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Der erste Tagesmarsch der Safari war kurz, nach zwei Stunden wurde das Lager aufgeschlagen. So wird es stets gehalten, einmal um Vergessenes schnell herbeizuschaffen und Nachzügler zu erwarten, besonders aber, um die Leute nicht gleich durch Strapazen kopfscheu zu machen, sondern gelinde von der Küste wegzubringen.
Am Morgen wimmelte es im Lager von Leuten, die nicht dahin gehörten. Die Askaris haben meist eine oder zwei Frauen oder Freundinnen, mit denen sie in zahmer oder wilder Ehe leben. Die Träger wurden von ihrer ganzen Sippschaft begleitet. Das Geschnatter wurde zum Schmerzgeheul, als der Befehl erging, das Lager zu verlassen. Die Pfadfinder nahmen zehn Askaris und trieben die heulende Horde vor sich her und nach der Küste zurück.
Jobst fragte seinen Neffen: »Hast du schon einen Boy, wie der gute Deutsche hier sagt, einen Leibdiener und Burschen zu deiner persönlichen Aufwartung und zu deinem täglichen Ärger?«
»Nein.«
»Dann müssen wir einen haben.« Der Afrikaner griff in die Horde hinein und holte einen siebzehnjährigen Bengel heraus, der ein freundlich-pfiffig-freches Gesicht, die dicken Lippen, die platte Nase, die fletschenden Zähne seiner Rasse und als besonderes Kennzeichen auf dem ganzen Hinterkopf eine Tonsur, einen haarlosen, häßlichen Hinterschädel hatte.
»He, hast du einen Vater?«
»Ich weiß nicht, Bana, ob ich einen habe.«
»Hast du eine Mutter?«
»Da geht sie.«
»Gut, willst du Boy bei diesem Herrn sein? Viel Essen kriegst du, fünf Rupien im Monat und sechs, wenn du nicht stiehlst.«
Bei diesen Aussichten strahlte das schwarze Gesicht.
»Wie heißt du denn?«
»Simba.«
Es war zum Lachen, daß der Knirps Simba, d. i. Löwe, hieß. »Haha, bist du so ein Löwenkerl, oder hast du einen Löwen getötet?«
»Nein, ein Löwe hat mich nachts aus dem Hause geholt, im Rachen eine Strecke fortgetragen und mir die Kopfhaut abgerissen, darum heiße ich Simba.«
Das Weib, das er als seine Mutter bezeichnet hatte, näherte sich aufgeregt, wie eine Löwin, der man ihre Welpen nehmen will. Sie hielt den Bengel, der sich energisch der Mutterzärtlichkeit zu entwinden versuchte, mit beiden Armen und beteuerte unter Tränen, daß sie sich ihren Sohn nicht vom Herzen reißen lasse, auf keinen Fall, um keinen Preis – wenn sie nicht fünf Rupien erhalte. Als das Geld gezahlt war, erklärte sie seelenruhig: »Bana, wenn du zehn Rupien gibst, kannst du den Bengel für immer behalten.«
Der Bursche fürchtete, daß seine glänzende Stellung ihm entgehen könne, wischte ihr unter den Armen weg, lief dem Lager zu und machte eine lange Nase, was sein gerührter Abschied von der Mutter war. Die schwarzen Afrikaner sind Gemütsmenschen.
Das Weib bellte erbost: »Der Balg ist nicht mein Sohn, ich habe den Bastard auf der Straße gefunden.«
Simba schien, wie viele Neger, weder einen Vater noch eine Mutter zu haben und war ein unerzogener Schmutzfink, der eine dunkle und dreckige Haut und einen sehr hellen Verstand hatte. Was er in den ersten vierzehn Tagen vertilgte, war schier unheimlich; der arme Kerl war offenbar großgehungert und großgeprügelt worden und ein schwarzes Ziehkind gewesen.
Die Safari brach auf, um am zweiten Marschtage dreieinhalb deutsche Meilen zu machen. Die sonnverbrannte Steppe bot auf allen Seiten das gleiche, gluterfüllte Bild des öden, grellen Einerlei. Die Negerpfade liefen hier in der Küstennähe kreuz und quer.
Die Führer waren an der Spitze, scheinbar gedankenlos und unachtsam stapfte Jobst vorwärts, sodaß der junge Mann bedenklich fragte: »Ich fände nicht nach Daressalam zurück ... hast du auf den Weg und die Himmelsrichtung geachtet? Nach meiner Meinung gehen wir zu weit nach links, zuweit nach Süden ...«
»Unsinn! Noch mehr links wollen wir halten.«
»Sieh doch mal den Sonnenstand dir an! Wir gehen falsch ... ganz falsch ...«
»Willst du mich belehren? Ich habe zwanzigmal den Weg nach Tabora gemacht, im Halbdunkel und Halbdusel fände ich die Wasserstellen bis dahin. Das Grünhorn hat vergessen, daß hier die Sonne im Norden steht, sintemal wir südlich vom Äquator sind.«
»O, ich Dummkopf!«
»Laß die Neger nicht hören, daß sie einen so landeskundigen Pfadfinder haben, sie könnten das Vertrauen zu unserer Führung verlieren.«
Erb blickte von einer höheren Erdwelle zurück. Die Negerpfade gestatten nur die Kolonne zu einem, den Gänsemarsch. Der endlose Menschenzug dehnte sich über zwei Kilometer und sah aus wie ein spindeldürres, tausendfüßiges Riesenreptil, das durch die Steppe in Schlangenwindungen kroch. »Wie der Tausendfuß unserer Safari sich schlängelt! Ist das nicht schön?«
»Nein, das ist infam! Nimm unsren Esel und treibe die Nachzügler vorwärts, damit die letzten sich nicht drücken mit ihrer Last!«
Erb bestieg den Maskatesel und fühlte den Auftrag aus. Mit den Fingern hielt er sich die Nase fest zu, denn ein grauenhafter Geruch umwob die Trägerkolonne und schlug ihm wie stinkendes Aas ins Gesicht. War das die berüchtigte Ausdünstung des schwitzenden Negers? Rochen die Kerle so pestilenzialisch? Nein, sie trugen am Schurz große Stücke getrockneten Haifisch, der für die Schwarzen ein Leckerbissen und für die Weißen die wahre Pest ist. Der getrocknete, an der Küste billig verkaufte Haifisch riecht wie zehn faule Fische und ist dem Neger ein Wohlgeruch Arabiens und eine Speise der Götter.
Die Wasserstelle ist stets der Rastort. Erb gab seinem Burschen, dem eine Generalreinigung not tat, ein Stück Seife. Nach einer Stunde war die Seife völlig verbraucht, Simba jedoch mit derselben Schmutzkruste bedeckt wie zuvor. Ins Gebet genommen, zeigte der Bengel mit der unschuldigsten Miene auf seinen Paus – er hatte die Seife innerlich angewandt und als Zukost zum trockenen Maisbrei verzehrt. Der Herr hat ihn gebadet und gebürstet und das Gebot »Du sollst dich dreimal täglich mit Seife waschen« ihm eingeschärft.
Am dritten Tage hatte Erb ein halbes, gebratenes Perlhuhn im Blechkasten für seine Abendmahlzeit aufgehoben. Als er um sechs Uhr seinen Hunger stillen wollte, war der Kasten leer. »He, wo ist das Huhn?«
Simba sah mit Unschuldmiene seinen Herrn an und sagte: »Huhn ist fort – fortgeflogen.«
»Ja, in deinen Magen ist es hineinspaziert.«
Der Diener bückte seinen Rücken, um seine Prügel hinzunehmen. Doch der Herr schärfte ihm das siebente Gebot ein mit dem Beschluß: »Wenn du das Gebot übertrittst, schreibe ich es dir mit dem Kiboko siebenmal auf deine Haut.«
Zwei Tage hielt der Bursche das Gesetz Moses, aber am dritten fuhr er auf dem Wege von der Kochstelle zum Zelt mit den schmierigen Fingern in die Wildragoutschüssel seines Gebieters hinein und fischte die besten Stücke heraus, die er wie ein Pelikan verschlang.
»Du Schwein!« brüllte es.
Simba setzte schnell die Schüssel auf den Tisch, bog den Körper, bis der unedelste Teil alle edlen überragte, und bat: »Bana, schlage mich siebenmal!«
Er betrachtete die Prügel als den Preis, den er für den unerlaubten Schmaus zahlen müsse.
Trotz aller Belehrung konnte der Boy das Naschen nicht lassen, beichtete aber selbst nach einem Mundraub seine Sünde durch die gebückte Stellung.
Alle Tage hörte man im Lager das Geheul irgendeines Delinquenten, der seine verdienten Hiebe bekam. Eine Unmenge von halbwüchsigen Burschen bildete nämlich das lästige, unvermeidliche Gefolge der Safari. Jeder Askari hatte seinen Boy, der ihn bediente, dafür, was von der Ration des schwarzhäutigen Herrn übrig blieb, und zwar nicht immer einen Lohn, wohl aber die Hoffnung auf ein paar Rupien und außerdem eine auskömmliche Anzahl von Ohrfeigen und Püffen erhielt. Sogar viele Träger hatten einen Buben gedungen, der ihren Wasserkessel und ihre Armseligkeiten trug, vom Abfall und Abhub sich ernähren mußte und natürlich auf jede Weise seinen Schakalhunger zu stillen bestrebt war.
Alle Morgen vor fünf Uhr weckte der Bläser, denn bald kam die unbarmherzige Sonne. Um die paar kühleren Stunden zu benutzen, wurde nach einem Schnellimbiß aufgebrochen.
Erb litt sehr unter der Hitze, klagte aber nie. Doch der Weg ärgerte ihn, wie jede Unvernunft den gesunden Menschenverstand in Harnisch bringt. Ein von vielen nackten Füßen ausgetretener Pfad, auf dem nur einer nach dem andern gehen konnte, der unglaubliche Windungen machte, jeden gestürzten Baum, jeden Termitenhügel, jeden Dornbusch, jedes Loch im weiten Bogen umging – das war die große Karawanenstraße nach Mpapua, die von Tausenden von Negern, Europäern, Arabern, Indern begangen wurde.
