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Das möget ihr wohl spüren
Und luget eben zu,
Daß ihr nit werdet verlieren
Das Kalb mit der Kuh!
Um die Mittagsstunde des folgenden Tages saß Simeon Storch in seiner Schreibstube und berechnete die Zinsen, welche ihm im Laufe der Woche die an Christen wucherisch ausgeliehenen Summen tragen mußten. Seine Gehülfen hatten sich zum Mittagsmahle begeben, er war zurückgeblieben, um das eben bezeichnete Geschäft, dem er sich am liebsten ohne Zeugen widmete, vorzunehmen. Viele Pergamente lagen vor ihm ausgebreitet, neben diesen allerlei verpfändete Kleinodien von größtentheils bedeutendem Werth. Die ganze Einrichtung des Gemaches zeugte von der Vorsicht eines Mannes, der seinen Reichthum gegen die Nachstellungen lüsterner Gauner zu schützen bemüht ist. Durch die niedrigen, mit Eisenstäben fest verwahrten, gewölbten Fenster sah man in den düstern Hof des Hauses, diese Fenster konnten von Innen und Außen durch schwere eiserne Läden verschlossen werden, die Geldkisten, ebenfalls von Eisen, standen längs den Wänden, mit dem Rücktheil in diese eingemauert. Der Fußboden dieses im Erdgeschosse befindlichen Gemaches war, nach damaliger Sitte, gepflastert; aber, wie es bei angesehenen und reichen Leuten herkömmlich, dick mit Binsen bestreut. Die gewölbte Decke ruhete auf starken Mauern; weder die Bosheit der Menschen, noch der Unglücksfall einer Feuersbrunst schien diesen festen Bau, diesem Gewahrsam der Schätze Simeons, Etwas anhaben zu können.
»Ich habe gearbeitet Tag und Nacht,« sprach mit einem zufriedenen Lächeln der Israelit zu sich selbst, »aber der Gott meiner Väter hat auch meine Arbeit gesegnet und wenn Cheyle, mein einziges Kind, der Apfel meines Auges, das Blut meines Herzens, sich nach dem Gesetze Moses den Eheliebsten erkieset, so darf ich sagen, daß sie eine Mitgabe erhält, deren sich keine Grafentochter zu schämen brauchte, und daß sie die Gojim zahlen, denen ich den Raub an unsern Vätern im Handel und Wandel wieder abgewonnen. Hier der Herr von Rückrügen mit tausend Goldgulden, wofür er mir seine Herrschaft verpfändet, hier der Ritter von Cronberg mit achthundert Turnosen, hier Henne Markolf mit viertausend Pfund Hellern, hier –«
Er wollte fortfahren, sich an dieser Aufzählung seiner bedeutendsten Schuldner zu ergötzen, als leise an die Thüre geklopft und diese, ehe noch Simeon die Pergamente und Kleinodien bei Seite schaffen konnte, rasch geöffnet wurde. Ein kleiner, unansehnlicher Mann, in einen schmutzigen Mantel gehüllt, ein altes zerknittertes Filzbarett tief in die Stirn gedrückt, trat herein und mit leisen schnellen Schritten dicht an den Juden heran. Unter dem Filzbarett sandten zwei tiefliegende graue Augen ihre forschende Blicke nach allen Seiten, weilten lüstern auf den Kleinodien, die der überraschte Simeon mit den Pergamenten eilig in seinen Schreibtisch verschloß, und hefteten sich dann mit einem listigen, boshaften Ausdruck auf den Juden selbst. Dieser glaubte durch einen Bettler gestört worden zu seyn, fuhr heftig auf den Fremdling ein, schalt auf die Nachlässigkeit der Knechte, die ihn eingelassen, und gebot ihm, sich sogleich zu entfernen.
