Hans Dominik
Atlantis
Hans Dominik

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Das Kohlenschiff ›Christian Harlessen‹ lag fünf Kilometer südlich von Black Island vor Anker. Fünftausend Pferde Maschinenkraft, viertausend Tonnen Wasserverdrängung. Heimathafen Hamburg, Reeder Jacob Jeremias Uhlenkort & Söhne.

Fröstelnd schob sich der Wachtmann, die einzige lebendige Seele auf Deck, an der Reling entlang. Mechanisch ließ er den Blick bisweilen über das Meer gleiten, gelegentlich war Treibeis zu sehen. Noch verwehrte ein dünner Nebelschleier die Sicht.

Ein lichter Schimmer von Osten her kündete das aufsteigende Tagesgestirn. Schärfer blickten seine Augen. Von Minute zu Minute wurde die Luft sichtiger.

Am Vordersteven machte er halt. Sein Blick war nach Norden gerichtet, wo Black Island liegen mußte.

Da . . . er stand . . . und stand. Langsam löste er seine Hände aus den Taschen und fuhr sich über die Augen. Dann packten seine Fäuste die Reling. Sie umklammerten sie, als ob sie das starke Stahlrohr zerquetschen wollten.

Black Island? . . . War das die Insel Black Island?

Land . . . Das war Land . . . ja, das war Land . . . was sich vor ihm ausbreitete.

Seine Lippen bewegten sich, als wollten sie schreien. Die weitgeöffneten Augen stierten geradeaus.

Doch! Da war Black Island . . . Da war es ja . . . aber . . . aber viel näher! Viel größer . . . und es wurde . . . immer größer . . . immer höher.

Die zerklüfteten Felsspitzen der Insel, im hellen Sonnenschein gegen die schwarzen Wolken im Hintergrund . . . schienen taumelnd in die Höhe zu streben. Das Vorland, nach allen Seiten wuchs es mit. In immer weiteren Kreisen dehnte sich der Strand, schien auf das Schiff hinzulaufen.

Da lösten sich seine Hände . . . Sie schlugen sich vor das Gesicht, das sich wie zur Flucht abwandte. Er stürzte fort.

Ein Schrei wie der eines Menschen aus tiefster, verzweifelter Not gellte über Deck.

»Land! . . . Land! . . . Land kommt! Land ahoi!«

Der Wachtmeister riß die Luke zum Quartier auf. »Land ahoi!« brüllte er in den Raum.

Die Gestalt des Ersten Steuermanns schob sich die Treppe hinauf. Bevor er die oberste Stufe erreichte, krallten sich zwei Hände in seine Schultern. Der Schrei gellte ihm in die Ohren.

»Land voraus . . . Land ahoi! . . . Land kommt über uns.«

Mit einem Ruck schüttelte der Steuermann ihn von sich.

»Was? . . . Was schreist du . . . Land? . . . Land ahoi? . . . Bist du verrückt geworden?«

Seine Augen folgten dem ausgestreckten Arm, der nach Norden zeigte.

»Land ahoi, Steuermann!«

Der Steuermann taumelte zurück.

»Land ahoi!« schrie es von seinen Lippen. »Anker auf! . . . Anker auf! . . . Motoren klar!«

Die Deckleute stürzten nach oben.

»Anker auf!« brüllte der Steuermann und lief zur Brücke. Knatternd setzte sich die Motorwinde in Bewegung. Klirrend und rasselnd fuhr die Ankerkette durch die Klüse.

Der Maschinentelegraf klang schrillend. Die Schiffsmotoren sprangen an.

»He, Steuermann! Was ist? . . . Was soll's?«

Der Kapitän stand auf der Brücke und riß den Steuermann am Arm. Der fuhr herum.

»Land! Kapitän . . . Land kommt . . .«

»Land kommt?« murmelten die Lippen des Kapitäns. Sein tiefgebräuntes Gesicht war erblaßt. Mit unruhigen Händen hob er das Glas. Sah, wie das Land da vor ihm wuchs – Black Island . . . in die Höhe . . . in die Breite . . . sah, wie es auf sie zukam . . . näher . . . und immer näher.

»Ruder backbord! Hart backbord! Volle Fahrt voraus!«

Der Steuermann schrie es.

»Volle Fahrt voraus!«, der Kapitän rief es nach.

Der Schiffsrumpf erzitterte, das Schiff kam in Bewegung. Es gehorchte dem Steuer und floh . . . floh vor dem wachsenden Land. Voll Grauen hingen die Blicke der Mannschaft an den steigenden Felsen, an dem Land, das sie zu verfolgen schien, das ihre Augen und Sinne verrückt machte.

Bis die Entfernung immer größer wurde, bis das Phantom im Nebel entschwand. Bis die Kehlen wieder frei wurden, die Lippen sich wieder zu bewegen vermochten . . . zu flüstern, zu sprechen über das Niegesehene . . . Nieerlebte.

»Volle Fahrt voraus!« so fuhren sie . . . und fuhren, bis sie an der Mole von Wibehafen festmachten.

Der Hafenkommandeur sah die verstörten Gesichter und nahm die Mannschaften der Reihe nach vor. Die sahen mit Augen, die in die Ewigkeit blickten. Erzählten von dem gespenstischen Land, das vor ihren Augen aus der See wuchs . . . und wie sie vor dem flohen.

Da ließ er sie. Wandte sich ab und schickte das Regierungsschiff. Das fuhr und kam nach Black Island. Und sie sahen es daliegen. Wie ein Turm über dem Kirchdach lag die alte Insel auf einer neuen, viel größeren, die hier aus den Fluten gestiegen war.

In langsamer Fahrt, immer wieder lotend, umsteuerte das Schiff das neue Land. Tausend Quadratkilometer waren, wo vordem hundert Quadratkilometer aus der See ragten. Sie kamen nach Wibehafen zurück und berichteten, was sie gesehen hatten.

Und dann begannen Radiosender und Telegraf zu spielen und meldeten der Welt, was geschehen war.

*

Überraschend war das Bild, das sich den Augen Walter Uhlenkorts bot, als er in das Riesenrund des Zirkus trat. So überraschend, daß er stehenblieb, ohne den harrenden Logenschließer zu beachten.

Wohl war es in der Sache das gleiche, was er schon in so manchem anderen großen Zirkus der Welt gesehen hatte. In den Logen die beste Gesellschaft, stark durchsetzt mit Offizieren in glänzenden Uniformen. Im ersten Rang das bessere Bürgerpublikum, in den weiteren Reihen nach oben hin abstufend Mittelstand und schließlich die Galerie zum Brechen überladen . . .

Wären nur nicht die schwarzen Gesichter des Publikums gewesen. Eine vieltausendköpfige schwarze Menge, in der die wenigen Weißen fast völlig verschwanden.

Gewiß . . . er konnte hier in Timbuktu, der Haupt- und Residenzstadt des schwarzen Kaisers Augustus Salvator von Zentralafrika, kaum ein anderes Publikum erwarten. Immerhin blieb ein Eindruck, der für sein Europäerauge ans Groteske grenzte. Diese Hypereleganz der nach neuesten amerikanischen Schnitt gekleideten Logenbesucher . . . die gold- und silberstrotzenden Uniformen der Offiziere . . . die kostbaren Abendtoiletten der ebenholzfarbenen Damen in den Logen . . . und dann mit zunehmender Sitzhöhe abnehmende Bekleidung, die schließlich auf der Galerie beim Lendenschurz endete . . . Das alles gab ein Bild, das gleichzeitig verblüffend und erheiternd auf ihn wirkte. Minuten verstrichen, bevor er sein Auge von dieser Szenerie lösen konnte.

Die plötzlich einsetzende Lichtflut des Pressedienstes gab seinen Augen eine andere Richtung. An der Decke über der mächtigen Arena erschienen in feurigen Buchstaben die neuesten Nachrichten aus aller Welt. Automatisch las er die leuchtenden Texte.

›Spitzbergen, den 18. März. Jubiläum des zwanzigjährigen Bestandes der Vereinigten Arktischen Kohlengruben. Seit der Eröffnung verzehnfachte Ausbeute. Förderung in der ersten Hälfte des März zum erstenmal fünfundzwanzig Millionen Tonnen . . .‹

›London, den 18. März, 6 Uhr abends. Aus Anlaß der von Amerika beabsichtigten Großsprengung einer neuen Kanalroute in Panama ist es in mehreren schottischen Städten zu Demonstrationen gekommen . . .‹

›Tschadsee, den 18. März, abends 6 Uhr 20. Die Arbeiten am Kaiser-Augustus-Schacht sind in den letzten Tagen so gefördert worden, daß man am 20. März die bisher nie erreichte Tiefe von 6000 Meter anfahren wird.‹

Nachdrängendes Publikum nötigte Walter Uhlenkort, seine Blicke wieder dem Boden zuzuwenden. Er schritt den Rundgang weiter entlang zu seiner Loge. Ein Schließer überreichte ihm Theaterglas und Programm. Zwischen zwei schwarzen Gentlemen hindurch, welche die beiden hinteren Plätze der Loge einnahmen, trat er zu dem freien Platz vorn rechts, grüßte mit leichtem Kopfnicken den weißen Nachbarn zur Linken und vertiefte sich mit Interesse in das Programm . . .

›Grand Circus Webster Brothers
Timbuktu den 18. März

Große Gala- und Eröffnungsvorstellung
Auftreten sämtlicher Künstler und Spezialitäten

Die berühmtesten Artisten der Welt! Erstklassiges Pferdematerial.
Großartige Raubtierdressuren in nie gesehener Vollendung . . .‹

Uhlenkorts Blick zuckte über die einzelnen Nummern des Programms und blieb bei der vierten haften:

›Miß Arabella Simson, die beste Schulreiterin der Welt, auf ihrem englischen Vollbluthengst Cohinor . . .‹

Er ließ das Blatt sinken und starrte sinnend in die leere Manege. Die rauschenden Klänge der eben einsetzenden Zirkusmusik rissen ihn aus seinem Nachdenken. Noch einmal wanderten seine Augen über das exotische Publikum des Zuschauerraums. Dann betrachtete er seinen Nachbarn zur Linken. Ein hageres, bartloses Gesicht, tief gebräunt von der afrikanischen Sonne.

Walter Uhlenkort schaute auf seine Uhr und warf einen Blick auf die leere Hofloge.

»Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige . . . aber hierzulande sind sie noch nicht soweit«, klang es leise in englischer Sprache aus dem Mund seines Nachbarn.

»Es scheint so«, gab Uhlenkort mit leisem Lächeln zurück.

»Wird aber wohl nicht mehr lange dauern, taxiere ich, die Diplomatenlogen beginnen sich zu füllen. Da drüben links . . . der Botschafter des Europäischen Staatenbundes . . . da tritt er eben ein . . . Seine Exzellenz Dührsen, wenn Sie's interessiert . . . oder kommen Sie nicht aus dem alten Europa?«

»Richtig geraten . . .«

Jäh brach die Musik ab, und ebenso jäh verstummte das lebhafte, schwatzende Publikum. Alle Blicke richten sich auf die Hofloge, in die soeben der Oberhofmarschall getreten war.

Dreimaliges Aufstoßen seines Stabes. Aufpeitschende Rhythmen der afrikanischen Nationalhymne . . .

Mit einem Ruck erhob sich das Publikum und stimmte in die Melodie ein.

Die Türen im Hintergrund der Hofloge flogen auf. Inmitten eines glänzenden militärischen Gefolges trat der Kaiser in die Loge. Schritt nach vorn, blieb an der Brüstung stehen und dankte mit leichtem Kopfneigen für die Ovationen des Publikums. Erst als die Nationalhymne verklungen war, ließ er sich nieder, und das Publikum folgte seinem Beispiel.

»Sankt Pauli is gor nix dagegen«, brummelte Uhlenkorts Nachbar beim Niedersetzen vor sich hin.

Diese Worte, die in unverfälschtem Hamburger Dialekt sein Ohr trafen, ließen Uhlenkort den Kopf wenden.

»Auch von Hamburg?«

». . . auch?«

Der drehte sich nun voll um und sah Uhlenkort prüfend an.

». . . auch Hamburg . . . freut sich riesig. Waterkant hatte ich ungefähr taxiert. Trifft man sich nicht am Jungfernsteg, dann sieht man sich in Timbuktu.«

Mit freudig blitzenden Augen reichte er Uhlenkort die Rechte, und vergnügt lachend schlug der ein.

»Das nenne ich Glück. Kommt Klaus Tredrup mit drei Tagen Urlaub von dem Höllenschacht am Tschadsee und trifft gleich am ersten Tag einen Landsmann.«

»Meine Freude ist nicht minder groß, einen Hamburger zu treffen, der hier Bescheid zu wissen scheint.«

»So etwas, Herr Nachbar . . .«

»Uhlenkort.«

»Uhlenkort? Jacob Jeremias Uhlenkort & Söhne? Ah . . .!«

Lebhafter Beifall unterbrach ihr Gespräch. Sie sahen noch eben eine blonde Panneaureiterin in den Sand springen und mit lächelndem Gesicht und Kußhänden für den Beifall danken.

»Schweinerei, verdammte! Man möchte am liebsten dem ganzen Dreck den Rücken kehren. Müssen die armen Luder hier ihr weißes Fleisch zur Schau stellen . . . und dann noch mit Kußhänden dafür danken, daß sie Gefallen gefunden haben in den Augen der . . .«

»Pst! Nicht so laut, Landsmann«, unterbrach ihn Uhlenkort.

Unwillkürlich zuckte Klaus Tredrup zusammen.

»Verdammt! Sie haben recht! Die deutsche Sprache ist hier nicht so unbekannt, wie mancher denkt – und Spione gibt es mehr als genug.«

Ein paar Clowns kugelten in die Arena und entfesselten ein Freudengewieher der schwarzen Zuschauer.

»Noch ein Wort, Herr Uhlenkort. Bleiben Sie noch etwas in Timbuktu?«

Uhlenkort nickte.

»Heute abend frei?«

Abermals ein zustimmendes Nicken.

»Ausgezeichnet! Verschieben wir unser Palaver bis nach Schluß der Vorstellung.«

»Meinetwegen schon nach der ersten Pause.«

»Recht so! Ich schlage vor beim Obermoser. Da gibt's ein Pschorr, gut gekühlt und frisch vom Faß.«

Die vierte Nummer des Programms war jetzt an der Reihe. Die Schulreiterin Miß Arabella Simson auf einem wundervollen Vollblut, das ein Stallmeister am Zügel in die Manege führte.

Klaus Tredrup schien von der Reitkunst dieser Dame nicht über die Maßen begeistert zu sein. Mit einer Bemerkung auf den Lippen wandte er sich an seinen Nachbarn und sah, daß dieser seine Brieftasche auf den Knien entfaltet hatte, daß seine Augen zwischen einer kleinen Fotografie und der Schulreiterin hin und her gingen. Er unterdrückte, was er sagen wollte und wartete.

Mit jähem Ruck schob Uhlenkort das Bild in die Brieftasche zurück.

»All right, mir soll es recht sein!«

*

Gerade als die beiden Hamburger sich von ihren Plätzen erhoben, trat ein anderes weißes Paar in eine schräg gegenüberliegende Loge ein. Ein Herr und eine Dame, beide in großer Abendtoilette. Der Herr, Ende der Dreißiger, eine hochgewachsene Gestalt, groß und mager, mit einem schmalen, langen Gesicht. Die dünnen, rotblonden Augenbrauen wölbten sich über hellgrauen Augen. Ein nervöses Blinzeln ließ die Augen sich häufig schließen. Um die schmalen, dünnen Lippen lag ein leises Lächeln.

An den Börsen von New York und Chicago kannte man dieses stete Lächeln, und man fürchtete es. Auch Klaus Tredrup wäre nicht so seelenruhig, wie er es jetzt tat, aus dem Zirkus geschritten, wenn er diese Züge noch erkannt, seinen alten Widersacher und Rivalen Guy Rouse hier gesehen hätte.

Aber Guy Rouse sah den Hamburger, drehte sich blitzschnell um und flüsterte dem Logendiener ein Wort zu. Dann eilte er zu seiner Dame, die, unbeirrt von den vielen Gläsern und Blicken, die sich auf sie richteten, an der Brüstung stand, und half ihr aus dem Abendcape.

Das Aufsehen, das sie erregte, war wohl berechtigt. Juanita Alameda war in der Tat eine blendende, eine vollkommene Schönheit. Die tadellose Figur mit höchster Eleganz gekleidet.

Als Guy Rouse sich eben setzen wollte, trat ein schwarzer Gentleman in unauffälliger Kleidung an ihn heran. Ein paar geflüsterte Worte von Seiten des Amerikaners, ein kurzes Nicken des Schwarzen, der sich daraufhin sofort wieder entfernte.

Guy Rouse ließ sich nieder und nahm das Opernglas vor die Augen. Er richtete es auf die Vorgänge in der Manege. Aber hinter den Okularen des Glases wandten sich seine Augen scharf zur Seite zu seiner Nachbarin hin. Die schien interessiert den Jockeikünsten dort unten zu folgen.

