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XI.

Die Schiffe der Himber ruderten bei Windstille den Belt hinauf und in die Förde hinein. Der Vortrupp des Landheeres wich dem Urwald aus und zog in langsamen Märschen an der Küste entlang. Funda wußte und wies den Weg, den sie einmal auf wunden Füßen gegangen war. Jetzt saß sie wie eine Herrin auf einem ruhig schreitenden Rößlein; denn sie wurde nicht wie eine Dienerin gehalten und war noch höher in der Gunst des Fürsten gestiegen.

Die Mündung der Förde war erreicht. Funda sah ihre Heimat wieder, das sandgelbe Näs, das flußgleiche, freundliche Gewässer, von grünen Wäldern umsäumt. Feucht schimmerte ihr Auge, ihr Herz war voll heißer Sehnsucht. Bei Sonnenaufgang ging sie abseits, um ins Morgenrot zu schauen und zum lichten Gott zu beten. »Fülle Freds Herz mit Friedensgedanken, führe ihn in unser Lager, um Frieden zu suchen, oh, führe ihn in meine Arme und an mein banges Herz zurück!«

Da sah sie einen Einbaum unten an den Strand stoßen. »Er kommt, er kommt!« Jubelnd flog sie von der Höhe herab. Es war aber keine Erhörung, sondern eine bittere Enttäuschung. Näs-Leute stiegen aus dem Boot. Rafn und zwei von den Ältesten schwenkten grüne Zweige, wurden ins Zelt geführt und wollten sich einschmeicheln. »Heil dir, König Herulf! Du bist der größte Feldherr und der Fürst aller Förden. Wir möchten deine Vasallen sein und Heeresfolge dir leisten. Unsere Nachbarn, die Frod-Leute, sind von jeher unsere Erb- und Erzfeinde gewesen. Gib sie in unsere Hand, Herr König! So wollen wir ihr Dorf stürmen und alle, so am Leben bleiben, werden deine Sklaven sein.«

Die Dolmetscherin zog die Stirn in Falten und sprach mit Herulf in der Himber-Sprache. Da es lange dauerte, zupfte Rafn sie am Gewand und wisperte falsch-freundlich, an die nahe Verwandtschaft erinnernd: »Lieb Schwester, ich schenk' dir einen Goldreif, rede ...«

Messerscharf schnitt sie ihm die Worte vom Munde ab: »Ich bin nicht am Näs geboren und nie deine Schwester gewesen, nein, fremd und feind bin ich dir und allen Verrätern.«

Rafn duckte sich vor dem Fürsten. Herulf schaute auf den kleinen, kurznackigen Häuptling herab und sagte hochfahrend: »Deine Bitte ist bewilligt ... Ihr sollt nach eurem Wunsch der verlorene Haufe sein und das Dorf stürmen. Ich lohne einen jeden nach Verdienst und Würdigkeit.«

Der verschlagene Rafn machte ein sehr langes und dummes Gesicht. Die Näs-Leute bildeten die Vorhut und waren die Stürmer. Fred, der alle Tage seine Kundschafter aussandte, war genau von allen Bewegungen der Feinde unterrichtet, erfuhr den schändlichen Verrat der verbündeten Nachbarsippe und lachte hart-höhnisch: »Nichts wundert mich mehr; alle, auch Funda, haben mich verraten. Ich will kein Sklave sein, sondern mit meinem Volke ehrenvoll untergehen.«

Er hatte nicht nur die Greise und Knaben zu Kriegern gemacht, sondern auch die jungen und kräftigen Weiber im Schleudern der Wurfsteine unterrichtet und geübt. Die Trommel rief alle. Der Häuptling redete gewaltig: »Die Stunde des Sterbens ist gekommen, die Überzahl ist zu groß, wenn wir zweihundert erschlagen, werden vierhundert wider uns rennen, und wenn wir sie töten, stampfen achthundert heran. Aber jeder von uns nimmt zehn Feinde mit ins dunkle Erdgrab. Stehen, stehen! Werfen, werfen! Stechen, stechen! Den Weibern überlasse ich die elenden Kläffer vom Näs, erschlaget sie mit Steinen, gleich wie Hunde!«

In der Nacht bellten die Hunde immer wütender, denn sie witterten die Feinde. Auf dem Rundgang, der in halber Höhe um den Holzwall lief, standen Frauen und wachten, und Frauen sind listig. Sie waren ganz still und hielten den Hunden die Schnauze zu.