»Verächter des Heilands,« sagte ruhig der Mann, indem er, ohne auf des Juden Wort zu achten, sich dem Platze, den Simeon bisher eingenommen, gegenüber setzte, »wie kannst du es wagen, demjenigen, dem du mit Leib und Gut verfallen bist, den Eintritt in dieses Haus zu verwehren? Verdank' es meiner Langmuth, daß ich dir heute noch dieses Obdach, den Schein des Besitzes von Gütern, die du guten Christen gestohlen, vergönne. Höre auf meine Warnung, befolge meinen Rath oder ich lege meine Hand auf Alles, was du dein nennst, auf deine Geldkisten, deine Edelsteine, auf dein Leben!«
Simeon besaß persönlichen Muth und wenn es die Vertheidigung seiner Reichthümer galt, so konnte sich dieser selbst zur Verwegenheit steigern. Dieser Muth wurde von einer ungewöhnlichen Körperkraft unterstützt, und der Israelit sah daher keinen Grund, sich, obwohl er allein war, die unerhörte Frechheit des zudringlichen Unbekannten gefallen zu lassen. Er packte ihn bei'm Kragen, er zerrte ihn von dem Schemel, dessen jener sich bemächtigt, und geiferte mit zornflammenden Blicken:
»Hund von einem Goi! Du wagst es, Kaiserlicher Majestät getreuen Kammerknecht in seiner eigenen Wohnung zu überfallen, zu bedrohen und zu lästern? Du schleichst herein, wie ein Dieb, und gebehrdest dich als der Herr, dem Alles zuständig, was sein verfluchtes Auge berührt, der seine Blicke in die Schlösser der Geldkisten bohrt, als wären es Schlüssel, die sie ihm eröffnen sollten. Hinweg aus meinem Hause oder ich erwürge dich mit eigener Hand!«
Da erhob sich gelassen der Unbekannte, ließ den Mantel, an dem Simeon zerrte, fallen und zeigte jenes tückische lauernde Antlitz, jene kleine verwachsene Gestalt, womit die Natur das lasterhafte, verkrüppelte Innere bezeichnend, den Baseler Schuhflicker Godebrecht ausgestattet hatte. Der israelitische Älteste fuhr entsetzt zurück, als er die blutrothen Kreuze erblickte, mit denen Godebrecht's schwarzes Unterwamms besäet war, als er die furchtbare Geisel in dessen Leibgürtel entdeckte, als er nun gar an einem großen rothen Kreuze, das der unheimliche Besucher auf der Stelle des Herzens trug, erkannte, er habe es mit einem Meister dieser geschworenen Feinde seines Volks zu thun. Alle Erzählungen der unmenschlichen Grausamkeiten, welche die Geißler an andern Orten gegen die Juden verübt, gingen mit Blitzesschnelle an seinem Geiste vorüber. Wie leicht konnte nicht auch hier das Märchen von den Brunnenvergiftungen wieder aufgefrischt werden; wie sicher konnten die Geißler nicht darauf rechnen, in dem Pöbel, den es nach Raub lüstete, Gehülfen, in den Patriciern, die in dem Untergang der Juden auch den Untergang ihrer Schuldverbriefungen hoffen durften, müssige Zuschauer zu finden! Diesen Betrachtungen, die Simeon Storch im Laufe weniger Augenblicke anstellte, folgte die Überzeugung, einen so einflußreichen Mann, wie den Geißlermeister, mit Schonung behandeln, ihn, wenn nicht allzugroße Opfer damit verknüpft waren, gewinnen zu müssen. Langsam legte der Jude den Mantel des Schuhflickers, der in seiner Hand geblieben, auf einen Tisch, und trat einige Schritte zurück, als erwarte er nur einen weitern Antrag des Meisters. Godebrecht betrachtete ihn mit einem boshaften Lächeln, weidete sich, ohne die herrschende Stille zu unterbrechen, einige Zeit an der Verwirrung, in die den Israeliten die unerwartete Entdeckung versetzt hatte und sagte dann spöttisch:
