Hans Dominik
Der Brand der Cheopspyramide
Hans Dominik

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»Es wird geschehen, wie du sagst, meine Tochter! So es Allahs Wille ist, daß Mohammeds Söhne das alte glänzende Reich wieder aufrichten, sich die Millionen, die unter fremder Herrschaft leben, wieder um die grüne Fahne des Propheten scharen, wird er unserem Werke gnädig sein. Daß es sich vollendet, bevor der Mond zum sechsten Male zu unseren Häupten glänzt.«

»Er wird deinem Werke gnädig sein, Ibn Ezer!« Jolanthe sank auf die Knie und griff nach dem Saume seines Gewandes, es zu küssen. »Ich eile, Ibn Ezer, deine Worte unserem Herrn zu melden.«

Im Hinausgehen verhielt sie den Schritt noch einmal kurz vor dem schimmernden Kasten, der Montgomerys Werk barg. Kein Geheimnis mehr darin! Das Rätsel war gelöst, die Kräfte des Apparates dienstbar gemacht. Heute noch die des einzelnen hier. Morgen schon die der danach entstandenen.

Die Blicke Abd ul Hafis' folgten ihr, bis sie in dem Felsgang verschwunden.

»Warum weilst du noch, Abd ul Hafis? Ruft nicht die Arbeit mit lautem Klang?«

Der deckte kurz die Augen mit der Hand.

»Ja! . . . Ja! Ich komme gleich! . . . Bin schon bei dir.«

»Was ist dir, Abd ul Hafis? Du sprichst so seltsam.«

Der blieb jetzt stehen, die Lider halb geschlossen, den Blick nach innen gerichtet. Ein trüber, düsterer Zug auf seinem Gesicht. Mechanisch, halblaut murmelten seine Lippen die Worte.

»Das junge, schöne Weib! . . . Gott gab ihr einen hohen Geist . . . eine starke Seele. Und sie dient ihm . . . uns mit allen ihren Kräften. Gott wird es ihr lohnen. Wir selbst . . .?«

Er schüttelte den Kopf.

»Abd ul Hafis! Rätselhaft sind deine Worte. Welchen Sinn bergen sie? Droht ihr Gefahr? . . . Sie spottet aller Gefahren. Ein königliches Weib! Nur einmal schuf sie Gott. Eines Herrscherthrones ist sie würdig!«

»Herrscherthron! . . . Du sagst es . . . ihr Ziel ist's . . . und doch . . . Ich stellte vorige Nacht ihr Horoskop . . . nur zu der ersten Stufe wird sie kommen . . . dann . . .«

»Und dann? . . . Was dann, Abd ul Hafis?«

»Mit Schaudern . . . mit Entsetzen sah ich, was die Sterne mir offenbarten . . . in Blitz und Feuer der schönste Leib, der je gelebt . . . in die Lüfte gerissen . . .«

»Wehe über deine Wissenschaft, Abd ul Hafis, hörte dich ein anderer als ich. Du, der Mann der exakten Wissenschaft, sprichst wie die Sterndeuter auf den Gassen.«

»Magst du mich verlachen, Ibn Ezer! Es wäre das erstemal, daß mich die Sterne betrogen hätten.« – – –

Hoch über der libyschen Wüste das Flugschiff, das Jolanthe und ihr Hoffen westwärts trug. Dunkler, grauer Nachthimmel über ihr, soweit ihr Auge schaute. Doch in ihrem Herzen ein Leuchten, warm und hell, das Rettung strahlte aus aller Not. Der rasende Flug des Schiffes zu langsam für sie . . . für ihre Wünsche.

Gelang es . . . und es mußte ja gelingen, das Werk, mit dem sie die Herrschaft des Geliebten vor dem Untergang bewahrte . . . dann . . . auch der Traum erfüllt, den sie so lange geträumt . . . Sie an des Kalifen Seite . . . auf dem scherifischen Thron.

Ruhelos wanderte sie durch die langen Seitengänge des Schiffes. Da endlich! Die ersten Strahlen der Morgensonne brachen durch das dunkle Gewölk. Unter ihr ein grauer Schimmer . . . das maurische Meer!

Noch eine kurze Weile . . . festes Land unter dem Schiff. Jetzt sank der Kiel. Im hellen Sonnenschein die Türme und Dächer Madrids. – – –

Und dann trat sie in das Gemach Abdurrhamans.

»Es ist wahr, Jolanthe?« Mit zitternder, heiserer Stimme drängte er sich an die Eintretende, umklammerte ihre Hände, als wolle er sie zerbrechen.

Brennend . . . fragend senkte sich sein Blick in den ihren.

»Ist es wahr?«

»Es ist wahr! So gewiß Allah lebt!«

Ein Zucken erschütterte die Gestalt Abdurrhamans, ließ ihn wanken. Wie um sich zu halten, neigte er sich zu ihr, barg den Kopf in ihrem Gewand.

Sie stand wie zu Stein erstarrt. Nur die Rechte fuhr leise über das Haupt des Mannes. Das schöne, wunderbare Antlitz überstrahlt von einem überirdischen Schein des höchsten Glückes. Kaum bewegten sich die halbgeöffneten Lippen. Leise flossen die Worte aus ihrem Munde.

»Ja! Es ist wahr. Montgomerys Erbe harrt unseres Befehls.« Ihre Stimme erhob sich zu lauterem, vollerem Ton. »Doch das nicht alles! Mehr noch! . . . Besseres, Schöneres habe ich zu künden.«

Ihre Gestalt reckte sich höher. Wie Stahl, der auf Stahl schlägt, klangen die Worte.

»Unsere Feinde werden sich beugen . . . zurückweichen . . . fliehen! Aus Montgomerys Erbe werden die Waffen geboren, die uns den Sieg erkämpfen.«

»Jolanthe! Diese Worte! . . . Wie soll ich sie verstehen? – – –«

Abdurrhaman war von ihr zurückgewichen, die Hand wie abwehrend erhoben, als blende ihn ein Trugbild.

»Kein Trugbild! . . . Die Wahrheit alles, was ich jetzt noch sagen will! . . . Doch still! Wenn je ein Geheimnis gefährlich und tief, dann dieses.«

Der Kalif stand wie gebannt, fühlte kaum, wie ihn Jolanthe beim Arm ergriff . . . ihn zu einer Ottomane führte, sich neben ihn setzte, zu ihm sprach. War es möglich, was diese lächelnden, warmen Lippen ihm ins Ohr flüsterten?

. . . Montgomerys Apparat in der Konstruktion von Ibn Ezer bis in alle Einzelheiten erkannt . . . Ibn Ezer in der Lage, den Apparat jederzeit in beliebiger Zahl und Größe zu bauen . . . zwölf Apparate auf Jolanthes Geheiß schon in Arbeit . . . in sechs Tagen vollendet . . .?!

Und dann . . . diese zwölf . . . diese zwölf über Europa an verschiedenen Stellen abgeworfen! . . . Zwölfmal die Katastrophe von Warnum! . . . Doch hier kein Meer, den Brand begrenzend . . . löschend!

