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2.

In Cornelius Armen erwachte Jungfrau Clelia van Vlieten aus tiefer Bewußtlosigkeit. Noch war sein Gesicht von Pulverdampf geschwärzt, versengte Haare hingen auf die Stirn herab. Als sie ihn erkannte, fuhr sie erschrocken zurück. Die Erinnerung des Geschehenen erwachte in ihrer Seele. Welchen schrecklichen Gefahren hatte sich nicht der Geliebte blos gestellt, wie leicht konnte er nicht von den ergrimmten Feinden bemerkt, von ihnen auf das Grausamste behandelt, wie leicht konnte er nicht selbst in das Verderben mit hineingerissen worden seyn, das er jenen durch seine verwegene That bereitet! Aber war diese denn nicht auch um ihretwillen unternommen worden? Ach, aus der Tiefe ihres Herzens erklang eine Stimme, die ihr die Versicherung gab, daß nur die Liebe zu ihr den jungen Mann zu einem so kühnen Werke habe begeistern können! Sie sah Jansen in ihrer Nähe, sie sah sich und den Geliebten von Seeleuten umgeben, die neugierig auf Beide blickten. Ihre ganze Lage wurde ihr jetzt deutlich. Schüchtern schlug sie die Blicke nieder.

»Führt mich in die Cajüte!« sagte sie leise zu Cornelius, aber in einem so zärtlichen Tone, wie sie noch nie zu ihm gesprochen hatte. Entzücken ergriff seine Seele. Er sah ein, daß jetzt erst Clelia's Liebe zu ihm ihre ganze Stärke gewonnen habe, daß sie in ihrer ganzen Macht ihr selbst klar geworden sey. Bisher war das Mädchen noch mehr Kind als Jungfrau gewesen, sie hatte mit den Gefühlen ein leichtes, ihr wohlgefälliges Spiel getrieben, sie hatte den beschränkten Blick nicht über den Kreis ihres Hauses erstreckt. Der heutige Tag mit seinen vielfachen, wunderlich verschlungenen Begebenheiten hatte sie gereift. Sie erkannte die Kraft der Liebe, sie fühlte sich ihr unterthan, sie wußte nun, daß die Empfindungen, die ihr früher ein Spiel gewesen, ihre Beherrscher geworden waren.

»Nehmt mir das Schwesterlein wohl in acht!« rief Frau Beckje, die eben vom Cajütendache herab, nach ihrem Manne hinsprang, ihm zu. »Ihr habt doch kein Feuerwerk mehr bei Euch, womit Ihr dem Kinde Schaden thun könntet, etwa unter'm Kleide in der Gegend des Herzens?«

Cornelius befand sich nicht in der Stimmung, diese Neckerei zu beantworten. Hätte er aber auch gewollt, so würde seine Rede nur vergebens gewesen seyn, denn Beckje war rasch wie der Wind an ihm vorübergeflogen, um ihrem lieben Jansen ihre Freude über den Sieg und sein Wohlergehen an den Tag zu legen.

In der Cajüte fand Junker van Daalen und seine schöne Begleiterin die beängstigte Philippintje auf den Knieen liegend und sinnlose Gebete vor sich hin plappernd. Sie hatte nicht den Muth sich umzuwenden, um die Eintretenden zu betrachten und ihre guten Freunde in ihnen zu erkennen.

»Sie kommen, sie kommen!« zeterte sie im Tone des Entsetzens. »Sie sind da die spanischen Belialssöhne und wollen mich und mein himmlisches Theil. Warum habe ich doch immer auf den Schiwa geschimpft und ihm nicht Ehre erwiesen, wie der hochmögende Heer van Vlieten gethan aus guten Gründen und in weiser Absicht! Jetzt könnte mir der Heidengott beistehen gegen die satanischen Spagnols, die kein Erbarmen haben und alle Ketzer brennen, wie wir daheim in Rotterdam die liebliche Caffeebohne –«

»Ruhig, ruhig, Jungfrau Philippintje!« unterbrach sie Cornelius. »Wir sind es ja: Clelia und ich!«

Die Knieende starrte betäubt zu ihnen auf. Sie schien jetzt zu wissen, wer vor ihr stand, aber ihre Angst wollte nicht weichen, ebensowenig wie der Irrthum, der sich ihrer bemächtigt hatte. Sie betastete mit zitternder Hand Cornelius verbrannte Kleider. Dann sagte sie gepreßt:

»Er hat uns, das ist gewiß! Den edeln Junker hat er schon angefangen zu braten und dann mit Wasser wieder das Feuer gelöscht, damit die Qual desto länger dauere, da sind die deutlichsten Spuren: die verbrannte Krause, die geschwärzte Stickerei am Rocke, die Wasserflecken am ganzen Leibe. Die Männer werden gebraten, die Frauen in's Kloster gesteckt. Ach, Clötje, mein Kind, du siehst schon aus, wie eine unglückliche Nonne, bleich und abgezehrt, schmachtend und verschmachtend! Wir werden nimmermehr den würdigen Domine schauen, nie mehr den süßen Ton seiner Rede hören: ein Mönch, ein entsetzlicher Mönch mit Kutte und Strick angethan, wird an unserer unsterblichen Seele zerren, bis er sie hinabgezerrt hat in den höllischen Schwefelpfuhl –«

»Holland und England!« fiel jetzt der ungeduldig werdende Junker mit rauhem, lautem Tone ein! »So nehmt doch nur Vernunft an! Der Spagnol kann uns nichts mehr thun, er wird uns weder braten noch sieden, im Gegentheile ist er halbgebraten auf gen Himmel und wieder hinab in die Wogen gefahren. Wir haben ihn in die Luft gesprengt.«

»In die Luft,« – sagte die staunende Philippintje, indem einige Röthe auf die gefurchten Wangen zurückkehrte und sie sich halb vom Boden erhob. »Ihr habt ihn gesprengt,« fuhr sie zweifelnd fort, »ganz auseinander gesprengt, den Spagnol, so daß nichts mehr von ihm da ist, auch nicht ein Stückchen, ein Arm oder ein Bein, mit dem er uns ein Uebles thun könnte?«

»Weder Arm, noch Bein, noch Fuß und Hand!« versetzte lachend der junge Kriegsmann. »Die Winde haben sich in ihn getheilt, und jeder hat seinen Antheil mit sich geführt.«

»Das vergelte Euch Gott!« stöhnte, wie sich von einer schweren Last erleichtert fühlend, aus tiefer Brust die Hausjungfer und stand ganz auf. »Ihr habt ein gutes Werk gethan, indem Ihr einen Spagnol gesprengt. O, ich hätte wohl sehen mögen, wie der gottlose Dieb, der uns das Bischen Caffee und Zucker nicht gönnt und in seiner Bosheit den edeln Thee vertheuert, auseinander gefahren ist! Ich habe wohl Thüren und Schlösser sprengen sehen, aber einen Spanier noch nicht. Clötje, wie sah er denn aus? Hat er Hörner und Bocksfüße gehabt, wie der Leibhaftige? Sind ihm Flammen aus dem Rachen hervorgegangen, blauer Dunst und übelriechender Rauch?«

»Besinne dich doch, Philippintje!« ermahnte Clelia und ließ sich bei diesen Worten erschöpft nieder. »Wir haben ein Seegefecht bestanden und das ist siegreich zu Ende gebracht worden durch den Muth des Junker van Daalen, der das feindliche Schiff in Brand gesteckt.«

»Richtig, Clötje, richtig!« erwiederte zu sich kommend das Mädchen. »Ich besinne mich darauf. Also angesteckt hat er den Spagnol, wie ein Schwefelhölzchen? Das war ein gescheidter Streich. Ja, ja, sie brennen gut die Spagnols, denn sie sind fett von vielem Oeltrinken und Butteressen! Aber hatte ich nun Unrecht, als ich dir den hochedlen Junker anrühmte als einen, dem man wohl sein Schicksal vertrauen dürfe? Wer kann in diesen wilden, kriegerischen Zeiten ein schwaches Frauenbild besser beschirmen, als er, der zu Lande Admiral und auf der See General seyn könnte? Ja, lacht nur, aber Philippintje hat doch recht! Es ist keine Kleinigkeit, einem Spagnol so nahe zu kommen, daß man ihm den brennenden Zunder an den fetten Leib halten kann, besonders wenn er sich widersetzt, wie das so in seiner Art liegt. Meine Großmutter selig hat mir erzählt, daß so ein Don von der ganzen Stadt Leyden belagert und beschossen worden ist, daß er sich durch Zauberspruch und Amulett feuerfest gemacht habe und zuletzt unter Wasser gesetzt werden mußte, vor dem die Hexenkünste nicht bestehen können. Das war die berühmte Belagerung von Leyden. Und mein Balthasar – was ist nicht meinem Balthasar Alles begegnet mit ihnen –«