»Du scheinst mir jetzt in der Gemüthsstimmung, in der ein guter Kaufmann seyn muß, wenn es sich um ein wichtiges Geschäft handelt. Ja, Jud, wir wollen Geschäfte mit einander machen! Ich, ein auserwähltes Rüstzeug des Herrn, will mich herablassen, mit dir, mit einem aus dem verfluchten Volke, in Gemeinschaft zu treten. Ich will dein Freund werden, aber nur dein Handelsfreund. Ich will dir einen Theil deiner Sorgen, deiner Mühen und Nachtwachen abhandeln, und ich hoffe, du wirst mit dem Tausch, den ich dir biete, zufrieden seyn.«
»Ich verstehe Euch nicht!« antwortete mit Zurückhaltung der Jude. »Wenn Ihr die Früchte meiner Sorgen und Mühen, die Waaren, welche ich mit schweren Kosten aus Frankreich und Welschland herbeigeschafft habe, meint, und in diesen einen Ankauf zu machen gesonnen seyd, so nennt, was Ihr bedürft und ich werde Euch die billigsten Preise setzen.«
»Einen Ankauf?« wiederholte Godebrecht mit einem durchbohrenden Blick auf Simeon. »Habe ich dir es nicht schon gesagt, gottesläugnerischer Jud', daß ich Alles, was das Dach deines Hauses deckt und dich selbst, als mein Eigenthum, als das meiner Brüder betrachte?« fuhr er langsam, und seine Worte schwer betonend, fort. »Glaubst du, daß, wo die Geißler einziehn, ein Feind des Heilands den lange vorenthaltenen Raub an der Christenheit noch ferner sein nennen dürfe? Die Zeit ist gekommen, wo der Strom zu seiner Quelle zurückkehrt. Wunder werden offenbar und wir sind gesandt, sie zu üben. Sieh', Jud; ich hebe diese Hand zum Himmel und es regnet Feuer auf dich herab und auf Alle, die im Umkreise dieser Stadt deinen teuflischen Lehren unterthan sind! Habe ich diese meine Wunderkraft nicht bewährt in Basel, in Costnitz, in Straßburg und an hundert andern Orten? Dem Feuer dein Leib, dem Teufel deine Seele, der Christenheit dein Gold!«
»Ihr vergeßt Euch!« sagte, Wuth und Furcht, die in seinem Innern kämpften, verbergend, Simeon. »Wir stehn hier unter Kaisers Gericht, wir verwahren Schutzbriefe Kaiserlicher Majestät.«
»Was ist der Herrscher dieser Welt gegen den des Himmels, der mich gesandt hat?« rief, die kleinen grauen Augen verzückt emporrichtend, der Geißlermeister. »Was gelten die Schutzbriefe der irdischen Eitelkeit, wo der gerechte Zorn des Herrn verderben will? Ich stand in Straßburg auf der Mauer des Begräbnißplatzes der Mörder des Heilands, eine Schaar von ihren zweitausend brannten auf einem ungeheuern Scheiterhaufen zur Ehre Gottes. Wir wollten ihre Kindlein, die Höllenbrut, durch die heilige Taufe dem Himmel gewinnen, allein die rasende, vom Feinde Gottes besessenen Mütter entrissen sie uns und stürzten sich mit ihnen in die Gluth – da schrieen sie erbärmlich, da brüllten die Alten vor wüthendem Schmerz, da drängte ihnen die Feuerpein ein entsetzliches Geheul aus, aber ich hörte noch deutlicher, lieblich und wohlgefällig, die Gesänge der Seraphim und Cherubim, die sich des Opfers erfreueten. Glaubst du, Simeon Storch, ich werde hier anders hören, als in der guten Stadt Straßburg? Trauest du deinen kaiserlichen Urkunden die Macht zu, das Feuer zu beschwören, ihre verzehrende Gluth in ein kühlendes Lüftchen zu verwandeln?«
Der Jude sah finster vor sich nieder. Wie gern hätte er die rächende Hand, gegen diesen argen Feind seines Volks, dem das Schmerzgeheul seiner Schlachtopfer ein lieblicher Gesang dünkt, erhoben; wie gern den Dolch, den er verborgen unter seinem Wamms trug, in das grausame Herz, das in der Erinnerung jener gräßlichen Ereignisse freudiger zu schlagen schien, gestoßen! Seine Hand zuckte nach der Brust, sein Auge flammte, einen Moment schwebte Godebrecht's Leben auf der Spitze eines Dolchs – dann waren Überlegung und Besonnenheit in Simeons Seele zurückgekehrt, und er sprach mit anscheinender Ruhe:
»Was kümmern mich die Dinge, die anderwärts geschehen? Das Vergangene ist nicht mehr zu ändern und es bleibt das ewige Loos alles Menschlichen, zu Staub zu werden, den die Winde verwehn. Der Gott meiner Väter ist ein gewaltiger Gott: der Odem seines Zorns weht über die Erde in feuriger Lohe und wir müssen uns unterwerfen seinem Gericht. Aber Ihr wolltet ein Handelsgeschäft mit mir machen. Sprecht, was ist's? Ihr sollt keinen unbilligen Kaufmann an mir finden.«
»So wärst du der erste Jud', der's im Schacher redlich meinte!« grins'te der Schuhflicker. »Unser Handel kann bald abgethan seyn; du irrst aber, wenn du meinst, ich wolle von dir kaufen. Im Gegentheile! Ich bringe dir Waare vor, das Köstlichste, was dir noch je angeboten worden und um ein Spottgeld, um eine wahre Lumperei, wenn man ihren Werth recht anzuschlagen weiß.«
»Vielleicht Edelsteine aus dem Orient, Perlen oder sonst ein kostbares Schmuckstück?« fiel Simeon ein, dessen Handelsgeist anfing rege zu werden. »In Basel und Straßburg gab es gesegnete Männer aus dem Stamme Israel. Vielleicht habt Ihr von denen geerbt?«
»Was mir der Herr auf diesem Wege bescheert hat,« versetzte mit einem heuchlerischen Blicke gen Himmel der Geißlermeister, »das ist durch getreue Brüder meiner Ehefrau und meinen sechs unerzogenen Würmlein daheim in Basel, von denen mich seine Stimme abgerufen, übermacht worden. Ich bin ein armer, demüthiger Knecht Gottes. Mein Edelstein ist der hohe christliche Glauben, mein Schmuck die Buße, die dem Himmel wohlgefällt, meine Perlen sind die Blutstropfen, die ich der Liebe des Heilandes zum Opfer bringe. Nein, Jud', solche Waare führe ich nicht! Aber ich sagte dir schon, daß dein Leben und dein Gut mir und den Brüdern verfallen ist, und das will ich dir wieder verhandeln; um dieses Geschäftes willen bin ich hergekommen, und, bei allen Sünden deiner Väter! geht mein Fuß zurück über die Schwelle dieses Hauses, ohne daß wir einig geworden, bist du hartnäckig, verstockt, wie die Straßburger, und verschmähst zu kaufen, was sie in ihrer Verblendung von sich wiesen, dann hebe ich meine Hand gegen dich, dann zuckt der Blitz auf dein Haus und die Häuser deiner verfluchten Genossen, und die Seraphim und Cherubim beginnen auf's Neue ihren freudenreichen Gesang.«
Seine Stimme war unter diesen Worten stark und drohend geworden; erst beim Schlusse seiner Rede besänftigte sie sich, und er nahm die Haltung eines verzückten Lauschenden an, zu dessen Gehör liebliche, süße Töne aus der Ferne dringen. Simeon hatte eine Eröffnung dieser Art vorausgesehn. Zorn und Wuth drängten ihn zu einem feindseligen Unternehmen gegen den verhaßten Widersacher, aber die Furcht vor entsetzlichem Unheil, die Liebe zu seiner Tochter, die in dieses mit verflochten wurde, überwogen die wild erregten Leidenschaften. Er suchte sich zu fassen und antwortete mit erzwungener Gelassenheit:
»Die Straßburger haben nicht erkannt ihren Profit; Simeon aber blickt tief auf den Grund eines Handels und läßt sich nicht trügen durch den Schein. Sprecht, Meister, was begehrt ihr, daß Ihr es nicht blitzen laßt aus Eurer Hand, daß Ihr Euer Ohr verschließt vor den Liedern der Seraphim und Cherubim?«
