Max Dreyer
Spuk
Max Dreyer

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*

Am Rande des Kieferngehölzes, in phantastischem Zaubergewand, geisterte der lange hagere Flodoard herum wie ein drohendes Ausrufungszeichen des Schicksals – wie das Gewissen dieser bunten Welt.

Die Künstler schwirrten noch zwischen dem Zirkuszelt und den Wohnwagen hin und her – ehe sie zu dem großen Aufmarsch der ganzen Truppe, der ersten Nummer des Programms, fertig waren.

Ruhender Pol in der Mitte dieses bunten Kreises war der Direktor Karl Poot, der immer vor der Schlacht, was auch seine Seele bewegt hatte, seinen vollen Gleichmut wiedergewann.

Seine kurze Pfeife schmauchend dehnte er in seinem bequemen Liegestuhl mitten auf dem Platz die gewaltigen Glieder. Das ganze Völkchen war wie eingeschworen auf die suggestive Macht dieses Phlegmas und überwand so alle schädlichen Ausartungen des Kulissenfiebers.

Mehr Besucher als gewöhnlich stellten sich ein. Jetzt erschien auch Lisbet auf dem Plan. Bodo, der sich von Florinde getrennt hatte, war gleich bei ihr. 107

»Nun? Was verlautet vom Ringkampf«, fragte sie. »Haben sich schon Bewerber gemeldet?«

Er konnte nur mit den Achseln zucken, der er zunächst und zuerst einmal Kunstschütze war. Natürlich sollte sein Glanz auch hier vor Lisbet strahlen – tout pour elle! Gerade als Gegenstück zu dem kleinen Kobold, der ihm eben das Blut erregt hatte, entflammte ihre vornehme Herbheit seine vielseitige Männlichkeit.

Er wußte, daß der Schuß Zigeunertum, den er hier zeigte, ihn ihr interessant machte. Daß das unbekümmert Sportliche in dieser schauspielerischen Fassung ihr reizvoller war, als das korrekte Einhergestiefel ihres Jugendfreundes mit seiner mikroskopischen Wissenschaftlichkeit und all der elektrischen Pedanterie.

»Jetzt muß ich mich erst mal überzeugen, ob man für Sie auch den richtigen Platz reserviert hat. Und dann – nach der Vorstellung sind wir natürlich zusammen!«

Hatte er dasselbe nicht eben Florinde gesagt? Aber das beschwerte nicht weiter sein Gemüt.

»Wissen Sie, was ich dann möchte?« fragte sie ihn.

»Das wird natürlich geschehen!« entschied er von vorne herein.

Auch sie hatte etwas Freies, Gelöstes und Gehobenes. Auch sie etwas abenteuerlich Beschwingtes und das Begehrliche ihrer Laune in dieser ganzen bunten abenteuerlichen Welt. »Ich möchte, daß wir uns dann in dem alten verzauberten Haus zusammenfinden.«

Ein Schattenstreif durchzog es ihn, eine Scheu, eine Sorge, etwas wie eine Warnung. Dann aber machte er sich hell und strahlte über sich selbst hinaus. »Natürlich! Das wollen wir! Und den verhexten Bau – mit dem Zauber unseres Beieinander wollen wir ihn uns schon entrunen und enträtseln!«

Er wollte noch weiter in seinem Überschwang – da sah er etwas in Lisbets Zügen, was ihn zur Behutsamkeit mahnte. 108

»Wollen Sie sonst noch jemanden dabei haben?« fragte er. Vielleicht war das dumm. Erschwerte er ihr nicht gerade so die Antwort, auf die er hoffte und die er wollte: Niemanden außer Ihnen!

Aber schon sagte sie: »Hennig – Doktor Diekhoff wird doch wohl mit dabei sein.«

Da hatte er's. Aber er ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Als Dame konnte sie – nach dieser törichten, ja verdammt nochmal sehr törichten Frage – doch wohl nicht gut anders. Über ihr frauliches Empfinden täuschte er sich nicht. Daß dies mit seinen männlichen Wünschen zusammenklang, war ihm gewiß.

Bei dem ungebetenen Gast aber, dem schnurrigen Elektromanen waren Zwischenfälle, die ihn seine eigenen Wege gehen hießen, wahrscheinlich. Hoffen wir auf seine wissenschaftlichen Eskapaden.

Mit dir allein sein Lisbet! Soll denn uns beiden nicht das Haus gehören! Mit dir allein sein! Das Sieghafte sich ausstrahlen lassen! Und Sieg reiht sich an Sieg –!–

Gleich suchte er sich Peter auf. »Sie müssen in dem alten Haus eine kleine Abendtafel herrichten. Für drei. Erlesene kalte Platte aus dem Strandhotel. Anständige Weine. Sekt. Wenns geht auch noch ein paar Blumen für den Tisch. Nehmen Sie sich gleich den Wagen.«

*

Peters Augen und Gedanken waren auf der Suche nach Florinde, und schimpfend sauste er davon.

Er hatte sich längst innerlich von Bodo Hahnenkamp gelöst. Den er kannte wie keiner sonst. Vielleicht hätte er weiter geruhsam dessen Abenteuern zugesehen – seinen Abenteuern? – nein, nicht dieses immerhin mutvolle Wort für seine Abenteuerchen, seine vorsichtig verstohlenen Lebens- und Liebeskunststücke! 109

Und wie gut war es ihm immer gegangen! Der schöne Bodo gehörte nun einmal zu denen, die das Glück angepinselt hatte. Manchmal wischt solchen Leuten das Leben die Farbe ab. Manchmal auch nicht.

Er Peter, sein Schofför, nach Bedarf auch sein Vertrauter und sein Faktotum, hatte ihm alles gegönnt. Aber jetzt, wo dieser Frauenpirat die kleine Florinde kapern wollte –!

In Peter, dem Gleichmütigen, geriet etwas aus den Fugen. Und sein ehrlicher Sinn fragte: all dies künstliche Feuerwerk mit seinen wohlpräparierten Leuchtkugeln und Raketen muß es nicht mal zerplatzen und verpuffen!

Ja, aber eh die Frauensleut dahinterkommen –!–

Herr Doktor Diekhoff, der hatte ja sicherlich die rechte Witterung für all das Unechte, das Verlogene und Komödiantenhafte. Nur daß er zu vornehm war, zu anständig in seiner Gesinnung – wie leicht hätte er es gehabt, ihn Peter über den Mister Hahnenkamp auszuforschen und sich Tatsachen zur Hilfe zu holen.

Oder wußte er aus sich allein, woran er war? Und bereitete er, der Überlegene, für sich im Stillen etwas vor? Donnerwetter ja! Ihm konnte es doch auch nicht gleichgültig sein, wie der schöne Bodo um Fräulein Helmbrecht herumturnte –

Dunner un vedori! Ob das Schicksal den Flausenmacher hier nicht doch bei den Ohren nehmen wird –!–

Und jetzt stieg dunkel das Haus vor ihm auf, das dunkle, schicksalkundige, schicksalverbundene – das ihm selbst gehörte durch Bande des Bluts – das dem andern, dem Besitzer fremd war, beargwöhnt von ihm und vermieden – in dem er dem andern ein Mahl bereiten sollte, für drei – wie heißt es in dem alten Lied? Erst waren es drei – dann blieben nur zwei – –

Er jagte mit dem Wagen und jagte. Ich will bald wieder zurück sein, im Zirkus, bei Florinde. 110

Hennig kam kurz vor Anfang der Vorstellung. Er begrüßte Lisbet – sie hatte sich eben von Bodo getrennt, der als Künstler hinter das Zelt zu der Truppe gehörte und noch mit Florinde zu verhandeln hatte.

Lisbet hatte für Hennig nur ein kurzes Wort. Sie begab sich jetzt gleich auf den für sie reservierten Platz.

Er saß wo anders. Mit vollem Bedacht. Ich hätte es so einrichten können, neben ihr zu sitzen. Aber wie leicht hätte sie das als Störung empfunden, als Beaufsichtigung, als Beeinflussung, als was weiß ich. Ich kenn doch meine Lis!

Und gerade jetzt, wo es hart auf hart geht – wo die Entscheidung fallen muß: er oder ich! Freie Wahl will sie haben – freie Wahl soll ihr bleiben.

Was das für mich bedeutet – was hier für mich Schicksalswende ist, ich hab es mit mir abzumachen. Mit mir allein!

Hennig hatte seine kluge und klare Ruhe.

Die Vorstellung begann.

*

Die Vorstellung war zu Ende.

Das, was Lisbet erwartet hatte, das wonach ihr Zeichenstift sich sehnte, hatte sich nun leider nicht begeben.

Der Aufforderung zum Ringkampf hatte sich keiner gestellt, wenigstens nicht im Ernst. Dafür aber hatte eine scherzhafte Improvisation die Zuschauer aufs Beste unterhalten.

Ein Musikstück – mit mächtigen Paukenschlägen verdonnert und verhallt es. Direktor Karl Poot im Trikot, muskelgeschwellt, auf den Mienen den Ernst der Stunde, tritt in die Manege. Mit getragener Stimme deklamiert er die Ankündigung. In dem inhaltsträchtigen Wort »Hundert Mark in bar« kämpft Drohung mit Verheißung.

Stille. Lange Pause. Umsonst ist das Tauziehen von Lisbets erwartungsvollen Blicken. Keiner rührt sich. 111

Dann aber gibt es ein unerwartetes Intermezzo. Es kommt doch einer. Aber verdächtig ist das Lachen auf manchen Bänken.

Gefährlich genug sieht der Mann aus. Noch ein paar Zoll höher als Karl Poot und noch erheblich breiter. – Ein Kerl sechs Fenster Front. Aber – in dem Sonntagnachmittagausgeh-Anzug und dem Sommerüberzieher wird er doch wohl nicht ringen wollen. Und wäre er nicht als der größte Witzemacher der Gegend bekannt –!–

Herr Bäckermeister Gottfried Ummanz. Ganz langsam, unerhört feierlich schreitet er auf den Kampfplatz los. Zieht zu gravitätisch förmlichem Gruß den steifen schwarzen Hut, macht dann den Arm krumm, umgreift prüfend den eigenen Bizeps, faßt darauf vergleichend die Muskulatur des Herausforderers und läßt von ihr geringschätzig die Hand absinken.

»Geben Sie die Hälfte – dann will ich Sie leben lassen«, sagt er dumpf schicksalhaft.

Prompt erwidert Karl Poot: »Nur über meine Leiche –!–«

»Über Leichen geh ich nicht!« kam es ebenso schlagfertig zurück. Gottfried war für Gottesfrieden. »Behalt auch die andere Hälfte und trag den Siegerkranz.«

Der Meister setzte die Knöchel an den Mund. Aus dem Zuschauerraum kam ein Bäckerjunge mit weißer Schürze und steifer weißer Mütze, er trug einen großen Kranzkuchen auf dem Blech, der Meister nahm ihn und legte ihn in unübertrefflich festlicher Haltung dem Ringer um den Hals.

Aus dem Staunen, Starren und Sichwundern brach jetzt ein Sturm von Lachen und Bravorufen. Solchen eigenmächtigen Erfolg des unberufenen Außenseiters hätten nun die Clowns in das zünftige Bett der Manege einmünden lassen müssen. Aber die Einfälle des alten Ham waren zu langsam geworden, die andern aber waren ideenlos und zu dumm. Wer aber trat da mit einer Inprovisation auf den Plan 112 und rettete das Handwerk? Niemand anders als die kleine Florinde.

Fröhlich ging sie dem rosigen Bäckerjungen zu Leibe, der in Grauen erstarrte – nahm ihm das Kuchenblech aus den Händen, die weiße Mütze vom Kopf – vollführte mit beiden die unglaublichsten Jongleurkunststücke – setzte dem Leblosen die Mütze, nachdem sie gezeigt, daß deren blütenweiße Unbescholtenheit von dem schwarzen Blech in dem wechselseitigen Spiel keinerlei Schaden gelitten, wieder auf den Flachskopf – und jetzt erweckte sie ihn zum Dasein, indem sie dem hilflos offenen Mund einen schallenden Kuß aufdrückte. Die Begeisterung der Zuschauer aber brauste über alle Grenzen, als der Bengel sich die Lippen leckte mit einem Ausdruck, in dem der Schreck »Donnerwetter nochmal!« einem schmatzenden »hat das geschmeckt!« die Waage hielt.

Florinde war des Tages Heldin. Schon vorher, in der Hauptnummer des Programms, war sie Hauptperson gewesen, als sie dem »Herrn aus der Gesellschaft« beim Kunstschießen Handreichung leistete. Nicht nur, daß sie ihm die Scheiben richtete und die Pistolen lud. Zwischendurch gab sie, wie sie dem Partner verheißen, ihre eigenen Kunstübungen zum Besten, meist heiterer, ja übermütigster Art. So daß man dem Schluß der Vorführung, der sehr gefährlich sich ausnahm, wenn auch mit angehaltenem Atem so doch ohne lähmende und allzu quälende Ängste zusah.

