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Maßregeln gegen Neugierige

SOS-Rufe aus einem amerikanischen Flugzeug. ›St 8‹ eilt zu Hilfe. Garrison und Bolton dicht am Erfrieren. ›St 8‹ nimmt sie und ihr Sternenerz auf. Hein Eggerth hat eine Idee. Garrison und Bolton erwachen auf der Robinsoninsel.

»Nun, Herr Eggerth«, fragte Reute, als Hein in den Wohnwagen kam, »ist unser Funkspruch expediert?«

»Noch nicht, Herr Ministerialdirektor, die Station war anderweitig besetzt.«

Ein kurzes Befremden zeigte sich auf Reutes Zügen.

»Oh, das ist bedauerlich, Herr Eggerth. Es handelt sich hier um eine Staatsdepesche, die natürlich jedem Privatfunk vorgeht. Daran werden Sie sich gewöhnen müssen, meine Herren, nachdem Ihre Expedition ein Reichsunternehmen geworden ist.«

Eggerth setzte sich an den Tisch und breitete die Blätter, die er von Rudi erhalten hatte, vor sich aus. Ohne weiter auf den Vorwurf Reutes einzugehen, sagte er: »Hören Sie bitte zu, meine Herren. ›Funkspruch, aufgenommen 15 Uhr 16 Greenwichzeit. SOS-Ruf von ›W 16‹. Amerikanisches Flugzeug ›W 16‹ aus Treibstoffmangel 300 Kilometer südlich von hier notgelandet, bei Landung havariert. An Bord zwei amerikanische Bürger, Garrison und Bolton. Erbitten dringend Hilfe von Station Wille.‹«

Schon bei den ersten Worten, die Hein Eggerth verlas, hörten die Anwesenden aufmerksam zu. Sie wußten ja alle, daß ein SOS-Ruf jeder Staatsdepesche voranging. Als der Name ›Garrison‹ fiel, räusperte sich der Ministerialdirektor sehr merklich. Hein Eggerth legte das erste Blatt beiseite, um zum zweiten zu greifen, als Reute fragte:

»Garrison . . . Mr. Garrison . . . da war meines Wissens doch ein Mr. Garrison in der Station am Pol, den Sie, Herr Berkoff, mit nach Deutschland nahmen.«

»Ein Mr. James Garrison aus Pasadena. Jawohl, Herr Ministerialdirektor. Wenn's derselbe ist, wäre es nicht sehr erfreulich.«

Hein Eggerth warf ihm einen Blick zu, der ihn schweigen ließ, und nahm das nächste Telegrammblatt vor. Was er von ihm und den folgenden Blättern las, ließ zur Genüge erkennen, daß die beiden Amerikaner sich in einer sehr üblen Lage befanden. Bei der Notlandung auf unebenem Gelände war das Fahrgestell ihrer Maschine so vollkommen zerstört worden, daß an einen Start, auch wenn sie neuen Treibstoff erhielten, nicht zu denken war. Außerdem drohte ihnen die Polarkälte verhängnisvoll zu werden. Von dem Augenblick an, da die Motoren des Flugzeuges stillstanden und die Heizung nicht mehr arbeitete, drang die Polarkälte unaufhaltsam durch die metallischen Wände in das Innere des Flugzeuges.

Hein Eggerth war mit seiner Vorlesung zu Ende, als Rudi in den Raum trat. Er brachte noch ein Blatt, das er Eggerth gab. Nach einem kurzen Augenblick sagte er: »Die Verbindung ist abgerissen, der Sender der Amerikaner arbeitet nicht mehr. Es hat den Anschein, als ob ihnen die Akkumulatoren eingefroren sind . . .«

Reute stand auf.

»Ich glaube, Herr Eggerth, es ist Christenpflicht, daß Sie sich sofort mit ›St 8‹ aufmachen und den verunglückten Amerikanern zu Hilfe eilen. Nehmen Sie bitte auf meine Person gar keine Rücksicht«, fuhr er fort, als Hein Eggerth etwas erwidern wollte. »Je eher Sie das amerikanische Flugzeug finden, um so besser wird es sein. Ich fürchte, es geht hier um die Minuten.«

Kurz darauf stieg ›St 8‹ auf und jagte in südlicher Richtung davon, um die Suche nach den Amerikanern aufzunehmen.

Reute wandte sich an Dr. Wille.

»Ich bitte Sie nun, Kollege, für die schleunigste Erledigung dieser Staatsdepesche Sorge zu tragen und ferner nach Bitterfeld zu funken, daß ein Stratosphärenschiff hierher kommt und mich an Bord nimmt.«

*

Die Unternehmung der Herren James Garrison und Joe Bolton ließ sich anfangs recht aussichtsvoll an. Aus den Aufzeichnungen der verschiedenen Erdbebenwarten gelang es Garrison, die Aufschlagsstelle des Boliden mit einer Genauigkeit zu ermitteln, die Professor Eggerth und seinen Freunden wahrscheinlich schlaflose Nächte bereitet haben würde, wenn sie darum gewußt hätten.

Gleich danach eilten die beiden Amerikaner unter Benutzung der australischen Luftlinie nach Adelaide, wo ihnen das Glück zweimal hold war. Es gelang Bolton für einen verhältnismäßig billigen Preis ein gutes schweres Flugzeug der Type ›W 16‹ zu erwerben, und sie fanden überdies einen Walfischfänger, der gerade von Adelaide nach dem Roß-Meer ausfahren wollte und sie mitsamt ihrem Flugzeug und einer gehörigen Menge Reservebenzol bis zum 75. Grad südlicher Breite mitnahm.

