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Vierzehnter Abschnitt

Der Krieg in Südwest ruhte ein paar Monate. Die Reiter und Offiziere langweilten sich, mäkelten viel und munkelten einiges. Es hieß, der Gouverneur Leutwein habe noch vor seinem Abgange die Hereros am Waterberg packen und ins Sandfeld werfen wollen. Er erhielt aber den gemessenen Befehl, nichts zu unternehmen.

Jobst Renner räusperte sich: »Die neuen Männer wollen sich natürlich nicht den Lorbeer vor der Nase wegnehmen lassen. Der neue Herr denkt nicht an Leutweins Abgang, sondern an seinen eigenen, möglichst guten Eingang.«

Die alten Afrikaner ließen den leutseligen Leutwein schweren Herzens ziehen, aber mit noch schwererem Herzen sahen sie dem neuen General, der ein Neuling in Afrika war, entgegen.

Generalleutnant von Trotha erschien in Südwest und erließ eine schneidige Proklamation, vielleicht ein Programm. Darin hieß es: Weil die Hereros sich an der heiligen Majestät des deutschen Namens vergriffen hätten, sollten sie von der südwestafrikanischen Erde vertilgt werden. Von der Vernichtung der Aufständischen wurde mit kräftigen Worten gesprochen. Das war eine Phrase und nicht einmal eine schöne. Die alten Ansiedler und freiwillig dienenden Altafrikaner schüttelten die Köpfe. Ist das eine Aufforderung zum Massaker des Hererovolkes? Diese Kaffern sind ja arge Bluthunde, aber durch Geburt und Sitte Barbaren, die daher barbarisch den Krieg führen. Wenn sie ausgerottet werden, ist die Kolonie wertlos, ohne Neger und Negerarbeit ist Südwest eine Wüste. Oder sollen wir aus Galizien und Polen Arbeitskräfte holen? So fragten die Farmer, und die Geschichtskundigen lächelten spöttisch: Haben nicht die Cherusker, unsre heldenhaften, vielbesungenen Väter höchst barbarisch gekämpft und nach der Varusschlacht den römischen Sachwaltern die Zunge ausgeschnitten? Und als die Matabeleneger in Rhodesia ein gräßliches Gemetzel machten und dreihundert Ansiedler, Frauen und Kinder mordeten, haben da die Engländer sie ausgerottet, weil jene Kaffern sich an der Majestät des britischen Namens schändlich vergriffen hatten? O nein, die Engländer waren klüger, brachten sie zur Raison und brauchen sie als Farmhände bis auf den heutigen Tag.

Das neue Hauptquartier setzte die Abteilungen des Heeres in Bewegung; das geschickte Handeln erweckte eine allgemeine Begeisterung, die Truppe war vom besten Geiste beseelt.

Der alte Pfadfinder pirschte wie ein Gordonsetter hinter einem Duiker her. Bang, bang! Plötzlich fielen dicht vor ihm zwei Schüsse. Einige Frischlinge, wie man die frisch angekommenen Reiter nannte, hatten ihm den Duiker vor der Nase weggeknallt. Einem Weidmann werden bei solcher Überraschung ein Schock Läuse über die Leber, ein Schock Flüche über die Lippen laufen. Jobst hingegen lachte und lobte: »Hier in Afrika ist jeder sich selbst der Nächste.« Als die glücklichen Schützen ihr Wildbret am Spieße brieten, war die Freude klein und das Resultat kläglich; das Fleisch war entweder schwarz verbrannt oder blutig roh und zäh wie Leder. Ein blutjunger Kerl hielt statt des leckren Wildbrets ein scheußliches Stück Kohle in der Hand, machte nach dem ersten Biß ein weinerliches Mäulchen und warf das Zeug weg. Jobst trat heran: »Jungens, ich zeige euch, wie ihr kunstgerecht Hottentottenbeef braten müßt. Die Astgabel muß rein geschält und das Fleisch mit Salz und Pfeffer eingerieben sein.« Er machte es ihnen vor, wie man das Bratenstück bald mit der einen bald mit der anderen Seite über die Kohlenglut hält, bis Saft und Blasen perlen, wie man mit einem kurzen Schnitt sich überzeugt, daß die stärkste Stelle gar ist, wie man dieses Stück abschneidet und also weiter brät und weiter schmaust.

Der Blutjunge aß mit vollen Backen und lachte breitmäulig: »Dieses Hottentottenbeef ist ein delikates Essen für den größten Gourmand.«

Jobst saß am Feuer, wo die Afrikaner gute Kameradschaft hielten resp. eine Clique bildeten, und zeigte mit dem Daumen. »Die Frischlinge lassen sich wenigstens belehren ... aber die neuen Herren ... wenn man auf etwas aufmerksam macht, sehen sie einen an und schnarren: Ihr habt euch für bankerott und unfähig, den Aufstand zu unterdrücken, erklärt; nun sind wir da, um in der Sandkiste Schluß zu machen und euch zu zeigen, wie's gemacht wird. – Ja, sie werden ohne Zweifel unsre Arbeit vollenden, denn Trotha ist ein guter Feldherr und sie haben eine bedeutende Truppenmacht, die wir nicht hatten.«

Im Kriegslager bestand ein offenkundiger Gegensatz zwischen den alten und neuen Afrikanern. –

Sie marschierten dreihundert Kilometer auf der ausgefahrenen Pad zum Waterberg, wo die Hereros genau unterrichtet waren, durch Späher die Truppenausschiffungen in Swakopmund sofort erfuhren und trotzdem mit der uns unverständlichen Negerindolenz, mit Stumpfsinn den Feind von allen Seiten herankommen ließen.

