Max Dreyer
Auf eigener Erde
Max Dreyer

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21.

Jochem wirbt um Ursula. All seine Gedanken und Kräfte streben nach diesem Ziel. Es ist, als ob sein fahriges Leben hier das Heil finden müsse. Er arbeitet wieder fleißig als Landmann, wochenlang hält er sich geflissentlich fern von der Begehrten. Er weiß, daß er ihr nur so gefallen kann, daß er sie gänzlich verliert, sobald er faulenzt oder um sie winselt. Und nun sind die langen Winterabende da. Wie oft muß er grimmig die Zähne zusammenbeißen. Onkel Bolko ist eine schlechte Hilfe. Und schließlich ist der eines Tages richtig wieder in die Welt hinausgehumpelt. Da muß die Geige herhalten. Auch Verse werden gemacht, hier fühlt er sich fast auf verbotenen Wegen, aber seiner drängenden Zärtlichkeit ist dies Singen und Sagen eine Wohltat und Lösung.

Dann und wann, wenn er sich gar nicht anders helfen kann, muß der Weinkeller dran glauben. Er will erst nicht, aber dann faßt und hält es 193 ihn doch. Und der Wein befeuert die Geige und die Geige den Wein. Bis es dann ein gründliches Zechen wird, durch flammende Sehnsucht und Begier hindurch in eine sanfte, satte und müde Ahnungslosigkeit.

Solches Treiben bereut er am andern Tage bitterlich und wird fleißiger und zielfester. Aber die langen leeren Abende sind und bleiben schlimm.

Ursula spürt, welche Macht sie übt. Aber klare Freude hat sie nicht daran. Ein Dumpfes und Schwüles, eine Unruhe, die treibt und zurückzieht, ein flackerndes Hin und Her.

»Dich quält die Not Deiner neunzehn Jahre,« sagt ihr Doria.

Die weiß von Jochems Werben – wer weiß nicht davon? Aber sie sprechen nicht von selbst mit Ursula darüber, der Vater nicht und Doria auch nicht, weil sie nicht stören wollen, weil sie wissen, wie leicht äußerer Eingriff die ersten Wirren vermehrt.

Jetzt kommt Ursula selbst zu Doria. Sie beginnt mit einem Vorwurf: »Ihr wißt davon so gut wie ich! Warum geht Ihr um mich herum?«

»Jetzt, da Du selber die Sache spruchreif machst, tun wir es gewiß nicht mehr.«

»Ich will ihn nicht. Ich kann ihn gar nicht wollen. Rotenmoor will ich. Aber ihn nicht. Er 194 hat etwas, was mich bedrückt, was mich trübt und scheu macht – ich weiß selbst nicht was und wie. Sag mir einmal offen, was Du von ihm denkst!«

»Er steht auf der Kippe.«

»Das wissen wir.«

»Das Tüchtige kann sehr gut oben bleiben. Sein Leben muß sich jetzt entscheiden.«

»Durch mich?«

»Es scheint so.«

Ursula ist sich wichtig, aber ohne Freudigkeit. »Dann hätte ich hier also eine Art Pflicht –«

»Pflicht! Nun kommst Du mit der schwersten aller Vokabeln. Aber hier ist die Sache verhältnismäßig einfach.«

»Wieso?«

»Helfen kannst Du ihm nur, wenn Du gern zu ihm gehst. Bist Du nicht gern bei ihm, machst Du alles nur schlimmer.«

»Dann will ich also lieber alles nicht schlimmer machen.«

Mit Freude begrüßt Ursula den Frost und den Schnee. Mit kindlichem Gruseln kriecht sie in ihre Winterhöhle zu ihren Märchen und Sagen. Mit hartem und hellem Fleiß arbeitet sie sich durch eine Geschichte der deutschen Städtekultur. 195

Von Bernd kommt dieses Buch. Dann und wann erscheint auch ein säuberlicher Brief von ihm. Und einmal, das war beinahe festlich, brachte die Post eine Karte, die Bernd und Anselm zugleich geschrieben hatten. Sie waren beide im Theater gewesen, bei Shakespeare zu Gast, jetzt tranken sie ein Glas Wein und grüßten Ursula.

Und Ursula faßt eine Sehnsucht nach den beiden. Warum sind wir drei nicht zusammen? Bei Euch fühle ich nichts von dem Wirrsal und den Trübungen, bei Euch ist nichts von dem Taumel, der mich unfroh macht. Bei Euch ist Klarheit und Höhe, bei Euch sieht man Sterne, und ich hier stecke in Dampf und Dunst.

