Max Dreyer
Spuk
Max Dreyer

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Da unten die See – der Mondstreif auf ihr ist lichte spukfreie Wirklichkeit. Im Licht will ich mich baden!

Soll ich mich nun auslachen? Soll ich mich beschimpfen? Ein Bodo Hahnenkamp beschimpft sich nicht. Und hat er seine Schwächen, so sind sie interessant.

Schwächen – überhaupt Schwächen. Modulationen von Stärke – das sind sie und so müssen sie sein. Diese besonders fein gestimmten Saiten seines Organismus – sind sie nicht ein Vorzug und eine Kraft?

Das sind Schwingungen – für euch Physiker, Herr Doktor Diekhoff, nicht meßbar. Fühlbar und erkennbar nur dem feinsten Tastvermögen künstlerischen Sinnes. Lisbet Helmbrecht hat für sie den mitschwingenden Widerhall. 57

Er ist an der See. Bei Lisbet sind seine Gedanken. Der Mondschein streichelt über ihn hin.

Würde ihr Künstlerauge, würde ihr Frauensinn Freude haben an seinem Körper? Er weiß, wie schön er gewachsen ist. Es bereitet ihm Genuß, sich sich selber zu zeigen, sich in sich selber zu bespiegeln.

So, in narkissoshaftem Trieb, wirft er die Kleider von sich und badet die Glieder im Mondenschein.

Nicht weit davon, hinter dem Vorsprung, ist ein anderer Mann. Der ist anders als er. Auch Hennig badet im Mondenlicht, aber er hat sich ins Wasser geworfen und schwimmt in den Mondstreif, schwimmt weiter, immer weiter hinaus, gebannt in diese leuchtende Straße – schwimmt in den Mond und genießt die strenge Arbeit seiner Muskeln. Und schwimmt mit hochatmender Freude an dem frischen und harten Tun sich redlich und bitter müde.

Als er umgekehrt ist und wieder an Land kommt, hat ganz plötzlich ein Wind sich aufgemacht. Eine übermütige Böe, wie der Vollmond sie manchmal heraufbeschwört. Ein toller Streich der Natur, der die Wellen wie in einem jähen Seebeben aufscheuchen läßt.

Jauchzend schnellt Hennig den Körper noch einmal hinein in die brausende Flut.

Eben dieses brausende Anspringen der See aber ist es, was den schönen Bodo, der schon Anstalten getroffen, sich die Füße und vielleicht noch etwas mehr naßzumachen, aufs Trockene zurückweichen läßt.

Unbehaglich diese Wetterlaunen hier an dem zerklüfteten Küstenstrich, der überhaupt so mancherlei Tücken zu haben scheint. Und wäre Lisbet nicht hier – dies begehrte und begehrenswerte Geschöpf – –

Er zieht sich an und strebt heimwärts.

Die beiden Männer treffen sich am Strand. Es gibt ein unwillkürliches Sichmustern. Aber je mehr Haltung 58 Bodo Hahnenkamp annimmt, umso ungezwungener wird Hennig.

»War sie nicht herrlich, diese plötzliche Brandung? Wie ein ungezogener Junge ist manchmal unser Meer. Ich glaube, diesmal war es die Elektrizität, die es geprickelt hat.«

Laß mich zufrieden mit deiner blöden Elektrizität, dachte Bodo. Und doch ging er darauf ein.

»Ja«, sagte er, »da konnte man natürlich nicht anders, als in den prickelnden Schaum sich hineinwerfen.«

»So in den Mond schwimmen – lieben Sie das auch?«

»Und ob!«

Hennig wrang sich das Wasser aus der Tolle. Er sah die unangefochtene Haarfrisur des andern und dachte, doch ohne es böse zu meinen: den Kopf hast du jedenfalls oben behalten. Dann aber war hier doch etwas, was ihn reizte.

Zwei Männer – zwei Männchen, die dasselbe Weibchen im Sinn haben. Was ist das Erste? Messen der Kräfte, Wettstreit, Kampf. Das Erste, wie es das Letzte ist.

»Wenn Sie so gerne schwimmen – wollen wir das nicht einmal zusammen tun? Morgens um sieben ist hier unsere Zeit.« Unsere Zeit – das sagte ihm, auch Lisbet ist dabei.

»Gut, also morgen um sieben«, sagte Bodo freudig bereiten Tones, mit ehrlich gehobenen Augen.

Recht, daß du kommst, dachte Hennig. Da wirst du zeigen, was du kannst. Und wirst von den Schleiern etwas lüften, in die dein Wesen sich wickelt.

Ich bin voreingenommen gegen dich – gewiß bin ich das. Vielleicht tu ich dir unrecht. Ich bin bereit, mein Urteil zu revidieren.

Die See – die blanke See, die läßt sich nichts vormachen – von mir nicht, von dir nicht, von keinem auf der Welt. 59

*

Lisbet und Hennig gingen baden. Bodo war nicht erschienen. Hennig dachte nicht daran, auf ihn zu warten. Lisbet sah sich nach ihm um.

»Will nicht, mag nicht, hat sichs anders überlegt. Versprochen hat ers – mit dem zweittreuherzigsten aller Augenaufschläge.«

»Was machst Du wieder für ein niederträchtiges Gesicht«, verwies sie ihn.

»Ja«, sagte er und freute sich an einem seiner kühnen Bilder, in meiner Brust reibt sich wieder einmal etwas die Hände.«

»Wer weiß, was Du mit ihm gesprochen hast. Und ob er das überhaupt als Verpflichtung aufgefaßt hat.«

Er schmunzelte ein wenig schmerzlich vor sich hin. Ja, da fangen wir nun schon an, uns zu beißen, wie Staatsanwalt und Verteidiger. Oh, und wie nimmst Du ihn in Schutz!

Er wollte sich retten, indem er überlegen sich was vorzitierte:

»Der Mann mit seinem Kopf denkt dies und das –
Das Weib mit seinem Herzen Gott weiß was.«

So weit sind wir nun leider, daß das Herz angefangen hat mitzusprechen.

