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Der Professor für Chemie an der Royal Institution zu London, Mister Davy, ist glücklich. Trotz der schweren Kriegszeiten, die England durchmacht, haben freigebige Gönner der Institution eine beträchtliche Summe zusammengebracht, die es ihm ermöglicht, einen schon lange gefaßten Plan zu verwirklichen. Jetzt endlich ist er in der Lage, sich eine elektrische Batterie von solcher Art zu beschaffen, wie sie der Graf Alessandro Volta in Pavia acht Jahre früher um die Jahrhundertwende angegeben hat. Dann aber, davon ist Professor Davy überzeugt, wird es große Entdeckungen und Überraschungen auf dem Gebiet der Chemie geben, denn das hat er schon bei seinen bisherigen Untersuchungen klar erkannt, daß der elektrische Strom ein chemisches Agens von ungeheurer Wirksamkeit ist.
Auch das steht für ihn fest, daß die neue Batterie sehr groß werden muß, denn leider sind die galvanischen Elemente des Conte di Volta mit einer gewissen Schwäche behaftet. Sie liefern zwar in den ersten Minuten einen schönen kräftigen Strom, lassen dann aber in der Wirkung stark nach und brauchen geraume Zeit, um sich wieder zu erholen. Es wird also nötig sein, sich eine große Anzahl dieser Voltaschen Becher zu beschaffen, um häufig wechseln zu können, und Mister Davy trägt diesem Umstand genügend Rechnung. 2000 derartiger Becher wird er aufstellen. Den größten Saal der Institution belegt er dafür mit Beschlag, und schon sind Tischler an der Arbeit, hier an den Wänden breite Regale aufzuschlagen, auf denen die Volta-Elemente ihren Platz finden sollen.
Professor Davy ist inzwischen mit der Vorbereitung dieser Elemente selbst beschäftigt. Silberbläulich und metallisch rot schimmert es auf dem großen Tisch, an dem er, von einem jungen Adlatus, fast einem Knaben noch, unterstützt, eifrig arbeitet. Aus den Kupfer- und Zinkblechen, die hier aufgestapelt sind, gilt es jetzt, passende Platten für die Elemente zuzuschneiden. Redlich müht sich Mister Davy mit einer Blechschere bei dieser Arbeit. Jetzt hält er eine kurze Zeit inne, betrachtet nachdenklich eine Blase am rechten Daumen, die er sich bei der ungewohnten Tätigkeit geholt hat, und wirft dann einen Blick auf seinen Gehilfen. Dem geht die Arbeit viel schneller von der Hand, obwohl er auch nicht Klempner von Beruf, sondern eigentlich gelernter Buchbinder ist. Als Buchbinder hat er auch bei der Institution angefangen und während der ersten Monate die wissenschaftlichen Journale eingebunden. Doch schon bald ist er dann Gehilfe, Laborant, Faktotum und rechte Hand bei Mister Davy geworden.
»Sie machen das Rennen, Master Faraday. Sie liegen mit 1000 Blechen an der Spitze«, sagt Professor Davy, als der andere sich eben wieder eine neue Blechtafel vornimmt und sie mit schnellen Schnitten zerlegt. Und dann greift er selber wieder zur Blechschere und macht sich über eine Kupfertafel her. Spricht dabei, während er die Schere durch das Blech treibt, vor sich hin:
»2000 Kupferbleche . . . 2000 Zinkbleche . . . 4000 Bleche, die wollen geschnitten sein . . .«
»Und nachher noch gebogen und vernietet, Sir«, führt Michael Faraday den angefangenen Satz des Professors fort. »Eine Woche werden wir zu tun haben, bis alles richtig steht.« –
Die Woche vergeht und noch einige Tage der nächsten Woche dazu, doch dann steht die Riesenbatterie auch wirklich betriebsbereit. Jedes der 2000 großen Glasgefäße enthält ein zylindrisch gebogenes Zinkblech und ein ebenso geformtes Kupferblech. In fünf Gruppen ist die ganze Anlage unterteilt, so daß man jede Gruppe fünf Minuten benutzen und ihr dann wieder zwanzig Minuten Ruhe gönnen kann. Noch ein halber Tag geht darauf, um die vielen Gläser mit verdünnter Schwefelsäure zu füllen, dann ist alles für die Versuche fertig, die Mister Humphry Davy schon bis ins einzelne festgelegt hat.
