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Gott grüß die zarte Jungfrawn fein,
Ich main auf Erd müg nichts gesayn,
Das da sey Ewr Genosse.
Jene Zeit der Verwirrung im Hause des Herrn vom Rhein, in der Joffriede, von einem dunkeln, bösartigen Gefühle getrieben, die unglückliche Blinde von der Seite ihres Gatten aus der Mitte ihrer Lieben auf ihre düstre, blutgezeichnete Wandrung wegführen wollte, wo Galeazzo, von wüthender Leidenschaft ergriffen, nach einem unschuldigen Opfer seiner Begier die frevelhafte Hand erhob, war von der fahrenden Sängerin, Eitel Glockenklang, die sehnsüchtig eines unbewachten Augenblicks harrte, in dem sie sich der Obhut Joffriedens und der Verbindung mit den Geißlern entziehen konnte, zur schleunigsten Flucht benutzt worden. Wie einige Stunden früher ihr einstiger Dux, Felician Süßbutter, so irrte die schöne Sängerin jetzt rath- und hülflos in den Straßen der unbekannten Stadt umher. Sie hatte hier keine Freunde, als diejenigen, die auch mit ihr zur Theilnahme an der verhaßten Bußfahrt gezwungen worden waren, sie fühlte sich hier gänzlich fremd und verlassen.
»Ja,« seufzte sie, »wenn noch die guten alten Zeiten wären, wenn ein heitrer Sinn, wenn die Freudigkeit am Leben noch die reichen Patricier dieser Stadt erfüllten, wie es sonst gewesen seyn soll, dann fände Eitel's Stimme und ihr Wesen leicht Eingang in ihre Palläste, und es würde ihr an einem großmüthigen Beschützer nicht fehlen. Der Dux hatte wohl recht, als er aus dem düstern Zeichen der Zeit den Untergang unsrer heitern Kunst prophezeihete.«
Die schöne Sängerin war von Natur furchtsam und ihre gegenwärtige Lage konnte die Regungen ängstlicher Gefühle, welche Nacht und Verlassenheit ihr einflößten, nur vermehren. Wohin sollte sie sich wenden, wo durfte sie eine Zufluchtsstätte hoffen? Sie schrack vor jedem Geräusch, das der Zufall veranlaßte, zusammen, sie glaubte in jedem dunkeln, undeutlichen Gegenstande ein Gespenst zu sehen, sie fürchtete mit großem Rechte räuberisches Gesindel, das in jenen rohen Zeiten selbst im Innern der Städte bei Nachtzeit die Straßen unsicher machte. Den Geißlern war sie für den Augenblick entronnen, allein sie konnte sich kaum der gelungenen Flucht erfreuen, wenn sie der zweifelhaften Zukunft, der Gefahren, die die Nacht barg, die der Tag brachte, gedachte. Noch nie hatte sie den Mangel eines männlichen Schutzes, des Beistandes irgend eines befreundeten Wesens so sehr empfunden, wie jetzt. Wie froh wäre sie gewesen, nur Muskablüt, den sie in ihrem Übermuthe oft so tief herabgewürdigt, zu ihrem Begleiter zu besitzen! Wie hätten dann beide, ihre Kunstfähigkeiten vereinigend, nicht leicht in irgend einem Hause, wo Zitterklang und Gesang freundlich ertönten, eine wohlwollende Aufnahme finden können! Aber die Sängerin allein durfte in dieser verhängnißvollen Zeit nicht wohl eine Anfrage, ob man ihrem Liede Gehör schenken möge, wagen.
Horch! Was rauschte da durch die Nacht aus den hellerleuchteten Fenstern eines nicht großen, aber zierlich gebauten Hauses herab? Das Haus lag in dem Winkel eines geräumigen Platzes, weit gegenüber erhoben sich, von den Strahlen des Mondes erhellt, einige stattliche Gebäude; in der Mitte des Raumes plätscherte ein Springbrunnen. Aber Eitel hörte nur auf die Töne, die von den hellerleuchteten Fenstern herabschwirrten. Es waren Zitterklänge, eine schwache, heisere Mannsstimme begann nun auch ein Lied dazu zu singen. Diese Stimme konnte Eitel Glockenklang nicht verkennen: niemand anders, als Muskablüt, der wohl auch dann und wann vor ungeübten Ohren ein Lied wagte, war der Sänger und Spielmann. Das Herz der schönen Sängerin bebte in freudigen Schlägen. Wo Muskablüt's Kunst Freunde gefunden hatte, da konnte es auch der ihrigen nicht fehlen. Schon der Gedanke, nun nicht ganz hülflos zu seyn, einen Bekannten gefunden zu haben, dessen eigener Vortheil eine Verbindung zu gemeinsamer Thätigkeit mit ihr erheischte, gab ihr den alten Muth, das Vertrauen auf glückliche Erfolge zurück. Sie trat dicht an den Eingang des Hauses, sie harrte mit Ungeduld auf den Schluß des Liedes, wo sie dann sich bemerkbar machen und um gastlichen Einlaß bitten wollte. Endlich bebten die letzten Töne von Muskablüt's Lippen, schwirrten die letzten Accorde seiner Zitter hernieder. Lauter Jubel einer fröhlichen Gesellschaft, Beifallrufen und Becherklang folgten ihnen. Als aber oben Alles wieder still geworden, als man sich vielleicht bereitete ein neues Lied Muskablüt's zu vernehmen, erhob mit einemmale Eitel ihre schöne, volle Stimme und wiederholte in hellen, süßen Klängen die Schlußmelodie des eben gesungenen Liedes. Oft schon hatte die schöne Sängerin vor Fürsten und Herren ihre Kunst hören lassen, nie aber war sie vielleicht so sehr, wie jetzt, bemüht und besorgt gewesen, einen günstigen Eindruck hervorzubringen. Sie durfte sich dessen im vollen Maße erfreuen. Kaum hatte sie mit einem langen, süßen und hinschmelzenden Tone geendigt, als sie Muskablüt, laut und freudiger, als sie von ihm gewärtigte, ausrufen hörte:
»Das ist Eitel Glockenklang und keine andre!« als sie die Schritte mehrer Herabeilenden vernahm, die Thüre öffnen und sich nun einigen Männern mit wein- und freudestrahlenden Angesichtern gegenübersah, welche die Sängerin und ihre Kunst stürmisch willkommen hießen. Eitel zögerte nicht, der freundlichen Einladung Folge zu leisten und befand sich, von einem schwarzgekleideten, zierlichen und redseligen Manne geführt, nach wenigen Augenblicken in der Mitte einer Gesellschaft, die zu einem frohen Gelage versammelt schien. Eine Fülle an Speisen und Getränken bedeckte den großen eichenen Tisch, um den die Gäste saßen, die Geräthe und Verzierungen des Gemachs verriethen einen wohlhabenden bürgerlichen Haushalt, und wenn Eitel gehofft hatte, zu einem Bankett von Patriciern und Rathsherren gezogen zu werden, so sah sie sich in dieser Hoffnung getäuscht.