Hennig sei auf der Wacht!

Und er dachte in seinem lieben Gemüt: ja mein verehrter Herr Hahnenkamp, das hat die See nun einmal so an sich, die allgegenwärtige und allwissende. Auch das, was nicht da ist, und grade, weil es nicht da ist, stellt sie in das rechte Licht.

Der Gedanke an ein Wettschwimmen war dir peinlich. Du hast einfach gekniffen, alter Freund!

Zugleich aber ging ihr Plaidoyer weiter:

»Ich weiß ja, mit welcher Einbildung Du Dir ein Privatvergnügen machst. Du möchtest ihm so was wie 60 Drückebergerei andichten. Aber wer einen so wundervollen und so wundervoll durchtrainierten Körper hat, der ist ganz gewiß auch ein guter Schwimmer.«

Erst kostete er ihn noch aus, den freudigen Schreck. Lis, meine Lis – geht unser Fühlen und Denken nicht doch immer dieselbe Bahn! Dann aber kam wieder der bittere Nachgeschmack: sie nimmt für ihn Partei gegen mich entschieden und mit Nachdruck.

Und nun war der prüfende Forscher zur Stelle. Was sie da sagt von dem durchtrainierten Körper – und ›Kneifer‹ ist immer ein übles heftiges Wort – sollte ich mit meiner Eifersucht auf Abwegen sein?

Hm! So fix und so leicht wird man nun doch wohl nicht mit ihm fertig. Wir haben hier ein Untersuchungsobjekt, das größte Sorgfalt verlangt. Aber daß ich hier auf der richtigen Spur bin – von keinem laß' ich mir das bestreiten, nicht mal von ihr, meinem zweiten Ich.

Wie aber den Gefahren für dieses mein zweites Ich begegnen? Mit Worten ist hier nichts getan. Ein Ereignis wird hier gebraucht – ein kräftiges Geschehen – ein besonderer Vorgang – eine Tat –

Er war weit hinausgeschwommen – ein Zorn kam in seine Stöße. Als er sich nach Lisbet umsah, war sie ganz zurückgeblieben. Jetzt kehrte sie um und schwamm an Land – ohne ihn.

Wie falsch, sich in unmutige Einsamkeit begeben! Bei ihr sein – sie braucht dich. Sie braucht dich – das ist die Parole.

Aber fein behutsam muß die Hilfe sein. Darf beileibe nicht nach Hilfe aussehen. Hier muß man Lisbet kennen –

Er rief ihr zu – aber sie hörte kaum darauf und hielt weiter Kurs auf den Strand.

Da warf er sich mächtig in die Schultern, und gleich nach ihr setzte er auf den Sand die Füße. 61

Munter machte er seinen Handstand wie gewöhnlich. Alles sollte wie gewöhnlich sein, wie sonst. Was ging der andere sie beide an!

Er plauderte mit ihr. Von neuen Entdeckungen erzählte er ihr. Von seinen Beobachtungen, wie Pflanzen sich zum Gewitter verhalten. Ganz gehoben über alle persönlichen Empfindungen in die reine Freude seines Schaffens. Und sie hörte ihm zu – mit geteilter Andacht. Bezwungen wieder von der hellen starken Freudigkeit dieser Hingabe, der die verdienten Erfolge blühten – und dann wieder einer Macht widerstrebend, die sie nicht wollte, weil hier etwas wie ein Recht sich geltend machte.

Und plötzlich runzelte sie sehr kräftig die Stirn. »Ja, Du hast gut reden. Du kommst schön mit Deinen Arbeiten voran. Aber ich sitz' fest mit meinem Ringkampfplakat. Weiß der Deubel, was daraus werden soll! Die Zeit drängt. Es muß etwas geschehen!«

*

Bodo aber, der Ringkämpfer aus dem Land der Nuhaqua, hatte nicht im entferntesten daran gedacht, zu dem gemeinschaftlichen Baden sich einzufinden, bei dem dieser magere Wassertreter sicherlich seine Schwimmkünste spielen lassen wollte.

Wasser war nun einmal nicht sein Element. Schon eher das Feuer – wie er sich mephistophelisch bewitzelte. Und in seinen Feuerkreis war ihm denn heute morgen die kleine Florinde geraten.

Peter sollte ihn in die Kreisstadt fahren. Er hatte da auf dem Katasteramt die Grundstücksachen zu erledigen. Da hinten lief die Kleine, die offenbar vom Baden kam, mit ihrem schwarzem Katzenvieh über die Chaussee.

Sie blieb am Rande stehen, jedem Auto galt ihre Teilnahme, dieses aber kam ihr bekannt vor. 62

Und schon hielt es. Peter fuhr, Bodo, der neben ihm saß, winkte heraus.

Gleich war sie bei dem Wagen und streichelte seine glänzende Haube. Luz verzog mißtrauisch das Maul mit schiefem Miau – als er Peter gewahrte, schnurrte er vertraulich, aber da war der andere noch, und sein Verdacht blieb rege.

»Wollen Sie mitfahren?«

»So wie ich bin?« Sie zeigte auf ihr sandiges Badetrikot.

»Gerade so.« Die Sache bekam ihren abenteuerlichen Anstrich, wie er es liebte. »Sie kriegen nach Bedarf meinen Mantel.«

»Wohin geht es denn?«

»In die Stadt. In einer Stunde sind wir zurück.«

Sie überlegte. Besonderen Dienst hatte sie nicht. Für ihre Übungen war noch Zeit genug. Dann aber, da sie sah, wie der schöne Bodo sie mit den Augen verschlang, verübte sie eine Erpressung.

»Ich komme mit – wenn ich selber einmal ans Steuer darf.«

Bodo machte ein verdutztes Gesicht und blickte auf Peter. »Sie kann fahren«, sagte der in seiner trockenen verläßlichen Art. Er wußte es freilich nur aus ihrem eigenen Mund. Aber er wußte auch, was man einem Menschen, einem Mädel sogar, glauben durfte.