Florinde, die auch die Ansagerin machte, verkündete: »Da der Tellschuß polizeilich verboten ist, müssen wir die Herrschaften bitten, sich mit einer harmlosen Abart begnügen zu wollen.« Den Anschein der Harmlosigkeit hatte diese Abart nun allerdings nicht. Florinde stellte sich weitab von dem Schützen vor den Kugelfang, nahm eine kleine versilberte Glaskugel zwischen den Zeige- und Mittelfinger der linken Hand und streckte den Arm zur Seite. 113

»Fertig!« rief sie. Der Schuß fiel. Die Kugel zersplitterte und zerstob.

Das Publikum, immerhin dankbar erlöst, raste sich aus.

Florinde war des Tages Heldin.

*

Peter – wenn er auch Hahnenkamps fabelhafte Geschicklichkeit kannte – war es bei diesem letzten Kunststück doch verteufelt zumute gewesen.

Seinen ganzen Zorn warf er auf Bodo, diesen eitlen Schausteller seiner selbst. Aber auch für Florinde blieb noch genug übrig, daß sie sich zu so was hatte betören lassen. Und etwas in ihm schrie nach der Polizei, daß sie gefälligst auch diesen abgeschwächten Tellschuß als stark genug zu verbieten habe.

Der gute Kerl hatte keine Ahnung, daß er wie alle andern verblendet durch die verblüffend einwandfreien Leistungen zum Schluß das Opfer eines sensationellen Tricks, also eines ganz gemeinen Schwindels geworden war.

Florinde hatte nicht gewollt. Sie hatte ihr artistisches Reinlichkeitsgefühl. Aber Bodo lachte sie aus. »Ein Scherz! Und laß die Leut sich ruhig ein bischen gruseln!«

Eine hauchdünne Glaskugel, die sich durch den leisesten Fingerdruck in Splitter zermalmen und dabei nach hinten schnellen ließ, als welches denn auch – nach dem blinden Schuß – geschehen.

Nun schämte sie sich doch und hatte den Groll auf ihn, daß er sie hatte verführen können. Bäumte sich auf gegen seine Macht über sie – und duckte und kauerte und krümmte sich wieder unter sie mit wohligem Schauer.

Woher dies Verhängnis, daß ich muß, was ich nicht will –?–

War sie ihm so verfallen? War das die berühmte Hörigkeit? 114

Oh dies infame Grübeln! Und das um diesen Mann, den ich durchschaue – den ich nicht mag, weil ich ihn durchschaue – der ein Flausenmacher ist!

Wie hatte es in ihr gezuckt, nach diesem verlogenen blinden Kugelschuß die Offenbarung ihrer Bauchrednerstimme loszulassen: »Schwindel– hundsgemeiner Schwindel ist dies!«

Warum hatte sie's nicht getan! Oh, hätte das einen Klamauk gegeben! Und wie ähnlich hätte ihr das gesehen!

Da geht Peter. Der brave, biedere, verläßliche. Ihn zur Hilfe holen – ihm alles anvertrauen – ihn in Wut, ja in Wut ihn bringen! An die Kehle soll er dem andern gehen!

Männerkampf will ich haben! Männerkampf um mich! Zeigt Peter nicht in allem, daß er mich lieb hat! Darf er sich das gefallen lassen, daß der andere mich so betört!

Peter, der verläßliche, der biedere, brave. Ist er zum Sprung an die Kehle geschaffen? Wäre er sonst nicht längst gesprungen! Nein, eine Schlafmütze ist er. Ich mag ihn nicht! Auch ihn nicht – nein!

Zorn war in ihr und nichts als Zorn. Und über das, was sie jetzt sah, lohte er himmelan.

Die Zuschauer verließen das Zelt. Ein paar Damen, Badegäste wie man sah, taten suchend sich um – jetzt entdeckten sie Bodo Hahnenkamp, der mit dem Direktor abseits stand. Höchst ungezwungen legten sie Beschlag auf ihn, umschwirrten und umgirrten ihn.

Ja, ja, warum nicht! Die Welt ist ja noch weiter! Und viel weiter noch ist des schönen Bodos Herz!

Sie krampfte sich zusammen. Da bemerkte sie, wie Lisbet mit großen Augen dieselbe Szene in sich aufnahm. Nicht wahr, das kommt dir verquer – das ärgert dich, das quält dich, das wurmt dich – das bost dich –!–

Und Florinde legte die Schadenfreude als Pflaster auf ihren eigenen Schmerz. 115

*

Direktor Karl Poot ging zu Regine, die eben die dickste ihrer Zigarren liebkosend mit den vollen fünf Fingern umschlang.

»Na Madamming – heut hats ja nu so einigermaßen gefluscht.«

»Ja. Dieser Herr Hahnentritt – alle Achtung. Is ne Nummer. Könnte jeden Tag bei Krone auftreten.«

»Meine Entdeckung.«

»'N Staatskerl, Junge, Junge ja. Was für die Weiber. Kiek dir das mal an.« Sie zeigte auf die Gruppe, die ihn umschwärmte – die Florinde zum Rasen brachte und Lisbet zum Nachsinnen. »Un wat wird nu aus Eurem Privatringkampf werden? Vielleicht lädt er nu diese noblen Bekanntschaften ein, daß sie mit dabei sind.«

»Hab ich nicks nich dagegen. Kundschaft is Kundschaft.«

»Aber denn« – sie hüllte sich in dicke Wolken –

»Na wat, mien Deern?« Er ahnte, was kommen würde. Er wollte leicht darüber hinweg. Aber sie hielt ihn fest an den Füßen.

»Denn, wenn er nu noch mehr glänzt – vor noch mehreren glänzt – denn kriegt die Sache ja noch 'n freundlicheres Gesicht.«

»Willst Du nun nicht endlich beidrehen! Du kennst meine Gesinnung!«

Das war das Wort, alle weiteren Erörterungen abzuschneiden. Nur daß Reginens Faden sich nicht durchschneiden ließ.

»Ja, Du Mann mit Jefühl und Jemüt. Aber seine Jesinnung kenn ich auch. Wir wissen doch, dat det ne Weibersache is. In erster Linie is ihm das ja um die Zeichendame zu tun. Und wenn er hier nu so als Weiberheld paradieren kann – Mensch stell Dich nicht so dumm an. Um ein Paar Lappen mehr oder weniger reißt der sich doch nicht die Haxen aus.«

»Nu machst Du wieder 'n neues Fenster auf. Nee, nee – er hat uns doch schon freiwillig und umsonst so'n strammen 116 Dienst geleistet. Und was er bei dem Ringkampf drauflegen will« – und wieder trumpfte etwas in ihm auf – »wenn das nich nobel is –!« –

»Ja – und wenn ich ihn nu für noch nobler halte! Mann, das soll doch 'ne Ehre für ihn sein. Und für seine Ehre tut doch 'n Ehrenmann was. Wir aber – das bischen Kasse heut bringt uns nicht auf den Damm.« Und nun dumpf wie die Posaune des Gerichts: »es is und bleibt zappenduster bei uns.«

Jetzt zogen wieder die schweren Wolken durch Karl Poots reinliche Sinnesart und trübten sie erheblich.

»Wist Du mi mal seggen, wur Du Di dat denkst?«

»Ja, Du Lamm – das will ich Dir sagen. Du hast den Mann doch in der Zange und denn – na ja – denn flüsterst Du ihm lieblich ins Ohr – Du hättest Dich zu billig verkauft oder so was – er möchte doch freundlicherweise noch fünfhundert Eier zulegen.«

Nun lachte er los. Das half über manches hinweg. »Gleich fünfhundert!«

»Gut oder gar nicht!«

Wie gern hätte sein Phlegma ihr alle Verantwortung überlassen. Aber neben dem kleinen Schweinhund, den nun mal jeder in sich trägt, sitzt nun doch gefälligst das ›bessere Ich‹.

»Nee – nee – nee – das wär ja ne ganz gemeine Erpressung!« Er stieß es nicht einmal zornig hervor, sondern blies es nur mit einer gewissen Entrüstung von sich.

Damit kam er an die Rechte. »Mumpig! Ist das ganze Leben nicht Erpressung! Du aber mach Dir mal jefälligst klar, was Du allens aufgibst. Deinen Namen und den Meistertitel und die Medaille. Un denn, mein Herzensdieb, die Blamage – vor der Öffentlichkeit kann man ja nich sagen – aber wat viel mehr int Jewicht fällt: vor det Personal! Nee, nee – fürn Butterbrot is sowat nich zu haben.«

So ließ das bessere Ich nun aber doch nicht mit sich 117 umgehen. »Wenn ich mich nu schon so weit hergegeben habe, 'n festen Preis mit ihm abzumachen –«

»Jungeken – nu laß mal Deine Fisematenten. Ach Ihr Ehrenmänner! Festen Preis – wollt Ihr Euch vielleicht vor mir in die weiße Weste werfen, Ihr Schieber Ihr! Ja, Schieber Ihr beide! Habt Ihr denn nich schon geschoben! Aber von wem is die Schiebung ausgegangen? Von ihm doch! Du bist der Verführte. Un dat der Verführer berappt – beruht darauf nich dat janze bürgerliche Jesetzbuch?«

Die Eva hatte gut gesprochen. Aber in dem Adam wühlte und gärte es immer noch.

Eine Pause der Besinnung gab es. Florinde war ganz in der Nähe – verschwand – wurde wieder sichtbar.

»Der kleene Floh« – Poot runzelte die Stirn – »wat hüppt denn de hier herrümmer! Will der hier horchen?« und er rief »Florchen!«

Sie kam herangesprungen.

»Wat kriechste denn hier so alleene herum? Wo hast Du Deinen Caballero?« fragte das Donnerblech.

»Der is bei anderen«, sagte sie, und ihre Wut darüber tat so, als fände sie es lustig.

»Ja, die Männer sind immer woanders – die bekannte männliche Geographie. Aber prima biste gewesen, kleines Mädchen. Un nu sei mal so gut und sag Ham, er soll alles für den Ringkampf hier im Freien herrichten.« Florinde flog davon.

»'N verdammten Schietkram is dat all!« Korl Poot spuckte seinen Priem leewärts in himmelhohem Bogen. »Und denn is das ja noch gar nich raus, ob ich ihn überhaupt unterkrieg!«

»Wat, wat, wat? So weit is et mit Dir? Pensionieren lassen willst Du dich? Na gut, denn geh Du zu Deinem Bäckermeister, Du gekrönter Kuchenkönig Du, und rühr Semmelteig an!« 118

Jetzt war denn doch der Männerstolz erregt, und die Spannkraft stieg in die Männerbrust. »'N büschen haben wir ja woll noch mitzureden!«

»Na siehst Du! Un nu los! Was zu tun is, weißt Du, wenn Du nich Buchweizengrütze im Kopf hast. Vielleicht ist es Dir auch bekannt, daß da noch 'n neuer Wechsel is – von Groterjahn – und übermorgen is er fällig –«

Hinfällig wurde der alte Adam vor dem fälligen Wechsel. Er kratzte sich den Kopf und knirschte mit den Zähnen und stöhnte und schnob. »Der Deubel soll die verdammten Blutsauger holen« –

»Das soll er außerdem auch. Aber Du mein Jungeken, Du hast jetzt Deine Windrichtung und weißt wohin die Fahrt geht. Und wenn Du denn die Kuh gelandet hast« –

Er sah sie an mit grimmigem Lächeln. Er freute sich, daß er nun auch einmal der Überlegene war und daß er ihr aus solcher Überlegenheit eins auswischen konnte. »Den Coup gelandet« verwies er sie.

Aber Regine Poot geborene Hackbeil behielt durchaus ihr seelisches Gleichgewicht. »Ick sage nich der, ick sage die Kuh. Aber wenn Du in der Familie besser Bescheid weißt –« er bekam einen zärtlichen Schubs. »Also – jetzt bleibste heil und dick! Un nach vollbrachter Tat – im ›Seestern‹ wird heute Siechen angestochen. So Herr Direktor, un nu schminck Dich um fürn Ringkampf!«

Er ging langsam und schwer zum Wohnwagen. Es zuckte in seinen mächtigen Muskeln. Der angestammte Stolz stieg ihm zu Kopf. Nun glaubt Ihr, Ihr habt mich. Aber Ihr habt mich noch lange nicht. Und ich weiß noch lange nicht, was ich tu. Und vielleicht erlebt Ihr Halunken Euer blaues Wunder!

Zorn war in seiner Brust. Und zornig schwollen die Wolken des Abendhimmels an. Ein Rollen und Grollen aus des Himmels tiefem, schwerem Schoß. Unzufrieden ist 119 der Himmel – unzufrieden mit dem Schweinkram hier unten!

Ach ich wollt, es schlüg ein Donnerwetter drein!

*

Der schöne Bodo hatte sich von seinen Verehrerinnen, den Damen aus dem Badeort, die jetzt nach Hause wollten, verabschiedet – er sah Lisbet allein abseits hin- und hergehen, gleich war er an ihrer Seite.

»Nun, wieviel Rendezvous sind dabei herausgesprungen!« so empfing sie ihn lachend. Das sollte sehr lustig, sehr übermütig, ganz ungezwungen und höchst gleichmütig klingen. Aber gerade weil es das sollte, tat es das nicht. Sie fühlte selbst den Unterton, und jetzt ärgerte sie sich grimmig über diese ihre Ansprache.

