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Foma bewohnte zwei große, schöne Zimmer; sie waren sogar besser eingerichtet als alle andern Zimmer im Haus. Ein vollendeter Komfort umgab den großen Mann. Die hübschen, neuen Tapeten an den Wänden, die bunten, seidenen Vorhänge an den Fenstern, die Teppiche, der Trumeau, der Kamin, die bequemen, eleganten Möbel, alles zeugte von der zärtlichen Fürsorge der Wirte für ihren Gast Foma Fomitsch. Blumentöpfe standen auf den Fensterbrettern und auf runden Marmortischchen vor den Fenstern. In der Mitte des Arbeitszimmers befand sich ein großer, mit rotem Tuch bedeckter Tisch, ganz vollgepackt mit Büchern und Manuskripten. Ein schönes bronzenes Tintenfaß und ein ganzer Berg Federn, für welche Widopljassow zu sorgen hatte, alles dies zusammen sollte von Foma Fomitschs schwerer geistiger Arbeit Zeugnis ablegen. Ich bemerke hier beiläufig, daß Foma, der hier fast acht Jahre zugebracht hatte, absolut nichts Vernünftiges verfaßt hatte. In späterer Zeit, nachdem er in ein besseres Jenseits hinübergegangen war, untersuchten wir die von ihm hinterlassenen Manuskripte; sie stellten sich allesamt als der elendeste Schund heraus. Wir fanden zum Beispiel den Anfang eines historischen Romanes, der in Nowgorod im siebenten Jahrhundert spielte; ferner ein ungeheuerliches Gedicht, ›Der Klausner auf dem Kirchhof‹, das in reimlosen Versen geschrieben war; ferner eine sinnlose Abhandlung über die Bedeutung und die Eigenschaften des russischen Bauern und darüber, wie man ihn behandeln müsse, und endlich eine ebenfalls unvollendete Novelle aus dem Leben der vornehmen Welt, mit dem Titel: ›Gräfin Wlonskaja‹. Weiter hatte er nichts hinterlassen. Aber dabei veranlaßte Foma Fomitsch meinen Onkel, jährlich eine große Menge Geld für Bücher und Zeitschriften, die er kommen lassen mußte, auszugeben. Aber viele derselben blieben sogar unaufgeschnitten. Dagegen habe ich in späterer Zeit Foma zu wiederholten Malen bei der Lektüre Paul de Kockscher Romane betroffen, die er vor den Augen der Leute möglichst versteckte. In der hinteren Wand des Arbeitszimmers befand sich eine Glastür, die auf den Hof führte.
Wir wurden schon erwartet. Foma Fomitsch saß in einem bequemen Lehnstuhl; er trug einen langen, bis über die Knöchel reichenden Gehrock, hatte aber kein Halstuch umgebunden. Er war in der Tat schweigsam und nachdenklich. Als wir eintraten, zog er nur die Augenbrauen ein wenig empor und sah mich mit einem prüfenden Blicke an. Ich verbeugte mich; er antwortete darauf mit einer leichten, aber ziemlich höflichen Verbeugung. Als die Großmutter sah, daß Foma Fomitsch mich huldvoll behandelte, nickte sie mir lächelnd zu. Die Ärmste hatte am Vormittag gar nicht erwartet, daß ihr Abgott die Nachricht von Tatjana Iwanownas ›Exzeß‹ so ruhig aufnehmen werde, und war daher jetzt außerordentlich heiter geworden, obgleich sie am Morgen tatsächlich Krämpfe bekommen hatte und in Ohnmacht gefallen war. Hinter ihrem Stuhl stand wie gewöhnlich Fräulein Perepelizyna, preßte die Lippen fest zusammen, lächelte säuerlich und boshaft und rieb ihre knochigen Hände aneinander. Neben der Generalin saßen zwei bejahrte arme adlige Klientinnen, die beständig schwiegen. Außerdem war noch eine am Vormittag eingetroffene Nonne anwesend sowie eine ebenfalls schweigsame ältere Gutsbesitzerin aus der Nachbarschaft; diese war bei der Rückfahrt von der Messe