Er verließ seinen Platz neben Bodo, sich hinten hinzusetzen. Bodo aber war gleich mit Leib und Seele dabei.

»Also – sit down, please«, lud er die Kleine zum Sitz am Steuer ein. Dann wollte es ihm bedünken, daß Peters Gesellschaft recht überflüssig wäre.

»Sie brauchen nicht mit«, bestimmte er. »Den Wagen erwarten Sie in einer Stunde vor Fräulein Helmbrechts Haus. Ich habe dann mit der Dame über die Grundstücksfrage eine Besprechung.«

Bei der Nennung dieses Namens zuckte eine Stichflamme 63 über Florindes Gesicht. Was hast du nun wieder mit der! Soll ich dich in den Graben schmeißen, du Frauenfresser du!

Schade wäre es ja um dich! Was bist du schön! Was bist du einmal schön!

Luz machte Miene mit hinauszuspringen. Dabei fauchte er den Herrn und Besitzer auf Grimmigste an.

»Das Biest bleibt draußen!« befahl der Bedrohte und Bedrängte mit Heftigkeit.

Dadurch hätte er es nun fast mit Florinde verdorben. Der zudem diese ausgesprochene Feindseligkeit ihres Luz zu denken gab. Aber das Glück, diesen wundervollen Wagen fahren zu dürfen!

Und jetzt sah sie, daß ihr Luz wie trostsuchend an Peter sich wandte. Den mag er – und den schönen Bodo mag er nicht, so ging es ihr wieder und wieder durch den Sinn –

Aber schon verwies sie Bodo mit noch ein wenig fragenden Augen auf die Maschine. Und nun rief sie: »geh nach Haus, Luz.« Das verstand der sehr gut, aber er blieb. Als hätte er hier noch eines Amtes zu walten und einen Posten zu versehen.

Als der Wagen anfuhr, lief er einfach hinterher und lief – lief – lief. Dann gab er das Rennen auf, schüttelte sich, als wollte er sagen: infame Schweinerei! und kehrte um, in großen Sprüngen, zu Peter.

Die beiden Verlassenen sahen sich vielsagend an. Ja, meinte Peter, darüber wollen wir uns nun keinen Täuschungen hingeben: der beste Bruder ist er nicht. Dafür aber ist deine Herrin keine von denen, die mit sich spielen lassen. So brauchen wir uns wohl keine allzugroßen Sorgen zu machen. Meinst nicht auch?

Damit begaben sich die zwei auf den Rückweg. Sie waren Freunde geworden. 64

*

Bodo aber genoß mit Entzücken die Nähe seines kleinen Chauffeurs. Er sah, daß sie fahren konnte. Und die Anmut ihrer Sicherheit war eine Lust.

Und wie glücklich er sie machte! Was strahlten ihre Augen!

Er merkte, daß sie kennerisch nach seinem Zigarettenrauch schnüffelte. Er hatte seine besondere Marke, Ägypter.

Es ging gerade aus, sie hatten freie Bahn, seine Vorsicht verbot ihm nicht, ihr kameradschaftlich eine Zigarette in den Mund zu stecken und ihr Feuer zu geben. Zärtliche Dankbarkeit strahlte ihn an.

Aber war das nicht falsch gewesen? Hatte er sie damit nicht zu einer gewissen Sorglosigkeit verführt? Er zog eine bedenkliche Nase.

Richtig kriegt sie den Tempohunger. Und da ist er, dieser infame Verfolgungswahnsinn, der alles überholen muß.

Das wird ihm unbehaglich. Schwer legt sich die gebietende bremsende Hand auf den unbekümmerten Arm.

Sie lachte ihn an und wies mit dem Kopf auf den Schnellmesser, der fünfundneunzig zeigte.

»Ach der Wagen!« jubelte sie sachkundig. »Der geht ja spazieren noch bei hundertfünfzig.«

Für ihn aber hörte bei Hundert die Gemütlichkeit auf. »Wenn Sie so jagen, habe ich nichts von Ihrer Gesellschaft. Und die Fahrt ist dann vorzeitig zu Ende. Wir wollen uns was erzählen.«

»Sie mir«, bat sie ihn. »Von unserer sogenannten Kollegenschaft.«

»Ach so!« Er durfte näher an sie hinanrücken.

»Sie sind doch im Zirkus als Kunstschütze aufgetreten.«

»Bin ich. Und ich habe die Pistole sogar hier.« Er klopfte an die Wagentasche zu seiner Rechten.

»Zum Schutz?«

Er lächelte. »Halten Sie mich für so – vorsichtig? Hat man hierzulande ja wohl nicht nötig. Damals in Brasilien 65 freilich – da hatte ich einen andern Wagen. Und andere Waffen.« So erzählte er gern. »Diese ist ja mehr ein Spielzeug.« Er holte die Pistole hervor. Sie war silberbeschlagen.

»O was ein schönes Stück!«

»Ja, es ist wundervolle Präzisionsarbeit. Und es ist Verlaß auf sie. Ich brauch sie manchmal so unterwegs – zur Unterhaltung. Und um nicht aus der Übung zu kommen.«

Ihre Augen flackerten wie bei einem Kind zu herrlich neuem Spielzeug. Die Pistole nahm jetzt ganz ihre Gedanken hin. »Zu gern möcht ich einmal sehen – soll ich halten? Und dann zeigen Sie mir –«

»Ach, das können wir auch im Fahren abmachen.«

Heller noch brannte die Neugier in ihren Augen – sie fuhr langsam, sie dachte nicht mehr an Schnelligkeitsrekorde – so war es ihm recht.

Er blickte sich um, die Pistole in der Hand. »Ja, was haben wir denn hier – was können wir uns holen?«

Sie waren an ein Dorf gekommen. Er deutete auf den Zaun des ersten alleinstehenden Hauses. Zwischen die Latten hatte ein Kürbis, kaum mehr als eine Faust groß, neugierig den Kopf hervorgesteckt.

Er zielte, immer im Fahren – schoß – der Kürbis verspritzte seine Grütze.