Die Pfadfinder, die bei der aufklärenden Spitze waren, sahen tagelang nichts als verdorrende Dornbüsche, denn es herbstete in dem Lande, das keinen Herbst und nur zwei Jahreszeiten hat. Unter einem Dornbusch lagen sie des Nachts. Erb las auf der überwindigen Seite alle Steine, Morgensterne, Dornen weg, legte den Woilach zusammengefaltet hin, zog Rock und Stiefel aus, machte aus Sattel und Taschentuch ein Kopfkissen, wickelte sich in den Woilach, deckte sich mit Rock und Mantel zu, verstopfte jedes Ritzchen, lag mäuschenstill, um nichts zu verschieben, und schlief stundenlang, bis er halb erstarrt und frostklappernd erwachte. Es fror des Nachts in diesem verrückten Lande, während man am Tage in der Tropensonne briet. Südwest ist ein Hochland, das 1000 bis 1500 Meter über dem Meere liegt, und das ist die Erklärung dieser jähen, tollen Temperatursprünge.

Die Sonne kam rot, groß und glühend und wurde von den Verklammten wie ein Gott begrüßt, denn sie hoben die blauen Nasen und Hände anbetend empor. Sechs Stunden später jedoch schimpften die Sonnenanbeter auf die schreckliche Sonne und Backofenglut.

Um Mittag schrie die Spitze Hurra beim erfreuenden Anblick des Waterbergplateaus, das mitten in der Steppe wie eine steile, gradlinige Riesenmauer steht und als Bergmassiv von rotem Sandstein hundert Kilometer weit von Südwest gen Nordost sich dehnt. Renner war hier vor Jahren viel gewesen, hatte den kürzlich gestorbenen Kapitän Kambasembi gekannt und erklärte den die Karte studierenden Offizieren die Gegend. »Der Waterberg ist für Heere und Heiden unpassierbar, der obere Rand, der Kranz, stürzt senkrecht ab, während darunter eine wüste Schutthalde zur Ebene abfällt. Um das Plateau herum entspringen mehrere Quellen, die stärkste fließt bei der Station Waterberg. Dort hocken die Hereros und haben gute Rückendeckung ...«

»Aber keine Fluchtmöglichkeit nach hinten, und von vorne kommen wir von allen Seiten ... Hurra! Wenn sie nur nicht Verdacht schöpfen und verduften, so haben wir sie im Kessel.«

Jobst lachte etwas schief und sagte nichts. Das neue, zweite Herero-Sedan spukte in allen strategischen Köpfen. –

Es war im August. Trotha, der hier 1600 Flinten, 30 Geschütze und 14 Maschinengewehre hatte, ließ sein Heer in sechs Abteilungen gegen den Waterberg vorrücken. Hinter dem Berg, im Norden, lag Volkmann, um versprengte Haufen abzufangen; in einem Halbkreise um das Plateau herum standen von Südwest bis Nordost die fünf Abteilungen Fiedler, Deimling, Müller, Heyde und Estorf. Der eiserne Ring war also geschlossen und besaß nur den einen bösen Fehler, daß er große Lücken und leere Stellen hatte, sintemal man nicht mit 1600 Mann eine Kreislinie von 100 Kilometern besetzen kann. Später, als das erhoffte Sedan ausblieb, hat man energisch die Sedanabsichten abgestritten. Doch die Kreisaufstellung zeigt, daß man einkreisen wollte. Und bei Okahandja wurde sehr rechtzeitig und sehr vorsorglich ein gewaltiger Dornkral für das ganze, gefangene Hererovolk gebaut – warum und wozu? – Doch weil man stark und stille hoffte, Samuel und sein ganzes Gelichter zu fassen und zu fangen.

Jobst wurde als Ortskundiger von den Offizieren befragt und gab präzise Auskunft. »Ja, das Gelände ist überall dichtester Dornbusch ... Wasser ist reichlich, nur die Weide wird verbraucht sein.« Als man ihn mit höflichem Dank entließ, faßte er sich ein Herz, um drastisch, rauh und redlich seine strategischen Ansichten zu entwickeln. »Meine Herren, was soll die Abteilung Fiedler da drüben im Nordwesten? Die Kaffern werden nimmermehr gen Westen, in die Namib fliehen oder nach Norden zu den Ovambos, die sie unbarmherziger als wir totschlagen würden. Wenn die Hunde im letzten Moment auskneifen, so werden sie unbedingt nach Osten oder Südosten durchstoßen, denn dort haben sie die weitesten Fluchtmöglichkeiten bis in die Kalahari und in englisches Gebiet hinein, denn sie wissen genau, daß John Bull den Feinden Deutschlands nichts Böses tun wird. Die Abteilung Fiedler steht da ganz unnütz und wird keinen Schuß tun. Aber hier zur Rechten, zwischen uns und Estorf, ist die schwache Stelle, wo die schwarzen Kerle sich durchbeißen werden. Nach meiner Ansicht müßte man die Abteilung Heyde, hier zur Rechten, die am schwächsten ist, zur stärksten machen. Schicken Sie Fiedler dahin!«

Die Herren Offiziere tauschten stumme Blicke und dankten kühl. Die alten Afrikaner waren doch arge Krakeeler und Kritikaster. Sie wollten sich schön hüten, ihren General auf Fehler der Aufstellung aufmerksam zu machen, ein Untergebener darf niemals klüger sein als sein Vorgesetzter. Doch es waren im Hauptquartier auch viele einsichtige, unentwegte Männer, die nicht nur ihre Augen, sondern auch ihren Mund aufmachten, wenn es not tat. Fiedler wurde aus der unnützen Abseitsstellung fortgenommen und verstärkte – Deimling, der jetzt verhältnismäßig viel zu stark für seine Aufgabe war – aber nicht die Abteilung Heyde, welche die Achillesferse der deutschen Stellung war und blieb. Das rächte sich.