Europa an zwölf Stellen in wabernder Lohe, die unendliche Fläche des Landes mit allem, was darauf, Städten . . . Menschen . . . Tieren . . . in rasender Glut verzehrt! Der Rest auf ewig krankend an diesen zwölf ungeheuren Brandwunden.

Die Drohung allein . . . sie mußte sie zwingen, diese Kühnen . . . Gonzales und seine Helfer . . . abzulassen von ihrem frechen Unterfangen, die maurische Herrschaft zu bedrohen. Ablassen mußten sie von der Bedrohung! Vor der stärkeren Faust sich beugen . . . weichen aus dem Lande.

Die Stimme an seiner Seite schwieg jetzt. Da schaute er auf zu ihr. Sah das schönste Antlitz, das je ein Weib geziert . . . überstrahlt von hellem Siegesglanz, von freudigstem Glück. Seine Hände gingen zitternd zu diesem Haupt, strichen leise darüber hin, glitten an ihrer Gestalt nieder, bis sie die ihren trafen. Die umfaßte er zart, hob sie zu seinem Mund, küßte sie.

»Jolanthe! Noch kann ich es nicht fassen! Zuviel des Guten, Schönen, das dein Mund mir kündet.«

Er sprang auf, riß sie an den Händen hoch.

»Jolanthe! Bei Allah schwöre ich's dir. An dem Tage, an dem diese Frechen ihre Nacken vor uns beugen, zurückweichen . . . an dem Tage sollst du neben mir sitzen. Die Königin meines Landes! . . . Meines Herzens, vor der ich und alle Großen der Erde die Knie beugen werden als vor der, die Allah selbst uns gesandt. Nie sah die Welt eine Königin, schöner, würdiger, einen Thron zu zieren.«

Von unten her dröhnte Schall marschierender Truppen. Jetzt setzten die Klänge der Militärmusik ein. Das aufziehende Wachtregiment.

Einer plötzlichen Eingebung folgend, legte der Kalif Jolanthes Arm in den seinen. Schritt mit ihr zu dem breiten Altan an der Front des Schlosses, trat mit ihr an die Balustrade.

Stand kaum, da hatte ihn die Menge von unten erkannt. Laute Jubelrufe der Massen! Salutkommandos der Offiziere!

Und als gebührten die Huldigungen dem Weib an seiner Seite, trat er zurück. Seine Rechte hielt sie mit leichtem Zwang an der Brüstung fest. Die stand regungslos, das Haupt zurückgeworfen, den Blick in die Ferne gerichtet. Spürte den warmen Strom, der von seiner Hand über ihre Glieder rann. Empfing wie im Rausch den Königsgruß der Massen. Das wunderschöne Antlitz strahlend im Triumph . . . in höchster Glückseligkeit.

Nur ein Gedanke in ihr. Jetzt sterben! Auf dem Gipfel des Glückes dahinscheiden! Wenn Allah es wollte, sie wäre bereit.

* * *

»Ich stehe vor einem Rätsel, gnädigstes Fräulein Harder. Das Befinden Ihres Herrn Vaters hat über Nacht eine so glückliche Wendung genommen. Kaum erkannte ich ihn wieder, als ich heute morgen zu ihm kam. Irgendeine freudige Gemütsbewegung muß das Wunder bewirkt haben.«

Mette nickte beistimmend. Der Arzt unterdrückte die Frage, die auf seinen Lippen schwebte, als er das heimliche, frohe Lächeln Mettes sah.

»Doch möchte ich, gnädiges Fräulein, vor übereilten Schritten warnen. Ihr Herr Vater brennt darauf, unverzüglich nach Deutschland zurückzukehren. Er behauptet, dort wichtige, unaufschiebbare Arbeiten zu haben.

Das kann ich auf keinen Fall dulden. Ein Rückschlag könnte dem geschwächten Körper gefährlich werden. Ich riet ihm, die Kur hier noch eine Zeitlang fortzusetzen. Doch das will er auf keinen Fall, und ich kann es ihm angesichts der üblen Vorkommnisse nachfühlen.«

»Gewiß, Herr Doktor! Aber was raten Sie weiter? Sie können überzeugt sein, daß Ihre Anordnungen gewissenhaft befolgt werden.«

»Ich empfahl Ihrem Herrn Vater unter anderem einen Aufenthalt in Ägypten. Ortswechsel . . . Klimawechsel . . . neue Eindrücke . . . ich verspreche mir viel davon . . .«

»Wenn Sie es sagen, Herr Doktor! Gewiß, ich werde alles tun, um meinen Vater zu bewegen, Ihrem Rat zu folgen.« – – –

Draußen im Foyer stieß Mette auf Malte von Iversen. Der stieg eben aus dem Kraftwagen, mit dem er Eisenecker in die Berge zurückgebracht hatte.

»Die Fahrt glücklich verlaufen, Malte?«

»Aber natürlich, Mette! Bei St. Jean verabschiedete ich mich von ihm. Es war eine genußreiche Fahrt. Ich kenne den Señor Eisenecker doch schon einige Zeit . . . wie umgewandelt kam mir der Mann vor.

Über tausend Dinge plauderten wir . . . du wurdest dabei nicht vergessen, meine teuerste Kusine . . .!«

»Oh! Was sagst du? . . . Über mich? . . . Was hattest du . . .?«

»Ich? . . . Ich schon weniger! . . . Er! . . . Er schien mit Vorliebe bei deiner Person . . .«

»Malte! Ich bitte dich! . . . Seitdem wir das verwandtschaftliche Du eingeführt haben, schlägst du . . .«

». . . den entsprechenden Ton an! Natürlich Mette! Es bietet den unschätzbaren Vorteil, frei von der Leber weg zu sprechen.«

»Du könntest auch sagen, einem schon an sich losen Mund ganz die Zügel schießen zu lassen.«

»Puh, Mette! Das Gesicht! Gut, daß er's nicht sieht!«

»Malte!« Sie stampfte jetzt wirklich erzürnt auf den Boden. »Laß das! Ich bin nicht aufgelegt, solche . . .«

». . . Wahrheiten zu hören. Die alte Geschichte, Mette! Kein Mensch will die Wahrheit hören. Doch das will ich dir sagen, du magst es hören wollen oder nicht . . . wärest du nicht deines Vater Tochter . . . kein Mensch hätte es vermocht, Eisenecker mit deinem Vater zusammenzubringen . . .

Wenn er's tat, dann tat er's deinetwegen. Den schönen Vers, den ich mir darauf mache, den will ich dir nicht auch noch vorsingen . . . zur Strafe!«

»Du tust auch sehr recht damit, Malte! Ich verzichte gern darauf. Ich möchte dir überhaupt raten, dich etwas weniger mit meiner Person zu beschäftigen.

