Max Dreyer
Ohm Peter
Max Dreyer

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Sie wanderten durch das flutende Sonnengold, Ewald und Ellen. Ein lachendes Flimmern, eine kichernde Heiterkeit zitterte über das Grün der Felder, die Lust war voll Jubel, voll Lerchensang und frohlockenden Lichtern.

Eine Strecke gingen sie Hand in Hand, dann ließen sie sich los, und nun schritten sie eine Weile jeder für sich, wie um die Freude des Nebeneinander durch kurze Trennung zu erhöhen.

Und Ellen schloß dann wohl die Augen, es freute sie, an den denken zu können, den sie sofort, sobald sie es wollte, wieder neben sich sehen durfte.

Sie suchte ihn so mit gesenkten Wimpern sich vorzustellen, wie er wirklich in all seinen Einzelheiten aussah: seine Augen, seine Nase, seinen Mund – und blickte dann blitzschnell zu ihm hinüber und verglich ihr schwindendes Bild mit seiner Erscheinung. Und sie lachte, wenn sie es im kleinen 167 verfehlt hatte, und war glücklich, wenn beides sich sorgfältig deckte.

So belustigte sie dieses haschende Spiel zwischen Vorstellung und Leibhaftigkeit.

Als sie den Strand erreicht hatten, setzten sie sich in die Dünen.

»Woran erkennt man eigentlich Malerhände?« fragte die Kleine, und sie nahm Ewalds Rechte, um sie genauer zu besehen und mit ihrer zu vergleichen.

Da entzog er sie ihr sofort. Seine Hände waren das einzig Unschöne an ihm, die Finger plump, ohne Linien, ohne Seele, das wußte er wohl, und er steckte sie in den Sand. »Die Hände sind doch das wenigste!« sagte er. Und seine unmutige Verlegenheit zu verbergen, wurde er großartig. »Weißt du nicht, daß Lessing gesagt hat, Raffael würde auch dann der größte Maler gewesen sein, wenn er ohne Hände geboren wäre?«

»Wie kann der das wissen!« sagte Ellen mit nachlässiger Kühle. Sie sträubte sich gegen Ewalds Verstiegenheit.

Und jetzt fragte sie ihn. »Hast du dein Skizzenbuch bei dir?«

»Natürlich.« 168

»Laß mich doch bitte einmal sehen, wie du's machst, wenn du zeichnest.«

»Ach, weißt du – wenn einer mir dabei auf die Finger sieht –«

»Das magst du nicht?«

»Dann kann ich überhaupt nicht zeichnen.«

»Schade. Ich hätt' so gern gesehen, wie so aus nichts etwas wird. Das ist doch das Schönste, was man sehen kann. Willst du's nicht doch einmal versuchen?«

»Es geht wirklich nicht, Ellen.«

»Na, wenn's nicht geht –! Aber dann zeichne doch mal etwas, wobei ich dir nicht auf die Finger sehen kann.«

»Was meinst du?«

»Mich. Oder willst du nicht?«

»Gern! Ich hab' dich schon selbst darum bitten wollen. Dann setz dich, bitte, etwas höher. So. Und den Kopf mehr nach Saßnitz!«

Mit schneller, geschickter Hand brachte er in kurzer Zeit eine glatte Zeichnung ihres Kopfes zustande. Dabei verfeinerte er ihre Züge und zärtelte an den Linien herum, so daß sich das eigentlich Lebendige ihres Gesichts zu kühler Gelecktheit verwischte.

Die Kleine empfand das auch, doch ohne daß es sie kränkte. 169

»Das soll ich sein? So hübsch bin ich nicht. Und eine Hauptsache hast du vergessen.«

»Was denn?«

»Hier den Leberfleck am Ohr.«

»Ach, das ist doch –«

»Der muß da mit 'rauf! Ohne den bin ich das gar nicht!«

»Aber Ellen!« Er begriff wahrhaftig nicht, wie man um einen Schönheitsfehler kämpfen könne, und sah sie voll Verwunderung an.

Sie aber bestand auf ihrem Leberfleck.

»Wenn du ihn nicht machst, mach' ich ihn. Gib mir mal den Zeichenstift.«

»Nein, nein!« Dagegen verwahrte er sich lebhaft. »Von andrer Hand laß ich mir nichts hineinsetzen.« Er fügte sich jetzt ihrem Willen und machte einen schwarzen Punkt neben ihrem Ohr.

»So,« sagte die Kleine beruhigt. »Sehr ähnlich ist er nicht, aber da muß er sein. Und eigentlich ist er ja gräßlich. Sieh mal, es wachsen kleine Haare drauf. Der Ohm aber findet ihn nett. Er nennt ihn meinen Steckbrief. Und streichelt ihn manchmal mit dem Finger.«

Sie legte sich in den Sand, die Arme unterm Kopf, doch so, daß sie Ewald sehen konnte. 170

Er skizzierte jetzt das Stubbenkammervorgebirge und summte leise vor sich hin. So blieben sie eine Weile schweigend.

»Sing mir etwas vor, Ewald,« bat sie ihn dann.