»Erzählt uns das ein andermal, gute Philippintje!« fiel ihr Cornelius in die Rede. »Geht lieber hinauf zu Frau Beckje und laßt Euch eine Stärkung geben. Ihr scheint derer zu bedürfen.«

»Ihr habt Recht!« antwortete Philippintje, indem sie der Thüre zuwankte. »Es ist mir schwach um's Herz und auf der Brust. Der Bootsmann besitzt ein treffliches, stärkendes Elixir. Den will ich um einige Tröpflein ansprechen. Halte dich wacker, mein Clötje! Denk' an den gesprengten Spagnol und an die treue Liebe des hochedlen Junkers!«

Sie schlich seufzend und stöhnend die Treppe nach dem Verdecke hinauf. Cornelius setzte sich an Clelia's Seite, nahm ihre Hand und sagte mit zärtlichen Blicken:

»Habt Ihr Euch erholt von Euerem Schrecken, von der mir so theuern Besorgniß um mich? O Clelia, könnt Ihr mir verzeihen, daß ich aus Euerm stillen freundlichen Leben Euch herausgerissen habe in dieses unruhige gefährliche Welttreiben? Wenn Ihr meine Liebe billigt, so könnt Ihr mir nicht zürnen, denn sie hat mich zu Thorheit und Unbesonnenheit fortgerissen, und – ich muß es voll Scham gestehen – zu Lüge und Betrug. Ich will mich nicht entschuldigen. Ihr mögt mich richten, wie Ihr wollt. Gebietet mir, Euch zurückzuführen, Euch nie wieder zu sehen, Euch auf ewig zu entsagen – ich werde diese Strafe nicht ertragen, aber ich werde mich ihr unterwerfen ohne Murren.«

»Ihr kennt meinen Entschluß, Junker Cornelius!« antwortete mit einem sanften Lächeln Clelia und er glaubte einen leisen Druck ihrer Hand wahrzunehmen. »Ihr kennt auch meine Gesinnungen. Ich weiß nicht, ob mein Vater unter den eingetretenen Umständen je das Bündniß zwischen uns billigen wird, aber das weiß ich, daß ich nie einem anderen Manne, als Euch, meine Hand reichen werde. Ja, lieber Cornelius, ich gelobe Euch das! Ihr habt freilich auf eine unbesonnene Weise mich thörigtes Mädchen verleitet, allein Ihr habt auch wiederum Euer Leben gewagt um meinetwillen und eine Heldenthat vollbracht, von der man erzählen wird im Vaterlande. Noch gestern war ich ein blödes Kind von geringer Einsicht, fremd in Welt- und Kriegshändeln, glaubend einem jeden Worte und fügsam in Alles, was man mir vorschlug. Ich bin eine andere geworden seitdem. Ich überlege, ich handle selbst. Ich habe nicht allein meinen Vater, ich habe auch meine Ehre zu bedenken. Wir gehen nach Mastricht zur Muhme. Wie wir es schon verabredet, suchen wir von dort aus um des Vaters Einwilligung nach. Ach, Cornelius, das werden lange Tage der Erwartung seyn, bis wir seine Antwort erhalten! So stark ich mich auch zu machen suche, so bin ich doch nur ein schwaches Mädchen, das in ängstlichen Zweifeln fürchten und schwanken wird. Welches Glück, wenn ich als Euere Braut, von unsern Vätern willkommen geheißen, nach Rotterdam zurückkehren dürfte! Nur so oder nimmer sieht mich die Vaterstadt wieder. Wird mir des Vaters Verzeihung nicht, versagt er seine Erlaubniß zu unserm Glücke, in seinem leider gerechten Zorne, dann bleibe ich ganz bei der Muhme und bringe meine Tage einsam und verlassen hin, von jeder Weltfreude geschieden, zur Buße meines kindischen Leichtsinns.«

»Clelia, ich verdiene Euch nicht;« sagte erbittert auf sich selbst der Junker, stand auf und ging bewegt im Zimmer auf und nieder. »Ihr seyd wahrhaftig zu gut für einen tollen Jungen, der sich arg an Euch versündigt. Nicht genug, daß Ihr mir verzeiht, daß Ihr mir Euere Liebe schenkt – Ihr wollt auch duldsam und ergeben büßen für meine Thorheiten, für Sünden, die ich, die aber nicht Ihr begangen habt. O, ich erkenne Eueren ganzen Werth und meinen eigenen Unwerth! Aber ich will auch ein anderer werden, als ich bisher war. Ihr sollt sehen, daß ich den Leichtsinn hinter mir lasse und wenigstens strebe Euerer würdig zu werden.«

Der Entschluß, den er in diesem Augenblicke faßte, war in der That der erste Schritt zu seiner Besserung. Er wollte nicht nur Clelia während der Reise für seine Schwester gelten lassen, er wollte sie auch als eine solche halten, doch ohne die Vertraulichkeit eines Bruders gegen sie zu üben, immer in den Schranken der Ehrerbietung, die ihre Gesinnung ihm einflöste. Mit diesem Vorsatze reifte auch der Gedanke in seiner Seele, daß es unrecht von ihm gehandelt sey, Clelien noch länger auf dem trügerischen Elemente den Gefahren auszusetzen, welche dieses selbst und der lebhaft auf ihm geführte Krieg bot. Zu Land schien ihm die Reise weit sicherer. Waren auch an manchen Stellen feindliche Haufen vorgedrungen, so konnte man ja das voraus erfahren und seine Maßregeln darnach treffen. Cornelius kannte aus seinen früheren Feldzügen alle Wege und Stege. Er war mit allen Kriegslisten vertraut, er konnte darauf rechnen, an den meisten Orten, die der Landweg berührte, Bekannte zu finden. Aber auf dem Schiffe? Hier war ringsum eine Schranke gezogen, die niemand überschreiten konnte. Wer einmal in diesen Kreis gebannt war, der mußte jedem Geschicke stehen, das sich in seine Bahn warf. War es der entsetzliche Sturm, der verwüstend heranstürzt und Alles vernichtet, was sich ihm entgegenstellt, war es die furchtbare Wasserhose, die in ihren Wirbel Segel, Masten und Schiffe wüthend hineinreißt, war es ein übermächtiger Feind, der das unbedeutende Fahrzeug unter der Last seines Gewichtes verächtlich in die Nacht der Wogen hinabdrücken konnte! Freilich hätte der verwegene Muth des jungen Kriegsmannes allen diesen Dingen Hohn gesprochen, aber Clelia – Nein! Nein! Ihr Leben, ihre Ehre durfte nicht länger diesen Gefahren ausgesetzt bleiben.

Die Abenddämmerung fing schon an, das kleine Gemach in Schatten zu hüllen. Sie befanden sich nicht weit von der Festung Willemstadt. Wie Jansen schon früher geäußert hatte, sollte die Barke bei einigen einsam stehenden Häusern in der Nähe dieses Ortes anlegen und es stand dann einem jeden frei, die Nacht am Lande, oder an Bord des Fahrzeuges zuzubringen.

Cornelius eröffnete Clelien seine Absicht. Er that dieses auf eine zarte und ehrerbietige Weise, die von ihr sehr wohl aufgenommen wurde und welche ihn selbst in einem vortheilhaften Lichte erscheinen ließ.

»Wie Ihr es für gut findet, lieber Junker!« entgegnete traulich und ungezwungen das Mädchen. »Ich habe immer nur still in meinem väterlichen Hause gelebt und bin unbekannt mit den Regeln der Vorsicht, die man auf Reisen beobachten muß. Ich verlasse mich ganz auf Euch in dieser Angelegenheit und ich glaube, ich kann es auch jetzt.«

Ein freundlicher und liebevoller Blick begleitete diese Worte.