Er aber – oh – eine eifersüchtige Regung hatte er sich gutzuschreiben, und er tat das mit genießerischem Bedacht.

»Ach«, sagte er achselzuckend, »immer dieselbe Geschichte. Sobald einer an die Öffentlichkeit tritt, was es auch sein mag, gleich finden diese Hyänen der Öffentlichkeit sich ein. Übrigens war eine Dampferbekanntschaft dabei.«

Sie hörte das nicht ungern, wenn bei ihr auch die Unzufriedenheit mit sich selber blieb. Aber sie brachte sich sprachlich ins Gleichgewicht, indem sie die naheliegende Bemerkung machte: »Also die berühmte kleine Welt.«

Dann aber stürzte sie sich in die Sachlichkeit, hart, beinahe rauh. »Ja – mein Skizzenbuch ist also leer ausgegangen.«

Jetzt durfte er blank aufstrahlen. »Wenn Sie wüßten, welche Angst ich ausgestanden habe –«

»Sie – Angst – um was?«

»Ja, ja – eine mörderlich neidische Angst, es könnte ein anderer in Ihre Mappe kommen. Ich – ich will Ihr 120 Modell sein! Jetzt bin ich glücklich, daß mein Wunsch sich erfüllt. Und er mußte sich erfüllen, durch seine Kraft.«

Die Leidenschaft brannte hinter seinen gut gestellten Worten. Die Glut wehte sie an, bei ihrer Aufgabe suchte sie Schutz. »Natürlich ist es mir lieber, daß ich Sie zeichnen darf und nicht einen Unbekannten. So kommt denn viel mehr Persönliches hinein. Und das ist nun einmal für unsereinen das Wesentliche,« Sie ist jetzt ganz bei ihrer Kunst und klopft munter an ihre Mappe. »Ja – nach Ihrem eigenen Willen – hier kommen Sie nun also hinein. Und was sie hat, das hält sie fest.«

Bodo verbeugt sich lächelnd. »O ich fühle die ganze Verantwortlichkeit meines Ewigkeitswertes.« Und er durfte für sich hinzufügen: als Sieger wirst du mich sehen – als Sieger wird dein Künstlerauge mich festhalten – als Sieger werde ich in deinen Sinnen bleiben – als Sieger werde ich dich gewinnen.

Und triumphieren werde ich über ihn den andern, den Naturschnüffler, der noch immer als Bewerber sich fühlt. Der jetzt wieder meine Kreise stören möchte. Kommt er nicht richtig zu uns beiden her, ungerufen und ungewollt?

Ein Unbehagen bringt er mit sich, ein drückendes, schwächendes, lähmendes, ich will – ich will mich dem nicht gefangengeben – will dem nicht unterliegen –

Ist wieder Gewitter in der Luft? Hat dieser Mensch nicht etwas von einem elektrischen Geisterbeschwörer –?

Oder reist er nicht vielmehr in einer Dämonie, die sich wissenschaftlich drapiert? Soll man nicht darüber lachen?

Ihn nicht ins Unheimliche abseits stellen! Sich nicht so von ihm distanzieren. Das gibt ihm erst seine geheimnisvolle Macht. Ihn ganz unbefangen und ungezwungen hineinziehen in das, was sich hier unten um uns und mit uns und in uns begibt.

Sehr liebenswürdig tritt er ihm entgegen. »Wenn der 121 Ringkampf vorbei ist, soll auf Wunsch von Fräulein Helmstedt das alte Haus neu eingeweiht werden. Es soll sozusagen wieder unter Menschen kommen. Ich darf hoffen, daß Sie dabei sind –?«

Und schon hat er den Lohn für seine Unbefangenheit, einen Erfolg, wie er sich ihn nicht besser wünschen kann.

»Das ist sehr freundlich, Herr Hahnenkamp. Und wenn ich könnte, würde ich gerne kommen.«

»Oh – warum sollten Sie nicht können?«

»Ich werde nochmal aufs Wasser müssen.«

»Wie schade.«

»Es sind so verschiedene Anzeichen da, daß etwas, worauf ich lange sehnlichst warte, daß das heut abend eintrifft.«

Dies scheint nun allerdings mehr für Lisbet bestimmt zu sein.

»Sichere Anzeichen?«

»Man hat so seine Antenne.«

Das mit der Antenne – das war ja nun wieder unbehaglich und einigermaßen überflüssig. Aber jetzt kam dann wieder was Gutes von diesem peinlichen Herrn. »Eine Frage – und eine Bitte hätt' ich an Sie.«

Eine Verneigung. »Sie wissen, Herr Doktor –«

»Ist Herr Röper heute abend dienstfrei? Ich möchte ihn gerne mit in mein Boot nehmen.«

Was Besseres konnte ja gar nicht geschehen! »Ja, ja – ich brauche ihn heute nicht mehr. Natürlich ist er zu Ihrer Verfügung!«

»Vielen Dank! Und Dank für Ihre liebenswürdige Einladung. Vielleicht komme ich später.«

»Besser als gar nicht!« Bodo machte sein lieblichstes Gesicht.

Später willst du kommen? Ja, alter Freund, wenn du nur nicht zu spät kommst. Deine Antenne, die dir den Weg aufs Wasser weist – die soll gesegnet sein! 122

*

Zwischen den Kiefern, in die der Abend vor dem Lampenschein sich flüchtete, geisterte eine hohe lange fleischlos unwirkliche Gestalt – blieb stehen – hob die Arme, als wolle sie Geschehenes ungeschehen machen – als wolle sie das Leben verwünschen – als wolle sie das Schicksal beschwören –

Flodoard war es, der weltabgewandte, menschenferne, seit es keine Menschenflöhe mehr gab.

Jetzt sah und fand ihn Florinde, und sie zog ihn hinein in ihre eigene Not.

»Du allein Vater – und ich allein. Und wir beide auch allein voreinander – das geht doch nicht!« Sie schmiegte sich an ihn.

Er strich ihr zärtlich über den Kopf. »Du mein Kleines, Du findest Dich ja zurecht in der Welt. Aber für mich ist sie leer geworden.«

»Vater – sie füllt sich wieder. Ich glaube so fest an eine Wiederkunft. Ja, unsere kleinen Freunde werden wiederkommen. Sie sind erstmal auf Urlaub. Was sind sie auch in ihrem Leben herumgesprungen! Aber bald geht ihr fröhliches Dasein wieder an. Denkst Du noch an unser kleines Flohfräulein ›Kneifsielinde‹?«

»Ob ich an sie denke.«

»Sie die lustigste und listigste von der ganzen kleinen Bande. Und die ist uns doch nicht gestorben – die ist doch gesund als fröhlicher kleiner Springinsfeld davongehüpft! Und Du – auf die können wir uns verlassen. Die hat sich längst ihren Busenfreund gesucht und gefunden. Generationen sind schon unterwegs. Und ein Heer fröhlicher Gesellen wird auch über uns hier hereinbrechen.«

»Du erzählst Dir Märchen, Kind.«

Sie hielt inne und versank in sich selbst. Dann stieß sie hart hervor: »Ja – ach ja – werd's wohl nötig haben. Vater – ach Vater –« 123

»Sags mir.«

»Wenn Du wüßtest, wie satt ich den ganzen Kram hier habe!«

»Und hast doch eben diesen schönen Erfolg gehabt.«

»Ja, ja – dieser Erfolg! Da sitzt der Deubel dreimal drin! Ach Vater!«

»Dein Herz dabei?«

»Ja und nein –«

»Ja ist schlimm. Und nein ist schlimmer. Aber ja und nein – das ist das schlimmste.«

»Hast Du gesehen, wie die Weiber um ihn herum waren? Was ist nur an ihm, daß man so – –!« Nun flog der Zorn ihr wieder durch die Glieder und sie krampfte die Hände. »Hab ich ihm darum Handlangerdienste getan! Hab ich darum seine Nummer als richtige Varieténummer aufgezogen? Hab ich darum seine Knallerei mit dem nötigen Humor garniert? Wenn das nun der Humor davon ist!«

»Aber Kleines – denk doch mal« –

»Denken! Was ist das? Ich hab noch nie gedacht. Ich hab immer nur gefühlt und was gewollt. Und wenn ich nicht krieg was ich will, dann fahr ich nun mal aus der Haut!«

Nun kam über den Alten seine lächelnde Weltweisheit. »Aus der Haut fahren – das soll man dann ruhig tun. Und sich still lächelnd daneben setzen.«

»Still lächeln – ich kann nicht still lächeln. Und kann nicht danebensitzen!« Eine Pause der Versonnenheit – und dann ein neuer Ausbruch. »Ich mag ihn ja gar nicht diesen – diesen Flausenkönig! Nein ich mag ihn nicht! Aber warum macht er mich verrückt.« Sie fährt sich über ihre zuckenden Lider.

»Kindchen – Tränen –?–«

»Tränen! Ist nicht wahr! Das ist verirrte Spucke. Wütend bin ich!«

Und jetzt sieht sie Lisbet, die nachdenklich sich allein hält. 124 »O – da ist ja noch eine. Die hätt' ich beinahe vergessen. Ob sie sich auch ärgert? Ärgert sich vielleicht noch mehr als ich! Hoiho! Jetzt bin ich wieder lustig!« Sie macht einen Sprung und reibt sich die Finger, daß die Funken sprühen.

Dann kriecht sie wieder tief in sich hinein. Und dann gehen ihre Augen auf und werden größer, immer größer. »Vater – und wenn dieser ganze Abend, der ihr zu Ehren gemacht ist – wenn der ihr nun zuletzt verquer ginge –! Ganz und gar verquer ginge –!–«

»Ihr zu Ehren –?«

»Sie will und soll und muß doch partout ihren Ringkampf haben. Und da das in der Vorstellung nichts geworden ist – jetzt kommt doch dieser Ringkampf im kleinsten Kreise dran. Und was damit wird –«

»Jedenfalls wird es ja etwas sportlich Vorbildliches werden –«

»Vorbildliches – hahahaha! Ja, sie werden Euch was vorbilden!«

»Was – redest Du da –!–«

»Man hat doch seinen Grips, Vater. Und wenn man dann noch Ohren hat, die immer mehr hören, als sie hören sollen –! Mumpitz ist dieser Ringkampf –«

»Ja – bist Du bei Trost!«

»Vater! Du mein großes Kind! Und ich bin auf die Art meine eigene Großmutter. Abgekartet ist die Geschichte. Er, der schöne Mann, er muß doch auch der unbezwinglich starke Mann sein. Er will vor seiner Dame doch sein Pfauenrad schlagen!«

Schmerzlich stöhnt sie auf, ihre Glieder zucken. Und dann prasselt ein Feuerwerk in ihren Blicken. »Ah – ihnen da einen Riegel vorschieben – das oberste zu unterst kehren! Die Sache auf den Kopf stellen! Prestidigitateuse! Vater, kann ich was oder kann ich nichts!«

»Dein Fach verstehst Du schon –« 125

»Ha – und glaubst Du nicht – daß ich auf ihn wirke – daß ich eine Macht habe über ihn! Und wenn die Dame dann mit langer Nase abzöge! Die so von oben herab ist und immer so dick tut wie'n großer Buchstabe! Ach, ich hasse sie. Und Haß ist doch eigentlich ein viel anständigeres Gefühl als Liebe.«

Vater Flodoard atmete auf. Wollte die Kleine auch in der Weltweisheit ausruhen?

»Auf alle Fälle ein viel treueres Gefühl«, so philosophierte sie weiter. »Liebe vergeht. Aber Haß besteht.«

Doch damit ging ihr seelisches Gleichgewicht schon wieder in die Brüche. Sie schlug mit den Armen um sich. »Oh – und schließlich bin ich mir was wert! Und mir was schuldig! Bin ich nicht Wer! Bin ich vielleicht ein Nichts! Sag, Vater, bin ich ein Nichts!«

»Ein Sprühteufelchen bist und bleibst Du!«

»Meinetwegen ja! Und ich will da hineinsprühen – sie sollen sich die Augen wischen!«

*

Mit seiner melancholischen Grandezza richtete Ham den Kampfplatz zwischen dem Zirkuszelt und der Wagenburg her. Seine Gehilfen schlugen Pfähle ein, um die ein Seil gespannt wurde. Besondere Sitze gab es für den Schiedsrichter und für die Künstlerin, die an dem Kampf ihre Studien machen wollte – sie eine anerkannte Meisterin des Stifts, das Ganze eine Ehre für den Zirkus, fast so groß wie eine Filmaufnahme. Und Abraham Jackson, die brave alte Haut, seit einem Menschenalter diesem Kunstinstitut zugeschworen, bekam seine feierlichsten Falten.

Bodo wollte sich nach dem Wohnwagen der Direktion begeben, sich für den Ringkampf in sein Badetrikot zu stecken, da trat Florinde ihm in den Weg. 126

»O du« – so nahm er sie an sich – »wie soll ich sagen – Du Genius meiner Ehren und meines Ruhmes!«

Noch redete sie ihm nicht drein. Sie ließ ihn erst ›mit den Gefühlen – sich ruhig seinen Mund ausspülen‹. Ein weiblicher Zweifel in ihr fragte: was ist davon echt – und wird davon bleiben! Nur daß das dumme Blut ihr wieder so zum Herzen drang. Und jetzt mußte sie reden.

