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Dr. Schmidt hat allerlei Sorgen. Fremde Sender in der Antarktis. Drei Raupenwagen steuern nach Süden. Lichter in der Ferne. Sirenensignal und Rotfeuer. Die Flotte der Stratosphärenschiffe am Krater. Dr. Schmidt wird von seinen Sorgen befreit. Robinson-Bolton und Freitag-Garrison bauen ein Boot.
Immer schwächer wurde die Dämmerung in der Antarktis. Die lange, fast sechs Monate währende Polarnacht, die zweite Nacht für die Willesche Expedition brach an.
Im letzten Schimmer des sinkenden Tages kehrten die drei Motorfahrzeuge zu der festen Station zurück. Bis auf 800 Kilometer nach Süden waren sie noch vorgestoßen, bevor Dr. Wille sich zur Umkehr entschloß. Eine Fülle von Aufzeichnungen und Forschungsergebnissen brachten die beiden Gelehrten von diesem Ausflug mit, und während der nächsten zwei Wochen saßen sie wie festgemauert vor ihren Schreibtischen. Galt es doch, das gewaltige Material zu ordnen und danach eine zusammenfassende Darstellung der neugewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu geben.
Das Ergebnis dieser Arbeit war bei Dr. Wille eine Broschüre, in der er in knappen Umrissen seine Theorie über den Einfall der Sonnenelektronen auf die Erde entwickelte und durch Hunderte von Beobachtungen bestätigte. Beim langen Schmidt . . . der Umfang seiner Bücher ging immer über seinen eigenen Umfang hinaus . . . wurde das Werk ein mächtiger Wälzer, aber auch hier bot der Inhalt für die Wissenschaft viel Neues und Interessantes. An der Tatsache, daß der magnetische Südpol seit seiner ersten Feststellung durch die Expedition Shackleton eine starke Verschiebung erlitten habe, war danach nicht mehr zu zweifeln. Merkwürdigerweise war es den Forschern aber nicht gelungen, eine andere Stelle zu finden, an der die Magnetnadel senkrecht stand, die man also als magnetischen Pol ansprechen konnte.
Die Tinte auf den Manuskripten war kaum trocken, als ›St 8‹ landete. Das Schiff brachte allerlei nützliche und gute Dinge für die Station. Als es nach kurzem Aufenthalt wieder startete, nahm Hein Eggerth auch die Arbeiten der beiden Doktoren mit und hinterließ ein Versprechen des Ministerialdirektors Reute, daß die Veröffentlichung schleunigst erfolgen würde.
Langsam verstrichen die Stunden der endlosen Polarnacht. Dr. Wille hatte nach seiner Broschüre nichts mehr zu schreiben und beschäftigte sich wieder mit seinen elektrischen Messungen. Dr. Schmidt teilte seine Zeit zwischen dem Schreibtisch und der Funkstation. Denn einmal war ihm eingefallen, daß er noch sehr vieles zu sagen habe, was er in seinem ersten Buch noch nicht gesagt hatte. Und dann mußte er mit Hilfe der Funkstation natürlich die Drucklegung seines ersten Buches überwachen und brachte Lorenzen dadurch langsam zur hellen Verzweiflung. Doch schließlich war auch das überstanden. Mit Hilfe der Ätherwellen hatte Dr. Schmidt auch für den letzten Bogen die Druckerlaubnis gegeben. Nun hatte er eigentlich nichts Rechtes mehr zu tun und begann sich zu langweilen.
Mißmutig kramte er in den Zeitungen und Zeitschriften herum, die ›St 8‹ beim letzten Besuch dagelassen hatte. Illustrierte Journale . . . Magazine mit Preisboxern und Filmschönheiten . . . der lange Schmidt hatte gar kein Interesse für derartige Lektüre und schob sie achtlos beiseite. Aber dort, ein Heft der »American Geophysical Research« . . . das konnte was sein.
Er zog es aus dem Stoß heraus und machte es sich damit neben dem Ofen des Wohnraumes bequem. Mit der pedantischen Systematik, die für ihn so kennzeichnend war, begann er das Heft von hinten nach vorn durchzustudieren. Eine lange Arbeit über Anomalien der Schwerkraft im Gebiete der Anden. Eine andere über magnetische Mißweisungen in der Nähe elektrischer Vollbahnen. Eine dritte über die Versalzung des Grundwassers in der Nähe der Meeresküste . . . gewissenhaft ackerte er alles durch und kam schließlich zu den vermischten Nachrichten.
Er stutzte, als er dort seinen Namen las. Die Notiz behandelte die Übernahme der Willeschen Station durch die Reichsregierung. Mit leichter Ironie wurden die Titel, welche den Herren Wille und Schmidt bei dieser Gelegenheit verliehen waren, aufgezählt. Zum Schluß lobte das amerikanische Blatt aber das Vorgehen der Reichsregierung und sprach den dringenden Wunsch aus, daß man in Washington bald etwas Ähnliches für die Antarktis organisieren sollte.
Nach seiner Gewohnheit kniff Schmidt dabei die dünnen Lippen zusammen und machte ein Gesicht, als ob er etwas Bitteres geschluckt habe.
»Könnten uns grade noch fehlen«, murmelte er vor sich hin. »Die Yankees hier als Konkurrenten, gräßlicher Gedanke.«
Dann las er weiter und stieß schon in der nächsten Notiz wieder auf bekannte Namen . . . Garrison . . . Mr. James Garrison . . . Mitglied der Sternwarte von Pasadena . . . Bolton . . . er brachte das Blatt näher an die Augen und las die Mitteilung noch einmal:
»Seit dem 22. August wird Mr. James Garrison aus Pasadena, ein bekanntes Mitglied der dortigen Sternwarte, vermißt. Es konnte festgestellt werden, daß er sich mit dem Millionär Joe Bolton aus Frisco zu einer Reise in die Antarktis zusammengetan hat. Garrison und Bolton sind auf dem Luftweg nach Australien gekommen. Sie haben in Adelaide am 20. August ein amerikanisches Flugzeug W 16 gekauft und sind mit ihm ohne Piloten am 22. August in die Antarktis gestartet. Seitdem haben sie kein Lebenszeichen mehr gegeben.« – –
Die Notiz brachte noch einen Hinweis, wie notwendig für derartige Expeditionen die staatliche Unterstützung sei, und schloß mit einem Hymnus auf das Vorgehen der deutschen Regierung.
Schmidt ließ das Blatt sinken und strich sich über die Stirn. Was sollte das bedeuten? ›St 8‹ war doch aufgestiegen, um die Schiffbrüchigen zu holen. Eine Kleinigkeit mußte das für ein Stratosphärenschiff wie ›St 8‹ sein. Als ganz selbstverständlich hatten sie angenommen, daß ›St 8‹ die beiden Amerikaner bald fand und mit nach Deutschland nahm. Als so selbstverständlich, daß sie nicht einmal in ihren Funksprüchen danach gefragt hatten . . .
Schmidt sprang auf. Mit dem Blatt in der Hand machte er sich auf die Suche nach Dr. Wille. Er fand ihn in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch mit der Auswertung seiner letzten elektrischen Messungen beschäftigt.
»Was haben Sie, Schmidt?« fragte Wille und schaute kaum von seinen Zahlen auf; er ließ sich bei der Arbeit nicht gerne stören. Schmidt schob die amerikanische Zeitschrift vor ihn hin.
»Hier, Herr Wille, lesen Sie. Garrison und Bolton werden vermißt.«
Kopfschüttelnd überflog Dr. Wille die Notiz.
