leute, ihrem Schlendrian nachgehen zu können; meine Tochter ist zu gut gegen sie.«
»Um ihnen Gehorsam abzunötigen, ist der Ernst und die natürliche Strenge einer älteren Hausfrau am geeignetsten«, nickte der Pfarrer beistimmend. »Sie haben an Ihrer Seligen eine vortreffliche Frau verloren«, fügte er salbungsvoll hinzu; »indes steht Ihre Tochter trotz ihrer Jugend dem Hauswesen musterhaft vor.«
»Nur zu gut ist sie gegen das Volk, nur zu nachsichtig!« eiferte der Gutsherr. »Sie haben keinen Respekt vor ihr und tun alles nur so gleichmütig hin. In einem großen Haushalt muß alles wie am Draht flink und ineinander gehen; dazu aber müssen die Leute angepoltert werden.«
Die ersten Gäste kamen eben an, eine gutsherrliche Familie aus der Nachbarschaft. Herr Stempel bewillkommnete den Mann mit großer Emphase und machte der Dame galante Komplimente. Der Sohn, ein Knabe, der eben ins Jünglingsalter treten wollte, ging währenddem mit unsicheren Schritten an dem Spiegel vorbei, um an den Pfarrer einige Worte zu richten. Der junge Mensch war lang aufgeschossen und hatte, wie man ersehen konnte, erst kürzlich zum ersten Mal begonnen, seine ungeschlachte Gestalt zu zivilisieren. Seine Beinkleider, in denen sich bei jedem Schritt die spitzen Knie abdrückten, waren mit Sprungriemen auf die entsetzlichste Weise straff gezogen; sein Kopf saß steif in einer ungeheuren Krawatte, die er augenscheinlich noch nicht lange trug, vielleicht erst zu dieser Vorstellung von der Mutter erhalten hatte; der angehende Mann konnte sich nämlich in seiner neuen Würde nicht bewegen und war genötigt, zu jeder Bewegung des Kopfes seine ganze Gestalt zu gebrauchen. Jetzt kamen auch Lolo und Max herein, um die Fremden zu begrüßen. Lolo mit ihrer lächelnden Freundlichkeit und dem einfachen, bescheidenen Geschmack wurde der Gegenstand einer stillen Kritik bei Madame; der junge Mensch studierte während der Unterhaltung mit Max sehr aufmerksam die Frage, wie derselbe wohl sein Halstuch geknüpft. Die beiden Gutsherren unterhielten sich währenddem über den Stand ihrer Felder. Nach einiger Zeit füllte sich das Gemach mit neuen Fremden. Gäste aus der Nachbarschaft und zuletzt aus der entfernten Stadt kamen an; die Gruppen unterhielten sich laut und lachend. Einige hatten sich seit dem letzten Fest in dem Hause des Herrn Stempel nicht gesehen und besprachen gegenseitig die späteren Ereignisse, welche ihrer pfahlbürgerlichen Existenz durch Tradition und Botenläuferei zugekommen waren; in andern Kreisen sprach man über Politik, und Herr Stempel, der sich bald zu diesen gesellte, entwickelte ein liberales Fortschrittsprinzip, indem er das Bedürfnis und die Notwendigkeit, von oben Konzessionen zu erhalten, aussprach, dagegen aber gegen diejenigen eiferte, welche unten im Volk wirken wollten. Es sei eine durchaus schädliche und unglückliche Ansicht, sprach er unter Beistimmung seiner Zuhörer aus, wenn man auch im Volke das Licht der Aufklärung herumtragen wolle; wenn auch die Vernünftigen und Gebildeten, wie er sagte, über viele Lächerlichkeiten hinaus seien, so dürfe man doch dem Volke die Sachen nicht in den Kopf setzen; das Volk müsse an Gott und seine Regierung glauben, sonst höre alles auf, die Leute würden sich nichts mehr gefallen lassen, und das Licht der Aufklärung würde zur Brandfackel für das Gebäude der ganzen Gesellschaft werden. Die Beteiligten hörten mit großer Zufriedenheit zu, und es wurde von manchen nicht so ganz leise und versteckt, als daß es der Gutsherr nicht hätte verstehen sollen, die Vermutung ausgesprochen, daß Herr Stempel, von dessen wahrem Liberalismus man das Beste erwarten konnte, wohl als Abgeordneter bei dem nächsten Provinzial-Landtage erscheinen werde.