Tue das lieber etwas mehr mit Modeste. Das arme Kind! Ich konnte mich in diesen schweren Tagen wenig um sie kümmern. Kaum, daß ich bei den Mahlzeiten ein paar Worte mit ihr sprechen konnte. Sie wird sich sicher einsam und verlassen fühlen.«

Sie mußte innerlich lachen, als sie das so plötzlich verwandelte Gesicht Maltes sah. Im Augenblick war das sorglose, spöttische Lächeln von seinem Gesicht verschwunden. Die Stirn kraus . . . ein fast besorgter Ausdruck in den Mienen.

»Du meinst, Mette . . . du glaubst . . .?«

»Ich glaube, du tätest wohl daran, dich deiner Kavalierspflichten Modeste gegenüber zu erinnern. Solange Vater krank war, hattest du eine gewisse Entschuldigung.«

»Verzeih, Mette! Glaubst du wirklich, daß ich Modeste vernachlässigt hätte? Es täte mir sehr leid, wenn sie etwa gar selber das Empfinden hätte . . .«

Mette zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, doch Modeste . . .«

»Ja, was meinst du denn, was ich tun soll?«

»Nun, ganz einfach! Suche sie auf! Sie wird oben in ihrem Zimmer sein. Geh zum Strand mit ihr . . . Mache einen Ausflug . . . suche sie irgendwie zu zerstreuen . . . Malte! Wie kann man so schwerfällig sein!«

»Ja! Gewiß, Mette . . . ich gehe schon . . . wir werden vielleicht zum Strand gehen.« – – –

Modeste schien nicht in ihrem Zimmer zu sein. Auf sein Klopfen antwortete niemand. Jetzt klopfte er stärker. Ein schwaches Herein gab die Antwort.

Modeste saß am Fenster, einen Brief auf dem Schoß. Die geröteten Augen verrieten, daß sie geweint hatte.

Mit wenigen Schritten war er bei ihr.

»Modeste! Verzeihen Sie mein Eindringen. Ich sehe, Sie sind . . .«

Ihre Schultern zuckten wie von verhaltenem Schluchzen.

»Eine unangenehme Nachricht? . . . Sie haben einen Brief bekommen?« Er beugte sich etwas vor. »Ah! Ich sehe es an den Schriftzügen: Er ist von Ihrer Schwester, der Baronin Jolanthe. Der Inhalt? . . . Vermute ich recht, sie wünscht, daß Sie nach Madrid kommen?« – – –

Ein leises Nicken Modestes gab die Antwort.

»Und Sie? . . . Sie wollen nicht! Aber ich bitte Sie, teuerste Modeste, solch unbedeutende Differenz . . . warum diese Erregung? Ich verstehe es nicht. Sie haben geweint! Wie ist das möglich?«

Statt einer Antwort drückte Modeste das Taschentuch vor die Augen.

»Fräulein Modeste!« Er legte ihr leise die Hand auf die Schulter. »Schon einmal das gleiche! . . . Schon damals bat ich Sie, mir Vertrauen zu schenken . . . mir die Gründe Ihrer Erregung zu offenbaren. Sie weigerten sich.

Jetzt wiederhole ich meine Bitte. Schenken Sie mir Ihr Vertrauen! Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, um Ihnen zu helfen.«

»Ich kann . . . ich darf es nicht!« schluchzte sie leise . . . »Ach, was bin ich unglücklich.«

Der wehe Ton ihrer Stimme erschütterte ihn. Mit einem raschen Griff nahm er den Brief von ihrem Schoß. Sie schien es nicht zu merken.

Seine Blicke überflogen die Zeilen.

Ah! Seine Augen öffneten sich weit . . . ah! Was war das? . . . Was stand dort: Prinz Ahmed Fuad wirbt durch mich offiziell um Deine Hand . . .

Er ließ den Brief sinken, stand sekundenlang starr . . . las dann weiter: . . . Deine törichte Weigerung . . . unbegreiflich! . . . Ist es möglich, daß Du die Aussicht so gering schätzt, die Gemahlin des Prinzen Fuad zu werden, des Bruders des Kalifen . . . des mächtigen Herrschers des großen maurischen Reiches . . .

. . . daß Deine politische Einstellung irgendwelchen Einfluß hätte, ist doch wohl ausgeschlossen . . .

. . . reicht Dein Ehrgeiz nicht weiter als bis zu dem Wunsch, die Frau irgendeines livländischen Kartoffelbarons zu werden . . . dann fahre in Gottes Namen auf den Tirsenhof zurück . . .

. . . dann will ich Dich nicht länger halten! Aber unsere Wege sind für immer getrennt . . .!

Als Iversen so weit gekommen, entfloh seinen Lippen ein wenig christlicher Wunsch. Er stampfte wütend auf den Boden.

Modeste wandte den Kopf, schaute ihn erstaunt an. Da sah sie den Brief in seinen Händen, sprang auf.

»Herr von Iversen! Unmöglich! . . . Sie lesen den Brief . . . nein! Sie dürfen es nicht!«

Sie griff nach dem Schriftstück. Er überreichte es ihr.

»Nehmen Sie es nur zurück. Ich kenne seinen Inhalt.«

»Ah! Sie dürfen nicht! Wie konnten Sie? . . . Das ist . . .«

»Ja, ich weiß. Das ist sehr indiskret von mir. Aber ich bereue es nicht im geringsten. Weiß ich doch nun, daß diese schönen Augen grundlos Tränen vergossen. Ich bin ja so froh, Modeste!

Ja! Ja! Schauen Sie mich nur so fragend an. Ich bin ja so froh!«

Sein Blick, so warm . . . so glücklich! Sie hielt ihn nicht aus, wandte sich errötend zur Seite.

»Modeste! . . .« Er trat zu ihr hin, suchte ihren Blick zu fangen . . .

Da klopfte es laut an die Tür. Mit ärgerlichem Ruck drehte sich Iversen um. Da stand Mette vor ihm.

»Ah! Ihr seid noch da. Wie schön! Ich will mit euch gehen . . . doch . . .« Sie sah die Tränenspuren auf Modestes Gesicht. »Malte! Was ist hier?«

»Nun, Fräulein Modeste hat einen Brief von ihrer Schwester Jolanthe bekommen, in dem sie sehr eindringlich aufgefordert wird, nach Madrid zu kommen.«

»Nun und . . .?«

»Nun, Fräulein Modeste möchte nicht. Sie will nicht nach Madrid . . . hat Gründe dafür . . .«

»Ja, aber . . . warum?«

»Nun ja, Mette! Fräulein Modeste möchte darüber nicht sprechen. Begnügen wir uns!«

»Hm! . . .«

»Und wie ist's mit unserer Strandpromenade, Mette?«

»O gewiß, wir gehen. Und du? Du gehst doch mit, nicht wahr, Modeste?«

Die nickte und ging zum Nebenraum.

»Ich komme gleich. Möchte mich nur etwas erfrischen.«

Kaum war die Tür ins Schloß gefallen.

»Malte! Was ist hier vorgefallen? Modeste hat geweint! . . . Du? Bist du daran schuld?«

»Um Gottes willen, Mette . . . ich? Nein! . . . Nein! . . .