»Unsinn, Schmidt! Weiß der Teufel, was die amerikanischen Reporter sich da mal wieder aus den Fingern gesogen haben. Fragen Sie doch einfach in Bitterfeld an, wenn Sie's genau wissen wollen.«
»Sie haben recht, Herr Wille, das werde ich auch schleunigst tun.«
Auf Willes Tisch standen zwei Uhren. Die eine zeigte die mitteleuropäische, die andere die Greenwich-Zeit an. Mit einer Handbewegung darauf sagte er:
»Ungünstige Zeit, lieber Schmidt. Zwei Uhr nachts in Bitterfeld. Sie werden auf die Antwort etwas warten müssen, aber fragen Sie nur an.« –
Wille behielt mit seiner Behauptung recht. Es dauerte reichlich sechs Stunden, bevor Schmidt die Antwort auf seine Frage in Händen hielt. Sie lautete kurz und bündig:
»Bolton und Garrison ihrem Wunsche gemäß am 25. August an der italienischen Küste zwischen Neapel und Sorrent an Land gesetzt. Hein Eggerth.«
Daß dieser Funkspruch so spät einlief, war keineswegs, wie Dr. Wille meinte, durch die ungünstige Zeit verursacht. Als der Funker der Eggerth-Werke Schmidts Anfrage des Nachts kurz nach zwei Uhr erhielt, erschien sie ihm so wichtig, daß er sie zu Hein Eggerth schickte. Der schimpfte erst auf den Boten, der ihn aus dem Schlafe riß. Aber als er sie gelesen hatte, wurde er vollständig munter und verspürte ein reichlich unbehagliches Gefühl. Das erste war, daß er den Boten gleich weiterschickte und Berkoff holen ließ.
Zu zweit studierten sie den Funkspruch, überlegten hin und her und konnten sich doch nicht darüber einig werden, was darauf zu antworten wäre. Eine Antwort aber . . . das war ihnen beiden klar . . . mußte gegeben werden, denn sonst war Schmidt in seiner übertriebenen Gewissenhaftigkeit imstande, mit der Sternwarte von Pasadena zu funken und bei der Gelegenheit Dinge bekanntzugeben, die vorläufig besser geheim blieben.
Nach einer Stunde Hinundherredens faßte Hein Eggerth einen Entschluß.
»Es hilft nichts, Georg! Wir müssen mit dem Ding zu meinem alten Herrn gehen, der wird schon die richtige Antwort darauf wissen . . .«
Berkoff machte eine unsichere Bewegung.
»Keine angenehme Geschichte, Hein, der Herr Professor machte neulich so ein merkwürdiges Gesicht, als wir ihm von der Ausbootung der beiden Yankees berichteten. Willst du nicht lieber allein zu ihm gehen?«
»Meinetwegen, Georg! Ich habe damals die Idee gehabt und will sie auch weiter vertreten.« – –
Professor Eggerth las die Depesche, die ihm Hein ins Schlafzimmer brachte und die Falten auf seiner Stirn vertieften sich dabei.
»Was hältst du davon, Vater?« fragte Hein.
»Die Notiz in der amerikanischen Zeitschrift ist unwichtig«, meinte Professor Eggerth nach kurzem Überlegen. »In der Union verschwinden jeden Tag tausend Personen und tauchen nach Wochen oder Monaten irgendwo anders gesund wieder auf. Daß hier irgendein Reporter aus dem Verschwinden Garrisons eine Sensation zu machen versucht, hat auch nicht allzuviel zu bedeuten. Das Bedenkliche ist nur, daß unser Schmidt das Blatt in die Finger bekommen hat.«
»Ganz meine Meinung, Vater. Wir müssen ihm so antworten, daß er nicht auf die Idee kommt, überflüssige Funksprüche loszulassen.«
Professor Eggerth unterdrückte ein Lächeln. »Leicht gesagt, aber schwer getan, mein Junge.« Er überlegte eine Weile. »Ja, ich denke, so wird's gehen.« Griff zum Bleistift und entwarf eine Depesche über die Ausbootung der beiden Amerikaner an der italienischen Küste.
Mit zweifelnder Miene überflog Hein Eggerth den Text. »Glaubst du, das wird genügen?«
Der Alte nickte. »So ist's schon richtig, Hein. Laß es aber erst morgen früh funken, um so unverfänglicher wird es wirken.« –
Dr. Schmidt las die Antwort auf seine Anfrage verwundert zum zweiten und dritten Male. Wie war es bei dieser klaren Sachlage möglich, daß die amerikanische Zeitung eine derartig unsinnige Nachricht verbreiten konnte? Lange ging er mit sich zu Rate, was er dagegen unternehmen könne . . . nach Pasadena funken? . . . der amerikanischen Zeitschrift eine Richtigstellung schicken, in der die erfolgreiche Hilfeleistung des deutschen Stratosphärenschiffes nicht zu kurz kommen sollte? . . .
Nun zeigte es sich, daß Professor Eggerth doch ein guter Psychologe war. Der lange Schmidt verwarf die erste Möglichkeit und entschied sich für die zweite. Sofort ging er daran, eine geharnischte Richtigstellung an die »American Geophysical Research« zu entwerfen. Die konnte das nächste Stratosphärenschiff, das zur Station kam, dann mitnehmen und weiterbefördern.
Für Schmidt war die Angelegenheit damit erledigt, und seine wissenschaftlichen Interessen nahmen ihn wieder in Anspruch. Nach dem Abendessen folgte er Wille in dessen Arbeitszimmer.
»Was haben Sie jetzt wieder für Schmerzen, lieber Schmidt?« fragte Wille und blickte mißtrauisch auf eine mehrfach zusammengefaltete Karte, die Schmidt unter dem Arm hatte
»Haben Sie einen Augenblick Zeit für mich, Herr Dr. Wille?«
Wille kannte die ›Augenblicke‹ von Schmidt. Meistens wurden halbe oder ganze Stunden daraus.
»Bitte sehr, Herr Schmidt. Wenn es wichtig ist . . .« erwiderte er mit einem leichten Seufzer.
Schmidt breitete eine große Karte der Antarktis auf dem Mitteltisch aus. Wille warf einen Blick darauf. »Mal wieder ein echter Schmidt«, dachte er bei sich, als er die zahllosen mit Bleistift auf der Karte eingezeichneten Magnetlinien sah. All die vielen Messungen ihrer letzten Expedition waren hier eingetragen und zu einem Netz geschlossener Linien vervollständigt worden.
Wille beugte sich tiefer über die Karte und verfolgte die verschiedenen Eintragungen, blickte Schmidt dann erstaunt an.
»Ja, was haben Sie sich denn hier geleistet, Schmidt? Die Linien gehen ja weit über das von uns untersuchte Gebiet hinaus.«
»So ist es, Herr Wille. Ich habe mir die Arbeit gemacht, die Linien weiter nach Süden in das Gebiet hinein, in dem wir selbst nicht waren, zu verlängern . . .«
Wille schüttelte abweisend den Kopf. »Ach so, Sie haben extrapoliert. Ein undankbares Geschäft, mein lieber Schmidt. Es kommt selten was Vernünftiges dabei heraus.«
Schmidt kniff die Lippen zusammen, bevor er antwortete.