»Steht es so mit uns, dann darf ich Ihnen auch was sagen.«

»Alles darfst Du mir sagen.«

Sie nahm kein Blatt vor den Mund. »Mir gefällt das nicht, was Sie hier jetzt machen wollen.«

Er bekam große Augen. »Machen wollen – wie soll ich das verstehen« –

»Ich weiß, daß hier etwas gemacht wird.« Noch größer sah er sie an. »Vielleicht hab ich etwas mitangehört – mehr als Ihnen lieb ist.«

Nun schoß es ihm in den Kopf, vom Gewissen her, und trübte ihm den Verstand. »Hast Du gelauscht?«

»Ich hab mir die Ohren nicht zugehalten –«

Sie machte ihr niederträchtigstes Gesicht. Er wurde nicht klug aus ihr. Was hatte die kleine Kanaille! Was war bei diesem verteufelten Frauenzimmer nicht alles möglich!

»Das sieht ja fast nach einer Erpressung aus. Willst Du Deine Forderung nicht spezifizieren!«

Das hätte er nicht sagen sollen! Aber er hatte wohl von den Verhandlungen mit Mister Poot so etwas wie eine metallische Hirnvergiftung abbekommen –

Schon hatte sie sich kurz auf dem Absatz umgedreht und ihn allein gelassen.

Er stürzte ihr nach. »Florinde – Kind – es war ein dummer Witz.«

Sie ließ sich zurückholen, doch sie blieb steif und stur. »Dann war es ein sehr dummer Witz«, sagte sie kühl. Aber in ihr bebte es. Er hatte ihr etwas abzubitten. Er fühlte 127 sich in ihrer Schuld. Eine neue Macht über ihn – den furchtbar Schönen –!

Und jetzt hieß es die Lage ausnutzen. Ihn nicht aus den Fingern lassen. Hell und klug und scharf sprühte sie ihn an: »Wissen Sie, daß Sie sich verraten haben!« So kniff und quälte sie ihn. »Hast du gelauscht, fragen Sie! Dann war da doch etwas zu belauschen! Haha!« Sie setzte ein richtiges Staatsanwaltschafts-Gesicht auf. Oh, wenn sie den armen Sünder jetzt klein kriegte! Daß er ihr aus der Hand fräße. Er, vor dem sie zitterte – –

Das Weib in ihr war oben auf. Die Eva mit dem Apfel hielt sich sprungbereit. »Sie sagen, daß ich Ihnen gefalle. Aber wenn Sie wollen, daß Sie mir auch gefallen« –

»Kleines – Liebes – tu' ich das nicht –!–«

»Nur dann können Sie mir gefallen, wenn alles hier auch ehrlich zugeht!« Ihre heißen Augen waren so groß wie nie, so fest wie nie. »Wenn Sie nicht den Sieger machen!«

»Machen – den Sieger machen – was phantasierst Du denn da immerfort zusammen!«

»Bloß um vor der andern sich aufzuplustern! Und wenn Ihnen an meinen Wünschen etwas liegt – an dem, was ich will und was mir nach dem Herzen ist –!–«

»Nichts auf der Welt gilt sonst für mich!«

»Mir würde es nun gefallen – wenn Sie nicht siegten!« Auf jedem Wort lag jetzt ein schwerer Ton, ein Klang war darin wie aus leidenschaftlichem Ersehnen. »Etwas ganz anderes gewännen Sie damit. Dann – dann erst hätte ich Vertrauen zu Ihnen. Und keine Scheu mehr vor Ihnen. Ja – dann würden Sie mir gefallen – ganz und gar! Und wenn mir einer gefällt – ganz und gar – –«

Sie verschwand mit einem Feuerschweif. Es überrieselte ihn. Ein Zittern war in der Luft. Ein Schwirren und Klirren war in seinem Ohr. Unwillkürlich sah er nach dem Himmel. Zieht da etwas herauf? 128

Dann hob er sich zu einem Lachen. »Weiber!«

Und jetzt war die höchste Zeit für ihn, Toilette zu machen.

*

Peter hatte sich mörderlich beeilt. Er kam gerade noch für den Ringkampf zurecht.

Frau Regina als die Platzkommandantin traf ihre letzten Anordnungen. Feierlich geleitete sie Lisbet zu ihrem Ehrensitz.

Außer der Künstlerin waren noch Hennig und Peter als Gäste dabei. Den großen Zuschauerkreis bildete das Personal, für das hier immerhin ein Besonderes und Sehenswertes, eine Sensation gewisser Art am Werke war, wenn sich dieser und jener vielleicht auch über den Charakter des Kampfes selbst seine Gedanken machte.

Regine hatte wohlweislich dafür gesorgt, daß die Schranken sehr weit gezogen waren, daß die Arena sehr groß blieb und die Umstehenden in angemessener Entfernung sich befanden. Nur der Stuhl für den Schiedsrichter mußte wohl oder übel im Ringe stehen, und der Richter selbst war eine gewisse Gefahr.

Sie wollte alles dafür tun, daß der alte Ham, dessen Sinneswerkzeuge nicht mehr die besten waren, diesen Posten bekam. Immerhin mußte man zuerst an die fremden Herren sich wenden. Der Doktor sah ja nicht nach einem Ringkampfsachverständigen aus, bei dem Chauffeur war die Sache zweifelhaft. Aber sie würde auch hier sich durchfinden.

Florinde – Peter sehen und sich auf ihn stürzen war eins gewesen.

»Leben Sie auch noch? Bist Du wirklich auch noch da?« Das Sie und Du lief ihr durcheinander. »Und ein Gesicht machen Sie – als ging Dich dies alles nichts an.«

»Eigentlich geht es mich ja auch nichts an.« 129

»Eigentlich – so! Dann laß Dir sagen, daß dieser Ringkampf auch über mich entscheidet –«

»Ober Dich –?«

»Ja über mich. Von ihm hängt ab, was jetzt aus mir wird!«

Aus all den Irrungen, Wirrungen ihrer verliebten Sinne schoß jetzt der Groll hervor – Peter war sein Ziel.

»Siehst Du – jetzt stehst Du ratlos da und schluckst. Verschlucken Sie man nicht ihren Adamsapfel, mein Herr. Das ist noch das Männlichste, was Sie haben. O, wenn Du ein Kerl wärst! Dann wär dieser Ringkampf überhaupt gar nicht möglich!«

Peter faßte sich nun doch an den Kopf.

»Dann wäre der eine von den Kämpfern längst so verknautscht und verbogen, daß er still im Kämmerlein säße. Aber Du bist ja gar kein Mann. Und jetzt nimmt also das Schicksal seinen Lauf.«

Sie rannte davon. Und auch hier bei Peter ließ sie einen Feuerstreif hinter sich.

Schon aber tönte das Donnerblech – die Kommandeuse sprach. »Wir haben jetzt den Schiedsrichter zu dem Wettkampf zu bestellen.«

Sie wandte sich mit grämlicher Miene an Hennig und Peter, die zusammen ihre Plätze suchten. »Ob unseren Ehrengästen dies beschwerliche und höchst undankbare Amt zuzumuten ist? Aber wenn Sie, Herr Doktor, das Opfer nicht scheuen –?«

Hennig scheute das Opfer. Für ihn kam alles darauf an, durch keine Äußerlichkeiten beschwert ganz der innerliche Zuschauer zu sein. Mit guter Begründung konnte er ablehnen. »Es tut mir leid« – sagte er fröhlich – »da hat man auf der Schule soviel Römisch-Griechisches gelernt, beim römisch-griechischen Ringkampf muß ich wohl gerade gefehlt haben –«

Frau Regine begrüßte diesen nicht gerade neuen Scherz 130 mit breitlachendem Beifall. Und vertrauensvoller schon wandte sie sich an Peter. Der dann auch dankend die Hände davon ließ. »Ich kenn nur unsern Jan-Maat-Griff«, erklärte er und machte die entsprechende Handbewegung dazu, »unsere doppelte Schiffsschraubendrehung –«

Ein noch breiteres Lachen begrüßte dieses muntere Abwinken. Alles ging nach Wunsch, und der alte Ham war also der gegebene Mann.

»Dann möchte ich Mr. Jackson vorschlagen – er ist Amerikaner, alter Sportsmann, Mitglied von verschiedenen Sportvereinen und auch für den Ringkampf durchaus zuständig. An seiner Sachlichkeit und Ehrlichkeit ist nicht zu zweifeln.« Hier aber machte sie nun sehr klug selbst einen Einwand, damit die andern ihn nicht machten. »Ich weiß freilich nicht, ob die Herrschaften nicht vielleicht Anstoß daran nehmen, daß er Angestellter des Zirkus ist, und ihn deshalb etwas als befangen ablehnen.«

Sie wandte sich an Lisbet, Hennig, Peter, die sofort durch verneinende Handbewegung die gewünschte Zustimmung erteilten.

»Er hat also unser Vertrauen. Und ich darf sagen, er verdient es. Denn für ihn heißt es: Sport for ever.«

*

Gebietend hebt Frau Regine ihren majestätischen Arm. Zwei Artisten – Parterre-Akrobaten ihres Zeichens – blasen Fanfaren. Bodo im Badetrikot und Direktor Poot in seinem Ringerkostüm erscheinen.

Ein Wink der hohen Herrin. Der Schiedsrichter Mr. Abraham Jackson nimmt seinen Platz ein und eröffnet das Meeting.

»Oh yes – also – wir beginnen das Zusammentreffen im Ringkampf zwischen Herr Direktor Poot von Zirkus 131 Bignatelli, Inhaber der Ehrenmedaille des internationalen Ringklubs Herkules und ihr Verteidiger – und Herr Hahnenkamp als Herausforderer von Inhaber von Medaille. Wird geworfen Herr Direktor – er zahlt laut publication – Bekanntgebung dem Sieger Hundert Mark in bar und Medaille fällt an Sieger. Regeln des Kampfes das old römisch-griechische Statut. Welches ist bekannt den beiden champions. Meine whistle – meine Peif einmal will sagen: Beginn und Ende nach jedem Gang. Meine Peif zweimal ist stop bei falschem Griff und was sonst Regel zuwider. Meine Peif dreimal ist finish ist Ende von Kampf. Zehn Gänge. Sind die Herren ready – bereit?«

Bodo und Poot, die in den Kreis getreten sind, reichen sich die Hand.

Ham pfeift einmal. »Beginning. Erste Gang.«

Die Beiden stellen sich zum Kampf. Springen gegen einander an – tanzen um einander herum – jeder lauert auf den günstigsten Griff – schlägt die Pranke in den Nacken des Gegners – jetzt fassen, packen, heben sie sich – ein Ringen Brust an Brust – erst noch wie abtastend – dann sich bedrängend und bestürmend, sich wuchtend, ein Hin und Her – ein Auf und Ab – Keiner, der den Anderen zwingt – zwei Kämpfer, die einander gewachsen scheinen –

Atemlos die Zuschauer. Kein Laut wagt sich hervor. In eine Hochspannung gebannt starrt alles mit zitternden Fibern.

Lisbet hat den Kopf kühl und sachlich über diesem Brodem von Erregung. Sie ist hingegeben bei der Arbeit. Leicht schwingt wohl eine Freude hindurch an Bodos prachtvollem Gliederbau – eine künstlerische, eine frauliche. Und wenn sie ihm den Sieg wünscht, wünscht sie sich selber etwas – –

Hennig bemüht sich freizuwerden von aller Voreingenommenheit, Parteilichkeit und Gehässigkeit. Er bringt es 132 zu einem wissenschaftlichen Ernst, und fühlt sich wohl in dem anständig Wissenschaftlichen. Bodo Hahnenkamp – ein Staatskerl bist du nun schon, und eine Freude ist es, dich anzusehen. Du bist körperlich auch offenbar der Überlegene, man sieht, daß du das kräftigere Herz hast und besser durchstehen wirst. Und die nötige Technik hast du offenbar auch. Aber da ist etwas in dir. Die Gewitterluft – du hast sie in dir selbst, du Mann mit den besonders gelagerten Elektroden – und das Gewitter, nennen wir es schon Gewissen! In dir ist etwas nicht in Ordnung, und darum – –

Der Schiedsrichter pfeift den ersten Gang ab. Kleine Pause. Hie und da löst in ein scheues Geflüster die Spannung sich auf.

Zweiter Gang. Feuriger wird der Kampf. Ein Schwingen und Wirbeln. Da ein Doppelpfiff, der Halt gebietet. Der Schiedsrichter tadelt: »falsches Griff von Direktor Poot!« Oh nichts gegen die Sachkunde und die Objektivität des braven Ham! Weiter geht der durch die Unterbrechung gemäßigte Kampf. Keiner wird des Anderen Herr. Pfiff. Ende des zweiten Ganges.

Im dritten Gang, der gleich mit vollem Ungestüm einsetzt, kommen beide zu Fall.

Ein leises Wetterleuchten, ganz ferne, nur dem feinsten Empfinden vernehmlich –

Bodo liegt unglücklich. Und jetzt – was fällt dem Direktor ein? Denkt er in der Hitze des Gefechts nicht an die Abmachung? Oder ist gar der Ehrgeiz ihm plötzlich zu Kopf gestiegen – ist ein Sportgewissen erwacht und schlägt alles zu Boden!