Endlich schnitt der Gutsherr die einzeln geführten Fäden der Unterhaltung ab, indem er die Versammlung zum Tisch zu schreiten ersuchte. Er bot einer ältlichen Dame aus der Nachbarschaft, deren kühner Kopfputz billig bei ihrem Eintritt allgemeines Aufsehen verursacht hatte, den Arm und führte mit großer Galanterie und Grazie den Zug der Gesellschaft nach dem Speisesaal an. An der langen Tafel, die sich dort mit großen Aufsätzen und Anstalten den Augen darbot, wurden die Plätze genommen, wie sie der Gastgeber durch kleine Zettel auf den Servietten verteilt hatte. Herr Stempel thronte am obern Ende; er hatte die Serviette um den Hals geknüpft und sein strahlendes Gesicht, sein galantes Lächeln und seine Zuvorkommenheiten gegen seine beiden Nachbarinnen und die Antworten und Witzworte, mit denen er sogar die Unterhaltung am andern Ende der Tafel bedachte, zeigten, wie sehr es dem gemütlichen Mann in diesem Kreise und diesen Anstalten wohl-behagte. Gegenüber, am entgegengesetzten Ende, saß der Verwalter, den Herr Stempel dorthin gewiesen, wo er den aufwartenden Mägden und Dienern zur Hand sein konnte; so erfüllte er seinen Zweck und verschaffte dem Gutsbesitzer Gelegenheit, sich als einen vorurteilsfreien Mann zu zeigen. Max saß neben dem Pfarrer und war bemüht, das Glas desselben stets von neuem zu füllen, wenn er ihm durch Anstoßen und Toaste Vorwand zum Trinken gegeben hatte. Der geistliche Herr schien sich durch die Anekdoten des Studenten in eine sehr feurige Stimmung versetzt zu fühlen und begann, zum großen Erstaunen einer Nachbarin, mit seinem Studentenleben zu renommieren. Max' Augen hatten gleich beim Beginn Lolo gesucht; er gewahrte sie in einiger Entfernung neben einem ziemlich einfältig aussehenden Landjunker, der sie mit faden Schmeicheleien und Süßigkeiten überschüttete. Die Mutter des jungen Menschen sah ihm mit stolzer Zufriedenheit zu und berechnete wahrscheinlich in diesem Augenblick, auf wieviel sich die Revenuen Einkünfte. des Mädchens nach dem Tode des alten Herrn belaufen würden.
Der Champagner löste die Zungen der Gesellschaft. Herr Stempel, dessen volles Gesicht sich allmählich mit immer dunklerem Purpur gerötet, erzählte Anekdoten, die er jedesmal selbst mit einem ungeheuren Gelächter begleitete. Seine Augen waren kleiner geworden, und er hatte bereits zwei oder dreimal in der Zerstreuung über seine Perücke gestrichen, wie er es sonst mit seinem dünnen Haupthaar zu tun pflegte; jetzt, da er bemerkte, daß er seine Perücke damit bereits verschoben hatte, wollte er sie in jovialer Laune gänzlich vom Haupt nehmen, wenn er nicht, wie er erklärte, seine beiden Nachbarinnen dadurch in Schrecken setzte. Am meisten ging auf seine Spaße der Pfarrer ein, dessen Laune der seinigen bereits gleichkam. Der Gutsherr sagte, daß er ihn für seine Geselligkeit gerne ans Herz drücken wollte, wenn ihm das Aufstehen nicht so unbequem wäre; als der Pfarrer aber lachend mit dem Glase in der Hand zu ihm herankam, trank er herablassend Brüderschaft mit dem vortrefflichen Gesellschafter und küßte ihn derb und schallend auf die brennenden Wangen.
Nachdem die Männer alsdann beim Kaffee ihre Zigarren angezündet, wurde ein Gang in den Garten nach den Mühseligkeiten der Tafel für angemessen gefunden. Die Gesellschaft zerstreute sich in den verschiedenen Gruppen, wie sie sich eben zusammenfanden, durch die Gänge der Anlage. Nur der Gutsherr und der Pfarrer blieben zurück an der Tafel, deren Freuden sie dem Genuß des frischen, heiteren Maitags vorzogen.