Erb sagte ärgerlich: »Warum schaffen die Dummköpfe nicht die Hindernisse aus dem Weg? In Afrika scheint man nicht zu wissen, daß die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten die gerade Linie ist.«
Jobst lachte. »Der bequeme Neger bückt sich nicht und räumt nichts für sich selbst, geschweige denn für seinen Nachfolger und Nächsten aus dem Wege. Diese Straße ist für Afrika vorzüglich, auch die Wärme ist moderat ... wir haben nur 3O Grad Celsius im Schatten ... es kommt bald besser.«
»Eine nette Glut!«
»O jetzt, von August bis Dezember, haben wir die trockene, angenehm kühle Zeit im Lande, aber vom Dezember bis März, wo zwischen den Regen eine Treibhaustemperatur herrscht und das Thermometer auf 40 Grad steigt und ich manchmal den Rock ausziehen muß!«
Erb guckte den Alten an, der tatsächlich bisher den Rock anbehalten und scheinbar nicht geschwitzt hatte. »Ja, du bist ausgedörrt und hast keine Flüssigkeit im Leibe.«
Jobst grinste. »Nahm ich nicht in Daressalam Flüssigkeiten in Masse zu mir? Aber auf Safari trinke ich mäßig. Je mehr man trinkt, desto mehr man schwitzt.« –
Der Weg führte durch eine Niederung, die mit dem zwei Meter hohen Elefantengras bestanden war. Durch die Grasmassen führte ein enger Pfadspalt, der, weil die welken Gräser gebrochen und oben zusammengefallen waren, einen förmlichen, fürchterlichen Tunnel bildete. Stunde um Stunde ging es in dem grauenhaften Grastunnel, in dem die Hitze, die Ausdünstung erstickend war. Der junge Afrikaner troff und trank von dem abscheulich lauen, mitgeführten Wasser in gierigen Zügen.
Erb erlag fast der Hitze des Tunnels, ihm wurde schwarz vor den Augen, sein Atem keuchte. Der Oheim schielte nach ihm und sagte befehlend: »Setz dich auf den Esel und reite voraus, um festzustellen, ob die Hölle nicht bald aufhört!«
Der Neuling blieb vor dem Hitzschlag bewahrt und wußte, daß der Befehl eine väterliche Fürsorge war. – – –
Eine Buschlandschaft breitete sich von Kimmung zu Kimmung. In der Hoffnung, daß hier der Wildreichtum Ostafrikas sein werde, ließ Erb seinen Burschen, der zwei Flinten und Munition trug, neben sich gehen, und sobald sich etwas im Busch regte, riß er die Flinte hoch. Der alte Pfadfinder lachte ihn aus. »Du meinst wohl, daß die Löwen hier herumhüpfen, wie die Hasen in der Magdeburger Böhrde ... mancher hat zehn Jahre in Afrika gelebt, ohne einen Löwen zu Gesicht zu bekommen.«
»Ich hatte nur die Absicht, uns einen Antilopenbraten zu verschaffen.«
»Du wirst bis Mpapua kein Horn und keine Klaue, geschweige denn Raubwild, zu sehen bekommen. Ich wette einiges!«
Simba mischte sich vorlaut ins Gespräch und fragte: »Will Bana Bunduki zehn Rupien mit mir wetten? Will Bana Bunduki wetten, daß hier keine Leoparden sind?« Der kleine Frechling hielt kühn die schmutzige Hand hin, um die Wette abzuschließen.
Jobst sagte trocken: »Ja, ich wette, daß ich dir, du Halunke, zehn herunterhaue, wenn du mir nicht bis heute abend eine Leopardenfährte zeigst.«
Der Bursche hatte eine halb verwischte Fährte im Sande gesehen.
Sobald das nächste Lager aufgeschlagen war, schrie Simba bald: »Leopard, Leopard!« Er hielt nur ein paar gelbe Haare, die er von einem Busch gerupft, und behauptete: »Hier hat er sich die Zecken abgekratzt.«
Jobst nickte: »Pfui, der Bengel beschämt mich durch seinen Scharfblick. Die Falle her!«
Die Falle wurde mit Köder versehen und gut verankert. Im Halbdunkel des Frühmorgens kniff der Boy kräftig Erbs große Zehe, denn das ist die Weckmethode des Negers, der in dieser unsanft-wirksamen Weise seine schlaftrunkenen Genossen munter macht.
Oheim und Neffe liefen hin, um die Falle zu untersuchen. Ein mächtiger Leopard kauerte auf dem Tellereisen, knurrte und fauchte. Die Bestie, die seltsamerweise nicht mit dem Fuß, sondern mit der Rute festsaß, biß in Raserei immer wütender in das Eisen und den eigenen Schweif hinein.
»Simba, hol' einen Knüppel, wir wollen den Hund totschlagen, damit das schöne Fell heil bleibt!«
Da – war es möglich? – der Leopard war frei, hatte seine Rute durchgebissen und duckte sich zum Sprunge. Erb war dieser Überraschung nicht gewachsen. Der Alte war es zum Glück – im Nu hatte er die Jacke vom Leibe, das Bowiemesser aus dem Gürtel gerissen, die Jacke um den linken, zur Abwehr erhobenen Arm gewickelt und das Messer in der stoßbereiten Rechten.
Der Leopard, der nur in höchster Not oder Wut den Menschen annimmt, brüllte und sprang. Ein Biß – ein ruhiger, wuchtiger Stoß und Stich! Die Bestie lag tot, die Zähne waren durch die Jacke, aber nicht tief in den Arm gedrungen. Jobst wollte seine Wunde nicht beachten.
Aber sein Neffe holte den sogenannten Doktor der Safari, einen Sanitätsunteroffizier, der als Arzt fungierte, mit Chinin und Rizinus große Heilerfolge erzielte und als Chirurg mehr leistete als mancher zunftgerechte Mediziner. Der Doktor desinfizierte die – oft bösartige – Bißwunde und legte einen Verband an.
Jobst schob die abgehäutete Decke seinem Schützling hin: »Du kannst sie als Bettvorlage benutzen und als deinen ersten Leoparden vorzeigen.«
Erb dankte freundlich und dachte nach. Nach einer leisen Unterredung mit seinem Boy ging er mit diesem spätabends in die mondhelle Steppe hinaus, bis sie ein von Schilf und einigen Sykomoren umstandenes Wasserloch erreichten. Der Neger las die Spuren der vielen Tiere, die hier zur Tränke kamen. Eine Leopardenfährte suchte er umsonst. Zuletzt sprang er mit einem Satz und Schrei auf die Füße: »Simba, Simba!« Beim Bart des Propheten, hier war ein Löwe gewesen!
Der Deutsche versteckte sich im Schilf und harrte geduldig auf den ersten Löwen in freier Wildbahn. Der Mond schien hell, die heiseren Hyänen heulten. Ein herrlicher Anblick, die Zebras, die mit Lauschern und Nüstern sicherten, die Hartebeests, die Umschau hielten, zu beobachten. Die Tiere, die mit häufigem Hochschrecken des Kopfes den heftigen Durst löschten, witterten wohl den gefährlichen Menschen.
Plötzlich erkletterte der schwarze Diener wie ein Affe eine Sykomore. Ein Körper flog durch die Luft. Auf dem Hartebeest lag ein Löwe und biß die Gurgel durch.
Der Deutsche riß die Büchse hoch und zielte ruhig, wie auf der Rehbockjagd im Buchenwald. Ein Schuß ins Raubtierauge auf zehn Schritt! Der Löwe verreckte.
Als Jobst am Morgen aufgeregt erzählte, es hätten Löwen in der Nacht gebrüllt, da holte Erb das Fell hervor. »Ich möchte dir mit dieser Löwenhaut ein Gegengeschenk machen.«
»Donnerwetter, Donnerwetter! Mein Jung, das ist ein Löwe!« Der Alte war gerührt, wollte es aber nicht sein und schränkte sein Lob durch den ironischen Nachsatz ein: »Du hast ihn wohl schwerkrank oder als Kadaver gefunden? Übrigens sind die Löwen meist feige, der Elefant ist ein anständiger Gegner, und der Büffel der allerschlimmste Bruder.«
Ein Trägerzug, dem man begegnete, erzählte, daß im Westen der Hunger im Lande und hunderttausend gestorben seien. Der Oberleutnant F., ein kurz angebundener Herr mit jener gelblichen Gesichtsfarbe, die langen Tropendienst und eine angegriffene Leber verrät, aber auch ein Mann, der bis ins Kleinste ums Wohl und Wehe seiner Leute sich kümmerte, beriet sich sofort mit dem erfahrenen Führer, ob Vorräte mitzunehmen seien.
Renner zuckte die Achseln. »Immer herrscht in Ostafrika irgendwo eine Hungersnot, was bei der Natur des Negers, der nicht mehr anbaut, als er notwendig gebraucht, natürlich ist. In der Regel ist der Hunger nur in einem begrenzten Gebiet, das man durch zwei bis drei Eilmärsche überwindet. Unsre Träger sind vollbeladen ... sollen wir etwa den Askaris zwanzig bis dreißig Pfund aufbürden?«
»Um Gottes willen! Die Askaris fühlen sich als schwarze Grandseigneure, sobald sie die Khakiuniform tragen ... der dümmste Rekrut, der noch vor sechs Monaten Kannibale war und in den ungewohnten Riesenschuhen stolpert, spreizt sich und spuckt auf die Paviane, wie er seine bisherigen Kameraden nennt.« Der Leutnant kannte seine Leute.
Die Sonne stach, selbst die Neger baten um baldige Rast. Der junge Deutsche schaute nach dem Thermometer und rief entsetzt: »42 Grad im Schatten!«
Erb war dem Umsinken nahe, als sie wider Erwarten einen schattigen Hain erreichten. Der Onkel brach von einem Mangobaum reife Früchte und reichte sie dem Verschmachteten, der das hellgelbe Fruchtfleisch trotz eines leichten Terpentingeschmacks, der ihm anhaftet, mit Behagen verzehrte. Die Mangofrucht ist das beste Obst Ostafrikas, obgleich alle hochgepriesenen Tropenfrüchte neben unsren edlen Äpfeln und Birnen die reinen Kürbisse sind.