Bis dahin klappte alles über Erwarten gut. Das Flugzeug hatte Treibstoff für rund 4000 Kilometer an Bord. Sie konnten also mit voller Sicherheit einen Flug zu der von Garrison ermittelten Stelle unternehmen und danach zu dem Walfischfänger oder wenn es ihnen anders besser paßte, auch zu der Willeschen Station zurückfliegen. Ohne Schwierigkeiten erreichte ihre Maschine Süd-Viktorialand und steuerte weiter auf das von Garrison angegebene Ziel zu. Bei klarem, sonnigem Wetter strich das Flugzeug in etwa 300 Metern Höhe dahin, als ein Glitzern und Blinken auf dem Boden Bolton veranlaßte, trotz heftigen Widerspruches von seiten Garrisons niederzugehen. Eine Anzahl großer Brocken jenes schweren fremdartigen Erzes im Gesamtgewicht von gut drei Zentnern waren es, die Bolton gesehen hatte und die er jetzt in das Flugzeug schleppte, obwohl ihm Garrison das Törichte und Überflüssige seiner Handlungsweise sehr deutlich vorhielt.

»Ah bah, Garrison!« wies er dessen Einwände kurzweg ab, »was wir haben, haben wir. Einige 20 000 Dollar dürfte der Kram doch wert sein.«

»Sie sind ein Narr, Bolton«, schrie Garrison erbittert, »nur noch 300 Kilometer weiter nach Süden und Sie können so viel von dem Zeug in das Schiff packen, wie es zu tragen vermag. Schade um jede Viertelstunde, die wir hier verlieren.«

Einen Augenblick schaute sich Bolton noch suchend um, ob ihm irgendein Erzbrocken entgangen wäre, dann folgte er Garrison wieder in das Flugschiff und jetzt nahm dieser den Platz am Steuer ein, um alle weiteren Zwischenlandungen zu verhindern. Während ›W 16‹ wieder aufstieg, beschäftigte sich Bolton damit, das gefundene Erz in eine der vielen Kisten zu verpacken, die er vorsichtigerweise von Adelaide mitgenommen hatte. Eben war er damit fertig, als er aufhorchte. Das Trommeln der Motoren ließ plötzlich nach, verstummte ganz. Er sprang auf und eilte nach vorn in den Führerstand. Dort arbeitete Garrison verzweifelt an allen möglichen Hebeln und Schaltern, aber die Motorkraft kam nicht wieder. Unaufhaltsam ging ›W 16‹ im Gleitflug zu Boden.

Boltons Blick irrte über die Apparatenwand und blieb dann an einem Skalenzeiger haften.

»Kein Treibstoff, Garrison? Wir haben keinen Treibstoff mehr?« schrie er Garrison in die Ohren. Ein Krachen und Splittern mischte sich in seine letzten Worte. In hartem, jähem Stoß setzte die Maschine auf, unter der Wucht des Aufpralles ging das Fahrgestell in Trümmer.

So heftig war der Stoß, daß Bolton zu Boden geschleudert wurde, Garrison sich mit Mühe in seinem Sessel hielt. Lange Sekunden dauerte es, bis die beiden wieder klar zu denken vermochten.

Fast mechanisch wiederholte Bolton seine letzten Worte: »Keinen Treibstoff, Garrison, wir haben keinen Treibstoff mehr?«

»Unmöglich, Bolton. Wir müssen noch für mehr als 3000 Kilometer haben.« Sein Blick folgte der Hand Boltons. Der Zeiger der Benzinuhr stand auf Null. Ein kurzes Hin- und Herreden, dann spannte Garrison eine Notantenne und machte sich an der Radioanlage zu schaffen. Die Akkumulatoren für den Bordsender waren glücklicherweise voll geladen und von seinem Aufenthalt in Willes Station her kannte Garrison die dortige Senderwelle. So kam eine Funkverbindung zustande, zwar nicht mit der festen Station, weil Lorenzen zu dieser Stunde gerade mit der Zubereitung seiner Mahlzeit beschäftigt war, wohl aber mit der motorisierten Station, in der Rudi Wille getreulich am Empfänger saß. Hin und her flogen die Funksprüche von Antenne zu Antenne. Sie brachten das Versprechen schneller Hilfeleistung von seiten der Deutschen, dann aber wurde die Verbindung schwach, immer schwächer und riß schließlich ganz ab.

Vergeblich fingerten die beiden Amerikaner an ihrer Apparatur herum. Nur zu deutlich zeigte ihnen das Amperemeter, daß weder in ihrem Sender noch in ihrem Empfänger Strom vorhanden war, und gleichzeitig merkten sie dabei, daß ihre Finger steif wurden, daß sie beide zitterten. Die Kälte, schon seit geraumer Zeit stark fühlbar, war bis zur Unerträglichkeit gestiegen. Fröstelnd suchten sie Mäntel und Decken zusammen, hüllten sich darin ein, suchten sich durch allerlei Bewegungen wieder zu erwärmen. Es war höchste Zeit, daß sie es taten, denn das Thermometer im Führerstand stand auf 20 Grad unter Null.

»Wenn sie uns nicht bald finden, Bolton«, sagte Garrison zähneklappernd, »gehen wir vorher an der Kälte zugrunde.«

Bolton raffte sich auf und ging nach hinten. Mit einer Flasche guten alten Whiskys kam er zurück.

»Sie werden uns schon finden«, meinte er, während er den Korken aus der Flasche zog, »heizen wir mal ordentlich von innen ein.«

Er setzte die Flasche an den Mund und tat einen tüchtigen Zug. »Brr! Scharf und kalt ist das Zeug, aber es wärmt, Garrison, genehmigen Sie sich auch einen.«

Garrison zögerte, die Flasche zu nehmen.

»Ich weiß nicht, Bolton. Es sind rund 700 Kilometer von hier bis zur Station. Wenn nicht gerade eines von den Stratosphärenschiffen da ist, kann es lange dauern, bis sie uns finden.«

Bolton sah die Dinge unter dem Einfluß des Whiskys schon etwas rosiger an.

»Nonsens, Garrison! Sie haben uns schnellste Hilfe versprochen. Das hätten sie nicht getan, wenn sie kein Flugzeug bei der Hand hätten.«

Mit Gewalt nötigte er ihm die Flasche auf und ließ nicht nach, bis auch Garrison eine tüchtige Dosis daraus genommen hatte.