. . . Der Brief . . . Dieser verfl . . . Brief! Ihre Schwester . . . Jolanthe!« Er zischte den Namen durch die Zähne.

»Du kennst den Inhalt dieses Briefes?«

»Nein! . . . Nein . . . aber ich kann ihn mir ungefähr denken. Wir sprechen vielleicht später darüber.«

»Malte! Schon Geheimnisse?«

»Mette! Ich weiß nicht, was . . . doch mache schnell, ehe Modeste wiederkommt. Wie schon gesagt, sie will auf keinen Fall nach Madrid fahren. Nun bleibt aber ihre Schwester Jolanthe anscheinend noch lange Zeit dort. Modeste befindet sich in einer unangenehmen Lage. Sie weiß nicht, wie lange sie hier noch warten soll, und geht mit dem Gedanken um, nach dem Tirsenhof zurückzukehren.«

»Hm! . . . Und das wäre dir nicht angenehm, Malte?«

»Mette! Was willst du von mir? Wir sprechen doch von Modeste.«

»Gewiß, ja! Und du bedauerst, daß der Ausflug Modestes in die große Welt ein so schnelles Ende nehmen soll. Möchtest, daß sie noch mehr davon sähe. Oh! Da kann ich sie ja auffordern, in unserer Gesellschaft zu bleiben.«

»Ah, Mette! Das wäre . . .«

»Wir reisen in den nächsten Tagen ab. Fahren auf Anraten des Arztes nach Ägypten . . .«

»Ägypten! Nach Ägypten fahren wir?«

»Wir? . . . Wenn du auch mitwillst, ja!«

»Gewiß! Natürlich! . . . War zwar schon dort . . . aber höchst interessante Gegend . . . sehe sie mir gern nochmal an . . .«

». . . Besonders, wenn Modeste dabei ist.«

»Mette! Ich bitte dich! . . . Diese unbegründeten Anspielungen . . . du irrst! Irrst vollkommen!«

»Das wäre schade!« gab ihm Mette mit einem übertrieben ironischen Lächeln zurück. »Doch, wozu dies Reden? Vielleicht will sie gar nicht mit, Modeste. Ah! Da ist sie ja.

Malte, geh nur voran!« Mette trat auf Modeste zu, schlang den Arm um ihre Schulter. Sprach mit ihr eine Weile in warmem, liebevollem Ton. – – –

Bald darauf stießen die beiden zu Iversen im Foyer. Der hätte am liebsten einen Freudensprung gemacht, als er hörte, wie Mette dem Portier im Vorübergehen zurief: »Wir alle reisen morgen ab.«

»Nach Ägypten«, setzte Malte höchst überflüssig hinzu.

»Allerdings Malte, nach Ägypten.«

»Cheopspyramide, ich grüße dich!« rief Malte, den Hut schwenkend, laut und kümmerte sich wenig um die erstaunten Blicke der anderen Gäste im Foyer.

* * *

»Mon Repos!« In dem engen Tal die verwitterten Mauern des alten Baues im Abenddunkel kaum zu unterscheiden von den zerklüfteten Felsen, die das Tal umsäumten. Kein Licht, das durch die Fenster schimmerte. Wie tot und verlassen das Haus. Keine Bewohner mehr darin?

Doch! Auf der Eichenbank am kalten Kamin Eisenecker, gerüstet zur Wanderung. Harrend des Freundes Gonzales. Zu seinen Füßen zwei Bündel, wohl verschnürt.

Schon längst hätte er hier sein sollen. Doch gewiß war er genötigt gewesen, den Ziegenpfad zu nehmen, der über die Berge führte. Schon seit mehreren Tagen die Grenzübergänge von starker maurischer Truppenmacht besetzt.

Der versteckte Pfad, nur wenigen Hirten bekannt, die einzige Möglichkeit. Er selbst würde nachher mit Gonzales wohl auch den Pfad nehmen müssen hinüber nach Spanien.

Was würde die nächste Zeit bringen? . . . Abdurrhaman? . . . Wie würde seine Antwort lauten? Würde er sich ihrem Befehl beugen?

. . . Oder nicht? Würden Hekatomben von Opfern nötig sein, das Land zu befreien?

Noch fünf Tage! Dann lief die Frist ab . . . und dann? . . . Das andere größere Werk! . . . Dies hier ja nur eine Etappe.

Seine Gedanken gingen zurück nach Biarritz. Die Unterredung mit dem alten Harder.

Die ungeheuren Schwierigkeiten, kaum überwindbar, die ihm seit Monaten den Kopf heiß machten . . . der Alte! Wie wertvoll war ihm Harders Rat gewesen.

Der Weg nach Biarritz! Mettes halber nur war er ihn gegangen . . . und doch, wie gut war es für sein Werk gewesen.

Mette! Dort vor dem Gartentore stand sie, als sein alter Diener ihn rief, er es öffnete. Nur mit äußerster Anstrengung war es ihm gelungen, seine Überraschung zu verbergen, als er sie sah . . . Mette Harder.

Wie hatte er sich bezwingen müssen, in kühlem, ruhigem Ton mit ihr zu sprechen, die zu ihm kam . . . ihn zu bitten. Alles, was er längst begraben glaubte, war da wieder aufgeflammt, wie sie so unverändert in ihrer Anmut und Schönheit vor ihm stand.

Warnum! Die seligen Zeiten, die er damals an Mettes Seite verlebte. Nur an das Schöne, Gute dachte er jetzt. Die letzte schlimme Szene, sie blieb begraben.

Und er würde sie wiedersehen. Die gemeinsame Arbeit mit Harder würde sie wieder zusammenführen . . .

»Er ist da, der Herr Oberst Gonzales!« Die rauhe Stimme des alten Schnauzbartes unterbrach sein Sinnen.

Da trat der ein.

»Die Grenze überall gesperrt! Nur der Ziegenpfad allein noch frei!«

»Ich dachte es mir. So müssen wir ihn auch beim Rückweg nehmen . . . trotz unserer Lasten . . . Hier liegt alles bereit, was wir zu tragen haben.

Gewiß! Ich könnte uns einen anderen Weg bahnen. Aber warum? . . . Warum unnütz Menschenblut vergießen, uns die Meute auf den Hals locken?« – – –

Zwei Stunden schon waren sie auf dem Marsch.

»Wären wir doch in ›Mon Repos‹ geblieben! . . . Hätten das Gewitter abgewartet . . . schon auf dem Hinweg sah ich es kommen. Ohne das Mondlicht ist der Pfad kaum zu beschreiten, und es wird dunkler und dunkler mit jeder Minute.«

». . . Und es scheinen mehrere Gewitter zu sein, die sich dort an den Kesselwänden des Val di Toro zusammenballen.«

Die weiteren Worte verschlang der rasende Sturm, der sich plötzlich erhob. Ein scharfer Regenschauer peitschte ihnen ins Gesicht. Unmöglich, noch etwas zu sehen. Nur durch laute Zurufe konnten sie noch feststellen, wo sich jeder befand.