Jobst behauptete, hier sei einmal ein Negerdorf gewesen und verlassen worden. »Der Mango, die Bananen und die Rizinusstauden beweisen es, der Neger wird sofort, wo er sich niederläßt, Rizinus pflanzen, nicht zum Einnehmen allerdings, sondern um seinen Leib zu salben. Überall findet man verlassene Negerdörfer, stumme Zeugen afrikanischer Tragödien. Zulustämme, besonders die Wangoni, drangen aus dem Süden, vernichteten ganze Dörfer, ja große Völkerstämme ... die Araber schleppten blühende Niederlassungen in die Sklaverei und töteten, was alt und schwach war. Afrikas Geschichte ist ein ewiger, entsetzlicher Mord. Daß dieser Erdteil noch ein solches Menschengewimmel hat, zeugt von seiner unverwüstlichen Zeugungskraft.«
Mpapua, die erste Etappe des Riesenweges, war erreicht, die Träger erhielten hier drei Rupien Posho, d. i. Verpflegungsgeld, ausgezahlt, wofür sie ihre Beköstigung selbst zu bestreiten hatten. Leider ließen sich manche in ihrem Leichtsinn von den sog. Pombeweibern, die Hirsebier bereiteten und Abnehmer suchten, dazu verleiten, diese Negeranimierkneipen zu besuchen und ihre paar Rupien für Bier auszugeben, so daß diese schwarzen Sumpfhühner mit einem großen Katzenjammer, aber mit einem geringen Reis- und Maisvorrat Mpapua verließen. Zu ihrem Verhängnis, wie sich bald zeigte! Zwar war es dem umsichtigen Oberleutnant gelungen, zwölf Träger neu anzuwerben und mit Vorräten zu beladen. Doch was sind zwölf Menschenlasten, was sind 800 Pfund Getreide, wo fünfhundert Neger satt werden wollen? Wohl kann ein Negermagen nach den Umständen sich einrichten, sich aus- und einrenken, zehn Pfund Fleisch verschlingen oder mit einer Handvoll Reis sich begnügen, aber ein Minimum von Speise muß auch der schwärzeste Hungerkünstler haben.
Das Land zwischen Mpapua und Kilimatinde wird Ugogo genannt. In Kisuaheli bezeichnet die Vorsilbe U das Land, M den einzelnen Mann und Wa die Bewohner des Landes. Der Mgogo haust mit seinen Artgenossen, den Wagogo, in Ugogo. Dieser Bezirk gehört nicht zu den besten, denn das allbefruchtende, in Afrika allmächtige Wasser wird in der Trockenzeit knapp, aber auch nicht zu den sterilen Steppen, die neun Monate lang eine Wüste sind.
Die Wagogo verbreiteten nicht nur den üblichen Negergeruch, sondern einen spezifisch üblen Duft, sintemal ihre wolligen Haarlocken von ranzigem Fett und Rizinusöl troffen. Dennoch fand Erb hier einen ungewöhnlichen Reinlichkeitssinn, der sonst beim Neger wenig entwickelt ist, und sah mit Freuden, daß die Wagogo sich wuschen. Bei näherem Zusehen freilich bemerkte er, daß die schwarzen Waschbolde nicht mit Wasser, sondern mit – ihrem Urin sich reinigten, denn Wasser war knapp und mußte – natürlich von den Weibern – in der Trockenzeit stundenweit in Kalebassen und auf Köpfen herbeigeholt werden.
Unter diesen Umständen war es oft schwierig, für die vielköpfige Safari eine auskömmliche Wasserstelle zu finden. Jobst als der verantwortliche Führer fragte die Eingeborenen mit unsagbarer Geduld nach dem Wasserstande des betreffenden Lochs und nach der Weglänge aus. Eine brauchbare Auskunft aus dem einfältigen oder verlogenen Neger herauszuholen, ist eine Kunst, die der Alte verstand. Der Oberleutnant fragte bündig, wie viele Marschstunden es bis zu der nächsten Wasserstelle seien, und erhielt die höchst bescheidene Antwort von dem Mgogo: » Hatujui saa, sisi waschenzi.« D. h. Herr, wir sind Wilde und kennen die Stundenzahl, die Zeitrechnung, nicht.
Jobst fing es anders an und gab dem Wilden ein Stück Plattentabak. »Freund, wo steht die Sonne bei unserer Ankunft an dem Wasser?« Worauf ihm der Sonnenstand ziemlich richtig gezeigt wurde, so daß er die Entfernung selbst berechnen konnte.
Dang man für eine Armlänge Kattun einen Wegweiser, so gab der Schlaue, um etwas Erfreuliches zu sagen, meistens eine kürzere Marschzeit an. Doch der alte Afrikaner kannte diese Eigentümlichkeit und legte die Antwort richtig aus. Sagte jener: » Karibu sana.« – ganz nahe –, so war es noch eine Stunde; hieß es hoffnungsvoll » Karibu simbali« – nicht mehr weit –, so waren es gut und gern zwei geschlagene Stunden; und wurde im tröstlichen Tone erwidert » Lakini simbala sana, bana kuba« – nicht arg weit, hoher Herr –, so wußte er, daß drei bis vier stramme Marschstunden zu machen seien.
Ein ganz geriebener Mgogo freilich gab eine viel zu lange Marschzeit an und sagte plötzlich mit pfiffigem Grinsen: »Wir sind am Wasser.« Die angenehm Enttäuschten, die am Ziele waren, wollten in ihrer Freude dem Schlauberger Tabak geben. Jobst jedoch fuhr dazwischen: »Das fehlte noch, den Kerl für seine Lügen zu belohnen!«
Schon zwei Tagereisen hinter Mpapua hatten die meisten Träger ihre Vorräte aufgezehrt, man mußte ihnen Vorschuß in Kattun und Glasperlen geben, um Lebensmittel zu kaufen. O, in den Dörfern war nichts zu haben, die Wagogo erklärten, daß sie den Hunger im Lande hätten. Was nun? Der Pfadfinder riet, in ein paar Gewaltmärschen den Hungerbezirk schleunigst zu durchqueren. Man trieb die Träger vorwärts, um sie vor dem Untergang zu bewahren. Jedoch die Mißernte erstreckte sich über ein weites Gebiet; auf 100 Meilen sei kein Kolben, keine Ähre, keine Wurzel zu kaufen, sagten die Neger. Das war natürlich sehr übertrieben, denn die Ernteberichte aus Unjamwesi lauteten günstig.
Jeder Marsch in Afrika kann zur Tragödie werden, das erfuhr Erb auf seiner ersten Safari, als er es am wenigsten erwartet hatte. Die darbenden Neger murrten nicht, und als die immer mehr ausgemergelten Gestalten sich und ihre Last von 70 Pfund mit stoischer Geduld weiter schleppten, wurde sein Herz bewegt, ja erschüttert. Er, der zu Hause den satten, dicken, dünkelhaften und selbstgerechten Menschen alles Unglück, Börsenkrach und Bankerott an den Hals gewünscht hatte, fühlte hier ein inniges, ungeheures Erbarmen mit den armseligen Geschöpfen, die im Heißhunger wie die Tiere des Feldes geworden waren. Sein von Schmach und Bitterkeit verhärtetes Herz war so weich, voll Mitleid und Weh geworden. Er sparte sich das Essen vom Munde ab, um zu helfen, obgleich seine Gabe bei der Menge wie ein Tropfen auf einen glühenden Stein fiel. Zahlreiche Träger rupften das dürre Gras, kauten es und schlangen das nährlose Zeug herunter, um den Magen zu füllen. Andere wurden gesetzlos und handelten nach dem tierischen Gebot des Daseinskampfes und stahlen oder raubten in den Hungerdörfern die letzten Ähren. Einige kehrten nicht wieder und waren von den Bewohnern erschlagen worden. Mehrere Neger schlossen, wie die Wölfe im Winter, eine Hungergenossenschaft und raubten in einem Dorf die letzte Ziege, die sie zerrissen, roh und noch rauchend verschlangen. Der Dorfschulze erschien im Lager mit seinen Ältesten, zeigte auf sich und seine Genossen und forderte Bestrafung der Übeltäter. Das waren lebendige, hohläugige Skelette! Der Leutnant befahl, die Schuldigen zu binden und zu bringen. Die Sünder, deren Maul noch blutig vom wölfischen Mahle war, wurden ohne Federlesen zum Strick verurteilt, denn in so kritischer Lage muß die afrikanische Disziplin doppelt streng gehandhabt werden. Die schwarzen Henker, die leider ihrem scheußlichen Handwerk mit Eifer, ja mit Vergnügen nachgingen und eine Hinrichtung für einen Hauptspaß hielten, wählten einen Leberwurstbaum als Galgen, die Delinquenten gingen mit jenem scheinbaren Stoizismus des Negers, der nur Stumpfsinn ist, dem Tode entgegen, schon war die Schlinge am Halse befestigt.
Da trat Erbenheim als Anwalt der Armesünder vor und hielt dem Leutnant eine leidenschaftliche Rede. »Die unwissenden Neger gehorchten nur dem Instinkt der Selbsterhaltung. Straft man ein Tier, weil es tötete, um sein Leben zu erhalten? Diese Elenden, die ein Zicklein raubten, dürfen nicht gehängt werden.«
»Ich denke, daß ich der Herr der Safari bin,« murrte der Leutnant.
»Ja, eben darum haben Sie das schöne Recht der Begnadigung.«
Und der Leutnant begnadigte die Leute, die ein Freudengeschrei erhoben.