»Hier ist, die uns mit süßem Schall
Gelockt, die holde Nachtigall!«
Mit diesem Spruche führte sie ihr Begleiter, in dem sich uns ein alter Bekannter, der Stadtschreiber von Limburg darstellt, der Hausfrau zu. Diese, ein rundes Weibchen von lebensfrohem Ansehn, reichte ihr lachend die Hand und hieß sie mit einem gutmüthigen: »Gott zum Gruße!« willkommen. Es war Frau Heinz, die Stadtköchin. Sie saß auf der Bank, die an den Zimmerwänden herlief, zwischen einem schalkhaft blickenden Barfüßermönche, ebenfalls einem unsrer alten Bekannten, dem Pater Clarus Trockenbrod, und dem Zitterspieler Muskablüt, der nachläßig seinen Arm um ihre Schulter geschlungen hatte, was sie ganz gern zu dulden schien. Meister Heinz selbst, der in der Verwaltung seines Berufs der eigenen Leibespflege nicht vergessen haben mochte und diese sorgliche Beachtung seiner lieben Person in einer Wohlbeleibtheit, die in der guten Reichsstadt sprüchwörtlich geworden war, zur Schau trug, bewegte sich geschäftig unter den übrigen Gästen, schlichten Bürgersleuten, umher und forderte sie, bald in seinem schrecklichen Küchenlatein, bald durch andre, derbe Scherzreden, zur Fröhlichkeit und zum fleißigen Genusse der Tafelherrlichkeiten auf.
Während Herr Gensbein von Limburg die schöne Sängerin, die gleich bei ihrer ersten Erscheinung einen lebhaften Eindruck auf sein entzündliches Herz gemacht, neben sich niederzog, rief Muskablüt der alten Freundin zu:
»Nun, schön' Eitel, wie ist es dir ergangen? Während sie dich mit Kreuz und Elend bedeckt, dir die knotige Geisel in die zarte Hand gegeben und den armen Pickelhäring grausam gesteinigt, steckte ich wohlgemuth im Bauche des Drachen auf des Dux Wagen und, als ihr nun fortgezogen und euer erbärmlicher Gesang in weiter Ferne verhallte, da schlich ich langsam und vorsichtig nach und langte glücklich hier bei Meister Heinz an, der den alten Freund gern aufnahm, um sich und die liebe Hausfrau durch sein Spiel erheitern zu lassen. Du weißt, schön' Eitel,« fügte er im Tone seines alten Dünkels hinzu, »daß mir meine Zitter Thür und Thor bei Schöppen und bei'm Stadtschuldtheißen, bei Rathsherren und Patriciern geöffnet haben würde, aber ich ziehe das lustige Leben bei Meister Heinz vor, und Frau Heinz versteht ihren Gast so gut zu pflegen und zu halten, daß er den Aufenthalt in ihrem Hause nicht mit dem auf dem Schlosse eines Königs vertauschen möchte.«
Die schöne Sängerin fühlte sich bald heimisch unter den fröhlichen Menschen. Sie fand hier die heitre Ungebundenheit, welche auch in den Gesellschaften der fahrenden Leute herrscht, ohne daß diese durch den Neid, den die Sucht nach Geld und Beifall erweckte, verbittert wurde. Bald waren alle von ihren Leiden unter der Obhut der Geißlermeisterin, von ihrer Flucht aus dem Hause des kaiserlichen Vogts unterrichtet. Herr Gensbein löste mit eigner Hand, so zart und zierlich er nur vermochte, die rothen Kreuze, die noch an ihrer Kleidung hafteten, ab, indem er sich in einem Reimsprüchlein vernehmen ließ:
»Wo Ros', Viol und jede Blüth',
In Minne und in Schönheit glüht,
Da bleib' kein Zeichen düstrer Art
von Pein und Buß' der Geiselfahrt!«
»Und dennoch vivat die Geiselfahrt!« rief der fröhliche Wirth. » Ego sum satisfactus, daß sie in unsre Mauern gezogen ist. Ohne sie hätten die edlen Herren und Frauen bis am hellen Morgen ad tabulam gesessen und es wäre wenig abgefallen für Koch und Kellermeister. Ohne sie könnten wir nicht heute lustig schmausen auf gemeine Stadtrechnung, ohne sie wäre nicht die puella pulcherrima, die alauda canans, die da trilirirt, daß einem das Herz im Leibe lacht, in mein Domicilium getreten. Volumus bibere ad sanitatem alaudae! Laßt uns auf die Gesundheit der holdseligen Sängerin trinken. Schön' Eitel lebe hoch und abermals hoch!«
Alle stimmten fröhlich in diesen Ruf ein, niemand lauter und herzlicher, als der Limburger Stadtschreiber. Die Nähe der schönen Fahrenden und die trauliche Berührung, welche das enge Beisammensitzen mit sich brachte, hatten ihn in Feuer und Flamme versetzt. Er ergriff, während er einen Becher warmem Würzwein auf ihr Wohl leerte, unbemerkt ihre Hand und fühlte zu seinem Entzücken den kühn gewagten Druck erwiedert. Ein feuriger, bedeutungsvoller Blick, der ihn aus dem schönen Auge traf, sagte noch mehr, als dieser Druck. Allen aber dankte Eitel in einem heitern Lied, das Muskablüt, auf ihren Wink, mit der Zitter begleitete.