»Bei dem Degen des großen Marlborough!« rief feuerig der junge Mann: »ich wäre nicht werth, unter König Wilhelm gefochten zu haben, wenn ich jemals Euer Vertrauen wieder zu täuschen vermöchte. Ihr habt ganz über mich zu gebieten, wie über einen Diener, der Euch den vollkommensten Gehorsam schuldig ist. Ja, Clelia, ich will Euch durch meine Ehrfurcht, durch Gehorsam und Treue dahin bringen, daß Ihr vergessen sollt, wie ich einmal diese Gefühle außer Augen gesetzt und Euch tief gekränkt habe durch schmählichen Betrug! Ihr sollt in Cornelius van Daalen einen neuen Menschen kennen lernen, der von dem alten nichts übrig behalten hat, als eben das wenige Gute, was an ihm war. Ich glaubte glücklich zu werden durch jenen unbesonnenen Streich, aber wie sehr habe ich mich geirrt! Es gibt kein entsetzlicheres Gefühl, als das des eigenen Unwerths, das fort und fort am Herzen nagt.«

»Ihr müßt nicht so Viel denken!« tröstete gutmüthig lächelnd Clelia. »Sonst war ja das Denken Euch zuwider, wie unserer Philippintje der Schiwa; warum wollt Ihr Euch jetzt in quälende Gedanken versenken, die doch nichts bessern können?«

»Mich können und sollen sie bessern;« entgegnete Cornelius mit einem Ernst, der ihm seltsam anstand. »Ich habe ihnen nur zu oft und zu lange meine Seele verschlossen, ich habe die köstlichsten Gaben des Menschen von mir verbannt, um ganz den Thorheiten zu leben, die ich aus dem wilden Kriegstreiben mitheimgebracht.«

»Nein, nein!« bat Clelia. »Ihr dürft Euere heitere Laune nicht verbannen, sie muß uns die Beschwerden der Reise erleichtern, sie wird uns unvermerkt und freundlich an den Ort unserer Bestimmung führen. Und weil Ihr mich doch einmal zu Euerer Gebieterin erkoren habt,« setzte sie schalkhaft und bedeutungsvoll hinzu, »so befehle ich Euch hiermit, jeden düsteren, unangenehmen Gedanken von Euch fern zu halten und fortan als ein freundlicher Gesellschafter mir zur Seiten zu bleiben!«

Sie stand auf und näherte sich der Thüre. Cornelius betrachtete sie mit Blicken voll Entzücken. Das war dieselbe Clelia nicht mehr, die mit kindischer Blödigkeit durch die Straßen von Rotterdam zur Kirche geschritten, die, wie einem Bibelspruche, den Worten Glauben geschenkt, welche der Leichtsinn ihr vorgeplaudert, die nichts kannte als den engen Raum des Hauses, als den Weg zur Kirche und wieder zurück, die mit großer Wichtigkeit jede Kleinigkeit behandelt, ohne der Dinge eigentliche Bedeutung zu erkennen. Wie verständig, wie schonend, wie zart und liebevoll zugleich begegnete sie nicht ihm, der doch so schwer gegen sie gefehlt! Welche Selbstbeherrschung wußte sie über sich zu üben, mit welcher Güte suchte sie ihn zu trösten und zu erheben und wie schön, wie unvergleichlich und reizend stand ihr nicht Alles an, was sie sagte und that!

»Sie ist ein Engel!« rief er aus, als sie durch die Thüre verschwunden war. »Und ich – ich – o! ich will den Himmel zu erringen suchen, den sie nur allein bereiten kann!«

Er eilte ihr nach und erreichte sie noch, ehe sie das Verdeck betrat. Auf diesem hatte indessen Alles eine andere Gestalt gewonnen. Die kriegerischen Rüstungen waren verschwunden, das Bord war von Waffentrümmern und Blut gesäubert worden, die Verwundeten befanden sich unter sorgsamer Pflege im Raume: Alles hatte ein friedliches Ansehen, nur der drohende Besen prangte noch an der Spitze des Mastes.

Auf dem Vorder- und Hinterverdecke erblickte man Gruppen fröhlicher Seeleute. Jansen war ein strenger, aber dabei auch ein gutmüthiger und jovialer Befehlshaber. Seine Leute hatten sich gut gehalten, sie hatten ihm einen großen Dienst geleistet, indem die reiche, von ihm verbürgte Ladung vor dem Spanier gerettet worden war. Er wollte ihnen nun auch vergelten, er wollte ihnen einen lustigen Abend machen. Ein Fäßchen Genever ward ihnen preißgegeben, die Mundrationen an Käse und Häring wurden verdoppelt und Tabak erhielt ein jeder soviel, daß er auf mehrere Wochen hin genug hatte. Was konnte das Herz eines holländischen Matrosen mehr begehren? Die Seeleute überließen sich auch einer Freude, die sie ganz aus der Ruhe und Stille, welche auf holländischen Schiffen gewöhnlich herrscht, herausriß. Sie scherzten und lachten, sie sangen allerlei Spottlieder auf die spanischen Dons, Volksgesänge, die damals im Gebrauche und in den Niederlanden allgemein verbreitet waren.

Als Cornelius auf dem Verdeck erschien, ward ihm von den Matrosen, die in einem Kreise am Vordertheile versammelt waren, ein lautes Vivat gebracht. Alle stürmten auf ihn zu. Er mußte mit jedem trinken, aber er nippte von dem Inhalte der dargebotenen Gläser nur zum Scheine und um keinen der fröhlichen Seeleute durch eine Weigerung zu kränken.

»Ein wackerer Junge!« rief der eine. »Er hat die Syrene gerettet. Ohne ihn hingen wir dem Spagnol im Schlepptau!«

»Schade, daß er kein Seehund ist!« schrie ein anderer. »Er würde das Meer rein halten von spanischen Don's und französischen Mosje's!«

»Er ist so tapfer, wie seine Schwester schön ist;« jubelte ein dritter, der dem Genever etwas mehr zugesprochen hatte, als seine Cameraden. »Auch seine Schwester soll leben!«

»Hoch!« stimmten die Uebrigen ein. Clelia wandte sich erröthend ab und ging mit dem Junker nach dem Platz am Steuerruder, wohin Jansens mächtige Stimme sie rief.

»Backbord und Bramsegel! Da ist unser unzertrennliches Geschwisterpaar;« empfing er sie in spöttischem Tone. »Der Held des Tages erscheint und die Heldin, denn ich wette zehn holländische Linienschiffe gegen ein Treekschujt, ohne die Schwester hätten wir uns noch mit dem Hidalgo herumbalgen können, bis mit Gotteshülfe der Kutter herbeigekommen wäre, um uns Beistand zu bringen! Kommt! Setzt Euch zu uns! Beckje hat einen warmen Würzwein gebraut, der sich wohl trinken läßt auf solche Arbeit und an Neuigkeiten zur Unterhaltung wird's auch nicht fehlen.«

Clelia war in einem so hohen Grade betroffen über den Anblick, den die hier befindliche Gesellschaft gewährte, daß sie von Jansens Rede wenig vernahm. Beckje saß recht behaglich auf der Bank neben ihrem Manne und – rauchte ihr Pfeifchen mit dem Anstande einer Raucherin, die längst die ersten Beschwerden dieses Vergnügens überwunden und das Lehrgeld der edeln Kunst abgetragen hat, nun aber sie in ihrem ganzen Umfange, in allen ihren Feinheiten zu würdigen und zu genießen versteht. Sie dampfte mit Jansen und dem Bootsmanne Herrmanneke, der auf der anderen Seite neben ihr saß, um die Wette. So wenig Jungfrau van Vlieten diesen Genuß dem zarten Geschlechte angemessen hielt, so war ihr doch recht wohl bekannt, daß viele Frauen in Holland, die durch ihren Beruf meistens im Freien beschäftigt sind, sich so an ihr Pfeifchen gewöhnen, daß es ihnen oft werther ist, als selbst der sonst so sehr beliebte Thee. Deshalb mochte sie auch der Frau des Capitäns nicht grollen über die Uebung einer Neigung, die ihr auch gut anstand und die sie mit vieler Zierlichkeit zu treiben wußte. Aber Clelia traute kaum ihren Augen, als sie auch Philippintje in einer recht traulichen und hingebenden Stellung neben dem Bootsmanne erblickte, ein großes Glas mit dampfendem Würzwein vor sich und zwischen den ängstlich zusammengekniffenen Lippen – ein dampfendes Stummelchen. Sie hatte das Gesicht widerwärtig verzogen, als kämpfe sie zwischen ihrem Willen und dem Uebelgeschmack der ungewohnten Sache. Sie wollte diesen aber mit Gewalt verbergen und der Zwang, den sie sich anthat, eine Behaglichkeit zu zeigen, die in diesen Augenblicken ihr ganz fremd war, gab ihr ein höchst lächerliches Ansehen. Sie schien übrigens gar nicht bestürzt, von ihrer jungen Gebieterin in dieser Beschäftigung betroffen zu werden. Sie sah sie so keck und sicher an, daß Clelia wohl ahnete, es müsse hinter dieser Gemüthsruhe noch etwas anderes stecken, als der bloße Weinmuth.