Erb sah auf dem traurigen Hungermarsche, daß der Neger, der als gänzlich gefühllos gilt, der Aufopferung, des Edelmuts und einer hochherzigen Tat sehr wohl fähig ist. Entkräftete Suaheli wühlten aus dem Sande saft- und kraftlose Wurzeln, die sie verschlangen, und schleppten sich weiter mit ihrer Last. Zehnmal fielen sie hin, zehnmal rafften sie sich auf und erreichten das Nachtlager. War das nicht Dienertreue? Blutjunge Wassukuma waren am Ende ihrer Kraft und schlossen apathisch die Augen, um den Tod zu erwarten. Da kamen ihre Kameraden, die unter ihren 60 Pfunden keuchten und krochen, weiß Gott, zurück und trugen die Last der Erschöpften eine Strecke; zweimal, mit ihrer und ihres Bruders Bürde, machten diese Braven den langen Weg, und spät abends waren alle Lasten und alle Maroden zur Stelle. War das nicht die wahre Bruderliebe, die der Christ so laut im Munde führt?
Die Wanyamparas – die schwarzen Baase und Führer der Träger –, die sonst nur kommandieren, die Faulen schlagen und selbst keinen Finger rühren, halfen tüchtig und trugen die Last der Schwachen. Die nichtsnutzigsten Boys, die sonst ein schlimmer Ballast sind, wurden jetzt brauchbare Leute und faßten überall willig mit an, obgleich sie leere Eingeweide und keine Kraft in den Knochen hatten.
Trotzdem stieg mit jedem Tage die schreckliche Not, alles Wild schien aus Afrika verschwunden. Nur ein mageres Frankolinhuhn schoß der Pfadfinder, der es briet und mit seinem Neffen teilte. So wenig es war, wurden doch die Keulen für das Frühstück aufgehoben.
Simba hatte heute ein gutes Werk getan und die Last des kranken Metusah, der in Hunger und Fieber von Flußpferden und Fleischbergen phantasierte, getragen, hatte dafür einen Gotteslohn erwartet und nur einen Maiskolben gefunden, d. h. dem Esel gestohlen. Schwermütig knabbernd, mit den glänzenden Zähnen die harten Körner zermalmend, betete er als guter Islamit: Allah il Allah! Soll meine Tat unbelohnt bleiben? Als er seinem Bana das Nachtlager bereitete, fing seine Schakalsnase an zu wittern. Simba öffnete den Blechkasten, lachte mit dem ganzen Gesicht, ließ es sich schmecken und lobte Allah und den großen Propheten. In der Nacht schlief er fest und vorzüglich wie das gute Gewissen; aber am Morgen rumorte etwas in seiner Brust. Rasch und reuig entblößte er den alleruntersten Teil seines Rückens und bat: »Hoher Herr, schlage mich siebenmal, lieber Herr, schlage mich mit sanfter Hand!«
Erb hatte sofort eine fürchterliche Ahnung und faßte den Kiboko. »Du hast die Keulen gemaust? Du Halunke, warum hast du wieder gestohlen?«
Der Bursche querte die Arme und sprach mit ergebener Miene: »Amri ya mungu.« D. h. Es war ein Befehl Gottes, was sollte ich machen!
Der Nigger ist ein gräßlicher Fatalist. Was kommen muß, das kommt. Alles, was er tut, ist ein Befehl
Gottes, eine Vorsehung, dagegen absolut nichts zu machen ist.
Der Deutsche mußte über die fromme oder freche Naivität seines Burschen lächeln und schlug ihn nicht. »Es ist Gottes Befehl, dir diesmal die Strafe zu schenken, weil du schweren Hunger und doch Metusahs Last getragen hast. Sobald dir aber Allah wieder das Stehlen befiehlt, wird mein Gott mir gebieten, alle zehn Gebote dir zweimal auf den Rücken zu schreiben mit dieser dicken Nilpferdfeder.«
An diesem Tage machte die entkräftete Safari nur sieben Kilometer.
Der Chef rief den Pfadfinder und redete in schwerer Sorge um die ihm anvertraute Menschenschar: »Hinter uns ist das Verderben, und vor uns ...? Alle Träger gehen zugrunde, wenn wir nicht in zwei bis drei Tagen Nahrung bekommen.«
Jobst schlug vor, hier ein paar Rasttage zu machen, ihm zehn der kräftigsten Leute und die drei Esel und Maultiere mitzugeben, um einen forcierten Vorstoß und Versuch zu machen, Proviant zu beschaffen und ins Hungerlager zu bringen.
Der kleine Zug, dem Erb sich anschloß, machte einen Eilmarsch; wer marode wurde, wurde auf einen Esel gesetzt, einerlei ob seine Haut weiß oder schwarz war. In dem sengenden Sonnenmeer wurde der glühende Sand lebendig, die Luft, die siedeheiße, brauste und wurde finster von dem furchtbaren Samum und Sandsturm dieser Gegend, der Mund und Nase mit Staub füllt und das Atmen fast unmöglich macht. Der junge Afrikaner, geröstet, zerschmolzen und erstickt, verwünschte den dunklen Erdteil, den Gott verflucht, mit allen Schrecknissen und Plagen, mit Fieber, Fliegen, Gifttieren und Giftpflanzen, mit Schlangen und jedweder Scheußlichkeit reich ausgestattet habe.
Endlich ein Bananenhain, ein freudiger Anblick und sicheres Anzeichen, daß die Wildnis von Menschenhänden bezwungen wurde! Und ein großes Negerdorf!
Aber unheimliche Stille empfing die Fremdlinge, kein Köter kläffte, kein Huhn gackerte, kein Weib lugte neugierig aus dem niedrigen Türloch der runden Hütten, die an der Gasse wie große Bienenkörbe standen. Erb kroch durch ein Loch, sein Kopf und Körper prallten zurück, ein pestilenzialischer Gestank schlug ihm entgegen. Negerleichen, von Hyänen schon angefressen, verwesten in der Hütte.
Von draußen pochte man an die Wohnungen, die alle eine stinkende Gruft waren, alle – bis auf eine, die mit schwachem Schrei Antwort gab. Hier lagen fünf Menschen, fünf lebende Skelette, die nur das eine Wort wimmerten: Njaa, njaa! Hunger, Hunger! Die Elenden, die sich kannibalisch ernährt hatten, vermochten kaum den Maisbrei, den man ihnen reichte, zu schlingen.
Die alte Geschichte – Dürre, Heuschrecken, Hungersnot.
Im vorigen Jahre seien alle Getreidekober und -körbe voll gewesen, heuer habe man aber auf dem ganzen Dorfacker nur acht Lasten geerntet.
»Ja, und im vorigen Erntejahre habt ihr von eurer Hirse Bier massenweise gebraut, habt ihr alle Abende Pombe gezecht, getrommelt und getanzt, habt ihr saudummen Lüderjane alles vergeudet, verpraßt und nichts zurückgelegt für die Notzeit,« schimpfte Jobst, während er sein eignes Frühstück eifrig in die großen Mäuler der schwarzen Mumienköpfe hineinstopfte. »Der leichtsinnige Neger legt nichts zurück, sondern lebt wie ein Verschwender in den fetten Jahren. Darum vergeht kein Jahr, ohne daß irgendwo in Ostafrika in diesem oder jenem Bezirk Hungersnöte eintreten und Tausende hinraffen. Der Neger geht auch nicht in andere Gegenden, um zu arbeiten oder zu betteln, sondern legt sich apathisch hin und stirbt. Es ist eben ein Befehl Gottes und ein Verhängnis, dagegen nichts zu machen ist.«
»Ist in der Nachbarschaft keine Speise zu haben?« fragte der Pfadfinder.
»O ja, Herr, im nächsten Dorfe,« lautete die erstaunliche Antwort, »ist viel zu essen.«
»Ist viel zu essen, zum Donnerwetter, und ihr verreckt vor Hunger!«
»Ja, da ist chakulla mingi«
Chakulla mingi – d.h. viel zu essen – ist das Evangelium des Negers. Bei dieser frohen Botschaft spitzten die Träger die Ohren.
»Wie weit ist es denn bis zu dem Dorfe?«
»Wenn ein Mann von Mittag bis Abend geht, wird er dort sein.«
Also nur sechs Stunden!
»Die Wanjamwesi daselbst haben viel Korn, Batate, Maniok, aber sie wollen es nur sehr teuer verkaufen, und wir haben schon alles, unsre Flinten, unsre Ringe, ja unsren Schurz hingegeben,« klagten die Unglücklichen.
Auch das ist einer von den netten Charakterzügen des Negers, daß er als geriebener und gänzlich skrupelloser Geschäftsmann die Hungersnot seines lieben Nächsten ausnutzt, um für sein Korn die schändlichsten Wucherpreise zu fordern, und daß er seinen schwarzen Mitmenschen, der den Preis nicht zahlen kann, mit Seelenruhe verhungern läßt. Bei der schwarzen Rasse stehen die unglaublichsten Gegensätze, schönes Mitleid und rohe, viehische Brutalität, unvermittelt und grotesk nebeneinander.
Jobst machte die Grimasse, die das spöttische Lächeln in dem von der Narbe verzerrten Gesicht hervorrief, und streichelte seinen Kiboko. »Wir werden uns mit den schlauen Kornhändlern verständigen. Das ist ein guter Dolmetscher.«
Jetzt wurde im Schnellschritt marschiert. Sogar die faulen Esel machten flinke Beine, als wenn sie von der vollen Krippe eine Ahnung hätten. Die Träger, die alles zum Reim und Singsang machen, sangen in den höchsten und tiefsten Tönen: Chakulla mingi, viel zu essen, sehr viel, ungeheuer viel zu essen, essen, essen.
In dem Dorfe waren die geflochtenen, korbartigen Speicher bis oben voll von Hirse, Mais und Bohnen, die Gassen voll von Ziegen und Hühnern. Der Jumbo und Wortführer des Dorfs, ein angetrunkener Dickwanst mit einem Spitzbubengesicht, erklärte schmerzlich, daß man sehr wenig Speise verkaufen könne.
Jobst zog der Dorfobrigkeit einen, der durchs Fett ging, über den Rücken. »Du willst uns, den Gesandten Sr. Majestät, die Haut voll lügen? Haben wir nicht Augen im Kopfe?«
Der Negerschulze wurde höflich, ja hündisch. »Hoher Herr, wie viel Getreide brauchst du?«
»Dreißig Lasten! Wie viel Armlängen Kattun kriegst du für eine Last?«
Der schwarze Herr, der, schon kulturbeleckt, weder Kattun noch Messing, sondern Silber haben wollte, forderte zwanzig Rupien für die Last, den sieben- bis zehnfachen Preis.