Immer halsbrecherischer der Pfad! . . . Mit Händen und mit Füßen mußten sie sich festklammern, um über den schmalen Grat zu kommen.

Jetzt! . . . Ein Gewitter über ihnen . . . um sie! Aus den dunklen Regenwolken prasselten die Blitze nach allen Seiten. Die Augen, eben noch geblendet vom grellen Schein . . . dann wieder blind im undurchdringlichen Dunkel. Nur mühsam im Scheine ihrer Handlampen konnten sie dem Weg folgen. An einer Stelle, wo der Pfad sich verbreiterte, blieb Eisenecker aufatmend stehen. Mit lauter Stimme rief er nach Gonzales, der vor ihm war. Keine Antwort! Er mußte sehr weit voraus sein . . . oder . . . war der abgestürzt, hatte er dessen Todesschrei im Toben der Elemente überhört? – –

Da! Er hielt das Ohr lauschend vor. Ein Ruf von vorn! . . . Sein Name!

Der lebte, Gonzales.

Er hob die Brust, ihm Antwort zu schreien. Da! Der Herzschlag stockte ihm. Ein fürchterlicher Blitzstrahl vor ihm auf dem Pfad in die Felsen schlagend. An der Stelle gerade, von der der Ruf des Freundes erklungen.

»Gonzales?!« Mit ungeheuerster Willensanstrengung schüttelte Eisenecker die Erstarrung von sich, stürmte keuchend den Pfad empor.

»Gonzales! . . . Antonio!« Nur schwach entrangen sich die Worte der trockenen Kehle. Da kurz vor ihm ein Aufblitzen der Laterne, die Gonzales trug.

Ein erleichterter Atemzug. Dem Himmel sei Dank! Der war noch da. Der lebte. Er stieß gegen die Hand, die der ihm entgegenstreckte, drückte sie in überquellender Freude.

»Du lebst! . . . Ich glaubte dich erschlagen von dem Blitz, der hier niederfuhr.«

Gonzales deutete mit der Hand auf die Ecke des Felsens, hinter der er stand.

»Ein Wunder, daß ich lebe! Da fuhr er nieder! . . . Ein paar Schritt weiter, und ich lag zerschmettert im Abgrund . . . Dank sei der Madonna!

Unmöglich, hier weiterzukommen! Ich versuchte es. Doch hinter dem Felsen ist's fürchterlich . . . der rasende Sturm fegt uns von dem schmalen Pfad, wenn wir es wagen.

Wir müssen warten! . . . Wie lange? . . . Die Hölle hat sich verschworen, uns hier den Weg zu sperren. Die Gewitter drängen sich hier zusammen, stoßen sich an den Bergen . . .«

»Warten? In dieser Unzahl elektrischer Entladungen? Vielleicht stundenlang? Jede Minute kann uns den Tod bringen. Vergiß nicht, daß wir Waffen bei uns tragen . . . Stahl . . .«

»Wären's gewöhnliche Waffen, wir könnten sie fortwerfen! Aber . . .«

»Menschenkraft gegen Naturkraft! . . . Wir wollen sehen, wer siegt . . . wer stärker!«

»Frederego! Willst du die Gewitter bannen? Willst du sie bezwingen?«

»Ich will es . . . versuchen!«

Eisenecker warf das Bündel von der Schulter, entnahm ihm zwei Gewehre, lud sie. Gab eins dem Freund, nahm das andere selbst in die Hand.

»Zeitzünder! Fünfhundert Meter für mich . . . Siebenhundert für dich! . . . Du nach Süden! . . . Ich nach Südwest. Feuern wir auf Kommando zur gleichen Zeit.«

Sie legten an.

Zwei Schüsse! Der schwache Knall verklang im Toben der Elemente.

Doch nun . . . Im Bruchteil einer Sekunde da von Süden und von Südwesten her Blitze, zuckend nach allen Seiten. Und dann, als hätte die Atmosphäre sich an ihnen entzündet . . . um sie herum alles in brennendem Feuerschein.

Und weiter knatternd, krachend neue Blitze. Der ganze Himmel in bläulich-weißes Licht getaucht. Die Landschaft vor ihnen so hell, als leuchteten zehn Sonnen darauf . . . bis in unendliche Weiten sichtbar zu ihren Füßen.

Und dann ein Krachen! Eisenecker preßte die Hände an die Ohren . . . drückte sie . . . bedeutete den Freund, dasselbe zu tun . . . und doch! Nur ungenügender Schutz gegenüber dem, was dann geschah. Als wäre ein ganzer Erdball stärkster Sprengstoffe explodiert, ein einziges, nicht zu Ende kommendes Toben und Krachen.

Der uralte Fels, auf dem sie standen, wankte wie Rohr im Winde. Erbebte, bis in die Grundfesten erschüttert, daß sie in die Knie sanken, sich aneinander festhalten mußten, um nicht hinabzustürzen in die Tiefe.

Mit bleichen Gesichtern starrten sie um sich.

Jetzt, da unten der Jahrhunderte alte Eichenwald, der sich an den Berghängen hinzog . . . plötzlich, wie die Halme unter der Sense des Schnitters sanken die Riesenstämme zusammen.

Sie schlossen die Augen. Mit letzter Kraft drückten sie die Fäuste an die Ohren. Nichts sehen! . . . Nichts hören!

Wie lange sie da so gekniet . . . gelegen . . . keiner wußte es. Eine Ewigkeit schien es jedem.

Bis die Augen blinzelnd es wagten, sich zu öffnen. Noch immer Helle? . . .

Doch nein! Nicht mehr das bläulich zuckende Feuer der atmosphärischen Entladungen! . . . Das sanfte ruhige Licht des Mondes um sie herum ausgegossen.

Da wagten sie, den Kopf emporzustrecken. Über ihnen das unendliche Sternenmeer. Kein Wölkchen am Himmel . . . tiefste Ruhe in der Natur.

Sie standen auf. Vor ihnen der Pfad wie ein helles Band am Rande der Felsen im friedlichen Glanze der nächtlichen Gestirne.

Gonzales warf das Bündel über die Schultern, folgte stumm dem Freunde, der mit raschem Schritt den Hang hinuntereilte.

Jetzt! Sie standen auf spanischem Boden. Wie lange noch, und er würde frei sein! Frei von fremdem Joch!

* * *

Da lag sie vor ihnen, die Antwort an Gonzales. Jetzt setzte Abdurrhaman seinen Namen darunter, reichte sie Jolanthe.

Die las sie mit halblauter Stimme noch einmal vor. Ohne jede Betonung . . . eintönig flossen die Worte von ihren Lippen . . . Die Worte, die doch die furchtbarste Drohung in sich schlossen . . . Europa, das Land vieltausendjähriger Kultur, halb zur Wüste verbrannt! Der Rest ein schwächlicher Krüppel, der Spielball der mächtigen Nachbarn . . . wenn Gonzales und seine Freunde nicht ließen . . . von ihrem Wahnwitz . . .