Ein Bauer kam gegangen
Zu eines Schlosses Thor,
Wollt Einlaß da verlangen
Und stand wohl lang davor:
»Hinweg, hinweg, du Bäuerlein,
Hier ist für dich kein Platz,
Er muß von andrem Holze seyn,
Der hier hebt diesen Schatz!«
Ein Jäger wohl schritt munter
Den Waldespfad entlang,
Er kam vom Berg herunter,
Sein Horn gab guten Klang:
»Hinweg, hinweg, du Jägerlein,
Dein Wunsch wird nicht erfüllt,
Es muß ein bess'rer Schütze seyn,
Der hier erlegt ein Wild!«
Ein Ritter, hoch zu Rosse,
Mit Wappen angethan,
Kam auch zum Zauberschlosse,
Den Dank hier zu empfahn:
»Hinweg, hinweg, du Ritterlein,
Eh' noch das Spiel beginnt,
Es muß ein bess'rer Kämpe seyn,
Der hier den Dank gewinnt!«
D'rauf kam ein mächt'ger König
Mit Prunk und großem Staat,
Er wußte sich nicht wenig
Mit seinem lust'gen Rath:
»Hinweg, hinweg, du Königlein,
Hier harret dein kein Lohn,
Es muß ein bess'rer König seyn
Für unsre gold'ne Kron'!«
Nun naht der Kaiser prächtig
Mit Scepter, Kron' und Schwerdt,
Es nennt sein Wort so mächtig,
Wonach sein Herz begehrt:
»Hinweg, hinweg, du Kaiserlein,
Was minnst du hier so laut?
Es muß ein andrer Kaiser seyn,
Dem wird das Mägdlein Braut!«
Mit Saitenspiel und Singen
Ein Jüngling tritt an's Thor,
Er will die Freude bringen,
Er harrt nicht lang davor,
»Herein, herein, du Sängerlein:
Dein ist der Schatz, dein ist das Wild,
Dein soll auch Dank und Krone seyn
Und auch das Jungfrau'nbild!«
Eitel's Gesang fand in Aller Herzen einen beifälligen Wiederklang. Meister Heinz schwor, er habe in seinem Leben noch nicht dergleichen gehört, selbst nicht bei der Hochzeit des Stadtschuldtheißen, wo doch auch eine ganz ansehnliche Bande fahrender Leute ihre Actionen aufgeführt; die Hausfrau warf einen zärtlichen Blick auf Muskablüt und meinte, die Musik im himmlischen Paradiese könne nicht lieblicher klingen als seine Zitter und Eitel's Stimme, die guten Bürger verstummten im Genusse einer ihnen ganz neuen Wonne. Allein ungerührt blieb Pater Trockenbrod, dessen Ohr nur für den Klang der Becher, dessen übrige Sinne, wenn er zu Tische saß, nur für die Gottesgaben, welche Meister Heinz oder einer seiner Kunstgenossen bereitet, Empfänglichkeit besaßen. Stürmisch aber war der Stadtschreiber aufgesprungen und rief:
»
Cantus avis talis, nostri formatis qualis;
Der Vogel singt zu jeder Frist,
Als ihm der Schnabel gewachsen ist!
Wem aber das Schnäblein so süß und holdselig gewachsen, wie Euch, hochberühmte Eitel Glockenklang, der verdient mit ebenso gutem Recht unter die Götter versetzt zu werden, wie die alten Heiden dieses mit dem Sänger Orpheus gethan, der durch seine Töne den Höllenhund Cerberus gerührt, den unterirdischen König Pluto bezaubert und die verstorbene Eheliebste Eurydica in's Leben zurückgeführt. Habt Ihr dann weniger gethan, reizende Eitel? Ist nicht durch Euren wunderbaren Gesang die süße Zeit meiner Jugend mit Minne, seligem Hoffen, Sehnsucht und Entzücken in's Leben meines Herzens wieder erweckt worden? Sah ich nicht da alle Blumen frisch erblühen, die ich längst gewelkt glaubte, alle Sterne wieder glänzen, welche verschwunden waren, die Sonne wieder aufsteigen, die ich für immer untergegangen wähnte? Und so ernenne ich Euch zu meiner Göttin, zu der Beherrscherin meines Lebens, zu meiner Dame, für die ich Riesen und Drachen bekämpfen würde, wenn nicht das neidische Schicksal statt eines Schwerdtes, den Gänsekiel in meine Hand gelegt hätte?«
Er fing an, heftig zu weinen, indem er sich wieder an der Seite der Sängerin niederließ. Es lag in seiner Weise, daß ihn oft auf dem höchsten Punkt des Entzückens oder als eine Wirkung des häufig genossen Weins, eine ungemeine Weichheit und Rührung ergriff, der er dann durch Thränen Luft machen mußte. Sie flossen häufig auf Eitel's kleine Hand, die sie theilnehmend zu trocknen suchte, sie mischten sich in den Becher, den Herr Gensbein zu seiner Stärkung an die Lippen führte.