vorbeigekommen, um der Generalin zum Festtag zu gratulieren. Tante Praskowja Iwanowna drückte sich irgendwo in eine Ecke und blickte voll Unruhe zu Foma Fomitsch und ihrer Mutter hinüber. Der Onkel saß auf einem Lehnstuhl, und in seinen Augen strahlte eine ganz besondere Freude. Vor ihm stand Ilja in einem festtäglichen roten Hemd, mit gebrannten Locken, schön wie ein kleiner Engel. Alexandra und Nastasja hatten ihm, ohne daß es jemand wußte, ein Gedicht beigebracht, um dem Vater an einem solchen Tag durch die geistigen Fortschritte des Knaben eine Freude zu machen. Mein Onkel weinte beinahe vor Wonne: Fomas unerwartete Sanftmut, die heitere Stimmung der Generalin, Iljas Namenstag, das Gedicht, all dies versetzte ihn direkt in Entzücken, und er hatte in feierlicher Form um die Erlaubnis gebeten, mich rufen zu lassen, damit auch ich möglichst bald an der allgemeinen Glückseligkeit teilnehmen und das Gedicht mit anhören könne. Alexandra und Nastasja, die unmittelbar nach uns eingetreten waren, standen neben Ilja. Alexandra lachte fortwährend und war in diesem Augenblick glücklich wie ein Kind. Nastasja fing bei ihrem Anblick ebenfalls an zu lächeln, obgleich sie kurz vorher beim Eintritt blaß und niedergeschlagen gewesen war. Sie war die einzige gewesen, die der von ihrer Reise zurückgekehrten Tatjana Iwanowna freundlich entgegengekommen war und sie getröstet hatte; sie hatte bis jetzt bei ihr oben gesessen. Der ausgelassene Ilja konnte gleichfalls das Lachen nicht unterdrücken, sooft er seine Lehrerinnen ansah. Es schien, daß sie alle drei eine sehr komische Überraschung vorbereitet hatten, die sie jetzt in Szene setzen wollten . . . Ich habe noch Herrn Bachtschejew vergessen. Er saß, immer noch zornig und rot, etwas abseits auf einem Stuhl, schwieg, schmollte, schnaubte sich die Nase und spielte bei dem Familienfest überhaupt eine ziemlich traurige Rolle. Neben ihm trippelte Jeshewikin umher; übrigens war er im ganzen Zimmer bald hier, bald da zu sehen, küßte der Generalin die Hand, flüsterte Fräulein Perepelizyna etwas zu und machte Foma Fomitsch den Hof; kurz, er zeigte sich nach allen Seiten hin beflissen. Auch er wartete mit lebhafter Teilnahme auf Iljas Deklamation; bei meinem Eintritt eilte er mit vielen Verbeugungen auf mich zu, um mir seine größte Hochachtung und Ergebenheit zu bekunden. Es war ihm ganz und gar nicht anzusehen, daß er hergekommen war, um seine Tochter zu beschützen und sie gänzlich aus Stepantschikowo wegzuholen.
»Da ist er ja!« rief mein Onkel freudig, als er mich erblickte. »Lieber Freund, Ilja hat ein Gedicht auswendig gelernt; das ist mal eine Überraschung, eine richtige Überraschung! Ich bin froh und erstaunt und habe extra nach dir geschickt und die Deklamation bis zu deiner Ankunft noch aufgehalten. Setz dich hier neben mich! Nun wollen wir zuhören! Foma Fomitsch, gestehe es nur, bester Freund, du hast sie gewiß alle erst auf diesen Gedanken gebracht, um mir altem Mann eine Freude zu machen! Ich möchte schwören, daß es sich so verhält!«
Wenn der Onkel in Fomas Zimmer in solchem Ton sprach, so hätte man meinen können, daß alles gut stand. Aber das war eben das Unglück, daß der Onkel niemandem etwas vom Gesicht ablesen konnte, wie Misintschikow sich ausgedrückt hatte; ich aber sagte mir bei einem Blick auf Foma unwillkürlich, daß Misintschikow recht habe und wir uns auf irgend etwas gefaßt machen müßten . . .