Aber schlechte Freunde seid Ihr, sonst ließet Ihr mich nicht so. Warum nehmt Ihr mich nicht mit zu König Heinrich dem Vierten? Ich möchte nach Berlin, ja, ja, das möchte ich, wirklich und wahrhaftig! Ich will Vater bitten, daß wir fahren.

Sie spricht gleich mit ihm. Er nimmt ihren Kopf zwischen die Hände. »Seh einer an, so plötzlich! Und brennt es so sehr? Leider kann ich jetzt nicht gut fort, ich darf meine Experimente nicht unterbrechen. Und dann noch eins« – er wurde fast verlegen und bekam rote Backen – »ich bin leichtsinnig gewesen, 196 ich hab' fürs Laboratorium zu viel ausgegeben. Aber im Frühjahr wollen wir reisen.«

Im Frühjahr! Was kann im Frühjahr alles geschehen!

Und der Frühling kommt, fast früher noch als im vorigen Jahr. Schon zu Anfang März beginnt dieses leise Surren und Singen, die ganze Luft ist voll davon bis hinauf zu den kleinen, weißen Wolken – sie flimmern und zittern, wie schwirren sie über das harte, helle, spröde Himmelsblau!

Jochem liegt auf seinem Ruhebett. Er ist müde von der Arbeit des Tages, aber die Märzluft ist in seinen Sinnen und schwingt durch die Ermüdung, daß eine prickelnde, zärtliche, sich schmiegende Mattigkeit aus ihr wird.

Ursula, wie lange soll ich das ertragen? Wie lange soll ich Dich noch entbehren, Dich, Deinen Mund, diese Knospe aller Wonnen?

Wahnsinnig kann man darüber werden – zum Verbrecher – zum Trunkenbold.

Er richtet sich auf. Oder soll ich jetzt vorgehen zur Attacke? Soll ich's wagen? Es ist noch nicht die Zeit, ich weiß. Aber gehört nicht dem Mutigen die Welt und das Weib dem Mutigen! Soll ich nach Eichhof hinüber? Und alles zur Entscheidung führen? 197

Er ist aufgesprungen und läuft im Zimmer umher. Dann läßt er sich am Schreibtisch nieder.

Vor ihm liegt die geballte Faust. Noch hat er wilde, erobernde Gedanken. Dann aber lösen sich die schlanken Finger, die Hand, die sich des Frauenraubes nicht getraut, spielt mit der Feder, spielt mit Blättern, und nun macht sie Verse.

Nein, nein, Ursula! Noch hast Du zu viel Trotz, hier müssen erst noch mehr Träume an der Arbeit sein. Mehr Träume –

        Wie ich dich küsse –

Mit Deiner Hände Grübchen es beginnt,
Ich kann vor ihnen nicht die Finger retten,
Der Spitzen Zärtlichkeit hineinzubetten,
Von Dir zu mir es rieselt und es rinnt.

Durch uns're Köpfe wirrt der Wünsche Schwarm,
Mit heißem Griff muß Deine Hand ich packen.
Ich drück' an Deine Schulter meinen Arm,
Und schon umschlingt er Deinen trotzigen Nacken.

Ich stürz' auf Deine Wange meinen Mund,
Du bäumst Dich auf und Deine Lippen klagen,
Mein Mund stürmt ihnen zu – doch sie versagen
sich ihm – verbissen starrt ihr festes Rund.

Er taumelt wild zu Deinem Hals, zu Deinen
Pochenden Schläfen, wühlt sich in Dein Haar,
Und schlürft aus Deiner Hand, aus all den kleinen
Grübchen, in denen das Beginnen war. 198

So wandern meine Küsse über Dich
Und öffnen immer neue selige Tore,
Jetzt schwirren sie in Deinem krausen Ohre,
Ein Zittern schlingt sich fest um Dich und mich.

Da zuckt auf Deinem Munde die Gewähr,
Wie fliegt mein Mund zu ihm, wie glühend sinken
Die Lippen in sich ein, wie tief und schwer
Wir beide dürstend von einander trinken.

Und trinkend sinken wir in uns zurück,
Und immer flammt aufs neue das Erwidern,
Nur einmal sauge ich aus Deinen Lidern
Die Tränen, die der Zorn weint und das Glück

Und taste mich zurück zu Deinem Munde – – –

Jochem liest die Verse wieder und findet sie gut und verliebt sich in ihren heißen Odem. Und fühlt, daß dieser Gluthauch auch über Ursula siegen muß.