»Findest du nicht auch, Juanita, daß der Besuch hier außerordentlich lohnt? Man sieht doch recht Interessantes!«

»Wie meinst du das?«

»Nun! Ist denn nicht der Anblick des Zuschauerraums allein den Besuch wert? Sieh nur die Loge des Kultusministers mit Familie. Die Dame neben dem Minister . . . der tiefe Rückenausschnitt der hellroten Seidenrobe kontrastiert doch recht eigenartig mit der schwarzen Haut . . . Das Girl vor ihr, ihre Tochter, hat wenigstens zwei Töpfe Pomade aufgewandt, um ihr Kraushaar zu dieser Glätte zu zwingen; ihr Schmuck genügt übrigens, um zehn Amerikanerinnen aus der Fünften Avenue reichlich zu versorgen . . . Der junge Gent an ihrer Seite, dem der weiße Kragen die Ohrläppchen wundscheuert, wird demnächst Legationssekretär in Washington; ist ihr Bräutigam. Du wirst Gelegenheit haben, das junge Paar wiederzusehen. Übrigens trotz seiner Jugend ein kolossal gewandter Bursche. Er hat drüben bei uns in New Orleans seine Studien absolviert. Beherrscht ein halbes Dutzend Sprachen. Findest du nicht auch, daß . . .«

»Wie meintest du eben? Sagtest du etwas, Guy?«

Er biß sich auf die Lippen, und ein unbestimmter Ausdruck trat in seine Züge.

»Oh! . . . Ich sagte dir etwas von dem Spaß, den ich hatte, als ich hier eintrat.«

Jetzt wandte sie sich ganz zu ihm hin und sah ihn forschend an.

»Du amüsierst dich?«

Er nickte.

»Gewiß, ich habe mich gefreut!«

». . . gefreut?«

»Aber ja! Es macht doch Freude, wenn man einen alten Bekannten wiedersieht.«

». . . einen alten Bekannten?«

»Wozu noch die Fragen? Lassen wir das Spiel. Ich bewundere dich. Ich gratuliere dir zu deiner Selbstbeherrschung. Sie war meisterhaft! Nur wer dich so kennt wie ich . . . so in deinen Augen lesen kann wie ich, konnte bemerken, daß du ihn auch gesehen hast.«

»Wen meinst du?« kam es schwach, fast tonlos von Juanitas Lippen.

»Well! Unseren gemeinsamen Freund, deinen speziellen Jugendfreund . . . Mr. Tredrup.«

Juanita zerknitterte nervös das Programm. Minutenlang starrte sie geradeaus.

»Was hast du mit ihm vor?«

»Ich? Mit ihm? Ich glaube, du überschätzt mein Interesse an Mr. Tredrup.« Er lächelte müde und grausam zugleich.

»Ja! . . . Ich schätze, daß dein Interesse an Tredrup . . . Du weißt . . . wie du mich kennst, kenne ich dich auch . . . Wer war der Mann, der hier vorhin zu dir in die Loge trat?«

»Ein Kriminalbeamter! Das letzte Zusammentreffen mit Mr. Tredrup war, wie du weißt, nicht ganz ohne Gefahr für mich. Gefahr gehe ich, wenn es sich machen läßt, aus dem Wege. Ein nochmaliges Zusammentreffen mit ihm könnte wieder gewisse Gefahren mit sich bringen. Für mich . . . vielleicht auch für ihn. Wir bleiben noch einige Tage hier. Der Herr von der Polizei wird mir Nachricht geben, wie es um Mister Tredrup hier steht.«

»Guy!« Fast flehend hatte es geklungen.

»Bitte, Juanita!«

»Guy! . . . Ich bitte dich!«

»Du bittest, Juanita? Um was?«

»Schone ihn! Schone sein Leben!«

Er sah geradeaus an ihr vorbei. Das stete Lächeln um seine Lippen war geschwunden.

»Guy!« kam es nochmals dringend, »schone ihn um der Liebe willen . . .«

. . . die du einst für Mr. Tredrup empfandest und vielleicht heute noch . . .«

»Guy!«

»Oder meinst du die Liebe . . . unsere Liebe?«

Das alte, harte und lüsterne Lächeln spielte wieder um seinen Mund.

»Oder meinst du unsere Liebe?«

»Guy! Ich weiß, ich gehöre dir . . . du verfügst über mich, wie es dir gefällt. Du weißt, wie oft ich dir nützlich war . . . und noch sein werde. Du weißt auch, daß das glänzende Leben, das ich an deiner Seite führe, daß das nicht . . . aber . . .«

»Aber? Juanita! Du beliebtest soeben ›aber‹ zu sagen?«

»Ja! Aber . . . es gibt Grenzen! Grenzen, wo mein Herz . . .«

»Dein Herz? Gehört dein Herz nicht mir, Juanita?«

»Guy, hüte dich!«

»Du scherzest, Juanita!«

In diesem Augenblick kam der Kriminalbeamte wieder zurück, trat zu Guy Rouse in die Loge, übergab ihm einen Zettel mit der gewünschten Adresse und flüsterte ihm einige Worte zu.

Sorgfältig barg Rouse den Zettel in seiner Brieftasche.

Dann klatschte er mechanisch Beifall, denn soeben erschienen die Mitglieder der Anaconda-Tauchertruppe wieder über der Wasseroberfläche, nachdem sie allerlei Wasserkunststücke gezeigt hatten.

»Köstlich! Köstlich, diese schwarzen Stielaugen, wie sie die weißen Wasserweiblein beinah verschlingen! Allerdings, wunderbare Körper haben diese Taucherinnen! Na, sie werden hier sicherlich hoch bezahlt werden.«

Die Vorführungen der Tauchergruppe waren beendet. In der nun folgenden Pause flammten neue Nachrichten des Pressedienstes an der Decke auf.

›Panama, den 18. März, abends 6 Uhr 45 Min. Ortszeit. Die Minen von Kilometer 60 bis 70 sind geladen. Die Bohrlöcher der Schlußstrecke von Kilometer 70 bis 73 sind mit Erreichung einer Tiefe von 1,5 Kilometer vollendet. Die Ausmeißelung der Sprengkammern auf diesem letzten Teil der Strecke hat begonnen. Die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten ist durchaus für die gleichzeitige Sprengung sämtlicher Minen.‹

›Oslo, den 17. März, abends 6 Uhr 30 Min. Ortszeit. Die aus allen Teilen des Landes gesammelten Resolutionen sind soeben an die europäische Zentralregierung in Bern abgegangen. Norwegen verlangt von Bern nochmals energischen Protest gegen gleichzeitige Sprengung aller Panamaminen.‹

›Timbuktu, den 18. März, abends 7 Uhr 30 Min. Die Kaiserliche Regierung hat beschlossen, die Anfahrung des sechsten Kilometers im Kaiser-Augustus-Schacht durch einen feierlichen Akt zu begehen. Seine Majestät allerhöchst wird selbst geruhen, an der bedeutungsvollen Feier teilzunehmen.‹

Als die letzte Nachricht erschien, durchbrauste mächtiger Applaus den ganzen großen Zirkus. Aller Blicke richteten sich auf die Hofloge. Es lebe der Kaiser!

Als die spontane Kundgebung verrauscht war, begannen die Reihen sich langsam zu leeren. Die große Pause hatte begonnen und lockte einen erheblichen Teil des Publikums in das Foyer.

Guy Rouse wandte sich an Juanita.

»Ich verlasse dich für einen Moment. Ich habe ein paar dringende Fragen an unseren Botschafter zu richten.«

Als Guy Rouse gegangen war, verließ auch Juanita die Loge und trat in den Rundgang, um sich in das Foyer zu begeben. Da erblickte sie den Kriminalbeamten, der vor kurzem die Adresse Rouse gegeben hatte. Im Augenblick zog sie einen goldenen Bleistift aus der Tasche, schrieb in aller Eile auf die Rückseite des Programms ein paar Worte und winkte dem Beamten gleichzeitig mit den Augen. Dann drehte sie sich zur Loge zurück und ließ dabei wie unabsichtlich den Fächer fallen.

Der Kriminalbeamte verstand im Augenblick, sprang hinzu und überreichte ihr den verlorenen Fächer.

Während sie ihn entgegennahm, reichte sie dem Beamten das zusammengefaltete Programm.

»Von Mr. Rouse für Mr. Tredrup.«

Kaum hatte der Beamte sie verlassen, als Rouse zurückkam.

Als er Juanita außerhalb der Loge traf, warf er einen mißtrauischen Blick um sich.

»Wo wolltest du hin, Juanita?«

»Ich wollte ins Foyer. Die Luft hier ist entsetzlich . . . aber das unverschämte und zudringliche Anstarren da draußen ist mir noch mehr zuwider. Ich möchte nach Hause. Mein Kopf schmerzt.«

»Ich habe soeben von unserem Botschafter erfahren, daß der Kaiser den Zirkus verläßt und mich um 9 Uhr 30 im Schloß erwartet. Wir kehren sofort ins Hotel zurück.«

*

Sie saßen beim Obermoser und waren nicht mehr beim ersten Glas.

»Wie ist's, Herr Uhlenkort, wollen wir die Kalebassen noch einmal vollaufen lassen?«

Klaus Tredrup, der alte Wittweidaer Studiker, schwenkte seinen leeren Krug nach dem Büfett hin.

»Meine drei Tage sind bald rum. An dem Teufelsloch am Tschadsee gibt's solchen Stoff nicht!«

Ohne die Antwort abzuwarten, hob er seinen Krug hoch.

»Noch zwei Volle, Herr Obermoser aus Minka!«

Walter Uhlenkort nickte belustigt.

»Der Stoff ist tadellos. Der könnte sich am Stachus in München sehen lassen. Die verwöhnteste Zunge kann damit zufrieden sein.«

Der dicke Obermoser kam und setzte zwei schäumende Krüge vor die beiden hin.

»Wohl bekomm's! Dös is eaner a Bier! Dös haben's net glaubt, dos dös in Timbuktu finden täten, Herr Uhlenkort!«

»Na, wie mundet denn das den Schwarzen, Herr Obermoser?« fragte Uhlenkort. »Ich habe da im Vorbeigehen Ihren schwarzen Stammtisch nebenan bewundert.«

»Ja, Herr Uhlenkort«, schmunzelte der dicke Wirt, »das hätt' ich selber zu Anfang net geglaubt, daß sich die schwarzen Brüder so an den Stoff gewöhnen würden. Ich hatte nur weiße Gäste erwartet. Aber jetzt habe ich hier einen schwarzen Stamm, der ist auf den Geschmack gekommen. Es sind Leutchen dabei, die ihre zehn Maß hintereinander auslecken, und zwar Exportbier, Herr Uhlenkort . . . Wollen die Herren die neusten Nachrichten lesen? . . . Na, das mit dem Teufelsschacht, das wissen Sie ja schon, Herr Tredrup.«

»Was denn?«

»Na, die große Einweihungsfeier.«

»Nein, davon wissen wir ja noch gar nichts! Her mit den Nachrichten.«

Obermoser lief, so schnell es seine Rundlichkeit erlaubte, in den Nebenraum.

Durch die offene Tür hörte man das polternde Treiben am schwarzen Stammtisch.

»Wie im Münchner Brauhauskeller«, lachte Uhlenkort.

Der Wirt kam zurück und legte die letzte Abendausgabe des Zentralafrikanischen Reichs- und Staatsanzeigers auf den Tisch.

»Da unten, da können Sie's lesen«, sagte er.

Tredrup überflog das Blatt und las die Notiz, daß Seine Majestät entschlossen wären, selbst zur Einweihungsfeier des sechsten Kilometers des Tschadsee-Schachtes nach Mineapolis zu kommen.

»Donnerwetter noch mal! Das ist ja eine nette Überraschung. Dieser Entschluß muß sehr plötzlich gefaßt worden sein. Unser Oberbonze in Mineapolis wußte noch nichts davon, als ich abfuhr. Da mag es ja da unten munter zugehen. Alle Wetter, da werde ich wohl schon morgen telegrafisch zurückgerufen werden.«

Er setzte seinen Krug an und tat einen gewaltigen Zug.

»Dann ist das hier sicherlich nicht mein letzter Krug heute gewesen. Jetzt ist Tied, Tredrup . . . Obermoser, noch einen . . . Herr Obermoser!«

»Halt mal! Herr Uhlenkort, jetzt böte sich auch für Sie vielleicht Gelegenheit, an den Schacht zu kommen. Sicherlich werden die europäischen Diplomaten eingeladen werden. Ich sagte Ihnen vorhin, daß man kaum einen Schwarzen, geschweige denn einen Weißen, der nicht direkt mit den Bauten zu tun hat, in die Baustelle einschmuggeln kann. Es heißt hier wie im alten Europa: Das Betreten der Baustelle ist Unbefugten strengstens verboten. Aber wenn Sie in Begleitung Ihres Botschafters hinkommen, ließe sich die Sache am Ende machen.«

»Der Gedanke ist gut, Herr Tredrup. Ich werde mich morgen früh bei unserem Botschafter melden lassen und hoffe bestimmt, auf diese Weise den Bau zu sehen. Wir sind doch in Europa recht neugierig. Sie wissen ja, daß solche Projekte auch bei uns aufgetaucht sind . . . besonders als sich die Erdölvorkommen dem riesig angestiegenen Bedarf nicht mehr gewachsen zeigten und man zur Ausbeutung der mächtigen Kohlenlager Spitzbergens überging . . . Aber alle diese Projekte sind ihrer Sinnlosigkeit wegen immer wieder verworfen worden.

Das letztemal hatte der amerikanische Ingenieur Grimmaud dafür Propaganda gemacht. In Europa hat er kein Glück gehabt, aber Augustus Salvator ist seiner Beredsamkeit unterlegen . . . wie es scheint . . . oder sollte er doch mal wieder schlauer gewesen sein als alle anderen?«

»Wie meinen Sie das, Herr Uhlenkort?«

Dabei betrachtete er Uhlenkort mit aufmerksamen Blicken. Der zuckte die Achseln.

»Nun, ich denke mir, daß der Plan, einen tausend Meter weiten Schacht so tief in die Erde einzubringen, daß man die Erdwärme technisch im größten Stile ausnutzen und viele hunderttausend Pferdestärken . . . nein, Millionen von Pferdestärken damit gewinnen kann, ein Plan, der von den Fachleuten der ganzen Welt als töricht und unmöglich und nicht lohnend verlacht wird – daß ein solcher Plan kaum geeignet ist, einen Mann wie den Kaiser Augustus, einen genialen, scharfsinnigen, überlegenen Mann, zu veranlassen, Staatsgelder im Betrage vieler Milliarden hineinzustecken, um sich schließlich zum Gespött der Welt zu machen.«

»Hallo, Herr Uhlenkort! Wie kommen Sie darauf? Was meinen Sie?«

Uhlenkort schaute prüfend in das Gesicht seines Gegenübers und lächelte leicht.

»Nun, mein lieber Herr Tredrup, ich denke vielleicht genau dasselbe, was Sie auch denken.«

»Deubel noch mal! Können Sie Gedanken lesen? Woher wissen Sie, ob ich denke und was ich denke?«

»Herr Tredrup, zum Diplomaten sind Sie nicht geboren, die verschiedenen Krüge Pschorr nicht zu vergessen. Ihr Gesicht sagt mir, daß Sie was denken, und ich glaube auch zu wissen, was Sie sich denken.«

Einen Augenblick saß Tredrup stumm. Dann tat er einen tiefen Atemzug und rief:

»Prost, Herr Uhlenkort! Daß ich nicht zum Diplomaten geboren bin . . . große Schmeichelei . . . diese Bande ist mir alles andere als sympathisch . . . Hol's der Teufel . . . aber trotz der verschiedenen Krüge halte ich Sie doch für einen der schlauesten . . . Burschen, die unter Gottes Sonne herumlaufen. Denn . . . was ich vermute, will ich gar nicht sagen. Sie scheinen's ja zu wissen. Wird es aber Wahrheit, dann hat der Kaiser Augustus, dieser schwarze Augustus, einen Erfolg, der ihm eine Handvoll starker Trümpfe gibt. Aber zur Sache! Woher kommt Ihnen dieses Wissen? Oder vielmehr, was wissen Sie denn eigentlich? Wozu wollen wir unter uns Hamburgern noch weiter Versteck spielen?«

Statt Antwort zu geben, benetzte Uhlenkort seinen Zeigefinger in dem Untersatz seines Glases und malte auf die Eichenplatte des Tisches die chemische Formel CaC2 und wischte sie sofort wieder weg, sobald Tredrup einen Blick darauf geworfen hatte.

»Karbid! Damn me! God bless your nose! Ihr Riecher ist nicht schlecht!«

»Ich sagte Ihnen bereits, daß Sie zum Diplomaten keine besonderen Talente haben. Wände haben Ohren! . . . Überall in der Welt. Sie schreien ein Wort in die Landschaft, Herr Tredrup, das heute vielleicht noch bedeutungslos, morgen, aus Ihrem Mund gesprochen, Verletzung eines Staatsgeheimnisses ist.«

Tredrup schlug sich mit der Hand auf den Mund.

»Die vielen Biere! Sonst hält Klaus Tredrup besser dicht. Sie werden die Bedeutung vielleicht noch höher einschätzen als ich. Sie haben recht, die Sache ist nicht ganz ungefährlich. Aber heut' abend wollen wir nicht mehr davon sprechen. Nein! Lieber irgendwo anders, in Gottes freier Natur, wo keine Wände und keine Ohren zu fürchten sind. Auf alle Fälle werde ich Ihnen vor meiner Abreise noch Nachricht geben. Eine Aussprache über diese Frage ist unbedingt notwendig. Auch darüber, wie man den Schwarzen diesen Trumpf aus der Hand nehmen könnte.«

»Wie? Wie meinen Sie das!« rief Uhlenkort erregt.

Tredrup warf einen Blick in die Runde und drückte den Finger auf den Mund.

»Nun, Herr Obermoser«, wandte er sich an den eintretenden Wirt, »wollen Sie frischen Anstich melden?«

»Nein, Herr Tredrup«, sagte der Wirt, »es ist jemand draußen, der Sie sprechen möchte.«

Bei diesen Worten machte er ein kaum merkliches Zeichen . . . Polizei.

Tredrup stutzte einen Augenblick, dann ging er mit dem Wirt zur Tür.