»Wonderful – wundervoll – wonderful!« jubelte Florinde. »Den muß ich mir besehen.«

Sie hält jetzt, springt aus dem Wagen, läuft zurück, steht bewundernd vor der Frucht. Er ist auch ausgestiegen und zu ihr getreten.

»Mitten in der Mitte! Und das im vollen Fahren. Soll Ihnen einer nachmachen!«

Aus dem Haus ist eine alte Frau gekommen. Ohne Spuren irgendwelcher Erregung, kaum zur Neugierde bewegt, mit klaren fragenden Augen tritt sie näher. Denn hier ist immerhin etwas, was sie anzugehen scheint. 66

Bodo ist gleich bei ihr. »Ich hab' einen von Ihren Körbsen totgeschossen – mausetot«, beichtet er mit lachenden Zähnen.

Körbsen ist mundartlich. Damit ist gleich eine Verbindung hergestellt. Noch weiß die Alte nicht recht, was los ist. Als aber Florinde die Frucht abreißt und an sich preßt: »die nehm' ich mir mit als Andenken!« – da dämmert dem alten Gehirn immerhin etwas, wenn die Welt auch noch so verrückt ist, in der es sich plötzlich befindet.

»Ich kauf' Ihnen das Ding ab«, erklärt Bodo. Und er legt ihr ein Fünfmarkstück in die Hand.

Da wehrt sich die alte Frau. »Nee, nee.«

»Kommt in die Sparbüchs'. Für den größten Banditen unter Ihren Enkeln.«

Schon sitzen die beiden schnurrigen Menschen wieder im Wagen und verschwinden um die Ecke – aus dem Traumhaften ins Traumhafte.

Aber faßlich bleibt das Geldstück in der Hand. Großmudding sieht es kopfschüttelnd an. Dann murmelt sie: »Worüm nich?« Das ist ein Losungswort, mit dem sie schon so mancher Lebenslage Herr geworden ist und so manches eingesteckt hat.

Florinde aber hat Freude an ihrem Fahrtgenossen. Das ist wahrhaftig einer, der in die Welt gehört! Und Bodo weiß wohl, welch' glückliche Rolle er in solchen Episoden spielt, in diesen kleinen Abenteuern, mit denen er sich und andern zum Wohlgefallen sein Leben vollzufüllen liebt.

Er fühlt, wie er wirkt, und darf sich fühlen. Wirkungen aber – und in dem Wirkungsbereich ein Weib – ein Mann, der nicht weiß, was er da zu tun hat, der ist kein Mann.

Er legt die Hand um ihren Nacken und preßt schnell und fest die Lippen auf ihren Mund.

Sie funkt ihn an – er nennt es für sich ein zorniges Entzücken. 67

Dann stößt sie hervor: »Wenn ich nicht mit müßte – säßen Sie jetzt im Chausseegraben.«

»Aber da wir nun mal zusammen sind auf Gedeih und Verderb –!«

Er streichelt ihre Hand. Darin zuckt es. Aber soviel Vertrauen zu sich darf er nun schon haben: der Zorn würde auszittern, das Entzücken würde bleiben. Und ist es nicht gut, daß man sie sich erst erobern muß!

Jetzt kam die Stadt. Sie hatte auf den Wagen zu passen.

Das Geschäftliche war nun obenauf. Sie fuhren zum Katasteramt. Bodo war schnell fertig, und dann ging es zurück.

Was in Florindes Gemüt sich inzwischen begab war dies.

Ein frecher Kerl – mit seinem Reichtum – seinem achtzylindrigen – Herrgott, ist das ein Wagen – wie in den Himmel fährt man mit dem hinein – ja, und dann mit seiner Schönheit – verdammt nochmal, schön ist er, das muß der Teufel ihm lassen – und was kann er schießen – ob Großvater José das gekonnt hätte –? Jetzt fuhr sie doch wie liebkosend über den Kürbis, ihr Geschenk.

Aber was denkt er sich eigentlich!

Ein Spielerkind! Mit dem ist leicht zu spielen! Aber da soll er denn doch auf einen Knust gebissen haben! Und jetzt will er zu der Andern, der hochnäsigen Zeichenmamsell. Sie selber aber – sie wird unterwegs abgesetzt. –

Ja, wenn sie sich absetzen läßt. Hat denn bloß er, er mit seinen Machtmitteln Gewalt über sie! Hat sie nicht auch ihre Mittel?

Oh – die Augen, die er ihr macht –!–

Und ein Spielzeug, das ist nun das Letzte, was ich bin!

»Wohin fahren wir?« fragte sie mit bezwingender Sachlichkeit.

»Ja«, meinte er, »Sie werden unterwegs aussteigen wollen. Halten Sie da, wo es Ihnen am gelegensten ist. Ich bring' den Wagen dann zu Peter.« 68

Darauf sagte sie sehr ruhig: »Ich muß doch eigentlich den Wagen selber zum Chauffeur bringen. Und mir bescheinigen lassen, daß ich ihm nichts getan habe.«

»Das nenn' ich ordnungsliebend«, sagte er belustigt. »Ja, wenn Sie Zeit haben –«

Er bekam einen kurzen forschenden Blick. Sie vor der Andern zu verstecken, war er offenbar nicht gesonnen.

»So lange hab' ich Zeit. Aber ich möchte gern noch einmal im Zirkus vorsprechen. Möchte mich auch schnell umziehen – so kann ich ja nicht gut unter Leute. Wenn wir da einen Augenblick halten wollen, wo sie mich aufgenommen haben –«

»Gut. Aber jetzt tun Sie mir den einzigen Gefallen! Sie fuhrwerken ja schon wieder wie der Leibhaftige!«

*

Bodo war auf der weiteren Rückfahrt nicht derselbe. Die Luft war wieder mit ›Elektrizität vergiftet‹, wie er es nannte. Da im Westen stieg schon wieder eine Wolkenwand auf, und das ferne Grollen klirrte ihm durch die Nerven. Ihm war unbehaglich zumute.