Der eine seiner Freunde . . . der Deutsche! Der, der ihnen erst die Waffen geschmiedet . . . der würde es nicht dulden, daß diese Drohung jetzt zur Wahrheit würde. Er würde ihn verlassen, Gonzales . . . zurückkehren . . . fliehen . . .

»Und dann!« . . . Jolanthe sah den Kalifen voll an. »Fürs erste wär's wohl genug! Aber was wird die Zukunft weiter bringen?

Diese Macht in unserer Hand! Welche Möglichkeiten! . . . Die maurische Macht Herrscherin der Welt! Wo war er, der . . .?«

Der Kalif schloß die Augen.

»Schweig, Jolanthe! Nicht zu weit laß deine Pläne eilen! Denken wir nur an das Heute. Nicht aber wage ich es, dies Schreiben wegzusenden, bevor ich weiß, daß es Ibn Ezer gelungen.«

»Warum die Zweifel, o Abdurrhaman? Es muß gelingen. Er hat die Konstruktion des Apparates voll durchschaut.«

»Du sagst es, Jolanthe. Ich glaube es . . . muß es glauben. Und doch! Ein Druck auf mir . . . ich kann mich nicht davon befreien, bis ich sie hier vor mir sehe, die zwölf . . .

Eine Bitte, Jolanthe! Fahre! Fahre noch heute zu Ibn Ezer.

Noch ist die Frist nicht verstrichen, die er sich gesetzt. Doch fahre . . . fahre schon jetzt. Und wenn du da bist, gib mir Nachricht . . . stündlich . . . kein Schlaf in meinen Augen, bis ich aus deinem Munde höre, daß sie fertig . . . die zwölf!«

Die hatte sich erhoben. »Mein Flugschiff! Ich fahre sofort!« – – Und so ganz gewiß, daß alles gut gehen würde, schlief sie ruhigen Schlaf, bis das Schiff auf ägyptischen Boden stieß. – – –

Jetzt stand sie vor Ibn Ezer. Schon seine begrüßenden Worte! Wie eine eisige Klammer legte es sich um ihr Hoffen. Diese niedergeschlagene Miene des Alten. Ihre Rechte suchte tastend Halt an der Felswand des Gemaches.

»Was ist's, Ibn Ezer? Du bist . . . du hast dich geirrt? . . .«

Der schüttelte den Kopf.

»Nein, meine Tochter! Ibn Ezer irrt nicht! Nur ein kleiner, kaum beachteter Umstand bringt eine Verzögerung in unseren Plan.«

»Ibn Ezer! Schnell! . . . Willst du mich töten? Sag' mir alles! Wie lange . . .?«

Der ging zum Schreibtisch, nahm eine kleine silbernschimmernde Elektrode.

»Hier! Wir glaubten das Material dafür im Lande zu haben. Doch das verrichtet nicht den verlangten Dienst. Nur in Europa ist es in der Vollendung zu haben, die erforderlich.

Doch beruhige dich, meine Tochter. Schon längst sind Flugschiffe unterwegs, es zu holen. Tage . . . vielleicht nur Stunden wird es dauern . . . dann werden wir es hier haben. Neue Elektroden aus ihm gefertigt, und die Apparate werden arbeiten wie der hier . . . der von Montgomery.«

Bei seinen Worten war das Blut langsam in ihre Wangen zurückgekehrt. Sie schöpfte Atem, ihr Blick bekam wieder Glanz.

»Tage . . . Stunden . . . und dann? Sag' mir die äußerste . . . die längste Frist! . . .«

»Drei Tage längstens.«

›Drei Tage längstens!‹ Jolanthe murmelte die Worte immer wieder vor sich hin. Drei Tage . . . die Frist der Feinde überschritten. Würden sie ohne Verzug zur Tat schreiten? Drei Tage! Wenn die alle Macht anwandten, in drei Tagen Spanien frei! . . . Kein Maure mehr auf spanischem Boden.

Sie ließ sich auf einen Schemel nieder, stützte den Kopf in die Hand.

Der Kalif! . . . Mit Ungeduld erwartete er die erste Nachricht von ihr.

Welche Enttäuschung! Wie sollte sie es ihm sagen? . . . Wie sollte sie es in Worte kleiden? . . . Drei Tage zu spät!

Eine kleine rote Lampe in der Ecke des Felsengemaches war aufgeglüht, Ibn Ezer an den Telephonhörer geeilt. Er lauschte. Sein Gesicht wurde freudiger mit jeder Sekunde.

Da, er warf den Hörer hin. »Das erste Schiff ist schon da, das Material an Bord. Keine drei Tage . . . in zweimal vierundzwanzig Stunden ist es erreicht.«

»Es ist wahr, Ibn Ezer?«

»Ja, meine Tochter.«

Jolanthe sprang auf. Ihre alte Spannkraft war wiedergekehrt.

»Zweimal vierundzwanzig Stunden!«

Gonzales! . . . Er würde doch nicht sein eigenes Vaterland verwüsten . . . verbrennen? So schnell konnte er seine Drohung doch nicht verwirklichen. Die Frist zur völligen Räumung konnte nicht so kurz bemessen sein. Die maurischen Truppen über das ganze Land verstreut, sie sammeln, abtransportieren . . . Tage, Wochen mußten vergehen.

Zeit gewonnen, alles gewonnen! Ja! . . . So konnte es gehen.

Man würde sich den Anschein geben, als gehorche man ihnen. Scheinbar die Rückbewegung der Truppen einleiten. Und dann! . . . Zweimal vierundzwanzig Stunden vergangen! . . .

Dann die gleiche Waffe in ihrer Hand. Dann deren Drohung die stärkere entgegengesetzt!

Der Kalif! Gewiß . . . er mußte enttäuscht sein! Aber . . . Trost, Rettung . . . sie folgten doch sofort.

Mit leichtem Herzen entwarf sie die Nachricht an Abdurrhaman.

* * *

Eisenecker und Gonzales standen vor einer kleinen Blockhütte hoch in den Bergen, wohin nur selten einmal ein Hirte kam, der hier oben weidete. Die Sonne war hinter den Gipfeln im Westen verschwunden. In grauem Dämmer lag die karge Alm.

Vom First der Hütte ein Antennendraht zu einer Zirbelkiefer, die auf einem Felsvorsprung wurzelte. Auf dem rohen Tisch vor ihnen der Empfangsapparat. An seiner Vorderwand wie eine Zunge der weiße Papierstreifen des Morseschreibers.

Eisenecker warf einen Blick auf die Uhr.

»Die ersten Meldungen müßten fällig sein. Unser Mann in Burgos . . . ah! Da kommt er schon!«

Der Morseticker begann zu schreiben. Die verabredete Depesche. Hier war alles in Ordnung. Und so ging es weiter, von Viertelstunde zu Viertelstunde. Einer nach dem anderen der Zwölf meldete sich.