Durch die geöffnete Tür trat jener schwarze Gentleman, der mit Guy Rouse und dann später mit Juanita gesprochen hatte. Er murmelte ein paar undeutliche Worte und fragte dann: »Sind Sie Herr Klaus Tredrup?«

»Klaus Tredrup! Sie wünschen?«

»Ich bin beauftragt, Ihnen dieses zu überreichen.«

Mit einer leichten Verneigung verließ der Beamte den Raum.

Verwundert betrachtete Tredrup den zusammengefalteten Zettel. Ein Zirkusprogramm? Er trat unter die Lampe, entfaltete das Papier und begann zu lesen, was auf der Rückseite geschrieben stand. Es war eine kurze Notiz, in spanischer Sprache geschrieben.

Tredrup wendete das Blatt hin und her. Es zitterte in seiner Hand. Er besah es von allen Seiten, und seine Augen kehrten zu den wenigen Zeilen zurück. Wieder glitten seine Blicke über den Text. Dann ließ er das Blatt sinken und stand starr, wie geistesabwesend.

Bilder schienen an ihm vorüberzuziehen. Der Kanal . . . der Kanal von Panama . . . das kleine Montegna . . . Juanita . . . und da war Guy Rouse . . . Guy Rouse . . .

Seine Rechte ballte sich zur Faust. Ein tiefes Atemholen, dann gab er sich einen Ruck. Mit langsamen Schritten kehrte er an seinen Platz zurück.

Uhlenkort hatte mit Staunen und Teilnahme die kurze Szene beobachtet.

»Bekamen Sie eine unangenehme Nachricht, Herr Tredrup?«

Tredrup schob ihm das Blatt zu.

Die wenigen auf der Rückseite des Programms gekritzelten Worte lauteten:

›Hüte dich! Denke an Montegna!‹

Ein einfaches J war die Unterschrift.

»Ihnen droht eine Gefahr, Herr Tredrup. Kann ich Ihnen nützlich sein? Soweit es in meinen Kräften steht, stelle ich mich Ihnen zur Verfügung.«

Tredrup richtete sich auf, wie aus einem schweren Traum erwachend.

»Eine kurze Geschichte . . . wie sie in der Welt tausendmal passiert. Ich war bei den Arbeiten am Panamakanal tätig. Ich war wie hier Ingenieur . . . Mineningenieur bei den großen Bohrungen.«

Uhlenkort merkte auf und sah ihn mit gesteigertem Interesse an.

»Sie waren auch bei den großen Bohrungen am Panamakanal mit tätig?«

Tredrup nickte.

»Zwei Jahre war ich da unten und wäre heute noch da, wenn nicht eben diese kleine Geschichte seinerzeit passiert wäre.«

Er schob seinen Krug beiseite und rückte näher an den Tisch heran.

»Ja, da war ich . . . und da war ein alter Mann, ein Mexikaner . . . ein Bohrmeister aus meiner Abteilung, und da war dessen Tochter . . . Juanita. Auch außerhalb der Arbeitsstunden kam ich häufig mit dem alten Alameda zusammen. Kam auch in sein Häuschen, das ein paar Kilometer von der Kanalstrecke landeinwärts lag und das er mit seiner Tochter Juanita zusammen bewohnte.

Juanita war damals achtzehn Jahre . . . Was soll ich Ihnen weiter sagen . . . Schön und rein wie der junge Morgen. Wir liebten uns! . . . Ja, wir liebten uns . . .«

Ein kurzes ironisches Lachen verzerrte seinen Mund.

»Liebten uns, bis er kam . . . er . . . dieser Rouse. Der große Rouse! . . . Sie kennen ihn . . .«

»Mr. Guy Rouse!« Walter Uhlenkort beugte sich weit vornüber . . . »Rouse, der Präsident der neuen Kanalgesellschaft?«

»Derselbe . . . Seine Leidenschaft beschränkt sich nicht auf seine Milliarden allein. Sie kennen ihn? . . . Seine faszinierende Person! Seine Gabe, sich jedes Wesen gefügig zu machen, das er irgendwie zu gebrauchen gedenkt, versagte auch hier nicht. Wie er es fertigbrachte . . .?

Er brachte es fertig . . . Eines Tages war Juanita verschwunden, ohne ein Lebenszeichen zu hinterlassen. Alle, die sie kannten, waren ratlos. Ihr Vater, der alte Pedro Alameda, war verzweifelt. Man dachte an einen Unglücksfall. Es bot sich damals in den Sprengfeldern des Kanalgebietes mehr als eine Gelegenheit dazu.

Ich allein ahnte sofort, was geschehen war! Die Nachforschungen, die ich im geheimen anstellte, bestätigten es. Sie war ein Opfer von Guy Rouse geworden.

Ich versuchte zu ihm vorzudringen. Es gelang nicht. Ich stellte ihn auf der Straße, als er in seinen Kraftwagen steigen wollte. Ich sagte ihm die Wahrheit ins Gesicht. Er leugnete . . . lächelnd.

Dies Lächeln brachte mich zur Raserei. Ich schlug zu, mitten in das Lächeln hinein. Er taumelte.

Ich floh! . . . Nicht aus Furcht . . . Juanita wollte ich suchen . . . Ich fand sie bald, er hatte sie nicht versteckt, wie ich glaubte . . . nein! Ich fand sie an seiner Seite als große Weltdame. Seine Geldmacht genügte auch hier, um alle Mäuler verstummen zu lassen. Ich sah sie als seine Begleiterin bei Festen, umschwärmt von einer Schar von Verehrern aus den besten Kreisen . . . lachend und froh . . .

Ich gab sie auf . . . Weg von allem, was an Juanita erinnern konnte . . . Am Tschadsee konnte man Leute wie mich gebrauchen, und mir kam es gelegen. Ich war der Welt reichlich müde. Die Enttäuschung war zu niederschmetternd gewesen.

Seit drei Jahren sitze ich nun an dem verteufelten Schacht, komme selten mal weg von da, nach Timbuktu meistenteils . . . glaubte vergessen zu haben, glaubte auch mich vergessen . . . und jetzt. Da!«

Er schlug auf das Blatt.

Uhlenkort antwortete: »Wenn ich richtig vermute, sind Juanita und Guy Rouse hier in Timbuktu. Sie haben Sie gesehen. Die Warnung kommt von Juanita. Was werden Sie tun?«

»Ich werde . . . Ich weiß noch nicht! . . . Erst klaren Kopf . . . den werde ich morgen früh haben . . . Gehen wir jetzt?«

»Ich bin bereit! Ich wohne im Hotel Astoria. Und Sie?«

»Nicht weit davon . . . In dem Millerschen Boardinghouse. Wir haben denselben Weg.«

Draußen empfing sie die Kühle der Nacht. Tredrup zog seinen Hut und strich sich durch das volle Blondhaar.

Ihr Weg führte über die breite Esplanade, die sich vom kaiserlichen Schloß nach dem Augustus-Park hinzog.

Neue Nachrichten des Pressedienstes. Die Riesenfront des Astoria-Hotels schien in Flammen zu stehen. In allen wichtigen Weltsprachen flackerten die Nachrichten in Leuchtschrift über die Fassade.

›Paris, den 18. März, 8 Uhr abends. Krawalle vor der amerikanischen Botschaft. Polizei vermochte nur mit Mühe die erregte Menge am Eindringen zu verhindern. Deputierte aus der Normandie und der Bretagne halten aufreizende Reden an die Massen. Verlangen Übersendung scharfer Protestnote an die USA wegen der geplanten Sprengungen.‹

›Bern, den 18. März, 8 Uhr 25 Min. abends. Die Sitzung des europäischen Parlaments beginnt morgen vormittag um 11 Uhr.‹

›New York, 2 Uhr 30 Min. amerikanischer Zeit. Die Aktien der New Canal Cy. fielen an der Nachtbörse um zehn Punkte.‹

Das Licht erlosch.

»Na, allerhand Neues.«

»Aber wenig Schönes.«

»Jedenfalls nichts vom Augustus-Schacht. Vielleicht war es eine Ente mit der Feier des sechsten Kilometers. Gute Nacht, Herr Uhlenkort. Es bleibt bei unserer Verabredung.«

»Jawohl, hier oder in Mineapolis!«

*

Im Arbeitskabinett des Kaisers saßen der amerikanische Botschafter Mr. Bowden und Guy Rouse am Teetisch. Augustus Salvator stand am Schreibtisch, über eine Karte gebeugt, einen kleinen Zirkel in der Hand.

»Der Plan Ihrer Admiralität wäre nicht übel, wenn nicht . . .«

Bei diesen Worten richtete er sich auf und ging auf die beiden Amerikaner zu.

». . . wenn nicht ein Faktor außer acht gelassen wäre, den ich allein und der Chef meines Stabes kennen . . . immerhin ist der Plan der Beachtung wert. Auch liegt mir an dem guten Willen, den Ihre Regierung meinen Absichten entgegenbringt. Der Krieg mit Südafrika ist unvermeidlich, wird unvermeidlich, meine Herren, wenn – beachten Sie, ich sage wenn, denn – ich werde ihn zu vermeiden suchen. Wenn die Südafrikanische Union mir in der Eingeborenenfrage jedoch nicht nachgibt, ich will sagen, nicht entgegenkommt . . . Die Unterstützung Ihrerseits durch Kaper-U-Boote ist zweifellos nicht bedeutungslos. Die wenigen und leider noch wenig bewehrten Seehäfen meines Landes werden durch euro . . . feindliche . . .«

Mit leichtem Hüsteln unterbrach er die Rede ». . . Blockade lahmgelegt.«

Sein Blick flog über den Botschafter hinweg und blieb auf Guy Rouse ruhen.

Der Amerikaner lag halb zurückgelehnt im Sessel. Jetzt richtete er sich aus seiner nachlässigen Stellung empor.

»Europäische Blockade, Sire? Sollte Europa sich offen an die Seite Südafrikas stellen?«

Der Kaiser nickte mit einer energischen Kopfbewegung.

»Der Friede von Bern war kein Friede. Er beendete nur die offenen Feindseligkeiten. Durch den engen Anschluß Südafrikas an Europa ist der Kriegszustand nur latent geworden. Die Unterstützung seitens Amerikas allein durch Kaper-U-Boote genügt mir nicht. Die von mir bei amerikanischen Werften bestellten U-Kreuzer kommen viel zu langsam zur Ablieferung. Auch die Personalfrage ist nicht einfach. Ich habe in meinem Land nicht genügend technisch ausgebildete Leute. Von meiner Admiralität laufen fortwährend Beschwerden ein, daß unter den angeworbenen Amerikanern viel schlechtes Material ist. Besonders heikel ist die Kommandantenfrage. Bei dem Überfluß, den Sie drüben an solchen Männern haben, müßte eine energische Einwirkung Ihrerseits besseren Erfolg zeitigen.«

Mr. Rouse zog es vor, nicht zu sagen, was er dachte.

Der Kaiser fuhr fort: ». . . Können Sie mir da nicht zweckmäßige Vorschläge machen?«

Sein Blick ruhte auf Mr. Bowden. Der richtete sich mit verlegenem Räuspern auf.

»Hm! . . . Bei der allgemeinen Volksstimmung, Majestät . . .«

»Volksstimmung! . . . Was heißt Volksstimmung? Ist Ihre Regierung abhängig von der Volksstimmung?«

Der Botschafter wiegte verlegen den Kopf.

»Was sagen Sie, Mr. Rouse?«

»Sire! Die Regierung trifft ihre Maßnahmen völlig unabhängig von der Volksstimmung. Aber wir haben keinen Einfluß auf die Gesinnung unseres Seeoffizierskorps.«

»Gestatten, Euer Majestät, daß ich mich ganz offen ausspreche. Das Offizierkorps im ganzen steht einer Unterstützung des schwarzen Afrika gegen das weiße Europa nicht sympathisch gegenüber . . .«

Augustus Salvator zog die Brauen zusammen.

»Hm! So, so! Was ist da zu tun?«

Guy Rouse lächelte. »Nur ein Mittel gibt's! Das Allheilmittel Geld! Sire, verdoppeln . . . verdreifachen Sie die Gage, und Sie werden haben, was Sie brauchen.«

»Glauben Sie?« Der Kaiser schaute den Amerikaner prüfend an.

Guy Rouse machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Irgendwer prägte mal im Altertum den Satz, daß ein goldbeladener Esel über die höchsten Mauern kommt. Ich persönlich habe bis jetzt jedes Vorurteil, auch das der Ehrlichkeit, die doch schließlich auch nur ein Vorurteil ist, durch Gold überwunden.«

Der Kaiser lachte.

»Gut, Mr. Rouse! Die nötigen Offiziere und Mannschaften hätte ich sonach. Fehlen jetzt nur noch die Boote! Hilft uns Ihr Mittel auch da?«

»Auch da, Majestät!« erwiderte Guy Rouse mit kalter Miene. »Es bedarf nur der gehörigen Dosis.«

»Daran soll es nicht fehlen! Wem ist das Mittel beizubringen? Welche Wirkung wird es haben?«

Mr. Rouse überlegte mehrere Sekunden. Dann sprach er langsam, sorgfältig jedes Wort abwägend:

»Bei den täglichen großen Fortschritten im U-Boot-Bau dürfte ein großer Teil unserer Staatsflotte veraltet sein. Es liegt im Interesse der Nation« – hier warf er einen kurzen Blick zu dem Botschafter hin –, »das veraltete Material durch neues zu ersetzen. Im Interesse der Staatsfinanzen liegt es, das auszurangierende Material nicht einfach abzuwracken, sondern vorteilhaft zu verwerten. Interessenten, die diese Boote für Handelszwecke umbauen, werden sich wohl finden, aber nicht viel bieten. Euer Majestät würden als Interessent voraussichtlich das Höchstgebot abgeben.«

»Wahrscheinlich!« Der Kaiser nickte. »Was sagen Sie zu dem Vorschlag, Herr Botschafter?«

Mr. Bowden wand sich hin und her.

»Ich kann es nicht unterlassen, Euer Majestät nochmals auf die allgemeine Volksstimmung bei uns aufmerksam zu machen, auch auf die voraussichtlich unvermeidbaren außenpolitischen Schwierigkeiten . . .«

Guy Rouse und Augustus Salvator wechselten einen Blick.

Der Amerikaner drehte spielerisch einen kleinen goldenen Schreibstift in den Fingern.

»Die Bedenken Mr. Bowdens sind leicht zu zerstreuen. Die New Canal Cy. wird zweifellos in Zukunft auch das Reedereigeschäft betreiben und würde versuchsweise große U-Kreuzer kaufen . . . Sollte sich das Geschäft nicht als nutzbringend erweisen, würde die Company die Hände wieder herausziehen.«

Die Blicke des Kaisers hafteten an der lächelnden Miene des Amerikaners.

»Sie würden die Boote dann vielleicht sogar mit Aufschlag verkaufen?«

»Majestät! Ich habe die Interessen meiner Gesellschaft zu wahren. Ich bin sicher, daß sich sehr kapitalkräftige Interessenten finden werden, die einen Aufschlag von hundert Prozent nicht scheuen würden!«

»Gut, Mr. Rouse! Sie sind ein kluger Geschäftsmann. Die Stellung als Finanzminister bei mir bleibt Ihnen jederzeit vorbehalten.«

»Ich danke Euer Majestät für diese Anerkennung. Ließen mich meine Interessen in den Staaten frei, würde es mir eine Ehre sein . . . Als vorsichtiger Geschäftsmann möchte ich nicht unterlassen, auf den anderen Weg hinzuweisen, auf dem unsere gegenseitigen Handelsbeziehungen sich zeitweise abspielen. Ich meine die Eisenbahnlinien durch die arabischen Nordstaaten.«

»Vorläufig, Mr. Rouse, geht das. Im Kriegsfall würde das Loch bei Gibraltar sehr eng werden. Die Verbindungen über den Atlas sind zu spärlich. Die Verhandlung mit Südafrika über die vollständige Gleichberechtigung der schwarzen und weißen Rasse schleppen sich ungebührlich lange hin. Sie würden schneller gehen und zu einem guten Abschluß kommen, wenn Ihre Vorschläge, Mr. Rouse, realisiert sein werden. Könnte die Angelegenheit nicht noch beschleunigt werden?«

Mr. Rouse schien zu überlegen, an den Fingern zu rechnen, zu überschlagen.

»Ich denke, Majestät, in vier Monaten bei hundert Prozent, in drei Monaten bei zweihundert Prozent.«

»Sagen wir lieber in zwei Monaten bei zweihundert Prozent!«

Mr. Rouse schien in Gedanken eine neue Berechnung aufzustellen.

»Well! Das Geschäft ist gemacht . . .«

»Well!« echote der Kaiser. »Sie sind ein guter, ein außerordentlich guter Geschäftsmann. Die Zeche wird für meine Gegner immer höher.«

Mr. Rouse zuckte die Achseln.

»Business is business, Majestät!«

Augustus Salvator erhob sich, ein Zeichen, daß die Unterredung beendet sei. Er ging auf den Botschafter zu und drückte ihm die Hand. Während dieser der Tür zuschritt, verabschiedete sich der Kaiser von Guy Rouse und fügte mit erhobener Stimme hinzu:

»Ich will hoffen, Mr. Rouse, daß Sie mit der Sprengung am Kanal guten Erfolg haben werden . . .«

Der Amerikaner beugte sich tief über die gebotene Hand.

»Mr. Bowden ist das Klima hier wohl nicht sehr zuträglich«, flüsterte der Kaiser.