Aber Bodo wehrt sich mit voller, mit leidenschaftlicher Kraft. Alles, was in ihm ist, in seinem Blut, seinen Muskeln – sein Stolz, seine Eitelkeit, sein Siegeswille – sein männlicher Machthunger, dem es um Lisbet geht – 133

Und mit einemmal wetterleuchtet es ihm durchs Hirn: wenn ich aber verliere, gewinne ich damit diese kleine Hexe, die Satanella, die sonst nicht zu haben ist – ! –

Immer die Weiber – nun meinetwegen – sie wollens nicht anders – –

An den Weibern aber wuchs nun wieder sein Selbstgefühl, sein Mannessinn und sein Kampfesmut. Und Poot hat seine Not.

Aber dieser, der alte Kämpe, war nun doch mal zu sehr im Vorteil. Und Bodo wurde es klar, daß er ihn, den geschulten Ringer, so niemals auf die Schulter zwingen würde, ja, daß er selbst so wie er liegt auf die Dauer nicht Widerstand leisten könnte.

Und was war es nur, was plötzlich wie eine Betäubung ihm überkam –

Dies Leuchten am Himmel – dies aufzuckende Licht – es schimmert ihm vor den Augen – wie ein Krampf packt es sein Hirn –

Und jetzt hört er die Stimme des Gegners an seinem Ohr. Warum sprach er überhaupt! Warum sprach er so!

»Nu gehts um die Wurst –« Darin war das Hochgefühl des Siegers. Un nun gab es auch kein Hin und Her mehr und kein Erbarmen. »Ich hab Sie jetzt.«

»Noch nicht –«

»Doch. Ich hab Sie jetzt.«

Was sollten die Worte! Wollte der Mann ihn betäuben mit seiner Selbstsicherheit – was hatte er im Sinn? Noch was anderes als das, was zwischen ihnen verabredet war! Warum gab er denn nicht nach – jetzt, wo es an der Zeit war –

In Karl Poots Brust aber vollzog sich auch ein Ringkampf, der schwere Kampf zwischen den zwei Seelen – und mit jeder Silbe, mit jedem Laut, dessen, was er sprach, lag bald die eine bald die andere Seele oben. 134

Dann gab es in ihm den großen Ruck. Er hatte sich selbst besiegt.

»Gut. Sie sollen mich jetzt kriegen – wenn –«

»Verstehe. Wenn ich noch was zulege. Fair ist das nicht –«

»Fair – wenn Einer wirtschaftlich im Absaufen ist –«

»Also – was kostet die Wurst – ? –«

»Legen Sie noch – Dreihundert zu –«

Korl Poot kam sich anständig und wieder als Gentleman vor. Regine hatte Fünfhundert gewollt.

Hennig hatte seine steilen Ohren bekommen. Was ist da mit den Beiden? Ist das Zähneknirschen? Knurren sie sich an?

Sind das nicht artikulierte Laute? Ringkampf mit Dialog – was haben die Zwei sich zu erzählen? Was mit einander abzumachen?

Aber schon sieht man, wie des Direktors Kraft zu erlahmen scheint. Da – ein jäher Ruck zuckt durch den Kranz der Zuschauer – ein lautes Ha! stoßen die offenen Münder heraus – Poot liegt unten – wird auf die Schultern gedrückt – ist regelrecht geworfen –

Aus!

Drei schrille Pfiffe aus Mr. Jacksons whistle und sein Richtermund verkündet: »Finish von Ringkampf. Im dritten Gang Herr Direktor Poot von Gegner Herrn Hahnenkamp geworfen und besiegt. Herr Hahnenkamp Sieger.«

Die Kämpfer haben sich erhoben. Reichen sich die Hände. Direktor Poot nimmt die Medaille von seiner Brust und heftet sie Bodo an.

Ein Wetterleuchten zuckt durch die Welt. Ein starkes Beben fliegt durch den Sieger. Ist es Bewegung, die Freude des Triumphs?

Direktor Poot spricht. »Ich wünsche Ihnen Glück. Sie tragen hiermit das Zeichen des stärksten Mannes Nordwest-Europas.« 135

Händeklatschen und Bravorufe. Die beiden Artistenbrüder blasen machtvoll ihre Fanfare.

Abseits, für sich allein steht Florinde. Sie starrt mit weiten Augen vor sich hin. Dann wirft sie die Arme, lacht hell auf in schmerzlich wildem Übermut – und jetzt redet sie Bauch mit düster drohender Baßstimme.

»Schiebung!« klingt von oben der Geisterruf – auf den Wellen des Wetterleuchtens fährt er daher. Aber wer hört ihn – da der Siegesjubel alles verschlingt?

Nur Hennig und Peter vernehmen ihn, sie sind in diesen Kreis einbezogen und sehen sich an mit großen lachenden Augen.

Wer aber hat hier den Schlußakkord zu greifen? Frau Regine natürlich, die Königin. Sie tritt zu dem Sieger und schüttelt ihm die Hand in kräftigem Pendelschlag. »Auch meinen herzlichen Glückwunsch! Heil!

Danach mehr vertraulich und privat: »Und wenn ich Sie dann bitten darf, für das Geschäftliche sich mit mir ins Büro zu bemühen –«

Sie geht mit Bodo und dem Ehegatten nach der Wagenburg.

Der direktoriale Würdenträger hatte ein durchfurchtes Gesicht. Sein Bannfluch und seine Beschwörungsformel ›Schietkram‹ wurde wieder einmal nicht ganz fertig mit dem Leben.

Einmal noch straffte er den Nacken mit grimmigem Lächeln, und er hob sich in rauher Selbstironie zu einer sittlichen Höhe. Habe ich nicht zweihundert Mark verschenkt! Bün ick nich 'n feinen Kierl! Mi sall Eener kamen!

Die Arena wurde abgeräumt. Das Künstlervolk, schwatzend, streitend, lachend summte und surrte und flog und schwirrte wie ein Bienenschwarm. 136

*

Kraus war die Luft, flimmernd und flackernd und sprühend, gärend und brauend – die Elektrizität moussiert, so nannte es Hennig der Kundige, der von diesem Abend sich seine besondere Offenbarung erhoffte.

Und in all den Menschen gärte es, die sich hier umtrieben, von Lust und von Unlust bewegt, von Unruhe und Leidenschaft, von Begehren und Eifersucht, von Sehnsucht und Zärtlichkeiten, von Zorn und Abgunst und Rachsucht und brennender Wut –

Sogar die beiden Alten, Ham und Flodoard, hatten ein anderes Tempo im Geäder und mehr Worte auf der Zunge.

In allen prickelte es wie eine Erwartung, als wäre das, was sich hier begeben, nur eine Art Vorspiel, als müßte noch etwas Außerordentliches, nie Dagewesenes geschehen.

Auch Hennig, dem zum Schauen Bestellten, zum Beobachten Versammelten, zum Warten sich Zwingenden, den Elementen Vertrauenden – auch Hennig sprühen die Funken durch die Adern. Zwischendurch aber stockt ihm wieder das Blut – schwer und dunkel und langsam strömt es.

Hier erfüllt sich auch mein Geschick. Aber mein Kampf, mein Ringkampf, in dem es kein Blendwerk gibt, keine Spiegelfechterei und keinen Betrug, mein Kampf muß anders sein. Die harte helle Ruhe des Freundes gilt. Der fest auf der Warte bleibt. Ein Wartturm er selbst, ein Leuchtturm er selbst, der den Weg weist aus der Wetternot.

Ist sie nicht in Not? Ist sie nicht in Verblendung, in Wirrsal? Sie, die Geliebte! Die um so mehr Geliebte, je mehr sie an sich selber leidet!

Wie darf sie sich verlieren – wie darf sie mir verlorengehen – so sich verlieren – so mir verlorengehen! Aber schützen kann sie nur meine Klarheit, meine Sicherheit, die unbeirrte Kraft meines eigenen Glaubens und Willens – –

Er tritt auf Lisbet zu. »Nun, ist die Mappe zufrieden?« 137

»Ja. Sehr. Das heißt ein paar Male hat mich das Wetterleuchten gestört.«

Das Wetterleuchten – es wird heut noch mehr Wetterleuchten geben – wie brodelt es in der Luft –!–

Und jetzt nahm mit einemmal das Berufliche ihn hin und der Gedanke wurde mächtig in ihm, sie auch hinüberzuziehen auf diese seine Bahn.

»Alle Anzeichen sind jetzt da, daß die Noktiluca sich heut bei uns zeigen wird. –«

»Wirklich?« Ein wenig abwesend klang es, aber das trotzig, eigenwillig und bewußt Ablehnende wie sonst war nicht darin.

»Meerleuchten in der Ostsee! Du willst nicht daran glauben. Heut zeig ich es Dir.« Und nun bot er ihr die Hand. »Hast Du nich Lust, Dir das mitanzusehen?«

»Das schon. Aber willst Du denn – Herrn Hahnenkamp auch mitnehmen?«

»O nein. Im übrigen würde er schwerlich mitkommen wollen. Bei seiner Abneigung gegen die See. Und – auch die Noktiluca ihrerseits ist empfindlich –«

Über den Inbegriff dieser letzten Worte hörte sie hinweg. »Ich hab die Verpflichtung gegen ihn – er hat mir diesen großen Dienst erwiesen. Und vergiß nicht, daß er uns eingeladen hat –«

»Das alte Haus würde mich ja freilich locken. Aber – die See ist nun mal heut abend wichtiger für mich.«

Sie sah ihm groß und klar ins Gesicht. »Dann werd ich allein mit ihm feiern.«

»Wenn Du nicht mit mir kommst –!«

»Nein. Und ich sag Dir noch einmal: bleib auch Du.«

Die feinsten Saiten schwirrten und klangen und sangen –

Ein Beben ging durch ihn hin. Er brauchte seine Haltung, seine Festigkeit, brauchte die unbeirrbare Treue zu seiner 138 Arbeit. »Ich hab nunmal zu tun – nötig zu tun. Und ich fahre.«

Nur dann kann ich ein Halt dir sein, wenn ich selbst den Halt nicht verliere. Und es sollt keine elektrische Weltordnung geben! Elektrizität – die Urkraft, der Urstoff du! Darf man in der Natur etwas heilig nennen, bist du es. Und die Wahrheit ist in dir.

Lisbets Blicke warteten auf Bodo, der eben von Florinde sich löste.

*

Unheimlich war ihm die Kleine geworden. Als ob sie etwas im Schilde führte. Hier galt es etwas zu beschwören. Aber das durfte er sich schon zutrauen.

»Satanella – kleine liebe – was gaukelst Du Dir da für Fantasien zusammen! Ja weißt Du denn nicht, wie Du mich damit herabsetzt – mich beschimpfst und entehrst! Sport ist Sport und Kampf ist Kampf. Und Sieg ist Sieg. Und dem Sieger – nur dem Sieger blüht der Lohn!«

Ihre Augen gingen zu der Feindin. »Mög er Ihnen blühen – an Ort und Stelle!« keuchte sie, mit der Kopfwendung nach der Verhaßten.

»Kleines – liebes – das sind ja nur diese kühlen gesellschaftlichen Verpflichtungen. Und muß ich Dir sagen – ja, ja – weiß Gott, es ist mir nicht leicht geworden zu siegen! Nein, nein! Immer ging es mir durch den Kopf: es ist ja besser du unterliegst – bei dem wundervollen Trost, der dir verheißen ist. Aber – nun wird eben dasselbe mein Siegerlohn bei Dir sein! Ich weiß es! Morgen fährst Du mich wieder. Fährst mich ins Land der Erfüllung. Fährst uns ins Glück.«

Ein Händedruck, unter dem sie aufstöhnte. Er zog ihre Hand an seine Brust und – ging zu der Andern.

Noch hielt eine Betäubung sie nieder. Dann wurden die 139 großen Augen, erst weit und verschwimmend, hart und immer härter.

Und jetzt griffen sie nach Peter, der da hinten wie suchend umherstrich.

»Du suchst mich?«

»Ja.«

»Bleib bei mir. Ich brauche einen Menschen –«

»Ich kann nicht. Ich muß mit dem Doktor aufs Wasser.«

»Gleich?«

»Ja, jetzt gleich.«

»Du mußt bleiben!«

»Ein Mann – ein Wort!«

»Ein Mann – also doch ein Mann – aber dann – dann werdet Ihr Männer, Ihr verschiedenen Männer – Ihr werdet was erleben! O ja!«

Sie flog davon in die Dämmerung und lachte wie eine Möve schreit – hihi – hihi – –

Hennig verabschiedete sich. Bodo bedauerte – aber er verstand – keiner so gut wie er – daß das Berufliche allem vorgeht. Mit Hennig ging Peter, nachdem er Bericht erstattet, daß im alten Haus alles vorbereitet sei.

Direktor Poot kam in Zivil wieder zum Vorschein. Mit Würde trug er seine Niederlage und das Defizit von zweihundert Mark mit den daran hängenden Ehrentiteln aus Reginens knatterndem Munde. Die Königin aber rauchte eine Zigarre, die roch – so kohlte der Kloben von Ingrimm und Ärger. Erst langsam legte sich ihr Zorn und sänftigten sich die Wolken des Krautes.