Er sucht danach, sie allein zu sprechen. Wie oft späht er bei der Feldarbeit über den Grenzrain. Wenn er sie sieht, fliegen ihm Hände und Füße. Doch nie ist sie ohne Begleitung. Wie einem Wilde stellt er ihr nach. Aber sie ist nicht zu bekommen.

Da bringt ihm ein Sonntag das Glück. Sie geht durch den Forst, den Weg zu dem Erlenbruch, und er bricht durch das Gestrüpp wild und froh und stürzt ihr entgegen.

»Ursula, wie lange hab' ich Dich nicht gesehen!« 199

»Vorgestern noch!«

»Ganz aus der Ferne. Und ist denn das nicht lange?«

Sie hat heut nicht diese liebenswürdige Gelassenheit, die ihn das letztemal so kränkte. Es zittert etwas über ihr Gesicht, und ihre Augen sind groß, als ob sie Angst hätten. Aber um ihren Mund, den begehrten, liegt doch eine fast bittere Härte, die ihn zur Vorsicht mahnt. Und er zwingt sich zur Ruhe.

Birken stehen am Wege. Aus ihren Knospen bebt es, das erste Grün mit seinem ersten fröhlichen Sichwundern, ein wenig hilflos, denn die helle Luft ist hart, und doch sorglos lebensmutig. Ueber ihnen das heimliche Frühlingsklingen, dann und wann schrillt es, kaum vernehmbar aus weitester Ferne, als wenn feine, ganz feine Eisnadeln zersplittern, aber dieser Ton ertrinkt in dem leisesten Surren von unzähligen körperlosen Insektenschwärmen, das wie eine Vorahnung ist von dem reich beschwingten Leben des Sommers.

Die beiden gehen eine Weile schweigend. Dann spricht Jochem, um etwas zu sagen, von der Frühjahrsbestellung, aber Ursula hört nicht auf die Worte. Sie denkt: Nun wird er mich gleich fragen, ob ich seine Frau werden will. Und was soll ich ihm da zur Antwort geben? 200

Daß ich ihn nicht lieb habe, daß es mir aber öfters so ist, als gewinne er eine Macht über mich, und daß Rotenmoor mich lockt und wie verzaubert hält.

Soll ich ihm das sagen? Ich muß es, da es die Wahrheit ist.

Sie kommen an den Erlengrund. Ein Blaukehlchenpaar flattert vor ihnen über die Erde. Die suchen einen Nistplatz, stimmen nicht recht überein und zanken sich gehörig, aber dann vertragen sie sich wieder und zwitschern leise und finden liebe Worte.

Das sind die vom vorigen Jahr, denkt Ursula. Ich kenne sie wieder, ganz gewiß sind sie es. Und in solcher Freude vergißt sie beinahe Jochems Nähe.

Dann aber, als sie durch die Erlen lugt, kommt ihr die Frage: Kann ich Jochem da hindurchführen? Darf ich ihm den Waldsee zeigen, der mein stillster Besitz ist?

Sie fährt zurück vor dieser Frage. Nein, nein, das ist nichts für Dich. Und darum bist Du nichts für mich. Was mich mit Dir zusammenhält, ist nur Rotenmoor, und wenn ich mich näher an Dich heranmache, geschieht das nur aus Berechnung und aus purer Schlechtigkeit. 201

Sie kommt ins Rennen, sie läuft fort vor dem Erlenbruch, vor ihrem See und solchen Gedanken. Diese Bewegung aber beflügelt Jochems Entschluß.

»Ursula, Du rennst mir ja weg. Aber das sollst Du nicht. Du sollst bei mir bleiben. Immer sollst Du bei mir bleiben. Willst Du das? Kannst Du das?«

Er ist ohne Atem und ganz bleich. Ihr Auge weicht seinen Blicken aus, die sich in sie hineinwühlen, da ruht es fast verstört auf seinem Munde, dessen Rot wie blutig aus dem blassen Gesicht hervordrängt.

Nun muß ich sprechen! ruft sie sich zu. Und sie zittert leise. Die Wahrheit muß ich ihm sagen. Daß es mir nur um Rotenmoor ist. Und sie gibt sich einen Ruck, aber sie sagt etwas anderes. Sie braucht eine Ausflucht und schämt sich in Grund und Boden. Aber sie bleibt dabei, daß sie Zeit gebrauche, sich alles zu überlegen, und daß er sie während der Zeit ganz sich selbst überlassen möge.