Rafn und seine Leute wollten das Dorf im Schlaf überrumpeln, schlichen sich heran, warfen Reisigbündel in den Wassergraben und wollten Leitern ansetzen. Niemand störte sie. Sie waren fertig, gingen leise über die Reisigbrücke und erkletterten die Leitern, plötzlich, furchtbar knatterte ein Hagelwetter von oben, die Schlossen waren kopfgroße Steine, die wie Keulenschläge wirkten. Viele Näs-Leute stürzten, wie Rinder vom Beilhieb des Schlächters, ohnmächtig hin. Ihre Genossen schleppten sie nicht fort, sondern sprangen in den Wald, um Deckung zu suchen. Die Frauen erhoben ein Freudengeheul, schleuderten Feuerbrände auf die Bewußtlosen im Graben und gossen flüssiges Harz und trockenes Schilf darüber, so daß die Unglücklichen jämmerlich verbrannten.

In der ersten Morgenfrühe stand Fred auf dem Rundgang und sagte zu seiner Seele: »Heute ist der Todestag meines Volkes, in aller Welt muß der Schwache dem Starken unterliegen; weiser und stärker als wir sind die Gater, und mächtiger als die Sonne sind die fremden Götter. Lebe wohl, meine Förde, mein Wald, lebt wohl, ihr Vögel im Baum, ihr Fischlein im Wasser!«

In der Fahrrinne schwammen die Riesenvögel, unten am Strande stand ein Heer, in vier Haufen geteilt. Hoch zu Roß hielt ein Recke mit schneeweißem Haar. Zwei Schritt hinter ihm saß auf einem Schecken eine Frau im langen Wollkleid, mit Gürtel und Bronzebuckel und Goldreif. Ganz in der Nähe sah Fred seine Funda wieder, ganz genau sah er das feine, süße Gesicht, und sie war das Weib des Weißhaarigen oder eines hohen Himbern geworden. In seinem Herzen aber war kein Zorn, kein Haß, er gab ihr keine Schuld. »Ich, ich habe gewählt zwischen ihr und meinem Volk, darum sterbe ich mit meinem Volk.«

Vom Wall aus sah er, wie Rafn vortrat und mit gekrümmtem Rücken vor dem Herrn Herulf herumkroch. Dieser fuhr ihn ungnädig an: »Ihr wolltet das Dorf stürmen und eine alte Rache nehmen, und ihr seid wie heulende Hunde weggelaufen vor den Steinwürfen der Kinder. Ich sage euch ... vor dem Abend sollt ihr den elenden Holzwall nehmen oder eure Leiber im Graben liegen lassen. Ihr habt's gewollt, ans Werk! Geh du als Führer voran!«

Die Leute Rafns liefen über die Brücke von Reisigbündeln, setzten die Leitern an und kletterten, den Dolch im Munde, den Speer in der Rechten. Die nicht von den Steinen der Weiber geworfen wurden, sind von den Lanzen der Männer gestochen und gestürzt worden. Auch nicht einer hat die höchste Sprosse erreicht.