Bodo aber, der Mann, der in die Welt paßte, hatte Versöhnliches vollbracht. Ein Handwagen rollte heran, auf dem zwei Stalleute ein Faß Echtes von dem nächsten Gasthof geholt hatten. Liebliches Wesen zog mit dem Labsal ein.

Und Bodo, der des Umgangs mit Menschen Kundige, sprach also: »Meine Lieben – meine Kollegen, so darf ich 140 sagen – jetzt nach dem mühevollen Ernst dieser Stunde gibt es etwas zur Ermunterung der Gemüter. Ich freue mich unserer Gemeinschaft – wir alle freuen uns unseres Könnens, unserer Kunst. Unsere Kunst soll leben!«

Beflissene Hände hatten das Faß entsiegelt und die Gläser gefüllt. Ein »Hoch!« brauste über den Platz.

Nun rief einer: »Heil dem Sieger!« und aus allen Kehlen donnerte der Widerhall. Bodo stieß mit ihnen an. Auch Lisbet, in der der Künstlersinn obenauf war, hatte ein Glas genommen. Auch sie schwamm mit in dem Strom und freute sich der spritzenden Wellen.

Fern von dem Fest allein in der Dämmerung kauerte Florinde. Neben ihr hockte und lauerte Luz, der zu ihr gebannte Freund, in dem Gram ihrer Einsamkeit. Vier tiefe, stille, heiße Augen phosphoreszierten aus dem Dunkel in das helle laute Getriebe –

Wie von Fieberschauern, von Fieberflammen bebte die Luft. Kraus zogen feine knisternde Wolken, flimmernd und flackernd und sprühend, gärend und brauend – –

*

Mehr als einmal musterte Bodo den Himmel. Gegen das, was in ihm selbst dunkel sich zusammenschob, schwang er sich in eine immer größere Ausgelassenheit hinein. Er der Sieger! Dem eine glückliche Fügung das Siegesfest bereiten wollte, ganz so wie er es sich ersehnte!

Der Andere, der Überflüssige, der Lästige, ja vielleicht der Gefährliche stellte selber sich abseits – Lisbet, die begehrte, blieb mit ihm allein – vom Schicksal ihm geschenkt.

Nur diesem dumpfen Unbehagen keine Macht geben – nur die Schatten hinweglachen, die das alte Haus auf ihn werfen wollte. Was bildete dieses elende Hexennest sich ein – was blieb in ihm noch von all dem Dunst des fabulierenden Unsinns, wo Lisbet mit den hellen Wünschen 141 ihres Künstlertums dahinein leuchtete! Vor ihr bestehen keine Gespenster!

Und wenn in ihm, vom Vater her, der ererbte ›mystische Fleck‹ sich breitmachen möchte – vor ihr, mit ihr, an ihrer Seite nicht wanken, nicht stutzen, nicht scheuen –

Arm in Arm mit ihr! Ist die Frau nicht meines Lebens Geleit!

Dem Mutigen .gehört das Weib.

Und Bodo, der Sieger, wie warf er sich wieder in die Brust!

Noch einmal wandte er sich an die Feiernden, er der Gefeierte, der Herr des Festes und der Spender der Festesfreude. »Und dem fröhlichen Durst sind keine Schranken gesetzt. Im ›Seestern‹ liegt noch ein zweites, ein drittes Faß bereit.«

»Hurra!«

»Damit sage ich auf Wiedersehen, meine Lieben! Ich kann leider nicht bleiben. Meine Freunde sind heut abend noch bei mir zu Gast – Herr Doktor ist schon vorausgegangen. Also nochmals auf Wiedersehen.«

Zurufe: »Auf Wiedersehen! und Heil! und Dank!«

Bodo winkt noch einmal zum Abschied und geht mit Lisbet – das direktoriale Paar .gibt ihnen das Geleit.

Florinde tritt langsam in den Lichtkreis.

Und ich? Mit deinen Freunden bist du zusammen. Und ich – wer bin ich?

Mit deinen Freunden? Hahaha! Sie hat alles wohl vernommen. »Herr Doktor ist schon vorausgegangen.« Hahahaha! Ja, mit Peter geht der aufs Wasser. Und du bist allein mit ihr und feierst dein Siegesfest mit ihr. Niemand stört .euch beide in dem einsamen Haus – o du Lügensack, du holdseliger Halunke!

Sie steht und starrt vor sich hin und starrt. Und dann kreisen die Feuerräder in ihren Augen. Wenn das Haus euch 142 nicht stört – das Haus – dies verzauberte Haus mit seinen Wundern und seiner rächenden Wahrhaftigkeit –!–

Und sie tanzt umher und läßt die Arme kreisen, windmühlenflügelhaft, nach ihrer Art.

Lachend stürzt sie sich in des Vaters Beschaulichkeit, der mit dem alten Ham in stiller Zwiesprache sitzt.

Die schweren Augen dieses alten tiefsinnigen Spaßmachers heben sich langsam zu ihr auf. »In Deinem Lachen – ist viel Weinen« – sagt er leise.

Sie wird besinnlich. »Ist das nicht in jedem Lachen?«

Aber dann sprüht sie auf gegen sich selber. »Ach wollen wir beide hier Bajazzoweisheiten austauschen? Bin ich nicht jung – jung – jung! Und durstig bin ich, so durstig – –«

Man reicht ihr ein Glas, sie gießt das volle hinunter.

»Und jetzt spiele, Bajazzo! Aber nichts von Deiner schwarzen Niggerschwermut! Und spielt Ihr alle! Spielt das Verrückteste, spielt das Tollste von Euren Clownerien!«

Sie spielen auf ihren Banjos, ihren Zupfgeigen – und trinken und spielen – spielen toll und wild. Immer lauter wird die Lust, und Florinde dreht sich im Tanz.

Dann bleibt sie stehen und starrt. Und wieder die Feuerräder in ihren Augen.

»Bringt mir einen Besen!«

»Einen Besen?« fragt der Stallmann in ihrer Nähe.

»Ja – ja – ja –!« und wieder wirbelt sie im Tanz.

Der Stallmann kommt kopfschüttelnd mit einem Handfeger.

»Was soll ich damit! Einen Reisigbesen will ich – einen richtigen Stallbesen – einen Hexenbesen –!«

Und heißer und toller ihr Tanz.

Jetzt ist der Stallmann mit dem Reisigbesen da.

»Danke! Und nun sollt Ihr was sehen! Eine nouveauté! Eine neue création! Hexentanz!«

Mit schrillem ›hihi!› befeuert sie die Musik zu größter 143 Wildheit. Sie schwingt den Besen, umschlingt ihn, reitet auf ihm in wilden Sprüngen.

»Hexentanz! Original! Greatest newness of all

Dann weht sie reitend auf dem Besen in die Nacht hinaus.

Jäh bricht ein Windstoß ein. Mützen und Hüte fliegen. Schreie und Rufe – dann wieder lachende Lust.

Krauser und krauser wird die Luft. Immer mehr knistert es in den Wolken, flimmernd und flackernd und sprühend, gärend und lauernd – –

*

Und es lauerte und gärte und flackerte, sprühte und knisterte in dem alten Haus. Auf dem Vorsprung ins Meer, über der steilen Lehmwand gelegen, in der Hennig das geheimnisvolle Landleuchten entdeckt hatte, durfte es ihm schon als eine Heim- und Brutstätte elektrischer Vorgänge gelten. Und heute zeigte es wie je, wes Geistes Kind es war.

Wie leichte vulkanische Erschütterungen ging es durch sein Gebälk. Zwischen die leichten Wolken, die vor einer schwarzen Wetterwand im Westen sich auf die Flucht begaben, lugte der Mond angelegentlich in die Fenster dieses rätselvollen Baues und zog Lichtsträhnen zauberhaft durch seine dunklen Räume.

Jetzt hallten Männertritte auf der Schwelle. Das Licht wurde angeknipst. Hennig und Peter traten in die große Diele, beide in Ölzeug, zur Fahrt gerüstet.

Sie waren auf dem Weg zum Strande. Das Haus hatte sie so seltsam angemutet in dieser zauberhaften Nacht, so waren sie eingetreten.

Hennig sah sich um, ganz gewiß auf besondere Erscheinungen vorbereitet. Aber nichts dergleichen ließ sich entdecken. Es war, als wenn das Weben der Naturgeister, da das elektrische Licht jetzt brannte, vor der menschlichen Technik den Rückzug antrat und sich versteckte. 144

Nun musterte Hennig in kühlerer Betrachtung die Innen-Einrichtung. Er freute sich, wie gut all die alten Möbel auf einander eingestimmt waren.

»Hat einen sonderlichen Geschmack besessen, der alte Konsul. Und wenn man sagt, er habe seine Empfindsamkeit gehabt – mit so feinem Kunstempfinden wohnt sie dicht zusammen.«

»Ein Teil der Sachen«, bemerkte Peter mit gerechtem Stolz, »ist Röpersches Familiengut.«

»Und dieser prachtvolle mächtige Kamin – ein Schoß, ein Reich der Träume und des Schicksals –«

»Auch der ist von uns.«

»Dann sollen auch die Röpers ob ihres Geschmacks gelobet sein – und ob ihrer Empfindung. Und ob ihrer Empfindsamkeit – die nun mal zu einem Spukhaus gehört.«

Aber von allem Übersinnlichen leitet der Anblick der wohlgedeckten Tafel ab.

Peter überprüfte noch einmal das von ihm in aller Eile Vorbereitete. »Doch mal nachkucken«, sagte er »ob Großmudding nich dagewesen ist und genascht hat.«

»Schöne Sachen.« Hennig schmunzelte. »Und das dritte Gedeck ist also für mich. Da wird mein Geist nun sitzen – in diesem Geisterhaus.« Dann packten ihn wieder schwere Gedanken. »Oder soll ich selbst –«

Peter ahnte, was in ihm vorging. War es ihm selbst nicht ähnlich zumut? Aber dann machte er sich munter, und jetzt zählte er die Tafelgenüsse auf. Gebratene Hähnchen. Hummermayonnaise. Leberpastete in Aspik. Und hier: Aal in Gelee mit grüner Kräutersauce –

Hennig hob sich in dieselbe Bahn. »Ja – und dazu dann der gute Appetit des unerwünschten Gastes! Glauben Sie, der Gastgeber freut sich, wenn er mich hier findet?«

Peter sagte dazu sein ehrliches »nein«. 145

»Ach – und ich seh' so für mein Leben gern dumme Gesichter!«

Aber dann ist es vorbei mit dem Geplänkel. Hennig sinnt vor sich hin. Schwerer und schwerer wird wieder die Last – er muß sie aufwuchten und auflockern. »Vielleicht aber will sich hier ein Schicksal erfüllen. Und Freundeshand wird gebraucht – und – wenn jemand, der einem nahesteht, so seiltanzt und in der Luft balanziert –«

»Um Himmelswillen, den nicht anrufen! Dann stürzt er gewiß ab und bricht sich das Genick.« Peter wirft es ein, aus voller Überzeugung. Und hat er hier nicht mitzureden? Ist er nicht in ganz ähnlicher Lage?

Hennig nickt ihm zu wie einem Bundesgenossen, einem Schicksalsgefährten, einem Freund. »Vielleicht haben Sie recht. Gewiß haben Sie recht. Schicksal! Was ist Schicksal! Wissen sie das?«

»Ja. Das Schicksal sind wir selbst.«

»Richtig, Peter Röper. Und wenn man einem andern in seinen Kurs hineinfuhrwerkt, macht mans damit besser?«

»Schlimmer.«

»Recht haben Sie!« Hennig reckt die Arme und wittert um sich. Wie braut es in der Luft, wie flimmert und leuchtet und rollt es! »Aber auf diese Kraft hier ist Verlaß. Die wir lieben. Und die – er nicht mag. Geladen ist das alte Haus. Es knistert und knastert in den Balken.« Er bringt den Knöchel an die Wand. »Sehen Sie die Funken sprühen!«

»Wahrhaftig!«

»Und wenn der geliebte Spuk auf die Weise jetzt ein Einsehen hat! Warum kümmert er sich eigentlich nicht um uns. Peter – Ihr Spuk – Ihres Hauses Spuk! Ich möchte so gern Fühlung mit ihm nehmen.«

»Vielleicht ist es ihm zu hell.« Peter macht das Licht aus. Wieder zieht das Mondlicht seine Strähnen.

Hennig holt Peter zu sich auf eine Bank herunter. Sie 146 spielen die Jungen, die sich gruseln, und werden dann selber ein gut Teil davon. In der Ferne wieder das dumpfe Donnerrollen.

