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V.

Vier Tage vor Mittwinter. Noch immer blies der böse Nordost. Auf der Förde stand ellendickes Eis. Schon lange war die Austernbank völlig verschlossen und die Hauptnahrungsquelle des Völkchens versiegt. Wohl schlugen sie Löcher ins Eis, hielten mit Mühe die Waken offen und standen geduldig den ganzen Tag davor, um ihre Schnüre auszuwerfen. Aber die Angelfischerei gab allzuwenig – was waren ein paar Dutzend Fische für dreihundert Menschen, die von Kind an unmäßige Esser gewesen waren? Der Tod hielt eine reiche Mittwinter-Ernte. Morgens lagen die Krähen und Amseln steif und starr im Walde, mitten am Tage flatterten Finken und Meisen und fielen zur Erde. Tag und Nacht, Nacht und Tag, besonders im Morgengrauen, starben die Menschen. Wenn der Hausvater die Seinen weckte, rührte ein Kindlein sich nicht, aber die andern brüllten um so lauter und schrien nach Speise. Tag um Tag verscharrte man die Leichen im Abfallhaufen, denn zu matt und stumpf waren die Männer, um den Hügel und das Steingrab zu öffnen. Herr Fin hielt sich fern von den Toten und konnte durchaus nicht vertragen, Leichen zu sehen. Oft ging er voll Schwermut in den Tempel, um die Hilfe der Götter anzurufen, aber getröstet kam er heraus, alle Falten seines Gesichts hatten sich geglättet, und mannfreundlich war seine Miene. Er hatte nämlich im Tempel – außer den Göttern – noch einen Tröster – hinter dem Bild des Lichten standen drei volle Mettöpfe. Um den quälenden Hunger zu dämpfen, trank er fleißig vom Honigbier. Das füllte den leeren Magen und erheiterte seine betrübte Seele. Immer öfter ging Herr Fin zum Beten in den Tempel. Seine Untertanen freuten sich, daß er so fleißig und treu seines Priesteramtes walte, und hatten die Hoffnung, daß der lichte Gott Tauwetter senden würde. Aber der Frost nahm zu an Bosheit und Stärke. Dementsprechend wurden auch Fins Gebete im Tempel immer länger. Einen ganzen Nachmittag blieb er im Heiligtum als Priester. Als er gegen Abend heraustrat, war sein Antlitz rot vom Gebet, er focht mit den Armen und hielt wortreiche und wirre Reden.

Die Weiber schrägten andächtig die Arme und sagten voll Ehrfurcht: »Der Geist des Gottes ist in ihm, er weissagt wie ein Prophet ... horchet!«

Da kam Frod des Weges, betrachtete seinen Stiefvater von oben bis unten und rief hohnlachend: »Nein, er ist voll von Met, wie dazumal am Näs, er hat sich im Honigbier besoffen.«

Die Furcht vor dem Tyrannen schmolz hin, wie Schnee vor der Sonne. Je öfter Fin das heimliche Trankopfer darbrachte im Tempel und in der Hütte seinen Rausch ausschlief, desto schneller schwand sein Ansehen und die Furcht seiner Untertanen. Freilich, sie kuschten noch kraft alter Gewohnheit, gleichwie die Raubtiere vor der Peitsche des Bändigers, wenn er morgens nüchtern war und seine Befehle brüllte. Sahen sie ihn aber, wenn er mit offnem Munde schnarchte und seinen Rausch ausschlief, so ging wiederum ein Stück von dem eingefleischten, hündischen Respekt zum Teufel.

Eines Abends stand Jung-Bor über den Schnarcher gebeugt, allein mit dem Mörder seines Vaters. Seine Faust umklammerte den Steindolch, ein Fluch zischte über seine Lippen. »Meines Vaters Seele schreit nach seinem Blut, um Ruhe zu finden. Nur ein Stoß, ein Stich in die behaarte Brust! Nein, nein!« Bor rannte an den Strand. Das Gesetz sagt: Heilig ist der Schlaf. Du sollst ihm dein Racha ins Gesicht schreien, ehe dein Beil schmettert oder dein Dolch bohrt.

Der junge Mann setzte sich in der Hütte am Feuer hin, um Angelhaken zu machen. Aus einer starken Muschelschale schlug er ein kreisrundes Stück heraus, und in die Mitte dieses Stückes hieb er ein rundes Loch, das er immer mehr vergrößerte, bis er einen schmalen, gekrümmten Perlmutterstreifen hatte. Diese sichelartig gebogenen Stücke wurden an dem einen Ende gespitzt und geschliffen, an dem anderen und breiteren Ende mit einem Loch versehen, worin die Angelschnur befestigt wurde. Die krumme Spitze war der Haken für den Köder. Eine einfache Herstellung! Aber mit diesem primitiven Angelgerät hat die Steinzeit Jahrtausende lang gefischt und in den allerdings sehr fischreichen Gewässern die größten Fänge gemacht. –

Schon die dritte Woche nach Mittwinter heulte der Ostwind und knirschte der Frost. Obgleich die Männer ihre Fellkleider fest um den Leib geschnürt hatten, ging die grausige Kälte durch Naht und Ärmel. Mühselig zerschlugen sie das in der Nacht neu gebildete Eis auf den Waken. Sonnenwärts reckten sich die steifen Hände und schrien zum Sonnengott, ehe sie die Angelschnüre auswarfen. Oft stampften sie auf den erstarrten Füßen. Wehe, wo waren die zahllosen Fische der Förde geblieben? Nur handlange Dorsche, grätige Hornfische bissen an. Still, ohne Wehklage kehrten sie heim. Es war ein abgehärtetes Geschlecht, das in guten Tagen übermäßig zu essen und in bösen Tagen übermenschliche Hungersnot Zu ertragen verstand.