Zwei fehlten aus der Reihe. Nummer Vier und Nummer Elf fehlten und kamen auch nicht, obwohl die Viertelstunden sich schon zu langen Stunden häuften.

Gonzales krauste die Stirn.

»Nummer Elf! Hauptmann Rodrigo Almenar! Ein alter braver Frontsoldat! . . . Sollte er eine Unvorsichtigkeit begangen haben?« Er zuckte die Achseln. »Ich kenne ihn nicht näher. Aber der andere! Nummer Vier, José del Segura. Ein Offizier meines alten Regiments. Ein Mann von höchstem Mut und sprichwörtlicher Tapferkeit. Dabei intelligent, verschlagen! Kaum einen besseren hätte ich finden können! Hier stehe ich vor einem Rätsel.

Eine Unvorsichtigkeit Seguras? Ausgeschlossen! . . . Die großen Arsenale in Toledo . . . zweimal müßte er feuern.«

Sie gingen in die Hütte. Gonzales entzündete eine kleine Lampe, breitete einen Plan von Spanien auf dem Tisch aus.

»Bis auf Villa Nueva sind die Angriffspunkte so gewählt, daß große Verluste an Menschenleben nicht zu erwarten sind. Bei Villa Nueva wird voraussichtlich auch die Stadt selbst und gar mancher der Zivileingesessenen schweren Schaden erleiden. Aber es läßt sich nicht vermeiden.

Der Punkt ist für die maurische Macht von allergrößter Wichtigkeit. Gerade diesen Schlag wird der Kalif nur schwer verwinden.«

»Wenn es so weit kommen sollte!« fiel Eisenecker ein. »Ich kann es immer noch nicht glauben, daß Abdurrhaman es aufs äußerste ankommen läßt. Es wäre doch Wahnsinn! Nach diesen Proben, die wir ihnen gaben.«

»Ich bin vollständig der gleichen Meinung, Frederego. Der Kalif, ein einsichtiger, hochbegabter Mensch . . . auch in dem Kreise seiner Vertrauten gar mancher kluge Militär und Politiker . . . vor allem sein Bruder, Prinz Ahmed Fuad.

Ich kann mir nichts anderes denken . . . irgendeine vage Hoffnung, an die sie sich klammern . . . Was? . . . Ich rate es nicht . . . vielleicht waren unsere Proben doch nicht überzeugend genug.«

Eisenecker schüttelte den Kopf. »Wir wissen doch, daß unsere Gegner sich sehr genau an Ort und Stelle unter Hinzuziehung aller möglichen Sachverständigen über unsere Probestücke informiert haben. Was anderes muß es sein. Doch wozu noch lange grübeln, die Stunde der Entscheidung naht.«

Er ließ seine Uhr repetieren. Mitternacht vorbei.

»Toledo und Barcelona. Ich bin aufs äußerste gespannt.

Es könnte sein, daß irgendein nebensächlicher Umstand es unseren Leuten unmöglich gemacht hätte, zu senden. Ihr Sendeapparat vielleicht nicht in Ordnung. Wir werden bald Gewißheit haben. Ich denke, wir können jetzt unsere Empfänger auf die Regierungswelle umstellen.«

Sie gingen beide ins Freie. Eisenecker stellte die Kondensatoren des Apparates auf die andere Welle, nahm den Telephonhörer ans Ohr. Stille im Hörer. Schon wollte er ihn wieder ablegen, da . . . seine Brauen zogen sich zusammen, er horchte mit gespanntester Aufmerksamkeit.

»Toledo«, flüsterte er dem Oberst zu. Der war nahe an Eisenecker herangetreten, starrte den an. Sah dessen Mienenspiel. Ein Unglück?! . . . Sekunden peinlichsten Wartens für Gonzales. Dann legte Eisenecker den Hörer hin. »José del Segura ist tot! Keine andere Erklärung möglich!«

»Was ist geschehen?« rief Gonzales.

»Der Radiobericht ging vom Kriegsministerium aus. Der Inhalt folgender: Der Häuserblock in Toledo, in dem das Polizeigebäude mitten drin, in die Luft geflogen. Furchtbare Katastrophe! Auch die benachbarten Blocks schwer in Mitleidenschaft gezogen!«

Sie sahen sich schweigend an. »Das war José del Seguras Werk,« rief Gonzales, »keine andere Erklärung!«

Was war da geschehen? – – –

»Das Schicksal Rodrigo Almenars wohl dasselbe«, vollendete Gonzales.

Der Zeiger der Uhr war unaufhaltsam weitergewandert. Ein Uhr nachts. Die anderen Zehn, jetzt würden sie es vollbringen. Die Hand, mit der Gonzales den Hörer griff, zitterte leicht. Er hielt ihn ans Ohr, setzte ihn wieder ab, schaute auf den Apparat.

»Verworrene Geräusche! Ist etwas hier nicht in Ordnung?«

Eisenecker riß ihm den Hörer aus der Hand. Ein leichtes Lächeln glitt über seine Züge. »Wir werden keinen Bericht bekommen. Sie senden in Madrid Störungswellen . . . machen jede Sendung unmöglich.«

»Ah, sie haben also triftige Gründe, das Nachrichtengeben zu verhindern. Aber diese Gründe dürften für uns sicherlich nur angenehm sein«, fuhr Gonzales fort. – – –

Die Katastrophe in Toledo. Das Schicksal José del Seguras. Was war da vorgegangen?

Der Prado Publico in Toledo fast menschenleer. Unter einer hochragenden Tanne lag José del Segura. Ein isolierter Draht von einem hohen Ast des Baumes bis zu ihm, der da halb verborgen im Grase saß. In der Abenddämmerung für einen zufällig Vorübergehenden unsichtbar.

Del Segura öffnete einen kleinen Sendeapparat, schloß ihn an.

Er sah auf die Uhr. Die verabredete Stunde war noch nicht herangekommen. Es hieß warten. – Langsam schlich der Zeiger der Uhr vorwärts. Unerträglich diese Langeweile. Alles in ihm fieberte . . . drängte zur Tat. Dort drüben hinter dem Wasserturm das erste Arsenal. Das andere jenseits der Stadt.

Barcelona. Dort sein Jugendfreund Rodrigo Almenar. Waffenbruder in den Guerillakämpfen. Der stand jetzt auch vor seinem Sender, ungeduldig die Stunde erwartend.

Einen Gruß mit ihm austauschen? Es schoß ihm plötzlich durch den Sinn. Er rief an. Der antwortete. Kaum, daß er die Stimme des Freundes vernommen, fiel es ihm schwer auf die Seele . . . durfte er das tun, jetzt in diesem Augenblick? War's nicht leichtsinnig?

Hätte er's doch nicht getan! Der Freund erzählte in seiner breiten baskischen Mundart, fand kein Ende. Immer ungeduldiger wurde Segura, gab jetzt das Schlußzeichen.