»Die beste Methode, um schnell und schmerzlos zu erfrieren«, meinte der, als er sie zurückgab. »Man spürt danach die Kälte nicht mehr, aber man erfriert doch. Nein! Ich will nicht!« Garrison sprang auf und lief im Führerstand hin und her, um sein stockendes Blut in Bewegung zu bringen. Vor der Radioanlage blieb er stehen. »Zum Teufel, Bolton, ich möchte wissen, warum kein Strom da ist. Die Akkumulatoren müssen noch geladen sein.«

»Prost, Garrison!« rief Bolton und nahm einen neuen Zug aus der Flasche. Garrison achtete nicht weiter auf ihn. Er kniete vor der Funkanlage, löste Verbindungen, zog einen der Akkumulatoren hinaus und hielt ihn gegen das Licht.

»Ha, Bolton! Da haben wir den Grund. Unsere Akkumulatoren sind eingefroren. Da sehen Sie!« Vor Boltons Augen drehte er das Akkumulatorenglas. Der Spiegel der Schwefelsäure machte die Drehung mit, sie bildete einen starren Block.

»Wenn man die Säure auftauen könnte, würden wir wieder funken können.«

»Vergebliche Mühe«, lachte Bolton, den der Alkohol in eine aufgeräumte Stimmung versetzt hatte, »in dem verfluchten Kahn hier ist alle Heizung elektrisch. Wenn die Motoren streiken, ist es aus damit. Eine Saukälte hier, Garrison.«

Schwerfällig stand er auf und suchte sich noch eine Decke, die er zu vielen andern um sich wickelte. »Kalt, Garrison! verflucht kalt hier, müde wird man dabei, müde. Ich könnte gleich einschlafen.«

»Und nie wieder aufwachen, Bolton! Sind Sie denn ganz des Teufels, Mann?«

Mit Schrecken erkannte Garrison, daß sein Gefährte von jener verhängnisvollen Schläfrigkeit befallen wurde, die dem ewigen Schlaf des Frosttodes vorauszugehen pflegt.

Er sprang auf und begann ihn von allen Seiten her mit kräftigen Faustschlägen zu bearbeiten. James Garrison verstand etwas vom Boxen. Seine Hiebe drangen durch die Decken und Hüllen hindurch und brachten das erstarrte Blut Boltons wieder in Wallung.

»Munter, Bolton! Ich will dich schon munter prügeln, mein Junge!« rief Garrison, während er einen langen Graden auf Boltons linker Schulter landete.

»Verfluchter Kerl! Ich will dir . . .«

Bolton hatte die Decken abgeworfen und versetzte Garrison, eh der sichs versah, einen Schlag in die Magengegend, daß er gegen die Apparatenwand taumelte. Alle Lethargie war von ihm abgefallen und mit weiteren kräftigen Hieben drang er auf seinen Gefährten ein.

Eine gute solide Schlägerei schien sich entwickeln zu wollen, als von außen her Motordröhnen in den Raum drang und die beiden aufhorchen ließ. Dicht über ihrem Flugzeug hing ›St 8‹ an seiner Hubschraube, sank tiefer und setzte auf das Schneefeld auf. Eine Tür des Stratosphärenschiffes öffnete sich, ein Mann in einen dicken Pelz gehüllt kam heraus und ging auf das amerikanische Flugzeug zu. Garrison biß sich auf die Lippen. Verdammt, das war ja derselbe deutsche Ingenieur, der ihn damals in die Schneekuhle gelockt hatte, der ihn wieder und immer wieder bluffte und schließlich mit nach Deutschland nahm. Jeden anderen hätte er jetzt lieber getroffen als gerade diesen Berkoff. Doch der hatte ihn schon durch das Fenster des Führerstandes erblickt und winkte ihm vergnügt zu. Kletterte jetzt auf die Flugzeugschwinge, riß die Tür auf und kam hinein.

»Hallo, Mr. Garrison! Freue mich riesig, Sie wiederzusehen. Haben hier ein kleines Malheur gehabt? Ja, ja mein lieber Mr. Garrison, die Antarktis hat's in sich. Verflucht kalt hier bei Ihnen, Sie werden sich einen Schnupfen holen. Es wird das beste sein, wenn Sie schleunigst zu uns hinüberkommen, da ist's angenehm warm. Der Herr dort ist wohl Mr. Bolton?«

»Bolton ist mein Name, Sir«, sagte Bolton und schüttelte Berkoff die Rechte. »Bin Ihnen aufrichtig verbunden, daß Sie uns so schnell zur Hilfe kamen. Ist mir unerklärlich, wie unser Treibstoff so schnell zu Ende ging. Würden gerne von Ihnen welchen übernehmen, damit wir weiter können. Gegen Kasse natürlich, Mr. Berkoff, gegen gute amerikanische Dollars.«

Berkoff zuckte die Achseln. »Ich glaube nicht, Mr. Bolton, daß Sie wieder starten können. Ihr Fahrgestell ist hoffnungslos zerbrochen, übrigens . . ., was für einen Treibstoff haben Sie in Ihrer Maschine?«

»Benzol, Mr. Berkoff. Mit fünf Tonnen besten Benzols sind wir im Roßmeer aufgestiegen. Ist einfach unverständlich, daß der Stoff schon zu Ende ist.«

Berkoff pfiff durch die Zähne. Er dachte an die Heizvorrichtungen für die Treibstofftanks, die man in langjähriger Arbeit in den Eggerth-Werken entwickelt hatte, um ein Einfrieren des Öles in der Kälte der Stratosphäre zu verhüten. Zu Bolton gewandt sagte er: »So, so! Benzol haben Sie? Da brauchen Sie sich nicht weiter zu wundern, daß Ihre Motoren plötzlich streikten. Der Stoff besitzt die bedenkliche Eigenschaft, bei Null Grad zu erstarren. Er dürfte in Ihrem Tank zu einem massiven Block gefroren sein, und da war's natürlich mit der Herrlichkeit zu Ende.«

Bolton schlug sich vor die Stirn.

»Dumme Sache, Garrison! Daran hätten wir denken müssen. Was soll jetzt geschehen?«

Garrison schwieg, Berkoff sprach weiter.