Sie sahen, daß der Häuptling voll von Met war und schlief, aber sie hätten nicht gemurrt, wenn nicht Frod mit verächtlichen Gebärden auf den Schläfer gedeutet und aufreizende Worte geredet hätte. »Sollen wir alle verrecken, während der eine sich den leeren Wanst voll Honigbier schlägt, um seinen Hunger zu betäuben?« Diese Worte rissen die Männer aus ihrer Dumpfheit empor. Die erste Unbotmäßigkeit begann, der erste Aufruhr an der Förde. Sie stürmten zum Tempelhause, nahmen einen vollen Honigbiertopf und trugen ihn zum Feuer, wo die Holzschale kreiste und den Inhalt teilte. Allen wurde das schwere Herz erleichtert, keiner fühlte mehr den Heißhunger, der in den Eingeweihten wühlte. Sie holten den zweiten Topf und Tröster. –

Fred saß oben in seiner Werkstatt, und das vierte Grünstein-Beil ging seiner Vollendung entgegen. Er wetzte lange und vorsichtig die Schneide, schmunzelte leise und kaute, um seinen Fleiß zu belohnen, an einem Krähenflügel, der aus Haut und Sehnen bestand. Drüben im Walde heulten die ausgehungerten Wölfe mit schauerlichem Gebell, wehe dem Wanderer, den ein Rudel wittert! Rasch kam die Nacht, Fred horchte nach dem heiseren, heulenden U-hu-ui-hu-u hinüber, und ein Schauer lief ihm eiskalt über den Rücken, wenn ein Mensch da draußen wäre. Voll fiel der rote Feuerschein auf sein Antlitz. Knirschten nicht die Steinsplitter vor der Tür? Kam sein Freund Bor? Er kehrte den Kopf – ein ungeheures Erstaunen, als wenn er ein Wunder sehe, ging über seine Züge – ein Weib trat leise in seine Hütte – Funda schlug die Fellkappe zurück. Übergroß blickten ihre schwarzen Augen, todernst und weiß war ihr Antlitz, kein Grübchen, keine Spur mehr von dem schalkhaften Lächeln, das es so lieblich machte.

Er sprang auf und griff nach ihrem Arm. »Funda ... du bist es ... du bist durch den Wald des Todes gegangen, wo die grisen Hunde in Rotten jagen ...«

»Ich bin bewaffnet,« sagte sie gleichmütig mit einem Blick auf den Speer, den sie trug.

»Suche dir das beste von meinen Beilen aus! Ich geleite dich heim durch den Wald in voller Wehr.« Er zeigte und erklärte ihr das Beil, nicht ohne Stolz. »Schau her! Der Schaft sitzt im Stein wie festgemauert, der Krieger, der es schwingt in der Schlacht, weiß beim wuchtigsten Hieb mit sicherer Gewißheit, daß er nie den bloßen Schaft in der Hand behält und wehrlos wird.«

»Behalte dein Beil!« erwiderte sie abweisend. »Ihr werdet zur Nacht alle eure Waffen gebrauchen, laßt die Hunde los und die Wachen verstärken!«

»Haben nicht die Näs- und die Finleute den Wald- und Wasserfrieden, den Fisch- und Fördefrieden mit heiligen Eiden beschworen?«

»Im Frostwinter frißt der Wolf die Wölfin ... was sind Eide, wenn der Hunger in den Eingeweiden brennt?«

»Auch wir verderben und sterben Tag für Tag,« sagte er tieftraurig. »In unsrem Dorfe ist nichts zu holen ... was will der Bettler dem Bettler rauben?«

Funda nickte. »Die Gier nach Speise macht sie zu grisen Hunden ... die Tingeiche hat gehorcht und mir den Anschlag erzählt ... nach Mitternacht wollen die Wölfe dein Dorf beschleichen ... ich warnte ... du hast ein gutes und liebes Auge, du sollst nicht sterben, nein!« Ihre Augen glühten ihn an.

In heißer, hoher Liebe umschlang er das junge Weib, das er mit Ungestüm liebkoste. »Du hast dein Leben im Walde gewagt, um mich zu warnen, du Tapfere, du Traute und Treue.«

Sie lag still in seinen Armen, unter seinen Küssen. Plötzlich ein Klagelaut, als bräche ihr Herz. »Oh, ich habe mein Volk verraten ...« Funda schluchzte.

»Nein, nicht dein Volk, den schändlichen Verrat und Eidbruch hast du verraten. Segnen wird dich der lichte Gott, du Sonnige, du Lichte und Liebe, du Süßeste und Schönste von allen Weibern. Alles was mein ist, meine Seele, mein Leib, mein Leben, gehört dir. Suche dir das Beste aus von allem, was ich besitze! Oh, ich hab' ein Bernsteinstück, desgleichen du nicht finden wirst an allen Förden, das will ich holen ...«

»Nein, nein ... ich bin matt geworden ... gib mir einen Bissen, wenn du ihn hast! Nur einen Bissen!«

»Ja, ja, ich hab ein wenig, gepriesen sei der Lichte!« Er lachte, und sein Lachen klang wie ein Lobgesang. Die halbe Krähe hatte er sich aufgespart, Brust und Rücken. Nachdem er Funda auf Felle am Feuer gesetzt hatte, atzte er sie wie ein Vöglein, indem er mit dem Messer kleine Fleischstücke vom Krähenbraten schnitt und in ihren Mund steckte. Das harte Fleisch war ihr viel köstlicher als alle Kleinode der Erde.

Funda legte ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn zärtlich.