Florinde aber – wie eine Wetterhexe ist das Mädel – fühlt sich eher wohl in diesem Brodem. Glatt und elegant landete sie den Wagen vor Lisbets Haus, wo Peter schon auf ihn wartete.

Während sie scherzhaft wie zum Rapport vor den gestrengen bestallten Chauffeur hintrat, ging Bodo ins Haus. In der Haltung, die Lisbets Gegenwart ihm nun auferlegen würde, fühlte er sich sowas wie geborgen.

Daß er da Hennig, den elektrischen Flausenmacher vorfand, war nun weniger nach seinem Herzen. Vielleicht aber hatte das Gestänge von dessen Knochen, in dem keine Gewitterpsychose saß, blitzableitende Wirkung.

Florinde war zunächst so angelegentlich damit beschäftigt, 69 Peter ihr Loblied auf den Wagen vorzusingen, daß ihr Bodos Verschwinden ohne Abschied gar nicht recht zum Bewußtsein kam. Sie spielte sich auch ein wenig mit Fachkenntnis auf, und so erklärte sie Peter, ihr wäre es vorgekommen, als wenn die Bremse nicht durchaus gleichmäßig funktioniert hätte. Sehr hingegeben machte sie sich dann zusammen mit ihm an die Untersuchung. Er aber hatte seine Freude an solcher gemeinsamen Arbeit.

Das Mädel – eine Seiltänzersche freilich – aber ein tüchtiger Kerl, ohne Frage. Gefiel ihm, gefiel ihm immer mehr – das konnte er nicht leugnen. Und mit prüfender Sorge streifte sie ein Blick: wie mochte Herr Bodo Hahnenkamp, der Frauenfreund, sich mit ihr auf der Fahrt beschäftigt haben.

Plötzlich, als die Untersuchung des Wagens, die nichts Verdächtiges ergab, zu Ende war, sprühte es auf in ihren Augen. »Ich muß Ihnen etwas zeigen.« Und sie holte ihren Kürbis aus dem Wagen. »Da hat er mitten durchgeschossen – mitten im Fahren.«

Peter musterte gemächlich den Schuß. »Ja, das kann er. Und in sowas ist er Baas.«

Sie kam in Feuer. Maß den Sitz der Schußöffnung, erst mit den Augen, dann mit den Fingern. »Es ist gerade die Mitte – wie abgezirkelt – so auf ein Haar – oh – und dies Andenken ist mein!«

Hier drückte sie die Frucht an die Brust und vollführte mit ihr einen Tanz.

Aus der Tür aber trat Lisbet.

Neugierig bist du nicht schlecht, schalt Florinde für sich die Erschienene aus. Aber recht so! Warum sollst du anders sein als wir andern alle. Ob dir das aber Freude machen wird, was ich dir jetzt zu erzählen habe – und wie ich es dir erzähle!

»Ist das ein Zirkusrequisit, was Sie da haben?« fragte 70 Lisbet freundlich und unaufdringlich. »Herr Hahnenkamp tut so geheimnisvoll. Wollen Sie nicht mit hereinkommen?« so forderte sie Florinde und Peter auf, und die gingen mit ihr.

Florinde, die sich nicht lange zum Worte nötigen ließ, war an ihrem Platz. Mit leidenschaftlicher Anschaulichkeit gab sie die Geschichte des Meisterschusses zum Besten. Triumphierend, unter einem kaum gebändigten Seitenblick auf Lisbet schloß sie: »und ich darf den Kürbis behalten!«

Fast kostete es sie Überwindung, ihn Lisbet einzuhändigen, die danach griff.

Mit edler Zurückhaltung heimste Bodo Lisbets Bewunderung und danach Hennigs ehrliche Anerkennung ein.

Lisbet machte auch ihre Messungen. »Das ist ja einfach beispiellos«, erklärte sie.

»Doch nicht!« wandte Bodo ein. »Von Vacqueros da drüben können Sie dasselbe oder noch ganz andere Dinge erleben.«

»Man braucht da drüben wohl so etwas. Sie haben sich da gewiß so mancherlei vom Leibe halten müssen.«

Jetzt kommen Erlebnisse – aufgepaßt! Hennig dachte es, und Florinde auch.

Sie hatte Lisbet den Kürbis wieder abgenommen und gab ihn nun nicht mehr aus der Hand. Trug ihn als Insigne eines gemeinschaftlichen Erlebnisses und einer Gemeinschaft! Und wenn das, was den einen freut, dem andern zum Leide ist – ja, ja, ja, so ist nunmal das Leben!

Bodo aber war am Berichten. »Vom Leibe halten – ja. Das heißt weniger in der Wildnis, als in gewissen Kreisen der brasilianischen Gesellschaft. Es gab da ein so gewisses Raufboldentum.«

Jetzt nahm Hennig, in dem das alte satisfaktionsfrohe Burschenherz sich regte, zunächst mit Hintansetzung aller Seelenforschung an dem Gespräch teil. »Donnerwetter ja – ich kann mir denken, daß keiner von diesen streitlustigen 71 Kavalieren große Lust hatte, Ihnen auf zehn Schritt Barriere gegenüberzustehen.«

Florinde dachte: ei verflucht ja! Und in ihrem verschmitzten Schlingelgemüt fügte sie hinzu: Auf alle Fälle aber hast Du recht daran getan, als einer, der seine heilen Knochen liebt, dich so gründlich einzuschießen!

Hennig fuhr indessen fort, immer noch im Arglosen verbleibend: »Da hielten es diese brasilianischen Klopffechter schon lieber mit dem gemütlichen Mann in dem alten französischen Lustspiel – der sollte sich schlagen und erklärte vor dem Zweikampf: gut, also um sieben – und wenn ich noch nicht da sein sollte, dann fangen Sie nur ruhig an.«

Florinde kreischte vor Lachen und klatschte sich auf die Knie – dann erschrak sie ob solcher Entgleisung und sah mit verstört sittsamen Augen zu Lisbet hinüber, die sich jedoch menschenfreundlich und milde verhielt.