Jobst spielte mit der zischenden Peitsche, so daß der Gauner vor Schreck nieste und eilig erklärte, er habe natürlich eine Doppellast gemeint.
»Ah so, alter Freund, ihr rechnet hier nach Maultierlasten, abgemacht! Ladet dem Muli auf, was es tragen kann!«
Jobsts Leute füllten unter schadenfrohem Gelächter die Säcke und packten sie dem starken Maultier auf, das seine zehn Lasten, natürlich nur eine kleine Strecke, trug. Dreimal wurde das Maultier beladen und als Kornwage benutzt.
Jobst zahlte den üblichen, aber keinen Wucherpreis, zahlte dreißig Rupien bar hin.
Der schwarze Halsabschneider heuchelte Demut. Aber der boshaft giftige Blick, den er einem Neger – wohl dem Medizinmann und Zauberer des Dorfes – zuwarf, entging nicht dem gewitzigten Afrikaner. Der höfliche Jumbo wollte den Weinkauf geben und seine Gäste mit Pombe bewirten. Eine Kalebasse mit dem dicken, trüben Hirsebier wurde gebracht. Der Schulze trank zuerst eine Schale auf das Wohl der Fremdlinge, denn also ist es streng gewahrte Sitte und ungeschriebenes Gesetz in jenen gesegneten Gefilden, wo sehr oft ein guter Freund beim Schmollistrinken um die Ecke gebracht wird. Der Dicke verneigte sich mit Anstand und trank umständlich die volle Schale, um zu zeigen, daß der Stoff nicht mit dem bösen Euphorbiensaft verschnitten sei. Er füllte die nächste und reichte sie dem Höchsten seiner Gäste, der scharf aufpaßte und etwas sehr Verdächtiges bemerkte. Die Hand des Schwarzen hatte sich blitzschnell über der Schöpfkelle geöffnet und geschlossen, und doch war nichts in das Trinkgefäß gefallen.
Jobst sah dem Neger fest ins Auge und sagte freundlich: »Freund, wenn du es gut mit mir meinst, mußt du auch diese Schale auf mein Wohl leeren... so ist es bei uns Sitte, trinke!«
Der Schurke stotterte: »Hoher Herr, ich habe ja schon auf dein Wohl getrunken und dir gezeigt, daß die Pombe gesund ist.«
»Hund!« schrie der Deutsche zornig und zog die Peitsche, »trinke die gesunde Pombe in deinen Hals hinein, oder ich schlage dich tot.«
Der ertappte Giftmischer, dessen Gesichtsfarbe gräulich wurde, schwitzte vor Angst und schielte scheu nach dem gefürchteten Bana Bunduki, hörte noch einmal die donnernde Drohung »Trinke – oder« und schleuderte den Inhalt der Schale, das Beweisstück des Giftmordversuchs, auf die Erde. In demselben Augenblick ließ der Kerl sein einziges Kleidungsstück fallen und rannte von dannen, als wenn der Teufel ihn ritte. Die Todesfurcht gab dem Pombewanst eine große Geschwindigkeit. Doch Jobst war behende mit dem Kiboko hinter ihm her; die wuchtigen Schläge der Nilpferdpeitsche klatschten auf den nackten Körper des Unmenschen, der vor Schmerz brüllte und wie eine schweißende Hyäne in die Büsche floh.
Der Pfadfinder kehrte nach der wohlverdienten Züchtigung mit der brennenden Pfeife im Munde zurück, als wenn die Sache ihn nicht aufrege.
Erb war ganz blaß geworden und bebte noch. »Mit welchem Raffinement hat der Schuft ausgerechnet die zweite Schale, die dir kredenzt wurde, und nicht den ganzen Topf vergiftet?«
»Ei, als Giftmischer sind die Niggerbanditen sehr groß und so gewandt, daß die berühmten Borgias von ihnen lernen könnten.«
Man untersuchte das Bier im Topfe, das gut und unvergiftet war, der junge Afrikaner stand vor einem Rätsel, aber der alte nahm die Schöpfkelle und zeigte, daß ihr Stiel hohl von oben bis unten war. Der schwarze Satan hatte das Gift in der Hand gehalten und mit einer gelernten, oft geübten Handbewegung durch den hohlen Stiel in die Kelle fallen lassen.
Der Alte sagte ernst: »Mein Sohn, sei immer auf der Hut, bei Tag und Nacht immer auf dem Qui vive, wie auf Vorposten! In Afrika kann man auf vielerlei Art und Weise, durch Feuer und Wasser, durch die wildesten Bestien und die winzigsten Mücken und Fliegen, durch Gift und hundertfache Gefahr ums Leben kommen, und der Tod ist wohlfeil in den Tropen. Gastfrei kommen die Kerle mit ihren Kürbisflaschen, aber trinke nie, ohne dich überzeugt zu haben, daß das Zeug gesund ist. Wie viele Menschen sind durch Pombe ins Jenseits befördert worden! Die bequeme, gefahrlose Weise, einen unbequemen Feind oder Freund um die Ecke zu bringen, entspricht dem tückischen Charakter des Negers, der als Feigling mit Vorliebe zum Gifte greift.«
Die Träger liefen, um ihren Brüdern Rettung zu bringen.
Das Lager geriet in die freudigste Aufregung. Die Leute aßen, ja fraßen stundenlang, bis ihnen der Bauch wie ein Fäßlein hing, was aber ihrer Bären-, ja Boakonstriktornatur gut bekam. Nur satt sein und mit vollem Bauche träumen oder toll tanzen, ist das einzige Ideal der Millionen aus Ebenholz geschnitzten Ebenbilder Gottes.
Bald nach dem Hunger drohte das noch ärgere Übel des Durstes; denn die Trockenzeit stand im Zenit, alle Vegetation war in Staub zerfallen und der Wassermangel so groß, daß die Bewohner – natürlich die Weiber – ihr Trinkwasser manchmal stundenweit holen mußten und die Löcher, die das kostbare Naß enthielten, verheimlichten. Die Safari war auf die regelmäßig benutzten Wasserstellen dieser Route angewiesen. Daher befahl der Höchstkommandierende, daß jedes Waschen des Gesichts, der Hände strikt verboten sei. Keine Wolke zog am blauen Himmel, kein Gewitter ballte sich, die Sonne ging unabänderlich als rote Riesenkugel im Osten auf, im Westen unter und brannte zwölf Stunden als Mark und Bein versengender, das Blut ausdörrender Feuerball auf die Köpfe, durch Khaki und Korkhelm, und die große Segenspenderin der Erde wurde zum Fluch, zur Folter. Der Schweiß strömte, die Lippen lechzten und rissen, der ewige Staub füllte Mund und Nase. Und kein Tropfen, um die Augen zu reinigen!
Lastet ein Fluch auf diesem unendlichen Afrika? Ist Europa der kleine, verzogene Liebling und Afrika der Stiefsohn der Götter, ist jenes der stolze Sohn der freien und dieses der ungeratene Unband der Hagar, die in die Wüste verstoßen wurde?
Das waren Erbs Gedanken. Durch den grauenhaften Schmutz werde ich zum Neger erniedrigt. Nein, lieber will ich Durst leiden und dafür mit einem halben, mir abgequälten Becher mein Antlitz benetzen.
O, sein gebrauchtes Waschwasser schlürfte ein Schwein von Wassakuma. Wie tief würde er selbst noch sinken, wie weit kann ein Weißer vertieren, wenn er Monate lang ungewaschen bleibt?
Die körperliche Unsauberkeit, die Schmutzkruste, war dem Herrn von Erbenheim ein körperlicher Schmerz, eine Seelenqual. Durch die rinnenden Schweißströme bildete sich ein Staubbrei, der zur zähen Kruste wurde.
Die böse Strecke, die man durchwanderte, war die berüchtigte, wasserarme Mgundi mkali, jenes lichte Wald- und Buschgebiet, das überall den langweiligen Buschbestand mit eingestreuten großen, dürren Steppenstücken zeigt. Wasser ist selten und dann meist brackig, salzig und schlecht. Heulte der Wind, so wirbelten Sandhosen, oder Schmutzböen bewarfen mit neuem Unrat die Gesichter der Weißen, die längst des Landes Farbe angenommen hatten. Eines Abends, als die Pfadfinder im Liegestuhl lagen, erhob sich ein wüstes Zischen und Brausen, beide lagen auf der Erde und sahen die Sterne am Himmel, eine Windhose hatte das fest verankerte Zelt wie ein Radieschen aus der Erde gerissen. Simba griff einen Zeltpflock, um den Flieger zu halten, flog zehn Meter mit durch die Luft und blieb wie tot liegen. »Der arme Kerl war nicht übel.« Als sein Herr von den Tugenden des plötzlich Verblichenen zu reden begann, erhob sich der tote Boy, kratzte sein Haar, setzte sich ans Feuer und stopfte seine Pfeife.
War der Wind, der Schreihals, eingeschlafen, so brütete die Backofenschwüle, und kein Laut ertönte als das Zirpen der Grillen, das Summen der Fliegen und Käfer, und die langen, gefürchteten, schwarzbraunen Heere der Beißameisen, denen der Neger mit dem Geschrei » Siafu, siafu« aus dem Wege springt, marschierten über den Pfad zu Kampf und Mord. Gegen Abend umschwärmten fürchterliche Moskitowolken, von der Negerausdünstung angelockt, die Karawane. Jeder wehrte sich gegen die Bisse der blutgierigen Myriaden. Es war ein grotesker Anblick, wenn die halbnackten Neger, die bös zu leiden hatten, wie irrsinnig hüpften und sprangen und mit einem Zweige in der Hand wie tobsüchtig um sich schlugen.
Der alte Afrikaner schielte nach dem jungen hin und schmunzelte. »Ja, das sind die Reize Afrikas ... warum bist du nach diesem gelobten Lande gekommen?«
»Warum? Weil du mich gerufen hast,« antwortete Erb patzig.