»Es gibt keine Möglichkeit, Ihr Flugzeug von hier fortzubringen. Es wäre zwecklos, es in das Schlepp von ›St 8‹ zu nehmen. Sein Rumpf würde nicht heil vom Boden abkommen. Sie müssen es verloren geben und mit uns mitkommen.«

Mit jedem Wort, das Berkoff sprach, war die Miene Boltons trüber geworden. Das Flugzeug verloren geben, das bedeutete ja für ihn, die Summe von hunderttausend Schillingen, die er dafür in Adelaide bezahlt hatte, in den Rauchfang zu schreiben. Wieder einmal schien das große Geschäft, das so aussichtsreich begonnen hatte, mit einem traurigen Defizit zu enden.

»Es hilft nichts, Mr. Bolton«, erklärte Berkoff noch einmal kurz und bündig, »Ihre Maschine ist nicht zu retten. Aber wenn Sie irgend etwas an Bord haben, was Sie mitnehmen wollen, so können Sie es gerne nach ›St 8‹ rüberbringen.«

»Ja, Bolton, das wollen wir machen«, fiel Garrison dazwischen, »wir haben ein paar Sachen hier, die müssen unbedingt mit.« – –

Ein eifriges Hin und Her zwischen der gestrandeten Maschine und dem Stratosphärenschiff hub an. Kleidungsstücke und wertvolle Instrumente schafften die beiden Amerikaner nach ›St 8‹ hin.

»Sind wir mit dem Kram bald fertig?« fragte Berkoff, der ihnen dabei behilflich war.

»Gleich, Mr. Berkoff, nur noch ein Stück, eine kleine Kiste, dann haben wir alles«, erwiderte Garrison. Berkoff wischte sich die Stirn. Trotz der grimmigen Kälte war ihm bei der Arbeit in seinem dicken Pelz warm geworden.

»Also noch eine Kiste, Gentlemen, dann haben wir's Gott sei Dank geschafft.«

Zusammen kletterten sie in den hinteren Raum des Flugzeuges. Verwundert schaute Berkoff sich um. Beinahe wie in einer Packerei sah es hier aus. Kisten der verschiedensten Größen standen da aufgestapelt. Er stieß mit dem Fuß gegen eine, die ihm im Wege stand. Sie war leicht, offenbar leer und ließ sich leicht zurückschieben.

»Was wollen Sie denn mitnehmen?« fragte er Garrison.

»Dies Stück hier, Mr. Berkoff.« Garrison deutete auf eine kleine Kiste, die kaum größer als ein mäßiger Handkoffer war.

»Na, denn mal los! Das werden wir schnell haben.«

Berkoff beugte sich über die Kiste und griff zu. Er hatte die Absicht, sie einfach unter den Arm zu nehmen. Verdutzt ließ er nach dem ersten vergeblichen Versuch, sie emporzuheben, davon ab.

»Pfui Teufel, das Ding hat Gewicht! Einer bringt das nicht weg. Darf man fragen, was Sie da drin haben?«

Auf Garrisons Zügen malte sich Verlegenheit, er zog es vor, zu schweigen.

»Mineralien, Sir, hier in diesem gottverlassenen Land mit Mühe und Not gesammelt«, antwortete Bolton an seiner Statt.

Berkoff nickte Garrison verständnisvoll zu.

»Ach so, Mr. Garrison. Ich verstehe. Sie sind doch noch auf die Erzsuche gegangen und scheinen ja noch einiges entdeckt zu haben. Dann wollen wir den kostbaren Fund mal mit vereinten Kräften anpacken.«

Das geschah denn auch, und unter mancherlei Stöhnen und Ächzen der drei daran Beteiligten wurde die Kiste, die gut und gerne ihre drei Zentner wog, in den Laderaum von ›St 8‹ geschleppt.

»Ist jetzt alles hier?« fragte Berkoff.

»Alles, Sir«, bestätigte Bolton.

»Gut, dann können wir starten«, erwiderte Berkoff und machte sich daran, die Tür des Stratosphärenschiffes wieder luftdicht zu verschrauben. Neugierig blickten sich die beiden Amerikaner um. Zwar waren sie beide schon in einem Stratosphärenschiff der Linie Frisko–New York geflogen, aber diese neue Maschine der Eggerth-Werke hier schien ihnen doch näherer Betrachtung wert zu sein. Mit einer Handbewegung lud Berkoff sie ein, ihm zu folgen.

»Bitte, darf ich Sie in den Salon führen?«

Er öffnete eine Tür zur Linken. Ein großer, behaglich eingerichteter Raum bot sich den Blicken der Eintretenden. Der Boden des Gemaches war von einem echten Teppich bedeckt, die Wände im unteren Teil mit Nußbaum getäfelt, in der oberen Hälfte mit einer lichten Gobelintapete bespannt. An zwei gegenüberliegenden Wänden gewährten breite Fenster einen Ausblick ins Freie. Daß die Scheiben, um den Druckunterschied in der Stratosphäre auszuhalten, aus vierzölligem Kristallglas bestanden, war ihnen nicht anzusehen. An der einen Querwand strahlte wärmende Glut aus einem elektrischen Kamin.

Berkoff wies auf zwei Ledersessel, »bitte, Gentlemen, nehmen Sie Platz. Ich will Ihre Ankunft den anderen Herren melden. Wollen Sie sich inzwischen bedienen.«

Er stellte Zigarren und zur offensichtlichen Freude Boltons auch Soda und Whisky auf den Tisch und verließ den Raum.

»Alle Wetter, Garrison, hier läßt sich's leben«, brummte Bolton vor sich hin, während er sich den Whisky heranzog. »So ein Schiff wie das hier hätten wir für unseren Trip haben müssen, dann wäre uns die Schweinerei nicht passiert.«

Garrison antwortete ihm nicht. Er hatte seinen Sessel zur Seite gedreht, blickte durch das Fenster und sah, wie das Land tief und immer tiefer unter dem aufsteigenden Schiff versank. – –

Berkoff trat in den Führerstand und zog die Tür hinter sich zu.