»Den Eindruck gewann ich schon zu Beginn der Audienz, Majestät! Ein Wechsel des Klimas würde ihm unbedingt zuträglich sein . . .«

*

Der Kaiser war allein. Langsam ließ er sich an seinem Schreibtisch nieder. Seine Lippen bewegten sich wie im Selbstgespräch. »Ein Schuft! Schuft erster Klasse . . . aber nein . . . Schuft! Das Wort in der gewöhnlichen Bedeutung paßt nicht auf ihn . . . Er ist der Vertreter des Kapitalismus in Reinkultur, des Kapitalismus, den die Welt zu überwinden begonnen hat. Sein Streben ist darauf gerichtet, die Nation und ihre Seele zu beherrschen, Volk und Regierung zu seinen Werkzeugen zu machen. Unsichtbar für die Massen, unbeeinflußt durch höhere sittliche Gesichtspunkte, versucht er die Geschicke des eigenen Staates, ja anderer Völker rücksichtslos, mitleidslos nur im eigenen egoistischen Interesse zu lenken.

Seine Kontore sind Generalstabszimmer geworden. Seine Wirtschaftsschlachten sind opferreicher als die blutigsten Kämpfe vergangener Zeiten, wenn auch keine amtliche Verlustliste die Zahl der Opfer meldet.

Aber er ist blind! Er sieht nicht die Grenzen, die jeder Macht gezogen sind. Der Rückschlag muß kommen . . . der Zeitpunkt ist nicht fern.

Neues Geld durch Macht! Größere Macht durch Geld! Das ist seine Devise. Ebenso falsch und schädlich wie jene andere: Krieg durch Macht! Neue Macht durch Krieg . . .

Meine Feinde nennen mich den ›Schwarzen Napoleon‹, den gefürchteten und gehaßten. Wie wenige sind es, die mir gerecht werden!

Was war sein Ziel? Was ist meins?

In unersättlicher Machtgier verschlang Napoleon ein Land nach dem anderen, bis er an Rußland erstickte. Was tat ich? Ich kämpfte den Kampf meines Volkes gegen die weißen Beherrscher. Den Kampf um die Freiheit nach jahrhundertelanger Bedrückung. Das war die erste Tat!

Die befreiten Länder habe ich zu einem Reich zusammengerafft, denn nur ein geeintes Volk kann sich behaupten. Das war die zweite Tat!

Die dritte . . . Gleichberechtigt in der ganzen Welt sollen die Schwarzen mit den Weißen sein! Das, das allein veranlaßt den Konflikt mit Südafrika. Die Weißen aus Südafrika vertreiben? Es meinem Reich angliedern? Ich denke nicht daran. Aber die Gleichberechtigung will ich . . . gutwillig . . . oder mit Gewalt.

Das ist mein letztes Ziel. Mit ihm stehe oder falle ich. Meine Feinde mögen mich verleumden, wenn nur die Geschichte mir eines Tages gerecht wird.«

Er drückte auf einen Knopf. Der Adjutant erschien.

»Den Kriegsminister!«

*

Am Morgen des folgenden Tages saß Uhlenkort in seinem Hotelzimmer beim Lunch und überflog die ersten Ausgaben der Lokalblätter. Den größten Teil der Spalten beanspruchten die Nachrichten über die bevorstehende Feier am Tschadsee. Jetzt blieb sein Auge auf einer kurzen, gesperrt gedruckten Notiz am Schluß des Blattes hängen:

›Spitzbergen, den 18.März. Amtlich wird bekanntgegeben: Die Insel Black Island, auf 77 Grad 14 Minuten nördlicher Breite, 12 Grad 23 Minuten östlicher Länge, ist am 17. März, morgens gegen 5 Uhr, in aufsteigende Bewegung geraten. In der folgenden Stunde hat sich das Eiland um das Zehnfache vergrößert. Ein in geringer Entfernung vorüberfahrendes Schiff hat den Vorgang zum größten Teil beobachten können. Vulkanausbrüche und Seebeben wurden nicht bemerkt. Die Regierung beabsichtigt, eine Gelehrtenkommission zur Ergründung der rätselhaften Vorgänge dorthin zu entsenden.‹

Uhlenkort ließ die Zeitung sinken. Seine Gedanken wanderten. Er wußte wohl, daß Black Island nur fünfzig Kilometer westlich von Spitzbergen lag. Er sah das kleine, unbedeutende Eiland. Er sah ein neues, viel größeres aus den Eingeweiden der Erde nach oben getrieben werden . . .

Seine Gedanken liefen weiter. Er sah Spitzbergen. Er sah die großen Kohlengruben. Er sah die Schächte wie Nadelstiche, wie Kapillarröhren in den Leib der Erde eindringen, sah sie zerdrückt zusammenbrechen. Alles verschüttend, was Menschenhand in zwei Jahrzehnten dort geschaffen hatte.

Er sprang auf und durchmaß mit großen Schritten das Zimmer.

Seine Gedanken hetzten sich. Bald glaubte er sich durch die Worte »ohne vulkanische Ausbrüche und Seebeben« über die Sorgen hinwegtäuschen zu können. Bald wieder sah er im Geiste die schlimmsten Dinge. Konnte sich nicht, was bei Black Island geschehen, in jeder Stunde mit Spitzbergen wiederholen? Katastrophen von kaum auszudenkender, unbeschreiblicher Größe malten sich vor seinen Augen. Das Gefühl, den kommenden Dingen ohnmächtig gegenüberstehen zu müssen, drückte ihn zu Boden.

Wie hatte die Nachricht in Spitzbergen gewirkt? Wie sah es dort aus? War der Minenbetrieb eingestellt?

Er nahm die Zeitung wieder auf und las noch einmal die Zeitangabe dieser Nachricht. Also vor sechsunddreißig Stunden war das. Noch keine direkte persönliche Nachricht von der Grubenleitung.

Keine Nachricht von ihm? Ich verstehe nicht. Bleibt nur die Erklärung, daß es gut steht.

Er trat zum Tisch und ergriff das Telefon.

»Keine Post für mich?«

»Soeben, Herr Uhlenkort, zwei Telegramme.«

Noch bevor er den Hörer ablegte, warf das pneumatische Rohr zwei Telegramme auf den Schreibtisch.

Er riß das erste auf, warf es zur Seite.

»Nichts!«

Er öffnete das zweite:

›Spitzbergen, den 18. 3. Uhlenkort, Timbuktu. Keine Gefahr. 89.‹

Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ er sich in den Schreibtischsessel fallen.

Von ihm selbst. Von J. H.! Gott sei Dank!

Er ließ das Telegramm fallen und griff nach dem anderen:

›New York, den 17. 3., Zentralbüro Pinkerton. Erste Auskunft überholt. Angefragte nicht Timbuktu, sondern Kapstadt, Zirkus Briggs.‹

Er faltete das Telegramm zusammen und zog seine Brieftasche. Dabei fiel sein Auge auf zwei Schriftstücke, die ebenfalls den Kopf ›Pinkerton‹ trugen.

Ein Telegramm: ›Angefragte mit Zirkus Webster, Timbuktu.‹

Er ließ es fallen. Das zweite Schreiben in engster Typenschrift:

›Angefragt Miß Christie Harlessen kam von Colon am Kanal mittellos nach Milwaukee. Verwandte mütterlicherseits, die sie dort aufsuchen wollte, waren gestorben. Traf dort einen Reiter des Zirkus Webster, der früher auf der Hazienda ihres Vaters am Kanal Cowboy war. Rat- und mittellos, nahm sie dessen Vorschlag an und trat in das Ensemble von Zirkus Webster ein. Ihre außerordentliche Reitkunst, auf der Hazienda des Vaters von Jugend auf erworben, bot die geeignete Grundlage für ihren neuen Beruf. Ihre großartigen Leistungen machten sie in kurzer Zeit zu einer ersten Attraktion des Zirkus. Zirkus Webster ging von Milwaukee nach Philadelphia. Weiter nach Boston. Hat die Absicht, nach Afrika überzusetzen.‹

Walter Uhlenkort öffnete ein anderes Fach seiner Brieftasche und entnahm ihm eine kleine Fotografie. Mit einer Miene des Bedauerns und der Teilnahme betrachtete er das Bild.

Ein junges und doch ausdrucksvolles Gesicht.

Echter Harlessen-Typ. Dem Bild der Urahne Harlessen, der schönen Christiane, wie aus dem Gesicht geschnitten.

Armes Mädel! Schlimmes Schicksal für eine Harlessen . . . Zirkusreiterin! Eine Tochter des Hauses Harlessen, dessen Chef zur Zeit europäischer Staatspräsident ist.

Wie konnte das geschehen? Alte Erinnerungen, alte Familiengeschichten gingen Walter Uhlenkort durch den Kopf.

Mit einer Handbewegung verjagte er die Gedanken.

Wir werden sehen. Sie ist in Kapstadt. Dort werde ich sie sehen und sprechen, in Kapstadt . . . aber erst – er warf einen Blick auf die Wanduhr –, erst die Feier in Mineapolis. Es ist Zeit, zu unserem Gesandten zu gehen.

*

Bern hatte einen großen Tag. Außer den Mitgliedern des europäischen Parlaments und einer Unzahl von Journalisten waren zahlreiche Deputationen aus den nordischen Ländern Europas eingetroffen und überfüllten die Stadt.

Seit elf Uhr vormittags drängte sich eine immer noch wachsende Menge um den Parlamentspalast. Seit gestern nachmittag war das amerikanische Botschaftsgebäude von einem starken Polizeikordon umgeben. Der große Sitzungssaal war vollzählig besetzt, die Tribünen überfüllt. Unter allgemeiner Unaufmerksamkeit der Deputierten und wachsender Ungeduld der Tribünen waren die reichlich gleichgültigen ersten drei Punkte der Tagesordnung erledigt worden.

Die Pause war vorüber, und die Deputierten strömten wieder in den Saal.

Unter lautloser Stille und gewaltiger Spannung aller Besucher verkündete der Präsident des Parlaments die Beratung des vierten Punktes der Tagesordnung. Der Sprecher des Parlaments erhielt danach das Wort.

»Meine Herren! Es liegt folgender Antrag der skandinavischen Staaten und der großbritannischen Inseln vor. Der Antrag wird von allen europäischen Staaten unterstützt.

Die unterzeichneten Staaten erheben einmütigen Protest gegen die Art und Weise, in der die New Canal Cy. die Landenge von Panama zu sprengen beabsichtigt. Die Unterzeichneten verlangen, daß die europäische Zentralregierung bei der Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika unter Hinweis auf die durch eine gleichzeitige Sprengung aller Minen drohenden Gefahren energisch vorstellig werde. Die europäische Zentralregierung möge dafür Sorge tragen, daß die Sprengung etappenweise erfolgt, wobei die Länge einer Etappe sieben Kilometer nicht überschreiten darf.«

Minutenlang mußte der Sprecher warten, bis der lärmende Beifall abgeebbt war. Dann sprach der Parlamentspräsident.

»Meine Herren, ich erteile dem großbritannischen Deputierten Mr. Bertie das Wort zur Begründung des Antrags.«

Mr. Bertie, ein Schotte aus der Gegend des Clyde, schon ergraut in Haar und Bart, bestieg die Rednertribüne.

»Meine Herren, ich bin genötigt, Ihnen eine kurze Vorgeschichte der Ereignisse zu geben, die zu der heutigen Sitzung geführt haben. Der Panamakanal in seiner jetzigen Form als Schleusenkanal wurde im Jahre 1910 vollendet. Schon während des Baues verriet sich die unruhige Natur des Bodens durch zahlreiche Bergrutsche. In manchen Abschnitten – ich denke besonders an den Culebra-Abschnitt – zwangen immer wiederkehrende Felsstürze von wahrhaft gigantischen Ausmaßen zu immer größeren Arbeiten. Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wurden die Verhältnisse schlimmer, und in letzter Zeit mußte der Kanal monatelang außer Betrieb gesetzt werden. Die Gründe für diese unerfreulichen Zustände suchte man zunächst in der vulkanischen Beschaffenheit des ganzen Isthmus.

Heute wissen wir, daß diese Gründe viel ernsterer Natur sind. Der lange, dünne Streifen des Isthmus, der die beiden mächtigen, auf einer zähen Unterlage schwimmenden Kontinentalschollen von Nord- und Südamerika verbindet, gleicht einem schwachen Stab, an dessen beiden Enden zwei schwere Lasten wirken. Von einer Isostasie, das heißt von einem Ausgleich der Massen in senkrechter Richtung, kann auf dem Isthmus überhaupt nicht mehr die Rede sein. Dazu kommen die über alle Vorstellungen gewaltigen waagrechten Kräfte, mit denen die beiden Hälften Amerikas und die tägliche Flutwelle am Isthmus zerren. Die heutige Gestalt der Landenge gibt Ihnen eine schwache Vorstellung dieser enormen Beanspruchung.

Ich möchte bildhaft sagen: Der Isthmus gleicht heute schon einem bis zum Springen gebogenen Stab. Schneidet man einen solchen Stab an, dann zerspringt er.

Die Amerikaner glauben aller Belästigung ledig zu werden, wenn sie mit modernsten Sprengmitteln eine drei Kilometer breite und wenigstens fünfhundert Meter tiefe Rinne durch den Isthmus sprengen.

Meine Herren, das scheint zunächst nicht mehr als eins der beliebten hemdsärmeligen Radikalmittel zu sein. Aber es ist viel mehr! Es ist der Schnitt, der den Stab zum Springen bringt . . . bringen muß, wenn die Sprengung über die ganze Isthmusbreite auf einmal erfolgt.

Die meisten von Ihnen, meine Herren, kennen wohl die Einzelheiten des amerikanischen Projekts. Die New Canal Cy. hat die Mittellinie der neuen Kanalroute mit Schächten von eineinhalb Kilometer Tiefe gespickt. Am unteren Ende eines jeden Schachtes befindet sich eine Sprengkammer, die mit atomarem Sprengstoff geladen ist. Hundertfünfzig solcher Minen sind niedergebracht. Neben jeder dieser Hauptminen befinden sich tausend Meter höher zwei Nebenminen, die die Aufgabe haben, die aus der Tiefe emporgeschleuderten Felsmassen im Moment des Aufstiegs seitwärts zu zerstreuen.

Eine gleichzeitige Explosion dieser vierhundertfünfzig Minen, das gleichzeitige Detonieren muß nach der Meinung aller ernsthaften Fachleute den Isthmus in seinen Grundfesten erschüttern. Der Stab wird zerreißen, zersplittern, seine Enden werden auseinanderschnellen – weiter – weiter, werden klaffen, immer weiter klaffen, bis Atlantik und Pazifik sich verschmelzen und der Golfstrom unbehindert seinen Gang nach Westen nimmt.

Tritt das ein – und alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dann stirbt Nordeuropa!«

Der Redner machte eine Pause. Totenstille herrschte im Saale. Der schottische Deputierte fuhr fort:

»Ich will Ihnen nicht die Schreckensbilder an die Wand malen, die Sie alle aus den Tageszeitungen kennen. Ich will nur sagen, die Nullisotherme, die Linie der mittleren Jahrestemperatur von null Grad, wird danach durch London und Berlin gehen. Das heißt, diese Orte würden in Zukunft das Klima haben, das jetzt in Nordisland und Archangelsk herrscht. Alles Land nördlich von London und Berlin würde unrettbar der Vereisung anheimfallen. Die wirtschaftlichen Folgen für Europa würden katastrophal sein.

Das alles läßt sich vermeiden, wenn die Amerikaner etappenweise sprengen, wie es in der verlesenen Resolution verlangt wird.

Die etappenweise Sprengung bedeutet zwar einmalige erhöhte Kosten für die New Canal Cy., das heißt für die amerikanische Wirtschaft. Aber sie verringert die Gefahr für Europa auf ein Minimum. Bei dieser Sachlage müssen wir, wir, das heißt Europa, auf der Forderung etappenweiser Sprengung mit allem Nachdruck bestehen.«

Unter brausendem Beifall des Hauses verließ Mr. Bertie die Tribüne.

Der Parlamentspräsident sprach.

»Auf der Rednerliste folgt Herr Olaf Larsen, Deputierter für Norwegen.«

Als die lange, hagere Gestalt des Norwegers sich auf die Rednertribüne schob, ging Bewegung durch das Haus. Man kannte seine impulsive Art. Er pflegte kein Blatt vor den Mund zu nehmen.

»Meine Herren, ich kann mich durchaus nicht darauf beschränken, mich den Worten des verehrten Herrn Vorredners voll und ganz anzuschließen. Reden solcher Art sind in diesem Saal schon öfter gehört worden. Ich will Ihnen die ungeschminkte Wahrheit sagen.

Es ist nichts weiter als Spiegelfechterei, wenn sich die New Canal Cy. hinter ein paar wenige von der allgemeinen Meinung abweichende Gutachten verschanzt. Gutachten zugestutzter Art, bei denen der Dollar wahrscheinlich Pate gestanden hat.

Die kapitalistischen Mächte, die hinter der New Canal Cy. stehen, wissen – ich scheue mich nicht, das offen auszusprechen –, wissen sehr genau, was sie wollen. Und sie wollen« – seine Faust krachte auf das Rednerpult nieder –, »sie wollen und wünschen nichts sehnlicher, als daß das eintritt, was – wie der Vorredner ausführte – zu befürchten steht: die Vereisung und die Verelendung großer Teile Europas. Gibt es doch keinen besseren Weg, die europäischen Konkurrenten auf dem Weltmarkt endgültig zu vernichten.

Mit anderen Worten gesagt: Dort die kapitalistischen Interessen einiger amerikanischer Großmilliardäre, hier Leben und Sterben von Millionen von Europäern.

Gewiß mag eine etappenweise Sprengung des neuen Kanals der Company die Baukosten um ein paar Prozent steigern. Aber was hat das zu bedeuten gegenüber dem Untergang ganzer europäischer Nationen!