»Beunruhigen Sie sich nicht meinetwegen, Oberst!« antwortete Foma mit schwacher Stimme, mit der Stimme eines Menschen, der seinen Feinden verzeiht. »Die Überraschung lobe ich natürlich: das zeugt von dem Zartgefühl und der Pietät Ihrer Kinder. Gedichte sind ebenfalls nützlich, schon weil man dadurch eine gute Aussprache lernt . . . Aber ich habe mich an diesem Vormittag nicht mit Gedichten abgegeben, Jegor Iljitsch: ich habe gebetet . . . das wissen Sie . . . Übrigens bin ich bereit, auch die Deklamation von Gedichten anzuhören!«
Unterdessen hatte ich den kleinen Ilja beglückwünscht und geküßt.
»Gewiß, Foma, entschuldige! Ich hatte nicht daran gedacht . . . wiewohl ich von deiner Freundschaft überzeugt bin, Foma! Küsse ihn doch noch einmal, lieber Sergej! Sieh nur, was er für ein Prachtjunge ist! Na, nun fang an, lieber Ilja! Wovon handelt es denn? Es ist gewiß so eine feierliche Ode, etwas von Lomonossow?«
Mein Onkel nahm eine würdevolle Miene an. Er konnte vor Ungeduld und Freude kaum stillsitzen.
»Nein, Papa, nicht von Lomonossow«, sagte Alexandra, die nur mit Mühe das Lachen unterdrückte; »sondern da Sie beim Militär gewesen sind und gegen unsere Feinde gekämpft haben, hat Ilja ein Gedicht über etwas Kriegerisches gelernt . . . Es heißt ›Die Belagerung von Pamba‹, Papa.«
»›Die Belagerung von Pamba‹? Ah! Ich erinnere mich nicht . . . Was ist das für ein Pamba, lieber Sergej? Weißt du es? Das Gedicht handelt gewiß von einer Heldentat.«
Der Onkel verlieh seinem Gesicht zum zweiten Mal einen würdevollen Ausdruck.
»Nun sag es auf, Ilja!« befahl Alexandra, »Pedro Gomez hat begonnen . . .« fing Ilja mit seiner gleichmäßigen, deutlichen Knabenstimme an zu deklamieren; er sprach ohne Kommata und Punkte, wie das kleine Kinder gewöhnlich tun, wenn sie Gedichte auswendig hersagen.
»Pedro Gomez hat begonnen
Vor neun Jahren schon,
die starke Feste Pamba zu belagern.
Nur von Milch hat sich genähret
Während dieses ganzen Zeitraums
Er und seine tapfre Heerschar,
Wohl neuntausend Kastilianer.
Denn sie taten ein Gelübde,
Eh erobert wäre Pamba,
Keine Speise zu berühren
Außer Milch als einz'ger Kost.«
»Wie? Was? Was ist das für Milch?« rief der Onkel, mich erstaunt anblickend.
»Sag weiter auf, Ilja!« rief Alexandra.
»Täglich weint Don Pedro Gomez,
Eingehüllt in seinen Mantel,
Über seines Leibes Schwäche.
Ach, die Mauren triumphieren
Bei des zehnten Jahres Anfang,
Und von Pedros großem Heere
Sind im ganzen nur noch übrig
Neunzehn, bloße neunzehn Mann . . .«
»Aber das ist ja Unsinn!« rief der Onkel beunruhigt. »Das ist ja ein Ding der Unmöglichkeit! Neunzehn Mann sollen von dem ganzen Heere übriggeblieben sein, das doch vorher von recht beträchtlicher Größe war! Was soll denn das heißen, lieber Freund?«
Aber nun konnte sich Alexandra nicht mehr halten und brach in das herzlichste Kinderlachen aus; und obgleich eigentlich wenig Anlaß zum Lachen war, mußte man doch, wenn man sie ansah, unwillkürlich mitlachen.