Jene Offiziere winkten dem alten, kuriosen Lederstrumpf, wie sie ihn nannten. Jobst war taub, guckte nach den Heuschrecken und streichelte den Hund. Da kamen die Herren zu ihm und sagten mit Freundlichkeit und Ironie: »Weil Sie ein strategischer Kopf und ganzer Kerl sind, haben wir für Sie eine Aufgabe, die Kurage und Kaltblütigkeit erfordert.« Jobst antwortete nur: »Bitte die Instruktion!«

Mit seinem Neffen, dem Hunde Oviumbo, einem Witboi und einem treu gebliebenen Herero brach er auf. In der Nacht kletterten sie im Steingeröll des Berges. Die verwegene Patrouille wollte den Berg im Rücken der Feinde ersteigen und das Lager der Hereros aus der Vogelschau auskundschaften.

Erb erblickte auf einer Klippe eine schwarze Gestalt und flüsterte: »Ein Hereroposten!« Der Witboi schielte hinüber und sagte schläfrig: »Is Pavian.«

»Woran siehst du es? Es könnte ein Kaffer sein.«

»Herero liegt immer, schwarzer Minsch steht nicht auf Klippe ... wenn Minsch steht, is Affe oder Weißer.« Der Hottentott beabsichtigte nicht, Europas Söhne zu beleidigen.

Die Deutschen setzten die fürchterliche Kletterei fort. Jobst klebte auf einem Fuße an der Wand, schwebte in der Luft und erreichte zuerst die Höhe, wo er die andren anseilte. Sie kamen auf einem Wege, den ein Kletteraffe nicht zu gehen wagt, auf das Plateau hinauf. Erb hatte den Hund in den Rucksack gesteckt, holte ihn heraus und legte ihn an die Leine. Nach einer kurzen Wanderung wurde der Köter unruhig, schnoberte und zerrte vorwärts. Da! Durch das Gestrüpp gloste der Schein eines Feuers. Die Vorposten des Feindes? Die Deutschen, die das Anschleichen verstanden, krochen heran, der Hund war am Arme festgebunden und unterließ sogar auf Befehl das Belfern. Am Feuer lagen zwei halbnackte, ausgehungerte Gestalten neben dem Kirri und schliefen. Eine nette Feldwache! Zwei Fäuste hoben sich, zwei Schläge in die Schläfe betäubten beide. Die Gefangenen gaben nachher wertvolle Aufschlüsse, um ihren Heißhunger zu stillen. Das sorglose Negervolk habe den Berg nicht besetzt, unter den Kapitänen sei viel Zank und Zwist, viele seien kampfmüde. Aber Samuel habe getobt: Mich und alle Großleute werden sie hängen ... ihr, nicht ich, habt den Orlog gewollt, nun sollt ihr auch fechten bis zur letzten Patrone ... jeden feigen Schakal schlage ich mit dem Schambock tot. Unter den armen Feldhereros und Frauen sei der Hunger sehr groß, jede Unkjiwurzel sei weit und breit ausgegraben.

Was sollen wir mit den Gefangenen machen? fragte man sich. Der treu gebliebene Herero bat treuherzig: »Schieße sie tot, Herr, nur einem toten Herero darf man trauen.« Man konnte die Bitte des schwarzen Gemütsmenschen nicht erfüllen und ließ den Witboi bei den Gefangenen zurück.

Weiter gingen die Kühnen, Oviumbo bildete die sichernde Spitze. Als das erste Taglicht über die Erde und eine Bärenkälte bis an die Knochen ging, lagen drei Leiber auf dem Rande des Plateaus, und sechs Augen lugten in die Tiefe. Das Krähen der Hähne, das Kläffen der Hunde, das Brüllen der Kühe drang von unten deutlich ans Ohr. So nahe waren sie dem Gewimmel drunten in den Dornbüschen. Die Sonne erleuchtete meilenweit das Tal zu den Füßen und die Kirche der Station, wo der grause Mord anhub, und die Kriegswerfte und Maulwurfpontoks des dem Untergange geweihten Volkes. Alles, das große Volk im Halbkreise, die Wasserstelle von Hamakari, die Rinderherden, die zur Tränke zogen, sahen die Späher aus der Vogelschau.

Der Abstieg war leichter, die Erkundigung von ungeheurem Wert. Ein wackrer Leutnant, Auer von Herrenkirchen, erklomm auf dem Wege mit seinen Signalsoldaten und -apparaten den Berg und errichtete zu Häupten des Feindes eine Heliographenstation. Auf einem Stativ wurden die Instrumente aufgestellt, mit denen am Tage vermittelst Sonnenlicht, das in einem Spiegel aufgefangen und durch eine Linse zurückgeworfen wird, in der Nacht durch Azetylenscheinwerfer Lichtsignale nach dem Morsealphabet geblitzt werden. Der mutige Leutnant droben meldete dem Hauptquartier alles, was auf der Höhe beobachtet wurde, Tag und Nacht blitzte der Heliograph. Was haben die unwissenden Hereros sich gegruselt, als in finstren Nächten die grellen, gespenstischen Blitze über ihre Häupter, Hütten und Herden hinschossen. Das waren die bösen Geister, die in der Steinwildnis spuken. Eine Untergangsahnung, ein Grauen vor dem Ende und der Ausrottung ergriff das tausendköpfige Volk mit seiner tiefen Unkultur. Die abergläubischen Neger, die aus Geisterfurcht nachts nicht ausgehen, verkrochen sich in ihren stinkenden Pontoks und zogen die verlausten Lumpen über das Gesicht. Der intelligente, von deutscher Kultur beleckte, aber noch mehr von deutschem Alkohol begossene Oberkapitän Samuel, der Lüderjan, der im Unglück über sich hinauswuchs und wirklich Herrscher wurde, gruselte sich auch und hat nichts getan, um die unheimliche Heliographenstation zu zerstören.