Er streckte sich lang aus. Warten, noch eine volle Stunde! Nach einiger Zeit richtete er sich auf, sah auf die Uhr. Der Zeiger war eine Viertelstunde weitergelaufen. Er wollte sich wieder hinlegen, . . . da, . . . kam nicht einer auf ihn zu? Schnell warf er sich hin. Zu spät. Eine barsche Stimme rief ihn an. Der Lichtkegel einer starken Lampe fiel auf ihn.

»Stehen Sie auf, mein Herr! Ihre Legitimation?«

Während del Segura sich erhob, »Ah!« der Fremde rief's. »Sie waren es, der eben hier gesendet hat. Der Draht, Ihre Antenne. Hm . . .« er griff mit der Rechten in die Tasche, zog eine Waffe. »Ihre Papiere, mein Herr.«

Segura sprach kein Wort, zog einen Paß aus seiner Brieftasche, übergab ihn dem Fremden. Ein Geheimpolizist unzweifelhaft, der seine Sendeeinrichtung durch Anpeilen ermittelt hatte.

»Sie sind der frühere Offizier der spanischen Armee, José del Segura?«

»Der bin ich?«

»Sie sprachen eben mit Barcelona.«

»Gewiß.«

»Der Inhalt Ihres Gespräches?«

»Nun, haben Sie ihn nicht mit angehört?«

»Allerdings.«

»Allerdings? Nun, dann weiß ich nicht, was Sie von mir wollen. Oder vermuten Sie in diesem harmlosen Gespräch irgendein finsteres Staatsgeheimnis?«

Der Polizist stand einen Augenblick überlegend da. »Hier ist nicht der Ort, um uns darüber auszusprechen. Folgen Sie mir zur Wache.«

Del Segura war eben im Begriff, dem an die Kehle zu springen, da sah er zwei weitere Gestalten auf sich zukommen. Der Beamte mochte wohl die Absicht Seguras instinktmäßig gefühlt haben, er hielt ihm die Waffe vor die Brust.

»Folgen Sie mir ohne Widerstand, mein Herr!« – – –

Eine Viertelstunde darauf stand del Segura dem Polizeikommissar gegenüber. »Ich will Sie vorerst nicht danach fragen, welchen Zweck Ihre Radiounterhaltung mit Barcelona hatte, Sie würden mir doch nicht die Wahrheit sagen. Doch eine andere Frage. In Ihrem Besitz eine große Armee-Pistole, dazu zwei Patronen.«

Er wies auf den Tisch an seiner Seite, wo die Waffe und die beiden Patronen lagen. »Diese Patronen, was ist mit ihnen? Was ist das, was statt des üblichen Mantelgeschosses in der Hülse steckt? Die Patronen sind ungewöhnlich schwer, das Geschoß kann unmöglich aus Blei bestehen.«

»Sie haben recht, Herr Kommissar. Das ist kein Blei. Das ist . . . das ist eine neue Legierung, deren ballistische Eigenschaften denen der üblichen Bleigeschosse überlegen sind.«

»Sonderbare Legierung muß das sein.« Der Kommissar hob eins der Geschosse auf. »Mir sind Metalle von solcher Schwere nicht bekannt, mein Herr. Jedenfalls, Sie werden das einsehen, besteht wohl begründeter Anlaß, daß man sich mit Ihrer Person und diesen sonderbaren Geschossen etwas näher beschäftigt. Sie werden daher vorläufig in Haft bleiben.«

José del Segura vermochte nur mit übermenschlicher Willensanstrengung seine gleichmütige Miene zu bewahren. Doch vergeblich suchte er nach einem Ausweg . . . ah, doch einer!

»Ich glaube, Herr Kommissar, meine Angelegenheit wird sich in einfachster Weise klären, wenn ich Ihnen diese neue Konstruktion der Patronen im einzelnen zeige.«

Der Kommissar zögerte einen Augenblick, dann überwog die Neugierde bei ihm. Er nahm eine, reichte sie del Segura. Der griff sie mit beiden Händen, zog mit einer leichten Kraftanstrengung das Geschoß aus der Hülse.

»Hier, mein Herr, Sie sehen die Hülse, nichts anderes wie die üblichen.«

Er drehte sie um. »Die Treibladung ganz wie gewöhnlich, und hier in meiner anderen Hand das Geschoß. Um Ihnen die Legierung zu zeigen, muß ich den Überzug, der sie wie ein Mantel umgibt, entfernen. Sie haben vielleicht eine Zange.«

Ein anderer Polizist reichte ihm eine solche.

»Sie werden gleich sehen, Herr Kommissar.« Del Segura griff die Zange, trat ein paar Schritte zurück, schlug schnell ein Kreuz, setzte sie an. Das Geschoß, ein leichtes Krachen, wie wenn man eine Mandelschale aufbricht . . .

Plötzlich ein bläulich-heller Schein in dem Raum. Del Segura, als brenne das in seiner Hand, schleuderte es auf die Erde . . .

Und dann – – – Das große Gebäude . . . die ganze Umgebung, als wäre ein Krater darunter ausgebrochen . . . in ungeheurem Getöse flog alles in die Luft. Kein Überlebender, der zeugen konnte, was hier geschah. – – –

Barcelona. Ein kleines Hotel in der Vorstadt. Rodrigo Almenar saß am Fenster seines Zimmers. Unbemerkt hatte er zu einem hohen Obstbaum davor eine Antenne gespannt. Der Anruf des Freundes! Seine Gedanken weilten bei ihm, mit dem er eben noch gesprochen, gingen voraus in die Zukunft . . . wenn sie sich wiedersehen.

Es klopfte an die Tür. Almenar drehte sich um, ein Fremder trat ein. »Ich bitte um Verzeihung, wenn ich Sie störe, mein Herr, ich bin von der politischen Polizei. Sie haben soeben mit Toledo gesprochen. Ihre Antenne, ich sah es von unten, geht zu jenem Baum. Der Inhalt Ihres Gesprächs . . .«

»Verzeihung, mein Herr, der dürfte doch wohl so harmlos wie möglich gewesen sein!«

»Vollkommen Ihrer Meinung, mein Herr. Aber gerade deshalb, weil er so außerordentlich harmlos war, erscheint es mir interessant, über Ihre Person Näheres zu erfahren. Ah, Sie haben einen Paß. Hm . . . doch unsere Unterredung könnte vielleicht von längerer Dauer sein. Folgen Sie mir.«

Bei diesen laut gesprochenen Worten öffnete sich die Tür, ein weiterer Beamter trat ein.

»Nehmen Sie das Gepäck dieses Herrn und folgen Sie uns.« – – –

Zehn Minuten später lief beim Kriegsministerium in Madrid folgende Nachricht ein:

In einem Vorstadthotel früherer spanischer Offizier Rodrigo Almenar wegen verdächtigen Funkens verhaftet. In seinem Besitz eine Armeepistole mit zwei Patronen unbekannter Konstruktion. Das Geschoß von außergewöhnlicher Schwere. – – –

Eine weitere Viertelstunde später brachte ein Flugschiff den gefesselten Gefangenen mit seinem Gepäck nach Madrid.

* * *


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