»Darum? Und warum rief ich dich?« Der Alte, dem auch eine Laus über die Leber lief, machte ein gewisses Gesicht, wie einer, der mehr weiß, als er sagt und sagen will.
Erb schoß herum. »Warum riefst du mich? Sag es!« Wußte der Alte etwas von dem Kainszeichen, das er trug?
Jobst spielte den Harmlosen. »Warum? Das weißt du doch ... um einen Vollblutsmenschen und alten Afrikaner aus dir zu machen.« – – –
Jeder rechnete, wie viele Tage bis Tabora seien. Das erste gute Wasser gab neue Kraft, die erste gründliche Waschung war eine Wonne, eine Neugeburt, so daß sie wieder als Menschen sich fühlten.
Perlhühner huschten, Tauben girrten, ein Warzenschwein lief über den Weg und wurde von Jobsts Kugel getroffen. Der Jäger begehrte nur den Kopf als seinen Anteil, grub am Abend ein fußtiefes Loch, darin er ein Feuer machte. Dann nahm er die Kohlen heraus, legte den Schweinskopf in die glühende Asche, deckte ihn mit Erde fest zu und ging schlafen. Am Morgen klopfte er die Asche ab und servierte den Wildschweinbraten, den leckersten, den man in allen fünf Erdteilen zu essen bekommt.
Viel Wild, freche Hyänenhunde, die eine Treibjagd auf ein Hartebeest machten, Gnus, Gazellen, Buschantilopen, sogar die schönen Kudus wechselten vorbei und gaben die Gewißheit, daß die gottverlassene Mgundi überwunden sei. Auch Giraffen glotzten in der Ferne und verschwanden in dem ihnen eigentümlichen, lächerlichen Galopp.
Das fruchtbare Unyamjembe, dessen Hauptstadt Tabora ist, war erreicht. In einem großen Dorfe, das, von weiten Feldern umkränzt, in Bananen- und Rizinusstauden, unter Borassuspalmen, Melonenbäumen, Sykomoren und den dunkelgrünen Laubdächern des Mangobaums höchst anmutig lag und für ein Negerdorf eine saubere Gasse und einen recht guten Geruch hatte, entwickelte sich bald ein lebhafter Jahrmarkt. Die Bewohner brachten Getreide, Yams, Milch und Früchte, und die Träger kauften für ihr Posho. In diesem nach solcher Wüstenwanderung paradiesischen Dorfe, das Simbalimpi hieß, wurde eine zweitägige Rast gehalten, die Leute waren freundlich und nahmen bescheidene Preise, am liebsten Schmucktand und grellbunte Tücher. Die Frauen waren ziemlich bekleidet, trugen ein Stück Kattun, das die linke Brustseite und den Körper bis zu den Knien bedeckte, und das wollige Haar in zahllosen, kleinen Flechten, so daß ihre Toilette eine zeitraubende Tätigkeit war. Sie mußten – wie überall – die meiste Feld- und Hackarbeit tun und die Ernte heimtragen, die Männer tranken Hirsebier und tanzten die halbe Nacht beim Getöse der Trommel.
Jobst horchte, als er den Namen Simbalimpi hörte, denn alle Ortschaften, die mit Simba zusammengesetzt sind, sagen in der Regel, daß in der Gegend Löwen zahlreich hausen oder gehaust haben. »Sind hier Löwen?«
Bei der Frage erstarb das Lachen der guten Leute, auf all den dunkelbraunen Gesichtern stand scheuer Schreck und graue, grausige Angst mit einem Male. Einige flüsterten: »Viele Löwen sind hier, und böse Geister fuhren in die Bestien hinein ... zwei Menschenfresser liegen in unsrem Busch und lauern am Wasser ... o die gelben Teufel haben im letzten Jahre 27 der Unsren gefressen, haben allein in den letzten Wochen fünf Frauen, drei Kinder und zwei Männer auf dem Felde und am Wasser geschlagen.«
Der schlichte, zahlenmäßige Bericht war entsetzlich anzuhören, dieses idyllische Dorf war der Schauplatz einer jener schauerlichen Tragödien, daran Afrika so überreich ist. Doch die braven Leute, deren Brüder und Weiber von den Bestien zerrissen wurden, sangen und tanzten trotzdem die halbe Nacht und vertrieben das Grauen, das ihnen offenbar in allen Gliedern saß, durch Lustigkeit und Gelage. So ist der Neger mit seiner kindlich-kindischen Leichtlebigkeit und seiner gierigen Genußfreude, der er sich mit Leidenschaft hingibt, auch wenn das Schwert über ihm hängt und der Sensenmann hinter ihm steht.
Die haarsträubende Statistik war keine Übertreibung, die beiden Löwen hatten das liebliche Dorf in eine Notlage, ja dem Untergange nahe gebracht. Wehe, wenn der Wüstenkönig erst einmal die Erfahrung gemacht hat, daß der zweibeinige, hochschreitende König der Erde seinen Zähnen und Krallen nicht gewachsen ist, wenn er einmal am zarten Menschenfleisch Geschmack gefunden hat! Dann wird er es jedem Wildbret vorziehen, und der Löwe, der vorher beim Anblick des Menschen sich verkroch, wird zum gefürchteten, gräßlichen Menschenfresser, der auf Menschenjagd ausgeht, Schwarze und Weiße ohne Unterschied anfällt und zerfleischt. Große Dörfer sind durch solche Ungeheuer des Katzengeschlechts dezimiert, ganze Gegenden sind infolge des Schreckens, den sie verbreiteten, verlassen und zur Wüste geworden.
Der Oberleutnant fragte: »Warum habt ihr die Menschenfresser nicht längst erschossen? Habt ihr keine Flinten und keine Schützen?«
»Ach, böse Zaubergeister wohnen in den Simbas, jede Kugel geht vorbei ... auch haben wir nur drei Vorderlader ... wenn wir schießen, müssen wir schnell die Backe wegnehmen, sonst schlägt die Büchse uns die Backenzähne heraus.«
Da mußten freilich ohne jeden Zauber die Kugeln der alten Donnerbüchse vorbeigehen.
Der feiste Dorfschulze mit dem Pombebäuchlein und die ergrauten Ältesten klagten beweglich ihren Jammer. »Hoher Herr, ich wog 230 Pfund, aber die ewige Furcht, gefressen zu werden, hat mein Fleisch und mein Fett gefressen.«
»Na, Freund, du hast noch Speck genug auf den Rippen, hüte dich, die Löwen wissen einen so guten Braten zu schätzen.«
»O, Herr, ich bin auf der Hut, gehe nicht mehr als dreißig Schritte von meiner Hütte weg und sende immer eine meiner Frauen voraus, um Umschau zu halten, ehe ich mein Haus verlasse.« Dieser Gemütsmensch machte gar kein Hehl daraus, das eine seiner sechs Frauen infolge dieser prophylaktischen Methode gefressen worden sei, und war offenbar überzeugt, daß er leichter eine seiner Frauen als das Dorf einen so trefflichen Schulzen entbehren könne.
Die Ältesten jammerten unter Tränen: »Die Löwen werden uns alle reißen ... wir müssen auswandern und unsre Felder und Haine verlassen. Herr, hilf uns, deinen Knechten, und schieße die Simbas! So wollen wir euch allen Speise für zwei Wochen, ja die Hälfte unsrer Ernte geben. Errette uns von der Plage!«
Der Herr der Safari hatte viel Mitleid mit den Leuten, mußte aber die Achseln zucken und sagen, er dürfe mit langwierigen Löwenjagden keine Zeit verlieren.
Die Ärmsten wandten sich an Jobst Renner und bestürmten ihn mit flehenden Bitten und klugen Komplimenten. »Bana Bunduki, du bist ein berühmter, ja der beste Jäger von der Küste bis zu den Seen, deine Büchse hat einen Zauber und fehlt nie ihr Ziel. Nur zwei Kugeln kostet es dich, errette uns von der Plage, so werden unsre Frauen von dir singen am Feuer, und du wirst als Simba Bunduki Ruhm haben im ganzen Lande und der größte Löwentöter heißen.«
Diese Unsterblichkeit lockte Jobst nicht, aber die Not des Dorfes erregte das Erbarmen des immer hilfbereiten Mannes; auch regte sich in ihm der Haß, mit dem jeder echte Afrikaner solchen Mordsbestien nachstellt, und das kühne Abenteuer reizte seinen Abenteurersinn. Dennoch mußte er als unselbstständiger Führer ablehnen.
Ein junges Mädchen mit kohlschwarzen Karfunkelaugen und leidenschaftlichen Gesten drängte sich in den Kreis der Männer. So wenig sie dahin, so wenig gehörte sie nach ihrem Äußeren ins Negerdorf hinein. Sie hatte eine hellbraune Farbe, strähniges Haar, in viele Flechten sauber geflochten und von seidigem Glanz, und nicht die breite, wulstig häßliche Larve der Niggerweiber, sondern ein regelmäßiges, ganz arabisches und auffallend schönes Gesicht, ja sie sprach und gestikulierte mit der Beweglichkeit und dem Feuer einer ägyptischen Haremsfrau. Die Dirne konnte neben den Schönheiten Kairos sehr wohl sich sehen lassen und hatte offenbar, wenn auch die Mutter eine Negerin gewesen, vom Vater her sehr viel arabisches Blut in den Adern und sehr viel orientalische Anmut auf allen Zügen. Noch ein halbes Kind von vierzehn bis fünfzehn Jahren, hatte ihre knospende Schönheit einen zarten, keuschen Schmelz, so daß nicht nur der junge Deutsche und der alte Jobst, sondern auch der mürrische Leutnant das junge Weib mit großen Augen und wie ein Wunder Simbalimpis anschauten. Mit welchem Anstand kreuzte sie die Arme auf der Brust, um ihre Ungehörigkeit wettzumachen. »Die weißen Herren wollen die Menschenfresser, die meine Mutter und meinen kleinen Bruder zerrissen haben, töten, o ich will ihnen danken und ihre Dienerin sein.«
»Wir haben keine Zeit zu Löwenjagden.« Der Leutnant fertigte sie durch den Dolmetscher kurz ab.