»In vielen Fällen mögen Sie recht haben. In diesem Falle ergibt sich aber doch ein äußerst bemerkenswertes Resultat. Wie Sie hier sehen, laufen die sämtlichen von mir verlängerten Linien auf 83 Grad 14 Minuten Süd, 158 Grad 12 Minuten Ost zusammen.«
»Hm . . . hm . . . allerdings sonderbar, Herr Kollege. Was folgern Sie daraus?«
»Den einzig möglichen Schluß, Herr Wille, daß der magnetische Südpol, den wir bisher vergeblich suchten, an dieser Stelle liegen muß.«
»Hm! . . . Hm! . . . Hm! . . .« Wille lag mit dem Oberkörper über der Karte und prüfte die Zeichnung mit einer Lupe. »Ich glaube fast, Schmidt, Sie könnten recht haben . . . wenn dort wirklich die neue Lage des Südpols wäre . . . ja, Schmidt, dann müßten wir ja mit unserer ganzen Station zu der Stelle übersiedeln.«
Der lange Schmidt nickte bedächtig.
»Hin müßten wir zu der Stelle unbedingt. Wir haben ja die motorisierte Station. Was hindert uns, daß wir uns schon morgen oder übermorgen auf den Weg machen?«
»Die Nacht, die Nacht, Herr Dr. Schmidt! Der einbrechenden Nacht wegen sind wir ja das letztemal umgekehrt.«
»Unnötigerweise nach meiner Meinung, Herr Wille. Sie wissen, daß ich damals durchaus dagegen war. Wir haben genügend Starklichtlampen, um auch während der Nacht im Freien arbeiten zu können.«
Wille zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, Herr Schmidt, ob wir nicht besser warten, bis die Sonne wieder heraufkommt . . .«
»In etwa vier bis fünf Monaten, Herr Wille. Zeit genug, daß auch die Amerikaner hierherkommen und uns die besten Rosinen aus dem Kuchen herausholen.«
»Die Amerikaner? Wie kommen Sie auf die ausgefallene Idee?«
»Einen Augenblick, Herr Wille.« Schmidt verließ das Zimmer und kam gleich danach mit der amerikanischen Zeitschrift zurück. »Hier können Sie es lesen. Die Yankees liebäugeln stark mit dem Gedanken, im nächsten Frühjahr eine staatlich subventioniere Expedition in die Antarktis zu schicken.«
»Teufel ja! Sie haben auch diesmal recht, lieber Schmidt. In der Tat, wir müssen unsere Zeit ausnutzen.« – –
Als Schmidt endlich das Zimmer verließ, konstatierte Wille mit einem Blick auf die Uhr, daß der ›Augenblick‹ diesmal geschlagene zwei Stunden gedauert hatte, aber die Zeit war ihm nicht lang geworden.
Die Vorbereitungen für die neue Expedition wurden schnell getroffen. Mit einigem Brummen und Knurren nahm Lorenzen davon Kenntnis, daß er wieder allein in der Station zurückbleiben sollte. Immer noch brummend klapperte er mit der Morsetaste, um den langen Funkspruch abzusenden, in dem die Herren Wille und Schmidt an die Eggerth-Werke über die neue Expedition und deren Ziele berichteten.
*
»Darf ich Ihnen die Sachlage kurz darstellen?« fragte Professor Eggerth, während er gegenüber Finanzminister Schröter in dessen Arbeitszimmer Platz nahm.
»Ich bitte darum, Herr Professor.«
»Meine Werke haben die Neubauten für die Pacific-Linie mit allen Kräften beschleunigt. Wir haben zur Zeit acht Stratosphärenschiffe der größten und leistungsfähigsten Type fertig und sind dabei, sie einzufliegen. Vertragsgemäß sind diese Schiffe erst im Januar an die Pacific-Linie abzuliefern. In der Zwischenzeit könnte man mit ihnen alles bequem zu dem Krater schaffen, was dort benötigt wird. Nach meinem Erachten sollte das Reich diese Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen lassen.«
Der Minister zögerte eine Weile, bevor er antwortete.
»Ihr Vorschlag würde bedeuten, Herr Professor, daß wir mit den Arbeiten am Krater schon beginnen, bevor das Reich sich das Gebiet gesichert hat. Ich darf Ihnen nicht verhehlen, daß das Kabinett zu einem solchen Vorgehen wenig Neigung zeigt. Sie wissen, daß wir in Rücksicht auf das Ausland gezwungen sind, das Unternehmen zu tarnen.
Nach dem Plan der Regierung sollen sich die Dinge folgendermaßen entwickeln. Das antarktische Reichsinstitut verlegt seine feste Station weiter nach Süden bis auf etwa hundert Kilometer an den Krater heran. Dieser Ortswechsel muß auf irgendeine Weise wissenschaftlich begründet werden, damit das Ausland keinen Verdacht schöpft . . .«
»Verzeihen Sie, das ist und bleibt der schwierigste Punkt bei der Sache«, warf Professor Eggerth ein. »Die Herren Wille und Schmidt sind unbestechliche Wissenschaftler. Wenn nicht ein Wunder geschieht, weiß ich nicht, wie wir sie mit ihrer Station an den gewünschten Platz hinbekommen sollen.«
Der Minister machte eine Handbewegung, als ob er etwas vom Tische schieben wollte.
»Fassen Sie die Sache nicht so schwer auf, Herr Professor. Auf 800 Kilometer sind die Herren schon nach Süden vorgestoßen. Ich habe mir über ihre letzten Arbeiten Bericht erstatten lassen. Besonders Dr. Wille scheint ganz hübsche Entdeckungen gemacht zu haben, die ihn wahrscheinlich sehr bald veranlassen werden, noch weiter nach Süden zu gehen. Steht dann die feste Station an der gewünschten Stelle und veröffentlichen die beiden Herren fleißig neue Entdeckungen, dann kann das Reich dort ein Gebiet von . . . sagen wir einmal 300 Kilometern im Durchmesser in Besitz nehmen und zu einer deutschen Kolonie erklären. Weder Frankreich noch England werden uns die trostlose Schneewüste streitig machen. Das wissenschaftliche Mäntelchen, das wir der Sache umhängen, wird uns vor allen neugierigen Augen schützen und dann können wir mit den eigentlichen Arbeiten am Krater anfangen.«
»Wie lange meinen Sie, daß das noch dauern kann?« fragte der Professor.
»Ein paar Monate höchstens, denke ich. Wenn in der Antarktis wieder die Sonne scheint, werden wir hoffentlich beginnen können.«
»Spät . . . sehr spät . . . hoffentlich nicht zu spät«, sprach Professor Eggerth mit leichtem Seufzen vor sich hin.
Die Glocke des Tischtelefons schrillte dazwischen. Der Minister nahm den Hörer ab.
»Ja . . . wie? . . . äußerst dringend? . . . Legen Sie das Gespräch hierher.« Er winkte Professor Eggerth heran. »Ein dringender Anruf für Sie aus Ihrem Werk.«
»Bitte um Verzeihung, Herr Minister.« Der Professor nahm den Hörer. »Wer ist da? . . . du, Hein? . . . Was ist? . . .«
Er griff nach Schreibblock und Bleistift. Der Minister sah, wie es in seinen Zügen arbeitete, während er Worte und ganze Sätze auf das Papier warf.
»Einen Augenblick, Hein! . . . Verzeihung, Herr Minister«, wandte er sich an Minister Schröter. »Eine Sache von größter Bedeutung. Das Wunder, von dem wir eben sprachen, scheint sich ereignet zu haben . . .«
Er sprach wieder in das Mikrophon. »Bitte, Hein, lies den ganzen Funkspruch noch einmal langsam vor.« Auf einem neuen Blatt Papier schrieb er während der nächsten Minuten eifrig mit.
»Ich danke dir, Hein, das genügt. Ich rufe dich in einer Stunde wieder an.«
Er griff nach dem Taschentuch, wischte sich die Stirn und holte ein paarmal tief Atem.