Eile ist geboten, denn allzulange darf man die Volta-Batterie nicht gefüllt stehenlassen, da ihre Zinke von der Säure allmählich verzehrt werden. Doch darauf hat sich Professor Davy bereits eingerichtet. Schon vorher hat er die alkalischen Erden, Natron, Kali und Kalk fein gepulvert in feuerfesten Tiegeln bereitgestellt, hat Elektroden in diese Gefäße eingebaut und alles für ihren Anschluß an die Batterie zurechtgemacht. So kann es jetzt Schlag um Schlag weitergehen, und bald vollziehen sich bisher noch nie geschaute Wunder vor seinen Augen. –
Die erste Batteriegruppe ist eingeschaltet. Schon beginnt es, in dem Ätzkalipulver zwischen den beiden Elektroden zu rauchen und zu brodeln. Ein leichter Dunst steigt auf. Glühend heiß wird die Masse, leuchtet jetzt rot, jetzt schon in heller Gelbglut auf und gerät ins Fließen. Die Minuten verstreichen darüber; die Glut in dem feuerfesten Tiegel scheint nachzulassen; auf einen Wink Humphry Davys schaltet Michael Faraday die nächste Batteriegruppe auf den Tiegel und in heller Weißglut schimmert der Einsatz danach. Frisches Kali streut der Professor darauf, um den Schmelzfluß vor dem Sauerstoff der Luft zu schützen, denn das eine sieht er schon jetzt klar: Wenn es so ist, wie er sich's in schlaflosen Nächten so oft vorgestellt hat, wenn in dieser alkalischen Erde ein Metall steckt, und wenn es der Kraft der Volta-Batterie gelingt, dies Metall aus seiner Verbindung zu reißen, dann muß man es daran hindern, wieder neue Verbindungen einzugehen. –
Die Zeit verstreicht. Auch die dritte Batteriegruppe hat der Famulus Faraday auf den Tiegel schalten müssen. Als deren Kraft nachläßt, beendet Davy den Versuch. Der Strom wird unterbrochen. Die Glut läßt nach. Professor Davy fiebert vor Ungeduld. Schon greift er zum Hammer und zerschlägt den immer noch warmen Tiegel und sieht nun wirklich, was er im Geiste schon vorher erschaut hat. Hellweiß, silberglänzend liegt es auf den Tiegelscherben. Seine Vermutung ist richtig. Das Kali ist kein einfacher Stoff, wie alle Welt so lange geglaubt hat. Es ist die Verbindung eines Metalles mit Sauerstoff, mit Kohlensäure oder sonst einem Stoff. Professor Davy packt ein Messer, bricht die Schmelze von den Scherben los und hält das neu entdeckte Metall in seinen Händen. Weich wie Blei, ja fast wie Wachs ist es; mit dem Messer läßt es sich schneiden, mit dem Hammer auf der hölzernen Tischplatte schmieden. Der Entdecker hat das Recht, dem neuen Stoff den Namen zu geben, und weil er aus dem Kali gewonnen wurde, nennt er ihn Kalium.
Auch Michael Faraday hat einen Brocken Kalium aufgenommen. Verwundert beobachtet er, wie die glänzende Oberfläche des Metalles schnell matt wird, und staunt über das geringe Gewicht des neu entdeckten Stoffes.