Der verschmitzte Rafn hatte keine List mehr im Kopfe, keine Kraft mehr in den Knochen, warf sich vor Herulf auf die Knie nieder, streute Erde auf sein Haar und weinte wie ein Weib. »Schenke mir und dem kleinen Rest meiner Sippe das nackte Leben, nur das Leben, wir wollen deine Knechte sein!«

Der greise Fürst sah über ihn hinweg und sagte: »Legt die Waffen fort, die nur ein Freier tragen darf, und lasset das Haar euch scheren! Knechte seid ihr.« Er ritt zu einem Gauherrn hin und gab ihm kurzen Befehl: »Die störrischen Barbaren sollen nicht länger trotzen ... Teutobald, bringe das Dorf und den Dreckwall vor dem Abend in meine Gewalt! Töte aber nicht die Weiber und Kinder, auch nicht, die wund sind und wehrlose Hände bittend erheben!«

»Das Dorf wird dein sein, ehe die Sonne untergeht,« antwortete Teutobald und nahm vierhundert Krieger, denen er befahl, Baumstämme zu fällen.

Funda hörte alle diese Worte und erschrak bis ins Herz; denn einer würde nicht flehende Hände erheben, nein, Fred würde mit dem Schwerte in der Hand wie ein Held kämpfen und die Todeswunde empfangen.

Schnell sprang sie vom Schecken herunter, um einen Imbiß von gerösteten Austern zu bereiten und dem Herrn zu bringen. Aufmerksamer als je wieselte sie um Herulf herum, ihre Augen hingen an seinem Antlitz, um einen günstigen Augenblick und für ihr Anliegen Gehör zu finden.

Teutobald ließ die Baumstämme über den Graben gegen den Holzwall werfen. Immer mehr schleppten seine Krieger heran, immer breiter und höher wurde die schräge Brücke, die ein bequemer Sturmweg und breit genug für dreißig Krieger werden sollte. Wohl schleuderten Freds Leute Steine und Speere, um den Bau zu verhindern; aber die Himber deckten sich mit großen Schilden gegen die Würfe und erhoben ein Hohngelächter, wenn der Steinhagel mit viel Lärm und ohne Schaden niederprasselte.

Herulf hatte sich nach dem Mahle am Abhang niedergelegt, um ein Schläfchen zu machen. Funda hockte hinter ihm und hielt mit einem Farren-Wedel die lästigen Fliegen fern, aber ihre Augen betrachteten immer ängstlicher den Holzbau der Belagerer, der jetzt fast die Höhe des Holzwalls erreichte. Oh, die Sturmbrücke war fertig. Teutobalds Krieger erhoben ihr Kampfgeschrei: U–ra–u–ra! Funda ließ absichtlich den Wedel ruhen, eine dicke Schmeißfliege surrte um des Schläfers Gesicht, setzte sich auf seine Nase und kitzelte.

Herulf schlug die Augen auf, hatte wohl geruht und lächelte freundlich. »Wie eine Mutter ihr Wiegenkind, hast du mich mit Eiapopeia in Schlaf gesungen. Hast du einen Wunsch, mein Kind? Deine Augen bitten ...«

»Ach, ich bitte und flehe: Bevor der Sturm beginnt und sehr viel Blut vergossen wird, laß mich im Mannskleid der Himber-Gesandten hinübergehen und Frieden anbieten. Mir bricht es das Herz, denn es sind Menschen meines Volkes ...«

»Um so eher werden sie dich als einen Überläufer umbringen; nein, ich sende Hadur, der die Sprache radebrecht ...«

»Ich fürchte mich nicht ... sende mich! Der Häuptling der Sippe ist ein handflinker Meister und ein großer Schwertfeger, der dir gute Waffen schmieden kann, auch ... auch ist er mir lieb, sehr lieb ... er darf nicht sterben ...« Eine tiefe schamhafte Röte bedeckte ihr Gesicht, Tränen hingen an ihren langen Wimpern. »Oh, sende mich als deinen Gesandten!«

Herulf lachte in sich hinein. »Ei, nun weiß ich dein Geheimnis ... Du magst gehen auf eigne Gefahr. Wenn sie dir ein Leid antun, soll keine Menschenseele drüben am Leben bleiben.«

