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Freud und Leid liegen im Leben der Menschen dicht beieinander. Während ein hochwohlweiser Rat der freien Reichsstadt durch eines der neuen Oerlein Meister Henleins einen beachtenswerten Erfolg erringt, muß der Meister seine Lebensgefährtin zu Grabe geleiten! Frau Kunigunde, die Ernstin, mit der er vor zwölf Jahren den Ehebund schloß, ist im besten Alter für immer von ihm gegangen.
Um den Schmerz zu betäuben, stürzt sich der Vereinsamte in die Arbeit. Den lieben langen Tag hindurch sitzt er in der Werkstatt und trachtet, wie er die Oerlein weiter verbessern könne. Noch kleiner und feiner sollen die Rädlein gemacht werden, noch zierlicher die Lappenspindel, welche die Waag schwingen läßt. Und . . . das beschäftigt den Meister in diesen trüben Tagen und Wochen besonders . . . könnte man nicht die Teile des Werkes verschrauben, anstatt sie durch eine Verkeilung miteinander zu verbinden. Der Gedanke läßt ihn nicht mehr los und mit der Zähigkeit eines Besessenen versucht er, ihn zu verwirklichen.
Endlose Vorarbeiten sind dafür notwendig, denn Schräubchen von solcher Feinheit, wie sie hier erforderlich sind, gibt es bisher nirgends. Allerfeinste Schneideisen für die Herstellung der Schrauben und Gewindebohrer für die Erzeugung der Schraubenmuttern müssen neu geschaffen werden, doch Meister Henlein verfolgt verbissen sein Ziel. Freilich nicht heut und morgen und auch in den nächsten Jahren noch nicht gelingt es ihm, aber schließlich erreicht er es doch. – –
Für den Rat der Stadt Nürnberg ist Meister Peter inzwischen eine Person von Gewicht und Bedeutung geworden.
»Das Oerlein hat in Worms Wunder gewirkt«, stellt das Oberhaupt der Stadt in einer Sitzung fest, die bald nach der Rückkehr der Abgesandten aus Worms stattfindet. »Wir wollen's uns für die Zukunft merken.«
Der Ratsschreiber Sartorius schlägt eine neue Seite im Hefte Inscribenda auf und schreibt als erste Zeile die Überschrift hin: »Fürstengeschenke«. Eine lange Reihe von Namen und Zahlen wird in den nächsten Jahren darunter zu stehen kommen und fast immer werden es Oerlein sein. – – –
Im folgenden Jahr notiert Herr Sartorius in die Inscribenda: »Item dedimus 152 guldein fur ein aroligium selbgeend, damit wir Maister Christof Ering, hertzog Jorgens Caplan, verert haben. Actum ut supra: sabato ante letare 1522.«
Wieder gilt es hier, einen Mächtigen günstig zu stimmen, den Herzog Georg von Sachsen, den seine Zeitgenossen den Bärtigen oder den Reichen nennen. Im Gegensatz zu seinem Vetter Friedrich dem Weisen, der die Sache des Wittenberger Mönchs unterstützt, hält Herzog Georg fest an der römischen Kirche und ist jetzt nach dem Kaiser vielleicht der einflußreichste Fürst in Deutschland. Als Beisitzer des Reichsregiments weilt er bereits seit Jahresfrist in Nürnberg und für den Rat der Stadt ist es ein Gebot der Klugheit, sich gut mit dem Vertreter des Kaisers zu stellen. Der direkte Weg zu ihm ist kaum gangbar, doch auf dem Umwege über den Beichtvater läßt sich bei dem streng gläubigen Herzog vielleicht etwas erreichen. So denken die Herren des Rates und ein Oerlein Meister Henleins muß das Mittel sein, den Priester zu gewinnen, der das Ohr des Fürsten hat.
Ein Prachtstück aus der Werkstatt hinter Sankt Katharinen ist es, das eine kleine Delegation dem herzoglichen Rat Christof Ering als Präsent überbringt. Mit großem Interesse betrachtet der also Geehrte das kleine orologium, läßt sich von dem Abgesandten die Wirkung des feinen Räderwerkes erklären und nach dem alten Satze: »Do ut des«, erreicht der Rat, was er wünscht. Wichtige Entscheidungen, die beim Reichsregiment liegen, fallen in seinem Sinne aus. Ein solcher Erfolg kann wohl ermutigen und als es sich nun im folgenden Jahre um noch gewichtigere Dinge handelt, da müssen die Oerlein des Meisters Henlein ebenfalls für die Stadt Nürnberg werben. – – –
Carolus Quintus ist nach Spanien gegangen; dort residiert er in Valladolid, während Deutschland durch das Reichsregiment geleitet wird. In Deutschland ist Herzog Georg, in Spanien der Großkanzler Mercurino de Gattinara der nächste nach dem Kaiser. Ihn zu gewinnen, ist jetzt die Aufgabe. Wiederum dreht es sich um die leidige Geldfrage und diesmal geht sie alle deutschen Reichsstädte an. Um die nicht unerheblichen Kosten für den Unterhalt des Reichsregiments und des Reichskammergerichts aufzubringen, soll ein allgemeiner Reichszoll für alle ein- und ausgehenden Kaufmannswaren ausgeschrieben werden; eine Steuer, die naturgemäß die handeltreibenden Städte in erster Linie belastet.