»Was? Keine Zeit?« Ihre sanfte Stimme wurde scharf und voll von beißendem Hohn. »Darf Fatima« – so hieß sie also – »die Wahrheit sagen? Ihr seid bange vor den Löwen, wie diese Memmen, die ihre Brüder nicht rächen! Die Menschenfresser haben nicht nur 27 unsrer Leute, sondern auch zwei weiße Herren geschlagen und sind sehr lüstern nach weißem Fleisch, wie ihr schon gehört habt, darum frißt die feige Angst euer Herz. Lauf, lauf doch, junger Herr,« – dieser Spott war speziell an Erbs Adresse gerichtet – »damit die bösen Katzen dich nicht beißen, totbeißen! O, macht euch schleunig aus dem Staube, damit die Simbas euch nicht kriegen mit ihren Krallen, lauft, lauft, ihr Helden!« Fatima spottete gut und in kluger Absicht, weil sie den Stolz der Weißen, die alles, nur nicht feige sein wollen, kannte.
»Spricht sie die Wahrheit? Sind zwei Europäer eine Beute der Bestien geworden?« Die deutschen Herren waren sehr gespannt und hörten mit starrer Aufmerksamkeit, zuletzt mit gesträubtem Haar, was der alte Neger von dem gräßlichen Vorfall berichtete.
»Wir sandten Boten aus, um Hilfe zu erbitten und weiße Jäger zu rufen. In Uhehe jagten drei Herren, ein langer Engländer und ein dicker Deutscher mit dem alten, berühmten Löwentöter Ben Hamid, der ein dünner Araber ist und dessen Rohr, wie Bana Bundukis Büchse, immer trifft. Diese, besonders der Engländer, hatten lange gewünscht, mit einem gefährlichen maneater anzubinden, und eilten sofort herbei. Wir tanzten vor Freude die ganze Nacht, denn die drei Jäger lachten über unsere Angst und fluchten verächtlich: ›In zwei Tagen könnt ihr das Fleisch des Löwen für eine Ziege kaufen, das Fell behalten wir, eure Löwen sind für uns Hyänenhunde.‹ Sie schlugen unweit der Wassertränke ihr Zelt auf, um am Abend, wenn der Mond schien, auf Anstand zu gehen. Sehr heiß war der Tag. Die Jäger wurden müde und schliefen im Zelt. Der Engländer lag dicht neben dem Eingang im Liegestuhl, Ben Hamid hatte sich rechts auf der Erde ausgestreckt, und der Deutsche schnarchte in seinem Stuhl im Hintergrunde. Der letztere erwacht von einem Schrei ... es ist nicht ein gräßlicher Traum, sondern schauerliche Wirklichkeit, was seine schlaftrunkenen Augen sehen. Der Schreck schlägt sein Gehirn und bindet seine Glieder, daß er zunächst nichts denken, nichts tun, nichts rühren kann. Ein Löwe steht mit den Vorderpranken auf dem Engländer, hat ihm das Genick zermalmt, reißt mit den Krallen das Fleisch in Fetzen herunter, schlürft das Blut und schlingt mit Gier. Ben Hamid ist erwacht, springt mutig auf die Füße, trotzdem seine Flinte am Eingange hinter dem Löwen hängt, und tritt in seiner Hast auf die Schwanzquaste des Tiers, das wütend knurrt, aber nicht von seiner Beute abläßt, auch nicht gegen den neuen, wehrlosen Gegner sich wendet. Der Menschenfresser trägt den längst toten Engländer im Fange, zwängt den sechs Fuß langen Körper durch das Zeltloch, schleppt und schleift ihn 200 Schritt bis zum Gebüsch, wo er sich hinkauert und an dem schauerlichen Mahle seinen Heißhunger stillt.«
»Die Frechheit der Bestie ist ja maßlos,« rief Jobst ganz außer sich vor Zorn und Grauen, und in unerträglicher Spannung schrie er den Neger an: »Weiter! Ben Hamids Kugel ging vorbei ... wie ist das möglich?«
»Ben Hamid lief mit seiner Büchse dem Löwen nach und schoß auf zehn Schritt ... der Anblick der blutigen Masse war selbst dem alten Jäger zu gräßlich, so daß seine Hand wohl bebte ... seine Kugel traf nicht das Herz, sondern nur die linke Pranke des Löwen, der mit einem Wutgeheul sofort ihn annahm, einen Sprung machte und Ben Hamid, dessen zweiter Schuß versagte, niederschlug und riß. Als der Deutsche endlich auf die Beine und mit seiner Elefantenbüchse kam, verschwand der Menschenfresser im Dickicht. Der Araber, dem ein Arm fehlte, starb nach einer Stunde. Von dem Engländer fanden wir nur die Knochen ... diese und den Löwenjäger legten wir in ein tiefes Grab, das wir mit Steinen beschwerten. Der Deutsche schnitt in den Stamm des Affenbrotbaums, unter dem beide ruhen, ein Kreuz und einige Fetischzeichen.«
Die Zeichen waren natürlich die Namen der Getöteten.
Die Tragödie war selbst für abgehärtete Afrikaner über die Maßen grausig. Jobst war ganz still und blaß geworden, wischte sich die Augen, obgleich kein Staubkorn flog, und brummte ingrimmig in den Bart: »Ben Hamid, der Löwentöter, war mein Freund und ein arabischer Gentleman, ja Edelmann – die Sorte ist rar –, nicht durch Geburt, sondern durch hohen Mut und seltene Treue.«
Erb, der erstaunlich schnell die Kisuahelisprache erlernte und ohne Dolmetscher sich verständigte, hatte geschwiegen, bis die erste, ungeheure Aufregung sich legte, und sagte jetzt mit fester Stimme: »Der furchtbare maneater, der zwei Weiße riß und so viele Menschen tötete, muß sterben, ehe er neue Greuel anrichtet. Wenn Sie, Herr Oberleutnant, mir ein paar Tage Urlaub geben, – ich verspreche, rechtzeitig in Tabora die Safari wieder einzuholen – so will ich hier bleiben und den resp. die Löwen schießen. Die Bestien müssen unschädlich gemacht werden. Es ist unsre verdammte Christenpflicht, die armen Leute von der Geißel zu erlösen.«
Fatima betrachtete den jungen Deutschen mit einem großen, glühenden Blick. »Du, du willst uns von dem bösen Teufel, der in den Simbas wohnt, befreien?«
Der Onkel Jobst machte eine mißbilligende Grimasse und eine recht beleidigende Bemerkung. »Inschaallah! So Gott will, wird das nicht geschehen! Wir lassen diesen jungen Hahn und Helden, der so kühnlich kräht, nicht auf die Menschenfresser los. Ich vertrete Vaterstelle an meinem Neffen und trage die Verantwortung. Was würde deine Mutter schreien und schelten, wenn ich ihr schreiben müßte, daß ihr armer seliger-unseliger Sohn ein greuliches Grab in einem Löwenmagen gefunden habe? Eine Löwenjagd ist kein Kinderspiel, und mit einem so bösartigen maneater allein einen Zweikampf zu wagen, ist eine kolossale Dummdreistigkeit, die nur ein ganzes Grünhorn auszudenken vermag ...«
Erb fuhr ihm gekränkt in die Rede. »Ich bin nur dem Herrn Oberleutnant und keinem Vormund unterstellt.«
»Laß mich ausreden! Ich lasse diesen Jüngling nicht in der ungesunden Löwengegend, wenn ich nicht ebenfalls Urlaub erhalte.«
»Ah, aus dem Loche schaut der Fuchs heraus? Wenn Sie uns in Tabora einholen, soll es mir recht sein. Ich bin gern dazu behilflich, die Dorfbewohner von der Löwenplage zu befreien. Aber seien Sie auf der Hut!« Der Oberleutnant war im Grunde ein sehr wohlwollender Mann, wenn auch die Leber durch langen Tropendienst gelitten und auf seine Laune Einfluß hatte.
Jobst sagte schlicht, aber mit eherner Ruhe: »Mein Freund Ben Hamid soll gerächt werden! Inschaallah!« So Gott will bedeutet dieses Wort, das der Moslem stets im Munde führt.
Fatima warf sich mit leidenschaftlichen Dankesworten zu den Füßen des Leutnants hin, der barsch befahl, aufzustehen und den Mund zu halten.
Das junge, heißblütige Weib jauchzte wild in froher Hoffnung, daß ihr lechzender Haß bald im Blut der Bestien gelöscht werde. »Die Mörder werden gemordet, die Menschenfresser von Schakalen und Aasgeiern gefressen, haha! Wenn ich ein Mann wäre, würde ich die Löwen lebendig fangen, ihnen die Augen, die Zunge, die meiner Mutter Blut leckte, ausreißen und langsam, sehr langsam sie rösten vom Schwanzende bis zum Fang mit den furchtbaren Zähnen, die meinen Bruder zerrissen. Haha! Mein kleines, süßes Brüderlein wird gerächt, meiner Mutter Tod gesühnt.« Die zügellose, rachedürstende, gegen Feinde grausame Art des wilden Naturkindes brach so unverhüllt hervor, daß Erb vor dem seltsamen Weibe erschrak. Dieses braune Mädchen mitten unter dem breitnasigen Negervolk war ein unbegreifliches Spiel der Natur, – aber ein Rätsel, das sofort gelöst wurde.
Der dicke Schulze nämlich schrie sie grob an: »Was hast du unter Männern zu suchen? Setz dich zu deinem Gelichter! Und was lügst du den hohen Herren die Haut voll? Sie hat keine Mutter und keinen Bruder gehabt. Der Löwe, dem Ben Hamid die Vorderpranke zerschoß, humpelt seitdem auf drei Beinen, trotzdem hat der Hinker die Bantukai vor acht Tagen aus dem Maisfelde geholt. Diese Bantukai, um die sie heult, war nicht Fatimas Mutter, und das Söhnlein des Weibes war nie ihr Bruder, obgleich sie sich um ihn die Haare ausreißt.«
Das Mädchen erwiderte darauf mit rührender Wehmut: »Die Gute war meine Pflegemutter, die mir viel Essen und wenig Schläge gab ... und das Bürschlein, den kleinen, feisten, rundbackigen Burschen, den der Löwe fraß, liebte ich, o, o.« Fatima schluchzte bei der Erinnerung und preßte die Zipfel ihres Gewands zwischen die elfenbeinweißen Zähne.