»Du bist ein kluger Mann, Simeon;« antwortete lächelnd Godebrecht: »Du weißt, daß jeder Kaufmann seine Waare gern nach ihrem eigentlichen Werth ausstellt, daß er alle Vorzüge, die ihr innewohnen, geltend macht, ehe er den Preis sagt. So soll's auch meine Weise seyn, Jud'! Blick um dich, wirf dein Auge auf diese Truhen, deren Inhalt dein Herz erfreut und dir alle Herrlichkeiten des Lebens verschafft; denk' an die Kleinodien, an Perl' und Edelstein, so du in geheimen Laden verwahrst, und in deren Anschauen deine Seele sich verjüngt, deren Glanz deiner Hoffahrt, deren Besitz deiner Habgier schmeichelt. Sieh' dieses Haus deiner Väter, in dessen Innern die versteckten Prachtgemächer, wo du deinen verruchten Sabbath heilig hältst, liegen, an das die vielen Gewölbe mit dem Reichthum an Waaren aus allen Ländern der Welt stoßen; gedenke deiner Glaubensgenossen, wie sie, vereint mit dir, in dieser sündigen Stadt von dem Verfalle guter Christen sich nähren und üppig gedeihen; dann erwäge das höchste Gut, das Leben selbst – merke wohl auf, Jud, dein Leben und das aller Messiasschänder innerhalb der Ringmauern Frankfurts – und hast du alle diese Dinge wohl bedacht und erkennst in ihnen nun die Waare, die ich dir zum Kauf biete, so werden wir wohl nicht groß streiten um den Preis und du zahlst, was ich billig verlange.«
Simeon knirschte mit den Zähnen; aber der heimtückische Schuhflicker hatte die Schlinge zu sicher über seinen Nacken geworfen, er konnte sich ihr nicht entziehn.
»Macht ein Ende;« sagte er in ungeduldiger Aufwallung. »Simeon Storch wird wohl noch der Mann seyn, ein Begehren, das ihr billig nennt, zu befriedigen.«
»Ein Ende mach' ich auf diese oder auf eine andre Weise,« versetzte bedeutungsvoll der Geißlermeister. »Du bist ein Ältester, ein Baumeister und Schiedsrichter unter deinem Volke. Höre an, was der Herr, mein Gott, dir und deinen Genossen durch meinen Mund auferlegt, um Euer Leben, Euer gestohlenes Geld und Gut freizukaufen von der heiligen Brüderschaft der Geiselfahrer. Du, Simeon, als der reichste unter denen, die der Fluch des Herrn aus dem gelobten Lande Palästina getrieben, erlegst für deine Person und Alles, was dir angehört, den Werth von tausend Goldgulden, die Gemeinde zahlt den Betrag von zweitausend Goldgulden: Alles in Kleinodien, die sich leicht verbergen und mit sich tragen lassen, in Diamanten oder Rubinen.«
Diese Forderung betrug eine außerordentliche Summe für die damalige Zeit. Dennoch hatte Simeon ein unbilligeres Ansinnen erwartet.
Die Macht, seine schrecklichen Drohungen wahr zu machen, lag zu sicher in Godebrecht's Hand, als daß nicht ihr Mißbrauch in der weitesten Ausdehnung zu befürchten stand. Mehr von der Gewohnheit des Mäkelns, als von ernstlichen Absicht geleitet, erwiederte der Jude:
»Ich dächte, wenn ich die Gemeinde bemöge, zu zahlen die zweitausend Goldgulden ins werthvollen Edelsteinen, so könntet Ihr Euch für mich, den einzelnen, wohl mit fünfhundert Goldgulden begnügen?«
»Glaubst du, ich lasse mit mir markten, wenn es Leib und Leben gilt?« fragte aufgebracht der Schuhflicker, indem er sich erhob und nach seinem Mantel griff. »Meine Zeit ist kostbar. Die Augenblicke, die ich hier mit dir verschwatze, entziehe ich gläubigen, büßenden Seelen, Königen, welche vor dem auserwählten Knechte des Herrn sich ihrer Sünden entladen wollen und Lossprechung aus seinem Munde erwarten. Noch einmal, Jud': willst du sogleich den Wert der tausend Goldgulden für dich in vollgültigen Kleinodien zahlen und dich verbürgen für die Gemeinde, oder soll ich den Staub dieses Hauses von meinen Füßen schütteln, über seine Schwelle zurückkehren, wie ich gekommen, und die Hand gegen dich und deine Sündengenossen erheben?«