»Holland und England!« rief mit einem lauten Gelächter Junker Cornelius, indem er zu Philippintje trat. »Ihr raucht ja wie die spanische Schebecke, ehe sie gen Himmel fuhr! Nehmt Euch in acht! Wer das Kräutlein noch nicht kennt, soll nicht mit ihm scherzen. Die erste Bekanntschaft führt immer ihr Unangenehmes mit sich.«

»Stört mir das liebe Kind nicht!« legte sich Beckje eifrig dazwischen. »Sie weiß wohl, was sie thut und warum sie es thut. Auch hat sie schon treffliche Anlagen gezeigt und bis morgen – dafür ist mir gar nicht bange – hält sie mit Herrmanneke gleichen Schritt, der den ganzen Tag über an seinem Stummel kauet und den Schlaf nur deshalb nicht leiden kann, weil er sich mit dem Rauchen nicht verträgt.«

»Man muß sich an Alles gewöhnen!« sagte mit erzwungener Ruhe Philippintje, während eine leichte Blässe über ihre gefurchten Wangen flog. »Man weiß nicht, wo man es nöthig hat und wenn man es einmal kann, so braucht man wenigstens nicht zurückzustehen in einer guten Gesellschaft, wie die hier gegenwärtige.«

Mit einem tüchtigen Schlucke des dampfenden Getränkes suchte sie alle häßlichen Empfindungen, die sich ihr vorübergehend aufdrängten, hinabzuspülen. Der Bootsmann nickte ihr vertraulich und ermunternd zu. Es schien sich zwischen beiden ein Verständniß entsponnen zu haben, das Clelien neu war und das sie sich noch nicht erklären konnte.

»Du wirst dich krank machen, Philippintje;« sagte in gutmüthig ermahnendem Tone die Jungfrau. »Leg' die Pfeife weg! Für dich ist das Rauchen eine überflüßige Sache und im Hause meines Vaters würde dir es auf keine Weise gestattet werden.«

»Versuche es nur selbst einmal, Clötje!« erwiederte Philippintje und bot der abwehrenden Herrin die Pfeife dar. »Es ist etwas Köstliches. Es prickelt und pizgelt so angenehm auf der Zunge, daß ich es mit nichts vergleichen kann. Nur einen Zug, Clötje, und du wirst ganz anders sprechen.«

Clelia wandte sich mit Widerwillen zur Seite.

»Du magst nicht?« fuhr Philippintje fort. »Auch gut! Ich will dich nicht zwingen. Wenn du aber meinst, daß ich das Rauchen nicht nöthig hätte, so lebst du in einem großen Irrthume. Auch ist es ein löblicher und christlicher Gebrauch, denn unser Domine in Rotterdam raucht auch und noch dazu aus einer Pfeife, so groß wie eine Theekanne. Freilich würde in deines Vaters Hause der Tabaksrauch die Vorhänge schwärzen, die schöne weiße Wäsche verderben und dem hochmögenden Heern selbst wohl zur Last fallen; aber mein Haus wird in Zukunft ein anderes seyn. In freier Luft, zwischen Himmel und Wasser werde ich leben, das Steuerbord wird meine Küche, das Backbord mein Kämmerlein seyn. Ich werde keinen Caffee mehr brennen, keinen Zucker mehr stoßen, keine Rosinen mehr belesen. Alle diese Kleinigkeiten bleiben mir fern; nur die herrlichen Meereswogen werden mich umrauschen, der Sturm wird über mein Haupt hintoben – aber das ist mir Alles nur Spaß, das gilt mir jetzt nicht mehr, wie das Gebroddel im Theekessel, wenn das Wasser kocht. Vivat das Seeleben!«

Clelia stand erstarrt. Die Begeisterung, zu der Philippintje erhoben war, konnte nichts anderes, als eine Folge des reichlichen Genusses von Beckje's geistigem Getränk seyn. Sie entwickelte Ansichten und eine Lebendigkeit, die bisher bei ihr geschlummert hatten. Jansens und seiner Frau heimliches und bedeutungsvolles Lachen ließen Cornelius vermuthen, daß irgend ein seltsames Geheimniß hinter der ganzen Sache verborgen sey. Nur Herrmanneke bewahrte seinen Gleichmuth, sah ernsthaft vor sich hin und ließ im Uebrigen seinem Glase Gerechtigkeit widerfahren.

»Rauchen muß sie, wenn ich sie heirathen soll!« begann jetzt der Bootsmann mit fester und ruhiger Stimme. »Was hilft mir aller Caffee, aller Zucker, aller Thee und selbst die Fäßlein Genever, die sie, wie sie sagt, ihrem Heern verschlampt hat, wenn sie nicht mit mir eine Pfeife rauchen kann und wenn ich sie nicht vom Dampfe verschönert sehe, der wie ein Schleier um ihr Antlitz schwebt und die Runzeln unkenntlich macht. Ja, sie muß rauchen! Hundert Dukaten jährlichen Einkommens fallen ihr einmal heim, wie sie versichert, aber an dem Gelde ist mir nichts gelegen, denn ich lebe und sterbe am Borde der Syrene mit dem Stummel im Munde. Mann und Weib sind ein Leib; deshalb muß sie rauchen. Ich habe ihr die Ehe versprochen und ihr einen halben Ruyter auf die Hand gegeben gegen einen silbernen Reif, den sie mir verehrt; aber Alles unter der Bedingung, daß sie Tabak raucht und gleich im Augenblicke anfängt zur Probe. Sie hat es rechtschaffen gethan und Blixen! es soll ihr gut gehen, als eines Bootsmanns Frau, wenn sie gut raucht.«

»So ist es, mein Clötje!« bestätigte die liebenswürdige Braut Herrmanneke's, indem sie von Neuem die Pfeife zu den bleichen, zuckenden Lippen führte, die sie einige Augenblicke lang hatte ruhen lassen. »Ich bin noch früher in den lieben Brautstand gekommen, als du, Kind, und das ist nicht mehr als recht und billig, da ich einige Jahre älter bin. Aber sey nicht traurig deshalb, Clötje! Auch dich wird die Reihe treffen und wir Beide werden dann glücklich seyn, du zu Land und ich zu Wasser. Habe ich ihm denn widerstehen können, dem Schalk von Bootsmann, wie Ihr ihn da seht? O, er besitzt' Ueberredungskünste, mit denen er nur zu leicht ein unerfahrenes Mädchenherz bezwingt! Und dann – ach, Clötje! Gott hat ihn gezeichnet, aber nicht zum Bösen sondern zum Guten. Er hat ihn gezeichnet mit der Gestalt, mit den Gebehrden und den Gesichtszügen meines seligen Balthasar! Es war mir als kehre dieser aus dem Grabe zurück und begehre die Liebe, die ich ihm gelobt. Und das Rauchen! Hat denn nicht der liebe Balthasar auch seine Pfeife geliebt und den amerikanischen Canaster, den ich ihm aus des Heern Gewölbe oft zugesteckt, wie sein Leben? Wer kann für sein Herz, Seelen-Clötje? Es ist ein schwaches und wankelmüthiges Ding, wie schon die Schrift sagt und die Schrift Lügen strafen, wäre sündlich! Habe ich nun die ersten Tage meiner Jugend als Jungfrau Philippintje in Ehren verlebt, so will ich nun die schönste Zeit meines Lebens als Frau Bootsmann auf der Syrene genießen.«

»Aber Philippintje,« flüsterte Clelia, die hinter sie getreten war, ihr in's Ohr, »denkst du denn gar nicht mehr an mich, an meine Lage, an mein Verhältniß mit Junker Cornelius, an dein Versprechen uns zu begleiten zu der Muhme und dort das Weitere zu erwarten?«

»Ja, ja! Ich erinnere mich wohl!« entgegnete die glückliche Braut und blies eine dicke Dampfwolke vor sich hin. »Umstände verändern die Sache. Ich hatte Unrecht, so etwas zu versprechen, denn der Mensch steht in Gottes Hand und soll nicht eigenmächtig über sich verfügen; ich würde noch größeres Unrecht haben, wenn ich ein so sündiges Versprechen halten wollte. Führe mich nicht in Versuchung, Clötje! Du warst sonst immer ein frommes Kind und wirst deiner Herzensfreundin nichts Schlechtes zumuthen wollen. Weißt du was, Kind? Heirathe du deinen Bruder, den Junker Cornelius: dann ist uns allen geholfen!«

Erglühend trat Clelia zurück und wandte ihr Gesicht ab, indem sie auf das Ufer mit den gastlichen Wohnungen blickte, dem sich die Barke näherte. Beckje und Jansen hatten sich bei Philippintje's unbedachtsamer Aeußerung bedeutungsvolle Blicke zugeworfen, als sähen sie nun bestätigt, was sie bereits geahnt.