Schon im ersten Monat des Jahres 1523 gehen Boten zwischen den großen Handelsstädten Augsburg, Nürnberg, Ulm, Regensburg und anderen hin und her und man kommt zu dem Beschluß, eine Gesandtschaft der deutschen Reichsstädte nach Valladolid zu schicken, um gegen die Einführung des geplanten Zolles Verwahrung einzulegen. Nun heißt es auch für Nürnberg, die rechten Männer dafür auszusuchen. Die Wahl fällt auf Herrn Clemens Volkamer und den Ratskonsulenten Christof Scheurl, der sich bei anderen Gelegenheiten bereits als geschickter Unterhändler erwiesen hat. Überdies spricht er ein fließendes Latein, was für die Mission in Spanien von besonderer Wichtigkeit ist. Denn so einfach wie bei dem Grafen Lombecke wird es in Valladolid nicht hergehen. Dort wird in der Sprache Ciceros verhandelt werden müssen.
Lang und beschwerlich ist die Reise nach dem hispanischen Land, zu der die Abgesandten der deutschen Städte aus Nürnberg, Augsburg und Köln in Straßburg zusammentreffen. Gemeinsam geht die Fahrt den Rheinstrom entlang nach Süden weiter zur Stadt Basel. Auf Paßstraßen, die eben erst vom Schnee frei wurden, wird das Gebirge überschritten und bald liegt der Genfersee vor ihnen. Nicht mehr der Schnee der hohen Alpengipfel, das duftige Weiß unzähliger Blütenbäume begleitet nun die Gesandten, während sie dem Lauf der Rhone folgen, bis sie eines Tages das blaue Meer erblicken. Dicht an der Küste geht die Reise weiter bis Perpignan, die erste Stadt auf hispanischem Boden, erreicht ist.
»Viel gefährlicher als unsere Fahrt durch das Land des Königs Franz wäre der Weg zur See auch nicht gewesen«, meint Herr Volkamer zum Dr. Scheurl, der an seiner Seite reitet. Der nickt zustimmend. »Ich muß Euch recht geben«, meint er. »Die Piratenschiffe der Barbareskenstaaten machen zwar das mittelländische Meer unsicher. Schon manchen christlichen Segler haben sie in diesen Jahren gekapert und die Besatzung in die Sklaverei verkauft, doch an schwer bewaffnete spanische Galeeren würden sich die tunesischen Seeräuber nicht so leicht heranwagen. Wir aber sind durch ein Land gezogen, dessen Herrscher dem Reich nicht wohlgesinnt ist.«
Herr Andreas Markus, ein Faktor der Fugger, der im Auftrage seines Hauses die Augsburger Gesandtschaft begleitet, hat sein Pferd an die Seite der beiden Nürnberger gelenkt und die letzten Worte gehört.
»Es könnte leichtlich sein,«, nimmt er das Gespräch auf, »daß dieses Jahr noch im Zeichen des Mars und der Bellona steht. Uns wurde gemeldet, daß der König Franz ein gewaltig Heer aufstellt; es kann nur gegen Carolus Quintus gerichtet sein. Weiß heut zwar noch niemand sicher, was der Franzose im Schilde führt und wohin die Kriegsfurie ihren Weg nehmen wird. Doch könnte es deutschen Reisenden in Francien übel ergehen, so sie von dem Gewitter überrascht würden.«
»Vielleicht geht's noch einmal vorüber«, wirft Herr Volkamer ein, »die kaiserliche Majestät liebt Verhandlungen mehr als den Kampf auf dem Schlachtfeld. Ich halt es wohl für möglich, daß seine ambassadores die Sache friedlich regeln.«
»Wenn es aber nicht gelingt?« fragt Herr Scheuerl dawider.