An dem Tage kehrte die Patrouille des Freiherrn von Bodenhausen nicht zurück. O, das war die scheußlichste Tat der schwarzen Bestien. Jobst nahm den Hund und ging auf die Suche. Ihm, der kein Grausen kannte, sträubten sich die Haare. Da lagen sechs nackte, entsetzlich-schandbar verstümmelte Leichen, fünfzig Schritte weiter angebrannte Pferdekadaver und eine blutige Masse, die einst ein Mensch, einer deutschen Mutter Sohn gewesen. Der Alte hob die Hand, wie zum Schwure: »Die Hererotiere sollen wie Tiere sterben.«

Der Hund, der Blut lecken wollte, bekam einen gehörigen Fußtritt. Zum Dank dafür stöberte er ein ausgehungertes Hereroweib auf, das mit zwei Kindern Unkjis suchte und aus Mutterliebe sich zu weit hinausgewagt hatte. Das Weib, das Auskunft geben sollte, war verstockt, richtiger gesagt heldenmütig, und wollte nichts verraten. Es war rührend zu sehen, wie die deutschen Reiter die kleinen, schwarzen, dreckigen Dreijahrskmder mit Speise vollstopften. Als die Mutter ihre Kleinen gesättigt sah, war kein Wort aus ihr herauszubringen, obgleich sie unbeschreiblich mager und heißhungrig war und mancher Leckerbissen ihr verlockend vor Nase und Mund gehalten wurde. Diese armselige Hereroine war in Wahrheit eine Heroin. – –

Morgen war die Schlacht, die große, heiße Entscheidungsschlacht, alle wußten es und waren befriedigt, ja begeistert, daß endlich losgeschlagen würde. Die Germanen bleiben – Gott sei Dank! – trotz der blöden Friedenssucht unsrer Tage ein kampffrohes Geschlecht. Der Hererokrieg hat es bewiesen.

Am Tage vor der Schlacht langte die Post mit abgetriebenen Ochsen im Schleichtempo an. Das gab stets einen Auflauf, den Jobst zuerst gewahrte. Er holte einen Brief und hielt ihn wie eine Siegesbotschaft in der Hand. Erb zitterte, zerriß das Kuvert und stammelte die Sätze: »Das Wiederaufnahmeverfahren ist im vollen Gange ... deine volle Rehabilitation ist ganz zweifellos. Der Unhold von Dienstmann ist gestorben ... das letzte unerklärliche Rätsel, wie der Ring auf die Gasse und in die Gosse geraten, hat sich jetzt auch gelöst. Im Engelschen Hause hat man noch immer den zahmen Affen, der bei dir damals während der Abwesenheit des Chefs im Zimmer war. Man hat das spielerische, unnütze Tier dabei ertappt, wie es eine Damenuhr stiebitzte und unter dem Teppich versteckte. Der Affe hat ohne Zweifel mit dem blinkenden Ringe gespielt und ihn dabei vor deinem Eintritt durchs offene Fenster geworfen. Darüber sind sich die Juristen jetzt einig. Ach, jetzt hat im Grunde keiner an deine Schuld geglaubt ... so sind die armseligen Menschen ... du wirst doch gleich nach Beendigung des gräßlichen Negerkrieges nach Hause und in meine Arme fliegen ...? In meine allein ...? Ich begegnete Ella Ritterhus vor unsrer Haustür und konnte mich des Eindruckes nicht erwehren, daß sie auf mein Kommen gehofft, gewartet habe. Sie fragte nach dir und flüsterte beschämt, ob es wohl korrekt und dir lieb sei, wenn sie dich grüßen lasse ...«

»Weiter! Junge, he! Was unterschlägst du?« polterte der Onkel. Der Neffe nämlich steckte den Brief in die Tasche, sah in die Luft und sagte eine lange Zeit nichts, auf keine Frage und keinen Witz reagierend.

Ohne Worte war sein Glück, jedoch nicht ohne eine Bitterkeit und ein leises Aufbäumen. Er, der der Prügelknabe des Schicksals gewesen und ein Liebling Fortunas geworden war, dachte trotzig: Ich werde mich dem Fräulein, das an meine Schuld glaubte, nicht anbieten ... sie soll mir kommen.

Der Alte schaute seinen Neffen beinahe zärtlich an. »Mein Junge, du wirst morgen verdammt ungern in den Kugelhagel hineingehen.«

»Ja, jetzt würde ich mit schwerem Herzen sterben ... ich glaube aber an Gott, der keinen niederträchtigen Zufall duldet.« – – –

Die Abteilungen des deutschen Heeres waren am 10. August in aller Stille an den Feind herangerückt. Der Befehl lautete: Das Gefecht wird in der Frühe von der Artillerie eröffnet, die Abteilungen gehen gegen den Hererohalbkreis vor und werfen den Feind gegen den Waterberg. Die Losung war Viktoria. Sollte das nicht die Einkesselung am Waterberg werden? Hüben in dem allzu großen Halbkreise standen 1600 deutsche Krieger, drüben in dem weit kleineren Hufeisen lagen 6000 wutentbrannte Orlogleute mit 3000 Hinterladern. Ungleich war der Kampf, denn die ewig sich zankenden Hereros waren einig und gehorchten einem Willen, das vom Untergange bedrohte Volk kämpfte mit dem Mut der Verzweiflung um Freiheit und Dasein, die Kapitäne kämpften um ihre Herden, ihren Hals und Kopf. Die rohen Kaffern fochten mit einer Tapferkeit, die dem Neger fremd ist, und waren durch ihre Späher von allem, auch von der Achillesferse des Gegners unterrichtet. Das erste Sonnenlicht des 11. August benutzte der Leutnant Auer von Herrenkirchen, um vom schroffen Fels über die Feinde hinweg seine Botschaft zu blitzen: Der schwarze Ameisenhaufen ist in wimmelnder Bewegung, die Weiber, Kinder, Kühe werden nach links aus der Gefahrzone gebracht. Der Kampf beginnt.