»Nun weiß ich in Wahrheit, wie groß deine Liebe ist. Wenn ein Mensch, in dem der Hunger wütet, seine letzte Speise hingibt, das ist die größte Liebe.«

»Hast du nicht noch mehr getan? Hast du nicht den gefahrvollen Todesweg gemacht um meinetwillen?«

Sie lagen Brust an Brust, Auge in Auge, Lippe auf Lippe. In der Ferne jaulten und jammerten die Wölfe.

Fred nahm Beil und Langspeer, um ihr das Geleite zu geben. Sie wollte es nicht und bat zärtlich, daß er bleibe. »Ich schleiche heim, bald im Walde, bald auf dem Eis der Förde, ohne daß die grisen Hunde mich wittern.« Aber er folgte ihren Fersen eine Zeitlang, bis plötzlich die Schnellfüßige im Dunkel verschwunden war.

Fred rannte zurück und ins Dorf. Fin schnarchte noch lauter. Seine treuen Untertanen waren eifrig am Werk, um den dritten Mettopf zu leeren, schwatzten und lachten, hatten den Magen gefüllt und waren fast fröhlich geworden. Plötzlich stand Fred mitten unter den lustigen Gesellen und stieß, ohne ein Wort zu sagen, mit dem Fuße den Mettopf um. Er sah ein braunes Bächlein, horte ein wütendes Geschrei und rannte weiter, um den Schläfer zu wecken. Alles Rufen und Rütteln fruchtete nichts. Kurz entschlossen nahm der sanfte Fred einen Topf mit eiskaltem Wasser und goß ihn aus über das Haupt des Herrn Fin. Das weckte. Die Metleiche taumelte auf die Füße und glotzte. Als Fin zu begreifen anfing, ließ er sich noch zwei Töpfe Wasser über sein Haupt schütten, und nach zwei Minuten war er nicht nur nüchtern, sondern grob und gewaltig, herrisch und rücksichtslos geworden. Ja, das Lob mußte man dem skrupellosen Tyrannen lassen. In der Not stand er voll und ganz seinen Mann. Noch einmal zeigte er sich in seiner Größe, ein Herr und Feldherr vom Scheitel bis zur Sohle. Er befahl, daß alles ohne Laut, ohne Feuer und Lichtschein geschehen müsse. Die vier Rotten der besten Krieger wurden mit Speer und Schlachtbeil, alle übrigen, die zu alt oder zu jung waren, wurden mit Keule und Wurfsteinen bewaffnet.

Frod, Fred und Bor zogen als Horchwache und Vorhut in den Wald gen Osten, nahe der Förde, und hatten Beile mit Schaftloch erhalten, mithin die neueste und beste Waffe, die allen andren Beilen weit überlegen war und nie versagte. Die ältesten Krieger blieben als Rückhalt im Dorfe stehen, durften in den Hütten unterkriechen, aber bei Todesstrafe kein Feuer zünden, kein Auge schließen. Die vier Rotten, die oben auf der Höhe schon zwei Stunden standen, litten entsetzlich unter der Kälte. Darum ließ Fin schwere Baumstücke holen, die sie ohne Geräusch heben und senken mußten, damit ihr Blut sich bewege und nicht erstarre. Großes leisteten die ausgehungerten Männer in Ausdauer und Geduld, aber noch viel Größeres erduldeten die Späher, die bald auf der steinharten Erde krochen, bald mit steifen Gliedern die hohen Bäume erkletterten, um Auslug zu halten. Bor sichtete zuerst den Feind. Wie eine lange schwarze Schlange wanden sie sich durch den Wald, dichtgedrängt zu dreien, allzu sorglos und des guten Ausgangs ihres bösen Vorhabens allzu gewiß. Es konnte nimmer mißlingen, wenn man das Nachbardorf im festen Schlaf überfiel. Der Häuptling Nan raunte mit seinem Ältesten: »Wer sich wehrt, wird mit der Keule abgetan, aber unnütz wird kein Blut vergossen, auch kein Kind getötet. Ihre Fische und ihr Rauchfleisch müssen wir haben, denn wir sterben ... essen, essen müssen wir.«

»Auch die Beile, die Fred schleift und schaftet, nehmen wir mit,« sagte sein Sohn Rafn. »Essen, essen wollen wir.«

»Essen, essen!« murmelten die Männer vorn und hinten im Haufen. Speise war das einzige Wort, das sie sprachen, der einzige Gedanke, der in ihrem Gehirn kreiste, eine Wolfsgier nach Fraß war der einzige Trieb ihrer Seele.

Fin hörte Bors Meldung, lächelte bös und bissig und legte dem heimtückischen Überfall einen listigen Hinterhalt. Eine Rotte kletterte mit Wurfsteinen und Wurfspeeren in die Bäume, zwei Rotten, von Frod und Fred geführt, verkrochen sich rechts und links im Gebüsch, er selbst nahm die vierte und Bor als wegkundigen mit sich, um einen Bogen zu machen und dem Feinde in den Rücken zu fallen. –

Die Nachtgänger vom Näs wurden erst stutzig, als ein Hagel von Steinen und Speeren vom Himmel fiel und die Getroffenen schreiend zur Erde stürzten. Der völlig unvermutete Überfall von oben war so übernatürlich und unheimlich, daß der ganze Heerhaufe sofort in kopfloser Panik kehrt machte. Da sprangen zwei Rotten, wie aus dem Boden gewachsen, mit wildem Schlachtgeschrei und hochgeschwungenen Beilen auf sie ein. Wer Fluchtweg fand, raste, rannte, stürzte, stürmte – in die Hände Fins und seiner Schar. Zu zweien oder dreien kämpften sie auf Tod und Leben. Frod stürzte sich wie ein wütender Stier auf Rafn: »Nun sollst du mir büßen mit deinem Blut.« – Der vom Näs war geschmeidiger und schneller, fing die Speerstöße ab und schleuderte sein Beil nach dem Haupt des Gegners – es sauste und schlug das linke Ohr ab. Frod taumelte und wäre des Todes gewesen, wenn sein Bruder nicht mit einem Satz herbeigesprungen wäre und seinen Speer auf Rafns Brust gesetzt hätte. Fred jedoch stieß nicht zu, sondern sah den Gegner an und sagte: »Du bist Fundas Bruder – laufe und lebe!«