Er gibt ihr die Hand, und mit so ehrlich und schmerzlich bezwungenen Augen, daß sie sich fast zu ihm hinneigen muß, spricht er fest und klar: »So soll es sein!« – – –

Und der Frühling zog und trieb, berauschte und warb. Er zupfte an den Stricken, mit denen Jochem 202 sich gebunden hatte, und löste sie auf in fliegende, weiche Gewebe, in eitel Träume und Sehnsucht.

Wie oft lag Jochem zur Abendzeit auf dem Ruhebett, schwamm durch die Farbenwellen seiner Teppiche, rauchte, trank, beschwor Baudelaire, Verlaine und die Geister seiner eigenen Reime. Das sollte ihn retten und umspann ihn noch mehr.

Eines Abends sah er Gespenster, in einen leibhaftigen Märchenwald geriet er mit geschwänzten Ungeheuern, die ihn ängstigten. Da sagte er sich: Nun bin ich also so weit, daß ich Schlangen sehe. Noch drei Tage so, und ich werde verrückt. Ich muß die Entscheidung haben, jetzt muß ich.

Sie sagen alle, daß ich des Wortes mächtig bin. Und wie habe ich zu ihr gesprochen? Als wir in dem Birkenweg standen, zart war sie wie das junge Laub und zitterte so. Ja, sie zitterte, vor mir und mir entgegen. Und ich – was tat ich und wie sprach ich zu ihr? Trocken, armselig und welk – kein Wunder, daß sie sich von mir neigte.

Falsch war es, daß ich mich so zwang, und unehrlich, denn es war gegen mein innerstes Wesen. In der Wahrheit hätte ich gesiegt!

Nun sollen meine Worte reden – so wie ich bin. Meine Worte sollen über Dich kommen. 203

Noch ist es nicht zehn, noch bist Du nicht schlafen gegangen. Ich schreibe an Dich und schick' es Dir gleich durch einen Boten. Mit meinen Worten sollst Du Dich schlafen legen. Gut ist die Nacht –

Und er schreibt. Schreibt seine ganze Sehnsucht, die nach den endlosen vierzehn Tagen kein Gott mehr bändigen kann. Schreibt einen Feuerstrom von Liebe. Und wirft wahllos all die Verse dazu, die ihr gehören, nach ihr hindrängen, sie fliegen im Sturm.

Ursula sitzt an ihrem Fenster und läßt den Abend zu sich ein. Des Fliederduftes süßer Unverstand und der willfährige Hauch der Narzissen umschlingen sich in trunkenem Tanz. Den Sinnen, die abseits stehen wollen, tut es weh. Sie will nicht an die Wünsche denken, die von ihr gebändigten Wünsche des andern, die ganz aus der Nähe sich nach ihr hertasten. Und kann doch nicht hindern, daß sie öfters zu dem hinüberstarren muß, was auf sie lauert und ihrer begehrt.

Unrecht hab' ich getan, und so rächt sich nun die Unredlichkeit. Gleich hätte ich ein Ende machen müssen, keine Hoffnung durfte ich ihm lassen. Jetzt kommt er wieder, sich das letzte Wort zu holen, und ich – ich bin wie ein hypnotisiertes Huhn und stiere auf den Kreidestrich, den Weg, den er kommen muß. 204

Und schon kommt etwas diesen Weg, nicht er selbst, aber seine brausenden Worte, die schlimmer sind als er.

Ursula will ihn verlachen, will den aushöhnen, der Liebesbriefe schreibt und ihr Verse macht.

Aber als sie liest, sprüht ihr daraus doch immer mehr entgegen, immer mehr, wovor ihr Hohn sich ängstigt und sich verkriecht.

Es ist nun mal eine Kraft in den Worten, ein Rauschen, das betäubt, und mehr als das, ein Schwirren und Singen, das ins Blut geht.

Sie sträubt sich dagegen, sie schlägt fast um sich, zornig und beschämt, und kann doch das Schwirren nicht los werden

Sie will schlafen, aber die Verse lassen nicht von ihr ab.

Einer ist der zudringlichste von allen.

»So wandern meine Küsse über Dich –«

Sie hüllt sich fest in ihre Decke. Sie zwingt sich in einen Halbschlummer hinein. Aber immer leuchtet über ihr das wilde Rot von zwei durstgequälten Lippen.

Und das Schwirren bleibt in ihrem Ohr, nächtelang, tagelang. Wenn der Mai nicht wäre mit 205 seinen Qualen, sie hätte es sich fortgescholten und fortgelacht. So aber findet dieser Ton seinen Beistand und neue Nahrung in allem, was um sie und über ihr singt und schwelgt, in der blühenden Luft, in dem leuchtenden Wolkenzug. Wie eine Mattigkeit liegt es auf ihr, wie eine Schwäche, wie ein Sichergeben.