»Harret, Meister!« sprach verbissen der Israelit. »Ihr selbst nanntet Euer Geschäft einen Handel, und bei einem Handel ist es wohl erlaubt zu feilschen. Könnt Ihr Eure Waare nicht anders geben, als nach der ersten Forderung, so mag's drum seyn! Von mir sollt Ihr empfangen einen Türkis, an Werth zweihundert, einen Rubin von dreihundert und einen Demant von fünfhundert Goldgulden. Für die Gemeinde gebe ich Euch eine Verschreibung, zahlbar, wenn Eure Brüder die Stadt verlassen, ein Reisepfennig, der ihnen wohl zu statten kommen wird auf der mühevollen Wanderschaft.«
»Ich kann dir es nicht verargen, wenn du dich sicher zu stellen suchst, Jud'!« versetzte mit einem hämischen Seitenblick Godebrecht. »Du und die Deinigen, Ihr seyd des Trugs im Handel und Wandel so gewohnt, daß Ihr von den Auserwählten des Herrn auch nicht Bess'res glauben könnt, als von Euch selbst. Aber hüte dich wohl, mich in der Verschreibung zu hintergehen. Wir besitzen mehr, als einen erleuchteten Bruder, der die Kunst des Lesens versteht; und entdecken wir irgend eine Täuschung, so steigert sie das Lösegeld auf das Doppelte.«
Simeon hatte indessen ein Schubfach seines Schreibtisches geöffnet. Aus einem geheimen Behälter, den die vertraute Hand im Innern desselben leicht zu finden wußte, nahm er die drei Edelsteine hervor und legte sie dem Geißlermeister unter die Augen. Godebrecht betrachtete einen nach dem andern mit aufmerksamen, forschenden Blicken. Dann schob er sie mit einem spöttischen Lächeln zurück und sagte:
»Du irrst, Freund, wenn du diesen Steinen einen Werth von tausend Goldgulden beilegst, und im Falle, daß du sie für dieses Geld erstanden, hat man dich häßlich betrogen. Bei der Mutter des Heilands, mit noch nicht siebenhundert Goldgulden sind sie hinlänglich bezahlt, und du siehst wohl ein, daß dein Irrthum mein Schade nicht seyn darf. Wundre dich nicht, daß ein armer Schuhflicker die Gabe besitzt, den Werth eines Edelsteins zu erkennen. Wen der Herr mit seinem Lichte erleuchtet, dem dient es in jeglicher Sache.«
»Hund von einem Goi!« knirschte Simeon in sich hinein, indem er widerwillig noch einen Smaragd zu den Kleinodien legte. »Er weiß die Steine zu schätzen, als wäre er bei Aaron, dem Schmuckhändler, in der Lehre gewesen. Nun wird's mehr als genug seyn!« fügte er laut hinzu. »Der Smaragd ist unter Brüdern vierhundert Goldgulden werth.«
»Dreihundert und fünfzig!« erwiederte bedächtig der Geißler, indem er Anstalt machte, den Gewinn seiner Drohungen, den Blutpreis, den er dem Israeliten abgedrängt, an sich zu nehmen. Da öffnete sich die Thüre des Gemachs, und die schöne Tochter Simeon's, im leichten Hauskleide, Brust und Nacken weit entblößt, trat herein. Godebrecht stutzte und zog die ausgestreckte Hand von den Edelsteinen zurück. Ein unheimliches Feuer loderte in den tiefliegenden grauen Augen auf, die erdfahlen Wangen rötheten sich, mit lächelnder, lüsterner Miene näherte er sich der Jüdin.
»Ist dieses schöne Kind deine Tochter?« sprach er grinsend zu Simeon und legte bei diesen Worten die bebende, rauhe Hand auf Cheyle's freie Schulter. Das Mädchen wandte sich erglühend ab. Sie warf einen Blick der tiefsten Verachtung auf den Schuhflicker und begab sich schweigend und in stolzer Haltung in den Hintergrund des Zimmers.