Als er seine Waffe sinken und Rafn entfliehen ließ, fluchte Frod in Tollwut. »Warum hast du den Hund nicht erstochen? Das zahle ich dir heim, du Schleicher.«

»Ist das dein Dank? Nahe war dir der Tod.«

Die überfallen wollten, waren überfallen worden und stoben wie Blätter, die der Sturm fegt, hin und her, um der Todesfalle zu entrinnen. Viele liefen wie sinnlos in die vierte Rotte hinein. Aber Fin ließ die meisten laufen, nicht aus Großmut, sondern in der Absicht, seines Reiches Mehrer zu sein und die Nachbarsippe seinem Stockzepter zu unterwerfen.

Darum übte er Gnade gegen die vielen. Darum stürzte er sich auf den einen, der seinen Plänen im Wege stand. Nan wehrte sich wacker, Fin war ein großer Kriegsmann, wie in seinen besten Tagen. Zwei ebenbürtige Gegner kämpften auf Tod und Leben, Beil wider Beil. Beide bluteten – wer wird Sieger bleiben? Da sprang Bor, der junge Held, aus dem Gebüsch, rannte mit dem Speer wider den feindlichen Häuptling und spießte ihn durch und durch. Von dem sterbenden Gegner wandte er sich ab und stand vor Fin, und stierte. Düster, drohend war sein Blick und Schaum auf seinen Lippen.

»Hab' Dank ... ich lohne dir deine Hilfe ...« keuchte Fin. Dann fing er an zu stottern, ohne ein Wort hervorzubringen ... dem hartgesottenen Kriegsmann grauste vor dem Blick. War der Jüngling zum tollen Berserker geworden? Oder wußte er? Ein Aufschrei quoll in seinem Munde: »B–bor ... Bursche, hast du Blut getrunken?«

»Nein, ich lohne dir, ich zahle dir heim den Mord an Bor ... ich muß für meines Vaters Blut dein Blut trinken, wehre dich, Fin! Einer von uns muß sterben.« Fin machte seinen berühmten, schnellen Beilhieb, um das Haupt des Tollen zu zerspalten, aber behende wich der Jüngling aus und rief mit gellender Stimme: »Racha für den meuchlings Ersäuften, Racha!«

Da wurde Herr Fin aschfahl im Gesicht und schien seine ganze Fassung und seine große Frechheit verloren zu haben. Matt war seine Abwehr und machtlos seine Waffe. Der junge Berserker reckte sich empor und zerschmetterte sein Haupt. Vollstreckt war die Blutrache.

Der Nachtkampf war verstummt, nur hier und da ein Stöhnen und Wimmern. Zwölf Leichen lagen im Walde. Fred kniete neben den Wundsiechen und wusch mit warmem Wasser die furchtbaren Beilwunden und verband sie mit Bastfasern. Dem langen Kris schnürte er den gebrochenen Arm in Holzschienen, nachdem er die Knochen in die richtige Lage gebracht. Run, der mehr als fünfzigjährige, ächzte schwer, und alle meinten, daß er sterben müsse, denn ein Beilhieb hatte ihm die Schädeldecke zertrümmert. Der Wundarzt betastete die Wunde – Knochensplitter waren ins Gehirn gedrungen – hier konnte nur das allerletzte Mittel helfen. Fred entfernte mit seinen feinfühligen Fingerspitzen die Splitter, nahm Messer und Säge und schnitt aus der harten Schädeldecke alles, was zerbrochen war, heraus, so daß ein rundes Loch mit glatten Rändern entstand, das er peinlich reinigte und wusch und sauber verband.

Unglaublich mag es klingen, aber vielfach ist die Tatsache durch Schädel, die man in Steingräbern fand, bewiesen worden: Die Menschen der Steinzeit haben mit Steinmesser und Steinsäge die schwersten Schädelbrüche operiert und geheilt, haben vor viertausend Jahren die Kunst der Trepanation gekannt und geübt.

Bor brachte einen Mann vom Näs, dem noch die Speerspitze in der Brust saß. Fred, welcher Freund und Feind verband, blickte Bor an und sagte: »Bist du verletzt, mein Freund? Du bist so bleich.«

»Nein, ich bin sehr fröhlich. Heute hat die Seele meines Vaters und die Seele deines Vaters endlich ihre Ruhe gefunden. Fin ... ist von meiner Hand im ehrlichen Kampf erschlagen worden ... ich war der Rächer.«

»Oh, immer neues Blut! Nun dürstet Fins Seele nach Rache und Ruhe. Wie lange werden die Menschen sich zerfleischen, wie die Tiere des Waldes? Und wer soll Herr der Sippe sein in dieser Notzeit?«

»Du bist der Herr und Erbe.«

»Nein, nein, ich bin aus zu weichem Holz, um Stock zu sein.« –

Tiefes Schweigen im Walde. Die Toten erstarrten im Frost und wurden zu Eis. Einige Männer und Weiber schlichen sich aus den Hütten und huschten wie Schatten zwischen den Baumstämmen. Es darf nicht verschwiegen werden. Die Steinzeitmenschen des Nordens waren durchaus keine Kannibalen. Aber der grausige Hunger und die Gier nach Speise wütete in ihnen ... sie warfen sich über die Leichen der Feinde, schnitten und rissen Stücke heraus und brieten sie ein wenig. Aber die Leichen der Freunde berührten sie nicht, und in scheuer Heimlichkeit rüsteten sie ihr ekles Mahl – ein Zeichen und Zeugnis, daß es ihren Genossen eine Schande und Scheußlichkeit war.