Unleidlich wird ihr diese Laschheit, feindselig blickt sie dann in all dieses Blühen um sie her, in dieses Strotzen, Drängen, feindselig und furchtsam zugleich.

All die Zärtlichkeiten in der Natur, früher waren sie ihr ein Selbstverständliches gewesen, das man gar nicht weiter beachtet, jetzt geht sie ihnen nach, und sie peinigen sie und machen sie scheu.

Sie hat Stunden, wo ihr das ganze Landleben dadurch verdorben wird. Dann begibt sie sich zu ihren Büchern, dann hält sie sich an das Steinerne, an die Architektur, dann kühlt und erfrischt sie sich durch Geschichte, durch Vergangenes, das nicht an der Wärme des Lebendigen leidet.

In solchen landentrückten Stunden hat auch Rotenmoor seine Gewalt verloren. Und zu solcher Zeit geschieht es dann: da findet sie ihre alte Selbstbestimmung wieder und gibt dem Werber harten Bescheid. 206

»Lieber Jochem,

was Du mir geschrieben hast, ich glaube, daß es ehrlich ist. Darum hab' ich alles gelesen und mich ihm nicht entzogen. Nun mußt Du meine Meinung hören und was ich dabei empfunden habe. Und das ist das: der Unterschied, der zwischen uns besteht, ist mir durch all dieses nur noch deutlicher geworden. Wir können und werden also nicht zusammenkommen.

Ehrlichkeit gegen Ehrlichkeit! So ist es nun einmal.

Nimm meinen besten Gruß!

Ursula.«

Als Jochem diesen Brief bekam, stand er auf dem Felde bei dem Oberinspektor Diekhoff und ging mit ehrlichem Zorn über ein schlecht gejätetes Rübenfeld dem Phlegma des Alten zu Leibe. Er las das Schreiben und sagte kein Wort mehr. Ging lautlos von der Arbeit, langsam, müde. Ließ seine Koffer packen und reiste in die Welt. Und eben jetzt war des Landmanns eifrigste Zeit. Und Rotenmoor war nicht gut versorgt, sein Herr wußte es genau, aber es ging ihn nichts an.

Ursula hörte gleich, daß er gefahren sei. Da wollte sie aufatmen und in Freiheit ihre Arme 207 strecken. Aber es gelang nicht. Und nach dem ersten Aufzucken legte es sich nur noch dumpfer und brauender über sie.

Sie hörte, wie ihn die Nachricht getroffen hatte, wie er von der Arbeit gegangen war. Einem Kranken gleich. Er litt schwer, so hatte sie in sein Leben gegriffen. Das ging ihr ans Mitleid.

Und mit dem Mitleid verband sich die Zärtlichkeit um Rotenmoor. Sie sah mit sorgenden Augen über die Grenze, sah, daß die Wirtschaft Schaden nahm und bergab ging. Wie sie das jammerte! Wie es sie hin und her warf, daß sie selbst zupacken sollte und helfen mit eigenen Händen! Sie – als sei sie die Nächste dazu.

So waren Jochems Bundesgenossen. Sie brachten ihn selbst wieder zu ihr. Der Rausch seines Wesens umzog sie aufs neue. Seine Worte wanderten über sie und suchten und fanden neue Tore. So mehrten sich die alten Qualen und Kämpfe.

Keinen Helfer fand Ursula. Der Vater war jetzt ganz seinen Experimenten hingegeben, die zum Ende drängten. Und Doria ging ihm dabei rastlos an die Hand.

Ursula blieb allein mit ihrer Not. Wo war ihr Eichhof, was war ihre Arbeit, daß sie ihr nicht besser beistanden? Gab es nun doch noch mehr als dies in 208 ihrem Leben? Speisten noch andere Quellen ihr Geschick?

Sie verwünschte den Mai, verwünschte ihr Blut und das herrliche, fallende Rotenmoor, um das es sie jammerte, daß ihr die Tränen kamen. Ich halt' es nicht aus, dachte sie. Ich muß fort. Landflüchtig muß ich werden. Sonst tu' ich das, was ich gerade nicht tun will. Sonst taumle ich dem in die Arme, vor dem es mich warnt und forttreibt. Sonst verwirrt sich mir die Richtung, und der Irrtum wird mein Schicksal.

Ich will fort. Gleich nach Pfingsten will ich reisen.

Und da kam Pfingsten. Und mit dem Fest kam ein Freund, Bernd Godenrath. 209

 


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