Funda trug das Gewand eines knabenhaften Knappen, aber das lange Schwert hing an ihrer Hüfte; die Kapuze des Mantels zog sie von hinten über das Haupt und das halbe Gesicht. In der Hand einen grünen Eichenzweig schwenkend, ging sie allein die Sturmbrücke hinauf. Als der kleine, kühne Knappe oben auf dem Holzwall stand und trotz der drohenden Steinwürfe mutig stehen blieb, und mit mündiger Stimme rief: »Legt die Waffen nieder und setzt von innen eine Leiter an! Ich, der Sendbote des Fürsten Herulf, komme, um mit eurem Herrn Sprach zu halten und Frieden zu finden, führet mich sofort zu ihm!« – Da ließen alle die Steine und Speere sinken und wunderten sich über alle Maßen, daß der Himber-Knappe so gut ihre Sprache rede.

Fred stand wie versteinert und stotterte in den Bart: »Die Stim–me, die–se Stim–me ...« Herulfs Knappe, der sehr schmächtig und alles andere als ein Recke war, sprang geschwind die Leiter hinab und blieb vor dem Häuptling stehen. Dieser starrte und stierte. »Wer ... bist du? O, diese Augen... diese Augen ...« Funda schlug die Kapuze zurück. »Fred, ich bin's!«

»Funda! warum vermummst du dich als Mann, wo du die Frau oder Buhlin eines Himbers bist? Weiche schnell von hinnen, damit ich nicht wahnsinnig werde bei deinem Anblick und mit dem Schwert dich und mich ersteche!«

Ihre Stimme wurde leise, süß und schluchzend, wie eines weinenden Kindes.

»Ach, so würde ich in deinen Armen sterben, was will ich mehr? Aber eins sollst du hören, wissen und glauben, ich schwöre es bei dem ansehenden Sonnengott: Ich bin die Dienerin des greisen Fürsten, aber noch nie eines Mannes Genossin gewesen. Der Finster-Furchtbare soll Siechtum und Seuche mir senden und meinen Leib mit fauligem Aussatz zerfressen, wenn meine Lippen Lug reden, wenn mein Mund je andere als deine Lippen geküßt hat. Mein Fred, ich bin und bleibe dein Weib ... willst du uns töten, so will ich mein Herz entblößen und mich still an deine Brust legen.«

»Oh, Funda, ich habe dich immer geliebt und gesegnet, auch wenn ich in Zorn und Scheinhaß dir fluchte.« Fr streckte die Arme aus, um die Geliebte an sich zu reißen – aber seine Arme sanken schlaff herab. Seine Augen bohrten sich in ihr Gesicht, seine Stimme keuchte gequält: »Nein, ich darf nicht, denn du ... du hast mein Volk an die Himber verraten ...«

Sie wurde blaß, da sie wohl wußte, daß sie dem klug fragenden Herulf allzu viel Antwort gegeben habe. Aber sie hielt seinem durchbohrenden Blicke stand, ihr Antlitz war so süß unschuldig, so bang bittend. »Nein, nein, die Brüder deines Volks, die Sun-Leute und die Elenden am Näs haben euch an Herulf verkauft, aber, haha, ich kenne den Fürsten, der falschen Neidingen Katzengold zahlt. Bei dem Allschauenden! Ich bin keine Verräterin gewesen.«

Funda blickte empor zum Sonnengott, der die kleine Notlüge einer sehr großen Liebe nimmer heimsucht.

Da nahm Fred den Gesandten des Feindes in seine Arme und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Als er endlich Worte fand, sagte er tiefernst: »Du bist zu mir zurückgekehrt in der Todesstunde deines Volks, um mit uns zu sterben.«