Nichts ist grausiger und gewaltiger als der Hunger.

Frod war Herr der Sippe geworden, ohne Widerspruch, nachdem sein Bruder vor ihm die Arme verschrägt und sich verneigt hatte: »Du sollst der Erstgeborne sein ... Heil dem neuen Herrn!«

Frod rief als Antwort: »Heil dem neuen Priester! Mein Bruder, friedsam und fromm, wird die Götter anrufen und Opfer bringen.«

»Heil, Heil!« schrien die Männer und schlugen mit den Beilen gegen die Tingsteine. Bor trat in den Ring und bekannte freimütig: »Ich habe meinen Vater gesühnt und Fin erschlagen ... wer fordert Fins Blut von mir?«

Frod antwortete: »Du hast meine Rache mir genommen, Fin sollte fallen von meiner Hand. Fürchte nichts von mir! Aber hüte dich vor Jung-Fin! Er wird ein Mann werden und dein Blut heischen.«

Kein Mahl wurde am Morgen gehalten, weil keine Speise war. Der neue Priester trommelte das Volk zum Tempel und hielt einen neuen Gottesdienst. Er lag nicht, heulend und sein Haar raufend, im Staube vor dem finstren Gott, der Seuche, Pest, Frost und Hunger sendet. Nein, das Bild des Lichten ließ er aus dem dumpfdüstren Raum ins freie Taglicht stellen. Die Hände sonnenwärts gereckt zum Tag-Gestirn, das wintermüde leuchtete, rief er über die langsam sterbende Sippe: »Arm, elend und leer kommen wir zu dir, und keine Opfer können wir dir bringen, du höchster und herrlichster Gott, der du mit dem allsehenden Auge unsere Ausrottung siehst. Können die Toten dir danken und deine Größe rühmen? In sieben Tagen ist es aus mit uns allen, tot ist der Wald, und tot ist das Wasser, tot wird die ganze Sippe sein. Errette uns, ehe wir verderben! Leuchte, leuchte, ewige Sonne! Sende deine Strahlen auf die Erde, die Stein, auf die Förde, die Eis geworden! Erbarme dich unser und errette vom Tode! Scheine, scheine! Strahle, strahle! Wärme, wärme! Gebiete dem Sturm, töte den Frost und sende tröstlichen Tauwind!«

Alles Volk weinte und warf die Hände zum Himmel empor: »Töte den Frost und sende den tröstlichen Tauwind!«

Der Priester redete wie ein Prophet: »Schon wird die Sonne stärker und heißer von Tag zu Tag. Wenden wird sich das Wetter, der Westwind wehen und der Tau tropfen. Heilige Sonne, hilf uns! Laß dein Auge über uns leuchten!«

Von allen Lippen hallte es wie brausender Gesang: »Heilige Sonne, errette uns vom Tode!« –

Der Nordostwind hatte ausgetobt. Schon in der dritten Nacht sprang er plötzlich nach Südwesten um. Am Morgen träufelte es von allen Bäumen. Nichts Ungemeines war der jähe Wetterumschlag nach dem ungewöhnlich langen und strengen Winter. Wenn seine Zeit gekommen, muß der Tauwind wehen. Aber, was die Menschen sahen, war ein Wunder vor ihren Augen, das der Sonnengott getan und der Priester vermittelt hatte. Die ganze Sippe hatte eine große Zuversicht zu dem neuen Priester.

Die Frod-Leute, wie sie fortan hießen, gehorchten dem neuen Herrn, der kein so hartes Regiment wie sein Vorgänger führte, aber seinen Bruder liebten sie von ganzem Herzen. Der Häuptling, der wie alle Tyrannen eifersüchtig auf seine Macht und voll Argwohn war, fühlte mit instinktivem Mißtrauen, daß Fred einen großen Anhang und Einfluß in der Sippe habe, aber er ließ sich nichts merken und bat den Waffenmeister dringend und drängend, möglichst viele von den festgeschafteten Schlachtbeilen, die sich im Nachtkampf bewährt hatten, herzustellen.

»Willst du Fehde führen?« fragte Fred erschrocken.

»Nein, ich will Friede halten mit allen Nachbarn ... starke Rüstung verhütet den Krieg.«

Das leuchtete dem Friedfertigen ein. Oben in der Werkstatt wurden Waffen gehauen und geschliffen, und Bor war sein Gehilfe.

Tagelang troff der Regen. Die Weiber und Kinder sprangen mit Jauchzen hin und her und drückten mit Lachen das Wasser aus den triefenden Haaren. Es war ihnen nach dem entsetzlichen Frost eine Freude und ein Fest, sich von dem Regen bis auf die Haut durchnässen zu lassen. »Essen, Essen!« sangen sie.

Die Männer zerschlugen das brüchige Eis, warfen ihre Netze aus und machten einen großen Fischzug. Oh, wie lustig brannten die Feuer der Steinherde! Und ein Geschmause begann ...

Bor holte seinen Pack aus der Waldhütte. Auch die andern Hunde, die das drohende Verhängnis gewittert und sich versteckt hatten, kamen hervor und winselten fröhlich.