»Das Metall ist federleicht, Herr Professor«, beginnt er, »ich glaube, es müßte auf dem Wasser schwimmen.« Noch während er es sagt, läßt er das Stückchen in ein Gefäß mit Wasser fallen, und ein neues Wunder begibt sich. Dies Metall geht in der Tat nicht unter; es bleibt aber auch nicht still auf der Wasseroberfläche liegen. In lebhafter Bewegung, als ob das Wasser unter ihm koche, fährt es darauf hin und her, und dann plötzlich ist es von einer Flamme umgeben. Während das Metallstückchen schnell immer kleiner wird, scheint das Wasser in seiner Umgebung zu brennen. Nun ist das Metall ganz verschwunden, aber das Wasser ist zu Ätzkalilauge geworden. –
Andere Versuche folgen in den nächsten Tagen und jeder Versuch bringt eine neue Entdeckung. Professor Davy findet das Natrium, das Kalzium und das Bor. Was der chemischen Scheidekunst so lange unmöglich war, gelingt nun mit Hilfe elektrischer Ströme fast spielend. Moleküle, die bisher jeder Zerlegung trotzten, werden durch die Elektrizität in ihre Bestandteile aufgespalten. Eine neue Wissenschaft, die Elektrochemie, datiert von jenen Versuchen her, die Professor Humphry Davy im Jahre 1808 anstellte. –
Nicht nur im feurigen Schmelzfluß wirkt sich die Scheidekraft des elektrischen Stromes aus. Auch in wäßrigen Lösungen spaltet sie die Moleküle; aus Metallsalzen beispielsweise löst sie das Metall heraus und schlägt es auf einer der beiden Elektroden in Form einer festen Haut nieder. Das entdeckt Moritz Hermann Jacobi, Professor der Physik zu Petersburg, im Jahre 1835, als er den elektrischen Strom durch eine Kupfervitriollösung schickt, und wird dadurch der Erfinder einer neuen Technik, der Galvanoplastik, die heute aus unserer Industrie nicht mehr wegzudenken ist. Galvanisch verkupferte, vernickelte, versilberte und vergoldete Artikel werden bald die große Mode. –
Im Jahre 1842 ist der Leutnant Werner Siemens genötigt, Wohnung in der Zitadelle der Festung Magdeburg zu nehmen. Es ist ein historisches Quartier, das man ihm hier angewiesen hat. Die Zelle, die ihn hier aufnimmt, hat vor zehn Jahren bereits den stud. jur. Fritz Reuter beherbergt. Jetzt, im Jahre 1842, soll der Leutnant Siemens wegen der Teilnahme an einem Duell eine längere Festungshaft in ihr absitzen. Wie er sich damit abfindet und was er dort beginnt, darüber berichtet er in seinen Lebenserinnerungen:
»Die Aussicht, mindestens ein halbes Jahr lang ohne Beschäftigung eingesperrt zu werden, war nicht angenehm, doch tröstete ich mich damit, daß ich viel freie Zeit zu meinen Studien haben würde. Um diese Zeit gut ausnutzen zu können, suchte ich auf dem Wege zur Zitadelle eine Chemikalienhandlung auf und versah mich mit den nötigen Mitteln, um meine elektrolytischen Versuche fortzusetzen. Ein freundlicher junger Mann in dem Geschäft versprach mir, nicht nur diese Gegenstände in die Zitadelle einzuschmuggeln, sondern auch spätere Requisitionen prompt auszuführen, und hat sein Versprechen gewissenhaft gehalten.
So richtete ich mir denn in meiner vergitterten, aber geräumigen Zelle ein kleines Laboratorium ein und war ganz zufrieden mit meiner Lage. Das Glück begünstigte mich bei meiner Arbeit. Aus Versuchen mit der Herstellung von Lichtbildern nach dem vor einiger Zeit bekanntgewordenen Verfahren Daguerres, die ich mit meinem Schwager Himly in Göttingen angestellt hatte, war mir erinnerlich, daß das dabei verwendete unterschwefligsaure Natron unlösliche Gold- und Silbersalze gelöst hatte. Ich beschloß daher, dieser Spur zu folgen und die Verwendbarkeit solcher Lösungen zur Elektrolyse zu prüfen. Zu meiner unsäglichen Freude gelangen die Versuche in überraschender Weise. Ich glaube, es war eine der größten Freuden meines Lebens, als ein neusilberner Teelöffel, den ich, mit dem Zinkpol eines Danielschen Elementes verbunden, in einen mit unterschwefligsaurer Goldlösung gefüllten Becher tauchte, während der Kupferpol mit einem Louisdor als Anode verbunden war, sich schon in wenigen Minuten in einen goldenen Löffel von schönstem, reinstem Goldglanz verwandelte.«
Diese Erfindung einer galvanischen Vergoldung bringt dem 25jährigen Leutnant, der gerade zu jener Zeit mit materiellen Sorgen zu kämpfen hat, zunächst einmal einen klingenden Erfolg, denn es gelingt ihm, die Patente darauf vorteilhaft zu verwerten. Sie wird aber weiter auch für seinen späteren Lebensweg entscheidend, denn von jetzt an ist er der Technik mehr denn je verfallen, und in ganz besonderem Maße interessieren ihn chemische Fragen. Bei solcher Einstellung aber ist es fast selbstverständlich, daß er sich auch sofort Problemen der Elektrochemie zuwendet, sobald in der Dynamomaschine eine den galvanischen Elementen weit überlegene Stromquelle zur Verfügung steht.