Die beiden Pfadfinder sind bei der Spitze der Hauptabteilung Müller und reiten neben den Witbois, deren Schlitzaugen luchsartig den Dornbusch durchspähen. Erb denkt: Wie ist dieses kleine, affenartige, den Japanesen ähnliche Hottentottenvolk nach der Südwestecke Afrikas verschlagen worden? Waren sie hier, ehe die Bantuneger kamen? Die ungeschriebene Urgeschichte würde von ungeheuren Völkerwanderungen berichten.

Jobst prüft die vielen Hererospuren, die keine acht Stunden alt sind. Kitumbua, der lange Boy, der neben Oviumbo hinter dem Pferde seines Herrn trottet, klettert in einen Baum, zerreißt sich jämmerlich ohne zu seufzen und entdeckt nördlich ein größeres Feuer – eine Werft! Still und behutsam weiter!

Die Werft ist eben in Eile geräumt. Hausrat, Töpfe, Frauenhauben, ein Kindersandalchen liegen herum, aus jedem Pontok strömt der widerliche Hererogeruch. Hinter einem Türloche liegt ein zerlesenes Altes Testament in der Hererosprache. Erb nimmt es als Erinnerung mit. Der Alte versucht darin zu lesen. Das Kapitel, wo Kain den Abel erschlägt, die Stellen, wo vom Rachegott Jehovah, vom Mord der Feinde Israels gesungen wird, sind mit Eselsohr eingekniffen, von Fingern besudelt und fleißig gelesen. O, an den falsch verstandenen Mordsprüchen der Bibel haben die getauften Bluthunde sich erbaut!

Von Osten hallt starker Geschützdonner. Major von der Heyde scheint tüchtig loszupfeffern. Im Hamakaririvier reiten die Witbois mit der Spitze weiter. Drüben ... dort stehen scheinbar ohne Wache große Herden, die Tiere brüllen und glotzen die Reiter an. Das Herz schlägt, die Spannung wächst, schwarze Gestalten krauchen schlangengleich im Busch; Töne von Menschenstimmen wehen von dort hinüber. Jedes Gewehr fliegt aus dem Schuh. Da pfeift eine Salve über das Rivier. Zurück in den deckenden Busch! Die Spitze hat den Feind. Die Kompagnien kommen, alle gehen in Sprüngen vor.

Kitumbua soll die Gäule halten, gibt die Zügel einem andren Pferdehalter und springt wie eine Heuschrecke. Erb sieht neben seinem Stiefel die gefeilten, grinsenden Zähne des Exkannibalen, an den Oviumbo schutzsuchend sich schmiegt. »Was willst du hier? Bist ja unbewaffnet.«

»Viele werden bald mausetot sein, und Kitumbua wird Gewehr haben,« sagt der Neger, der nicht lange zu warten braucht.

Ekelhaft dicht an den Köpfen zischen die Kugeln. Alles drückt sich in die Erde hinein. »Weiter ... Schnellfeuer!« schreit der Hauptmann. Mit Bajonett und Hurra rennt alles gegen den todspeienden Buschrand. Hier ... dort ... da ... knickt, sinkt, schreit, stöhnt eine Gestalt. Die Schwarzen fliehen – und setzen sich in den nächsten Löchern fest. Jobst zielt mit der nicht fehlenden Büchse und brummt vor sich hin: »Bravo, ihr Schweinehunde, heute kämpft ihr brav.«

Die Maschinengewehre gehen vor, um den Schützen zu helfen, und rattern, die Erde spritzt und sprüht, die Zweige krachen unter dem Eisenregen. Das schafft Luft und ist den Schwarzen zu viel. Man hört drüben ein Schimpfen, Schreien, Jammern – die Wirkung der bösen Kugelspritze! Aber auch unsren gelben Bundesgenossen, den Witbois, wird's zu gefährlich, die Schufte machen kehrt.

Die Deutschen gehen jedoch mit Marsch-marsch vorwärts. Erb duckt fortwährend den Kopf, den Kugeln immerzu umpfeifen, seine Züge zucken nervös. Nur jetzt nicht von der Hand der Wilden sterben, ehe sein Schild blank ist. Der Alte dagegen hat ein völlig unbewegtes, spitzes, gespanntes Geiergesicht; seine harten Häheraugen suchen einen Einzigen, suchen Kapitän Josua und sehen ihn nicht. Dabei entgeht ihm nichts. Einem Soldaten, der Munition vergeudet, schreit er zu: »Mensch, was schießen Sie blindlings auf den Busch Teufel komm heraus!« Einen andren, der ganz kopflos statt hinter der Erderhöhung oben darauf liegt, zieht er einfach an den Beinen zurück.

Drüben umsäumen Viehkrale die Wasserlöcher. Das Wasser müssen wir haben! Das elende Wasserloch ist das heiß umstrittene Kleinod in allen Schlachten des Durst- und Dornenlandes. Hilfe naht mit Donnergruß. Die Kanonen werfen ihre Granaten über die Schützen hinweg, die großen Rohre rasieren die Dornen, erfüllen die Hereros mit Angst und die Deutschen mit Mut. »Sprung – Marsch-marsch!« Der Hauptmann kommandiert's und geht kühn voran. Aber von drüben kommt der Tod in gewaltigem Geknatter. Gewehre fallen aus kraftlosen Händen. Einer schreit: »Ich bin hin ...« Da ... dort stürzen sie, als wenn ihnen ein heimtückisches Bein gestellt sei. Ein Braver will seinem Kameraden hochhelfen: »Korl, komm mit!« Der arme Karl mit dem weit offenen Munde wird nie mehr Antwort geben. Wie scharfer Peitschenknall zischen die Geschosse.