»Ach, Papa, das ist doch ein scherzhaftes Gedicht!« rief sie, höchst vergnügt über ihren kindlichen Einfall. »Das hat der Verfasser selbst absichtlich so gemacht, damit es allen komisch vorkommen soll, Papachen!«
»Ach so! Ein scherzhaftes Gedicht!« rief mein Onkel mit strahlendem Gesicht. »Ein komisches also. So so, nun verstehe ich es . . . Gewiß, gewiß, ein scherzhaftes Gedicht! Und sehr komisch ist es, außerordentlich komisch: infolge eines Gelübdes hat er seine ganze Armee bei Milchkost verhungern lassen! Sehr schlau von ihm, so etwas zu geloben! Ein sehr witziges Gedicht, nicht wahr, Foma? Sehen Sie, Mama, das ist so ein komisches Gedicht, wie die Dichter es manchmal schreiben. Nicht wahr, Sergej, das tun sie doch? Überaus komisch! Na, lieber Ilja, wie geht's nun weiter?«
»Neunzehn, bloße neunzehn Mann!
Die versammelte der Feldherr
Und sprach also: ›O ihr neunzehn!
Laßt die Fahnen uns entfalten,
Laßt beim Dröhnen der Drommeten
Und beim Schall der großen Pauken
Uns von Pamba abmarschieren!
Ob wir gleich die Burg nicht nahmen,
Können wir doch sämtlich schwören,
Stolz, auf Ehre und Gewissen,
Daß wir nie gebrochen haben
Unser einstiges Gelübde:
Neun, neun Jahre lang genossen
Wir zu unsres Leibes Nahrung
Nichts als Milch und wieder Milch!«
»So ein Dummkopf!« unterbrach der Onkel den kleinen Deklamator wieder. »Was ist das nun für ein Trost dafür, daß er neun Jahre lang Milch getrunken hat! . . . Und ist das etwa eine tugendhafte Tat? Hätte er nur lieber alle Tage einen ganzen Hammel gegessen und seine Leute nicht verhungern lassen! Ein schönes Gedicht, ein vorzügliches Gedicht! Ich sehe jetzt: es ist eine Satire oder . . . wie nennt man es doch? eine Allegorie, nicht wahr? Und vielleicht sogar auf irgendeinen ausländischen Feldherrn«, fügte der Onkel, an mich gewandt, hinzu, wobei er die Augenbrauen bedeutsam zusammenzog und mir zublinzelte, »he? wie denkst du darüber? Aber selbstverständlich eine harmlose, anständige Satire, die niemanden verletzen kann! Ein schönes Gedicht, ein schönes Gedicht! Und, was die Hauptsache ist, von anständiger Gesinnung! Na, lieber Ilja, dann fahre fort! Ach, ihr Schelminnen, ihr Schelminnen!« fügte er freundlich hinzu, indem er Alexandra und verstohlen auch Nastasja ansah, die errötete und lächelte.
»Neu ermutigt durch Don Pedros
Edle Worte, riefen alle
Diese neunzehn Kastilianer,
Die schon in den Sätteln schwankten,
Kühn, obwohl mit matter Stimme:
›Heil'ger Jago, Spaniens Schirmherr!