Sie sitzen und warten. »Es ist eigentlich alles, wie es sein soll«, flüstert Hennig. »Wo aber bleibt die Erscheinung? Will nicht. Will nichts mit uns zu tun haben.«

»Da!« Peter horcht auf. »Rührt sich da nicht was auf dem Dach? Da oben im Schornstein ist es nicht geheuer.«

»Ich höre nichts.«

»Vielleicht kommt es jetzt aus dem Kamin –«

Und sie starren beide in halbfröhlichem Grauen auf diesen machtvollen Schoß der Träume, der Angst und des Schicksals –

Hennig zieht den Schlußstrich. »Denkt nicht daran.«

»Vielleicht sind es Dohlen – die da im Schornstein nisten.«

»Ja, es werden Dohlen sein. Und das Gespenst mag uns also nicht. Hätte sich auch vorher ankündigen müssen. Gläser müßten klirren, Stühle müßten tanzen. Die Spiegel an der Wand müßten wackeln. Nichts. Kein seelischer Rapport.« Er knipst das Licht wieder an.

Peter aber läßt den moralischen Abgesang erklingen.

»Nach dem alten Hausspruch scheinen also unsere Seelen in einigermaßen anständiger Verfassung sich zu befinden.«

»Wobei wir uns denn – nach dieser mißlungenen Spukgeneralprobe – beruhigen wollen.«

Ein Windstoß kommt. »Oh – der Nordost wird steifer. Das ist, was die Noktiluca braucht. Das ist, was wir brauchen.« Und nun ist er werkfreudig der ganze Hennig. »Wollen wir denn?«

»Ja!«

»Erst die Arbeit. Und dann die Seelenschmerzen. Kommen Sie!«

Peter wirft noch einen stammverwandt zärtlichen Blick 147 in den Raum. »Na denn adschüs ook, Großmudding. Und wenn wir dir zu anständig sind – denn sieh dir gefälligst den mal genauer an, der nach uns kommt!«

*

Durch den Raum, sobald die ihn verlassen haben, über die er keine Macht besitzt, geht ein Beben.

Das Mondlicht, von den zischenden fliehenden Wolken gedämpft, wirft in das Zimmer die Schleier seines matten Scheins. Draußen fängt der Wind an zu klagen, zu wimmern, zu heulen.

Das Haus ächzt und stöhnt und wankt in seinem Gefüge. Eine offenstehende Tür geht langsam hin und her. Die Gläser auf dem Eßtisch klirren. Der Spiegel an der Wand wackelt. Ein kleiner Tisch und die Stühle, die um ihn herumstehen, machen leichte Bewegungen zueinander. Es ist, als ob die Dinge miteinander flüstern und tuscheln.

Mit einem Schlag hört das Flüstern auf. Die offenstehende Tür hat sich wieder eingeklinkt. Ein Aufhorchen, ein Lauschen, ein stilles Kauern der Dinge, als Bodo mit Lisbet über die Schwelle tritt und das Licht andreht.

Bodo schwebt glückhaft in stolzen Höhen. Sein heißester Wunsch will sich ihm erfüllen. Er hat die Ersehnte in sein Haus führen dürfen. Dessen Zauberkräfte, von ihr in seiner ganzen Macht empfunden – gerade sie werden ihm helfen, sie einzuspinnen, sie festzuhalten, sie ganz zu gewinnen.

Er legt sein Heiligtum, seine Pistole, die er mitgebracht hatte, auf den kleinen Tisch an der Tür.

»Oh –« sagt sie, »das sieht ja fast so aus, als ob uns hier Gefahren erwarten.«

Er darf als Beschützer sich in die Brust werfen. In dem Hochgefühl seiner Leidenschaft spürt er nichts und will er nichts spüren von all den Spannungen in seiner ›Antenne‹ – 148 fast ist es ihm, als gehörten sie zu dem Schweben, zu dem Taumeln, zu dem Fieber seiner Sehnsucht.

Lisbet sah sich um mit kunstfreudigen Sinnen. »Ist das wundervoll! Ja, das laß ich mir gefallen! Diese modernen Kisten dagegen, in denen wir heute sitzen –!– Wo Zweckmäßigkeit und Hygiene alles rausschmeißen, was Träume heißt! Ich weiß nicht, wie weit Sie Romantiker sind –«

»Mit Ihnen, Lisbet, und bei Ihnen bin ich weit mehr Romantiker als Sie selbst!«

»Diese alten Schränke! Da in den Schnitzereien, das sind Formmotive, die ich ganz so in Südtirol gesehen habe, im Grödener Tal. Die Standuhr – Herrschaften, zum Verlieben, zum Stehlen! Scheint aber nicht zu gehen. Seltsam. Auf Punkt zwölf, auf Mitternacht ist sie stehen geblieben.«

Bodo, von solchen Seltsamkeiten unangefochten, schwamm in seinem Entzücken und breitete die Arme. »Hier ist keine Zeit – denn hier ist das Glück.«

Lisbet gelang es, darüber hinwegzuhören und sich abzulenken. Sie besah sich weiter die Wände und schwelgte in den alten Kupferstichen. »Holländer! Dies scheint ein echter Ostade zu sein – ist es – ja! Herrgott, das alles war hier und ist hier und man hat nichts davon gewußt!«

»Und jetzt gehört es Ihnen! Ihnen Lisbet gehört das ganze Haus! Hier sollen Sie Ihr Atelier haben. Und hier in Ihrem Haus werden wir zusammen schaffen. Damit bekommt es sein neues Leben. Und« – er wurde sehr übermütig und Schatten gab es für ihn nicht – »sein Fluch ist damit gelöst.«

Ging nicht ein Zittern durch den Raum? Klirrten da nicht leise die Gläser –?

Bodo konnte darüber hinwegfliegen in diesem neuen Rausch schenkender Freude und spendenden Hochgefühls. Und immer enger zog er die Fäden.

»Unsere gemeinschaftliche Arbeit – oh die Welt wird 149 vor ihr die Augen aufmachen. Nicht wahr, Lisbet, wir wissen von der Kraft, von der Beseeltheit unserer Gemeinschaft!«

Sie war vor seinem Überschwang auf der Hut. Aber ein Zusammenhang behielt nun mal seine Macht, und sie leugnete ihn nicht. In gehaltenem sachlichen Ton erwiderte sie: »Wir haben ja schon mit Erfolg zusammengearbeitet. An unserem Ringkampf-Plakat. Ich weiß, es ist was geworden.« Und nun ging doch etwas mit ihr durch. »Vielleicht das Beste, was ich je gemacht habe.«

Wieder reckte er die Arme. »Das Beste! Sagt das nicht alles! Was wollen wir mehr!« Er nimmt ihre Hand und küßt sie. »Ein glückseliger Mann.«

Doch jetzt, in richtiger Taktik, nimmt er sich zusammen. Er wendet sich zu der Tafel. »Aber nun wollen wir einmal sehen, was für ein Siegesmahl Peter uns bereitet hat.«

Sie setzen sich. »Hier ist Weiß – hier ist Rot – was nehmen Sie?«

»Weiß, wenn ich bitten darf.«

»All das hat Peter mal wieder sehr verständig gemacht –«

Er denkt sich nichts dabei. Aber Lisbet denkt sich was. Doch sinkt sie nicht in tragische Tiefen.

»Mal wieder –? Ihr Adlatus scheint also Erfahrung zu haben – in der Vorbereitung solcher Soupers zu Zweien!«

Bodo fühlt sich ein wenig ertappt. Aber er findet sich schon zurecht. »Zu Zweien? Bitte zu Dreien! So war es doch gedacht. Daß das Schicksal es besser mit uns meint –!« Er hebt das Glas und stößt mit ihr an . »Also zu Zweien!«

Draußen regt sich der Wind und rüttelt an den Läden.

»Ja« – Bodo schüttelt ein Unbehagen ab, er freut sich, daß er unter Dach und Fach ist, und rückt näher zu ihr hin – »die da draußen – der Doktor und Peter auf dem Wasser – sie haben es gewollt. Und des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Mein Himmelreich sieht anders aus.«

Hiermit hat er nun doch ein wenig unbedacht – aber 150 er darf sich das leisten – so was wie einen Vergleich heraufbeschworen, und er muß sich einen musternden Blick gefallen lassen.

Sie dachte an Hennig – sehr stark wurden mit einem Mal diese Gedanken – es war, als ob etwas in ihr nach ihm riefe –

Um Schutz wohl gar! Dagegen lehnte sie sich auf. Wenn es hier etwas zu schützen gibt, bin ich selbst dafür da. Aber gerade in diesem Selbstgefühl überließ sie sich mit einer Sorglosigkeit den Stimmen des Blutes, die nun einmal sich regten –

Bodo aber fühlte sich stark genug zu weiterer und schärferer geistiger Klarstellung. Er weiß, nur das Geistige führt hier zum Ziel. Und die Großmut, die er sich dabei leisten kann, wird ihre besondere Wirkung tun.

»Herrlich, wie der Doktor sich für seinen Beruf einsetzt. Aber sagen Sie selbst, das Mikroskopische hat Sie doch eigentlich niemals künstlerisch begeistert. Haben Sie jemals Neigung gehabt, so etwas zu illustrieren?«

»Ehrlich gestanden, nein.«

»Und ich nun als Ihr Modell! Und dann das, was ich von meiner Forschungsreise nach Hause gebracht habe. Und das Ihre Teilnahme findet. Hier ist er, der Zusammenhang, der Zusammenklang! Und unsere Welt ist dieselbe!«

Er nimmt ihre Hand und will sie wieder an seine Lippen ziehen. Ein Donnerrollen läßt ihn innehalten. »Wie das in dem Hause nachzittert –!–«

Wieder packt ihn Lisbets musternder Blick. »Sie mögen keine Gewitter –«

»Ich erzählte Ihnen von meinen Pampaserlebnissen. Die wohl noch immer etwas in mir nachzittern.«

Sie stoßen an. Inniger neigt er sich zu ihr hin, heißer umfangen sie seine Augen. »Ich kann mir nicht denken, daß ich jemals ohne Sie gelebt habe! Alles, was hinter mir 151 liegt – grau, tot, nichts als Schatten. Immer war ich einsam und allein« –

Er schiebt den Arm in ihren Arm. Ein leises Widerstreben bebt in ihr auf, dann duldet sie die Berührung. Aber mit einer Einwendung darf sie sich zurücklehnen. »Herr Bodo Hahnenkamp – abgesehen von den Frauen, die Ihnen Gesellschaft leisteten« –

»Nie Lisbet, niemals hat vor Ihnen eine Frau etwas für mich bedeutet!«

Ein Windstoß rüttelt an dem Haus. Langsam tut die Tür zum Nebenraum sich auf – –

Beide starren sie auf die Tür, schweigend. Lisbet macht eine Bewegung zu ihm – wie eine Aufforderung ist das – er erhebt sich und geht mit etwas unsicherem Schritt nach der Tür zu.

»Ist – da jemand?« fragt er, in einiger Entfernung von dem geöffneten Raum.

In ihm selber geht etwas um.

»Seltsam – die Tür war doch eingeklinkt –«

Aber in seiner Verliebtheit, seinem leidenschaftlichen Begehren will und muß er sich wiederfinden. Schon sitzt er wieder bei Lisbet und drängt sich zu ihr hin.

Sie wehrt ihn ab mit der Frage: »Was ist das für ein Zimmer –?«

»Das Schlafzimmer«, antwortete er mechanisch.

Und leise lächelnd wehrt sie sich weiter: »War es nicht, als ob sich jemand in Erinnerung bringen wollte –?«

Und nun stürzt es aus ihm hervor: »Lisbet – glauben Sie mir! Nie war das Weib mir wesentlich. Ich machte meine Forschungsreisen« – und nun durfte ein Selbstgefühl aufleuchten – »für die ich mich wirklich mit Leib und Seele eingesetzt habe. Ich hatte meine Aufgabe, meine Arbeit. Aber hat je eine Frau an meiner Arbeit teilgenommen? Niemals. Und jetzt – ich kann nicht mehr arbeiten ohne 152 die Frau, die Teil hat an meinem Leben. Nein, die meines Lebens bester Teil ist. Und ohne die ich nichts bin –«

Über Lisbet schlich eine Benommenheit. Was war es, das sich um sie schlingen wollte wie ein Bann! Dies verteufelte Haus –

Noch hatte sie ihr Lächeln. »Wir sind in einem Geisterhaus. Das keine Unwahrheiten duldet. Wie heißt der Spruch? Büst du tru –«

»Wast du miene Fru!« Bodo weiß, in ihren Armen ist sein Heil, seine Rettung, ist sein Stolz und seine Kraft. Er kniet vor ihr nieder. »Ich gehöre Dir – und Du gehörst mir –«

Ein dröhnender Schlag an die Hauswand – Bodo springt auf – der Wind hat einen Laden losgerissen –

Der Spuk – in ihm ist der Spuk – aber die Liebesglut ist mächtiger – und wird des Spukes Herr –

Und wieder liegt er zu ihren Füßen, und er bedeckt ihre Arme mit Küssen. »Sag mir, daß Du bei mir bist und bei mir bleibst! Und wenn etwas an mir zu bessern ist, nur Du kannst es. Und ist in mir etwas zu erlösen, Du kannst es. Niemand als Du! Es gibt nichts auf der Welt als Dich – als Dich und mich und uns beide – nichts als Dich und mich« –

Sie neigt sich zu ihm hin, betäubt von seiner Leidenschaft – da – ein Blitz und ein knatternder Donnerschlag zugleich – das Licht erlischt – beide sind mit halb ersticktem Schrei in die Höhe gefahren – und stehen und zittern –