»Ist die Dirne nicht von eurem Stamme und nicht aus diesem Lande?« fragte Erbenheim interessiert.
Der Schulze erzählte: »Vor fünfzehn Jahren zogen arabische Elfenbeinjäger aus Mombassa nach den großen Seen, rasteten im Dorfe und bezahlten alle Einkäufe mit guten Tauschwaren. Die drei Feuerrohre, die wir haben, erhielten wir für fünfzig Ziegen und etwas Pulver für vierzig Hühner, und wir freuten uns des Handels, obgleich wir übers Ohr gehauen waren. Der Herr der Araber, ein weißbärtiger Mann mit Feueraugen, hatte seinen Harem und seine vier Frauen, deren Antlitz stets bekleidet war, mit auf die Safari genommen, hatte ein großes Gefolge von Sklaven und Dienern und mehr als fünfzig Gewehre und schien ein reicher Scheik zu sein. Freundlich waren die Araber, wir schieden in bester Freundschaft. Nach einem Jahre kam der Scheik aus dem Kongo zurück, und sein Gefolge war zweimal so lang geworden, denn die Karawane hatte 400 frische Sklaven, die in Holzgabeln gefesselt gingen, erbeutet und 300 schwere Elefantenzähne erobert. Die elenden Sklaven raunten, daß ihrer 890 gewesen und die Hälfte ihrer Brüder auf dem Wege gestürzt und liegen geblieben sei, den Hyänen zum Fraß, sie selbst waren mit Striemen bedeckt, mager wie ein Hund, der keinen Herrn hat, und so matt, daß sie einen 50 Pfund schweren Zahn nicht zu tragen vermochten. Die Araber fütterten die Ausgehungerten mit Maisbrei – das mästet –, um ihre Lasttiere wieder auf die Beine zu bringen, bezahlten alles und waren freundlich, so daß wir ihnen gänzlich vertrauten. Wohl fragten sie einmal uns, ob wir nicht hundert Träger bis zur Küste für zehn Feuerrohre stellen wollten; doch, als wir stolz erwiderten: ›Wir sind freie Ackerbauern, die mit der Hand und Hacke, aber nicht mit dem Rücken zu arbeiten gelernt haben,‹ da lachte der Scheik, es sei nur ein Scherz gewesen. Am letzten Abend klang die Trommel, und wir tranken viele Kalebassen, so daß wir sehr lustig wurden. Die Araber wollten die Gastfreiheit erwidern und holten Feuerpombe in Flaschen hervor ... wir tranken den Niggertod, den wir noch nicht kannten, wie Hirsebier, obgleich das braune Wasser wie Pfeffer im Halse brannte. Erst verloren wir die Beine, dann die Zunge, zuletzt den Verstand, und die Trunkenen schliefen wie die Toten. Als wir schließlich erwachten, schrien unsre Weiber – die Araber waren fort, und 120 unsrer kräftigsten Männer fehlten. Sie waren in Holzgabeln gesteckt und mit Elfenbein beladen worden, um an der Küste als Sklaven verkauft zu werden.«
»Welch eine Niedertracht! Ich glaubte bisher, daß dem Araber der Gastfreund heilig sei, nun sehe ich, daß der arabische Sklavenjäger ein vollendetes Scheusal ohne irgendeine Tugend ist!« rief der junge Afrikaner empört.
Und der Alte nickte. »Ich verdamme ungern irgendeinen Kostgänger des Herrgotts, möge er nun aus dem Geschlechte Sems, Hams oder Japhets stammen, aber die Sklavenjäger verfluche ich in die Hölle hinein, dahin sie als leibhaftige Teufel gehören. Sie sind die Pest Afrikas, die weite Gebiete entvölkert hat ... sie sind wahre Menschenbestien, die man wie die Raubtiere und Giftschlangen schießen, erschlagen, vergiften und aufhängen soll.« Er war heiß geworden vor Ingrimm und hörte mit Genugtuung, was der Schulze von dem Rachezuge Simbalimpis erzählte.
»Wir, sogar die Greise und Weiber, ergriffen unsre Feuerrohre und Waffen, die Pfeile und Speere tunkten wir in frisches, aus roten Ameisen gekochtes Gift, denn die frische Säure tötet wie der Blitz. Die Spur der Araber führte uns, bis wir den Rauch ihres Feuers sahen. Wir krochen auf dem Bauche, unsre Pfeile flogen ins Fleisch der braunen Teufel ... ehe er Allah rufen konnte, war mancher mäuschenstill und mausetot von der gesegneten Ameisensäure. Wir sind keine Helden im Krieg, aber die große Wut machte uns zu Löwen. Einige durchschnitten die Seile der Unsren, die, obgleich blutrünstig und schwach von der Mißhandlung, wie Tiger bissen und würgten. Die Hunde töteten 63 unsrer Leute ... doch, hahaha, unser Speergift blieb Sieger, die kleinste Wunde warf den kräftigsten Mann wie einen Käfer um, daß er ein paarmal auf dem Rücken sich wälzte und seine Seele im Schaumspeichel von sich spie. Alles, was nicht lag, lief ... der weißbärtige Scheik rannte wie ein Kudu ... die Haremsweiber, die jungen Bälge spießten wir mit Wollust ... mein Schwestermann, der in der Gabel gewesen, riß einen Säugling aus dem Arm der toten Mutter, faßte ihn an der Ferse, um den Giftwurm zu zerschmettern. Bantukai, die sich ihrer Unfruchtbarkeit schämte und grämte, fiel ihm in den Arm und schrie: »Der Säugling ist mein!« Wir mußten ihr, die als Zauberin geachtet war, den Willen lassen, sie behielt den Balg. Es war ein Mädchen, wurde Fatima genannt und wuchs heran, von einer Ziege gesäugt, von der Alten gehätschelt. Nach zehn Jahren geschah ein Wunder, die unfruchtbare Bantukai schenkte ihrem zweiten Manne einen Sohn ... alle raunten, solches gehe nicht mit rechten Dingen zu ... aber die Hexe lachte, ihre Barmherzigkeit an der Araberbrut sei von dem Arabergott Allah belohnt worden. Genug! Fatima hatte einen Narren an dem dickbäuchigen Bengel gefressen, leckte ihn, wie die Kuh ihr Kalb ... als der Löwe Bantukai fraß, weinte sie drei Tage lang, wie eine Wahnsinnige aber hat sie ihr Gesicht zerkratzt, da der Menschenfresser den Knaben holte, der zwanzig Schritte von der Hütte mit Steinen spielte, und wir sagten zu ihr: ›Was schimpfierst du dir deine Larve um den Bengel, der gar nicht dein Bruder ist?‹«
Verschmitzt plierte der Dorfhäuptling nach dem jungen weißen Herrn hin: »Wenn Ihr wollt, könnt Ihr die Dirne, die Euch zu gefallen scheint, mitnehmen, umsonst und ohne Unkosten. Sie ist nicht von unsrem Volke, man sieht es sofort, denn sie hat keine Lippen und kaum eine Nase und das schmale, verhungerte Arabergesicht.«
Vor den Gesetzen der Negerästhetik konnte Fatima nicht bestehen, aber die zarte, frisch erblühte Dirne mit der zierlichen, biegsam-schmiegsamen Gestalt, den feinen Zügen und den lang bewimperten, bald feurig glühenden, bald gazellensanft schmachtenden Augen hätte in jedem Harem ihr Glück gemacht.
Die Dirne befürchtete wohl, daß ihre ungewöhnliche Lebensgeschichte und ihre stark betonte Häßlichkeit nicht zu ihren Gunsten gesprochen habe, denn sie fragte Erbenheim unruhig: »Wollt Ihr in Wahrheit die Löwen töten? Und könnt Ihr schießen?«
»Ich bin nur ein mäßiger Schütze, aber dieser Mann ist der berühmte Bana Bunduki, dessen Büchse niemals fehlt.«
»Manchmal doch und gerade dann, wo es am allerwenigsten angebracht ist,« meinte Jobst.
Erb sagte bestimmt: »Verlaß dich darauf, Fatima, daß die Menschenfresser erschossen werden.«
Das braune Mädchen hob mit beiden Händen das Gewand und tanzte mit viel Grazie, tanzte rascher, rasender einen wirbelnden Triumph- und Siegestanz, als wenn ihre Todfeinde schon gefällt seien.
Das ganze Dorf durchtollte die halbe Nacht und feierte im voraus den Tod der Menschenfresser, die draußen im Busch sehr laut und lebendig brüllten. Die Neger sind ja die größten Optimisten in allen Weltteilen und naive Sanguiniker, die alles, was sie hoffen, zu haben wähnen und im voraus genießen. Wenn die Vorfreude die schönste Freude ist, so sind die Schwarzen von allen braunen, gelben, weißen und roten Menschen die allerglücklichsten.
Jobst stieß seinen Neffen an. »Hörst du ihn, den König der Wüste, der vor Hunger heult?«
Der Löwe stand keine hundert Meter vom Dorfe. Sein rollendes, grollendes Gebrüll hat in der Nacht und solcher Nähe etwas Gewaltiges, Ungeheuerliches, Erschreckendes, das auf die Nerven fällt. Die Schwarzen krochen am Feuer zusammen, griffen instinktiv nach einem Brande und schielten scheu in die Finsternis hinein. Jobst reinigte und schmierte seine Flinte und Freundin und auch die Elefantenbüchse; er nickte, als sein Gefährte sein Beispiel befolgte. »Ja, mit einem maneater anzubinden, ist immer ein Wagnis und eine Lebensgefahr ... wenn mir was passieren sollte, weißt du, daß ich meine Bank auf der nackten Brust habe. Nur nicht sich hervortun wollen, Bravour ist bei einem Katzenbiest schlecht angebracht. Noch eine Hauptregel! Wenn stets einer den anderen deckt, wenn immer der eine lädt, während der andere schießt, werden die Tage und Taten der Bestien bald gezählt sein.«