Ausführlich erörtert er in der Korrespondenz mit seinem Schwager Himly schon zu Beginn der siebziger Jahre die Rolle, welche die Elektrizität in der Metallurgie zu spielen berufen sein wird. Im April 1875 schreibt er:
». . . Es war dies der hauptsächlichste Grund, warum ich die magnetelektrischen Maschinen – denen ich später die dynamo-elektrischen substituierte – besonders kultivierte.«
In den Briefen dieses und der folgenden Jahre behandelt er eingehend die Möglichkeiten, welche die Elektrolyse der wässerigen Lösungen und der feurigen Flüsse bieten. Fast alles, was später einmal Wirklichkeit werden wird, sieht er damals schon klar voraus. So heißt es in einem jener Schreiben:
»Ich möchte nun auf unsere früheren Versuche der Darstellung von Kalium, Magnesium usw. auf elektrolytischem Wege zurückgehen. Die Sache scheiterte damals an der Kostspieligkeit des elektrischen Stromes. Darin haben wir nun kolossale Fortschritte gemacht. Wir können ohne Anstand Maschinen machen, welche das Metall zentnerweise ausscheiden, und haben alle Einrichtungen, um in mäßigem Umfang sogleich mit der Sache vorzugehen.«
Und in einem anderen:
»Der Teufelskerl, der Grousillier, hat auch eine lächerlich einfache und geniale Idee, Ammoniak aus dem Stickstoff der Luft, Kohle und Wasser zu machen, die, wenn sie einschlägt, wirklich welterschütternd wirken kann. Die Universalernährungs- und -dungmittel (Stickstoffverbindungen) werden dann spottbillig herzustellen sein, und der Ertrag des Bodens enorm gesteigert werden; kurz, es ist viel Interessantes in der Luft und im Werk bei uns.«
Doch es bleibt nicht bei Worten, die Taten folgen ihnen auf dem Fuße. Schon im Jahre 1874 liefern Siemens u. Halske Dynamomaschinen mit sehr starken Schenkel- und Ankerwicklungen für elektrochemische Hüttenbetriebe, die zum Niederschlag von Kupfer, Kobalt und anderen Metallen aus wäßrigen Bädern dienen. 1877 kommen an Berg- und Hüttenämter Spezialmaschinen zur Ablieferung, die bei Stromstärken von 1000 Ampere täglich fünf bis sechs Zentner Kupfer, ein fast chemisch reines Elektrolytkupfer, niederschlagen, und Schlag auf Schlag geht es nun von Jahr zu Jahr in immer schnellerem Tempo weiter.
Es ergibt sich nämlich, daß die Elektrolyse, das heißt die Gewinnung aus wäßrigen Bädern durch elektrischen Niederschlag, die Metalle in einer vorher nicht gekannten Reinheit liefert. Beispielsweise wird Elektrolytkupfer mit einem Gehalt von 99,99 v. H. Kupfer gewonnen. Nur noch zehn Gramm fremder Beimischungen sind in einem Doppelzentner dieses Metalles enthalten. Viel reiner ist es, als man es vordem mit den allerbesten Laboratoriumsmethoden herzustellen vermochte, und nun zeigt es erst seine wahren Eigenschaften. Das Elektrolytkupfer ist ein viel besserer Leiter für die Elektrizität und die Wärme als das im Ofenprozeß gewonnene Rohkupfer. Besonderen Vorteil zieht die junge Elektrotechnik aus diesem Verfahren, denn nun steht ihr in dem elektrolytisch raffinierten Kupfer ein ideales Leitungsmaterial für den Bau ihrer Dynamomaschinen und Elektromotoren zur Verfügung. Aber auch die Wärmetechnik profitiert davon, denn Heizschlangen, Braupfannen und Feuerkisten aus Elektrolytkupfer sind den früheren Konstruktionen weit überlegen.