»Philippintje,« sagte jetzt Cornelius, der Clelias Stelle hinter dem Sitze der schmauchenden Hausjungfer eingenommen hatte, mit erbittertem und verbissenem Tone: »Ihr kennt unsern Vertrag. Hundert Dukaten jährlich auf Lebenslang, wenn Ihr bei uns bleibt, bis alles geschlichtet ist, zwischen uns und Heern Tobias; keinen Deut, wenn Ihr früher uns verlaßt!«

»Was frag' ich viel nach Geld und Gut, wenn ich zufrieden bin!« erwiederte das Mädchen und trank einmal dazu. »Behaltet Euere Dukaten und ich behalte meinen Bootsmann. Herrmanneke macht sich nichts aus dem Gelde, wie Ihr selbst gehört habt, und mir geht jetzt seine Liebe über Alles. Ja, das eigentliche Leben soll nun erst recht anfangen! In der Küche und in der Rauchkammer ist meines Bleibens nicht mehr, ich muß hinaus in die frohe, weite Welt. Niemand soll mich davon abhalten und gegen Gewalt wird mich mein Bootsmann schützen.«

»Das wird er!« versicherte Herrmanneke, indem er die geballte Rechte drohend vor sich hinstreckte und mit der Linken an das Messer in seinem Gürtel griff. »Wenn sie raucht und mich haben will, so sollen sie tausend Teufel nicht von mir losreißen. Galgen und Rad schneide ich dem ins Gesicht, der sich dagegen auflehnt und trüge er einen Bratspieß an der Seite, so lang wie die große Raa eines Dreideckers, und wäre er noch dazu der beste Freund meines Capitäns! Abspenstig lasse ich mir meine Braut nicht machen, notabene: wenn sie raucht.«

In diesem Augenblicke stieß die Barke an's Land. Es war völlig dämmerig geworden. Aus den Häusern am Ufer schimmerten freundliche Lichter herüber. Auch schien es ziemlich lustig dort herzugehen. In einer der Wohnungen, die am Hellsten erleuchtet war, ertönte Musik: eine Sackpfeife und eine Geige, die sich in den schreiendsten Mißlauten zu überbieten suchten. Am Strande war Niemand zu sehen. Irgend ein Ereigniß im Innern ihrer Häuser mochte den Bewohnern in diesem Augenblicke wichtiger erscheinen, als die Ankunft eines Fahrzeuges, das sie schon oft bei sich gesehen hatten und dessen Mannschaft ihnen genau bekannt war.

Jenes Haus, aus welchem die Musik herüberschallte, wurde dem fragenden Cornelius von Jansen als das bezeichnet, wo er Bewirthung und Nachtlager finden könne.

»Beckje, ich und meine Leute, wir bleiben an Bord,« setzte der Capitän hinzu. »Wir sind das so gewohnt und überdem müssen wir jetzt noch besonders auf unserer Hut seyn. Morgen früh um sechs Uhr werden die Anker gelichtet, die Böller geben das Zeichen und wer dann nicht an Bord ist, der bleibt am Lande: so will es die Schiffsregel. Gute Nacht, Cornelius.«

Dieser war schon Clelien nachgeeilt. Das Mädchen empfand eine besondere Sehnsucht, den festen Boden zu betreten und in der gewohnten Umgebung häuslicher Gegenstände sich von den Abentheuern des Tages zu sammeln und zu erholen. Sie stand dicht am Rande des Schiffes, der das Ufer berührte. Cornelius hatte sie erreicht und ergriff ihren Arm, um ihr an's Land zu helfen.

»Nehmt mich mit! Nehmt mich mit!« rief da Philippintje's Jammerstimme. »Ist das recht und fromm von dir gehandelt, Clötje, daß du Diejenige, die Mutterstelle bei dir vertreten hat, zurücklassen willst, wenn du zu Musik und Freude gehest? Warte nur, Kind! Ich komme schon, ich komme.«

Sie warf dem überraschten Bootsmann die Pfeife hin und stand eilig auf. Aber das Schiff, Himmel, Wasser und Land dreheten sich um sie in wirbelnden Kreisen. Vor ihren Augen flammten Blitze auf, sie durchzuckten schmerzhaft ihr Haupt, sie verwirrten sie, so daß sie kaum wußte, wohin sie ihre Schritte richten sollte. Wie das Hohngelächter höllischer Geister tönte ihr dazwischen der Spott Jansens und Beckje's in die Ohren, die ihren Zustand erkannten und eine Lust daran fanden, die bei Leuten ihres Gewerbes wohl zu entschuldigen war. Dem entsetzlichen Schiwa gleich starrte Herrmanneke's Angesicht aus einer dicken Rauchwolke ihr entgegen. Taumelnd entfloh sie. Sie griff sich an dem Schiffsgeländer fort bis zu dem Junker van Daalen hin. Diesem, der eben Clelien an's Land gehoben hatte, sank sie in die Arme.

»Die nehme ich nicht!« sprach ganz ruhig der Bootsmann hinter ihr her. »Sie lernt das Rauchen nimmermehr. Der Tabak verträgt sich nicht mit ihrer Natur und eine so bejahrte Natur läßt sich nicht zwingen.«

Indessen hatte sich Philippintje, von tödtlicher Beängstigung ergriffen, fest an Cornelius geklammert. Ihr Antlitz brannte in Fiebergluth, sie zitterte an allen Gliedern.

»O nehmt mich mit, Herzensjunker!« flehete sie. »Ich bin elend, ich bin krank, der Tod sitzt mir schon auf der Zunge und ich fühle es, ich überlebe die Nacht nicht! Ihr habt mich fortgelockt aus dem Hause, wo alle Herrlichkeiten der Welt, Caffee, Zucker, Thee und Rosinen mir im Ueberflusse zu Gebote standen, Ihr müßt nun auch für mich sorgen und mir ein ruhiges Sterbestündlein bereiten, mit dem Siechentröster, und ein ehrliches Begräbniß mit dem schwarzbeflorten Ansprecher [ * ] Aanspreeker. Dieser ladet die Gäste zum Leichenbegängnisse ein und führt den feierlichen Zug an. und dem stattlichen Leichenkonducte. Auf einmal ist mir's an's Herz geschossen eiskalt und in den Kopf siedend heiß und ich weiß nun, daß es aus ist und ich bald Rechenschaft geben muß von jedem Stückchen Canel, von jedem Loth Zucker, von allen Dingen, die ich dem hochmögenden Heern Tobias van Vlieten ungetreu vertragen. Und wie wird's mir gehen, wenn die Rede kommt auf den gottlosen Schiwa, daß ich ihn alle Sonnabende gewaschen und gebürstet habe? Aber, nein! Das fällt mir nicht zur Last, das war im Herrendienste und der geht vor Gottesdienst.«

Cornelius sah ein, daß Philippintje auf dem Wege war, in einer freilich schmerzhaften und quälenden Weise, von ihrer Verirrung geheilt zu werden. Es mußte ihm viel daran gelegen seyn, sie als Cleliens Gesellschafterin beizubehalten. Er war überzeugt, daß sie, wenn sie wieder völlig Herrin ihrer Besinnung geworden, ihren Vortheil zu sehr in Anschlag bringen werde, um noch weiter an die tolle Heirath mit Herrmanneke zu denken. Rasch schwang er die Jammernde auf seinen Arm und schritt, von der unbedeutenden Last wenig gehemmt, Clelien nach, die indessen sich den hell erleuchteten Häusern genähert hatte.

»Sie ist krank,« sagte er in gedämpftem Tone zu der erschreckenden Geliebten: »aber es wird vorübergehen und keine schlimmen, sondern für uns die besten Folgen haben.«

»Ja, Clötje, mein Kind, ich bin elend zum Sterben;« wimmerte Philippintje von Cornelius Schulter herab. »Die Strafe folgt der Sünde auf dem Fuße und ich muß nun sterben an der Pfeife Tabak, die ich dem verführerischen Bootsmann zu Gefallen geraucht. Aber verlaß mich nicht in meiner letzten Stunde! Denke daran zurück, wie ich deiner gepflegt, als du im Scharlachfieber und in den Blattern lagst, wie ich Tag und Nacht bei dir hingebracht und jeder Bissen, den du genossest, jeder Trunk, der dir Kühlung brachte, durch meine Hand gegangen ist. Gehe auch mit zu meiner Leiche, Kind! Lege mir einen Kranz von weißen Blumen auf das Grab, wie er mir gebührt, als einer heimgegangenen Jungfrau.«

Clelia, in deren Seele sich mitleidige Theilnahme in einem hohen Grade regte, wollte die Bedrängte trösten, aber diese hörte nicht darauf. Ihre Klage verlor sich in ein unartikulirtes Weinen, das nur durch einzelne Ausrufungen ohne besondere Bedeutung gestört wurde. Sie rührte sich nicht, sie schien aller Herrschaft über ihre Glieder beraubt.