Herr Frod klatschte sich auf den Schenkel. »Haha! Fin, wenn er lebte, würde euch verhauen, ich will euch loben für euren Ungehorsam. Es sind drei Hündinnen darunter, die Welpen werfen werden. Über Jahr und Tag wird jeder seinen Köter haben.« Da wurden alle sehr fröhlich. Der Hund war der unentbehrliche Genosse des Menschen. –

Länger wurden die Tage und leuchtender die Sonne von Tag zu Tag. Man sah mit jedem neuen Morgen, wie das Licht wuchs. In hohen Ehren, wie noch nie, stand die gemeine Auster, die stiegweise verspeist wurde. Die Menschen schwatzten und lachten wieder, wie die sorglosen Kinder. Bisweilen wehten die Lenzstürme und wühlten die Förde auf, aber nach einer solchen Sturmnacht waren die Netze am vollsten.

Als Kan, ein sechs Fuß langer Bursche, in der Abenddämmerung außer Atem aus dem Walde kam und durchs Dorf rannte und rief, er habe fürwahr ein Rehrudel gesehen und zehn Stück gezählt, da wurde des Jubelns kein Ende. Hoioho! Sie tanzten und sprangen, die Alten und die Jungen. Fleisch, Fleisch! riefen die Männer. Feisch, Feisch! stammelten die Kleinsten. Das Hoioho hallte durch die halbe Nacht. Der Wald war nicht tot und das Wild nicht ausgerottet. Die Rudel wechselten in ihre Heimat zurück, nachdem die Pest gewichen und die Luft vom scharfen Frost gereinigt war.

Bei jedem Sonnenaufgang rief die Trommel zum Gottesdienst. Mit Staunen hörten sie des Priesters Rede, daß der Gott keine Opfer begehre. »Was könnten wir ihm in unserer Armut geben? Nein, alles gibt uns die heilige Sonne, die Büsche blühen und Beeren reifen, die Kräuter und Gräser den Hirschen und Rehen wachsen läßt und den Laich im Wasser ausbrütet. Schlechthin alles, alles spendet uns der Sonnengott in freigebiger Güte. Nichtigkeiten, ein Fischlein, ein Fell oder Bernsteinstück können wir ihm schenken, dem großen, gütigen Allgeber, aber keine nichtigen Opfer, sondern Lob und Preis der Lippen und heißen Dank der Herzen begehrt der Hohe mit dem Feuerauge. Die Hände sonnenwärts! Ehre und Anbetung dem großen, hohen und hehren Lichtgott!«

Alle sangen: »Heil und Anbetung, Ehrfurcht und Ehre dem großen Licht!«

Der Priester hatte flammende Augen, und seine Rede klang wie ein feierlicher Schwur: »Lobet und gelobet: Nicht mehr Kinder der Nacht und der Finsternis, sondern Söhne der Sonne wollen wir sein. Hohe und heilige Sonne, segne und schütze und schirme uns!«

Es brauste über Wald und Wasser. Alles Volk sang: »Hohe und heilige Sonne, segne, schütze und schirme uns!« –

Das Lenzfest wurde gefeiert wie noch nie. Die Freudenfeuer schlugen bis zu den Wipfeln der Bäume empor. Vier Rehe und drei Hirsche waren zerlegt und brieten auf den Steinen. Mit Schmausen und Singen wurde der böse Hungerwinter begraben. Sogar die alte Gerda quiekte vor Lust: »Hihi, so große Fröhlichkeit habe ich noch nie gesehen, unter keinem der sieben Herren, die ich leben und sterben sah.«

»Du rechnest schlecht,« rief Frod, »es waren nur sechs, denn ich, der siebente, lebe.«

Das Weiblein kicherte: »Hihi, ich habe hundert Winter weniger zwei gesehen ... willst du wetten, daß ich auch dich überlebe? Hihi ...«

»Was unkst du, du alte Eule?«

Sie schwieg sofort. Ihm blieb eine tiefe Falte zwischen den Brauen stehen. –

Eines Tages kam Frod hinauf, um die Werkstatt zu besichtigen. Die fertigen Beile gefielen ihm. Um eine Probe zu machen, versuchte er mit allen Kräften den Schaft vom Beil zu reißen, aber er lockerte ihn nicht um Haaresbreite.

»Nimm dir noch mehr Gesellen und schaffe ein Beil für jeden Mann, für alle Rotten! Auch Dolche, lange, spitze und zweischneidige Dolche muß ich haben.«

»Warum so viele Waffen ...?«

»Weil uns die heimtückischen Hunde in der Nacht überfallen ...« Ganz unerwartet stellte Frod die Frage: »Wer hat dir den Überfall verraten?«

Fred beugte sich über das Feuer – wurde sein Gesicht so dunkel vom Feuerschein? – und antwortete stotternd: »Ei – einer vom Näs verriet es, verkaufte es für ein Beil ...«

Zu ungeläufig war ihm die Lüge, und argwöhnisch wurde der Herr: »Einer ... oder war es Eine? Hieß sie etwa Funda?«

Fred sprang vom Feuer empor: »Funda – was ist dir Funda?«

Ein höhnisches Lachen: »Hahahaha! Mir ist sie das schönste Weib, das ich gesehen habe.« Er wandte sich ab und ging.

Der Waffenmeister hämmerte fleißig und tieftraurig. Eine düstere Ahnung, daß böses Unheil kommen möge, umschattete ihn.