Ruhm und Ehre sei Don Pedro,
Diesem Löwen von Kastilien!‹
Aber sein Kaplan Diego
Ließ sich halblaut so vernehmen:
›An des Feldherrn Stelle hätt ich
Lieber dies gelobt den Heil'gen:
‚Essen will ich nichts als Braten,
Trinken nichts als Zyperwein.‘‹«
»Na, seht ihr wohl? Habe ich nicht ganz dasselbe gesagt?« rief der Onkel höchst erfreut. »In dem ganzen Heer gab es nur einen einzigen vernünftigen Menschen, und auch der ist irgend so ein Kaplan! Was ist das, Sergej? Das ist wohl bei denen ein Hauptmann?«
»Ein Mönch, ein Geistlicher, lieber Onkel.«
»Ach, ja, ja! Kaplan, Kaplan, ich weiß schon, ich erinnere mich! Ich habe den Ausdruck schon in Radcliffeschen Romanen gelesen. Es gibt da bei ihnen ja wohl verschiedene Orden, nicht? . . . Benediktiner, glaube ich . . . Gibt es nicht Benediktiner? . . .«
»Ja, die gibt es, lieber Onkel.«
»Hm . . . Das habe ich mir auch so gedacht. Nun, lieber Ilja, wie geht es weiter? Ein schönes, vortreffliches Gedicht!«
»Dieses hörte Pedro Gomez,
Und er sprach mit heitrem Lachen:
›Gebt ihm einen ganzen Hammel;
Denn nicht übel war sein Witz! . . .‹«
»Na ja, das war wohl für ihn gerade die richtige Zeit zum Lachen! So ein Dummerjan! Zuletzt kam ihm die Geschichte selbst lächerlich vor! Einen Hammel! Also waren doch Hammel da; warum hat er selbst keinen gegessen? Na, lieber Ilja, nun weiter! Ein schönes, vorzügliches Gedicht! Außerordentlich satirisch!«
»Aber es ist ja schon zu Ende, Papa!«
»Ah, es ist zu Ende! In der Tat, was hätte er denn auch weiter tun können? Nicht wahr, Sergej? Du hast deine Sache sehr gut gemacht, Ilja! Wunderhübsch! Gib mir einen Kuß, mein Herzchen! Ach, du mein lieber Junge! Aber wer hat ihn eigentlich auf den Gedanken gebracht, dieses Gedicht zu lernen? Du, Alexandra?«
»Nein, Nastasja ist es gewesen. Wir lasen das Gedicht neulich, und da sagte sie: ›Was für ein komisches Gedicht das ist! Nächstens ist Iljas Namenstag: wir wollen es ihn auswendig lernen und aufsagen lassen. Das wird viel Gelächter geben!‹«
»Also Nastasja ist es gewesen? Nun, vielen Dank, vielen Dank!« murmelte der Onkel, der auf einmal errötet war wie ein Kind. »Gib mir noch einen Kuß, lieber Ilja! Und du auch, du Schelmin!« fuhr er fort, indem er Alexandra umarmte und ihr liebevoll in die Augen sah.
»Warte nur, Alexandra; du wirst auch deinen Namenstag haben«, fügte er hinzu, wie wenn er gar nicht wüßte, was er vor lauter Freude sagen sollte.
Ich wandte mich an Nastasja mit der Frage, von wem das Gedicht sei.
»Ja, ja, von wem ist das Gedicht?« fiel der Onkel hastig ein. »Jedenfalls hat es ein kluger Dichter geschrieben; nicht wahr, Foma?«
»Hm!« brummte Foma.
Während der ganzen Deklamation des Gedichtes war ein bissiges, spöttisches Lächeln nicht von seinen Lippen gewichen.
»Ich habe es wirklich vergessen«, antwortete Nastasja mit einem ängstlichen Blick auf Foma Fomitsch.
»Herr Kusma Prutkow hat es geschrieben, Papa; es ist im ›Zeitgenossen‹ erschienen«, rief Alexandra in munterem Ton.
»Kusma Prutkow! Den kenne ich nicht«, sagte der Onkel. »Ja, Puschkin, den kenne ich! . . . Übrigens ist es klar, daß er ein begabter Dichter ist; nicht wahr, Sergej? Und überdies ein Mensch mit edlen Eigenschaften; das ist klar, sonnenklar! Vielleicht ist er sogar Offizier . . . Ich muß ihn loben. Und der ›Zeitgenosse‹ ist ein vorzügliches Journal! Wir müssen es unbedingt abonnieren, wenn lauter solche Dichter daran mitarbeiten . . . Ich kann die Dichter gut leiden! Es sind prächtige Menschen! Alles drücken sie in Versen aus! Erinnerst du dich, Sergej: ich lernte bei dir in Petersburg einen Literaten kennen; er hatte so eine eigentümliche Nase . . . wirklich! . . . Was sagtest du, Foma?«
Foma Fomitsch, dessen Mißstimmung immer stärker wurde, kicherte laut.