Auf das Kupfer folgt das Zink, mit dessen Elektrolyse sich Werner Siemens schon zu Beginn der achtziger Jahre beschäftigt. Es setzt der elektrischen Raffination einen bedeutend größeren Widerstand entgegen als das Kupfer, und die zähe Pionierarbeit eines Menschenalters ist erforderlich, bevor es gelingt, ein wirtschaftliches Verfahren zu entwickeln; dann stellt sich aber auch hier ein voller Erfolg ein, und gegenwärtig wird der vierte Teil alles in der Welt erzeugten Zinkes auf elektrolytischem Wege gewonnen.
Eine besonders harte Nuß gibt nach der Jahrhundertwende das Tantal den Elektrochemikern zu knacken. Ebenso wie beim Kupfer verändern hier die geringfügigsten Beimischungen die physikalischen Eigenschaften grundlegend. Nach dem periodischen System der Elemente glaubt sich Wilhelm von Bolton, der Erfinder der Tantalglühlampe, zu dem Schluß berechtigt, daß Tantal ein weiches und duktiles, das heißt zu feinen Drähten ausziehbares Metall sein muß; aber das auf chemischem Wege gewonnene Tantal ist spröde und zerbröckelt bei jedem Versuch, feine Drähte daraus herzustellen. Erst die Elektrolyse schafft hier Wandel und liefert einen Werkstoff von genau solcher Art, wie von Bolton es voraussah.
Schließlich wird während des Weltkrieges auch Eisen der Elektrolyse unterworfen; jenes Metall, das man sonst in der Technik grundsätzlich nicht chemisch rein verwendet, sondern durch hochprozentige Zusätze von Kohlenstoff, Chrom, Nickel, Vanadium und sonstigen Beimengungen erst veredelt. Aber nun während des Krieges stellt man chemisch reines Elektrolyteisen her, und wieder zeigt sich die erwartete Erscheinung, daß es wesentlich andere Eigenschaften hat als die bisher gebräuchlichen Ferroverbindungen. Es ist in hohem Grade weich und duktil; es lassen sich Granatringe aus ihm ziehen, die den Kupferringen gleichwertig sind, und eine große Sorge der Kriegswirtschaft ist damit behoben.
Schon in den neunziger Jahren werden auch die ersten Elektrolyseure zur Wasserstoff- und Sauerstoffgewinnung geliefert. Es handelt sich dabei zunächst um eine einfache Wasserzersetzung, bei der die beiden dabei freiwerdenden Gase getrennt aufgefangen werden, um für die Luftschiffahrt und im Knallgasbrenner für die Wärmetechnik Verwendung zu finden. Sehr schnell folgt darauf die Elektrolyse von Chlornatriumverbindungen zur Gewinnung von Bleichlauge, die bald die Basis einer großen, neuen Industrie wird. Die weitere Entwicklung in dieser Richtung führt zur Chlornatriumelektrolyse, bei der nach dem Siemens-Billiter-Verfahren Chlor und Ätznatron gewonnen werden.
Während alle diese Verfahren mit wäßrigen Elektrolyten arbeiten, wird aber auch die Elektrolyse der feurigen Flüsse nicht vernachlässigt. Was Humphry Davy einst mit einem ungeheuren Aufwand an galvanischen Elementen betrieb, das läßt sich ja jetzt mit der viel mächtigeren Stromquelle der dynamo-elektrischen Maschine sehr viel einfacher und auch wirtschaftlich erreichen. Was dem alten Alchimisten einst die über einem Kohlenfeuer glühenden Retorten waren, das wird für den Elektrochemiker des 19. und 20. Jahrhunderts nun der elektrische Ofen, in dem elektrische Scheidekraft und Stromwärme vereint bei einer früher nicht gekannten Höllenglut auf die Stoffe wirken.
Die Metalle der alkalischen Erden, an erster Stelle das Metall der Tonerde, das Aluminium, einst so kostbar, daß Chemiker winzige Stückchen wie Brillanten an der Schlipsnadel trugen, werden schon in den neunziger Jahren in großem und immer größerem Maße elektrolytisch gewonnen. Freilich kostet es Strommengen von früher nicht gekannter Größe, um den Erden die in ihnen schlummernden Metalle zu entreißen. Werden doch zur Gewinnung von einer Tonne Aluminium 20.000 Kilowattstunden, von einer Tonne Magnesium sogar 40.000 Kilowattstunden benötigt.