»Nein, nein, wir wollen nicht sterben, sondern leben und uns lieb haben, du Liebster von allen.« Sie lächelte lustig-listig, wie in alten Tagen, reckte sich hoch auf und redete voll Würde, Hoheit und Salbung: »Ich, der Gesandte Herulfs, des Königs der Himber, biete dir Frieden und Freundschaftsbund. Im Namen des Fürsten verbürge ich dir und deiner Sippe Leib und Leben, Frieden und volle Freiheit und ungeschmälerten Besitz eurer Wälder und Wiesen, eurer Bänke und Fischgründe von heute und bis ins hundertste Geschlecht. Aber ihr sollt ihm Bund und Treue schwören für ewige Zeiten, daß ihr nimmer Fehde führet wider ihn und seine Nachfahren, und dieweil er Herr und König all dieser Länder und Förden geworden ist, sollt ihr ihm huldigen als eurem Schirmherrn, sollt ihr ihm als Zeichen seiner Hoheit alle Jahre hundert Pfund Bernstein in großen und guten Stücken zahlen. Welche Antwort soll ich meinem Fürsten bringen?«

Die Sippe, die hinter ihrem Häuptling staunend stand, fing an die Arme zu werfen und zu schreien: »Heil dir, Funda! Hilf uns! Du bist Volk von unserem Volk, und Fleisch von unserem Fleisch.« Die Weiber weinten vor Freude und griffen nach dem Gewand des Knappen, um es zu küssen.

Freds Stimme zitterte vor Rührung, als er laute Antwort gab: »Du bist dennoch Fleisch von unserem Fleisch, und Blut von unserem Blut! Du bist keine Verräterin, sondern die Retterin deines Volks geworden! wir wollen dem Fürsten der Himber huldigen und Urfehde, Friede und Treubund ihm schwören, bis ins hundertste Geschlecht ... Auch wollen wir zum Zeichen und Zeugnis seiner Oberhoheit alle Jahre hundert Pfund Bernstein ihm bringen, die heilige Sonne ist unser Schwurzeuge.«

Frohgemut kletterte der Knappe über die Brücke von Baumstämmen und kam ins Lager zurück, wo er mit Herulf eine lange Zwiesprache hatte.

Kein Wurfstein sauste, kein Speer zischte. Die Fred-Leute standen oben auf dem Wall, schwenkten grüne Zweige und jauchzten ihr: »Hoioho«. Da machte sich Rafn, der ihr Geschrei und ihr Gebahren mißdeutete, schnell an den Fürsten heran und meldete: »Die Barbaren wollen sich ergeben ... sollen wir die schmutzigen Schweine schnell abstechen? Sie haben viel Bernstein und Gold, deine Beute wird groß sein.«

Herulf sah über ihn hinweg und sagte kalt: »Wer heute seinen Bruder verrät, wird übermorgen mich verkaufen. Hinweg, du hündischer Knecht! Die Rafn- und die Sun-Leute sollen Sklaven der Himber sein, sollen unsere Mahlsteine drehen und unsere Felder hacken. Aber die Sippe Freds steht unter meinem höchsten Schutz, ihr Herr ist mein freier Lehnsmann geworden.«

Es wurde Winter und Frühling im Bernsteinlande, an der langen, stillen Förde mit den lenzgrünen Ufern herrschte wieder Wald- und Wasserfriede, Fisch- und Fangfriede. Die Fred-Leute fingen Austern, Aal und Butt und pirschten im wildreichen Forst wie seit tausend Jahren. Aber sie fingen weit mehr, denn ihre Fang- und Jagdgeräte waren zum Teil aus Bronze geschmiedet und viel vollkommener geworden. Den Lehnstribut dieses Jahres hatten sie schon gesammelt, und sie merkten kaum, daß sie einen Oberherren hatten. Alle andern Sippen waren zwar Hörige der Himber geworden, wurden aber wenig bedrückt von den Frondiensten, die sie leisten, von der Steuer, die sie zahlen mußten an den Fürsten, der oben an der nördlichen Förde saß und eine Holzburg sich baute. Fred führte als Herr seiner Sippe ein mildes, gerechtes und festes Regiment, so daß alle aufs Wort ihm gehorchten.

Im Hause freilich regierte sein Weib, dem er in allen Dingen seinen oft eignen Willen ließ, denn die große Liebe ist immer eine Dienerin des andern.