Ich appelliere nicht an das sogenannte Weltgewissen.« Er machte eine wegwerfende Bewegung. »Dies Requisit, das stets versagte, wenn es galt, besonders große Gemeinheiten zu verhindern. Ich appelliere an den Menschlichkeitssinn und das Freiheitsbewußtsein des amerikanischen Volkes, das sich nicht von einer verbrecherischen Clique machtgieriger Kapitalisten terrorisieren lassen wird.

In zehn Tagen tritt das amerikanische Parlament zusammen. Wie es sich entscheiden wird, das weiß ich nicht. Versagt aber bei ihm unser Appell, dann appelliere ich jetzt schon an den bewaffneten Arm Europas. Können wir das Unheil nicht hindern, so wollen wir's rächen, solange uns der Atem bleibt. Können wir's nicht hindern, so sollen sie dessen gedenken. Das ist meine Meinung. Ein Hundsfott, wer anders denkt!«

Ohne der Beifallsstürme zu achten, die ihm von allen Seiten entgegenklangen, ging er auf seinen Platz zurück.

Der Präsident sprach.

»Meine Herren! Der Sprecher des Hauses hat das Wort.«

Der Sprecher nahm das Wort.

»Meine Herren, weitere Anträge sind nicht gestellt, weitere Redner stehen nicht mehr auf der Liste. Ich habe die Ehre, Ihnen, bevor zur Abstimmung über die Resolutionen geschritten wird, ein kurzes Resümee über die wissenschaftlichen Gutachten in der Frage zu geben.

Vor ungefähr fünf Jahren, sobald der genaue Arbeitsplan der New Canal Cy. bekannt wurde, lief bei dem europäischen Parlament ein Schriftstück ein, das in ausführlicher wissenschaftlicher Weise die Pläne der Company und ihre möglichen Folgen begutachtete. Diese Arbeit stützt sich in der Hauptsache auf die Theorie der Kontinentalverschiebungen.

Sie wissen aus den Tageszeitungen, daß diese Theorie, die zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von dem deutschen Gelehrten Wegener aufgestellt wurde, im Laufe der Jahrzehnte durch immer neue Beobachtungen gestützt wurde und heute die Grundlage der Geologie bildet.

Mit mathematischen Deduktionen von zwingender Kraft und genialer Auswertung aller geologischen Erkenntnis wurde in diesem Gutachten der Beweis erbracht, daß die Pläne der Canal Company zur Katastrophe führen müßten. Leider wurde jenem Schriftstück nicht sofort die ihm gebührende Bedeutung beigelegt. Das wird von der Regierung offen zugegeben.

Jedoch möchte ich zur Entschuldigung sagen, daß das Schriftstück anonym – nur J. H. unterzeichnet – bei uns einlief. Ich möchte hinzufügen, daß der Autor dieser Arbeit auch heute noch völlig unbekannt geblieben ist.

Wir waren darauf angewiesen, die Arbeit durch unsere besten Autoritäten auf diesem Gebiet nachprüfen zu lassen. Begreiflicherweise nahm das geraume Zeit in Anspruch. Das Ergebnis bestand darin, daß die Richtigkeit jener anonymen Arbeit einmütig bestätigt worden ist.

Der Dank, der von europäischer Seite, von Seiten der Menschheit dem unbekannten Autor J. H. gebührt, den können wir ihm nicht von Angesicht zu Angesicht abtragen. Doch sei er an dieser Stelle, aus dem Herzen von Millionen von Europäern kommend, ausgesprochen. Das Geheimnis, mit dem er sich umgeben zu müssen glaubt, wird von uns in vollem Maße geachtet.

Die Schlußsätze seiner Arbeit sind von der überwiegenden Zahl aller Geologen anerkannt worden.

Sie lauten wie folgt:

  1. Bei einer gleichzeitigen Explosion der benötigten Riesenmenge atomaren Sprengstoffs auf der engsten Stelle des Panama-Isthmus wird der Explosionsdruck zusammen mit dem bereits vorhandenen natürlichen Zerreißungsdruck die Festigkeit der Landenge um 50 Prozent überschreiten. Der Isthmus wird auseinanderreißen, und der Golfstrom wird nach Westen gehen.
  2. Bei etappenweiser Sprengung von weniger als fünfzehn Minen gleichzeitig wird der Landstreifen nicht über die Bruchgrenze beansprucht. Eine Zerreißung ist nicht mehr wahrscheinlich.

Meine Herren, Sie sehen aus diesen Schlußfolgerungen, daß jede Sprengung ein gewisses Risiko für Europa bedeutet. Unsere heutige Resolution fordert nur das Minimum dessen, was wir zu unserer Sicherheit unbedingt benötigen. Ich möchte dem Hohen Haus noch sagen, daß die Volksstimmung in den Vereinigten Staaten durchaus für uns ist. Ich glaube und hoffe, daß die uns seit langem so befreundete amerikanische Regierung dem Rechnung tragen wird, unbeirrt durch dunkle Einflüsse irgendwelcher Art.«

Eine Stunde später konnte der Sprecher verkünden:

»Der Antrag Skandinavien-England ist einstimmig angenommen worden. Unsere Botschaft wird die Entschließungen unserer Regierung morgen früh in Washington überreichen.«

*

Die Minenstadt am Tschadsee prangte in reichem Festschmuck. Seit vierundzwanzig Stunden arbeitete der Sonderdienst des afrikanischen Luftverkehrs. Seit den frühen Morgenstunden landeten die Flugzeuge in immer dichterer Folge. Von allen Seiten der Windrose her kamen sie an und wetteiferten mit den Bahnlinien, Tausende und aber Tausende von Gästen heranzubringen. Von Timbuktu her rollten die Züge in Abständen von fünf Minuten in den großen Zentralbahnhof ein.

Die neue gewaltige Minenstadt, die hier anstelle des alten Kuka in wenigen Jahren aus dem Boden gewachsen war und nach der amerikanischen Geburtsstadt des Kaisers, Minneapolis, den Namen Mineapolis (Minenstadt) erhalten hatte, war diesem Massenandrang nicht gewachsen.

Die große Anzahl der von der kaiserlichen Regierung Geladenen nahm die wenigen Hotels und Unterkunftsstätten im voraus in Anspruch. Die meisten mußten im Freien bleiben, wo freilich eine gut arbeitende Organisation der Regierung für Erfrischungen aller Art sorgte.

Von zehn Uhr vormittag an begann sich der Riesenkreis um den Schacht mit Zuschauern zu säumen.

Eine von Minute zu Minute wachsende Menge drängte gegen die hölzerne Barriere, an deren Innenseite zum weiteren Schutz des Schachtes ein starker Truppenkordon aufgezogen war. Kurz vor elf Uhr verkündete ein brausendes Rollen die Ankunft des kaiserlichen Hofzugs. Die reservierten Tribünen füllten sich mit dem glänzenden Gefolge des Kaisers.

Punkt elf Uhr betrat Augustus Salvator die Kaiserloge. Mit kurzem militärischen Gruß wandte er sich zu den Diplomatenlogen. Dann ein paar kurze Worte mit dem Chefingenieur des Schachtes, Mr. Grimmaud.

Ein Flugzeug, das bisher den Schacht in großen Kreisen umflogen hatte, fuhr jetzt mit einer scharfen Wendung darauf zu und überquerte ihn. Eben noch hatte die afrikanische Sonne mitleidslos auf die Köpfe der vielen Tausende niedergebrannt. Jetzt plötzlich bezog sich der Himmel um das Flugzeug herum. Dicker grauer Nebel lag über dem Schacht und verhüllte die Sonne. Der Kaiser trat an den vorderen Rand der Loge und drückte auf einen Knopf. Das schwache Echo eines Schusses klang. Im gleichen Moment schossen aus dem Schachtdunkel herauf die Strahlen eines Scheinwerfers und malten in leuchtenden Buchstaben die Worte ›5000 Meter‹ auf die Nebelwand über dem Schachtmund.

Tobend und beifallschreiend brandeten die Massen gegen die Barriere. Die Tiefenmessung durch das Echolot, jene Erfindung des alten deutschen Ingenieurs Behm, hatte in Bruchteilen einer Sekunde mit unanfechtbarer Sicherheit bewiesen, daß die Schachttiefe fünftausend Meter erreicht hatte.

Augustus Salvator trat auf den Chefingenieur zu und drückte ihm die Rechte. Dann hielt der Arbeitsminister, an den Kaiser gerichtet, eine kurze Rede, die, von einem Mikrofon aufgefangen, die Riesenmembrane eines akustischen Apparats in der Schachttiefe erregte und wie aus einem gigantischen Schalltrichter aus dem Schacht selbst millionenfach verstärkt in die Höhe drang.

». . . Und so wollen Euer Majestät die Gnade haben, den ersten Sprengschuß auf das nächste Tausend zu lösen . . .«

Tiefe Stille in der Menge. Wieder berührte die Hand des Kaisers einen Hebel. Walter Uhlenkort, der hinter dem europäischen Botschafter stand, hatte das Chronometer gezogen und zählte die Sekunden.

Bei einer Schachttiefe von fünftausend Meter mußte der Schall der Explosion vom Grunde des Schachtes bis zur Mündung sechzehn Sekunden brauchen.

». . . dreizehn . . . vierzehn . . . fünfzehn . . .«, murmelten seine Lippen, ». . . sechzehn . . .«

Im gleichen Moment drang ein Schall aus dem Schachtmund, ein Schall, der viele in der Runde erbleichen und erzittern ließ.

Die ungeheure Röhre des Schachtes ließ die Schallwellen der Explosion ungeschwächt, verstärkt durch den Widerhall, nach oben kommen. Minutenlang schien ständiger Donner der Schachtmündung zu entquellen. Es dauerte geraume Zeit, bis die Atmosphäre so weit zur Ruhe kam, daß menschliche Stimmen sich wieder vernehmbar machen konnten.

Der Kaiser sprach mit dem Chefingenieur. Man konnte aus den Nachbarlogen bemerken, daß sein Gesicht Züge einer ungewohnten Spannung trug. Man sah ihn auf die Uhr blicken und erregten Schrittes an der Brüstung der Loge hin und her gehen.

Der europäische Botschafter wandte sich zu Uhlenkort um.

»Noch etwas? Das Benehmen des Kaisers zeigt an, daß noch etwas Wichtiges zu erwarten steht. Haben Sie eine Vermutung?«

Uhlenkort zuckte die Achseln. Seine Augen waren starr auf den Kaiser und den Chefingenieur gerichtet, die offensichtlich in gespannter Erwartung, mit dem Blick auf die Uhr, dastanden.

Da, ein neuer Klang aus der Tiefe! Ein schwaches Rollen gegenüber dem Getöse der letzten Sprengung. Uhlenkort sah, wie der Kaiser und der Chefingenieur zusammenzuckend aufhorchten . . . sah, wie der Chefingenieur hinwegeilte.

Allmählich merkte auch das übrige Publikum, daß hier etwas Neues, Unerwartetes, Großes im Gange war. In diesem Augenblick fuhr eine Förderschale von Sohle I dicht neben der Kaiserloge zu Tage. Über und über mit Palmenwedeln geschmückt.

Uhlenkort sah, wie der Chefingenieur an die Förderschale lief, dort einer Person irgend etwas aus den Händen riß. Tausende von Augen suchten zu erforschen, was wohl unter jenem weißseidenen Tuch verdeckt sein mochte.

Exzellenz Dührsen wandte sich wieder zu Uhlenkort.

»Majestät lassen sich, scheint's, die Trophäen des letzten Schusses – einige Gesteinsbrocken der sechsten Sohle – präsentieren. Uhlenkort! Sie machen ja ein Gesicht, als ob Sie glaubten, Majestät hätten da unten das klare Gold geschossen!«

»Ungefähr! Herr Botschafter! Ich glaube, ich fürchte, daß . . .«

»Was, Sie meinen wirklich!«

»Sie werden sehr bald sehen, vielleicht auch riechen . . .« erwiderte Uhlenkort mit einem nicht ganz freien Lächeln.

»Sie sprechen in Rätseln, Herr Uhlenkort.«

»Sehen Sie nach der Kaiserloge! Das Rätsel beginnt sich zu lösen.«

Der Chefingenieur war in die kaiserliche Loge getreten, hatte seine Last auf ein Tischchen gestellt. Jetzt zog er die weiße Hülle zur Seite. Auf einer silbernen Schüssel lag ein kleiner Berg dunkelgrauer Gesteinsbrocken.

»Ah, das Küree! Die tiefsten, unbekanntesten Eingeweide der Erde! Was will das werden?«

Der Chefingenieur beugte sich tief über die Schüssel, als ob er den Geruch jenes wunderlichen Gesteins einsaugen wolle. Augustus Salvator griff hinter sich, faßte einen gefüllten Weinkelch und goß ihn mit kurzem Ruck auf das Gestein.

Uhlenkort sah, wie es weiß aufbrodelte, wie das Gestein schäumte und aufbrauste.

»Was ist das?« flüsterte der Botschafter ihm zu.

»CaC2, Herr Botschafter!«

Einen Moment suchte der Botschafter nach Worten.

»Jawohl, Exzellenz, der Kaiser Augustus hat ein natürliches Karbidlager von unbekannten Abmessungen soeben erbohrt. Die Bedeutung dieses Fundes dürfte ungeheuer sein! Für Europa ein Schlag, dem es wehrlos gegenübersteht, augenblicklich wenigstens. Sie werden das bald an der Haltung des Kaisers in außenpolitischen Fragen verspüren.«

Ein Adjutant erschien und bat die Insassen der Loge zum Kaiser. Die diplomatische Vertretung der Welt versammelte sich um Augustus Salvator. Man sah, wie der Kaiser mühsam eine große innere Freude zu verbergen suchte. Dann gewann er die Fassung wieder und sprach mit einem verhaltenen Lächeln, das von einer gewissen Ironie nicht frei war:

»Meine Herren, als ich den ersten Spatenstich zu diesem Schacht tat in der Absicht, eine neue Energiequelle zu erbohren, erregte das in der Welt weniger Bewunderung als Verwunderung. Bis heute sind die Meinungen nicht verstummt, die dies Unternehmen als gelinde gesagt utopisch hinstellten. Das Grab ungezählter Milliarden, wie man den Schacht zu nennen pflegte. Hier der Erfolg!« Er nahm einige Gesteinsbrocken und reichte sie den Umstehenden.

»Karbid! Meine Herren . . . reines Karbid, wie Sie sehen. Es war ein Dozent meiner Universität Timbuktu, dem die Ehre gebührt, die günstige, bergmännisch zu erbohrende Lage des natürlichen Karbids an dieser Stelle vorausgesagt zu haben. Ich gedenke heute, an diesem Tage, an erster Stelle dieses Mannes, den ein zu früher Tod von meiner Seite gerissen hat.

Wenn das Geheimnis bis heute gewahrt wurde, so waren dafür Gründe mannigfacher Art maßgebend.

Meine Herren, von heute ab steht die Energiewirtschaft Afrikas auf eigenen Füßen.«

Mit einem kurzen Nicken verabschiedete sich der Kaiser. Tiefes Schweigen unter den zurückgebliebenen Diplomaten. Zu unerwartet waren ihnen diese Geschehnisse gekommen. Die Gesichter wurden lang und immer länger. Hier und dort begann ein leises Flüstern, dann ein Summen, Raunen und Rauschen. Uhlenkort wandte sich an den Botschafter.

»Gehen wir, Exzellenz! Es war eine wohlgelungene Vorstellung. Ein überraschtes Publikum wird vorläufig nichts anderes tun können, als den Akteuren zu applaudieren!«

*

Uhlenkort trat in das dritte Wellblechhaus der fünften Querstraße, zu dessen Entdeckung er bereits seit einer halben Stunde in der weitausgedehnten Barackenstadt umhergeirrt war.

»Mr. Tredrup?«

Ein kleiner schwarzer Diener öffnete die Tür zu einem halbverdunkelten Raum. Noch bevor Uhlenkorts Augen sich an das Halblicht gewöhnt hatten, erklang eine Stimme hinter einem Bettschirm.

»Scher di rut, du swarten Satan, hebb ich die nich seggt, dat ich slopen will?«

»Na Gott sei Dank, Mr. Tredrup! Die Snut geit noch. Wenn alles andere so klar ist, so soll's gut sein.«

»Hallo, Mr. Uhlenkort! Sie sind's?«

»Jawohl, mein lieber Herr Tredrup! Was machen Sie für Sachen? Komme ich da von der Feier und muß hören, daß Sie Ihren Kopf hingehalten haben, wo Steine fallen . . .«

Das elektrische Licht flammte auf. Klaus Tredrup hatte den Schalter erwischt und richtete sich halb auf. Sein Schädel, von einem mächtigen Eisbeutel gekrönt, bot einen Anblick, der Uhlenkort unwillkürlich zum Lachen reizte. Tredrup stimmte ein.

»Feiner Turban! Komme mir wie ein doppelter Hadschi vor. Freue mich riesig, daß Sie mich besuchen.«

Mit einer kräftigen Geste fegte er ein paar Kleidungsstücke vom nächsten Schemel und machte eine einladende Handbewegung.

»Wo kommen Sie her? Waren Sie dabei, bei dem großen Theater?«

»Jawohl, ich befolgte Ihren Rat. Der Botschafter besorgte mir eine Karte. In seiner Begleitung kam ich hierher und sah diese ganz außergewöhnlich wirkungsvoll in Szene gesetzte Vorstellung.«

»Zweifellos, Herr Uhlenkort. Die Sache war gut inszeniert. Aber jetzt eine Frage, über die ich mir schon verschiedentlich seit unserem letzten Zusammentreffen den Kopf zerbrochen habe. Wie haben Sie, Herr Uhlenkort, wittern können, daß wir hier auf Karbid fündig werden würden? Das ist mir rätselhaft.«

»Herr Tredrup, diese Wissenschaft stammt nicht von mir. Ich bin in erster Linie Kaufmann, kein Geologe. Aber ein Freund, ein Gelehrter, hat mich schon vor langen Monaten darauf aufmerksam gemacht, daß etwas Derartiges zu erwarten sei, sicher kommen müsse, und . . . Herr Tredrup, die Sache hat mir keine Ruhe mehr gelassen. Ich mußte selbst her, mußte sehen, was hier passiert.«

»So, so. Und ich glaubte schon, Sie wären hauptsächlich einer Zirkusreiterin wegen nach Timbuktu gekommen.«

Uhlenkort machte eine abweisende Bewegung.