»Er ist's also, Georg, wenn ich deine Zeichen richtig verstanden habe?« fragte ihn Hein Eggerth.

»Natürlich ist er's, Hein, in Begleitung eines Mr. Bolton . . ., das scheint der Geldmann bei der Geschichte zu sein . . . sie sind mit einer amerikanischen Maschine hierhergekommen, um nach dem bewußten Erz zu suchen. Haben auch ein paar Zentner gefunden.«

Hein Eggerth pfiff durch die Zähne.

»Das ist eine dumme Geschichte. Noch ein Glück für uns, daß ihre Maschine hier zum Teufel ging. Sonst wären die Brüder vielleicht doch noch an die richtige Stelle gekommen.«

»Die Geschichte ist ernster, Hein, als wir alle ahnten«, fuhr Berkoff fort, »als ich in das Flugzeug kam, waren die beiden Amerikaner in eine ganz hübsche Boxerei verwickelt . . .«

»Was hatten die Yankees für einen Grund sich zu prügeln?« fragte Hein Eggerth.

»Ich nehme an, sie taten es, um sich warm zu machen. Es war scheußlich kalt in ihrem Flugzeug. Jedenfalls hat einer von ihnen dabei etwas verloren.«

Berkoff zog ein kleines Heft aus seiner Tasche. »Dies hier, Hein. Ich hielt es für zweckmäßig, es unbemerkt an mich zu nehmen, und leider . . ., leider ist der Fund von großer Wichtigkeit.«

Er blätterte in dem Heft, schlug eine Seite auf und hielt sie Hein Eggerth hin. Der las die wenigen Zeilen halblaut vor. »83 Grad 14 Minuten Süd, 158 Grad 12 Minuten Ost.« Er erblaßte, während er die Zeilen über die Lippen beachte.

»Um Himmels willen, Georg, das ist ja die genaue Einschlagsstelle des Boliden, wie kommen die Amerikaner zu diesen Zahlen?«

»Die Erklärung dafür findest du auf den ersten Seiten des Heftes, Hein. Dieser Garrison ist gerissener, als wir dachten. In seiner Eigenschaft als Mitglied der Sternwarte Pasadena war es ihm ein leichtes, sich Aufzeichnungen der verschiedenen Erdbebenwarten zu verschaffen. Mit einer Genauigkeit, die für uns fatal ist, hat er daraus die Einsturzstelle des Boliden berechnet.«

Eine Weile schwiegen die beiden. Nach langer Pause sagte Hein Eggerth:

»Das ist fatal, Georg, mehr als fatal! Was können wir dagegen tun?«

»Wie ich Garrison kenne, wird er nicht locker lassen«, meinte Berkoff, »das Heft hat er dazu nicht nötig. Die Aufschlagsstelle kann er sich jederzeit neu berechnen. Wahrscheinlich hat er sie sowieso noch anderswo notiert.«

Hein Eggerth warf sich in einen Sessel und stützte den Kopf in beide Hände. Minutenlang saß er so und grübelte. Dann sprang er plötzlich wieder auf.

»Eine Möglichkeit wüßte ich, Georg.« Hein Eggerth mußte selbst über den Gedanken lächeln, der ihm eben gekommen war. »Du weißt ja, Georg, es gibt da so schöne abgelegene Kokosinseln in der Südsee. Unbewohnt, kaum jemals von einem Schiff besucht. Idyllische Inseln; ein Mensch findet dort alles, was er zum Leben braucht in reichlicher Fülle, Kokosnüsse, Schildkröten, Schildkröteneier, und sonst noch mancherlei . . .«

Georg Berkoff sah seinen Freund verwundert an.

»Sehr hübsch gesagt, Hein. Du willst wohl auf deine alten Tage noch unter die Poeten gehen? Aber was bezweckst du denn eigentlich mit dieser Schilderung?«

»Herrgott, Georg! Heute hast du mal wieder eine lange Leitung. Ich meine ganz einfach, wenn man die beiden Yankees auf solch einer Insel der Seligen absetzte, dann wäre man für geraume Zeit vor ihrem Tatendrang sicher.«

Georg machte Miene, Hein Eggerth um den Hals zu fallen.

»Eine großartige Idee, Hein. Meine Hochachtung! Auf die Weise wären wir alle Sorgen los.«

»Na endlich!« lachte Hein Eggerth. »Endlich hast du's kapiert, Georg. Ich halte die Idee nicht nur für fein, sondern geradezu für patentfähig. Ein Glück übrigens, daß Ministerialdirektor Reute nicht mit uns geflogen ist. Wenn wir den an Bord hätten, wäre es sicher Essig mit unserm schönen Plan.«

Die beiden steckten die Köpfe über Seekarten zusammen, suchten, redeten hin und her und schienen endlich gefunden zu haben, was sie suchten. Die Folge ihrer Unterhaltung war, daß der Kurs des Stratosphärenschiffes um fast 60 Grad geändert wurde. – – –

Mr. Bolton hatte den Flüssigkeitsspiegel in der Whiskyflasche bereits beträchtlich gesenkt, als Berkoff zusammen mit Hein Eggerth in den Salon kam. Eine Vorstellung und Begrüßung, dann setzten sie sich zusammen um den runden Mitteltisch des Salons.

Berkoff drückte auf einen Knopf und gab dem eintretenden Steward einen Auftrag. Kurz darauf wurde eine Mahlzeit serviert, die den beiden Amerikanern Hochachtung abnötigte. Bolton fiel wie ein ausgehungerter Wolf über die Gerichte her, und auch Garrison tat ihnen alle Ehre an. Erst jetzt kam den beiden so recht zum Bewußtsein, daß sie vor reichlich acht Stunden zum letztenmal gegessen hatten. Verschiedene gute Weine kamen dabei auf den Tisch, und zwischen Essen, Plaudern und Trinken verstrichen die Stunden wie im Fluge.