Max hatte vergebens versucht, an Lolos Seite zu gelangen; ihr Tischnachbar fesselte sich an ihre Seite und ließ nicht ab, sie nach seiner Art mit Aufmerksamkeiten zu verfolgen; einige junge Mädchen, die sich allem Anschein nach gerne selbst von dem Landjunker in dieser Weise bedacht gesehen hätten, wichen ebenfalls nicht von ihren Schritten. Max löste sich daher bald von der Gesellschaft ab und suchte auf einem Umweg nach dem Hause zurückzugelangen, wo er sich auf seinem Zimmer auszuruhen gedachte. Als er aber in den Hausgang trat, ward er durch ein tobendes Geschrei von dem Hofe her angehalten.
»Gott, steh uns bei!« lachte er für sich. »Das ist die wilde Jagd des verrückten Liederfängers.«
Als er in eins der vorderen Zimmer trat und zum Fenster hinaus auf den Hof sah, bemerkte er die Knaben des Pädagogen, welche sich in ihrer Weise von der Wanderung auszuruhen suchten. Einige waren auf und in die Wagen der Gäste geklettert und trommelten mit ihren Beinen singend darauf herum; andere kamen eben die Treppe herauf, wo ihnen der Pädagog voranging, und Max hörte gleich darauf an dem bewillkommnenden Lachen seines Onkels, daß sie in dem Speisesaal ihren Hafen gesucht und gefunden hatten. Einige trugen grüne Kränze um die Mützen, andere hatten sich auf dieselbe Weise Girlanden und Schärpen über die Schultern geschlungen. Die ganze Versammlung hatte etwas Naturwüchsiges, Volkstümliches – wie der Pädagog gesagt haben würde – in ihrer Erscheinung. Als Max in den Saal zurücktrat, saß der Professor bereits an der Seite des jovialen Gastgebers, der ihm ein volles Champagnerglas unter die Nase stellte. Der ehrwürdige Altertümler versenkte seine Blicke in das perlende Getränk und zog den lieblichen Duft desselben ein; aber er gewahrte in dem Augenblick, daß die Augen der Knaben, welche über die Reste der Torten und des Konfekts hergefallen waren, seine Lüste beobachteten, und er schob das Glas wieder zurück, indem er sagte, daß er keine aufregenden Getränke zu sich nehmen dürfe. Max verstand den Blick des armen Lehramtssklaven und führte die Knaben nach einer Weile mit sich fort in ein anderes Gemach.
Der Gutsherr, der Pfarrer und der Pädagog saßen nunmehr ungestört allein an einer einsamen Tafel, und das Lachen, womit der Altertümler die Spaße der anderen aufnahm, sein langsames, feinschmeckendes Schlürfen und das Blinzeln seiner Augen bewiesen bald, wie wohl er sich in dieser freien, ungezwungenen Stimmung fühlte. Der joviale Gutsherr und der nachsichtige Seelsorger neckten den gutmütigen, kleinen Mann, der nichts übelnahm, und belustigten sich an seinem drolligen Wesen.
»Ich darf unmöglich mehr trinken«, sagte der Erziehungskrämer, während er dem Gutsbesitzer das leere Glas zum Füllen hinhielt; »es wird wirklich zuviel, wenn ich denke, daß ich morgen in aller Frühe aufstehen muß, um das Maifest im Walde mit ansehen zu können.«
»Ja so, Sie wollen das Maifest mit ansehen«, lachte der Gutsherr; »es ist ja wahr, ich hatte es beinahe vergessen, daß Sie allem verrückten Unsinn nachlaufen, den Sie nur unter dem Volke finden können.«
»Verrückter Unsinn!« rief der Pädagog voll Eifer, indem er in der Vergessenheit sein Glas mit einem Zug leerte. »Verrückten Unsinn nennen Sie die dunklen, geheimnisvollen Elemente, aus denen allein sich die Eigentümlichkeit der Volksstämme konstruieren läßt! Oh! mein Verehrtester …«
»Nun, beruhigen Sie sich«, lachte sein Nachbar lauter, »konstruieren Sie, soviel Sie wollen, ich habe nichts dagegen. Wenn Sie aber wie ich täglich mit dem Volke in nahe Berührung kämen, so würden Sie seine Eigentümlichkeit nicht so hochpoetisch, sondern sehr prosaisch in Schnapstrinken und Verdummung finden.«
Der Volksenthusiast füllte in großer Aufregung sein Glas und das seines Nachbarn und sagte zornig:
»Nun, freilich, Champagner trinken sie nicht, und die Bildung kommt ihnen auch nicht im Traum zugeflogen. Daran sind sie aber nicht selber schuld, und grade die Poesie ihrer Volkstümlichkeit, welche sie sich von früher bewahrt, spricht für die Schönheit ihrer ursprünglichen Elemente.«
»Erlauben Sie«, sagte der Gutsbesitzer ruhig; »das Volk ist allerdings an seiner Verdummung schuld, denn es lernt nichts, und ebenso könnte es besser mäßig leben, statt sich durch den Branntwein zu demoralisieren.«
»Es gibt aber doch Leute, die sich trotz solcher Ansichten die Vorliebe der Arbeiter für den Branntwein, dessen die Leute in Ermanglung von etwas Besserem bedürfen, sehr wohl zunutze zu machen wissen.«
Der Gutsherr hatte den Eintritt seines Neffen, der sich hinter seinen Stuhl gestellt, nicht bemerkt, und er lehnte überrascht seinen Kopf zurück, als er dies hörte. Der Pfarrer, welcher wußte, daß der Gutsbesitzer den Arbeitern einen Abzug am Wochenlohn machte und ihnen dafür Branntwein aus seiner eigenen Brennerei lieferte, erwiderte nichts darauf; der Pädagog jedoch, welcher den Hauptvorwurf dieser Worte nicht verstand, griff seinen eigenen Sinn heraus.