Tage gingen. Die Sonne stieg ihrer Höhe entgegen. Der Himmel lachte, das Wasser leuchtete, das Rohr am Ufer säuselte und sang. Der Wald war ein Meer von Grün, die Halde ein einziges Blumenbeet, die graue Förde ein glänzender Silbersee, die Welt allüberall ein Wunder geworden. An diesem Sonnentage rasselte die Trommel und rief die Männer zum Ting. Fred ging beklommen. Der Häuptling stand auf dem Stein höher als alle und fragte keinen nach seiner Meinung, sondern bestimmte und befahl: »Die Schandtat der Näs-Leute fordert Sühne, das Blut unserer erschlagenen Krieger schreit nach Rache. Aber nicht wie Nachtgänger wollen wir die Schläfer erwürgen, sondern offene Fehde künden wir an, bis die Rechnung beglichen ist. Wenn die Sonne leuchtet, sausen unsere Speere.«

Der Priester der Sippe riß seine Felljacke auf und rief entrüstet: »Den furchtbaren Gedanken hat dir der finstre Gott ins Herz gesäet. Wir haben in jener unseligen Nacht für einen von unsren Kriegern drei Feinde getötet, wir haben nichts, keine Niederlage, keinen Tropfen Blut zu rächen.«

»Schweigen sollen die Weichmütigen, die beim Anblick von Blut erblassen und feige den Männerkampf fürchten ...«

Fred reckte seine Arme empor: »Ich ehre den Kampf für Heimat, Freiheit und Recht, aber ich fürchte den Zorn Gottes, der mutwillige Fehde haßt.«

Frod ballte die Faust: »Ich werde allen Schwächlingen das Maul stopfen. Bleibe daheim, mein Bruder, brenne deine Töpfe und bete zu den Göttern! Wir machen den Kampf allein.«

»Nein, ich gehe mit meiner Rotte.« –

Zwei der Ältesten gingen dicht an das Näsdorf heran, riefen dreimal Rache und schleuderten einen Speer, in dessen Schaft vier Zeichen – die Kriegsrunen – gekerbt waren, hinüber. Das friedliche Dorf wurde wie ein aufgestörter Ameisenhaufe. Rufe gellten. Die Trommel lärmte. Die Männer auf der Austernbank stießen ans Ufer.

In der Mittagsstunde marschierten die Frod-Leute mit lautem Schlachtgesang. Die neuen Beile waren an die besten Krieger verteilt. Sie hatten auch den kurzen Dolch und die lange Lanze. Die Jünglinge trugen einen Sack mit Wurfsteinen.

Das Dorf, das auf dem flachen Näs lag und auf drei Seiten von der Förde umgeben war, hatte nur einen Zugang. Hier hatte Rafn seine Haufen aufgestellt; die mannshohen Findlinge, die hier lagen, gaben eine vorzügliche Deckung.

Der Lärm der Feinde näherte sich. Jetzt! Jedes Auge stiert, jeder Herzschlag stockt. Mit Schlachtgebrüll stürmen die Frod-Leute den Abhang hinunter und über den spritzenden Sand. Dann stehen sie in breiter Phalanx. Ihre Speere zischen. Ihre Jungmänner sind rasche Schleuderer. Hüben und drüben schlägt der Hagel nieder. Die Getroffenen kriechen auf allen Vieren zurück. Eine ganze Weile dauert der Fernkampf und währt dem ungestümen Frod zu lange. Er brüllt sein Auf – auf und springt allen voran als der erste Stößer. Auf Rafn, den Verhaßten, stürzt er sich mit Wucht und Wut. Der weiß die Stiche abzufangen, springt wie eine Katze dem Gegner in die Flanke und stößt zu. Aber er selbst taumelt, von zwei Frod-Leuten angefallen, ein Speer zerreißt ihm die Hüfte, ein Beil saust nieder, Rafns Schädel zersplittert wie Holz.

Der Häuptling Frod wankt aus dem Getümmel, wirft am Rain sich hin und verstopft die Wunde mit Gras, das den Blutstrom stillt.

Der Priester ist Führer und Feldherr geworden und der Erste im Kampf. Die Rotten folgen ihm. Da laufen die Näs-Leute in langen Sprüngen hinter den Zaun von Holzpalisaden, der die Landzunge absperrt und der letzte Schutz des Dorfes ist. Sie schöpfen Atem und neuen Mut hinter dem Holzwall.

Fred läßt ein Feuer zünden und Holz holen. Als die langen Scheite brennen, winkt er mit einem grünen Zweige hinüber und ruft: »Wir werden Holzscheite werfen und in euren Zaun breite Bresche brennen. Wenn wir stürmen, müßt ihr alle sterben. Warum sollen noch mehr Frauen um ihren Gatten und Bruder weinen, noch mehr Freunde um den Freund wehklagen?«

Kleinlaute Antwort kommt von drüben: »Ihr habt uns mit Fehde überzogen, wir begehren Frieden mit allen Nachbarn ...«

Und zorniger hallt zurück: »Ihr habt uns wie Nachträuber im Schlaf überfallen, dafür sollt ihr Mannbuße zahlen.«

»Des weigern wir uns nicht ... Nan und Rafn, die unsere Führer und Verführer waren, sind tot ... billige Mannbuße bieten wir.«

»Sendet drei von den ältesten heraus, um Frieden zu finden ... freies Geleit schwören wir.«

Frod ließ sich auf einer Bahre von Reisiggeflecht tragen, sobald die Verhandlungen begannen, und sofort hörte man seine mündige Stimme: »Nein, wir befehlen, und ihr gehorcht. Wir fordern, und ihr zahlt ... als Buße heischen wir zwölf der jungen Weiber nach unsrer Auswahl, zwei Dutzend Beile und allen Schmuck der Männer und Frauen.«

Das waren unmenschlich harte Bedingungen. Die Ältesten vom Näs warfen sich in den Sand, rauften ihr Haar und heulten vor Verzweiflung. Nach langem Gekreisch, Geschrei und Gefeilsche wurden die Bedingungen ermäßigt, so daß die Frod-Leute zehn junge Weiber und den schönsten Schmuck nach eigner Auswahl erhielten. Die Mädchen vom Näs standen in langer Reihe, wie auf dem Sklavenmarkt; einige verhüllten das Gesicht und weinten, andre zierten sich zum Schein und schielten durch die Finger. Frods Augen liefen die Reihe entlang: »Die Hübschen, die sich sehen lassen können, dürfen die Hände herunternehmen ... Funda, tritt vor! Dich kenne ich am langen, schwarzen Haar, das in der Sonne sprüht. Du bist die erste, die wir erküren ...«

Die Gerufene strich das Haar, das sie wie einen Schleier über das Gesicht geworfen hatte, zurück und stand in stolzer Haltung mit starrem Blick.