Er war ein heitrer Mann ohne Sorgen und Schmerzen, es sei denn, daß eine kleine Eifersucht ohne Grund und Ursache ihn stach. Auch umdüsterte ihn, besonders im ersten Jahr, bisweilen der Gedanke, daß ein fremdes Volk seine Heimat genommen habe und er trotz der Scheinfreiheit ein Vasall und Knecht geworden war. Dann streichelte Funda die Wolken von seiner Stirn hinweg und bewies ihm, wie vieles gut und besser geworden sei in der neuen Zeit, und er nickte: »Ja, die Himber sind viel weiser und viel weiter als wir und haben uns großen Fortschritt gebracht. Ihre Waffen und Werkzeuge aus Bronze haben unsere plumpen Steinbeile und Hammer überwunden. Auch ihr Gewand aus gewebten Wollhaaren ist weicher und wärmer als unser armes, hartes Fellkleid. Ach, wir sind kleine Kriecher neben diesen hochgebauten Halbgöttern. Sogar die Tiere haben sie sich dienstbar gemacht, so daß sie Schafe und Rinder in Rudeln züchten und auf dem Rücken der störrischen Rosse reiten. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus, wenn ich ihre Werke sehe. Mit der Hacke hauen sie den Erdboden auf und streuen Hirse hinein, und aus einem Korn sind zwanzig geworden, wunderbar!«

Funda hing an seinem Halse und lachte: »Dennoch bist du kleiner Kriecher mir lieber als alle diese großen und schönen Riesen. Ihre Wunder kannst du auch tun, denn dein Geist ist rege, und deine Hände sind geschickt, geh ans Werk, mein Liebster!«

Fred hat bei den Fremdlingen gelernt, hat für Gold und Bernstein Bronzebarren gekauft und seinem Dorfe die neue Zeit mit ihren gewaltigen Neuerungen gebracht. Seine Männer wühlten auf der Lichtung mit Holzhacken, die einen scharfen Bronzebeschlag hatten, den Boden auf, streuten Gerste und Hirse hinein und schnitten nach drei Monaten mit Bronzesicheln die Halme. Seine Weiber lernten mit der Spindel die Wolle zu spinnen und den Wollfaden auf dem Rahmen zu weben. Alles Gold und allen Bernstein gab er den Himbern, um Schafe und Rinder, Korn und Metall zu kaufen.

Seine Schatzkammer oben in der Eiche war völlig leer geworden, aber das Sonnenbild aus lauterem Gold, das er am Fuß des Baumes vergraben hatte, blieb unberührt liegen, denn er sagte sich: Es soll verborgen bleiben vor allen goldgierigen Augen und mir eine Nothilfe sein, wenn Herulf stirbt und ein neuer Fürst mehr Bernstein fordert, als ich zu finden vermag. Oh, ist nicht das rote Gold und der braune Bernstein der Fluch und das Ende meines Volkes geworden?

Dennoch hatte es dem Ostseelande auch Neues, Gutes und Großes gebracht. Freds Augen leuchteten, wenn sie überall das Bessere und Vollkommenere werden und wachsen sahen. Die paar Schafe und Rinder, die er eingetauscht hatte, gediehen auf den üppig grünen Waldwiesen und wurden zu kleinen Herden. Er hatte sich statt der elenden Lehmhütte ein Holzhaus gebaut, und man lernte von den Himbern, die Eichen mit Säge und Beil in Balken und Planken zu zerschneiden und statt der schwanken, schwerfälligen Einbäume schnelle Boote zu bauen, wo die Bäume gestanden hatten, wurde die Waldrodung mit der Hacke gelockert, das Getreide gestreut, und ein Gerstenfeld wuchs empor und wogte im Winde. Die Kinder spielten nicht mehr mit den goldenen Körnern; die Fördeleute wußten, wie man sie zwischen Steinen zerquetsche, hatten am Hirsebrei und den Gerstenfladen Wohlgeschmack gefunden und keine Furcht mehr vor dem furchtbaren Hungerwinter.

