Max Dreyer
Auf eigener Erde
Max Dreyer

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26.

Ende November sollte die Hochzeit sein. Vorher wollte Ursula mit dem Vater nach Berlin fahren, die Wohnung auszusuchen. Dann aber überließ sie dieses Bernd allein, sie meinte, sie käme immer noch früh genug in die Stadt, und sie brauche ihre Zeit zum Abschiednehmen.

Bernd hatte daran gedacht, in einem Vorort ein kleines Landhaus zu mieten. Darauf aber schrieb sie ihm zurück, und es war fast ein Schrei in den Worten: »Ich will keine geliehenen Bäume!«

Er kratzte sich den Kopf. Starke Arme würden dazu gehören, sie zu führen und zu halten. Und dann nahm er eine hohe, helle Wohnung im Westen der Stadt. Für die Besorgung der Möbel kam Herr von Eich auf ein paar Tage herüber. Aber die Wahl hatte Bernd, und er wählte ganz nach den sauberen und einfach innigen Linien seines Wesens und Geschmacks. 237

Er hatte es sich so schön ausgemalt, Ursula bei allen Käufen an seiner Seite zu haben und jedem neuen Stück einen zärtlichen Gedanken mitzugeben. So blieb ihm die Freude der Ueberraschung.

Es gab eine stille Hochzeit. Nur Bernds Bruder, der stramme, laute und rechthaberische Oberförster, und seine blasse, matte und frömmelnde Gattin waren mit ihnen. Die erste Nacht blieb Ursula noch in Eichhof. Am anderen Vormittag wollte das junge Paar fahren.

Still war Ursulas Abschied von ihrer Erde. Aber nichts Weinerliches stellte sich ein. Ein hartes Sichlosreißen war es. Und nun ging sie, ohne sich umzublicken, ihren Weg.

Ursula wollte keine andere Hochzeitsreise als die in ihre neue Heimstätte. »Die Fahrt ist für mich weit und groß genug.«

In der Eisenbahn war sie still, aber niemals schmerzlich abgewandt und von echter Zärtlichkeit.

Je mehr sie sich Berlin näherten, um so lebhafter regte sich in ihr die natürliche Neugier.

»Ich weiß ja schon, wie es kommen wird. Wie es den meisten geht, und wie es mir auch mit der See gegangen ist. Eine Enttäuschung. Weil die Vorstellung so maßlos übertreibt.« 238

»Dann mußt Du sie eben rechtzeitig herabstimmen.«

»Ach, Du Schulmeister Du! Als wenn das so leicht wär'! Bekanntlich – je mehr man sie unterdrückt, um so mehr plustert sie sich auf.«

Sie machte dann doch große, ehrlich erstaunte Augen, als sie in die Halle des Stettiner Bahnhofs einfuhren.

Und all das Mächtige und Massenhafte ließ sie ehrlich auf sich wirken, um so unbefangener, als sie gar keine Unruhe oder gar Furcht empfand. Der Lärm der Straßen, der Kampf der Wagen und der Menge nahm ihr nichts von ihrer Sicherheit.

Sie drückte mit einer unbekümmert frohen Stärke Bernd die Hand, als sie im Automobil saßen. An der eleganten Schnelligkeit des Fuhrwerks hatte sie ihre Freude. Es prickelte sie, so im Fluge all die Bilder glänzenden, strömenden, sich drängenden Lebens zu erhaschen, die schwarze Flut der Menschen, belebt von Uniformen und farbigen Toiletten, dahinter die prunkvollen Läden mit unendlichen Schätzen, Stoffen und Gütern.

»Es ist doch gewaltig,« sagte sie hell, »und nicht kleiner, als ich dachte.«

Als sie dann aber vor dem massigen, aufdringlich gezierten Mietshause hielten, in dem sie ihr 239 Haupt niederlegen sollte, da spannte sich doch etwas wie ein Reifen um ihre Brust. Und immer enger wurde es ihr ums Herz, je mehr der teppichbelegten Stufen in dem gedrückten Treppenhause, das die bemalten Fenster noch bekümmerter und weltabgeschiedener stimmten, sie hinter sich ließ.

Weh tat ihr der Ton der Klingel, mit der Bernd, als er die Tür zu ihrer Wohnung aufschloß, dem Personal erst ihre Ankunft mitteilen mußte – nun ja, einen Empfang vor der Haustür kann es in Berlin nicht geben.

Weh taten ihr die fremden Gesichter, das breite Selbstvertrauen in den Mienen der alten Hamburger Köchin, die glattrasierte, breitmäulige Unterwürfigkeit des Dieners.

Weh tat ihr der Duft der vielen Blumen, Kränze und Girlanden. Wie nach einer Aufbahrung riecht es. Sie kann überhaupt keine abgeschnittenen Blumen leiden.

Aber die Zimmer selbst mit ihrer Einrichtung kamen ihr freundlich entgegen. Mit gesänftigten Augen musterte sie alles genau, sie freute sich, daß alles so klar und fest war, ohne Schnörkel und weichliche Dumpfheit. Dann, als sie seine fast ängstliche Erwartung sah, nahm sie seine Arme und legte sie 240 um sich und flüsterte ihm zu, daß es gut sei, und dankte ihm mit Küssen.

Und gern läßt sie sich von ihm nehmen, gern steigt sie zu ihm ins Boot, gern läßt sie sich auf den Wellen schaukeln und schläfern, die das neue Gestade umziehen, gern läßt sie sich tragen bis in das dämmerblaue Jenseits trunkener Verzückung. Aber sie bleibt nicht im Spiel der Wellen und der Dämmer. Mit starken, klaren Augen sieht sie aus den Träumen heraus. Fest greifen ihre Blicke ins Leben. 241

 


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