Aber es verdroß die Kleine, daß Bodo der Dame des Hauses immer näher rückte. Sie setzte ihn sich herab, und dachte spitzig: ob selbiger Herr Hahnenkamp, wäre er nicht so großartig auf solch eine Begegnung vorbereitet gewesen, bei einem Ehrenhandel nicht auch diese Art der Erledigung vorgezogen hätte? – Und dann phantasierte sie sich eine Geschichte vor: gab es nicht die Möglichkeit, daß auch der andere ebenso gut schießen konnte! Oh und was dann!

Jetzt aber betrachtete sie sich Bodo, wie unaufdringlich vornehm er sich verhielt, und meinte zärtlich: tu ich dir unrecht? Du hättest nur bei meiner Schnellfahrerei nicht immer wieder eine so sorgenvolle Miene aufsetzen dürfen –!

Plötzlich aber ärgerte sie sich wieder, daß Lisbet – »das Fräulein« – wie sie sie höhnisch nannte, so offenes Gefallen an seiner Art fand.

Und jetzt sagte der Umworbene in einem Ton, der das gerade Gegenteil war von aller Großsprecherei: »Ach ja – ich bin doch froh, daß ich jetzt in sanftere Zonen gekommen 72 bin.« Aber gerade wie er das aussprach, bebte er leicht zusammen. Ein kurzer Donnerschlag ließ die Fensterscheiben erklirren. Nun zog ein leises Lächeln um seinen bildhübschen Mund. »Als ob ich es verrufen hätte. Gewitter scheinen hier bei Ihnen häufig zu sein.«

»Gott sei Dank!« rief Hennig. Aber Lisbets Blicke hießen ihn in sich gehen. »Da sie für mich Forschungsmaterial sind –«

»Für uns wissenschaftliche Zivilisten«, bemerkte Lisbet, »werden sie manchmal des Guten zuviel. Wir scheinen hier in der Tat so etwas wie eine elektrische Zone zu haben.«

»Die haben wir ganz gewiß«, so unterstrich Hennig seine feststehende Entdeckung, während Bodo sich bemühte, sein Gesicht nicht lang und immer länger werden zu lassen. »Und ihre Hochburg das alte Haus da auf der Spitze unserer Halbinsel.«

»Auf dieses Haus und seinen Grund und Boden hat es ja nun allerdings die biologische Anstalt abgesehen«, sagte Lisbet. Und da hier Künstlerisches in Frage kam, war ganz und gar nicht mit ihr zu spaßen. »Natürlich wird sie das Haus abreißen und dafür einen Glaskasten hinsetzen, so ein durchsichtiges und hellseherisches Observatorium! Das für mich die ganze Gegend verschandelt. Wie wundervoll ruht das alte Haus da oben, verträumt und vergangenheitstrunken, zwischen all den dunklen sturmtrotzigen Buchen« – so steigerte sich ganz von selbst ihre Sprache.

»Dann ist das Haus für Sie eine Art Heiligtum« – so stellte Bodo sich an ihre Seite.

Er fühlte sich als Herr über diesen zärtlich gehegten Besitz ihres Kunstsinnes und hatte die Genugtuung, daß er schenken konnte. »Ich darf Ihnen versprechen, daß das Haus gegen Ihren Willen nicht angetastet wird.« Leuchtende Augen dankten ihm. »Durch Sie geht mir selber immer mehr auf von seinen Reizen und seinem Wert –« 73

Florindes Galle fing an zu rumoren. Ist dies alles nun nicht mehr – viel mehr als mein Kürbis!

In Hennig aber bohrte sich tief etwas ein. Lis – so machst du jetzt vollends gemeinsame Sache mit ihm – gegen mich, gegen mich und meine Arbeit! An die ich dich in unserm Zusammenleben immer mehr heranziehen durfte, dichter und dichter – bei allem Widerstand einer gewollten Gleichgültigkeit –

Schon aber hatte Bodo, der hier nun ganz den Ton angab, sich Peter zugewandt, dem alten Begleiter, der wortlos bei allem, was hier gesprochen wurde, sich seine Gedanken machte.

»Sagen Sie, Peter, Sie müssen doch eigentlich von Ihrem interessanten Geburtshaus so mancherlei zu erzählen haben.«

»Das hätte ich wohl.«

»Nun, dann lassen Sie uns hören!«

*

Peter Röper war nicht eigentlich Herr des freien Wortes. Und sich so öffentlich darzustellen, das lag ihm ganz und gar nicht. Dann aber gab er sich einen Stoß.

Draußen wurde es immer dunkler. Bodos wachsendes Unbehagen konnte eine Ablenkung gebrauchen.

»Da es ein Spukhaus ist«, meinte Lisbet, »werden wir was Grusliges zu hören kriegen. Und die nötige Stimmung dafür sollen wir ja offenbar auch haben.«

Nun sagte Bodo gottergeben: »Es scheint heraufzukommen?« – –

»Es ist schon da«, erklärte Hennig herzlos.

Florinde aber krümmte sich in sich zusammen. »Fein ist das – oh ist das fein!« und sie kauerte sich nahe zu Peter hin, um den jetzt alle Platz genommen hatten.

Zuerst stolperte er noch ein wenig über seine Scheu, über 74 seine Zunge. Dann sprach er treuherzig schlankweg von der Leber.

»Ich bin ja nun freilich schon als Kind aus dem Haus fortgekommen. Und mit Kindern hat der Spuk nicht recht was im Sinn« –

»Weil sie unschuldig sind«, warf Lisbet ein.

»So ist Spuk also schlechtes Gewissen«, ergänzte sie Hennig.

Nun nahm Lisbet ihn und sich selbst bei den Ohren. »Das sieht uns ähnlich. Wir sollen Tatsachen hören, und wir müssen philosophieren.«

Peter hatte das Wort.