»Sie ist's!« antwortete, noch mühesam den Ausbruch seines Zorns über die Frechheit Godebrecht's bekämpfend, der Israelit. »Mein einziges Kind, der Stolz meines Hauses.«
»Warlich,« versetzte, die schöne Jüdin mit glühenden Blicken verfolgend, Godebrecht, »ein Wesen, ganz geschaffen, dem Pilger auf langer Wallfahrt ein Stündlein zur Erquickung zu bieten, vergleichbar einem Blüthenbaume, in dessen Schatten der müde Wandrer neue Kraft, den Weg zum fernen Ziele fortzusetzen, findet! Freund, du hast mich betrogen und unser Handel ist null und nichtig. Du sprachst mir nicht von dieser, deren Leben mir eben sowohl verfallen ist, wie das deinige. Auch sie muß sich auslösen, und ich kenne nur einen Preis für ein so jugendliches, an allen Hoffnungen, an allen Freuden reiches Leben. Eine Schönheit, wie diese, ist nicht mit Geld, nicht mit Demanten zu bezahlen. Sie kann sich nur lösen mit sich selbst, ich gehe gleichen Tausch mit ihr ein, ich sichre ihr Freude für Freude, Glück für Glück.«
Ohne die flammenden Blicke von Cheyle abzuwenden, näherte er seinen Mund dem Ohre des Juden und raunte diesem einige Worte zu. Simeon wurde bleich, dann ging diese Blässe in ein dunkles Roth über, die Adern seiner Stirn traten mächtig hervor, seine Brust arbeitete, er wollte sprechen, aber er vermochte es nicht. Plötzlich ergriff er den Geißler wüthend bei der Brust, schleuderte ihn nach der Thüre, wo er zu Boden taumelte, und ließ den schmetternden Ton des Pfeifchens, das er, nach damaligem Gebrauche, um das Gesinde zusammenzuberufen, am Halse trug, zu wiederholten Malen erklingen. Cheyle, die wenig auf das weitere Benehmen Godebrecht's Acht gehabt, wandte sich betroffen um; in wenigen Augenblicken füllte sich das Zimmer mit den Knechten und Mägden des Hauses an.
»Werft mir diesen Frevler aus dem Hause!« rief, auf den Schuhflicker zeigend, Simeon in einem Tone, welchen die ausbrechende Wuth kaum verständlich machte. »Schlagt ihn, tretet ihn, laßt ihn ersticken, verschwarzen im Straßenkothe! Er hat des Gottes unsrer Väter gelästert, er bedroht mich mit dem Tode und Cheyle, Eure Gebieterin, mit Entehrung. Fort mit ihm! Mein Fluch verzehre sein Gebein, der Gott Abraham's und Jacob's werfe ihn in die ewige Verdammniß!«
Aber sein Gebot traf taube Ohren. Niemand wagte die Hand an den gefürchteten Geißlermeister zu legen. Dieser hatte sich indessen ruhig vom Boden erhoben. Er raffte seinen Mantel auf, er sandte dem Hausherrn einen Blick, in dem Tod und Verderben lag, zu und schritt dann schweigend und unangetastet, zwischen den scheu ausweichenden Knechten und Mägden hindurch aus dem Hause. Hier blieb er, nachdem die Thüre hinter ihm zugeworfen und verriegelt worden, stehn und sah hämisch lächelnd auf das Gebäude. Es war ganz von Steinen aufgeführt, allenthalben mit eisernen Thüren und Fenstern fest verwahrt. Gegenüber stand der Hinterbau des städtischen Rathhauses, alt und hinfällig, mit Schindeln leicht bedeckt, mit großen Öffnungen im Dach, welche den Zug der freien Luft in weiträumige Kornböden einließen. Godebrecht betrachtete Alles genau. Ein teuflischer Plan reifte in seiner Seele. Er erhob drohend die Rechte nach dem Hause des Juden, als sollte sie den Blitz, den er verkündet, schleudern; dann hüllte er sich tief in seinen Mantel und schlich der Wohnung seines Freundes Galeazzo zu, der sich von dem gestrigen Unfalle hinlänglich erholt hatte, um in die Absichten seines rachebrütenden Gehülfen eingeweiht zu werden.