»Nun, Herr Professor? Sie sprachen von einem Wunder? Was hat's denn gegeben?«
»Die Herren Schmidt und Wille brechen heute zu einer neuen Expedition nach dem Süden auf . . .«
»Sehr gut, Herr Professor, das freut mich, ich sagte Ihnen ja, der Appetit kommt mit dem Essen.«
»Etwas zu viel Appetit, Herr Minister. Das Wunder ist etwas zu kräftig geraten. Die Herren wollen graden Wegs zu einer Stelle unter 83 Grad 14 Minuten Süd, 158 Grad 12 Minuten Ost. Der biedere Schmidt glaubt herausgefunden zu haben, daß jetzt dort der magnetische Südpol liegt.«
»Ist ja ganz vorzüglich, Herr Professor. Was gefällt Ihnen an dem Plane nicht?«
Professor Eggerth hielt das Blatt mit seinen Notizen in der Hand. Immer wieder überflog er die Zeilen.
»Was gefällt Ihnen daran nicht?« fragte der Minister zum zweiten Male.
»Es ist der genaue Ort des Kraters, Herr Minister. Erst begriff ich's nicht, jetzt fange ich an, zu verstehen. Die ungeheuren Eisenmassen des Boliden . . . viele Millionen Tonnen sind es ja . . . es wäre schon möglich, daß dieser Eisenberg die erdmagnetischen Linien zu sich hinzieht, daß Dr. Schmidt guten Grund hat, an dieser Stelle den magnetischen Südpol zu vermuten, aber . . . in unsere Pläne paßt es nicht ganz.«
Minister Schröter sah nachdenklich vor sich hin. »Sie haben recht. Direkt bis an den Krater sollten die Herren nicht kommen.«
»In spätestens acht Tagen werden sie da sein. Wenn wir nicht rechtzeitig etwas dagegen tun, werden diese weltfremden Gelehrten die Entdeckung eines Bolidenkraters in alle Welt hinausfunken, und dann können wir unsern ganzen Plan begraben.«
»In spätestens acht Tagen . . . dann heißt es, sofort handeln.«
Der Minister erhob sich. »Herr Professor, ich werde mit allen Mitteln versuchen, im Laufe der nächsten vierundzwanzig Stunden einen Beschluß des Kabinetts herbeizuführen. Ich nehme davon Kenntnis, daß acht neue Stratosphärenschiffe Ihres Werkes der Regierung zur Verfügung stehen.«
Auch der Professor stand auf.
»Die Schiffe liegen startbereit zur Verfügung des Reichs. Sie können sie jederzeit durch den Fernsprecher beordern.«
»Ich danke Ihnen, lieber Professor, in spätestens vierundzwanzig Stunden hören Sie von mir.«
*
Seit vier Tagen waren die Mammutwagen des deutschen antarktischen Institutes unterwegs. Unaufhaltsam mahlten ihre mächtigen Raupenketten sich den Weg durch ein Gelände, in dem jeder gewöhnliche Kraftwagen rettungslos steckengeblieben wäre. Schluchten mußten durchfahren werden, deren Steilhänge die Maschinen der Fahrzeuge aufs höchste beanspruchten. Schneewehen wurden durchquert, in denen die Schneemassen über den mächtigen Wagenkästen zusammenschlugen. Wie riesenhafte Bohrwürmer arbeiteten sich die Raupenwagen durch die weiße Masse hindurch. Und als auch das überwunden war, führte die Fahrt in langer stetiger Steigung hoch und immer höher. Man näherte sich dem Markham-Gebirge, das sich fast 5000 Meter über die See erhebt.
Die Spitze des Zuges hatte der Wagen mit den magnetischen Meßinstrumenten, den Schmidt seit der Abfahrt der Station nicht mehr verließ. In einem Sessel gönnte er sich hier bisweilen einen kargen Schlaf. Aus dem Wohnwagen ließ er sich während der kurzen Rasten die Mahlzeiten bringen und hockte die ganze übrige Zeit bei den Meßinstrumenten.
Blätter mit Hunderten und aber Hunderten von Zahlen bedeckt lagen zwischen den Apparaten umher. In der charakteristischen spitzen Schrift von Schmidt enthielten sie Aufzeichnungen über ebenso viele magnetische Messungen, die der unermüdliche Doktor während der Fahrt gemacht hatte. Unterbrach er die Arbeit einmal, so geschah es nur, um nach vorn zu gehen und den Wagenführern, die irgendwie vom Kurse abgewichen waren, neue Weisung zu geben. Denn jede Abweichung verrieten ihm seine Instrumente sofort. Nach dem neuen magnetischen Südpol sollte ja die Reise gehen, und das bedeutete nichts anderes, als unentwegt und genau der südweisenden Spitze der Magnetnadel zu folgen. –
Ein schriller rauher Ton heulte auf. Es war die Sirene des Wohnwagens, die zu kurzer Rast rief. Unwillig verzog Schmidt die Lippen, als sein Wagenführer den Motor stillsetzte. ›Essen und Trinken, was anderes versteht das Volk nicht‹, knurrte er bissig vor sich hin, als er ihn im Lichte des fast vollen Mondes über den Schnee dahineilen und im Wohnraum verschwinden sah. Sein Blick fiel auf den Kilometerzeiger. 954 Kilometer hatten sie bis jetzt zurückgelegt . . . noch mehr als 100 Kilometer waren es bis zum Magnetpol . . . Ärgerlich stampfte er in dem Raum hin und her, bis Hagemann herankam und ihm sein Essen brachte.
Noch ein anderes Mitglied der Station nahm während dieser Fahrt nicht an der gemeinsamen Tafel im Wohnwagen teil. Das war Rudi Wille, der die kurzen Aufenthalte jedesmal dazu benutzte, um die Funkstation in Betrieb zu nehmen. Auch jetzt kurbelte sich aus dem dritten Wagen der Antennenmast in die Höhe. Die Kopfhörer an den Ohren saß Rudi vor seinem Apparat. Gewohnheitsgemäß nahm er zuerst die Verbindung mit der festen Station auf und hatte das Glück, Lorenzen am Empfänger zu erwischen.
Ob es irgendwas Neues gäbe, wollte Rudi wissen.
»Neues? Ja!« Vor etwa sechs Stunden hatte Lorenzen eine ganze Reihe von Funksprüchen aufgefangen. Sie waren verschlüsselt in einem ihm unbekannten Kode, so daß er sie nicht entziffern konnte.
Rudi lachte, während er zurückmorste, daß so etwas wohl öfters vorkäme und kaum der Rede wert sei. Aber die Antwort Lorenzens machte ihn stutzig. So außerordentlich stark seien die Funksprüche angekommen, als ob sich der Sender in nächster Nähe befände.
»Fast noch lauter«, endete Lorenzens Mitteilung, »als wie wenn unsere Stratosphärenschiffe ihre Ankunft funken.«
Rudi überlegte. Sollte wieder eins der Eggerth-Schiffe auf dem Wege zur Station sein? Dann war es vielleicht empfehlenswert, direkt mit ihm in Verbindung zu treten. Er ließ sich von Lorenzen die Wellenlänge der aufgefangener Depeschen geben. Als er sie eben notierte, kam Hagemann und stellte ein Tablett mit dem Mittagessen vor ihn hin.
»Na, heute so brummig, Hagemann?« fragte Rudi, und klopfte ihm den Schnee aus dem Pelz.