»Nein, ich habe nur so . . . es ist nichts . . .«, sagte er, wie wenn er nur mit Mühe das Lachen unterdrückte. »Fahren Sie fort, Jegor Iljitsch, fahren Sie fort! Was ich zu sagen habe, werde ich später sagen . . . Auch Stepan Alexejewitsch hier wird mit großem Vergnügen von Ihren Bekanntschaften mit Petersburger Literaten hören . . .«
Stepan Alexejewitsch, der die ganze Zeit über nachdenklich etwas abseits gesessen hatte, hob auf einmal den Kopf, errötete und drehte sich mit ingrimmiger Miene auf dem Lehnstuhl um.
»Reizen Sie mich nicht, Foma, sondern lassen Sie mich in Ruhe!« sagte er, indem er Foma zornig mit seinen kleinen, blutunterlaufenen Augen anblickte. »Was schert mich Ihre Literatur? Wenn mir nur Gott Gesundheit gibt«, murmelte er vor sich hin, »dann kann meinetwegen alle der Deibel holen . . . mitsamt den Schriftstellern . . . Das sind doch lauter Voltairianer, weiter nichts!«
»Die Schriftsteller sind Voltairianer?« sagte Jeshewikin, der sich sofort neben Herrn Bachtschejew befand. »Da haben Sie ein sehr wahres Wort gesprochen, Stepan Alexejewitsch. So drückte sich auch Walentin Ignatitsch kürzlich aus. Auch mich selbst hat man einen Voltairianer genannt; es ist tatsächlich wahr, bei Gott! Und dabei habe ich, wie jeder weiß, nur ganz wenig geschrieben . . . Aber das ist mir denn auch schlecht bekommen: dem alten Weib ist ein Topf Milch sauer geworden – und an alldem ist Herr Voltaire schuld! So geht es bei uns immer!«
»Aber nicht doch!« bemerkte mein Onkel würdevoll; »das ist doch ein Irrtum! Voltaire war nur ein geistreicher Schriftsteller und machte sich über allerlei althergebrachte Meinungen lustig; aber ein Voltairianer ist er niemals gewesen! Das haben alles nur seine Feinde über ihn in Umlauf gebracht. Wirklich, womit hat der arme Kerl es verdient, daß alle über ihn herfallen?«
Von neuem ließ sich Foma Fomitschs boshaftes Kichern vernehmen. Beunruhigt blickte der Onkel zu ihm hinüber und wurde sichtlich verlegen.
»Nein, siehst du, Foma, ich wollte nur von den Journalen reden«, fuhr er in seiner Verwirrung fort, um seine Situation einigermaßen zu verbessern. »Du hattest vollkommen recht, lieber Foma, als du neulich betontest, wir müßten recht viele abonnieren. Ich bin ebenfalls der Ansicht, daß wir das tun müssen! . . . Hm . . . ja, wirklich, sie verbreiten Aufklärung! Was ist man denn für ein Sohn des Vaterlandes, wenn man sie nicht abonniert? Nicht wahr, Sergej? Hm! . . . Ja! . . . Da ist zum Beispiel der ›Zeitgenosse‹ . . . Aber weißt du, lieber Sergej, die stärksten Wissenschaften stehen doch meiner Ansicht nach in dem dicken Journal . . . wie heißt es doch gleich? Es hat so einen gelben Umschlag . . .«
»›Vaterländische Aufzeichnungen‹, Papa!«
»Na ja, ›Vaterländische Aufzeichnungen‹. Und ein vortrefflicher Titel ist das, Sergej, nicht wahr? Es sitzt sozusagen das ganze Vaterland da und macht Aufzeichnungen . . . Ein edles Ziel! Ein sehr nützliches Journal! Und wie dick! Probier's mal und gib so einen Wälzer heraus! Und Wissenschaften sind darin, solche Wissenschaften, daß einem die Augen ordentlich aus dem Kopf springen . . . Neulich kam ich her, da lag hier ein Heft; ich nahm es aus Neugier in die Hand, schlug es auf und las auf einen Hieb drei Seiten hintereinanderweg. Ich sperrte geradezu Mund und Nase auf, lieber Freund! Und weißt du, über alles mögliche wird da Auskunft gegeben: was bedeutet zum Beispiel Besen, Schaufel, Kochlöffel, Topfgabel? Meiner Ansicht nach ist ein Besen eben ein Besen und eine Topfgabel eine Topfgabel! Aber nein, lieber Freund, warte nur! Anhand der Wissenschaft stellt es sich heraus, daß eine Topfgabel nicht eine Topfgabel ist, sondern ein Emblem oder etwas Mythologisches; ich erinnere mich nicht mehr recht, was; aber so ungefähr war es . . . Es ist ganz erstaunlich! Sie haben es weit gebracht!«.