» Semper lustig, nunquam traurig!« rief indessen der lebenslustige Stadtkoch. »Was ist da zu weinen, daß Ihr Schön-Eitel zu Eurer Göttin gewählt? Die Götter und Göttinnen haben auch je zuweilen Menschengestalt angenommen, und ich habe mein Tage nicht gehört, daß eine Sängerin nicht auch Fleisch und Bein hätte, wie meine Ursula oder des Nachbars Käthe. Frischen Muth, Meister Stadtschreiber! Pater Clarus soll uns ein lustiges Stücklein erzählen, eine historiam, die uns ad risum bringt. Dann wieder ein Lied, dann wieder ein Stücklein, dazwischen Speis' und Trank und so fort, bis Aurora zum Fenster hereinguckt. Auf, Pater Clarus! Ihr habt Euren Kopf so voll Schelmstücklein, wie Euern Terminirsack voll Brodbrocken. Gebet eine lustige narrationem ad optimum, das heißt, zum Besten!«
»Was wollt Ihr hören?« sprach der Bettelmönch, indem er einen schalkhaften Blick auf den verliebten Stadtschreiber warf; »soll ich Euch, weil Ihr doch einmal in's Heidenthum gerathen seyd, eine Geschichte erzählen, wie der kleine heidnische Gott Amor einen ehrbaren und gesetzten Stadtschreiber bei'm Bündel gefaßt und in das Liebesgärtlein geführt, oder vom Albertus Magnus, der den Kaiser Wilhelm zu Cölln um Weihnachten, wo Alles von Eis starrte, in einem grünen Garten mit belaubten Bäumen und blühenden Gewächsen, bei'm Gesange der Nachtigallen, bewirthet? Oder vom Erlolfus, Abt zu Fulda, der Wein von allen Gattungen aus hölzernen Pflöcken zu zapfen verstand? Oder vom Johannes Teutonikus, Domherrn zu Halberstadt, der einen seiner trunknen Cumpane enthauptet, den abgeschlagenen Kopf auf einer silbernen Schüssel um die Tafel herumgehn lassen, worauf alle bestürzt aufgesprungen, aber nun plötzlich der Getödtete frisch und munter mit dem wieder aufgesetztem Kopfe unter dem Tische hervorgesehen und sie sämmtlich ausgelacht? Oder vom Herzog Ernst von Schwaben, den der wunderbare Vogel Greif durch die Lüfte von der Magnetinsel nach Deutschland zurückgetragen? Oder vom Zaubrer Virgilius, der das eherne Roß mit dem ehernen Reiter verfertigt, der allnächtlich als Wache auf den Mauern der heiligen Stadt Rom umhergeritten? Oder vom englischen Mönche Baw –?«
» Nihil ab his omnibus! Nichts von allem diesen!« rief ihn unterbrechend Meister Heinz. »Aus Eurem eigenen Leben, von Euren eigenen Thaten, wie Ihr etwa die Schinken aus des Bauern Schornstein, die Gänse und Hühner von seinem Hofe in Euern Terminirsack gezaubert! Auch wenn Ihr auf den Burgen der Ritter, während die gestrengen Herren abwesend waren, bei den Weibern eingesprochen, könnt Ihr Manches erfahren haben, das wohl der Mühe des Erzählens lohnt. Die Barfüßer sind vulpes, und die Geschichte vom Bettelmönche zu Laurenburg, der unter seiner Kutte ein neugeborenes Knäblein vom Schlosse mit herabnahm und dem begegnenden Burgherrn, als dieser einen plötzlichen Schrei des Kindes vernahm, den ursum aufband, er trage unter seinem Kleide eine Laute, auf der so eben eine Saite gesprungen sey, ist allbekannt. Gewißlich habt auch Ihr schon dergleichen Streiche geübt, Pater Clarus, denn zu gut halt' ich Euch nicht dafür. Hier sind wir unter uns, hier dürft ihr sprechen quomado Valui est circa cordem, wie's Euch um's Herz ist!«
Meister Heinz war schon oft von seiner Ehehälfte Ursula ermahnt worden, seinen entsetzlich gelehrten lateinischen Redensarten die deutsche Übersetzung beizufügen, damit sie nicht, wie sie sagte, in ihrer eigenen Gegenwart verkauft und verrathen werden könne. Dieser ernst und wiederholt ausgesprochenen Mahnung haben es unsere Leserinnen zu verdanken, daß den lateinischen Räthselaufgaben des lustigen Stadtkochs immer die Auflösung folgt, die sonst oft einem Cicero schwer gefallen seyn würde.
»So will ich Euch denn erzählen,« hob Pater Clarus, indem er sich behaglich den Bart strich, an, »wie ich, dem Albertus Magnus und dem Erlolfus zum Trotz, ein Kalb in eine Kuhe verwandelte und selbige, zum Beweis meiner Wunderkraft, mit heim in das Minoritenkloster zu Königstein trieb.«
Alle rückten näher zusammen und sahen mit aufmerksamen Gebehrden nach dem Pater; denn sie wußten, daß nur ein fröhlicher Schwank, irgend ein lustiges Abentheuer aus den Terminfahrten des Bettelmönchs zum Vorschein kommen werde. Nur Herr Gensbein war so ganz in die Reize der schönen Sängerin vertieft, daß er für nichts andres Aug und Ohr hatte, und Muskablüt dachte, während er die trauliche Hingebung der Frau Heinz duldete, an schönere Abentheuer; die ihm hoffentlich sein Glücksstern bald zuführen werde.