Lisbet faßt sich zuerst. »Der Blitz hat in die Leitung geschlagen.«

»Of – offenbar.«

Und Lisbet, weiter entschlossen: »Ja, wollen wir nicht die Kerzen anstecken?«

»Die Kerzen – ja die Kerzen – natürlich.«

Er taumelt – der Spuk ist in ihm – 153

»Das ganze Haus schwankt wie ein Schiff!« Er will laut auflachen. »Ja ist man denn betrunken von den zwei, drei Glas Wein! Und der Leuchter schwankt auch« –

Mit unsicheren Händen zündet er die Kerzen an. Sie brennen, bis auf eine, die nicht brennen will – neuer Blitzschlag – die Kerzen erlöschen – nur die eine, die nicht brennen wollte, flammt jetzt auf –

Bodo fährt zurück und stößt heiser hervor: »Ja, ist das nicht Teufelswerk! Bin ich selbst so geladen –«

In ihm wettert der Spuk –

Ein Donnerschlag, unter dem das Haus krachend zusammenkriecht. Und jetzt, in dem Uhrwerk löst es sich – sie fängt an zu schlagen. »Die Uhr – sie stand doch – die Uhr – stand doch – –«

Großes Schweigen. Gebannt, verzaubert hören die beiden, bis die zwölf Schläge der Geisterstunde verhallt sind –

In Geistesverwirrung fällt Bodo, der spukbesessene – Blitze im Zickzack zucken durch sein Hirn – die elektrischen Erinnyen umtosen sein Haupt –

›die Wahrheit zu rächen, die Falschheit zu strafen‹ –

Ein furchtbarer Blitzschlag mit einem Donnergetöse, als stürze der Himmel ein – ein brausender Wolkenbruch verheert die Welt –

Und hier im Schornstein – ein wildes dumpfes Gepolter – aus dem Kamin kommt mit kreischendem ›hihi‹ ein Hexlein gefegt – kaum kennbar die wirbelnde Erscheinung in dem spärlich schwelenden Licht der einen Kerze, und umso unfaßlicher, umso erschreckender – – –

Bodo, der Sinne nicht mächtig, wankt aus dem Zimmer. Das Hexlein versperrt ihm den Weg und tanzt auf dem Besen vor ihm her.

Da stürzt er auf den kleinen Tisch zu seiner Pistole. Ein letztes Aufflackern der Mannhaftigkeit und eines Trotzes, Klarheit zu schaffen und einen Trug zu brechen – 154

Aber eine hohle Geisterstimme: »Mich treffen keine Kugeln« – räumt mit dem Rest seiner Nervenkraft auf.

Bodo sinkt auf das Ruhebett hin. Lisbet lehnt mit gespreizten Armen an die Wand.

In dem Halbdunkel tanzt die Hexe – – und tanzt und tanzt – –

*

Aus dem Wolkenbruch kommt Einer in das Haus gestürmt, das ihm Obdach geben soll. Für den ist das Haus kein Gespensterhaus, und in ihm selber ist nichts von Spuk. Nein, ganz etwas anderes. In ihm ist fester, klarer, sauberer Sinn, in ihm ist das Glück eines großen Naturerlebnisses, einer ersehnten Erfüllung, ist die Kraft eines Erfolges, ist die Sicherheit eines Selbstgefühls und der Wille des Eroberers.

Was geistert da in dem flackernden Kerzenschein – wirbelt vor ihm herum, ihn schwindlig zu machen –?

Hennig hat den hellen Kopf und die feste Hand – mit der einen packt er das Fabelwesen im Genick – die andere greift nach dem Schalter – und siehe, er gehorcht wieder – ihm gehorcht er wieder – Licht!

»Ei verflucht und zugenäht!« kommt es aus Florindes rußverschmiertem, schmerzlich verzogenen Mund. Dann fletscht er lachend die Zähne.

»Oh«, ruft Hennig vergnügt zu dieser Entzauberung, »das hört sich ja einigermaßen menschlich an.«

Jetzt kommt auch Peter herein, schnaubend und sich schüttelnd. Und nun sehen sie die ganze Bescherung.

»Ist die Menschenmöglichkeit!« ruft Peter und macht sich an Florinde. »Mien Ur-Ur-Ur-Großmudding! Nee sowat von lütten Schosteinfeger!«

Hennig ist zu Lisbet getreten. »Lis – liebes, liebes Mädchen –«

»Laß mich!« 155

Und er läßt ihr Zeit.

Auf dem Ruhebett wird es lebendig. Da liegt der Mann mit dem zerbrochenen Seelenrückgrat. Ein Jammerbild.

Langsam erhebt sich Bodo aus den Kissen. Alle sehen schweigend dieser Menschwerdung zu.

Er sammelt seine Schönheit, die Schultern, die so mutlos hängen, bemühen sich um ihre Linie. Und schon bringt er es zu einer Art Herablassung. So bemerkt der Auferstandene wie nebenher: »Ich mochte von diesem unsinnigen Unfug nichts mehr hören und sehen.«

Er will lachen, aber es wird nur ein Grinsen daraus. Er sieht auf den Gesichtern, daß er hier nichts, gar nichts mehr zu suchen hat. Und er nimmt seinen Abgang. »Bitte lassen die Herrschaften sich nicht stören. Unterhalten Sie sich so witzig weiter – nach Landesbrauch.«

Damit geht er. Feierliches Schweigen gibt ihm das Geleit. Hennig bricht es mit dem trockenen Wort: »seine stilistischen Reize sind ihm jedenfalls treu geblieben.«

»Dafür hat er seine Zigaretten hier gelassen!« ruft Florinde und wird zur Hyäne des Schlachtfeldes. »Seine Egypter!« Sie nimmt sich eine und raucht sich erst einmal frei.

»Sogar seine Pistole hat er vergessen«, sagt Peter und hebt sie vom Boden. »Hat sie fallen lassen – Dunnerlüchting ja – hat er Dir mit Schießen gedroht?«

Florinde bläst den Rauch durch die Nase. »Hat er – ja.«

»Und Du – was hast Du Dir dabei gedacht –?–«

»Der jetzt schießen? Höchstens in die eigene Büchs.« Und jetzt vollführt sie ihren lustigsten Zehentanz. »Ich bin das Gewissen – ich hab ihn gebissen – ich hab ihn geschmissen – ich hab ihn zerschlissen – ich hab ihn zerrissen – ich hab ihn –«

Peter hielt ihr die Hand auf den Mund. »Stop, stop!«

Soviel Ausgelassenheit löst auch Lisbet aus ihrer Versunkenheit, sie findet allmählich zu sich und findet auch zu 156 den andern. Hennig aber weiß, wieviel Schonung sie noch braucht.

Er aber in seinem Übermut läßt jetzt auch seine stilistischen Reize spielen. Und als Florinde mit ihrer Baß-Bauchstimme aus der Höhe dem Entschwundenen nachgesungen hat: »Leb wohl, du mein herziges Kind« – da legt er los.

»Ja leb wohl du – du – nein, großmütig bin ich nicht, und schimpfen ist so befreiend schön – leb wohl, du neurasthenischer Liebling der Götter, du Mann mit den schiefgelagerten Elektroden! Leb wohl, du grandioses Windei du! Du mitten durchgeplatzte Männerherrlichkeit! Du Athlet in Watte! Du killer der Krokodiller!«

Er mußte verschnaufen. Und nun wurde er anzüglich, aber er konnte sich nicht helfen, und Lisbet konnte allmählich ein Dusche vertragen. »Ja, ja, du verunglückter Vater von Heldensöhnen, du verhinderter Heldenpapa lebe wohl!« Warum nicht so zu einer gesunden Brutalität gedeihen!

Tief holte er Atem. »So, das ist raus. Ja, ja – die Elektrizität läßt nicht mit sich spaßen. Und wenn die Sonne nichts weißes duldet, so duldet sie nichts schmieriges und verlogenes. Sie, die Staatsordnung der Welt und ihre Wahrheit.« Und er sprach lustig das Wort von der elektrischen Obrigkeit, der elektrischen Polizei, den elektrischen Eumeniden.

Damit wandte er sich an Peter, den er seinen Maat nannte. »Mit dem Haus hat er nun nichts mehr im Sinn, so wenig wie mit dem ganzen Land – und seinen Bräuchen. Wetten, daß es jetzt zu verkaufen ist? Und die biologische Anstalt wird zugreifen. Sie aber Peter, Sie bleiben bei uns. Als Bootsführer und Fischmeister unserer Anstalt.«

Peters Augen rollen kugelrund. »Wenn sich das machen läßt« –

»Läßt sich machen.«

Florinde hängt sich an seine Seite. »Ob er allein damit 157 fertig wird!« Sie ist längst im Reiche des Selbstverständlichen. Peter aber legt den Arm um sie, den einen, noch ein wenig unfrei vor den Zeugen, und mit der andern Hand wischt er ihr zunächst einmal die Rußflecken aus dem verteufelten Gesicht.

Hennig hat auf festen Füßen den Weg zu seiner Lisbet genommen. »Lis – liebes, hast Du Dich sehr erschreckt?«

Sie mag und will das Bedürftige nicht. Und doch fühlt sie jetzt ganz das Bezwingende seiner Art, das sie nun einmal braucht, ja nach dem sie verlangt hat, immer und immer, bewußt und unbewußt. Noch bleibt sie herbe und spröde im Ton. Noch immer ist sie böse – böse auf sich, böse auf den andern, böse auf die ganze Welt –

»Natürlich habe ich mich sehr erschreckt. Glaubst Du, Du hättest Dich nicht auch sehr erschreckt bei diesem verrückten gewitterschen Schornsteinbesuch!« Aber die Augen hatten ihren Zorn verloren, ganz andere Lichter gingen in ihnen auf von einer noch ein wenig zaudernden Bewunderung für diese fantastisch-diabolische Akrobatik, ja von einer Art Dankbarkeit für solche schicksalhafte Dämonie abenteuernder Artistik.

Sie geht auf Florinde zu und reicht ihr die Hand, der Genossin, der Schicksalsgefährtin, der Gehilfin.

Solche Gefühlsregung aber braucht sie als Vorspann für ihre eigene große Befreiung. Noch hat sie ihr bitteres Lachen. »Ja die Angst. Und Angst steckt ja wohl an.« Damit neigte sie sich nun schon inniger zu Hennig, der von Angst nichts wußte. »Manchmal hab ich hier an dich denken müssen.«

»Wirklich?« Hennig lachte in sich hinein. »Mir ist fast so, als hätte ich das gewußt.«

Jetzt nimmt der gesunde Hohn auf den andern auch in ihr überhand. »Du hättest hier Studien machen können an einem elektrischen menschlichen Zitteraal.«

In hellster Freude flammt Hennig empor. »Lis – meine 158 Lis wird naturwissenschaftlich! Deß soll der Mann gesegnet sein.«

Er holt eine Flasche, die sie mitgebracht haben. »Sieh! Hier ist leuchtendes Meerwasser. Noch nie hast Du so unsere Ostsee gesehen. Alle hundert Jahre kommt das einmal vor. Und die Begnadeten sind wir.«

Er stößt die Fensterläden auf. »Sternenhimmel. Du kommst jetzt mit mir in die Zaubernacht.« Ihren Arm nimmt er und zieht sie an sich. »Weißt Du, was wir tun? Wir schwimmen in das Meerleuchten hinein –« und er hat den Mund an ihrem Ohr – »was da sich zusammenfindet, das gehört zusammen auf hundert Jahr und für immer. Kommst Du mit mir?«

Sie sieht das Meerleuchten in seinen Augen, und sieht mehr und sieht alles. »Ja, Hennig«, sagt sie leise und nimmt seine Hand, und so Hand in Hand gehen sie in die Nacht.

Florinde, mit den Zigaretten beschäftigt, mit ihrem Peter, und vor dem Spiegel von den Resten des Hexenrußes sich befreiend, hat taktvoll nur halb hingehört, aber doch genug vernommen, um munter hinter ihnen herzulachen.

»'ne eigentümliche Liebesfeier – was Peter –?–«

Er hat darauf sein breitschmunzelndes »Ja«.

»'n bischen naß. Wir machen das anders, nicht? Erst mal all die schönen Sachen.« Sie reibt sich den Magen. »Komm.«

Aufs Sofa zu sich zieht sie ihn. »Schenk ein, Kavalier!« Sie macht sich an die Hummermajonnaise.

Sie essen und trinken, sie läßt ihn von ihrem Lachsbrötchen abbeißen, sie tauschen die Gläser, sie küssen sich.

In verliebter Bewunderung zieht er sie auf seinen Schoß. »Was bist Du für ein Kerl! Dich gibt es bloß einmal!«

Ihr Hexenlachen sprüht ihm ins Gesicht. »Hihi!« Jetzt umschlingt sie seinen Nacken. »Und dann – ja dann – wollen wir uns hier ganz häuslich einrichten. Aber das kann ich 159 Dir sagen – wenn ich Dir schon meine Liebe schenke – ›un büst du falsch – bräk ick Di den Halsch!‹« Und sie reißt ihn an sich, daß ihm Hören und Sehen vergeht.

 


 


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