»Dann wird auch die Majestät zum Schwerte greifen«, sagt Herr Markus. »Es verlautet, daß des Kaisers Feldhauptmann der Frundsberg, schon viel tausend Landsknechte angeworben hat. Ist des Kaisers Art sonst nicht, ein groß Heer unter den Waffen zu halten. Kostet zu schweren Sold. So er's nun doch tut, geschieht's nicht ohne Grund. Es könnten die vielen streitbaren Fähnlein dazu bestimmt sein, dem Franz in Paris der Majestät Meinung mit den langen Spießen zu demonstrieren, wenn die ars diplomatica nicht zum Ziele führt.«
»Kostet Geld das Kriegsführen«, meint Herr Volkamer, »es werden die Reichsstädte wieder in den Beutel greifen müssen, um die Löhnung für des Frundsberg Knechte aufzubringen.«
»Weiß die Majestät auch noch aus anderen Quellen zu schöpfen«, seufzt Herr Markus. »Es stehen in den Büchern des Herrn Jakob Fugger schon viele hunderttausend Dukaten angeschrieben, die Carolus quintus entliehen hat. Mag der Himmel wissen, wann's einmal zurückgezahlt wird. Könnt wohl am Sankt Nimmermehrstag sein.«
»Ich glaube aber nicht Herr Markus«, erwidert Christof Scheurl, »daß die reichen Häuser Eurer Stadt, die Fugger und Welser, Schaden bei den Geschäften mit den Majestäten haben. Sie liehen schon dem Kaiser Max, schossen Goldgulden in schwerer Menge vor und ließen sich dafür mit Silberbergwerken im Tirolischen belehnen. Die Augsburger Herren haben's noch immer verstanden, zu dem Ihrigen zu kommen.«
»Bei uns in Nürnberg steht's schlimmer«, bemerkt Herr Volkamer, »uns fehlen die reichen Handelshäuser, da muß die Majestät sich an den Stadtsäckel halten und was wir hingeben, das sehen wir nimmermehr wieder.«
»So müssen wir's in Valladolid mit allen Mitteln betreiben, daß Carolus quintus uns nicht den allgemeinen Reichszoll auferlegt,« schließt Herr Markus die Unterhaltung. »Mag die Majestät auch fernerhin zum Herrn Jakob Fugger gehen. Es gibt noch des mehreren Bergwerke in Italia und Hispania, die unserem Haus nicht übel anstehen würden.« – – –
Noch einmal führt der Weg über bergiges Land, über die Ausläufer der Pyrenäen. Durch das Königreich Aragonien reiten die deutschen Herren. Dem Tal des Duero und danach dem des Ebro folgen sie und eine Woche später liegt das Ziel ihrer Reise, die Stadt Valladolid vor ihnen.
Mit Staunen haben die Gesandten unterwegs die Spuren der vielhundertjährigen maurischen Herrschaft gesehen, die Überreste von Moscheen und Minaretts, die sie fremdartig anmuten.
In Valladolid aber merken sie sogleich, daß sie in der Residenz eines christlichen Herrschers sind, als dort zur Feier des Sonntags alle Glocken von den Kirchen läuten. Eine gute Hilfe sind ihnen schon unterwegs die Niederlassungen der Fugger und Welser, und in Valladolid finden sie Unterkommen in einer Faktorei der Fugger.
Dann kommt der Tag an dem Herr Volkamer und Herr Scheurl ihre Audienz bei dem Caballero Mercurino de Gattinara haben, und unter den Geschenken, die sie vor dem Großkanzler ausbreiten, spielen zwei orologia des Meisters Peter Henlein die Hauptrolle. Schwer vergoldet sind die Gehäuse, in denen die Werklein ticken und schlagen, und während Herr Scheurl dem Spanier in lateinischer Rede die Kunstwerke des Nürnberger Meisters erklärt, merkt er gar bald, daß die Oerlein beredte Fürsprecher sind. Was andere viel kostbarere Gaben vielleicht nicht bewirkt hätten, erreicht er durch die »selbgeend orologia«. Der Großkanzler läßt sich von dem Gesandten nicht nur die Wünsche der deutschen Reichsstadt vortragen, er lädt die Herren Volkamer und Scheurl auch zu einer glänzenden Versammlung im Alkazar ein, wo Herr Scheurl Gelegenheit hat, in Gegenwart des Kaisers eine lateinische Rede zu halten, auf die de Gattinara in gleicher Sprache und in der Hauptsache zustimmend erwidert. Als die Nürnberger sich eine Woche später auf die Rückreise begeben, können sie die Nachricht mitnehmen, daß Carolus quintus den geplanten Reichszoll rückgängig gemacht hat. Nicht zum mindesten dank der Nürnberger Eyerlein bleiben die Reichsstädte von einer Abgabe verschont, die ihrem Handel wahrscheinlich schweren Abbruch getan hätte. – – –
In Nürnberg greift Herr Melchior Sartorius wieder zu den Inscribenda und trägt ein: »Item 72 guldein landswerung 14 Schillinge 4 haller costen zwey selbgeende oralogia, die durch Clement Volkamer in Hispania dem großen Cantzler am kaiserlichen hof von gemainer stat wegen geschenkt sind.« – – –
Viele ähnlich lautende Eintragungen muß der Ratsschreiber in den folgenden Jahren machen; immer wieder handelt es sich dabei um »selbgeend orologia« und die Gulden, die Meister Henlein dafür in Empfang nehmen kann, machen zusammen eine recht stattliche Summe aus. Noch im Jahre 1522 ist er in der Lage, einen jährlichen Zins von vier Gulden auf sein Haus hinter Sankt Katharinen durch die einmalige Zahlung von hundert Gulden abzulösen.