»Sie irren. Aber wie sind Sie denn so zeitig hinter das Geheimnis gekommen? Als Sie in Timbuktu davon sprachen, war der Schachtgrund doch noch wenigstens hundert Meter von der Fundstelle entfernt.«

»Allerlei kleine Zeichen, Herr Uhlenkort, aus denen man seine Schlüsse zieht. Eines Tages, auch schon vor Monaten, brauchten wir einen Maschinenteil. Der Chef, Mr. Grimmaud, sagte: ›In Schuppen 35 werdet ihr das Passende finden.‹ Aber dann ging er selbst zu dem Schuppen mit. Nur er hatte den Schlüssel, schloß selbst auf und auch wieder ab.

Und da sah ich . . . Wissen Sie, Herr Uhlenkort, ich habe mal vor zehn Jahren in einem großen Karbidkraftwerk in Turkestan gearbeitet, da sah ich Karbidkessel in diesem Schuppen, ich kenne die Form der Dinger recht genau, Hunderte von Karbidkesseln, und da suchte ich mir einen Vers darauf zu machen. Fing an, im Schacht das geschossene Gestein zu prüfen, goß Wasser auf verdächtige Stellen. Sie wissen ja, wie Azetylen riecht. Kurz und gut, seit Wochen war ich mir sicher, daß Seine Schwarze Majestät auf Karbid bohrten. Da gingen mir die Augen auf. Jetzt begriff ich auf einmal, was diese schleierhaften Röhrenanlagen, diese mächtigen Betonbauten in der Nähe des Schachtes zu bedeuten hatten. Ich sage Ihnen, Herr Uhlenkort, alles Weitere ist bereits bis in die letzten Einzelheiten vorbereitet. Der Kaiser wird mit überraschender Schnelligkeit riesenhafte Kraftwerke um den Schacht herum entstehen lassen.«

»Ich fürchte es, Herr Tredrup. Und ich fürchte nach diesem Fund doppelt für das weiße Südafrika und für Europa. Unsere Diplomaten werden die Wirkungen dieses Fundes sehr bald an der veränderten Sprache und Haltung des Kaisers spüren.«

Tredrup zuckte die Achseln.

»Es wird wohl so werden, Herr Uhlenkort. Jeder hat sein Päckchen zu schleppen. Südafrika diesen Kaiser . . . und ich . . .« Er griff nach dem turbanartigen Gebilde auf seinem Haupt. »Und ich . . .«

»Ich suchte Sie vergeblich bei der Feier. Erfuhr von Ihrem Unfall, dachte mir einiges und kam hierher.«

»So, so! Sie dachten sich einiges . . .«

»Das war Tells Geschoß, möchte ich ebenso falsch wie treffend zitieren, wenn man Tell mit Guy übersetzen darf.«

Jetzt war es Tredrup, der bedeutsam den Finger an den Mund legte.

»Rücken Sie etwas näher, Landsmann. Die Wände sind hier nur zwei Millimeter dick. Sie haben richtig geraten. Ich fuhr gestern früh in den Schacht ein. Sie wissen, daß der Schacht abgestuft gebaut ist. Erst tausend Meter tief und tausend Meter weit. Dann kommt das nächste Stück, wieder tausend Meter tief und neunhundert Meter weit. So geht es in Abschnitten immer je tausend Meter tiefer, wobei der folgende Abschnitt immer hundert Meter enger wird.

Die Förderanlagen reichen immer von einer Etappe, das heißt einer Sohle bis zur anderen. Ich war soeben aus der ersten Förderschale getreten und wartete auf das Heraufkommen der nächsten.

Ich stand da so neben einem mit Grubenholz beladenen Wagen. Da war es plötzlich, als ob der Blitz in den Wagen geschlagen wäre. Es war, als wenn was Dunkles, Graues an mir vorbei sauste, und dann flogen die Hölzer von dem Wagen splitternd und krachend nach allen Seiten . . . und dann war ich weg . . . und wurde erst hier wieder munter.

Es hatte eine Kollision zwischen einem Stück Grubenholz und meinem Schädel gegeben. Gott sei Dank ist der heil geblieben. Eine tüchtige Beule, das war alles, zur Enttäuschung derjenigen, welche . . .«

»Sie haben Glück gehabt, mein lieber Tredrup. Diesmal.«

»Diesmal? Ja, ja, es wird bei dem einen Versuch nicht bleiben, so wie ich ihn kenne. Was tun? Darüber zerbreche ich mir den sonst noch gut konservierten Schädel, seitdem ich wieder klar denken kann . . .«

»Darauf gibt es nur eine Antwort. Das Klima von Mineapolis wird auf die Dauer Ihrer Gesundheit sehr unzuträglich. Schütteln Sie den Staub dieses ungastlichen Ortes von den Füßen!«

»Ausrücken??! Meinen Sie also? Nee, das ist es ja eben, was Klaus Tredrup nicht in den Kopf will . . .«

»Aber hinein muß, mein lieber Tredrup. Sie würden Ihren Feinden den größten Gefallen tun, wenn Sie sich hier weiteren Attentaten aussetzen wollten. Die Bohrerei ist hier jetzt nach der Auffindung des Karbidlagers zum größten Teil erledigt. Sie sind also abkömmlich. Mit Grimmaud stehen Sie, wie Sie mir sagten, ganz gut. Gehen Sie zu ihm, nehmen Sie Ihre Entlassung und beeilen Sie sich, damit Sie mit mir um ein Uhr wegfliegen können.«

»Gut gesagt, Herr Uhlenkort. Wegfliegen. Aber wohin?«

»Wohin? Erst einmal mit mir nach Kapstadt, wohin mich dringende Angelegenheiten rufen, und dann nach Hamburg.«

»Hm, so, so. Nach Hamburg. Das läßt sich hören. Ich stecke jetzt seit . . . ja zum Donnerwetter, ich stecke ja seit fünf Jahren ununterbrochen im Betrieb. Höchste Zeit, daß ich mal wieder nach Hamburg komme und mir ein Lüftchen von St. Pauli um die Nase wehen lasse. Gemacht, Herr Uhlenkort! Ich komme via Kapstadt mit nach Hamburg.«

»Und später, Mr. Tredrup, findet sich für einen Mann von Ihren Qualitäten hinreichende Beschäftigung in unseren Spitzbergen-Minen. Sie wissen vielleicht, daß unser Haus in größerem Maßstab an den Kohlenminen von Spitzbergen beteiligt ist. Wir wollen die Fördertiefe bis auf sechstausend Meter vergrößern. Da wird uns ein Ingenieur, der hier bis zum sechsten Kilometer gebohrt und gesprengt hat, sehr willkommen sein.«

»Well, Herr Uhlenkort. Darüber ließe sich reden. Freilich, bißchen ein weiter Sprung vom Äquator bis zum Nordpol. Ich werde erst einmal in Hamburg gründlich Station machen . . . dann meinetwegen.«

*

Klaus Tredrup hatte seinen Besucher zu spät darauf aufmerksam gemacht, daß die Wände jener Wellblechbaracke kaum zwei Millimeter stark waren. Die Agenten und Spione des Kaisers arbeiteten schnell und sicher . . .

Ein Adjutant rief Guy Rouse zu einer sofortigen Audienz ins Schloß.

Ohne alle Umschweife ging Augustus Salvator auf sein Ziel los.

»Mr. Rouse, ich weiß, daß Herr Uhlenkort, der hamburgische Großkaufmann, im Begriff steht, von hier nach Kapstadt zu fliegen, um sich mit dem Präsidenten der Südafrikanischen Union zu besprechen. Er hat sich hier dreimal vierundzwanzig Stunden aufgehalten. Der Zweck seines Aufenthalts ist nicht ganz durchsichtig.«

»Ich glaube zu verstehen. Euer Majestät wünschen diese Reise nicht. Wünschen, daß Herr Uhlenkort; . . .«

»Nein, Mr. Rouse. Sie mißverstehen mich. Das nicht! Aber es interessiert mich außerordentlich, was Herr Uhlenkort mit dem Präsidenten zu besprechen hat. Bisher sind meine Agenten leider noch nicht dazu gelangt, in das Vorzimmer des Präsidenten zu kommen . . .«

»Euer Majestät, ich erlaube mir zu sagen, daß ich in dieser Beziehung glücklicher war. Meine Agenten sind tatsächlich schon drin.«

»Ich bewundere Sie, Mr. Rouse. Sie sind . . . es ist außerordentlich . . . ich würde Sie . . .«

»Aber selbstverständlich, Euer Majestät. Es wäre unter allen Umständen meine Pflicht gewesen bei den Interessen, die Afrika und Amerika verbinden. Ich garantiere Euer Majestät genauen Bericht, sofort nachdem die Unterredung stattgefunden hat.«

»Ich danke Ihnen, Mr. Rouse.«

*

Kurz vor ein Uhr mittag betrat Walter Uhlenkort in Begleitung Tredrups den großen Flughafen von Mineapolis. Der Verkehr war hier infolge der Festtage in fieberhaftem Gange. In schneller Folge verließen die großen Düsenmaschinen auf die Minute fahrplanmäßig den Platz nach allen Richtungen der Windrose.

Uhlenkort spürte, wie Klaus Tredrup ihn hinter die Deckung einer großen Fahrplantafel zog und gleichzeitig auf einen soeben angekommenen Kraftwagen deutete.

Guy Rouse entstieg diesem Wagen. Uhlenkort sah, wie er zu einer Person im Innern des Wagens sprach . . . lange und eindringlich sprach, sich dann verabschiedete und das große Amerikaflugzeug bestieg.

Mit geballten Fäusten, verzerrtem Gesicht starrte Tredrup Rouse nach. Nur bruchstückweise klangen die Worte, die sich durch die zusammengepreßten Zähne ins Freie rangen, an Uhlenkorts Ohr.

Das Amerikaflugzeug startete.

»Unsere Rechnung ist noch nicht beglichen, Mr. Rouse! Eines Tages wird sie ins reine gebracht werden, so wahr ich Klaus Tredrup heiße. Nur den einen Wunsch hätte ich, dabeizusein, wenn das Schicksal über dich kommt . . . Aber gehen wir jetzt, Herr Uhlenkort, dort drüben wartet bereits unsere Maschine, gehen wir an Bord.«

Nach einer knappen Viertelstunde befanden sich die beiden Hamburger bereits in voller Südfahrt. Das Flugzeug schoß in bedeutender Höhe über die endlosen Baumwollfelder dahin, welche die Bewässerungstechniker des Kaisers Augustus Salvator hier vor zehn Jahren entstehen ließen. Hervorzauberten aus einer Steppe, die bis dahin nicht einmal eine notdürftige Weide bot.

Uhlenkort und Tredrup betrachteten eine geraume Weile von ihren Sitzen aus das Baumwollfeld tief unter sich.

Uhlenkort brach das Schweigen.

»Augustus Salvator ist ein Herrscher mit großen Zielen. Diese Fruchtbarmachung hier . . . das Karbidlager heute früh . . . es ist erstaunlich!«

»Er denkt und plant auf Jahrzehnte voraus, Herr Uhlenkort. Sahen Sie – Sie haben es wahrscheinlich nicht gesehen – diese immensen Rohranlagen vom Tschadsee nach allen Richtungen hin? Er hat schon genau disponiert, wie er die riesigen Energiemengen nutzen wird, die er hier aus dem Karbid gewinnen kann. Bewässerungsanlagen, die den letzten Fleck der Sahara, soweit sie innerhalb der Grenzen seines Reiches liegt, in blühendes Gefilde verwandeln sollen.«

»Und dann, sobald das geschehen ist, wird er die Grenzen dieses Riesenreiches wieder um ein Stück vorschieben.«

»Vielleicht, Herr Uhlenkort. Augustus Salvator ist jedenfalls ein Mann, dem man – mag man sonst zu ihm stehen, wie man will – die Bewunderung nicht versagen kann. Ein genialer Kopf! Ich sage nicht zuviel. In den Jahren, die ich hier weilte, hatte ich Gelegenheit genug, ihn und sein Werk kennenzulernen, zu verstehen. Das Schlagwort vom Schwarzen Napoleon stimmt nicht, nicht ganz. Die Schattenseiten des Korsen fehlen. Mag sein, daß er auch aus dessen Geschichte gelernt hat. Ein Waterloo wird ihm nicht erblühen. Während der Bauarbeiten war es mir mehrfach vergönnt, mit ihm zu sprechen. Mit jeder Unterredung wurde meine Achtung vor seiner Persönlichkeit höher. Ein seltener Mensch, ein Mann, wie ihn die Weltgeschichte nur selten hervorbringt.

Dagegen dieser Rouse!

Das Gegenteil in allem! Wenn auch seine Macht heute vielleicht ebenso groß ist . . . ein Pirat, ein Freibeuter, der über Leichen geht, Leichen an seinem Weg hinter sich läßt.«

»Sie sind nicht gut auf Rouse zu sprechen, Herr Tredrup, begreiflicherweise. Immerhin, auch der bleibt ein Mann von übernormalen Ausmaßen.«

»Mag sein, Herr Uhlenkort. Es gibt auch überlebensgroße Schufte. Wie hat der Mensch es fertiggebracht, sich in wenigen Jahren vom einfachen Angestellten zum Präsidenten der New Canal Cy. zu entwickeln?«

»Durch seine Tüchtigkeit, Herr Tredrup.«

»Tüchtigkeit . . . Tüchtigkeit? Na ja, was man in Wallstreet Tüchtigkeit nennt. In dem Sinne war er allerdings riesig tüchtig. Was hat der Mensch nicht alles mit den Aktien der Canal Company und mit denjenigen der mysteriösen Copper Company getrieben? Bald hoch und bald tief. Wie verstand er es, die wichtigsten und gefährlichsten Geheimnisse der Gesellschaft, deren Angestellter er war, zu ergründen und in seiner Gerüchtefabrik auszunützen. Er lenkte den Aktienkurs wie ein guter Kutscher die Pferde. Mit mathematischer Genauigkeit kaufte er, wenn sie am tiefsten – verkaufte er, wenn sie am höchsten standen! In der Tat, Herr Uhlenkort, verflucht tüchtig ist der Mann . . . und später die Geschichte mit seinen Territorien am Kanal, wo er die Canal Company gegen die Copper Company und die Copper Company gegen die Canal Company ausspielte . . .«

Uhlenkort lächelte.

»Ich hörte davon, Herr Tredrup. Es scheint allerdings nach unseren Begriffen ein starker Streich gewesen zu sein.«

»Ein starker Streich? Sagen Sie lieber: ein Piratenstück erster Güte. Er hetzte die beiden Gesellschaften aufeinander, verwirrte, schwächte sie. Hatte durch dunkle Machenschaften plötzlich ein wichtiges Gelände von fünftausend Quadratkilometer in eigenem Besitz, wurde von heute auf morgen Präsident der Canal Company, bezahlte das Gelände mit Kanalaktien, die er für ein Butterbrot, noch dazu auf Kredit, gekauft hatte, ließ sich das Gelände in guten Staatspapieren bezahlen, häufte eine Million auf die andere und wurde, was er heute ist.«

»Und was meinen Sie, Herr Tredrup, was er heute ist?«

»Er ist der Koloß von Wallstreet. Er beherrscht die amerikanische Wirtschaft – die halbe Weltwirtschaft . . . noch mehr. Kongreß und Senat hat er in raffinierter Weise an seinen tausendfachen Unternehmungen beteiligt. Die Politiker der Vereinigten Staaten müssen ihm in ihrem eigenen Interesse zu Willen sein. Vor hundert Jahren sprach man von einer Korruption in den Staaten. Es war schneeweiße Unschuld gegen das, was Rouse jetzt inszeniert hat. Man munkelt sogar, Herr Uhlenkort, daß der erwählte Präsident des amerikanischen Volkes, Austin Parker, von Guy Rouse abhängig ist, der seine Wahl finanziert haben soll.«

Klaus Tredrup war in wütenden Eifer geraten.

Wieder glitt ein leichtes, überlegenes Lächeln über Uhlenkorts Züge.

»Bis zu einem gewissen Grad mögen Sie recht haben. Es ist uns in Europa nicht unbekannt, daß die Rouse-Gruppe erheblichen Einfluß auf die amerikanische Politik ausübt. Immerhin, der Mann hat den Erfolg für sich, den doch schließlich nur der Tüchtige hat.«

»Tüchtig! Tüchtig . . . Ich wiederhole Ihnen, Herr Uhlenkort, er ist der größte und ausgesiebteste Schuft auf beiden Hemisphären. Wenn mich etwas freut, so ist es die eine Erinnerung, daß ihm Klaus Tredrup doch mal einen Kinnhaken gelangt hat, an den er heute noch denkt.«

»Den er auch niemals vergessen wird, merken Sie wohl, Herr Tredrup.«

Die Unterhaltung der beiden Reisenden fand ihr Ende, da das Flugzeug sich jetzt anschickte, auf den Hafen von Kapstadt hinunterzugehen. Die Passagiere mußten sich für die Zollformalitäten bereitmachen.