Fred sah die vielen Wunder der neuen Zeit, und es gingen noch sechzig Winter und Sommer über sein Haupt hin, ehe seine Kraft abnahm und sein Haar schneeweiß wurde. Man fand ihn eines Morgens in seiner Werkstatt, wo er neben dem Amboß still und friedlich im Todesschlaf lag. Bei seinen Lebzeiten hatte er fünfhundert Bronzeschwerter, die von den Himbern hoch bezahlt wurden, geschmiedet und mit Verzierungen geschmückt. Das war seine Lust und liebste Arbeit gewesen, obgleich ihm Krieg und Fehde verhaßt waren, und er war ein Meister in seinem Fach geworden. Die Schwerter, die seine Handmarke trugen, wurden im Lande berühmt, und noch Jahrhunderte nach seinem Tode ist er der große Schwertfeger des Nordens genannt worden, so daß seine besten Schwerter Namen bekamen und von den Helden der Saga getragen wurden.

Keinem Menschen, nicht einmal seinem Weibe hatte er bei Lebzeiten verraten, wo er das goldne Sonnenbild vergraben habe. Es lag verborgen im Schoß der Erde, im Waldesdunkel hundert und aber hundert Jahre; wer wird es wecken aus seinem tiefen Schlaf?

Bei seinen Lebzeiten war Fred ein tributpflichtiger, aber freier Herr seiner Sippe geblieben; aber ein Jahrhundert nach seinem Tode war sein Volk nicht mehr. Die kräftigen und tüchtigen Jünglinge hatten die kleinen, breitbackigen Weiber ihres Stammes verachtet und hohe, hellhaarige Himberfrauen geheiratet, hatten schnell die Sprache und Sitte ihres Volkes verlernt und verloren und waren Himber geworden. Die Schwächlinge waren faul und schläfrig, verkauften ihre Habe und wurden schließlich Knechte der Fremdlinge, um nicht zu verhungern. Die jungen Fördefrauen liefen den stattlichen Recken nach und wurden Kebsweiber der Himberherren. Ihre Kinder folgten der schlechteren Hand und wurden Knechte.

Nach kaum zwei Jahrhunderten war das Volk der Urbewohner nicht ausgerottet worden und dennoch völlig verschwunden von der Erde, vermischt und verschmolzen mit dem eingedrungenen und stärkeren Volk.

Das Land zwischen den beiden Meeren hatte, ohne es zu wissen, einen unendlichen Reichtum besessen, eine Fülle von schönem Bernstein, der wie Gold begehrt und bezahlt wurde. Der Bernstein wurde der Schatz und der Segen Cimbriens, denn dieses feine Geschenk des Meeres hat in jener Urzeit dem barbarischen Volk der Halbinsel die volle Kultur und alle Güter des Ostens und Südens vermittelt. Wagemutige Kaufleute aus dem Orient drangen über Berge und durch Urwälder, auf Flüssen und Meeren, Tod und tausend Gefahren verachtend, bis in den Norden vor, bis sie das gesuchte Bernsteinland – das Kalifornien und Eldorado der Urzeit – erreichten. Diese kühnen Kaufleute haben Kupfer und Bronze, Silber und Gold und alle wertvollen Metalle, die auf der Halbinsel nicht gefunden werden, nach dem Norden gebracht. Darum sind unsere Urväter so früh in der Geschichte ein Kulturvolk, das Ackerbau und Viehzucht trieb und mit Bronzewaffen sein Herrenrecht wahrte, geworden.

Dem Bernstein allein verdanken wir es, daß aus Cimbrien Helden und Heldenheere hervorbrachen, vor denen das ewige Rom in seinen Grundfesten zitterte. Aber wehe, das rote, falsch glänzende Gold, das sie in Menge erwarben oder raubten, ist, wie den edlen Nibelungen, so allen Germanenstämmen und Germanenhelden zum Fluch und Verderben geworden. –


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