Die großen elektrochemischen Werke, die besonders an den reichen Wasserkräften Skandinaviens entstehen, rechnen nicht mehr wie der städtische Stromverbraucher mit Kilowattstunden, sondern mit Kilowattjahren. Da kann es in einer Kalkulation beispielsweise heißen: Das Verfahren ist nur wirtschaftlich, wenn das Kilowattjahr für acht Mark zur Verfügung steht. Ein Kilowattjahr sind 8000 Kilowattstunden. Die Kilowattstunde darf also nur den zehnten Teil eines Pfennigs kosten, aber in vielen Fällen kann sie sogar noch unter diesem Preis erstellt werden, und das betreffende Verfahren kommt im großen zur Anwendung. Ein neues, technisches Zeitalter, das Zeitalter der Leichtmetalle, bricht damit an, und vielleicht wird es das Zeitalter des Eisens einmal ganz ablösen.
Doch nicht immer arbeitet die Elektrochemie mit der zerlegenden Kraft des Stromes; in der Glut des elektrischen Ofens, bei Temperaturen von 3000 bis 4000 Grad Celsius, gehen die Stoffe auch neue, bisher unbekannte Verbindungen ein. Da verschmelzen Kohle und Kieselerde zu Karborundum, einer Masse, die fast so hart wie Diamant ist, härtesten Schmirgel jedenfalls übertrifft und bald allgemein Verwendung als Schleifmittel findet.
Besonders in den großen elektrochemischen Wasserkraftwerken am Niagara experimentiert man in den neunziger Jahren munter darauf los. Alle möglichen Stoffe packt man in den elektrischen Öfen zusammen und gibt Zehntausende von Ampere darauf, in der Hoffnung, daß der Strom irgend etwas Ersprießliches zusammenbrauen möge. Da wird auch einmal eine Packung aus Kalkstein und Koks in einen Ofen gesetzt und auf gut Glück Strom darauf geschaltet. Als man glaubt, daß die Elektrizität genügend gewirkt hat, läßt man den Ofen verkühlen und bricht ihn auf. Koks und Kalk sind verschwunden; eine schlackenartige schwarze Masse ist übriggeblieben, mit der man nichts Rechtes anzufangen weiß.
»Weg mit dem Kram!« dekretiert der Foreman kurz entschlossen. Arbeiter laden das Zeug auf Karren und schütten es in einen am Werk vorbeifließenden Bach. Da braust das Bachwasser mächtig auf. Der Stoff entwickelt offenbar, mit Wasser zusammengebracht, ein Gas, das zu allem Überfluß auch noch widerlich riecht. Und dann, als Jimmy oder Jonny oder sonst einer der Arbeiter sich zum Schutz gegen den Gestank seine Pfeife anzünden will, da steht der brodelnde Bach plötzlich in Flammen. Rot leuchtend und rußig verbrennend lodert es aus dem Wasser empor.
Da lohnt es sich doch wohl, der Sache weiter nachzugehen, und der Fall wird schnell geklärt. Was einige Jahre vorher dem französischen Chemiker Moissan in der Retorte grammweise gelang, ist jetzt im elektrischen Ofen zentnerweise geschehen. In seiner extremen Glut haben sich das Metall des Kalkes, das Kalzium, und der Kohlenstoff des Kokses zu Kalziumkarbid vereinigt.
»Wo Arbeitskraft disponibel ist«, um noch einmal die Worte von Werner Siemens zu gebrauchen, da kann nun Kalziumkarbid billig und in beliebigen Mengen erzeugt werden, denn die Rohstoffe Kalk und Kohle stehen unbegrenzt zur Verfügung. Kalziumkarbid aber liefert, mit Wasser zusammengebracht, Azetylengas, das sich durch einen besonders hohen Heizwert auszeichnet und in geeigneten Brennern eine glänzend weiße, dem elektrischen Bogenlicht ähnliche Flamme gibt. Auf zweifache Art wirken sich diese Tatsachen in der Praxis aus. Eine völlig neue Art der Schweißung, die autogene Schweißung, wird durch die Verwendung der heißen Azetylen-Sauerstoff-Flamme möglich und eröffnet der Metallbearbeitung neue Wege. Weiter aber ruft das Azetylenlicht eine Revolution in der Beleuchtungstechnik hervor; für Jahrzehnte ist es »das Licht« für die Kraftfahrzeuge, findet weiter aber auch überall dort, wo Elektrizität und Gas nicht zur Verfügung stehen, für ortsfeste Beleuchtungsanlagen Verwendung.