»Ja – nach allem, was so berichtet wird, muß das Haus ja ordentlich was erlebt haben. Danach müssen meine Altvordern, die alten Röpers, eine dolle Gesellschaft gewesen sein. Und das Frauenzimmer, das da als Gespenst nicht zur Ruhe kommen kann –«

Krummer und krummer wurde in grusliger Lust Florindes Rücken. Bodo aber munterte sich auf: »Ein weibliches Gespenst – auf alle Fälle das sympathischere.«

Und Peter spann sein Garn weiter. »Ja – diese meine Ur-Ur-Ur-Großmutter, das muß ja ein ganz besonderes Biest gewesen sein – oder geworden sein. Sehr hübsch ist sie gewesen und sehr verliebt in ihren Mann. Den aber ließ die See nicht los, er war Fahrensmann gewesen. Und da sagte sie ihm: wenn du jetzt nicht endlich zu Hause bleibst, denn hol ich mir jeden, der hier an unserer Landspitze zu Wasser vorüberfährt, als Liebsten ins Haus. Und so hat sie nun auf dem Stein, der da aus der Uferwand hervorragt und der hier heute noch der Hexenstein heißt, auf dem hat sie gesessen und gelockt –«

»Wie eine Art Loreley«, bemerkt Lisbet leise.

»Ja, ungefähr so. Nur, daß sie nicht gesungen hat. Einen schrillen Mövenschrei hat sie ausgestoßen – Hi-Hi-Hi! Und die Möven mit diesem besonders schrillen Ruf nennt die 75 Bevölkerung hier denn auch ›de Hexenmöv‹. Na und jeder, der nun vorüberfuhr und sie hörte, der war ihr verfallen. In einer Gewitternacht aber geschah es, daß ihr Mann nach Hause kam und sie mit einem andern überraschte. Und da hat es dann Mord und Totschlag gegeben – und er spukt nun hier auf See herum, und sie spukt im Haus. Wer die Augen dafür hat, der kann sie in Gewitternächten – für die hat sie eine unheimliche Vorliebe – der kann sie da als schöne junge Hexe auf dem Besen in den Schornstein hineinfahren sehen – und dann fuhrwerkt sie da in dem Hause herum – und wehe dem, der gegen Gespenster nicht gefeit ist! Wer treu ist in Liebesdingen, über den hat sie keine Macht. Aber wehe den andern und das sind ja wohl die meisten. Und das Volk weiß sogar den Geisterspruch – wie aus tiefem Grabe ertönt er:

Büst Du tru,
Lat ick Di in Ruh –
Büst Du falsch,
Bräk ick Di den Hals!« – – –

Alle haben hingegeben zugehört und sitzen jetzt wie gebannt, da nächtiges Dunkel sie umhüllt. Und wie es nun dumpf nachhallt, aus tiefleiser Grabesstimme: »bräk ick Di den Hals« – Niemand weiß, woher sie kommt, außer Florinde – da läuft es doch diesem und jenem über den Rücken.

Jetzt – ein jäher blauer Lichtschein zuckt durch das Dunkel – ein Donnerschlag zugleich – alle fahren zusammen – Bodo ist stöhnend vorüber auf den Tisch gesunken und deckt die Augen mit den Händen –

Dieser eine Blitz hat mit der Finsternis aufgeräumt. Gleich wird es wieder hell. Bodo, der sich wieder aufgerichtet hat, sieht sich im Kreise um. Er fühlt die Blicke auf sich gerichtet 76 – schnell gefaßt gibt er seine Erklärung ab, mit lächelnder Miene, Ruhe und Selbstgewißheit.

»Eine sehr schmerzhafte Überempfindlichkeit meiner Augen – auch ein Geschenk der Tropen« –

Und da ihm dies wohl nicht ausreichend erscheint, nicht von zwingender Überzeugungskraft, gibt er noch etwas drauf.

»Außerdem spukt mir doch wohl noch etwas von einem ganz besonderen Gewittererlebnis im Blut. Aber dies sind nun glücklicherweise die letzten Zuckungen.«

Lisbet ist mit ihrer Teilnahme bei ihm. »Das müssen Sie uns erzählen!«

»Es war in den Pampas. Wir wollten in wildem Ritt aus dem Wolkenbruch uns retten. Da schlug der Blitz in unsere Reihen. Einer – der brave Antonio wurde getötet – und unter mir wurde mein Pferd erschlagen.«

Große Augen. Am größten wurden die von Hennig. Ein merkwürdiger Blitz! Trifft das Pferd unter dir. Sonst schlagen Blitze von oben ein, und oben befandest du dich ja. Dieser Blitz aber packte die Sache von unten an.

Hm. Doch da Pampaserlebnisse – nun ja – so oft etwas besonderes haben – warum soll ein Pampasblitz nicht was besonderes sein.

 

Jetzt, wo das Dunkel gewichen war, der Donner verrollte und die Sonne wieder ihr Licht gab in all ihrer gütigen Selbstverständlichkeit, als wäre nichts geschehen, jetzt befand sich Bodo wieder ganz auf der Höhe.

Er fühlte, daß er etwas gutzumachen, etwas einzurenken hatte – aber diese Lebenslage war ihm nicht eben neu.

»Ja, dieses Haus – dieses fabelhafte, wunderbare, verwunschene Haus« – sein Blick suchte Lisbet – »sagen Sie selbst, Herr Doktor Diekhoff, wäre es nicht eine Sünde gegen den Geist, wenn man es abreißen und an seine Stelle 77 da auf dieser sagenhaften Höhe ein Laboratorium hinsetzen würde.«

»Was verstehen Sie unter Geist?« fragte Hennig.

»Für Dich ist Geist natürlich Elektrizität!« wandte sich Lisbet gegen ihn und focht Schulter an Schulter mit dem schönen Bodo.

Dem schwoll nicht wenig der Kamm. »Hier in dem Haus ist etwas Elementares und etwas Künstlerisches zugleich. Kunst und Natur – sei eines nur!«

Oh, ist das ein verdammter Kitsch in deinem Mund! so zog der Jammer Hennig zusammen. Lisbet, fühlst du das nicht auch?

Aber Lisbet blieb hier gefühllos. Es war ihr recht, daß Bodo, der Besitzer, dem Haus, das sie als Naturdenkmal liebte, seinen Schutz versprach. Und sie freute sich fraulich der Macht, die sie über ihn gewann.