»Einen ordentlichen Mokka noch zum Schluß, Gentlemen«, schlug Berkoff vor und ging selbst hinaus, um den Auftrag zu geben. Nach kurzer Zeit schon kam er zurück, ein Tablett mit vier gefüllten Tassen in der Hand.

»War schon alles vorbereitet, Gentlemen«, sagte er, während er jedem eine Tasse hinstellte. »Hier ist Sahne, hier Zucker, bitte bedienen Sie sich.«

Der Mokka war gut und stark. So stark, daß er beinahe bitter schmeckte, wie es Garrison vorkam. Bolton war nicht in der Lage, über den Geschmack zu urteilen, da er sich sofort einen tüchtigen Schuß Whisky dazuschüttete.

Die Tassen waren geleert. »Soll ich noch mehr bringen?« fragte Berkoff. Er bekam keine Antwort mehr. In dem einen Sessel schnarchte Bolton, den Kopf auf die Lehne gelegt, als wolle er einem Sägewerk Konkurrenz machen. In dem anderen Sessel war Garrison eingenickt. Ein paarmal versuchte er noch der Müdigkeit Herr zu werden, dann übermannte auch ihn der Schlaf.

Berkoff warf einen Blick auf die Uhr.

»In einer Viertelstunde werden wir da sein, Hein, die Sache klappt großartig.«

»Du meinst, Georg?«

»Sicher, Hein, für die nächsten sechs Stunden schlafen die beiden den Schlaf der Gerechten. Die Morphiumdosis in ihrem Kaffee war darauf abgestimmt.«

*

Langsam rückte der Baumschatten nach Osten weiter. Jetzt gab er den Kopf des Schläfers frei, das volle Sonnenlicht fiel in dessen Gesicht. Er machte eine Armbewegung, als wolle er etwas fortwischen, aber das Warme, Kitzelnde spielte ihm weiter um Mund und Nase. Ein Zucken ging durch seine Gesichtsmuskeln und dann . . . hatschi, hatschi . . . Bolton mußte kräftig niesen und kam dabei aus dem Land der Träume allmählich in die Wirklichkeit zurück.

Er richtete den Oberkörper auf und starrte verwundert um sich. Nur langsam gelang es ihm, seine Gedanken zu ordnen. War er nicht eben noch im Stratosphärenschiff mit den Eggerth-Boys zusammen gewesen und hatte mit denen gut gegessen und noch besser getrunken? . . . Aber das hier, das war alles andere, nur kein Stratosphärenschiff . . . ein sandiger weißer Strand vor ihm, auf den die Wellen einer unwahrscheinlich blauen See wie spielend aufliefen. Unter ihm, neben ihm . . . er griff mit den Händen um sich . . . schwellender grüner Rasen. Dicht bei ihm eine Baumgruppe, in deren Schatten er wohl geschlafen haben mußte, bis die Sonne ihn weckte. Und dort . . . er griff mit den Händen zum Kopf, in dem es nach der Zecherei noch etwas rumorte . . . auf der Wiese mitten in dieser zauberhaften Landschaft eine Kiste, die Kiste mit dem kostbaren Erz, das er zusammen mit Garrison in der Antarktis gesammelt hatte. Garrison . . . Garrison, wo mochte der nur stecken?

Mühsam rappelte Bolton sich auf, bis er, noch etwas schlaftrunken, auf seinen Beinen stand, und blickte sich nach allen Seiten um. Da, direkt an den Wurzeln eines dunkel glänzenden Baumes lag Garrison. Den hatte die Sonne noch nicht erreicht, der schlief noch fest.

Bolton ging zu ihm, rüttelte ihn, suchte ihn zu ermuntern. Es war ein schweres Stück Arbeit, denn auf Garrison wirkte das Morphium stärker als auf den ausgepichten Bolton. Endlich hatte er ihn so weit, daß er sich aufrichtete und sich verschlafen die Augen rieb.

»Was ist, Bolton? Was wollen Sie?« Mit Mühe und Not bekam er die Augen auf. »Was ist, Bolton? Wo sind wir?«

»Das will ich Sie ja gerade fragen, Garrison«, schrie Bolton erbost. »Irgendwo sind wir auf diesem gesegneten Erdball. Im Stratosphärenschiff jedenfalls nicht.«

Während er es sagte, zerrte er Garrison empor und stellte ihn auf die Füße.

»Sehen Sie sich um, Mann! Hier sind wir. Wo wir sind, wie wir hergekommen sind, möchte ich von Ihnen hören.«

»Keine Ahnung, Bolton, keine blasse Ahnung.«

Bolton griff ihn unter den Arm und zog ihn mit zu der Stelle, wo die Kiste stand. Als sie näher kamen, bemerkten sie daneben noch einen Haufen allerlei anderer Dinge. Da lagen alle die Kleidungsstücke, die sie aus ihrem Flugzeug mit nach ›St 8‹ gebracht hatten. Daneben Konservenbüchsen, der Zahl nach genug, um zwei Menschen wenigstens auf eine Woche zu verproviantieren.

»Ich begreife nicht, was das bedeuten soll«, stöhnte Garrison und rieb sich die Stirn. Bolton wühlte inzwischen in den Kleidungsstücken herum und stieß plötzlich einen Ruf der Überraschung aus. Unter einem der Mäntel hatte er ein gutes Jagdgewehr und ein großes Paket mit Patronen entdeckt. Er nahm die Waffe in die Hand und untersuchte sie sachverständig. Von solchen Dingen verstand Bolton etwas, denn er war passionierter Jäger.

»Ich begreife nicht, ich begreife nicht«, stöhnte Garrison zum zweiten Male.

»Aber ich fange an zu begreifen«, schrie Bolton. »Wenn die Konserven zu Ende sind, sollen wir uns unser Futter selber schießen. Die Hunde . . . die verfluchten Hunde haben uns betrunken gemacht und auf irgendeiner verdammten Insel ausgesetzt. Schöne Schweinerei, in die Sie mich reingeritten haben, Garrison . . . mit Ihrer verrückten Idee.«

Während Bolton die Worte wütend herausstieß, kam auch Garrison das Verständnis ihrer Lage.