Doch damit ist die Bedeutung des Kalziumkarbids noch längst nicht erschöpft. Die große Energiemenge, die im elektrischen Ofen an ihn gebunden wurde, erlaubt es nun weiter, den Luftstickstoff zu fesseln. Wird es in rotwarmem Zustand von Stickstoffgas umströmt, so bildet sich ein neuer Stoff, das Kalziumdizyanamid, allgemeiner bekannt unter dem Namen Kalkstickstoff. In der Landwirtschaft als Kunstdünger, in der Kriegswirtschaft als Ausgangsstoff für die Nitroverbindungen der Pulverfabriken, hat er sich als überaus wertvoll erwiesen. Durch eine einfache Säurebehandlung wird nach einem von Siemens u. Halske entwickelten Verfahren weiter aus dem Kalkstickstoff Zyanidlauge erstellt, die dazu dient, im südafrikanischen Randgebiet aus Sanden und Schlämmen, die man schon als wertlos auf die Halden geworfen hat, noch viele hundert Tonnen reinen Goldes zu gewinnen.
Man könnte wohl meinen, für ein einzelnes Produkt des elektrischen Ofens wäre das bisher Gesagte genug. Doch dem ist nicht so. Die beiden letzten großen Errungenschaften der deutschen Chemie, der synthetische Kautschuk und die P.-C.-Spinnstoffaser, basieren auf dem Kalziumkarbid. Kalk und Kohle bilden auch dafür die Ausgangsstoffe, und im elektrischen Ofen beginnt die lange Reihe der chemischen Reaktionen, die schließlich zum Autoreifen und zum Tuchballen führen. Durch den Hochstrom der Dynamomaschinen werden diese Ausgangsstoffe erst einmal mit dem Energiegehalt geladen, der sie zu den weiteren Reaktionen befähigt. –
Klein und bescheiden begann die Elektrochemie vor einem Jahrhundert. Mit einem Daniell-Element, das etwa eine Leistung von einem Watt hergab, vergoldete Werner Siemens den ersten Teelöffel. Ein Jahrzehnt nach der Entdeckung des dynamo-elektrischen Prinzips durch Werner Siemens liefert seine Firma im Jahre 1877 die erste größere Dynamomaschine an das Kgl. Hüttenamt Ocker. Bei einer Spannung von 3,5 Volt gibt sie einen Strom von 1000 Ampere. Die Spannung ist also wie bei fast allen für die Elektrochemie bestimmten Maschinen niedrig, die Stromstärke für damalige Verhältnisse gewaltig. Müßte man doch etwa 1000 Elemente parallelschalten, wenn man die gleiche Stromstärke mit einer galvanischen Batterie erzeugen wollte. Die Leistung dieser ersten »elektrochemischen Dynamo« ist gleich 3,5 Volt mal 1000 Ampere gleich 3500 Watt, das heißt gleich 3,5 Kilowatt. Eine 15pferdige Dampfmaschine genügt für ihren Antrieb.
17 Jahre später, 1894, liefern Siemens u. Halske Dynamomaschinen mit einer Gesamtleistung von 8600 Kilowatt für Elektroanalyse. In dieser kurzen Zeitspanne ist das Kilowatt auch für die elektrochemische Industrie Maßeinheit geworden und fast schon wieder zu klein. Wenn man jetzt schon nach Tausenden von Kilowatt, das heißt nach Millionen Watt, zählen muß, wird auch hier bald die höhere Einheit, das Megwatt, oder abgekürzt das Meg, das heißt die Million Watt, die Rechnungseinheit werden.
30 Jahre danach, 1924, werden im Aluminiumwerk Töging am Inn sieben Dynamomaschinen mit zusammen 45 000 Kilowatt oder 45 Meg aufgestellt. Heute gehören die elektrochemischen Betriebe mit zu den größten Verbrauchern elektrischer Energie, und unaufhaltsam geht die Entwicklung weiter. Auf viele Hunderte von Meg belaufen sich beispielweise die Leistungen der riesigen elektrochemischen Werke an den Wasserkräften Skandinaviens, und vielleicht wird einmal der Tag kommen, an dem auch das Meg einer noch größeren Einheit weichen muß.