»Singen soll ich? Was?«

»Was du willst. Am liebsten was recht Trauriges.«

Er sang, ohne sich zu zieren, das Lied vom »verlorenen Schwimmer«.

Es wirbt ein schöner Knabe
Da überm breiten See
Um eines Königs Tochter
Nach Leid geschah ihm Weh.

»Ach Knabe, lieber Buhle,
Wie gern wär' ich bei dir,
So fließen nun zwei Wasser,
Wohl zwischen dir und mir.

Das meine sind die Tränen,
Das andre ist der See,
Es wird von meinen Tränen
Wohl tiefer noch der See.«

So setzt sie auf das Wasser
Ein Licht auf leichtes Holz,
Das treibet Wind und Wasser
Zu ihrem Buhlen stolz.

Das Lichtlein auf den Händen,
Er schwamm zum Liebchen her,
Wo mag er hin sich wenden?
Ich seh' sein Licht nicht mehr – – – 171

Er sang es mit seiner klangreichen Stimme, die mehr Glanz als Innerlichkeit hatte. Doch weil ihm sein Skizzieren wichtiger war, kam alles wie nebenher, ungekünstelt, ohne Gepränge und mit einfacher Wirkung heraus.

»Schön, schön!« Die Kleine hatte Tränen in den Augen und reckte sich in süßer Wehmut. »Hast du nicht noch was Traurigeres?«

»Nein.«

»Schade.«

Und nach einer Weile: »Sag einmal, kannst du schwimmen?«

»Ja.«

»Ich nicht. Ich werd's auch wohl nie so recht lernen. Und jetzt sing' mal etwas ganz Lustiges.«

»Was Lustiges?«

Er sang:

Hudel die Trudel,
Dat Drausselnest is vull.
Un kriegst du de Jung' nich,
So kriegst du de Ull,
Un kriegst du de Ull nich,
So kriegst du dat Nest,
Und sünd se utflagen,
So sünd se inn west.

»Fein. Was kannst du alles! Aber das Traurige ist doch am schönsten.« 172

Sie lag und kaute beschaulich auf einem Grashalm »Du kannst malen und singen. Und schwimmen auch. Und bist so klug in der Schule.« In ihren gehobenen Augen war eitel Bewunderung. »Ich kann gar nichts.« Sie senkte wieder nachdenklich den Kopf. »Singen – du lieber Gott. Nicht mal die Wacht am Rhein!« Nun kicherte sie leise vor sich hin.

Ewald klappte sein Skizzenbuch zu und sah nach der Uhr. »Spätestens in einer Viertelstunde müssen wir gehen,« sagte er in braver Gewissenhaftigkeit.

Sie gab darauf nicht acht. »Zeig mir doch mal deine Skizze.«

»Daran ist nichts zu sehen.« Er reichte ihr gleichwohl das Buch.

Sie besah sich das Bild, nickte dazu und gab ihm das Buch zurück. »Jetzt, Ewald, jetzt zeichne doch mal etwas, was du nicht siehst.«

»Wie meinst du?«

»Etwas, woran du denkst. So was, wovon man nur träumen kann. Was Ueberirdisches und so was.«

»Das – das reizt mich nicht.«

»Zeichne mal was Großes. Den lieben Gott. Oder die Dreifaltigkeit. Oder den Tod.« 173

Solches Verlangen beunruhigte ihn, er stand auf und klopfte den Sand von seinem Anzug. »Wir müssen jetzt gehen.«

Die Kleine erhob sich auch, aber sie blieb bei ihren Gedanken.

»Wenn ich zeichnen könnte, ich würde so was zeichnen wie den verlorenen Schwimmer. Sagen und Märchen und Lieder. Und was man sich wünscht, und wovor man Angst hat. Die Nacht würd' ich malen. Weißt du wie?«

»Nein.«

»Ein schwarzes Land, ganz eben und weit und ohne Bäume, weißt du, und dahinter die See, die ist auch ganz eben und dunkel und schläft ganz ruhig wie das Land. Und aus dem Wasser steigt eine große Frau mit einem schweren düsteren Mantel. Ihre Haare sind die Wolken. Und ihre Augen sind Sterne. Und in den Wolken da sind die Träume, gute und böse – wo die Wolken ganz schwarz sind, da sind die bösen, und wo sie heller werden, da sind die guten Träume – und ganz, ganz hinten, wo die See zu Ende geht, da sitzt ein drolliger kleiner Junge, und das ist der Morgen – und – ja, das alles möcht' ich malen können! Warum machst du nicht so etwas?« 174

Unbehaglich war ihm Ellens Phantasie, ein Land zeigte sie ihm, in das er nicht gehörte. Das gab ihm ein kränkendes Gefühl der Ohnmacht. Doch enthob er sich der Bewunderung für die ihm versagte Flugkraft seiner Gefährtin durch einen Ruck seines Selbstgefühls. »Der eine malt dies, der andre das. Auf jedem Gebiet kann man Großes leisten.« Das war ein vortreffliches Wort, zur rechten Zeit gefunden und gesprochen. Damit kehrte seine Selbstzufriedenheit wieder bei ihm ein. Und er trug dem Feste, zu dem sie gingen, eine leichte Stimmung entgegen. 175

 


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