»Grund genug dazu, Rudi, wenn man hier in Eis und Nacht den Servierkellner machen muß. Bei Ihnen hat's ja einen Sinn. Sie müssen während der Rastzeiten immer am Funk hängen, armer Junge. Aber der lange Schmidt hat doch weiß Gott nichts in seinem Wagen verloren. Der könnte ruhig zu Tische kommen.«
»Aber Hagemann! Wie können Sie? Es heißt: Herr Ministerialrat Schmidt.«
»Gut, Rudi. Dann kann also der Herr Ministerialrat Schmidt mir den Buckel lang rutschen!« rief Hagemann und schlug die Wagentür hinter sich zu. –
In der nächsten Viertelstunde war Rudis Aufmerksamkeit zwischen den Schüsseln und seinen Apparaten geteilt. Die Gabel in der Linken, fingerte er mit der Rechten an den Abstimmknöpfen der Anlage herum. Jetzt hatte er die Welle, die Lorenzen ihm angab. Er horchte am Empfänger, nichts war zu hören. Im Augenblick funkte der fremde Sender jedenfalls nicht. Er warf den Schalter seiner Anlage vom Empfang auf Senden herum, rief selber an, meldete die motorisierte Station des deutschen antarktischen Institutes, schaltete dann wieder um und lauschte. Auf die Antwort brauchte er nicht lange zu warten. Eilig schrieb er mit, was im Geheimkode der Eggerth-Werke aus den Hörern klang.
»St 11f, Pilot Hein Eggerth unter 83 Grad 14 Minuten Süd, 158 Grad 12 Minuten Ost am magnetischen Südpol. Erwarten Ihre Ankunft. Bitten dringend, nichts über unser Hiersein an andere Stationen zu funken.«
Rudi bestätigte das Radiogramm und schaltete danach wieder auf Empfang um. Doch vergebens lauschte er. Die Station von ›St 11f‹ sendete schon wieder in einer anderen Chiffre, die er nicht zu entschlüsseln vermochte. Ein Sirenenschrei vom Wohnwagen her mahnte zum Aufbruch. Schleunigst kurbelte er den Antennenmast wieder ein und lief zu dem mittleren Wagen hinüber, bevor die Motoren wieder ansprangen. Kaum war er dort, als die abenteuerliche Fahrt durch die Polarnacht schon weiterging.
Kopfschüttelnd las Wille den Funkspruch, den sein Sohn ihm in die Hand drückte.
»Sonderbar, Rudi! Ein Eggerthschiff liegt schon an der Stelle, zu der wir hinwollen? . . . Wir sollen nichts darüber funken . . . Was ist denn plötzlich in Professor Eggerth gefahren? Solche Geheimniskrämerei bin ich von ihm nicht gewohnt. Bin neugierig, was Schmidt dazu sagen wird.« – – –
Dr. Schmidt stand in seinem Wagen und starrte, die Uhr in der Hand, auf den Kilometerzeiger. Immer stärker hatte ihn während der letzten Stunden die Empfindung überkommen, als ob der starke Raupenwagen viel schneller liefe als früher. Dies Gefühl hatte ihn schließlich von seinen Instrumenten zu dem Kilometerzeiger hingetrieben. Gespannt verfolgte er dessen Lauf zusammen mit dem Gang des Sekundenzeigers auf seiner Uhr. Ein Zweifel war kaum noch möglich, der Wagen entwickelte jetzt auf dem ebenen, nur mit einer leichten Schneelage bedeckten Gelände eine Stundengeschwindigkeit, die an die 40 Kilometer herankommen mochte.
Er ging nach vorn zum Führersitz und sah nach dem Geschwindigkeitsmesser. Der Zeiger des Instrumentes spielte über die 40, seine frühere Beobachtung war richtig. Er überschlug die Zeit seit der letzten Rast. Wohl an 80 Kilometer konnte der Wagen seitdem zurückgelegt haben, nur noch 20 Kilometer trennten ihn vom Ziel der langen Fahrt.
Er ließ die Tür zum Führerraum offen und kehrte zu seinen Instrumenten zurück. Ein Blick auf die Magnetnadel zeigte ihm, daß der Fahrer um 10 Grad nach Westen vom Kurse abgekommen war. Vor sich hinbrummend griff er nach einem tragbaren Kompaß und eilte damit in den Führerstand, um dem Mann die genaue Richtung zu weisen. Dicht vor das Gesicht hielt er ihm die Bussole. »So müssen Sie fahren, Mann! Immer der Nase nach, immer der Nadel nach.«
Der Fahrer drehte das Lenkrad, in weitem Bogen schwenkte der Wagen nach Osten, bis die feine Magnetnadel genau in der Richtung seiner Längsachse zitterte.
»So ist's richtig. Behalten Sie den Kurs bei«, sagte Schmidt, während er einen Augenblick durch die Glasscheiben hinaus nach vorn schaute.
Wohl an die hundert Meter weit lag das Schneefeld vor dem Wagen im glänzenden Licht der Scheinwerfer. Aber außerhalb seines Glanzes hatte der Doktor noch etwas gesehen, das ihn veranlaßte, länger und schärfer hinzublicken.
»Schalten Sie die Scheinwerfer aus!« rief der dem Führer zu.
Ein Schaltergriff, das Licht erlosch. Nur noch im Mondenlicht schimmerte die weite Schneefläche vor dem Wagen. Aber stärker sichtbar wurde jetzt das, was dem Dr. Schmidt vorher aufgefallen war.
In weiter Ferne am Horizont genau geradeaus vor ihnen in der Richtung, in der sie fuhren, glänzte ein heller Schein auf. Ein leuchtender Dunst lag dort über dem Land, wie man ihn in dunklen Nächten wohl aus der Ferne über einer Stadt bemerken kann.
»Kann ich die Scheinwerfer wieder einschalten?« fragte der Fahrer. Er mußte zum zweiten und dritten Male fragen, bevor er Antwort erhielt. Wie hypnotisiert starrte Schmidt auf den fernen Lichtschein.
»Darf ich wieder einschalten, Herr Geheimrat?«
»Noch nicht, fahren Sie ohne Licht weiter. Sehen Sie den Schein dahinten! Darauf müssen Sie zuhalten.«
Schweigend fuhr der Chauffeur weiter, schweigend stand Schmidt hinter ihm . . . hundert Gedanken kreuzten sich in seinem Kopfe . . . Was für ein Licht war das da vorn? . . . Ein Südlicht vielleicht? Nein, mit den flatternden, lodernden Feuerbändern der Südlichter war dieser ferne, ruhige Schein nicht zu verwechseln . . . eine andere Naturerscheinung vielleicht? . . . es gab Vulkane in der Antarktis, die Lava und Feuer spieen . . . auch das konnte es nicht sein. Ein Vulkan hätte einen röteren, unruhigeren Schimmer geben müssen . . .
Vergeblich durchdachte Dr. Schmidt alle Möglichkeiten, er fand keine Erklärung für dies merkwürdige Licht, das zusehends stärker wurde, während der Wagen einen Kilometer nach dem andern zurücklegte. Dr. Schmidt überschlug noch einmal die Zeiten und Geschwindigkeiten. Nur noch etwa 4 Kilometer konnten sie jetzt von dem Ziel ihrer Fahrt entfernt sein. Er holte sich sein scharfes Glas, um die sonderbare Erscheinung noch besser zu beobachten. Er preßte es an die Augen, stellte es genau ein und sah in dem milchigen hellen Schimmer eine Anzahl heller Punkte. Wie Perlen auf einer Schnur schienen sie aufgereiht zu sein. Unwillkürlich mußte er an elektrische Lampen denken, die eine Landstraße säumen und von weitem wohl ähnlich aussehen können.