*

In den Wandelgängen des Kongreßgebäudes zu Washington herrschte jenes rege Leben, das wichtigen Sitzungen vorauszugehen pflegt. In größeren und kleineren Gruppen standen die Abgeordneten debattierend beisammen. Immer wieder lösten sich hier und dort einzelne los, um zu einer anderen Gruppe zu treten. Immer wieder schwirrten die Punkte der Tagesordnung durch den Raum. Besonders aber der erste Punkt, der die New Canal Cy. anging und in Verbindung damit der Name Guy Rouse.

Wie sollte man heute stimmen? In einer Viertelstunde mußte man sich entscheiden. Die Gruppen in den Wandelgängen begannen sich zu lockern. Die Tische im Lunching Room fanden Gäste.

»Hallo, Miller! Hierher! Illinois zu Ohio!«

Eine lange Gestalt erhob sich hinter dem Bartisch. Zwei Arme wie Windmühlenflügel winkten einem Neuankömmling zu, einer kleinen gebückten Gestalt mit dem gelblichen, grämlichen Gesicht eines gallensüchtigen Hypochonders. Langsam drehte er sich nach dem Rufer um. Die kleinen blinzelnden Augen kniffen sich zusammen. Dann schlurfte er langsam zum Tisch hin.

»Auch hier, Teddington?«

Er wollte noch weitersprechen, als die knochige Riesenfaust Teddingtons seine Rechte packte und wie einen Brunnenschwengel auf und nieder pumpte und ihn auf einen Stuhl drückte.

»Auch hier, Mr. Miller?« fragte der Riese zurück. »Wie war es doch mit Ihrer Europareise?«

»Europareise?« knurrte der Grämliche und warf einen schiefen Blick auf den Frager. »Wer will nach Europa?«

»Sie! Sie, mein lieber Miller!«

»Ich? Ich . . . Wollen Sie mir die fünftausend Dollar geben, die ich für diese Reise brauchte?«

»No, lieber Miller. Selbst wenn ich sie hätte . . .«

Miller wandte dem Sprecher sein Gesicht zu. Eine Art Lächeln verzerrte es zu einer Grimasse.

»Wenn Sie sie hätten, Teddington, dann würden Sie sich wahrscheinlich die schöne Villa am Ohio River kaufen, auf die Sie schon . . .«

Die Windmühlenflügel schlugen klatschend auf die langen Schenkel.

»Knock out, Miller! Gut gegeben! Haha . . .« Er lachte aus vollem Halse, wobei seine lange Gestalt sich in grotesken Windungen krümmte.

»Villa und Europareise . . . all gone away . . . in die Ewigkeit!«

»Sie lachen, Teddington. Ich weiß nicht, was da zu lachen ist. Und dieser Affront! Anders kann ich's nicht bezeichnen.«

»Affront . . . Gut gesagt, Miller!«

Von neuem lachte Teddington auf.

»Sie scheinen heute Ihren heiteren Tag zu haben, Teddington.« Er nahm ein Glas Wasser und nippte daran.

»Gewiß ist es ein Affront, wenn . . .«

Er machte eine Pause, als suche er nach Worten, um den Satz zu vollenden.

»Sagen Sie nur, Mr. Miller«, seine Stimme dämpfte sich etwas, »es ist ein Affront, wenn man tagelang von morgens bis abends den Geldbriefträger Guy Rouse erwartet . . . und er kommt nicht.«

»Er kommt nicht«, echote Miller. »Er glaubt, uns nicht mehr nötig zu haben.«

»Glaubt er nicht? Und ich glaube niemals fester auf den Geldbriefträger Rouse rechnen zu können als vor dieser Abstimmung über seine Kanalpläne. Weiß der Teufel!«

Eine untersetzte massige Gestalt stand plötzlich neben ihnen. Überrascht sahen sie auf. Dann freudiges Erkennen. Zwei Hände streckten sich dem Neuen entgegen.

»Ah! In unsere Mitte, Mr. Struck!« kommandierte Teddington. »Texas mitten unter uns! Trotz der schlechten Zeiten noch dicker geworden!«

»Und Sie noch länger!« erwiderte der Dicke und ließ sich grinsend auf einen Stuhl nieder.

Der eigene Witz schien ihm großes Vergnügen zu machen. Sein stiermäßiges Lachen schütterte durch den Raum. Er hielt inne, als er den ostentativ musternden Blick Teddingtons fühlte.

»Was haben Sie denn? . . . Was bemerken Sie an mir?«

»Ich bemerke, daß Ihnen zu fehlen scheint, was ich eben suchte.«

»Was?« Der Texasmann starrte ihn mit verständnislosen Blicken an.

»Was?«

»Was? Nun! Mehrere. Zum ersten die silbernen Pferdesporen, zum zweiten das herrliche Mexikanerkostüm einschließlich des echten Sombreros – alles in allem: ich vermisse den Don José Struckio de la grande Hacienda!«

Die Faust des Dicken fuhr auf den Tisch, daß die Gläser wackelten.

»Verdammt! Der Schuft . . . Der Betrüger!«

»Betrüger! Affront!« lachte Teddington. »Eins schöner wie's andere. Ein frecher Betrüger, Gentlemen, nicht wahr?« Wie ein Wiehern klang sein Lachen.

»Wer zuletzt lacht, lacht am besten«, stieß der gallsüchtige Mann aus Illinois heraus. »Wir werden ihm heute die Quittung geben. Er soll's bereuen!«

»Er soll's! Nieder mit Rouse, dem ausgebliebenen Geldbriefträger!« Teddington ergriff sein Glas und goß es in einem Zug hinunter. Die Glocke unterbrach ihr Gespräch. Sie rief die Kongreßmitglieder in den Saal.

*

»Meine Herren!« Die Stimme des Sprechers schallte durch den Raum. »Die Tagesordnung unserer heutigen Sitzung umfaßt die folgenden drei Punkte:

Erstens einen Antrag Australiens auf gemeinsam zu treffende Maßnahmen gegen das überhandnehmende Seeräuberunwesen. Zweitens einen Antrag Europas auf etappenweise Sprengung des neuen Panamakanals und drittens einen Antrag Südafrikas betreffend amerikanischer Kriegslieferungen an den Kaiser Augustus.

Wir schreiten zur Behandlung des ersten Punktes. Ich bitte den Herrn Staatssekretär der Marine, seine Ausführungen zu dem Antrag der Australischen Union zu machen.«

Der Staatssekretär erhob sich und sprach:

»Meine Herren! Der Antrag Australiens verdient die größte Aufmerksamkeit von unserer Seite. Im Verlauf der letzten Seekriege wurden von verschiedenen der beteiligten Mächte in höchster Not Kaperbriefe ausgestellt. Es wurden also Privatpersonen, die im Besitze von U-Booten waren, durch einen solchen Brief zu Teilen der legitimen bewaffneten Macht zur See gestempelt. Die Erfolge dieser Maßnahmen waren teilweise sehr groß. Einige Welthandelsflotten wurden stark dezimiert.

Verhältnisse ganz ähnlicher Art zeigten übrigens schon die Kriege am Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts. Und wiederum entwickelte sich ebenso wie damals aus dem gesetzlichen Kapertum ein ungesetzliches Seeräubertum. Nur mit dem kleinen Unterschied gegen damals, daß die modernen Piraten sich ausschließlich der U-Boote bedienen. Das Unwesen hat leider mit der Zeit immer mehr überhandgenommen. Auch Bürger der Vereinigten Staaten sind oft genug in beklagenswerter Weise in Mitleidenschaft gezogen worden.

Die einzelnen Staaten haben schon seit langem versucht, das Unwesen zu steuern. Aber ein durchschlagender Erfolg war den bisherigen Bemühungen versagt. Der Antrag Australiens zielt dahin, eine große gemeinsame Aktion aller Beteiligten zu veranlassen. Man denkt, durch ein kombiniertes Vorgehen von Luft- und Seestreitkräften die Piraten in ihre letzten Schlupfwinkel zu verfolgen, aufzureiben und dem ganzen Unwesen ein Ende zu bereiten. Die Erledigung der Vorfragen dürfte jedoch nicht ganz einfach sein. Denken Sie nur an die prozentuale Beteiligung der einzelnen Staaten, die Kommandantenfrage, die Finanzierung, und Sie werden die Schwierigkeiten erkennen. Diese Präliminarien dürften am besten in einem Parlamentsausschuß erledigt werden, dessen Bildung ich anrege.«

Der Vorschlag des Staatssekretärs fand allgemeine Billigung. Der Sprecher hatte das Wort.

»Meine Herren! Den zweiten Punkt unserer Tagesordnung bildet der bekannte Beschluß des Berner Parlaments. Die Gründe, die Europa zu diesem Schritt bewogen haben, dürften Ihnen allen durch die Presse genügend bekannt sein. Ich eröffne die Diskussion über diese Frage.«

Zwei Stunden lang wechselten sich die Redner auf der Tribüne ab, die für und wider den europäischen Antrag sprachen. Der laute Beifall, der den Reden ›Dafür‹ folgte, sie bei jedem Schlagwort von Humanität, christlicher Nächstenliebe und Menschentum unterbrach, verriet die Stimmung des Hauses schon jetzt zur Genüge. Als letzter sprach Wilkinson, Florida. Seine Rede gipfelte in einem überaus scharfen Angriff auf die Canal Company und ihren Leiter. Aufmerksam folgten die Kongreßmitglieder seinen Ausführungen. Als er die möglichen Folgen einer Ablenkung des Golfstroms für Florida ausmalte, stieg das Interesse noch höher.

». . . Kann das amerikanische Volk die Verantwortung tragen, daß blühende, dichtbevölkerte Teile Europas in Eiswüsten verwandelt werden? Daß Armut, Not und Elend Millionen an den Bettelstab bringen, in den Tod jagen . . . und alles, um dieser Kanalgesellschaft ein paar Milliarden zu ersparen, dieser Gesellschaft, deren Geschäftspraktiken sowieso schon genügend anrüchig sind?

Mögen auch die Befürchtungen übertrieben sein. Schon die Möglichkeit muß genügen, um unseren Beschlüssen die Richtung zu geben. Entschlössen wir uns anders, träte das Gefürchtete ein, so wäre das ein schwarzes Blatt in der glorreichen Geschichte Amerikas. Auf Generationen hinaus wäre jede Regierung unseres Landes in den Augen der Welt verächtlich gemacht.

Denken Sie, meine Herren, wie unsere Väter stets für die Ideale der Menschheit gekämpft haben. Wollen wir diesen Prinzipien untreu werden?«

Mit stark erhobener Stimme hatte er die letzten Worte gesprochen. Lautes Händeklatschen, vermischt mit kräftigen Nein-nein-Rufen, gab die Antwort. Die Abstimmung brachte eine überwältigende Majorität für den europäischen Antrag.

Endloser Beifall folgte, als das Resultat verkündet wurde.

»Wir haben's ihm gut gegeben!« flüsterte Struck seinem Nachbarn Teddington zu. »Das nächstemal wird er besser an uns denken.«

Teddington zupfte ostentativ an seiner langen Nase.

Miller und Struck sahen ihn fragend an.

»Ich glaube, Gentlemen, wir haben eine pyramidale Dummheit gemacht.« Er lachte, während zwei Gesichter neben ihm lang und länger wurden.

»Trösten wir uns! Wir sind nicht die einzigen. Fünfundsiebzig Prozent von unseren Kollegen waren ebenso dumm.«

Fast gleichzeitig flammte in der siebenten Abendstunde über allen größeren Städten Europas der Lichtpressedienst auf.

›Washington, 1 Uhr nordamerikanische Zeit: Der Kongreß hat die etappenweise Sprengung des neuen Panamakanals mit großer Mehrheit beschlossen.‹

Da waren Millionen von Seelen, denen diese am Himmel leuchtende Botschaft wirklich vom Himmel zu kommen schien. Der schwere Alpdruck, der ihre Sinne und Herzen seit Monaten gefangenhielt, wich einem befreiten Aufatmen.

Alles das, was die Zeitungen, die Presse in jeder Form, über die wahrscheinlichen, für Nordeuropa fürchterlichen Folgen einer Gesamtsprengung und ihre Auswirkungen verbreitet hatte, alles das war schwach gegenüber dem, was als Gerücht in tausendfacher Form von Mund zu Mund lief. Sparten die Zeitungen schon nicht mit stärksten Farben bei der Ausmalung der Zukunftsbilder, so hatte hier die Fantasie ganz ungehemmtes Spiel.

Da lagen Schottland und Irland unter ewigem Eis. Skandinavien ein neues Sibirien. Die Häfen von Nordeuropa nur noch wenige Monate im Jahr eisfrei. Verminderte Erwerbsmöglichkeiten überall. Die landwirtschaftlichen Betriebe zum Tode verurteilt. Menschenüberfluß, Hunger, Armut, Not, und die Folgen: Auswanderung von Millionen und aber Millionen.

Wie viele hatten schon jetzt die alte Heimat verlassen! In Schottland und an den Fjorden Skandinaviens waren die Landgüter spottfeil . . . kaum verkäuflich geworden. Die industriellen Unternehmungen in jenen Ländern begannen bereits einen Mangel an Arbeitskräften zu spüren. Das Auswanderungsgeschäft der Flug- und Schiffahrtsgesellschaften blühte wie nie zuvor.

Was in den in erster Linie bedrohten Gegenden zurückblieb, war seines Lebens schon seit langem nicht mehr froh. Die Kunde aus Washington nahm den Druck von den Herzen. Die Straßen und Plätze wogten von dichten Menschenmassen. Die Nachrichten des Lichtpressedienstes, welche die einzelnen Phasen der Sitzung in Washington, Bruchstücke der Reden, an den Abendhimmel warfen, weckten immer neue Begeisterung. Europa atmete auf. Das seit Tagen in Bern versammelte Parlament schloß seine Sitzung mit einer glänzenden Rede des Präsidenten. Ein Glückwunschtelegramm flog über den Ozean.

*

Walter Uhlenkort hatte Audienz bei Mynheer van Teeren, dem Präsidenten der Südafrikanischen Union. Er überbrachte ihm persönliche Empfehlungen seines Oheims Christian Harlessen, des Präsidenten der Vereinigten Europäischen Staaten. Nach kurzer Abschweifung wandte sich das Gespräch den letzten Ereignissen zu.

»Sie kommen von Timbuktu, Herr Uhlenkort? . . . Nun, was haben Sie da gesehen, und was sagen Sie dazu?«

»Ich sah, was ich leider schon vorher ahnte, vermutete.«

»Sie ahnten? . . . Was haben Sie vermutet?«

»Ich fand bestätigt, was ich fürchtete. Dem Kaiser Augustus gibt diese Entdeckung einen Trumpf stärkster Art in die Hand. Die wissenschaftliche Erschließung dieser natürlichen Energiequelle hat eine ungeheure wirtschaftliche und politische Bedeutung. Mit einer solchen Naturkraft von Millionen von Pferdestärken läßt sich viel anfangen.«

»So ist es, Herr Uhlenkort. Wir wissen's und fürchten's. Unser Ministerium hatte gestern abend eine Sitzung, die sich bis tief in die Nacht hineinzog. Wir haben gesessen und konferiert, sind aber noch zu keiner Stellungnahme, zu keinem Entschluß gekommen. Eine Möglichkeit, den Schlag zu parieren, ließ sich nicht erkennen. Wir sind mehr denn je auf die Hilfe Europas angewiesen.

Es ist mir daher außerordentlich angenehm, daß ich Gelegenheit habe, jetzt mit Ihnen gewissermaßen als mit einem Vertreter Europas Rücksprache zu nehmen. Ich hatte bereits heute früh eine Besprechung mit dem europäischen Botschafter. Er machte uns Hoffnungen, versprach, daß Europa uns nicht im Stich lassen würde, uns noch tatkräftiger als bisher unterstützen wolle.

Es wurden auch Vorschläge gemacht, bei uns große Bohrungen anzulegen, um in unserem Lande vielleicht ähnliche Funde zu machen, ähnliche Energiequellen zu erschließen. Aber das kostet Zeit, sehr viel Zeit, die wir nicht mehr haben, erfordert außerdem Kapitalien, die unser Land unmöglich aufbringen kann. So sind wir leider zu der Ansicht gekommen, daß dieser Weg nicht gangbar ist, selbst wenn uns europäisches Kapital in der nötigen Höhe zur Verfügung gestellt werden könnte. Aber was ist zu tun?

Sie, Herr Uhlenkort, haben dort am Tschadsee alles mit eigenen Augen gesehen. Sie wissen die Tragweite jener Entdeckungen genau abzuschätzen, und Sie haben auch Gelegenheit gehabt, sich hier über unsere Hilfsquellen zu informieren. Wenn Sie wieder nach Europa zurückkommen, so werden Sie Ihrem Oheim, Ihrer Regierung ein genaues Bild der Lage hier geben können.

Die Verwicklungen, in die uns die ultimativ gestellten Forderungen des Kaisers Augustus betreffend die Gleichberechtigung beider Rassen gebracht hat, sind nach dieser Entdeckung am Tschadsee außergewöhnlich schwer. Es ist selbstverständlich, daß wir sie in der Form, in der sie gestellt wurden, nicht annehmen können. Aber es ist sehr schwer, ich möchte fast sagen, ausgeschlossen, sie unter diesen Umständen ganz abzulehnen.«

Der Präsident schwieg, seine Züge sprachen deutlich von den Sorgen, die ihn drückten. Uhlenkort nahm wieder das Wort zur Erwiderung.

»So bliebe also, Herr Präsident, wieder die alte Frage: zu Kreuze kriechen – bedingungslos zu Kreuze kriechen – oder Krieg.«

»So ist es, Herr Uhlenkort. Krieg oder Frieden, die alte, ewige Frage. Die Entscheidung liegt nicht bei uns, sondern bei Europa. Ist Europa gewillt, unseren Staat, diesen letzten Außenposten der weißen Rasse auf afrikanischem Boden, zu halten und nicht untergehen zu lassen, dann muß es uns mit allen Kräften zur Seite stehen.«

»Das wird es!« Uhlenkort sah dem Präsidenten fest in die Augen. Dann – als trübe sich sein Blick – schaute er ins Weite.