Ach, hier ist nicht zum Aushalten. Der Hauptmann flüstert den Befehl, der leise von Mund zu Mund geht: »Seitengewehr pflanzt auf! Sturm ... Sprung!« Die Maschinengewehre rattern, rasen, ihr Geschoßschwarm fegt heulend über die Hereros hin; wild schlagen die Herzen. Der Hauptmann steht hoch und wie ein Held im Feuer. Die Reiter rennen vorwärts. Alle bluten – vom Hackidorn. Sie werfen nur dreißig Schritte vor den Hereros sich hin und feuern. Der Hauptmann schießt eine schwarze Riesenraupe aus dem Baume herunter. Eine Sekunde später durchzuckt ein Blitz den männlich mächtigen Körper, das Haupt ist von Blut überströmt, die Kugel ging durch das Auge. Der unsterbliche Held heißt Hauptmann Ganßer.

Drüben wimmelt es noch ärger, die Neger erhalten Verstärkungen; einige sind ganz nackt, andre tragen deutsche Korduniformen. Leutnant Leplow ruft mit heller Stimme: »Die Kompagnie hört auf mein Kommando.« Von drüben aus dem Busch klingt ein Kreischen, Klatschen der Peitschen, das Kriegsgeheul der Weiber, die ihre Krieger anfeuern. Die Kapitäne treiben mit dem Schambock ihre Sklaven in den Kampf, die vorwärts gestachelt von Deckung zu Deckung rennen. Leutnant Leplow ist totwund und kommandiert, obgleich vor Schmerz gekrümmt, kalt und laut: »Halt, halt! Nicht weichen!« Doch die Deutschen können sich gegen die rabiate Übermacht nicht halten und kriechen zurück. Ein Sergeant, ein Gefreiter und Jobst wollen den Leutnant nicht liegen lassen und heben den Körper. Ein Schrei ... noch einer! Der treue Sergeant, der Gefreite sind tot. Jobst hat auch einen Armschuß und schleppt trotzdem den Leutnant rückwärts. Da naht der unvergeßliche Januschewski – wahrlich dieser Unteroffizier hätte den Orden pour le mérite verdient – und ruft: »Halt, liegen bleiben!« Die Lebenden bleiben, gleichwie die vielen Toten, liegen. Das Maschinengewehr hält die Feinde, die seinen schrecklichen Streuhagel kennen, in Respekt. Januschewski läßt seine mörderische Kugelspritze meisterhaft spielen, so hat noch keine Mitrailleuse gerast. Aber, o weh, von dem alles erhitzenden Schießen kocht und verdampft das Wasser im Kühlmantel, die Munition wird knapp. Die Köpfe blicken sich hilfesuchend um, die Schwarzen werden frecher.

Plötzlich stocken die Schüsse ... ist das der Schluß und das grausige Ende? Entsetzt schauen die Reiter sich an. Januschewski ruft: »Leute, setzt mit dem Karabiner ein, was ihr könnt! Der Lauf muß abkühlen ... Wasser fehlt, Wasser her!« Eibenheim, andre wackre Reiter reichen ihm ihre Flasche, ihre letzte Labung und sagen schlicht: »Hier ist mein Tee.« Der Tee fließt in den Kühlmantel, wie ein Tropfen auf glühenden Stein. Wieder knattern einige Salven. Dann ein Klick – Knack! Das Gewehr versagt. Die deutschen Herzen stehen still. Das Ende ist da. Horch! Die Hererohunde haben es gemerkt und erheben beim Versagen des Rohrs ein Hohngelächter. Mit Schnelligkeit springen die wutverzerrten Paviane mit dem fletschenden, weißen Gebiß auf 60, 50, 40 Meter heran. Sie fassen den Kirri, bald haben sie das heiß begehrte Maschinengewehr. Ein baumlanger Kaffer, allen voran, höhnt in gebrochenem Deutsch: »Dütschmann, wir soll schnell helf.« »Ja, ich will dir helfen, du Hund,« sagt Jobst und schießt den Kerl über den Haufen.

»Wir sterben alle,« seufzt ein blutjunger Soldat. Es ist ein Augenblick furchtbarster Spannung. Erb trifft und tötet zwei ... drei Hereros, und seine Lippen bewegen sich, beten: »Mein Gott, laß mich nicht sterben so kurz vor dem Ziel!«

Da, wie ein Tedeum klingt's, da rasselt das Maschinengewehr mit frischer, voller, verheerender Kraft, reißt Lücken und mäht die Stürmer nieder, die zähneknirschend weichen. Das war die Rettung. Doch auch die Deutschen machen eine Rückwärtsschwenkung. »Was war denn los, Januschewski?« »Eine Laufquellung!« In einer halben Minute haben er und seine zwei Leute einen Reservelauf eingesetzt. Auch ein Meisterstück des tapfren Mannes!

Die Kanonen poltern in Karriere heran, über kleine Büsche hinweg, die Reiter greifen in die Speichen. Abgeprotzt! Jubel begrüßt die ersten Schrapnellschüsse, die in der Werft von Hamakari zünden und die Pontoks in Fetzen reißen.

Die Kompagnie stürmt die Werft. Jobst sucht unter den Fliehenden eine ungeschlachte Gestalt, in der eine Menschenbestie wohnt, würde ihn unter Hunderten sehen und findet ihn nicht. Josua spielt nach jenem Keulenschlage noch den Kranken und ist hinten bei seinen Ochsen geblieben.

Erb durchsticht einen sterbenden Herero, der auf ihn anlegt. Noch ehe er sein Bajonett herausgerissen, steht ein Schwarzer, steht ein Neger mit hochgeschwungenem Kirri vor ihm. Instinktiv prallt er zurück – das Verkehrteste, das er tun kann. Sein Hund jedoch fährt blitzschnell dem Neger in die Waden. Bei dem Biß taumelt der Herero zur Seite, in der Viertelsekunde hat der Deutsche sich besonnen, seinen Kopf und Körper zum Sprunge geduckt und mit einem Stoß in die Bauchhöhle den Gegner gefällt. Oviumbo, der Renegat, will seinen Landsmann zerfleischen; aber sein Herr nimmt den Herero gefangen.