»Bei'm heiligen Franciscus, es ist ein lustiger Ort, das Städtlein Friedberg in der Wetterau!« begann nun der Pater. »Ringsum liegen lachende Wiesen; am Schloßberg wächst ein Wein, der freilich ein wenig mehr in's Säuerliche spielt, als Euer Sachsenhäuser und Röderberger, Meister Heinz, obgleich auch diese grade noch weit entfernt von der Süßigkeit des Honigsaim's sind, den aber die guten Friedberger mit einer Freundlichkeit kredenzen, die für die beste Würze gilt. Auf dem Berge erhebt sich das Schloß des Burggrafen, der von dort aus eine weite Strecke Landes übersieht. Kein Frachtwagen, kein Karrn, kein Rößlein im weiten Grunde entgeht dem Scharfblicke seines Thurmwarts, und wie der Blitz sind seine Reiter unten, – den Frachtwagen um ein Fäßlein Hochheimer, den Karrn um ein Bällchen Waare, das Laströßlein um ein Päckchen fein Seidenzeug zu erleichtern. Das nennen die guten Leute von Friedberg den Burgzoll. Oft gibt's auch blutige Köpfe und zerbläuete Rücken bei solchen Gelegenheiten und das nennen sie den Leibzoll. Zoll muß aber bei Allem seyn, denn mit dem Zoll ist der Burggraf, als mit einer kaiserlichen Gerechtigkeit, belehnt. Mir wurde es immer frisch und fröhlich zu Sinne, wenn ich die Thürme von Friedberg aus der Ferne erblickte. Ich hatte einen Gevattersmann dort, eine ehrliche Haut und einen guten Christen. Requiescat in pace, die erbärmliche Pest hat auch ihn hingerafft! Ich konnte immer darauf rechnen, von Allem, was das Jahr hindurch im Hause vorfiel, von der Gänse- und Schweineschlacht, von der Obst- und Getraideerndte, von Kindtaufs- und Festtagsschmäusen mein Schärflein vorzufinden, wenn ich zum Termin bei'm Gevattersmanne eintrat. Er nannte sich Wärter und war seines Handwerks ein Paternoster- und Rosenkranzmacher. Bei ihm fand ich auch immer Tisch und Lager gedeckt, freundliche Aufnahme und Aufenthalt, so lang es mir beliebte. Als ich eines Abends von einer weiten Fahrt in's Hessenland zurückkehrend, sein Haus betrat, kam mir mit lachendem Gesichte die Sepp, sein Weib, entgegen, und sagte: ›Nun, ehrwürdiger Herr, diesesmal sollt Ihr nicht allein heimwandern nach Kloster Königstein, sondern in muntrer Gesellschaft. Wir haben Euch einen Reisekumpan zugedacht, dessen lustige Sprünge Euch baß ergötzen werden. Ihr wißt, daß von Allem, was uns die lieben Heiligen in's Haus bescheeren, immer Etwas abfällt in Euern Sack. Im Sack wird's nun freilich diesesmal nicht Platz haben, aber Ihr nehmt's doch freundlich an und der hochwürdige Abt in Euerm Kloster wird auch nicht böse darüber seyn!‹ Ich folgte, ohne zu errathen, was sie meine, der Sepp, die ein gar fröhliches Gemüth besaß, in die Werkstatt zu ihrem Manne. Auch Wärter begrüßte mich freundlich nach seiner Weise. Er gab den Ernst, die Stille und ein gutes einfältiges Gemisch in's Haus, während sein Weib den Scherz, die laute frohe Rede und einen spitzen, listigen Verstand mit eingebracht hatte. Sie hielt sich gern zu mir, denn die Sparpfennige, die sie, ohne ihres Mannes Wissen, bei Seite zu legen wußte, überbrachte ich im Geheim ihren Eltern, armen Leuten in einem Dörflein am Gebirg. ›Ehrwürdiger Pater und Gevattersmann,‹ sprach Wärter, als er meiner ansichtig wurde, ›wir haben auch in diesem Jahre Eurer gedacht bei jeglicher Gelegenheit und es fehlt nicht an Geräuchertem und Gesalzenen, an Sommer- und Herbstfrucht, Euern Säckel zu füllen. Aber laßt Euch von Sepp erzählen, was sonst vorgefallen ist im Hause und wie Gottes Segen auch für Euch draußen im Stalle steht. Ich hol' inzwischen einen frischen Trunk Fronwein und einen leckern Bissen zum Abendessen.‹ Er ging und die gute Sepp berichtete nun mit geläufiger Zunge, daß ihr Viehstand sich vor zwei Wochen vermehrt, daß die stärkste ihrer Kühe sie statt mit einem, mit zwei Kälbern beschenkt habe, daß diesem Ereignisse aber eine große Besorgniß um das Leben der Kuh vorhergegangen sey, in der sie gelobt, wenn Alles glücklich vorüber und, wie sie vorausgesehen, ein Doppelsegen eingetroffen sey, dem heiligen Franciscus den ersten der zwei Sprößlinge zu widmen. Das redliche Weib hatte Wort gehalten und, um nicht etwa zu irren, das Erstgeborene sogleich mit einem Band um das rechte Bein bezeichnet. Wärter kam zurück und führte mich auf mein Verlangen in den Stall, um mich mit meinem künftigen Reisekumpan bekannt zu machen. Das Kalb gefiel mir schon, die Kuh aber noch besser. Sie zeichnete sich vor den andern durch Stärke und Feistigkeit, durch Alles aus, was einer Kuh