»Solange es kann.« Die Worte kamen kaum hörbar, für den Präsidenten unhörbar, von seinen Lippen. Er lehnte sich in seinen Sessel zurück und legte die Hand über die Augen.

»Herr Uhlenkort!«

Uhlenkort schaute auf.

»Haben Sie Bedenken, Befürchtungen irgendwelcher Art?«

Uhlenkort ließ die Hand sinken, sah in van Teerens Blicken den Schimmer der Angst. Mit einer starken Bewegung richtete er sich auf.

»Europa wird bis zum letzten Atemzug an der Seite Südafrikas stehen. Sobald ich zurückgekehrt bin, werde ich alles tun, daß Ihnen jede nötige Hilfe, daß Ihnen insbesondere Mannschaften, Truppen, daß Ihnen das notwendige Menschenmaterial zugeht. Es wird schwere Kämpfe darüber geben. Viele Köpfe, viele Sinne. Das totalitär regierte Kaiserreich Afrika, wo nur einer gebietet, hat es leichter. Was ich will, ist nicht, die Auswanderung noch stärker zu fördern. Dies Mittel, so gut es bisher schien, wirkt zu langsam, wo die Lage auf des Messers Schneide steht. Gewiß, wir haben von Anfang an bei dieser Auswanderung Wert darauf gelegt, besonders waffengeübte junge Leute hinüberzuschicken, die sich hier mit Hilfe Ihrer Regierung eine Existenz suchen mußten und auch gefunden haben. Aber das genügt jetzt nicht mehr.«

In den Augen des Präsidenten leuchtete es auf.

»Herr Uhlenkort, glauben Sie wirklich, durchsetzen zu können, daß . . .«

»Ich will es«, unterbrach ihn Uhlenkort. »Es geht ums Leben. Die Lage verlangt die Anwendung der stärksten Mittel. Wir werden Ihnen europäische Soldaten senden, vorläufig – ich sage vorläufig – ohne Ausrüstung . . . als Auswanderer!«

»Und die diplomatischen Verwicklungen, die sich daraus mit Sicherheit ergeben dürften . . . schwierige diplomatische Verwicklungen . . .« Der Präsident sprach es.

Walter Uhlenkort zuckte die Achseln. »Herr Präsident, diplomatische Verwicklungen schwieriger Art entstehen immer nur dann, wenn das Schwert locker sitzt. Wir müssen mit der Möglichkeit einer bewaffneten Auseinandersetzung rechnen.«

*

Juanita Alameda entstieg dem Kraftwagen und betrat die Vorhalle des Delarey-Hotels in Kapstadt. Einen Augenblick verweilte sie im Vorbeigehen bei dem Portier.

»In einer halben Stunde wird ein Angestellter des Modehauses Princeton & Williams kommen, um mir eine Auswahl vorzulegen. Lassen Sie ihn in mein Zimmer führen.«

»Sehr wohl, gnädige Frau.«

Eine halbe Stunde später fuhr der Liftboy einen Herrn mit diversen Kartons hinauf und geleitete ihn in Juanitas Wohnzimmer.

»Der Herr von Princeton & Williams!«

*

Juanita erhob sich vom Schreibtisch.

»Ganz recht. Lassen Sie sehen, was Sie gebracht haben.«

Mit einer tiefen Verbeugung trat der Ankömmling auf die Dame zu. Doch kaum hatte der Liftboy das Zimmer verlassen, als er sich aufrichtete und mit gedämpfter Stimme sagte: »Bitte, meine Gnädigste?«

Juanita trat dicht an ihn heran und flüsterte ihm kaum hörbar das Schlüsselwort zu. Dann trat sie zurück und sprach wieder mit lauter Stimme.

»Bitte, wollen Sie die Stoffe hier auf diesem Tisch ausbreiten . . . Hier, ja! . . . Die Farbe ist doch . . . Ob es mich kleiden wird?«

»Wir können einen kleinen Versuch machen. Vielleicht darf ich Ihnen den Stoff über die Schulter hängen?«

Etwas umständlich bemühte er sich, die Stoffe über der Figur Juanitas zu drapieren. Bald trat er ein paar Schritte zurück, als wolle er die Wirkung besser beurteilen. Bald stand er wieder unmittelbar neben ihr, zog hier und dort eine Falte zurecht und sprach.

Sprach laut wie ein eifriger, pflichtbewußter Verkäufer von Princeton & Williams, wenn er entfernt vor ihr stand, und flüsterte unhörbar, wenn er dicht bei ihr die Stoffe zurechtzog.

Juanita stand, ließ sich behängen und drapieren und schrieb all die Dinge, die ihr zugeflüstert wurden, in ihr Gedächtnis ein wie in eine Schreibtafel. Machte dazwischen laute Bemerkungen, die auf die Anprobe Bezug hatten.

Bis nach einer halben Stunde der Angestellte von Princeton & Williams die Anprobe für beendet hielt und sich anschickte, seine Kartons zusammenzupacken. Da flüsterte sie noch eine Frage. Ohne besonderen Zusammenhang mit dem bisherigen fragte sie:

»Sind sonst nach Nachrichten?«

Erhielt im gleichen Flüsterton die Antwort.

»Jawohl! Unter Chiffre Omega zusenden: Christie Harlessen, zur Zeit als Schulreiterin Kapstadt, Zirkus Briggs.«

»Senden Sie dies selbst weiter!«

Und dann wieder laut:

»Lassen Sie das Gewählte hier!«

Sie drückte auf einen Knopf. Der Liftboy erschien. Der Herr von Princeton & Williams empfahl sich mit seinen Kartons.

Als er gegangen war, stand Juanita wohl eine Minute regungslos wie eine Bildsäule. Ihre Fäuste ballten sich. Dann ging ein Ruck durch ihren Körper. Sie raffte sich auf.

Kaltes Blut, Juanita! Erst die Depesche an den Kaiser!

Sie nahm wieder am Schreibtisch Platz und begann, nach dem Gedächtnis niederzuschreiben, was sie gehört, was sie Wort für Wort eingesogen, sich eingeprägt hatte. Und dann lag es vor ihr, und sie begann, das Geschriebene in die Chiffre zu setzen. Ein Telegramm, welches die Unterredung von Anfang bis zu Ende enthielt, die Uhlenkort vor einer Stunde mit dem Staatspräsidenten gehabt hatte . . . Maßnahmen gegen die wachsende Übermacht des schwarzen Kaiserreiches. Mitteilungen über eine bedeutend zu verstärkende europäische Einwanderung, hauptsächlich entlassene oder noch zu entlassende europäische Soldaten. Nachrichten über große Lieferungen von Kriegsmitteln.

Dann nahm sie einen Kristallflakon aus ihrem Toilettenkoffer, goß etwas von seinem Inhalt in ein Glas, legte den Entwurf des Telegramms hinein und wartete, bis das Papier sich in der Flüssigkeit völlig auflöste, zu einem Nichts wurde. Und dann brachte sie das Chiffretelegramm selbst zum Hotelsender.

Auf dem Rückweg rief sie den Portier an.

»Einen Logenplatz für die Zirkusvorstellung heute abend!«

Sie trat wieder in ihr Zimmer. Ruhelos lief sie auf und ab. Sann und dachte dabei.

Ah! Was kann das sein? Dieser Eisblock! Du glaubtest einmal, er hätte ein Herz . . . kein Mensch . . . ein Eisblock . . . und jetzt . . . nein . . . ich werde sehen . . . und handeln.

*

Klaus Tredrup trat in Uhlenkorts Zimmer.

»Hallo, Bas! Endlich fertig? Eben sah ich Herrn Rasmussen durch die Vorhalle schreiten. Die Mienen des Herrn schienen mir recht bewölkt. Er hat auch am Ende Gründe stärkster Art«, fuhr Tredrup fort, als Uhlenkort nichts erwiderte. »Sitzt da als Leiter der Uhlenkortschen Zinnminen im Aufmarschgelände, fast möchte ich sagen, auf den zukünftigen Schlachtfeldern zwischen Schwarz und Weiß mitten im Hereroland . . .«

Ein Scherzwort, das auf seinen Lippen schwebte, blieb unausgesprochen, als Walter Uhlenkort sich an seinem Schreibtisch umwandte und Tredrup ein Gesicht sah, auf dem tiefe Abspannung lagerte.

»Genug für heute, Herr Uhlenkort! Genug! Ich bin nur ein freier Vogel, dessen ganze Habe in einem hellen Kopf und zwei gesunden Fäusten besteht. Ich kann mich vielleicht nicht so ganz in Ihre schwierige Lage versetzen. Aber das glaube ich doch, glaube ich sicher, daß es für heute genug ist. Genug der Arbeit und der Sorgen! Suchen wir irgendeine Zerstreuung! Kapstadt ist nicht arm daran.«

»Sie haben recht, Herr Tredrup«, erwiderte Uhlenkort mit einem schwachen Lächeln. »Ich nehme an, daß Sie den Vergnügungsanzeiger eingehend studiert haben, und bitte um Ihre Vorschläge. Ich füge mich allem.

»Lachen Sie oder lachen Sie nicht! Ich schlage vor, wir sehen uns ein Zirkusprogramm an, und zwar ganz, nicht nur teilweise, wie neulich in Timbuktu.«

»Zirkus? Schon wieder Zirkus? Sind Sie ein so großer Verehrer der Zirkuskunst, Herr Tredrup?«

»Offen gestanden, ja. Ich weiß Mut und Kraft zu schätzen, wo immer sie sich zeigen. Die letzten Jahre mußte ich mein Leben größtenteils in Weltgegenden verbringen, wo ein Zirkus nicht einmal dem Namen nach bekannt war. Daher lasse ich die Gelegenheiten, etwas Derartiges zu sehen, nur ungern vorübergehen. So las ich die Nachricht, daß der Zirkus Briggs hier gastiert, mit großem Vergnügen.«

»Zirkus Briggs?« Uhlenkort horchte auf. »Briggs?«

»Jawohl, Herr Uhlenkort.«

Uhlenkort hatte seine Brieftasche gezogen und blickte auf das letzte Telegramm des Pinkerton Office.

»Gut! Sehr gut, Herr Tredrup! Gehen wir in den Zirkus. Wie spät ist es?«

»Eben acht Uhr. Wenn wir uns beeilen, werden wir zu Nummer fünf des Programms noch zurechtkommen. Vier Nummern haben wir ja in Timbuktu gesehen.«

»Richtig, Herr Tredrup.« Uhlenkort lachte. »Und dann gingen wir damals zum Obermoser.«

Ein Kraftwagen brachte sie schnell zum Zirkus.

»Sagt' ich's nicht?« rief Trendrup. »Wir treffen es genau. Die fünfte Nummer. Die fliegenden Geschwister am hohen Trapez fangen eben mit ihrem Fliegen an. Gott sei Dank, das Publikum ist hier doch etwas weniger gefärbt. Zwar nach der Galerie zu auch stark melange. Aber das läßt sich ertragen.«

Mit Interesse folgten beide dem tollkühnen Treiben da oben am Zirkushimmel.

»Allerdings ein glänzendes Beispiel von Mut und Kraft«, sagte Uhlenkort, indem er in den allgemeinen Applaus einstimmte.

»Eiserne Nerven gehören dazu. Eine Sekunde zu früh oder zu spät, und es kostet das Genick oder wenigstens die gesunden Glieder.«

»Was ist jetzt auf dem Programm?«

Tredrup hob den Zettel und las.

»Flores de Tejada, aus New York, als Gast. Dressuren der Hohen Schule auf ihrem schottischen Hengst Pompejus. Danach als Parforcereiterin auf ihrer mexikanischen Stute Patty.«

Ein Zucken flog über Uhlenkorts Gesicht. Wenn ihm das Pinkerton Office recht berichtet hatte, mußte es Christie Harlessen sein, die sich hinter dem Künstlernamen Flores de Tejada verbarg.

Ein Schweigen der Erwartung war über der Menge. Nur die Klänge der Musik rauschten durch den weiten Zirkusraum.

Da öffnete sich der Vorhang. Von einem Stallmeister geleitet, der den Hengst am Zügel führte, ritt die Künstlerin in die Manege.

Händeklatschen begrüßte sie. In der Tat boten Pferd und Reiterin ein Bild außergewöhnlicher Schönheit. Der edle Bau des Vollbluthengstes erregte die Bewunderung aller Kenner. Die jugendlich graziöse Mädchengestalt in ihrer energischen, kraftbewußten Haltung schien wie verwachsen mit dem edlen Tier.

Uhlenkort riß das Glas an die Augen. Während die Reiterin in der Mitte der Manege hielt und sich nach allen Seiten verneigte, hatte er Gelegenheit, ihre Züge genau zu studieren.

Sie ist's! Kein Zweifel . . . die blonden Haare . . . die blauen Augen . . . der schmale, rassige Köpf . . . echter Harlessen-Typ.

Die einsetzende Musik riß ihn aus seinen Gedanken. Die Reiterin trabte an, die Vorführung der Hohen Schule begann.

Je weiter sie gedieh, desto mehr steigerten sich Staunen und Bewunderung. Kein Zögern! Kein Versagen! Mit unübertrefflicher Sicherheit wurden alle Figuren zu Ende geführt.

Stürmischer Beifall lohnte diese Leistung höchster Reitkunst. In der Mitte der Manege hielt die Künstlerin und dankte für den Applaus. Ihr Antlitz strahlte in sieghafter Schönheit.

Der leise konventionelle Zug, den er hinter der strahlenden Freude zu sehen glaubte, ließ ihn schärfer aufmerken. Diese Augen . . . die blauen. Harlessen-Augen . . . schienen nicht daran teilzuhaben.

Klaus Tredrup teilte seine Aufmerksamkeit verstohlen zwischen der Manege und seinem Nachbarn. Das außergewöhnliche Interesse, das Herr Uhlenkort in Firma Jacob Jeremias Uhlenkort & Söhne der Schulreiterin da unten zuwandte, gab seiner Neugierde reichlich Stoff.

Ein hübsches Mädel; ohne Zweifel! Sollte er sie von früher her kennen? . . . Ausgeschlossen! . . . Sonst hätte er doch nicht die Fotografie zum Vergleich herangezogen.

Weiß der Teufel! Was steckt dahinter? Etwas Besonderes muß es doch sein, sonst würde er seine Teilnahme hier nicht so offenkundig zeigen.

Die Reiterin hatte die Manege verlassen. Ein paar Clowns kugelten über den Sand. Die Stalldiener bauten am Ausgang der Arena eine Hürde auf.

Die Musik brach kurze Zeit ab und ging dann in einen wilden Galopp über. Alle Augen richteten sich gespannt auf den Eingangstunnel.

Und dann . . . ein buntes Etwas flitzte durch die Manege. Die Füße der Fuchsstute schienen kaum den Erdboden zu berühren.

»Eh! Eh!« Kurz wie ein Peitschenhieb klang's. Wie ein dunkler Schatten huschte es über die Hürde.

Schon sprangen die Stalldiener hinzu und legten zu höherem Sprung die Hürde auf.

Mit fieberhafter Erregung sah das Publikum die Jagd immer schneller, immer wilder vorüberbrausen. Ein Sprung immer höher als der andere . . . immer höher türmte sich die Hürde.

Die Musik brach ab. Die Stute wendete im leichten Galopp um das Hindernis und verschwand im Tunnel. Todesstille . . . Mit verhaltenem Atem erwartete das Publikum den letzten, höchsten Sprung.

Da . . . man hörte das Schnauben des heranstürmenden Pferdes . . . man vernahm das aufreizende Eh! Eh!

Jetzt! Da war sie . . .

Ein kleiner Rosenstrauß, von voreiliger Hand geschleudert, flog vor den Füßen des Tieres in den Sand. Ein kurzes, kaum merkliches Stutzen des Pferdes . . . ein sausender Gertenhieb . . . Das Pferd hob sich zum Sprung – eine Zehntelsekunde zu spät. Die Vorderhufe stießen gegen die Hürde. Krachend brach das Gerüst zusammen. Der Oberkörper der Reiterin schlug nach vorn. Sie überschlug sich . . . fiel dicht neben dem Pferd zur Erde.

Ein Schrei ging durch das weite Rund. Aufregung, Tumult im ganzen Raum.

Walter Uhlenkort sprang auf und stürmte in die Manege. Stand am Ausgang und wurde von den Bediensteten aufgehalten. Man achtete seiner dringenden Bitten nicht.

»Gedulden Sie sich, Herr! Der Arzt ist bei der Dame. Die Direktion wird sofort Mitteilung geben.«

Kein Protest half. Es blieb ihm nichts übrig, als in der Nähe des Ausganges zu warten.

In der Tat nur wenige Minuten. Am Arm des Direktors trat sie an den Manegenrand. Das stereotype Künstlerinnenlächeln auf dem bleichen Gesicht.

Mit lauter Stimme verkündete der Direktor, daß der Unfall ohne Folgen geblieben sei. Señorita de Tejada werde am folgenden Abend wieder wie gewohnt in der Vorstellung auftreten.

Ein Orkan des Beifalls erfüllte das Haus. Ein Blumenregen fiel in die Manege. Schon sprangen wieder Clowns mit lustigen Sätzen auf den Sand. Nur ein leises Murmeln in den Rängen zeugte von der abebbenden Erregung.

Walter Uhlenkort kehrte langsam in seine Loge zurück. Noch ganz benommen von dem eben Geschehenen, setzte er sich mechanisch auf seinen Platz. Erst nach Minuten bemerkte er, daß der Platz neben ihm leer war.

Wo war Tredrup geblieben?

*


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