Um Mittag wird es mit einem Male rätselhaft still auf der ganzen Kampffront. Warum, erfährt man am Abend. Hinten, hoch in der Luft, taumelt der Fesselballon, der das Hauptquartier bezeichnet. Auch die Herero wissen es, wissen alles. Trotha leitet durch Lichtspruch den Kampf seiner fünf kleinen Heere und sitzt auf einer Deichsel, ein sorgenvoller Mann, dem es nicht nach Wunsch und Berechnung geht. Was ist das? Kugeln pfeifen um ihn her und schlagen in seine Stabskarre. Von hinten, von der Flanke! Die Hereros, die er umzingeln, vernichten wollte, greifen mit gellendem Geschrei das Hauptquartier, den Verbandplatz und Wagenpark an. Das war die Ursache der Stille. Die Batterien machen kehrt, alle verfügbaren Mannschaften gehen im Laufschritt zurück, um Hauptquartier und Heerführer zu retten. Der tapfre General hält ein Gewehr, liegt auf der Erde, wie ein gemeiner Soldat, der freche Angriff wird abgeschlagen.

Es ist drei Uhr. Trotha erhält durch den Heliographen gewisse, aber nicht gerade gute Nachrichten von den Abteilungen. Seine schönen, etwas zu optimistischen Hoffnungen werden zu schanden. Deimling hat zwar Waterberg genommen, muß aber seinen Truppen Ruhe geben und kann nicht bis Hamakari vordringen, um den Ring zu schließen. Noch weniger ist von der Heyde, der sich kaum der Hereros erwehren und an ein Einkreisen nicht denken kann, dazu im stande. Der General sinnt sorgenvoll und gibt Befehl, durch einen Sturmangriff der Abteilung Müller die Wasserstellen bei Hamakari zu nehmen. Er soll und muß sie haben, um den entsetzlichen Durst seines Heeres zu löschen.

Die deutschen Krieger setzen ihre letzte, aber volle Kraft ein und geben Schnellfeuer. Es kracht und donnert, es heult und hagelt; der Tod hält noch einmal Ernte in dem Finale der Schlacht.

Die kostbaren, kläglichen Wasserlöcher sind genommen. Das Schießen dauert fort bis in die Dunkelheit hinein. Siehe, ein Feuerfanal leuchtet am Nachthimmel. Der Fesselballon hat sich entzündet und brennt wie eine Riesenfackel. Die totmüden Streiter liegen um die Wasserlöcher herum, das Gewehr im Arm, das Haupt auf dem Sattel, Posten bewachen die Löcher, denn das karge Naß wird genau und knapp zugemessen. Die Glieder lösen sich, die Gedanken versinken im tiefen Schlaf, unruhig wälzen sich die Träumenden: Wird morgen die Blutarbeit von neuem beginnen?

Jobst, der Mann ohne Nerven, konnte vor Bitterkeit kein Auge schließen, horchte in die Nacht hinaus und hörte das Stampfen der hungrigen Pferde, die zwei Pfund Hafer erhalten hatten, und dumpfes Rindergebrüll, das in der Ferne sich verlor. Nur die Schakale, die Fraß genug fanden, waren ganz still und keiften nicht in dieser Nacht. Er fluchte in den Bart: Verd–, da drüben rücken sie aus, wie ich sagte. Dreimal verd–! Ich Lump, ich habe meinen Racheschwur nicht gehalten und die Bestie nicht erwürgt. Die Missionare, die solche Tiere taufen, sind Toren. Der Feigling hat die andern ins Feuer geschickt. Bei dem rächenden Gott, der am Morde des Meuchlers Lust hat, ich muß ihn in meinen Händen halten, hängen, nein, ins Feuer werfen, ins Feuer, das er den Säuglingen schürte. O mein Weib, mein armes, o meine Schmach und Schändung ist ungesühnt. Josua, Josua, ich finde und fasse dich, und wenn ich dir durch die Kalahari bis an den indischen Ozean folgen müßte.

Der Pfadfinder stand schon um drei Uhr auf, nahm beide Pferde, um einen Halm zu suchen, und weckte »Eierkuchen«, damit Kaffee gekocht werde. Es fror so, daß auf den Tränkeimern eine Eisschicht war. Das ist eine schlimme Eigenschaft des gelobten Landes, daß man am sonnenglühenden Tage unter dem Äquator und in der eisigen Nacht unter dem Polarkreis zu wohnen wähnt und an seinem Leibe spürt.

Jobst nahm Oviumbo mit und schälte die Rinde von den Bäumen, die er den Gäulen zu kauen gab, denn auch nicht ein Halm war stehen geblieben. Drüben im feindlichen Lager herrschte eine Totenstille. »Such, Oviumbo!« Der Köter lief in die Werften hinein, kam belfernd zurück und bellte – das gescheite Tier meldete: Nichts da!

Die Hereros waren unbemerkt verschwunden.

Die frostklappernden Helden des 11. August sprangen auf die Füße, trampelten, tanzten und machten die vertracktesten Bewegungen. Kitumbua brachte seinen Herren glühend heißen Kaffee und wies die vielen Bittenden kurz ab, bis seine Banas getrunken hatten. Großmütig verschenkte er den Rest im Kessel, so daß Erbenheim sagte: »Der gutmütige Kerl hat sich selbst vergessen.« Der edle Diener grinste, denn er hatte selbstredend zuerst seine Ration vorweggenommen. Kitumbua war bei aller Treue kein Ochse, der sich selbst das Maul verband.

In Purpurpracht ging die Sonne auf, vergoldete das rötliche Gestein des Berges, der in wunderbaren Farben glühte und glimmerte – ein herrlicher, erhebender Anblick! Die Sonne wärmte und belebte das erfrorene Heer.