»Ausgesetzt, Bolton, auf einer Insel ausgesetzt? Das ist der beste Beweis dafür, Bolton, daß meine Ideen nicht verrückt sind. Die Deutschen fürchten, daß wir ihnen ins Gehege kommen . . . natürlich wieder der Berkoff . . . wir hätten besser auf unserer Hut sein sollen, und trotzdem . . . ich verstehe immer noch nicht, warum . . .«

Er hatte während der letzten Worte mehrmals in seine Taschen gegriffen. »Haben Sie das Buch, Bolton?«

»Welches Buch?«

»Die Berechnung der Einschlagstelle.«

Bolton griff in seine Taschen, ebenfalls vergeblich.

»Unsinn, Garrison, ich habe das Buch nicht.«

»Dann hat der verfluchte Berkoff es gestohlen. Jetzt begreife ich alles.«

»Hat lange gedauert bei Ihnen«, knurrte Bolton, hing sich das Gewehr über und stopfte sich die Taschen voll Patronen.

»Kommen Sie, Garrison, wir wollen uns das Plätzchen wenigstens mal ansehen, das die Banditen für uns ausgesucht haben.«

Er faßte Garrison beim Ärmel und wollte ihn mit sich ziehen. Der zögerte, holte seine Uhr hervor, zog sie auf und sagte dann:

»Wir wollen die Uhren vergleichen.«

»Hier bitte! Wenn Ihnen das jetzt gerade Spaß macht, Garrison.« Bolton zog ein goldenes Chronometer aus der Tasche und ließ den Deckel aufspringen. Beide Uhren gingen nach Greenwich-Zeit und stimmten auf die Viertelminute überein.

»Ziehen Sie sie auch auf, Bolton. Vergessen Sie niemals, sie rechtzeitig aufzuziehen. Die Kenntnis der genauen Greenwich-Zeit gibt uns die einzige Möglichkeit, herauszubekommen, wo wir eigentlich sind.«

Bolton tat, wie ihm geheißen und versenkte das Chronometer wieder in seine Tasche.

»Das ist Ihre Sache, Garrison. Dafür sind Sie Astronom. Kommen Sie endlich!«

Zusammen machten sie sich auf den Weg und schritten an der Grenze von Gras und Sand das Ufer entlang. Zu ihrer Linken landeinwärts schlossen sich an die Wiese dichtbewaldete mäßige Höhen an. Zu ihrer Rechten dehnte sich bis zum Horizont die See. Schon nach wenigen Schritten stießen sie auf einen Bach, der von den Waldbergen herunterkam und hier ins Meer mündete.

Bolton bückte sich, schöpfte etwas Wasser in die Hand und kostete davon.

»Süßwasser, Garrison! Verdursten brauchen wir wenigstens nicht.«

Mit einem kräftigen Sprung kamen sie über den Bach hinweg und marschierten weiter. Es wurde ihnen warm dabei, denn die Sonne war inzwischen ein gutes Stück höhergekommen und brannte von dem wolkenlosen Himmel herunter.

Nach einer halben Stunde blieb Bolton stehen und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Hol's der Teufel, Garrison, das Marschieren hat auch keinen Zweck, wer weiß, wie groß die verfluchte Insel ist. Kommen Sie, hier geht's in die Höhe. Wir wollen mal auf den Berg klettern. Da können wir mehr übersehen.«

Der Weg war nicht ganz einfach. Hin und wieder mußten sie das dichte Unterholz mit Gewalt zur Seite drücken, um durch zukommen. Schon waren sie ein gutes Stück gestiegen, als der Wald lichter wurde und schließlich in eine große Wiese ausging.

Bolton blieb stehen und packte Garrison am Arm.

»Sehen Sie! Sehen Sie da, Garrison, Ziegen! Es gibt Ziegen hier, weiß Gott, Ziegen.«

Er nahm die Büchse von der Schulter und schob zwei Patronen in die beiden Läufe. Das Gewehr unter dem Arm stieg er weiter. Schwitzend und keuchend folgte ihm Garrison. Fast eine Stunde verging, dann hatten sie endlich den unbewaldeten Gipfel des Berges erreicht. Wohl an die 500 Meter hoch mochte sich das Land hier über die See erheben. Nach allen Seiten hin hatten sie freien Ausblick und mußten erkennen, daß ihr Reich nicht allzu groß war. Eine Insel war es, wie sie gleich zu Anfang vermuteten. Etwa zehn Kilometer mochte sie sich in die Länge strecken, kaum drei in die Breite.

Bolton stieß ein wütendes Gelächter aus.

»Schön gemacht, Herr Berkoff! Fein gemacht, Herr Eggerth! Unbequeme Konkurrenten bringt man auf eine einsame Insel. Da können sie jahrelang Robinson und Freitag spielen. He! Sie Garrison-Freitag! Was sagen Sie zu der Sache?«

Garrison wußte nicht viel zu sagen. Während Bolton schimpfte und polterte, zog er die Uhr und beobachtete aufmerksam die Sonne.

»Reden Sie doch, Mann! Was sagen Sie zu der Schweinerei?« brüllte Bolton.

Garrison schüttelte den Kopf.

»Stören Sie mich nicht, Bolton. Der Platz hier ist für eine Beobachtung günstig.« Er suchte sich einen kurzen graden Ast und steckte ihn senkrecht in die kurze Grasnarbe.

»Was ist das für ein verrückter Zauber?« fuhr Bolton dazwischen.

»Stören Sie mich nicht, Bolton.« Während Garrison es sagte, markierte er das Schattenende des Stabes mit einem Steinchen auf der Rasenfläche und suchte danach noch andere Steinchen zusammen.

»Was soll denn der Unsinn, Garrison, sind Sie ganz und gar übergeschnappt?«

»Davon verstehen Sie nichts, Bolton. Setzen Sie sich eine Weile ins Gras und stören Sie mich nicht.«

Bolton schüttelte ärgerlich den Kopf.