zum Ruhme gereichen kann. Ich weiß nicht, wie es zuging, aber in meinem Herzen erhob sich ein unwiderstehliches Verlangen nach dem Thiere. Daheim im Kloster fehlte es oft an Milch und frischer Butter und an Festtagen empfanden wir diese Entbehrung schwer. Ich warf nur einen raschen Seitenblick auf das Kalb. Es trug ein neues rothes Band um das Kniegelenk des rechten Beins gewunden. Essen und Trinken wollten mir den ganzen Abend nicht schmecken. Immer stand die schöne große Kuh vor meinen Blicken, und das kleine Kalb daneben schien meiner zu höhnen und es war mir, als wenn es zu mir spräche: ›nun, Pater Clarus, wofür hast du deinen Heiligen, wenn du nicht durch seine Wunderkraft mich in eine schöne starke Kuh verwandeln kannst? Der heilige Sebald machte aus Steinen Brod und ließ einen Lästrer von der offnen Erde verschlingen, der heilige Franciscus aber ist ein Lump, der nur auf's Betteln ausgeht und nichts versteht von seiner Profession.‹ Diese Schmähung meines Heiligen erfüllte mich mit bitterm Groll. Frau Sepp mochte noch so freundlich zureden, der Gevattersmann mir noch so traulich zunicken, kein Bissen wollte mehr über meine Zunge, kein Trunk mehr in meine Kehle. Ich suchte so verdrießlich mein Lager, wie ich mich nicht erinnern kann, je sonst noch gewesen zu seyn. Ehe ich einschlief, richtete ich ein recht inniges und heißes Gebet an meinen heiligen Schutzpatron, er möge doch diesesmal ein Übriges thun und über Nacht das garstige, höhnische Kalb zu einer schönen, sanftmüthigen Kuh heranwachsen lassen. Ich betete so gewaltig, daß mir bei'm Amen die hellen Schweißtropfen auf der Stirn standen. Dann schlief ich bald ein. Aber ich muß eine sehr unruhige Nacht gehabt haben. Denn bei'm Anbruch des Morgens, als ich erwachte, fand ich mich verkehrt im Bett liegen und völlig angezogen, was in einem lebendigen Traume geschehen seyn mußte, da ich mich recht wohl erinnerte, vor dem Niederlegen mich entkleidet zu haben. Ich fühlte mich noch sehr müde. Die ersten Sonnenstrahlen, die in das Gemach fielen, hielten mich nicht ab, noch einmal einzuschlafen. Da begnadigte mich der heilige Franciscus mit einem schönen, wunderbaren Traume. Der hohe Heilige erschien mir selbst in seiner Himmelsglorie. Ich erkannte ihn an den fünf Wundermalen, die ihm, wegen seiner großen Liebe und Ergebenheit zu Gott Sohn, wunderbar eingeprägt worden. Er war zürnenden Antlitzes und sprach im ernsten Tone zu mir: ›wie konntest du zweifeln an meiner Macht, und nennst dich doch einen Sohn des heiligen Franciscus? Du bist wie Thomas, der an dem Herrn zweifelte, aber gehe hin und siehe und du wirst von deinem Unglauben genesen, wie er!‹ Ich erwachte und es war mir, als umgebe mich noch die Glorie des Heiligen, als empfände ich noch seine Gegenwart. So lebhaft hatte ich noch nie geträumt. Fast stand ich in Zweifel, ob mir der hohe Heilige nicht leibhaftig, bei wachen Augen erschienen wär. Ich eilte hinab zu Wärter und Sepp, die mich schon bei'm Habermuse erwarteten. Meine Seele war ganz von meinem Traume erfüllt. Ich schob den Brei zurück, den mir Sepp darreichte, ich erzählte meinen Traum und sagte den guten Leuten, ich könne nicht Speise, noch Trank genießen, ehe ich mich nicht überzeugt habe: ob das Wunder, das mir die Erscheinung des Heiligen im Traume verkündigt, sich begeben habe oder nicht. Ich, für mein Theil, erwarte von der Wunderkraft des Heiligen Alles und es sey für ihn gewiß eine Kleinigkeit, über Nacht aus einem Kalbe eine Kuh oder aus einer Kuh ein Kalb zu machen. Sepp und ihr Mann hatten mir mit frommer Ergebung und christlicher Andacht zugehört. Sie bekreuzten sich und folgten mir in den Stall. Siehe, da hatte Alles sich zugetragen nach den Worten des Heiligen. Er hatte mein Gebet erhört, aber nach seiner Einsicht! Das Kalb war zu einer so schönen und stattlichen Kuh herangewachsen, daß man es für seine Mutter hätte halten können, die Mutter jedoch war zu einem Kalbe zusammengeschrumpft von dem nämlichen Ansehen, wie ihr Junges gewesen. Das zweite Wunder hatte wahrscheinlich der Heilige in seinem Zorne hinzugefügt. Über die Verwandlungen selbst waltete kein Zweifel. Das zur Kuh gewordene Kalb stand an der Stelle, wo es am vorigen Abende als Kalb gestanden, die zusammengegangene Kuh an dem Platze, den sie damals eingenommen. Die neue Kuh trug das rothe Band um das Kniegelenk des rechten Beins und man konnte das schnelle, durch ein Wunder bewirkte Wachsthum an dem tiefen Einschnitte, den das Band gemacht hatte, bemerken. Ich rief: ›Mirakel!