»Ja, was sollen denn die Leute anderes trinken?« sagte er, dem Studenten zunickend. »Sie haben doch das Bedürfnis, sich nach ihrer anstrengenden Arbeit zu stärken, und ihre Mittel erlauben ihnen nichts anderes.«
»Ich habe auch nichts gegen den Genuß des Branntweins überhaupt gesagt«, warf der Gutsherr absprechend ein; »aber zur Mäßigkeit und Sparsamkeit sollen sich die Leute gewöhnen, statt all ihren Verdienst in Branntwein zu versaufen. Da die Leute aber selbst das Einsehen nicht haben, so werde ich von nun an selber dafür sorgen. Ich werde sie demnächst anhalten, daß sie eine Sparkasse errichten, damit sie im Alter und bei Krankheiten auch etwas haben, und will sie ihnen in Gottes Namen selbst verwalten, obschon ich mir nichts wie Schererei damit auf den Hals lade. Ich werde jedem zu diesem Zweck einen kleinen Abzug machen, der in die Kasse fließt. Wer damit nicht einverstanden ist, der kann gehen; die Leute sind ja freiwillig und nicht als Sklaven in meinem Dienst. Aber ich will nicht haben, daß sie alt und krank ohne Hilfe sind, und sie werden wohl später selbst einsehen, daß es nur zu ihrem Besten ist.«
Der Pfarrer nickte beifällig zu diesen Worten, während Max mit einem eigentümlichen Lächeln auf seinen Onkel herabsah. Die Erwiderung, welche er auf den Lippen hatte, wurde jedoch durch die Ankunft neuer Gäste abgeschnitten.
Es waren dies mehrere Landgeistliche aus der Umgegend, welche am Morgen ihren Pflichten nachgehen mußten und deshalb erst jetzt zur Nachfeier des Festmahls eintrafen. Ein kleiner, dicker Herr mit glänzendem Gesicht wischte sich keuchend den Schweiß von der Stirn und betrachtete wohlgemut das Schlachtfeld der Tafel; einige andere hagere, ernste Gesichter legten ebenfalls bei diesem Anblick die strengere Würde ihrer Amtsmienen ab, und die ganze Gesellschaft ließ sich auf die Bewillkommnung des festthronenden Gastgebers an dem Tisch nieder.
Die Unterhaltung währte laut und lange; die Gesichter wurden erhitzter und die Reden ungezwungener. Endlich gab der Gutsbesitzer seinem Neffen ein Zeichen, ihm den Verwalter zu rufen. Während Max darum hinausging, legte der Gutsherr mehrere Goldstücke auf den Tisch, mit denen er bei solchen Gelegenheiten zu dem Klingelbeutel seiner geistlichen Freunde beisteuerte; dann, als der Verwalter gekommen war, ließ er sich von demselben von seinem Sitz aufrichten und nach seinem Zimmer führen. Auf die Gastfreunde verübte jedoch sein Weggang nicht die geringste Störung der Feier. Nachdem sie ihm auf seinem schweren, langsamen Gang verschiedentlich eine gute Ruhe gewünscht, setzten sie sich enger an der Tafel zusammen, und der Jubel begann von neuem.