Das Unerwartete bestätigte sich, das höchst Unerwünschte: Die Hereros hatten ihre Stellungen geräumt, um der Umzingelung zu entgehen. Das barbarische Negervolk hatte einen dicken Strich durch alle strategischen Sedanpläne gemacht, hatte selbst mit taktischem Scharfblick die feindliche Absicht und den einzigen Ausweg rechtzeitig und richtig erkannt.

Der Heliograph brachte dem General böse Nachrichten. Die Abteilung Heyde war kaum dem Untergange entronnen und hatte den ganzen Tag um ihr Leben gerungen. Dort war ja der schwache Punkt des deutschen Hufeisens – und diese Abteilung hatte nur 180 Flinten und ein paar Geschütze! Auf diesen schwächsten Punkt der Aufstellung stürzte sich das ganze, große, bei Hamakari und am Waterberg geschlagene Hererovolk mit der ganzen Wucht und Wut der Flucht und Rettung suchenden Verzweiflung. Was die alten Afrikaner prophezeit hatten, war geschehen. O, Schlimmes, Schreckliches hatten die Helden dort durchgemacht. Die vierzigfache Übermacht brach von allen Seiten über sie herein. Es kamen entsetzliche Augenblicke, wo keiner glaubte, daß jemand am Leben bleiben würde. Der tapfre Führer sagte am Abend bewegt: »Wer von uns nicht beten konnte, der hat es heute gelernt.« Gott half aber den halbtoten Deutschen, daß es ihnen gelang, ein gesichertes Lager zu beziehen. Dort hörten sie, wie das ganze Volk mit Weibern, Kindern, Herden und Hunden in einer ungeheuren Staubwolke die ganze Nacht vorüber und gen Südosten nach dem Omuramba zog.

General Trotha saß mißmutig auf seinem Feldstuhl und gab den erschöpften Truppen einen Ruhetag, denn er mußte ihn geben. Die Schlacht am Waterberg war kein Sedan, keine Einkesselung des Volks, für das der große Kral schon fertig war, geworden. Ein Sedan war das gewißlich nicht, aber doch ein ganzer, voller Sieg, ein vernichtender Schlag für die Aufrührer und Ansiedlermörder und ein Ruhmestag, an dem die Tapferkeit des deutschen Soldaten und des deutschen Offiziers im alten, hellen Glanze blank und bewundernswert strahlte. Freilich, man hätte das früher billiger und darum besser haben können. Leutwein hatte bereits im Juni mit seiner geringeren Truppenmacht die Hereros geschlagen und ins Sandfeld gejagt, wenn man ihm nicht die Hände gebunden hätte. So redeten die alten Afrikaner, und wohl nicht mit Unrecht.

Die neuen Herren bestritten hinterher jedwede Sedanabsicht. Mit 1800 Mann könne man nicht eine Linie von hundert Kilometern besetzen, und es sei unsinnig, von einem Durchbruch der Hereros zu reden. Ja, wenn dem so wäre, dann wäre die Zersplitterung des Heers in fünf Abteilungen ein Unding, vielleicht ein Unsinn gewesen, und man hätte mit der ganzen, überlegenen Truppenstärke den Angriff gemacht. –

An dem 13. August kam ein Treckwagen mit der Post, und wieder war ein Brief da für Erb von Eibenheim. Der Empfänger las lange und blieb stumm. Der Oheim stieß ihn in die Rippen. »Um Gottes willen, rede doch, mein Sohn! Der Schreck schlägt mir in die Beine...«

»Ich bin im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen worden ... der Va–, der Landgerichtsrat hat, da meine Unschuld bewiesen sei, eine entsprechende Entschädigung beantragt ... alle Zeitungen zu Hause besprechen meine Ehrenrettung ...«

»Hurra, nun kannst du dich an jedem Offizierstisch breit machen ... warum singst du nicht, mein Sohn?«

»Ich fühle mich so klein und zu gering all der Güte und all des Glücks. Nun bin ich von der steten Angst, als Spitzbube entlarvt zu werden, erlöst... unschuldig verurteilt, unschuldig bin ich... aber schuldlos an meinem tiefen Falle bin ich nicht... ich führte den Alkohol zum Munde, ich nahm die entsetzlichen Karten in die Hand. Dafür mußte ich so hart und grausam büßen...«

»Hat deine liebe Mama dir eine Buß- und Moralpredigt gehalten, ja nicht mit den Offizieren zu saufen und zu jeuen?«

»Nein, wer sich so arg verbrannt hat, scheut das Feuer, und wer am Ertrinken war, fürchtet das Wasser ... da ... da ist noch etwas Rätselhaftes ... meine Mutter schreibt ... daß Ella mit noch zwei andren jungen Damen in den nächsten Tagen auf einem Woermanndampfer nach Swakopmund reisen wolle ... um ... um die Verwundeten und Kranken zu pflegen ... das ... das verstehe ich nicht...«

»Aha, oho, das kapiere ich komplett und sofort.« Jobst legte den Finger an die Nase. »Ich bin ein Frauenkenner ... ih, nun mußt du diplomatisch sein, mein Junge, und hinken und über Rheumatismus klagen oder die Brust drücken und ein bißchen Blut spucken, damit der Stabsarzt dich beklopft und ins Lazarett nach Windhuk schickt. Du mußt doch die Damen im Namen der Armee empfangen.«

»Nein, du bist weder ein Frauen- noch Männerkenner ... ich sollte ein Simulant und Drückeberger sein? Lächerlich! Ich gehe mit dir und dem Heere durch Busch und Sand, durch Durst und Dornen, bis die Hunde die Waffen strecken und der Kapitän Josua gehenkt ist.«

Der Alte lachte breit und glücklich. »Du sprichst wie ein alter, echter Afrikaner. Bald werde ich dir, wie jenem Scipio, den du in der Schule auswendig lerntest, den Ehrennamen Erb Afrikanus geben.«


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