‹ und Wärter und seine Frau riefen mit. Der halbe Ort lief zusammen, um das Doppelwunder anzustaunen, und der fromme Paternostermacher segnete mich und sein Gelübde, das einen solchen Beweis von der Wunderkraft des heiligen Franciscus unter sein Dach gebracht. Als ich die stattliche Kuh bei meiner weitern Wanderung aus dem Orte vor mir hertrieb, begleiteten mich viele hundert Neugierigen. Wärter und Sepp waren unter ihnen. Der Gevattersmann dankte mir beim Abschiede in seiner frommen, sanften Art für Das, was ich durch mein Gebet an seinem Hause gethan; Sepp konnte einige tiefe Seufzer, als sie die Kuh zum letztenmale streichelte, nicht unterdrücken. Aber sie erhielt Grund genug, sich des Wunders des Heiligen zu erfreuen. Alle Bewohner von Friedberg, die Fremden, welche durchzogen, besuchten ihr Haus, als eine heilige Stätte. Dazu bedurfte man eines Vorwandes und es hieß nun allgemein, der Paternostermacher Wärter habe ein Faß Wein angestochen, desgleichen man seit undenklichen Zeiten nicht gekostet. So verzapfte mein Gevattersmann in wenigen Wochen, gegen gute Zahlung, allen sauern Wein aus seinem Keller und konnte von dem Gewinn, den er daraus erlöste, zwei eben so starke und stattliche Kühe, als die zum Kalbe eingeschrumpfte gewesen war, die dann doch nun auch wieder nach und nach in ihre vorige Gestalt zurückwuchs, erkaufen. Ehre dem heiligen Franciscus! Er brachte Segen über Wärter's Wohnung und unser armes Gotteshaus.«
Die guten Bürger hatten staunend zugehört. Pater Clarus führte mit einem seltsamen Lächeln den Becher an seine Lippen, während Frau Heinz kopfschüttelnd sprach:
»Ihr wolltet aber ein Wunder erzählen, daß Ihr selbst gethan hättet! An den Wundern der Heiligen zweifelt kein guter Christ. Sanct Franciscus ist wohl der Mann dazu, Berge von ihrer Stelle zu rücken, geschweige Kühe und Kälber zu verwandeln. Wie aber habt Ihr Etwas dazu gethan?«
»Durch mein Gebet;« erwiederte salbungsvoll Pater Trockenbrod.
» Ego nunquam plus volo bibere vinum, ich will niemals mehr Wein schlucken,« rief lachend Meister Heinz, »wenn unser Schelm von Klosterbruder das Wunder nicht ganz allein vollbracht hat! Er hatte eine unruhige Nacht, er fand sich bei Tagesanbruch verkehrt auf dem Bette liegen! Ich glaub's gern. Er war im Dunkeln in den Stall geschlichen, hatte die Kuh an die Stelle des Kalbes und dieses an den Platz der Kuh gestellt, das rothe Band listiglich recht fest um der Kuh Kniegelenk geschnürt und war dann wieder in sein Kämmerlein getappt, wo er sich in der Finsterniß, Kopf unten, Füße oben, auf das Lager gestreckt. Der blödsinnige Paternostermacher glaubte Alles, was ihm aufgeschwatzt wurde, und Frau Sepp drückte gern ein Auge zu, damit der wunderthätige Pater nicht ihr geheimes Verthun des Hausgeldes an die armen Verwandten verrathe. Als nun gar das Wunder die Weinkunden in das Haus lockte, wußte Frau Sepp noch besser, warum sie keinen Zweifel an dem Werk des heiligen Franciscus laut werden ließ. Pater Clarus, das ist ein Stücklein, das Euch Ehre macht! Vivat miraclum vestrum! Euer Wunder soll leben!«
Der Pater erwiederte nichts, sondern lächelte nur räthselhaft für sich hin. Die harmlosen Bürgersleute aber, die erst einer so faßlichen Erklärung, wie der des Stadtkochs bedurft hatten, um des Bettelmönchs Erzählung nach Gebühr zu würdigen, brachen jetzt in ein einstimmiges Gelächter aus. Man war in jenen Tagen solcher Kunststückchen der niedern Geistlichkeit zu sehr gewohnt, um einen großen Anstoß daran zu nehmen, und wenn nun gar ein schalkhafter Geist der List über einem solchen Streiche waltete, so durfte er sicherlich auf den Beifall der Menge rechnen. Deshalb hielt auch Pater Clarus gar nicht für nöthig, die Lobeserhebungen, welche ihm reichlich zufielen, abzulehnen; er nahm sie vielmehr mit sichtbarem Wohlgefallen, mit dem schmeichelhaften Gefühle, dessen sich ein geschickter Feldherr nach errungenem Siege erfreut, auf.
»Wenn es eine ansehnliche Gesellschaft gestattet,« hob, nachdem er sich geräuspert, der Limburger Stadtschreiber an, der gern jede Gelegenheit ergriff, sey es durch seine Unterhaltungsgabe, sey es durch eine Hindeutung auf die Würde seines Standes, einen günstigen Eindruck auf die schöne Sängerin zu machen; »so will ich eine Geschichte erzählen, die, wie ich hoffe, ihr ein Viertelstündlein angenehm verkürzen wird.
Laetitia garrula res est;
Tritt uns die Freude an das Herz,
So legt sie auf die Lippe Scherz.