Sirenenklang vom Mittelwagen her riß ihn aus seinen Gedanken. Es war das Signal zum Halten. Verwundert sah er auf die Uhr. Kaum drei Stunden waren seit der letzten Rast verstrichen. Warum sollte jetzt schon wieder haltgemacht werden? Zu längerem Überlegen ließ ihm Hagemann keine Zeit, der herankam, um ihn zu Dr. Wille in den Wohnwagen zu bitten. Kopfschüttelnd warf er sich seinen Pelz über und folgte dem Boten. – –
»Haben Sie die absonderliche Lichterscheinung grade voraus auch beobachtet?« fragte er beim Eintreten.
Wille nickte. »Grade deswegen ließ ich halten und Sie zu mir bitten. Irgendwas muß dort im Gange sein, über das ich mir Klarheit verschaffen möchte, bevor wir weiter fahren.«
Schmidt zuckte die Achseln. »Ich habe mir vergeblich den Kopf darüber zerbrochen. Mit irgendeiner Naturerscheinung hat es jedenfalls keine Ähnlichkeit.«
Wille schob ihm den Funkspruch von ›St 11f‹ hin. Schmidt las ihn, kniff dabei nach alter Gewohnheit die Lippen zusammen.
»Ein Stratosphärenschiff ist dort? . . . Eigentümlich . . . Was haben die Herren von den Eggerth-Werken da zu suchen? . . . Merkwürdig, Herr Wille, wir sollen an niemand über ihr Dortsein funken . . . Das scheint mir etwas weit zu gehen, das sieht ja fast so aus, als ob die Herren eine Funksperre über uns verhängen wollten . . .«
Er ließ das Blatt sinken. »Ein Stratosphärenschiff ist dort . . . gut, mag sein . . . aber das erklärt immer noch nicht die Lichterscheinung. Ich habe vorher durch mein Glas etwa dreißig Lichtpunkte gezählt. Möglicherweise könnten es Lampen an hohen Masten sein . . . aber was für eine Veranlassung sollte das Stratosphärenschiff haben, mitten in der Antarktis eine derartige Festbeleuchtung zu veranstalten. Einen vernünftigen Grund dafür kann ich nicht entdecken.«
»Ich auch nicht, Herr Schmidt. Aber ich bitte Sie, jetzt hierzubleiben. Wir wollen uns die Sache zusammen ansehen, während wir weiterfahren.«
Ein kurzes Sirenensignal, und der Wagenzug setzte sich wieder in Bewegung. Schmidt und Wille standen im Führerraum. Jetzt konnten sie bereits mit bloßem Auge einzelne starke Lichter in dem leuchtenden Schein sehen. Das Gelände begann wieder zu steigen. Mit verminderter Geschwindigkeit rollten die schweren Raupenwagen einen langen Hang hinauf.
›Sonderbar, sonderbar‹, murmelte der lange Schmidt vor sich hin. ›Gerade hier an diesem Punkt ein Berg . . . ziemlich hoch sogar . . .‹
Kopfschüttelnd versank er wieder in Schweigen und kniff die Lippen noch fester zusammen, als plötzlich dicht voraus ein Rotfeuer aufflammte und eine Gestalt daneben den Fahrzeugen Halt winkte.
Die Motoren standen still. Dr. Wille stieg aus dem Wagen und lief Hein Eggerth in die Arme, der ihn mit kräftigem Händedruck begrüßte und sofort in ein Gespräch verwickelte. Schmidt blieb ein wenig zurück und schaute sich um.
Ein eigenartiges Bild bot sich seinen Blicken. Er stand auf einer Art von Gebirgskamm, der eine Kreislinie zu bilden schien. Ein Kreis, in gleichmäßigen Abständen mit hohen Gittermasten besetzt, die in etwa dreißig Meter Höhe mächtige Starklichtlampen trugen. Jetzt begriff er die Ursache der sonderbaren Lichterscheinung, die ihm während der Fahrt so rätselhaft war.
Aber noch etwas anderes erblickte er, das ihn vor neue Rätsel stellte. Dort zur Linken in einer Entfernung von kaum hundert Metern lag der schimmernde Rumpf eines Stratosphärenschiffes. Viel größer und gewaltiger war der Metallbau als der von ›St 8‹, den er kannte. Das mochte wohl ein Schiff der neuen stärkeren Type sein. Doch zur Rechten lag auch solch Flugschiff und noch andere lagen daneben. Acht dieser riesenhaften walfischartigen Ungeheuer zählte er. Eine ganze Flotte von Stratosphärenschiffen hatten die Eggerth-Werke hierhin entsandt. Wie um sich zu vergewissern, ob er nicht träume, strich er sich über die Augen. Das Bild blieb. Es war Wirklichkeit, wunderbare, unverständliche Wirklichkeit, die sein Blick erfaßte.
Nachdenklich schritt er langsam weiter, den Hang hinab. Er kam nicht weit. Der Boden, hier auffallenderweise schneefrei und von den Starklichtlampen grell beleuchtet, hörte plötzlich wie abgeschnitten vor ihm auf. Jäh verhielt er den Schritt, um nicht in den Abgrund zu stürzen, und erkannte im Augenblick, daß er am Rande eines gewaltigen Kraters stand, durch den . . . vor undenklichen Zeiten vielleicht . . . ein Vulkan seine Glutmassen emporgeschleudert haben mochte. Regungslos stand er am Rande der steilen Kraterwand, schaute hinab und sah auch in der Tiefe dort unten Lichter, erkannte Manschen, die sich dort unten bewegten. Ein dumpfer, hämmernder Lärm drang aus dem Schlund empor, als ob Maschinen auf seinem Grunde arbeiteten.
»Herr Ministerialrat Schmidt!« Der Ruf war hinter ihm erklungen. Er drehte sich um. Nur wenige Schritte von ihm entfernt stand Reute. Nur mühsam fand Dr. Schmidt Worte.
»Ich begreife das alles nicht, Herr Ministerialdirektor. Eine Flotte von Stratosphärenschiffen hier! Diese Arbeiten . . . grade hier am magnetischen Pol, wo wir unsere Messungen machen wollen.«
Ein leichtes Lächeln glitt über die Züge Reutes.
»Ich fürchte, Herr Ministerialrat, daß der Ort wenig dafür geeignet ist. Sie werden keine große Freude an Ihren Messungen erleben.«
»Wie meinen Sie das? Hier ist der Pol, die Magnetnadel weist hierhin.«
Das Lächeln auf Reutes Gesicht wurde stärker.
»Kein Wunder, Verehrtester. Dort auf dem Grunde liegen schätzungsweise fünf Milliarden Tonnen reines Eisen. Das ist für die Magnetnadel schon ein triftiger Grund, nach dieser Stelle zu weisen. Wir kannten den Ort dieser riesenhaften Eisenmasse schon früher. Mein Kompliment, Herr Kollege, daß Sie ihn nach Ihren magnetischen Messungen auch so genau ermittelt haben.«
Während Reute sprach, wurde das Gesicht des langen Schmidt immer verdutzter. Ein paar Sekunden starrte er den Sprecher mit offenem Munde an, bevor er etwas zu sagen vermochte.
»Ja, aber . . . ja . . . dann wären ja alle meine Vermutungen über die wirkliche Lage des Magnetpols hinfällig, dann . . . ja, dann Herr Ministerialdirektor müssen wir . . . alle Bedingungen haben sich dann verändert . . . dann müssen wir aufs neue auf die Suche gehen . . . das ist . . . ich verstehe, eine so enorme Eisenmasse muß natürlich eine Störung in den erdmagnetischen Fluß bringen . . . aber ich begreife doch wieder nicht . . . warum kommt die Störung erst jetzt. Wir haben im vergangenen Winter in unserer Station am Shackleton-Pol nichts davon gemerkt, die Störung muß erst später aufgetreten sein . . . wie ist das möglich, Herr Ministerialdirektor . . .«
Reute griff ihn unter den Arm und zog ihn mit sich.