»Dann erklären Sie mir doch wenigstens den Hokuspokus, den Sie da treiben.«

Garrison war eben beschäftigt, mit Hilfe von Uhr und Sonne die Nord-Süd-Linie festzulegen.

»Die Sache ist sehr einfach, Bolton, in etwa 10 Minuten haben wir den wahren Mittag. Das gibt uns schon . . . leider nicht ganz genau . . . den Längengrad der Insel. Wenn es mir auch noch glückt, die Sonnenhöhe im Mittagspunkt zu messen, werden wir ungefähr wissen, auf welchem Breitengrad wir sitzen.«

Bolton zuckte die Achseln.

»Brotlose Kunst, Garrison, was soll uns das helfen? Selbst, wenn Sie's richtig herausbekommen, wir haben keine Geräte bei uns . . . keinen Funk, durch den wir Hilfe herbeirufen könnten.«

Garrison kümmerte sich nicht um seine Einwände. Unverdrossen arbeitete er weiter, schrieb Zahlen und Zeitangaben auf ein Blatt Papier, während er dazwischen immer wieder neue Steinchen auf das Ende des langsam fortschreitenden Stabschattens legte.

»Sind Sie bald fertig mit dem Kram, Garrison?«

»Bald, Bolton. Haben Sie zufälligerweise eine Logarithmentafel bei sich?«

Boltons Gesicht verzog sich zu einem Lachen.

»Nett von Ihnen, Garrison, daß Sie noch faule Witze machen können. Mir ist nicht sehr danach zumute. Eine Logarithmentafel?! Haben Sie noch ähnliche Wünsche?«

»Wenigstens einen Zollstock, Bolton?«

Bolton kramte in seinen Taschen. »Sie haben Glück, Garrison, so was Ähnliches habe ich zufälligerweise bei mir.«

Er holte ein kurzes Bandmaß hervor und drückte es Garrison in die Hand.

»Sehr gut, Bolton, das kann uns helfen.«

Der Schatten des Stabes lag jetzt genau auf der von Garrison gezogenen Nord-Süd-Linie. Mit möglichster Genauigkeit maß er die Länge des Schattens und diejenige des Stabes, notierte sich beide Werte auf das Blatt, sah dabei wieder auf die Uhr.

»Na, haben Sie was rausbekommen?«

Garrison machte eine kurze Rechnung auf und nickte dann.

»Wir befinden uns ungefähr auf dem 152. Grad westlicher Längs von Greenwich. Die Breite . . .« Garrison legte sich der Länge nach ins Gras und begann eifrig zu rechnen.

»Dauert lange, Garrison.«

»Die Insel liegt etwa auf 20 Grad südlicher Breite. Soweit ich die Karte im Kopf habe, müssen die Gesellschaftsinseln in der Nähe sein.«

Garrison erhob sich, steckte seine Berechnungen in die Tasche und fragte: »Was wollen wir jetzt machen, Bolton?«

»Zurückgehen, wo wir hergekommen sind. Ich habe Hunger, Garrison, Sie auch?«

»Ich kann's nicht leugnen, gehen wir.«

Sie schritten wieder zum Ufer hinab, und mancher Fluch und manches Donnerwetter auf ›St 8‹ und seine Piloten kam dabei von ihren Lippen. Als sie den Bach erreichtem, tranken sie beide in vollen Zügen, obwohl Bolton sonst gerade kein Freund von einfachem Wasser war.

An ihrem ersten Lagerplatz angelangt, mußten sie feststellen, daß Berkoff und Eggerth doch an alles gedacht hatten. Nicht nur Öffner für die verschiedenen Konservenbüchsen fanden sich zwischen den hier aufgestapelten Dingen. Bei genauerem Zusehen entdeckten sie Feuerzeuge und Streichhölzer in reichlicher Menge und weiter Geschirr und Eßbestecke, die es ihnen ermöglichten, ihre Mahlzeit auf gesittete Manier zu sich zu nehmen.

Nach dem Essen entdeckte Bolton in einem der Mäntel eine volle Zigarrentasche und steckte sich eine Zigarre an.

»Ja, Garrison«, stieß er zwischen zwei Rauchwolken hervor, »da sitzen wir mit dem Talent und können's nicht verwerten. Das verfluchte Erz ist an allem schuld.«

Er stand auf, schlenderte zu der Kiste hin, gab ihr einen Tritt. Stutzte dann. Wie merkwürdig hatte das dadrin geklirrt. Ganz anders wie die schweren Erzbrocken. Er beugte sich nieder, wollte die Kiste ankanten, da blieb ihm der Deckel in den Händen. Er war nur leicht aufgelegt. In der Kiste war kein Erz mehr, dafür Werkzeuge aller Art. Verschiedene Sägen, ein scharfes Handbeil und anderes mehr.

»Garrison, Garrison! Kommen Sie her«, Boston heulte beinahe vor Wut. »Kommen Sie her! Unser Erz haben uns die Hunde auch noch gestohlen.«

Garrison betrachtete verständnisvoll den Inhalt der Kiste.

»Ich glaube, Bolton, in unserer augenblicklichen Lage wird uns das hier viel nützlicher sein als die Erzproben.«

Prüfend wiegte er das Beil in der Hand.

»Sehen Sie mal das hier, Bolton. Damit könnte man vielleicht einen Baumstamm aushöhlen, ein Boot bauen, könnte damit zu einer bewohnten Insel in der Nachbarschaft kommen.« – – –

Die nächsten Stunden verbrachten beide damit, ihre Vorräte sorgfältig zu durchmustern, und sie entdeckten dabei noch manches, was ihnen von Nutzen sein konnte. Berkoff schien den Werkzeugschrank von ›St 8‹ zu ihren Gunsten sehr gründlich geplündert zu haben.

Immer tiefer war inzwischen die Sonne gesunken. Jetzt berührte ihre Scheibe die Kimmlinie zwischen Meer und Himmel. Wie ein feuriger Ball versank sie in der Flut. Nur noch wenige Minuten einer kurzen Dämmerung, dann brach die Tropennacht herein. Der erste Tag der beiden unfreiwilligen Inselbewohner ging zu Ende.

 


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