Als die Reisenden das Haus betraten, nach dem sie Jansen hingewiesen hatte, fanden sie den Hausflur festlich geschmückt. Es glänzte Alles von Reinlichkeit, der rothe Backsteinboden war mit farbigem Sand in allerlei zierlichen Figuren bestreut, an den Wänden hingen Kränze von künstlichen Blumen aus buntem Papier geschnitten, zwischen diesen Schildereien von unterschiedenem Werthe.

Die Musik tönte aus der Küche, die in vielen Häusern auf dem Lande auch zugleich das Prunkgemach ist, in dem man die Gäste empfängt. Cornelius und Clelia waren zu vertraut mit den Gewohnheiten ihres Vaterlandes, um nicht sogleich den Zweck der nahe an der Hausthüre aufgestellten großen Filzschuhe zu erkennen und sie über die ihrigen zu ziehen, damit der saubere Hausgang und der Porzellanboden der Küche, in der sie nun die Hausfrau aufsuchen mußten, nicht befleckt würden.

Es ging sehr lustig her in der Küche, nämlich in so weit es die holländischen Anstandsregeln erlaubten. Vor dem blankstrahlenden Heerde thronte auf einem erhabenem Sitze die Wirthin des Hauses, eine Frau von mittlerem Alter, die mit unerschütterlicher Gemüthsruhe in die Tasse Thee blickte, die eben die eine Hand zum Munde führte, während die andere eine Butterschnitte mit geräuchertem Stockfisch hielt. Ihre Stirn wurde von einer ungeheueren Spitzenhaube beschattet, bis zum Halse steckte sie in der reichbeblumten Calamankjacke, deren mächtige Schöße weit über die Kniee hinabreichten. In ähnlicher Beschäftigung und Haltung sassen in einem Halbkreise ihre Freundinnen und Nachbarinnen ihr zur Seite. Alle sahen starr in die dampfenden Theetassen und auf den duftenden Stockfisch des Butterbrotes. Nur zeichneten sich die Gäste von der Hausfrau dadurch aus, daß sie sämmtlich die großen schwarzen Regentücher, deren Zipfel den Boden berührten, um den Kopf geschlungen hatten, welche die Holländerinnen auf dem Lande, sobald sie nur die Schwelle ihrer Wohnungen übertreten, bei Sonnenschein und Schneegestöber, bei Windstille und Sturm, nicht verlassen. Im Uebrigen schien sich die ganze Gesellschaft sehr behaglich zu fühlen. Keiner der Theetrinkenden fehlte das beliebte, sanft von unten erwärmende Feuerstövchen und jede hatte zu gelegentlicher Dienstleistung das zierliche Quispeldöschen neben sich. Es war eine Gesellschaft von Freundinnen im höchsten Grade der geselligen Freude: keine sprach ein Wort, aber alle Bedürfnisse holländischer Bequemlichkeit waren befriedigt und das blank gescheuerte, funkelnde und strahlende Messing- und Kupfergeschirr, der glänzende Reichthum des englischen Zinns, des japanischen Porzellans in den gebohnten Glasschränken erquickte noch überdem die Augen der versammelten Frauen, wenn sie diese einmal von der Theetasse und vom Stockfische aufschlugen. Je weniger aber die Gesellschaft sich laut machte, desto mehr glaubten die zwei Musikanten für eine lärmende Unterhaltung sorgen zu müssen. Der Dudelsackbläser, eine hagere bleiche Figur, schien die letzten Odemzüge aufwenden zu wollen, um durch seine melodischen Töne über die schwer zu erschütternden Herzen seiner Zuhörerinnen zu siegen. Der Geiger, noch kleiner und hagerer, rang mit ihm um den Preis des Sieges. Beide sassen in einem Winkel der Küche auf einer umgestürzten Tonne und hatten einen ungeheueren Bierkrug zwischen sich.

Wenn der Zweck, der diese muntere Gesellschaft hier vereinigt hatte, nicht durch sie selbst und ihre Aeusserungen klar wurde, so befand sich doch ein Gegenstand in der Küche, der jedem Eingebornen sogleich einen vollständigen Aufschluß gab. Es war nämlich Kuh-Visite bei der gastfreien Wirthin und die geschlachtete, ausgeweidete, zierlich mit Bändern und goldpapiernen Blumen geschmückte Dulderin, die den Bedürfnissen des nahenden Winters zum Opfer gefallen war, hing an einem eigenen Gestelle von hell polirtem Nußbaumholz der Hausfrau gerade gegenüber, so daß sie von allen Anwesenden fortwährend angeschaut und bewundert werden konnte. Sie hatte das treue Haupt nach ihrer ehemaligen Herrin hingewendet und sah diese aus den lichtlosen Augenhölen ebenso geistreich an, wie sie wiederum von ihr in einzelnen Augenblicken der Trennung von Thee und Stockfisch, angeblickt wurde. Es lag wirklich etwas Rührendes in dem Umtausche dieser Blicke. Beide waren gewiß Herzensfreundinnen gewesen, aber das unerbittliche Schicksal hatte geboten und die eine mußte fallen, wenn auch nicht unter der Hand der Freundin, doch unter ihren Augen und auf ihr Geheiß.

Kaum hatte Cornelius einen Blick in die hell erleuchtete Küche geworfen, so sah er auch gleich die Bedeutung des Festes ein und daß er dieses nicht durch einen Aufruf der Wirthin stören dürfe.

»Janneke!« rief er zurücktretend, und sogleich haspelte sich hinter der Tonne, auf welcher die Musikanten ihr entsetzliches Gelärm trieben, der Hausknecht hervor, der gewöhnlich in Holland bei diesem Namen gerufen wird. Dem kleinen kugelrunden Burschen fiel es schwer, sich zwischen den trinkenden Frauen hindurch zu winden, ohne eine von diesen, was ein unverzeihliches Verbrechen gewesen wäre, durch Berührung zu stören. Er begann auf verschiedenen Seiten seine Versuche, aber hier traten ihm die ungeheueren Schöße einer Calamankjacke, dort die langen Zipfel eines Regentuches in den Weg. Gerade gehend hindurchzukommen, war eine reine Unmöglichkeit, denn die Ellnbogen der Damen hielten so eng zusammen, daß bei dem taktmäßigen Theetrinken, zu dem die Hausfrau immer das Zeichen gab, eine allgemeine geräuschvolle Reibung entstand. Endlich faßte Janneke einen raschen Entschluß zu einer kühnen That. Er warf sich nahe an der Küchenwand glatt auf den Leib nieder und kroch nun zwischen dieser und dem eher zu berührenden Feuerstövchen, das die Füße der hier sitzenden trug, hervor, um das Verlangen des angekommenen Gastes zu vernehmen.

Er stand odemlos vor dem Reisenden und sah mit Blicken dummen Erstaunens auf Philippintje, die noch immer seufzend und stöhnend auf Cornelius Schultern ruhete und seinen Hals so ängstlich umklammert hielt, als wolle sie ihn nicht lassen ihr Lebelang. Des Junkers Gebot trieb den Hausknecht, sie in das Gastzimmer des obern Stocks zu führen, wo der Kriegsmann sich sogleich seiner süßen Last entledigte und sie auf ein Ruhebett niederließ.