Immer weiter dringt der Ruhm der kleinen Oerlein in das Reich. Nicht nur der Rat der Stadt Nürnberg verehrt sie einflußreichen Persönlichkeiten, auch von anderer Seite werden sie als besonders eigenartige und wirkungsvolle Präsente gewählt, um Freunden, die man hoch schätzt, damit zu erfreuen.
Unter den zahlreichen Oerlein, die auf diese Weise aus Nürnberg wandern, hat das orologium, das der Abt von Sankt Ägydien dem Doktor Martinus Luther um das Jahr 1524 zum Geschenk macht, besondere Bedeutung. Es ist gewissermaßen das Gegenstück zu jenem anderen, welches der Rat zwei Jahre früher dem Beichtvater des Herzog Georg verehrte. Damals galt das Geschenk einem streitbaren Anhänger der römischen Kirche; doch inzwischen hat die Reformation in Nürnberg viele Anhänger gewonnen.
Auch Herr Friedrich Pistorius neigt der neuen Lehre zu und wird der letzte Abt seines Klosters sein, das schon wenige Jahre später säkularisiert wird. Seiner Verehrung für den Reformator gibt er durch ein nürnberger Eylein Ausdruck, das er ihm durch Prediger Wenzelaus Link überbringen läßt. Daß der Abt dem Doktor Martinus dadurch tatsächlich eine große Überraschung und Freude bereitet hat, geht aus dessen nach der Sitte der Zeit in lateinischer Sprache abgefaßten Dankschreiben hervor. Darin heißt es u. a.:
»Donum gratissimum, ita ut cogar fieri Mathematicis nostris discipulus, donec intelligam omnes istas formas et regulas unius horologii; nam antea non vidi nec observavi tale«»Durch dieses mir sehr willkommene Geschenk fühle ich mich gezwungen, Schüler unserer Mathematiker zu werden, damit ich alle Regeln und Gesetze dieser einzig in ihrer Art vorliegenden Uhr lerne, denn nie habe ich vorher Ähnliches gesehen, noch beobachtet.«.
Zweifellos beweisen diese Zeilen, daß Martin Luther bis dahin ein solches Oerlein noch nicht zu Gesicht bekommen hat. Bedenkt man aber, daß er doch mit Fürsten und Männern der Wissenschaft in Verkehr steht, so ist nach dieser seiner Äußerung der Schluß erlaubt, daß die Oerlein des Meister Henlein in jenem Jahre noch eine Neuheit ersten Ranges sind.
In der Tat wird es auch noch ein volles Jahrzehnt dauern, bis die kleinen orologia wenigstens in den wohlhabenden Patrizierkreisen der deutschen Reichsstädte soweit Verbreitung finden, daß die Chronisten nun von den Nürnberger Eyerlein als von einer neuen Mode berichten, deren sich besonders die jungen Stutzer befleißigen.
»An Halsketten oder in den Händen«, so heißt es in einem derartigen Bericht, »tragen die jungen Herren ein Bisamäpflein, das ein Oerlein enthält.«
Der Hauptwert wird dabei auf eine möglichst kunstvolle Gestaltung des Äpfleins gelegt und der Duftstoff, das Bisam oder Moschus, mag zunächst noch ebenso wichtig gewesen sein, wie das Oerlein selbst; zweifellos hat jedoch diese Mode wesentlich zur schnelleren Bekanntwerdung und Verbreitung der nürnberger Eyerlein des Meisters Peter Henlein beigetragen.