»Das ist eine lange Geschichte, lieber Ministerialrat. Zu lang, um sie Ihnen hier draußen zu erzählen. Kommen Sie mit in mein Haus. Da wollen wir in Ruhe darüber sprechen.«
Wie benommen ging Schmidt neben Reute her. Er schaute kaum um sich, als der ihn an einem Stratosphärenschiff vorbeiführte, und sah erst auf, als sie vor einem Haus standen, das in seiner Ausführung den Gebäuden der Willeschen Station sehr ähnlich sah. Neben dem Haus erhob sich ein Mast, an dem die Flagge des Deutschen Reiches in leichtem Winde flatterte.
»Treten Sie bitte ein«, sagte Reute. »Herr Wille ist schon hier. Wir müssen diese Angelegenheit zu dritt gründlich besprechen.«
*
Hätte Berkoff den Gebrauch voraussehen können, den Bolton und besonders Garrison von den ihnen überlassenen Werkzeugen machten, so wäre er vielleicht etwas weniger freigebig damit gewesen. Auf die Gefahr hin, die beiden Yankees zu Rohköstlern zu machen, hätte er ihnen dann vielleicht nicht einmal Streichhölzer und Feuerzeuge dagelassen.
Scharfe Handbeile und Äxte, Sägen und Stemmeisen hatte er ihnen damals in die Erzkiste gepackt, um ihnen die Möglichkeil zu geben, Bäume zu fällen und sich eine menschenwürdige Behausung zu errichten. Aber die Herren Bolton und Garrison hatten ganz und gar nicht die Absicht, sich auf ihrer Insel seßhaft zu machen. Auch jetzt noch . . . der Kalender, den Garrison nach Robinsons Vorbild in Kerbschnittmanier an einem Baumstamm angelegt hatte, zeigte bereits den dreißigsten Tag . . . bestand ihre Behausung nur aus einem primitiven Zelt, das aus drei Baumstämmen und ein paar wollenen Decken zusammengebaut war. Sie konnten nicht viel Zeit für seine Herstellung erübrigen, denn ihre ganze Arbeit galt einem anderen für sie viel wichtigeren Zweck.
Während der ersten zehn Tage ihres Aufenthaltes auf der Insel beschäftigte sich jeder der beiden auf seine eigene Art. Bolton unternahm Streifzüge, schoß Ziegen und allerlei Geflügel und betätigte sich nach erfolgreicher Jagd als Koch. Nach Urväterweise briet er das erlegte Wild über loderndem Holzfeuer am Spieß. Wenn der Braten gar war, mußte man die verkohlte Außenseite mit einem Stemmeisen entfernen, aber was danach übrigblieb, war recht schmackhaft und bekömmlich.
Garrison kehrte immer wieder nach jenem waldlosen Gipfel zurück, den sie schon am ersten Tage aufgesucht hatten. Viele Stunden lang saß er hier, machte Schattenmessungen, schrieb und rechnete.
Auf der Suche nach neuem Papier . . . das letzte Blatt seines Notizbuches war bereits mit Zahlen vollgekritzelt . . . machte er sich auch über die Konserven her. Vielleicht, daß das Papier, mit dem die Blechbüchsen beklebt waren, für weitere Rechnereien einen brauchbaren Untergrund liefern konnte.
Büchse um Büchse ließ er durch seine Hände gehen. Condensed Milk, Corned Beef und Ox-Tail-Soup und was sonst noch alles an guten Dingen die Vorratskammer von ›St 8‹ für sie hergegeben hatte. Plötzlich stutzte er. Eine Büchse . . . nach der Aufschrift enthielt sie Hummer . . . war ihm in die Hände gekommen. Aus irgendwelchen Gründen . . . die Wege der Reklame sind bisweilen ebenso unerforschlich wie diejenigen Gottes . . . hatte der Erzeuger dieser schmackhaften Konserven es für zweckmäßig gehalten, eine Karte der Südsee auf der Büchse anzubringen.
Mit zitternden Fingern drehte Garrison den kostbaren Fund hin und her. Dicht an die Augen brachte er die Büchse, um die Darstellung in allen Einzelheiten zu prüfen. Mit unbeschreiblicher Freude stellte er fest, daß er nicht irgendeine Phantasiedarstellung, sondern eine richtige Karte mit eingetragenem Gradnetz entdeckt hatte. – –
Tiefer sank die Sonne. Die Flinte über die linke, ein halbes Dutzend Tauben über die rechte Schulter gehängt, kam Bolton von der Jagd zurück. Verwundert schaute er seinen Gefährten an. Der lag der Länge nach im Grase, eine Konservenbüchse und sein Notizbuch vor sich, und zirkelte in einer unbegreiflichen Weise an der Büchse herum.
»He, Garrison, was haben Sie da? Hat's Ihnen der Hummer von Jenkins & Parry angetan oder fehlt Ihnen sonst was?«
Garrison sprang auf und streckte Bolton die Konservenbüchse mir einem so mächtigen Schwung entgegen, daß der einen Schritt zurücktrat.
»Bolton! Ich weiß, wo wir sind. Hier! Sehen Sie, hier!«
Er wies auf ein Bleistiftkreuz, das er auf die Büchse gemacht hatte.
»Hier sind wir, kaum zweihundert Kilometer von Tahiti entfernt. Da müssen wir hin, Bolton . . . schnellstens hin.«
Kopfschüttelnd nahm ihm Bolton die Büchse aus der Hand und sah sie sich genau an.
»Gott segne Jenkins & Parry dafür, daß sie uns diese Karte sandten. Aber . . . zweihundert Kilometer . . . ein langer Weg, Garrison. Fliegen können wir nicht . . . wie sollen wir über das Meer kommen?«
»In einem Boot natürlich, Bolton, wie andere Leute auch.«
»Erst eins haben, Garrison. Wo sollen wir auf dieser dreimal verfluchten Insel ein Boot finden?«
»Wir werden uns eins bauen, Bolton.«
»Ein Boot bauen?« Bolton ließ vor Überraschung die Tauben fallen. »Ein Boot wollen Sie bauen, mit dem man zweihundert Kilometer über die See fahren kann . . .?«
»Nicht ich allein, wir beide zusammen werden es bauen, und wir werden damit fahren.«
»Alle Wetter, Garrison, Sie haben Unternehmungsgeist! Wie Sie das machen wollen, ist mir freilich schleierhaft.« – – –
An diesem Abend sprach Garrison nicht weiter von seinen Plänen. In einer fast ausgelassenen Stimmung schaute er den Kochkünsten Boltons zu und ging danach dem Taubenbraten gehörig zu Leibe.
»Wir werden in der nächsten Zeit alle unsere Kräfte gebrauchen, Bolton«, meinte er, mit vollen Backen kauend. »Stärken Sie sich auch ordentlich, damit ich eine gute Hilfe an Ihnen habe.« – – –
Lange noch lag Garrison während der Nacht wach in dem Zelt. Stunden hindurch konnte er keinen Schlaf finden. Zu sehr arbeiteten die Gedanken in seinem Hirn. Immer festere Formen gewannen dabei seine Pläne. Bis in alle Einzelheiten hatte er sie durchdacht, als er endlich einschlummerte. –
Während der nächsten Tage führte Garrison ein Wanderleben. Nach beiden Seiten hin durchstreifte er die Uferwaldungen, bis er nach langem Suchen fand, was ihm für seine Zwecke brauchbar dünkte.