»Das ist mein letztes Lager!« sagte mit sehr schwacher Stimme Philippintje, die nur Leiden, aber nicht Freuden des Brautstandes kennen lernen sollte. »Ich war des ledigen Standes müde und wollte nun selbander das Glück der Jugend genießen, denn: ›es ist nicht gut, daß du allein seyst,‹ und: ›Er schuf ein Männlein und ein Fräulein;‹ sagt die Schrift. Aber es soll nicht seyn! Das Beißen und Prickeln auf der Zunge und in den Augen hätte ich wohl ertragen dem Bootsmanne zu Liebe, aber der Qualm ist mir in's Herz gedrungen und will nun heraus und wird es zersprengen zur Strafe meiner Sünden. Ach, wer nur ein reines Gewissen hätte in dieser Stunde!« fuhr sie jammernd fort. »Aber was liegt nicht Alles darauf und drückt es schwer hinab, so daß es sich nicht erheben kann von der Erde? Clötje, wenn du je wieder heim kommest in die fromme Stadt Rotterdam, so sprich deinen Vater an um Verzeihung für die arme Sünderin, die dann nicht mehr lebt und gestraft worden ist durch das, woran sie gesündigt. Entdecke ihm, daß der kostbare Canaster, den er so oft im Gewölbe vermißt, durch mich dem Domine zugetragen worden, daß ich glaubte mir mit dem Tabak ein Stühlchen im Himmel zu erbauen, das aber, wie ich nun wohl einsehe, ein rauchender, quälender Sitz in der Hölle geworden ist. Ich kann nicht mehr, lebe wohl, Clötje! Haltet sie gut, Junker Cornelius!«

Sie schwieg und kehrte sich tief aufseufzend nach der Wandseite. So große Unbequemlichkeit dieser Zustand ihr auch erregen mußte, so hatte er doch nichts, was ernstliche Besorgnisse hätte verursachen können. Bis zum Morgen war gewiß Alles vorüber und Philippintje war um eine gute Lehre und eine nützliche Erfahrung reicher!

»Laßt mich allein mit ihr, Junker Cornelius!« bat Clelia. »Sie wird sich eher beruhigen und alle Pflege, deren sie bedarf, kann sie von mir erhalten. Sendet mir nur Thee. Der wird die beste Arznei für sie seyn.«

Cornelius schob den Hausknecht, der noch immer das ihm unbegreifliche Schauspiel anglotzte, vor sich her zur Thüre hinaus. Er sorgte dafür, daß der verlangte Trank in das Krankenzimmer gebracht wurde und überließ sich dem Nachdenken über seine tollen Streiche und die Begebenheiten des heutigen Tages, indem er, bei dem Klange der schreienden Instrumente, vor dem Hause auf und nieder ging. Es war ein sternenheller Abend. Für einen der letzten Tage des Oktobers wehete die Luft ziemlich lau. In den leicht bewegten Wellen schwankte das Spiegelbild des Mondes lieblich hin und her. Von der Barke schwammen einzelne laute Worte, munteres Gelächter und der Gesang Beckje's herüber. Cornelius empfand einen Augenblick Lust, seinem Freunde Jansen noch einen späten Besuch zu machen; allein diese Anwandlung verlor sich bald in ernste Betrachtungen über seine Lage, über die Zukunft, der er Clelien ausgesetzt. Eine finstere Stimmung, wie er sie früher nie gekannt, bemächtigte sich seiner. Es war Unzufriedenheit mit sich selbst, mit dem Schicksale, das ihn, wie er meinte, dahin getrieben, dumme Streiche zu machen.

Er war wohl über eine Stunde in solche Gedanken versunken am Strande hin und her gewandelt, als die Musik im Innern des Hauses verstummte. Schweigend und geisterartig schlichen die schwarz verhüllten Frauen von der Kuhvisite nach Hause. Sie waren selig in ihrem Innern. Sie hatten ja Thee getrunken und Butterbrod mit Stockfisch gespeist! Welcher Wunsch, welche Sehnsucht wäre noch in ihren Herzen zurückgeblieben?

Auf die Ermahnung Janneke's, der die Hausthüre verschließen wollte, begab sich Cornelius in die gastliche Wohnung zurück und suchte sein Zimmer. Er gedachte einige Stunden zu ruhen, aber die Schwermuth, die über ihn gekommen war, verscheuchte den Schlaf von seinen Augen. Er fühlte, daß er in einem Wendepunkte seines Lebens stehe. Die tausendfarbigen Bilder, die der Leichtsinn erschaffen, die seine Phantasie genährt hatte, waren in dunkele Nacht untergegangen. Die Zukunft starrte ihm mit einem finstern, drohenden Antlitze entgegen; aber er beschloß gegen alles Ueble, das sie bringen könne, zu kämpfen, wie ein Mann, Clelien als unerschütterlicher Beschützer redlich zur Seite zu stehen und sich das geliebte Mädchen, das seine Unbesonnenheit aus dem ruhigen Geleise ihres häuslichen Lebens gerissen, durch ein edles Benehmen zu gewinnen. –

Wir müßten den Pinsel und den Sinn eines niederländischen Malers für solche Dinge besitzen, wollten wir – wenn es auch der Leser vergönnte – alle Qualen und Uebel, die Philippintje im Laufe dieser Nacht überstand, zu schildern versuchen. Es war schon nahe gegen Morgen, als Junker van Daalen durch den Hausknecht in das Krankenzimmer beschieden wurde, wo man seiner begehre. In einem Augenblicke war er drüben.

Die Gepeinigte saß halbaufrecht und reichte ihm sehnsuchtsvoll beide Arme entgegen. Clelia stand an einem Tische und bereitete frischen Thee, während sie ihn aus dem bleichen, überwachten Angesichte freundlich anlächelte.

»Ach, es ist gut, daß Ihr kommt, hochedler Junker!« sagte Philippintje mit gepreßter, aber doch erkräftigter Stimme. »Ich kann nicht leben und nicht sterben. Das Goldstück, das mir Herrmanneke für das Verlöbniß auf die Hand gegeben, brennt mir auf dem Herzen und läßt mich nicht von dannen fahren. Erzeigt mir noch einen Dienst auf der Welt, den letzten Liebesdienst. Nehmt das Goldstück, gebt es ihm zurück und bringt mir den Ring wieder, den ich treuer hätte bewahren sollen, da er noch von Balthasar selig stammt. Ich habe furchtbare Dinge gesehen in dieser Nacht. Auf der einen Seite stand Balthasar, auf der anderen, mit dem Stummel im Munde, Herrmanneke, und beide rissen sich um mich, wie die höllischen Geister um eine arme Seele. Das Gezerre wollte kein Ende nehmen. Da trat aus dem schrecklichen Tabaksqualm, den der Bootsmann verbreitete, Heern Tobias van Vlieten's lange hagere Gestalt hervor und schrie mit Donnerstimme: Hebt Euch weg von ihr, denn sie ist mein, weil sie mir ihre Seele dahingegeben hat für Caffee und Zucker, so sie mir gestohlen! Balthasar und Herrmanneke verschwanden und ich glaubte nun nicht anders, als der hochmögende Heer werde mir den Hals umdrehen, so daß ich mit dem schwarzangelaufenen Gesichte hinter mich sehen müßte, allem Gebrauche und aller Schicklichkeit zuwider. Aber Clötje's liebe Stimme, die tröstlich dazwischen klang, verscheuchte die entsetzlichen Bilder und der Zuckerthee, den sie mir einflöste, trieb den kalten Schauer fort, der mir durch alle Glieder rann. Geht, hochedler Junker, geht: ich beschwöre Euch! Die Seele will sich vom Leibe lösen, aber sie vermag es nicht, denn das Goldstück und der Ring hält sie am Irdischen fest. Da ist der halbe Ruyter des Bootsmannes. Holt mir meinen Ring und bringt mir gleich auch den Siechentröster und den Ansprecher mit!«

Aus Philippintje's überströmender Redseligkeit erkannte der Junker, daß ihr Uebel bereits im Abnehmen sey und nur die erregte Einbildungskraft ihr noch immer den Tod als eine nahe, unvermeidliche Sache vorspiegle. Ein Wink Clelia's bestimmte ihn, das Goldstück aus Philippintje's bebender Hand anzunehmen.

»Nun eilt, eilt, hochmögender Heer Cornelius!« flehete sie von Neuem. »Laßt die arme Seele nicht zu lange kämpfen und nach Erlösung schmachten! Sagt dem Bootsmann, daß wir geschieden seyen für die irdische Zeitlichkeit und die himmlische Ewigkeit! Er hat mich ums Leben gebracht mit seiner Pfeife, aber ich verzeihe es ihm auf dem Sterbebett, als eine gute Christin, die keinen Groll mit hinübernimmt ins Himmelreich. Eilt, lieber Junker! Erlöset die arme Seele!«

Sie sank in die Kissen zurück. Ehe noch Cornelius die Thüre erreichte, verriethen schon laute unmelodische Töne, die ihren Lippen entschwebten, daß sie in einen tiefen, ihr wahrscheinlich höchst wohlthätigen Schlaf gefallen sey.