Ich weiß nicht, was nach diesen neuen wunderlichen Äußerungen meines Onkels Foma eigentlich zu tun beabsichtigte; aber in diesem Augenblick erschien Gawrila und blieb mit hängendem Kopf auf der Schwelle stehen.
Foma Fomitsch blickte ihn bedeutungsvoll an.
»Ist alles bereit, Gawrila?« fragte er mit schwacher Stimme, aber in entschlossenem Ton.
»Jawohl«, antwortete Gawrila traurig und seufzte dabei.
»Hast du auch mein Bündel auf den Wagen gelegt?«
»Jawohl.«
»Nun, dann bin auch ich bereit!« sagte Foma und erhob sich langsam von seinem Lehnstuhl. Mein Onkel blickte ihn verständnislos an. Die Generalin sprang von ihrem Platz auf und sah sich beunruhigt um.
»Erlauben Sie mir jetzt, Oberst«, begann Foma mit würdigem Ernst, »Sie zu bitten, die interessante Auseinandersetzung über die Topfgabeln in der Literatur für eine kleine Weile einzustellen; Sie können sie nachher, wenn ich weg bin, fortsetzen. Ich aber würde gern jetzt, wo ich für immer von Ihnen Abschied nehme, noch ein paar letzte Worte zu Ihnen sagen . . .«
Alle Zuhörer waren von Schrecken und Staunen wie gelähmt.
»Foma, Foma! Aber was hast du denn? Wo willst du denn hin?« rief der Onkel endlich.
»Ich beabsichtige, Ihr Haus zu verlassen, Oberst«, fuhr Foma mit ganz ruhiger Stimme fort. »Ich habe beschlossen zu gehen, wohin mich das Schicksal führt, und mir daher für mein eigenes Geld einen einfachen Bauernwagen gemietet. Auf diesem liegt jetzt mein Bündel; es ist nicht groß: ein paar Lieblingsbücher, etwas reine Wäsche – das ist alles! Ich bin arm, Jegor Iljitsch; aber um keinen Preis auf der Welt werde ich jetzt Ihr Gold annehmen, das ich auch gestern schon zurückgewiesen habe!«
»Aber um Gottes willen, Foma, was hat das zu bedeuten?« rief der Onkel, der bleich wie Leinwand geworden war.
Die Generalin kreischte auf, blickte in heller Verzweiflung Foma Fomitsch an und streckte die Hände nach ihm aus. Fräulein Perepelizyna stürzte zu ihr hin, um sie zu stützen. Die armen Klientinnen waren auf ihren Plätzen erstarrt. Herr Bachtschejew erhob sich schwerfällig von seinem Stuhl.
»Na, nun hat die Komödie angefangen!« flüsterte Misintschikow neben mir.
In diesem Augenblick ließ sich fernes Donnergrollen vernehmen; es begann ein Gewitter.