Er entdeckte es an einer Stelle, an der ein steiler Felshang dicht an das Ufer herantrat. Nur einen knappen Steinwurf breit war der flache sandige Strand davor. Aus anderem, niedrigem Gehölz ragte dort ein mächtiger Brotfruchtbaum empor. Fast zwanzig Meter reckte sich der glatte astlose Stamm einer Säule gleich in die Höhe, bevor die Baumkrone begann. Gut anderthalb Meter war der Stamm stark.
Gleich nach der Mittagsmahlzeit führte er Bolton dorthin, zeigte ihm den Baum und erklärte ihm seine Absichten. Der sah sich den mächtigen Stamm an und warf Garrison einen mitleidigen Blick zu.
»Den Riesenstamm wollen Sie mit unseren Werkzeugen umlegen? . . . Ist ja ganz unmöglich! Ebenso gut können Sie's mit Ihrem Taschenmesser versuchen . . . und dann noch ein Boot aus diesem Mordsbaum herausarbeiten . . . unmöglich, ganz unmöglich, was Sie sich da in den Kopf gesetzt haben.« – –
In einem Punkt behielt Bolton recht. Es war eine schwere langwierige Arbeit, den mächtigen Baum umzulegen, und zwar so umzulegen, daß er nach außen hin auf den Strand stürzte. Vom ersten Morgenschein bis zum Untergang der Sonne arbeiteten sie daran. Mit schmerzendem Rücken, in Schweiß gebadet, die Hände voller Schwielen hieben sie unablässig Span um Span aus dem zähen Holz, bis endlich am Abend des dritten Tages ein Schüttern durch den Riesen des Tropenwaldes ging, der gewaltige Baum sich langsam neigte und krachend auf den Strand niederstürzte.
Einen Tag gönnten sie sich Ruhe, dann kam ein zweites, kaum minder schweres Stück Arbeit. Die Krone mußte vom Stamm gekappt werden. Nur kurze Pausen machten sie für die Mahlzeit; längere, unwillkommene mußten sie einlegen, um die stumpf werdenden Äxte immer wieder zu schärfen. Eine Woche war vergangen, seitdem Garrison den Baum entdeckte, da lag der Stamm von allem Astwerk befreit auf dem Sand.
»Was kommt jetzt?« fragte Bolton und besah sich seine zerschundenen Hände.
»Jetzt wird es viel leichter, Bolton. Jetzt soll das Feuer für uns arbeiten, Sie werden es bald sehen«, tröstete ihn Garrison. »Brennholz brauchen wir jetzt, viel trockenes Brennholz, das müssen wir noch herschaffen.«
Als die zweite Woche zu Ende ging, sah das Bild ganz anders aus. Der ganzen Länge nach brannte auf dem mächtigen Stamm ein Feuer, sorgfältig genährt durch fortwährend neu aufgelegtes Brennholz, aber in genau vorgezeichneten Grenzen gehalten durch Wasser, das die beiden mit leeren Konservenbüchsen unablässig aus der See schöpften und sofort ausgossen, wo das Feuer die Grenze überspringen wollte.
Mit Feuer sollten die Wilden Baumstämme aushöhlen und sich so ihre Boote herstellen. Öfter als einmal hatte Garrison das gelesen und als Physiker hatte er schnell begriffen, daß es nur möglich war, wenn man das Feuer durch Wasser im Zaume hielt und es nur da brennen und fressen ließ, wo es brennen sollte.
Anerkennend verfolgte Bolton den Fortschritt der Arbeit. Im Laufe zweier Tage war die obere Hälfte des runden Stammes von dem Feuer restlos verzehrt, verascht und verschwunden. In den übrigbleibenden Halbzylinder fraß die Glut jetzt eine Höhlung hinein, die durchaus der inneren Form eines Bootes entsprach. Wie Zunder brach das verkohlte Holz unter dem Stemmeisen fort. Nach nochmal achtundvierzig Stunden war die innere Höhlung sauber und glatt ausgearbeitet, fix und fertig. So viel hatte der Stamm durch diese Feuerarbeit an Gewicht verloren, daß sie ihn ohne allzu große Mühe mit kleineren Stämmen umkanten konnten. Mit der Höhlung nach unten lag er nun auf dem Sand. Der letzte Teil des Werkes, die Ausarbeitung der äußeren Form begann. Seufzend machte sich Bolton auf neue schwere Arbeit mit Beil und Axt gefaßt, aber vorsichtig, sehr vorsichtig freilich, nahm Garrison auch hier das Feuer zu Hilfe. Geschickt brannte er soweit vor, daß die Schneide der Axt keinen großen Widerstand mehr fand.
An dem Tage, an dem Garrison den vierzigsten Strich in seinen Kalender kerbte, schoben sie das fertige Boot auf untergeschobenen Rundhölzern die wenigen Meter über den Strand in das Wasser. Fast kamen ihnen die Tränen, als sie es leicht und sicher schwimmen sahen, als es sie beide sicher trug. Sorgfältig zogen sie es nach dem ersten Versuch auf den Strand zurück, denn unfaßbar, unerträglich war ihnen der Gedanke, daß etwa ein aufkommendes Wetter das Erzeugnis so langer und harter Arbeit auf das offene Meer entführen könnte.
Was noch weiter zu tun war, wurde schnell erledigt. Ein Mastbaum erhob sich im vorderen Drittel des Bootes, aus Decken wurde ein Segel genäht, Ruder wurden mehr zweckmäßig als schön aus jungen Palmenstämmen zugehauen. Proviant und Trinkwasser, soviel die leeren Konservenbüchsen zu fassen vermochten, trugen sie hinein. –
Dann kam ein sonnenklarer strahlender Morgen, an dem das Boot von der Insel abstieß. Wenige Ruderschläge nur, dann fing sich eine frische Brise in seinem Segel und ließ die Flut vor seinem Bug aufrauschen. Am Heck saß Garrison, das Steuer in der Rechten, die Uhr in der Linken, die ihm bei dieser Seefahrt den Kompaß ersetzen mußte. Neben dem Mast hatte sich Bolton niedergelassen und zündete sich eine Zigarre an, die letzte ihres Vorrats, die er zufällig noch kurz vor der Abfahrt entdeckt hatte.
Leise atmend wogte die See auf und nieder, frisch wehte die Brise. Weithin am Horizont sah Bolton die Insel langsam versinken. Himmel und Meer nur noch umgab die einsamen Seefahrer in ihrem selbstgezimmerten Boot. –
›St 8‹ kreuzte über der Insel. Berkoff war in dem Schiff. Wie der heilige Nikolaus ungesehen kommt und geht, sollte er für die Amerikaner allerlei Lebensmittel und andere wünschenswerte Dinge bringen. Er kam drei Tage zu spät, die Insel war verlassen. Vergeblich durchsuchte er sie mit der Mannschaft seines Schiffes nach allen Ecken und Enden. Nur ein paar Feuerstellen verrieten, daß hier vor nicht allzu langer Zeit Menschen gehaust hatten. Alles andere war verschwunden. Nicht einmal eine leere Konservenbüchse vermochte Berkoff zu entdecken. Er stand vor einem Rätsel und er fühlte wohl, daß die Lösung dieses Rätsels recht unangenehm werden könnte.
›St 8‹ stieg wieder auf. Mit höchster Maschinenkraft stürmte das Stratosphärenschiff auf Nordostkurs über die Südsee dahin, um die Kunde nach Deutschland zu bringen, daß die beiden amerikanischen Mitwisser um das Geheimnis des kostbaren Erzes ihren Verbannungsort verlassen hatten.