Es war ein kühler, feuchter Morgen. Dicke Nebel lagen auf dem Hollands-Diep und dem flachen Küstenlande. Wie durch einen grauen Flor schimmerte die Leuchte von der Barke herüber. Noch fand Cornelius niemand ermuntert, als den Bootsmann, den er suchte und der am Steuer Wacht hielt. Die glimmende Pfeife in Herrmanneke's Munde zeigte dem Junker den Weg. Es hielt nicht schwer, jenen zu bewegen den leichten silbernen Ring, den er von Philippintje als Liebeszeichen empfangen hatte, gegen das werthvollere Goldstück herauszugeben.

»Ich möchte sie nicht, und wenn sie in Zucker und Caffee eingepöckelt wäre!« sagte der unfeine Seemann. »Was thäte ich mit einer Frau, der eine halbe Pfeife Tabak den Kopf verdreht und die den Wachholder wohl gern haben mag, aber keine Natur, ihn zu vertragen? Es ist auch besser, ich bleibe ledig. Capitän Jansen zahlt mir doch nicht mehr, wenn ich auch eine Frau nehme und da meine Frau durchaus Tabak rauchen muß, so gäbe das eine doppelte Ausgabe, die ich am Ende nicht bestreiten könnte. Sie hatte mich beschwatzt, die Jungfrau! Sie sprach mir so viel vor von meiner Aehnlichkeit mit ihrem lieben seligen Balthasar, von ihrem Reichthum an Zucker, Caffee und selbst Canaster, daß es mir am Ende in den Sinn kam: Blixen! das wäre eine Frau für dich. Ich platzte heraus mit dem Antrag und sie hielt mich fest an meinen Worten, wie die Harpune den Wallfisch. Und als sie sich gar eine Pfeife stopfte und anfing zu dampfen, wie ein Alter, da ging mir das Herz auf, als wäre ich erst zwanzig Jahre alt und sie wäre ein Mädchen von siebzehn. Ich sah sie nicht hinter der Rauchwolke und machte mir weiß, sie wäre entsetzlich schön. Doch genug von dem Schatze! Es ist vorbei und ich will sie mir aus dem Sinn schlagen.«

Er stieg auf und machte einen Gang nach dem Vorderkastelle hin. Cornelius suchte indessen Clelia's Gepäck zusammen und rief den Schiffsjungen, der in der Küche schlummerte, herbei, damit er es an's Land trage. Jansen war nirgends zu sehen. Der Junker ließ ihn und Beckje durch Herrmanneke grüßen und von der Veränderung seines Reiseplans benachrichtigen.

Als Cornelius wieder leise in das Frauengemach trat, um den Erfolg seiner Sendung zu melden, lag Philippintje noch in tiefem Schlafe. Auch Clelia war auf ihrem Sitze in einen leichten Schlummer gefallen. Er näherte sich ihr vorsichtig. Er konnte sich das Vergnügen nicht versagen, die reizende Geliebte, deren Wangen mit lieblichen Rosen prangten, einige Augenblicke zu betrachten. Ihre Odemzüge waren sanft; leicht hob sich die Brust, in der alles Glück seiner Zukunft ruhete. Die geschlossenen Wimpern zuckten, um die Purpurlippen begann ein freundliches Lächeln zu spielen.

»Cornelius!« bebte es von dem halbgeöffneten Munde.

Sein Entzücken war vollkommen. Er mußte sich bezwingen, nicht laut den Namen der Geliebten zu rufen, nicht den süßen Traum zu stören, dessen glücklicher Gegenstand er war. Kaum konnten sich seine Blicke von ihr trennen. Wie schön war sie doch! Der Engel seines Lebens, von dem er nicht allein ein glückliches, auch ein edleres Daseyn erwarten konnte, lag da in sanfter Ruhe, den Himmel im schönen Antlitze, der im Herzen heimisch war. Von einem Gefühle der Ehrfurcht ergriffen, trat er zurück. Es that ihm leid, schon so lange verweilt zu haben, es war ihm, als habe er einen Verrath an dem herrlichen Mädchen begangen.

Auch er genoß jetzt einiger Stunden ruhigen Schlummers. Als er erwachte und durch's Fenster sah auf den Spiegel des Hollands-Diep, war es hell geworden, die Sonne stand schon ziemlich hoch, von der Syrene war nichts mehr zu erblicken. Die Heiterkeit, die auf Land und Wasser ruhete, fand er auch in seinem Gemüthe wieder. Der Anblick der ruhig schlummernden Clelia hatte einen unbeschreiblichen Eindruck auf ihn gemacht, und sich so fest in seine Seele geprägt, daß er das liebliche Bild fortwährend vor sich zu sehen wähnte. Seine guten Vorsätze gaben ihm die Zufriedenheit mit sich selbst zurück. Er nannte den frohen Sinn, der ihn immer belebt hatte, wieder sein Eigenthum, aber er war nun auch überzeugt, Festigkeit und Willen zu besitzen, ihn zu zügeln, daß er nicht wieder seine Dämme durchbreche und in unbesonnenen, tollen Streichen ausströme.

Erst gegen Mittag fand er Einlaß bei Clelien. Philippintje war, wie er vorausgesehen hatte, frisch und gesund, fuhr geschäftig im Zimmer umher und suchte seine Blicke zu vermeiden. Als er ihr den silbernen Ring zurückgab, trat eine Thräne in ihr Auge.

»Hat es ihm nicht sehr wehe gethan, dem Herrmanneke?« fragte sie. »Um Gotteswillen! Er hat sich doch nicht etwa ein Leid zugefügt?«

»Das ich nicht wüßte!« versetzte kaltblütig Junker Cornelius. »Er schien im Gegentheile ganz zufrieden mit dieser Wendung der Sache. Eine Frau, die das Rauchen nicht ertragen könne, wäre ein für allemal nichts für ihn, meinte er.«

»Der Bösewicht!« grollte Philippintje. »Er hätte es doch noch einmal probiren können! Aber ich verliere nichts an ihm. Frau Bootsmann kann ich immer noch werden.«

Alles war zur Fortsetzung der Reise auf dem Landwege bereit. Sie hatten einen weiten, ziemlich unbebaueten Landstrich zu durchziehen. Mancherlei Beschwerlichkeiten stellten sich ihnen in den Weg, aber sie durften auch hoffen, hier nicht so leicht auf feindliche Streifpartheien zu stoßen, die sich mehr in jenen Gegenden hielten, wo sie erwarten konnten, ihre Raub- und Plünderungssucht befriedigt zu sehen.

Cornelius hatte, vermittelst guter Bezahlung – er war gewohnt, immer eine ansehnliche Summe in Gold bei sich zu führen – von der Wirthin des Hauses einen Wagen, mit vier starken ostfriesischen Pferden, für die nächsten Tage gemiethet. Janneke, der Hausknecht, sollte den Kutscher machen und für die richtige Rückkehr des Fuhrwerks sorgen. Freilich war dieses weit entfernt, die Bequemlichkeiten zu bieten, welche in unseren Zeiten von einem wohleingerichteten Reisewagen gefordert werden. Es war ein einfacher Leiterwagen, mit einem Dache von Wachstuch versehen, das man öffnen und verschließen konnte, wie es der Wechsel der Witterung gebot. Aber das Innere hatte Cornelius mit aller Sorgfalt eines Liebenden so behaglich eingerichtet, wie es die Umstände zuließen. Die Seiten waren mit warmhaltendem Tuche beschlagen, der Boden mit Kissen belegt und zu dem Sitze für Clelia hatte er den prächtigen und höchst bequemen Lehnstuhl der Wirthin theuer erkauft und schaukelnd in starke Riemen eingehängt. Nach damaligen Begriffen war dieses schon ein sehr stattliches Fuhrwerk, das die Tochter des dicksten Mannes in Rotterdam sich nicht schämen durfte zu besteigen.

Bald war man freundlich eingerichtet in der kleinen beweglichen Wohnung. Auch für Proviant, für Leckerbissen, so gut sie das Gasthaus geboten, hatte der Junker gesorgt. Rasch trabten die vier muthigen Rosse landeinwärts von dannen. Clelia saß voll stillen Seelenfriedens dem glücklichen Cornelius gegenüber. Philippintje schien sehr in sich gekehrt. Von einer kleinen Anhöhe warf sie noch einmal einen Blick hinab auf das silberglänzende Hollands-Diep, dessen Wellen sie gestern noch als eine hoffnungsvolle Braut geschaukelt hatten.

»Der Treulose! Der Tabakstyrann!« murmelte sie in sich hinein, dann verschloß sie die Augen und stellte sich, um allen beschämenden Fragen auszuweichen, als ob sie schliefe.


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