Bodo Hahnenkamp aber warf sich nur noch mehr in die Brust. »Ein Schatz dieses Haus! Und diesen Schatz werden wir bewahren, nicht wahr, Fräulein Helmbrecht?«

Wir – jetzt geht es schon auf wir!

»Ich kann mir denken, daß es sich künstlerisch besonders gut in ihm schaffen läßt. Und mit besonderer Freude würde ich es Ihnen für Atelierzwecke zur Verfügung stellen.«

Florinde hatte Peter, der als Sprößling des Hexenhauses ihr heillos interessant war, beiseitegenommen – sie wollte noch mehr herausholen aus den mystischen Gründen. Zwischendurch tanzten ihre Augen doch wieder zu Bodo hinüber, zu der schönen Wirklichkeit des schönen Mannes. Und sein Werben um die andere, um das »Fräulein«, zuckte ihr durch Kopf und Herz und Galle.

Hast du mich nicht geküßt? Glaubst du, ich bin so eine, an der man den Mund sich abwischt!

Und wieviel Zärtlichkeit war in deinen Worten, deinen Augen, deinen Lippen. 78

Wärst du nicht so schön, so betörend schön! Aber falsch bist du auch! Ihr Zorn flammte. Und durch ihr heißes Hirn brodelten die Hexenworte: »bist du falsch – bräk ick di den Hals!«

Ihre Finger preßten den Kürbis, dies Geschenk, dies Andenken an ein Erlebnis, dessen Wonnen die Bitterkeit zerfraß. Aber sie ließ ihn nicht aus der Hand.

Bodo gab Peter den Auftrag, den Wagen in die Garage zu bringen. Damit war auch sie entlassen. Sie verabschiedete sich dankend von der Herrin des Hauses, der Andern, der Feindin, und ging mit Peter.

Auch Hennig, den es an seine Arbeit rief, machte sich auf den Weg.

Immer mehr seh ich bei dir hinter die Kulissen, du bedeutender Mann. Bei elektrischem Licht zeigst du dich, wie du bist. Müssen nicht Lisbet auch die Augen aufgehen?

Aber eine Frau – ehe die sich durch soviel Blendwerk mit ihrer Sehkraft hindurchfindet! Hat eine Frau nicht überhaupt für Manneswesen und Manneswert ganz andere Maße als ein Mann? Was aber kann inzwischen alles geschehen!

Hennig trug einen Schmerz in der Brust, als er Lisbet mit Bodo allein ließ. Aber seine Arbeit wollte ihn, und er wollte seine Arbeit. Und die machte ihn stark – für sich und für die, der sein Herz gehörte.

Bodo aber freute sich genießerisch an dem Zusammensein mit Lisbet, die ihn gebeten hatte zu bleiben.

Näher durfte er sich zu ihr neigen. »Mein liebes gnädiges Fräulein, wissen Sie, was dieses Land mit Ihnen mir geschenkt hat! Jetzt gehöre ich hierher. Jetzt ist dies hier meine Heimat. Und meine Arbeit – Sie dürfen es mir nicht versagen – wird eine Zusammenarbeit mit Ihnen sein!«

Er hatte seine Mappe bei ihr gelassen. Die geistige Gemeinschaft war angebahnt und nahm ihren Gang.

»Aus meinem Reisewerk – das fühl ich – wird nur das 79 Richtige, wenn Ihre Künstlerhand sich seiner annimmt. Sie müssen es illustrieren!«

»Ja, kann ich denn das überhaupt – und liegt mir das –«

»Ob Ihnen das liegt! Das photographische Material – es ist ja im Grunde eine tote Masse – die persönliche Belebung werden Sie ihm geben!« –

Bodo, der werbende, der wagende, wie steigerte er sich hinauf zu strahlendem Männermut!

»Und das Haus, daß Sie so lieben, und das ich darum auch liebe – das Ihre künstlerische Heimstätte werden soll – dieses unheimliche, drohende dämonische Haus – sein Dämon hat da nichts mehr zu suchen, wenn wir uns in ihm zusammenfinden zu gemeinsamem Schaffen. Und treue, feste Gemeinschaft wird uns zusammenschließen!«

Er nahm ihre Hand – er preßte sie an seine Lippen – seine Blicke umfingen sie mit flammenden Wünschen –

Gegen das, was ihre Sinne betören will, kämpft das frauliche Widerstreben – auch da draußen ist noch nicht alles zur Ruhe gekommen – eine Wolke deckt das Sonnenlicht – Schatten huschen durch den Raum – wieder klingt es vom Himmelssaum dumpf herauf –

Und jetzt – was ist das? Was rollt da herein und rollt ihnen vor die Füße – eine verzauberte Kugel – und taumelt herum – und da sie aufspringen, rollt sie ihnen nach – –

Was ist das? Wo kommt das her?

Aus weiter Ferne ertönt ein leiser heiserer Mövenschrei – hihi – –

Jetzt erkennen sie es: der Kürbis ist es, den Bodos Kugel durchschossen hat. Mit der Erkenntnis aber ist ein Teil seines Bannes gebrochen, und er liegt still – aber um ihn bleiben die Schauer des Verwunderns.

Da hinten weit am Horizont verhallen die letzten Donnerstimmen.

Bodo ist zur Tür gestürzt, er späht hinaus, kehrt zurück mit 80 aufgerissenen Augen, die lachen – lachen möchten. »Niemand zu sehen.«

Lisbet schüttelt den Kopf. Florinde – der Kobold – aber der Gedanke an ein Leibhaftiges setzt sich nicht durch – ein Unbestimmtes bleibt – ein unklares Unbehagen ist um sie her. Ein lächerliches Unbehagen, aber ein Unbehagen doch. »Was sagt man dazu! Spukt es auch hier! Und am hellen lichten Tag!«

Mißtrauisch blickt Bodo zum Himmel auf. Aber die Wolke ist zerronnen, und nur noch wie ein Summen verfliegt und verzittert der hauchleise allerletzte Donnerruf.

*


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