Der Häuptling betrachtete sie mit glühenden Augen, als wenn er ihre Schönheit verzehren wolle, und sagte gütig: »Lächle doch einmal! Du wirst in unsrem Dorfe gute Tage, die beste Hütte, die leckerste Speise, den schönsten Schmuck haben!«

Fred wurde blaß und blasser. Funda antwortete kalt: »Ich muß alle Tage um die Toten trauern und klagen.«

Der Herr der Förde wandte sich an die jungen Krieger, winkte sie der Reihe nach, wie sie Lob verdient hatten, heran und rief zuerst Bors Namen: »Suche dir von den neunen die beste aus, du junger und kecker Kampfhahn!«

Als die Weiber verteilt waren, wurden die Hals- und Armbänder auf den Steinen ausgebreitet. Frod richtete sich auf der Bahre ein wenig auf, verbiß den Schmerz, den die geringste Bewegung ihm bereitete, und sagte freundlich: »Funda, tritt heran! Die besten Stücke gehören mir, dem Herrn. Ich schenke sie dir ... du sollst in meinem Dorfe nicht Magd noch Knechtin, nein, du sollst Herrin sein, Herrintage haben und Herrinschmuck tragen ... suche dir das Schönste aus!« Er sah nicht, daß sein Bruder mit beiden Händen nach dem Hals griff, als wenn er am Ersticken sei.

Funda antwortete verächtlich: »Was soll mir der Plunder, den Trauer um Tote nicht trägt? Ich habe ein heiliges Gelübde getan, daß ich einen Sommer und Winter lang um meinen Vater Nan und meinen Bruder Rafn trauern will, ein Jahr muß ich mein Haar scheeren, einsam und freudlos wohnen, ein Jahr darf ich kein Fest feiern und mit keinem Manne reden.«

Alle waren sprachlos. Nur Fred holte tief, tief Atem. Das Gesicht Frods verfinsterte sich, und seine Seele entsetzte sich. »Weib, du bist von Sinnen! Dein herrliches Haar scheren? Nimmermehr dulde ich es, das daunenweiche, glänzende Haar!« Obgleich seine Hüftwunde sehr schmerzte und sein Mund stöhnte, faßte seine Hand eine Haarsträhne, die er liebkoste.

Das junge Weib riß sich los und redete drohend: »Ich hab's dem Sonnengott geschworen ... wenn mich ein Mann berührt einen Sommer und Winter, so ist es mein oder sein Tod. Höre und behalte es!«

Funda kauerte sich nieder in den Sand und zog die Felljacke ums Haupt, als fröre sie am heißen Tag.

Frod überschüttete sie mit wütenden Worten: »Deine Schönheit willst du schänden und dich zur Unfreien machen ... wohlan, nun sollst du meine Knechtin sein, ich werde dich zähmen, du Wilde.«

Sie blieb taub und stumm. Fred war fröhlicher geworden, aber auch ein Schmerz war in ihm. Er fand Gelegenheit, ihr zuzuflüstern: »Warum willst du ein Jahr lang trauern und mit keinem Manne reden?«

Ihr Blick war listig und wurde leuchtend. Da wurde es helle in ihm, er wußte ihre Absicht, und daß sie durch das Schein-Gelübde Zeit und Frist gewinnen wolle.

Sein Bruder lag auf dem Wundbett, bohrte den Daumen in die Faust hinein und raste: »Alle Feinde kriechen zu meinen Füßen, aber ein Weiblein widerstehet und trotzet mir, haha! Ich zwinge es zu meinem Willen, ich bin der Herr der Förde ... sie wird kommen und auf den Knien mir danken, wenn ich sie zur Bettgenossin erküre.«

Fred trat an die Bahre und sagte: »Du hast Wundfieber ... von neuem blutet die Wunde, ich muß sie verbinden. Dämpfe den Zorn und liege ganz stille, wenn du nicht verbluten willst, mein Bruder.« Frod, der den Wundtod fürchtete, lag fortan ruhig. Ohne Widerspruch hörte er die Worte des Priesters. »Du bist der Mächtigste an der Förde, aber viel mächtiger als alle Fürsten ist der Lichte mit dem Feuerauge droben. Wehe dem, der ihm trotzt! Funda hat dem Sonnengott geschworen, daß sie Sommer und Winter festlos, freudlos, stumm und einsam hausen will. Wehe dem, der sie zwingt, ihr Gelübde zu brechen, der Allsehende wird ihn wie eine kriechende Ameise zertreten. Laß ihr ein Jahr ihren Weg und Willen! Ein Jahr fliegt wie ein Tag dahin.«

»Nein, dem Sehnsüchtigen wird jede Stunde zum Jahr.« –

Ein neuer Friede war geschlossen zwischen den Frod- und den Näs-Leuten. Beiderseits wurde beschworen, daß keine Fehde mehr sein solle, solange die Sonne scheint und der Mond leuchtet, solange der Wind weht und der Regen regnet, solange das Gras wächst und der Kuckuck ruft. Das ist der ewige Friede, den schon die Stämme und Sippen der Steinzeit schlossen, und der von den Völkern der Erde hundertmal beschworen und hundertmal gebrochen wurde.


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