Und ich fühle mich in diesem Augenblicke so froh und selig, daß ich mich getrauen möchte, mit den alten heidnischen Comödienschreibern, Plautus und Terrentius, einen Wettkampf an Scherz und Witzreden einzugehn. Ihr, holdselige Eitel, seyd die Muse, die mich begeistert! Eure Nähe überzeugt mich, daß die Ehre, Stadtschreiber von Limburg zu seyn, von dem Glücke, Euch anzuschauen, überwogen wird. Leiht mir nur ein freundliches Gehör, Schön-Eitel, und, ihr andern guten Leute, nehmt Eure Gedanken zusammen, um Das zu begreifen, was ich Euch erzählen will.«
Der Hauswirth füllte noch einmal die Becher, die schöne Sängerin lohnte Herrn Gensbein mit einem verstohlenen Händedrucke für die Auszeichnung, die er ihr werden lassen, dann begann dieser:
»In der guten Stadt Limburg, deren Rathsschreiber zu seyn, ich gewürdigt worden, lebte vor hundert oder mehr Jahren ein reicher Wollenweber, Namens Claus Radebecher. Er besaß das schönste Haus am Markte, die schönste Frau in der Stadt, die besten Obstgärten an den Bergen, die fettesten Wiesen am Lahnufer. An ihm wurde das alte Sprichwort wahr:
Wem Gott legt Reichthum in die Hand,
Dem gibt er auch dazu Verstand;
denn ehe er dreißig Jahre zählte, hatte man ihn schon zum Rathsherrn ernannt und vor dem vierzigsten bekleidete er bereits die Bürgermeisterwürde. Die Zunft der Wollenweber war damals sehr beträchtlich in unsrer Stadt. Von ihr gingen alle öffentliche Lustbarkeiten unter der Bürgerschaft aus und auf ihren Schmausereien, bei ihren Tänzen lebte sich's hoch und herrlich, wie bei den Banketten der Ritter und Domherren. Claus Radebecher stand unter seinen Zunftgenossen in so großem Ansehn, daß ihn die Junker aus den edeln Geschlechtern nur spottweise den Wollenkönig nannten. Er zog sich auch diese Benennung durch seine Hoffahrt und sein Großthun zu; denn er ließ sich außer Hause nicht anders als in Sammet und Seide sehn und wenn er zu Rathe ging, so mußten ihm immer zwei städtische Trabanten im vollen Staate voranschreiten. Dagegen erhielt sich Frau Ludmilla, seine Eheliebste, fortwährend in dem Rufe eines Musters an Tugendlichkeit und frommer Demuth, einer freundlichen Wohlthäterin der Armen, einer gehorsamen und ehrbaren Hausfrau, die sich geduldig in alle seltsame Launen des hochmüthigen Eheherrn fügte. Sie zählte zwei Jahre weniger, als der gestrenge Stadtconsul, und immer noch blieb ihrem Äußern die Frische und Schönheit der Jugend getreu. Man konnte wohl mit Recht von ihr sagen:
Innen Ehrenpreiß
Und tugendlich Gemüthe;
Außen Liljenweiß'
Und frische Rosenblüthe.
Die Ehe des Bürgermeisters und seiner Liebsten hatte der Himmel mit einem einzigen Töchterlein gesegnet. Als Bertha dem achtzehnten Jahre nahe stand, konnte man sie und ihre Mutter für zwei Schwestern halten, so sehr sah sie dieser ähnlich. Auch war sie unter Frau Ludmillens sorglicher Pflege eben so tugendhaft und gottesfürchtig geworden, wie diese, und umsonst verschwendeten die Junker und Herrn ihre Zeit unter den Fenstern der Jungfrau, um einen freundlichen Blick, ein aufmunterndes Lächeln zu erhalten. Wie auf Alles, so war Claus Radebecher auch auf die Schönheit und Tugend seiner Frau und seiner Tochter stolz. Er rühmte sich oft laut, daß, so viel der angesehenen Ritter und Herren auch im Lahngrunde und auf dem Westerwalde wohneten, doch keins ihrer Frauen und Töchter eine Tugendprobe, wie sie einst an König Artus Hof mit dem wunderbaren Mantel, der allen noch so vornehmen Damen, bis auf ein armes, unbeachtetes Edelfräulein, zu kurz gewesen, statt gefunden, gegen Ludmilla und Bertha bestehn könnten. Er würde sich vollkommen glücklich gefühlt haben, wenn nicht die Gegenwart eines Hauskobolds, der schon seit undenklicher Zeit in der Wohnung, die von seinen Voreltern auf Claus gekommen, seinen Sitz aufgeschlagen hatte, ein immer währender Gegenstand des Ärgers für ihn gewesen wäre. Heimchen, so nannte sich der Kobold, that keinem Menschen Etwas zu Leide; es galt vielmehr unter den Leuten für eine ausgemachte Wahrheit, daß er es sey, der Glück und Segen in das Haus der Radebecher bringe, der das Geld in den Kisten verdopple, das Weißzeug in den Truhen vermehre, das Obst in den Gärten reichlich wachsen und gedeihen lasse, die Wiesen und Äcker fruchtbar erhalte, wenn auch ringsumher ein Mißwachs die Grundstücke der Nachbarn veröde. Er war ein guter, christlicher Geist, denn oft erschien er in der Gestalt eines alten grauen Männleins mit einem grünen Hute bei der häuslichen Andacht, betete eifrig mit und sagte auch wohl mit seiner wohllautenden Stimme das Vaterunser her. Das Hausgesinde verhielt sich dann, weil es seine Gutmüthigkeit kannte, ganz ruhig, eben so thaten Frau Ludmilla und Bertha, als ob sie ihn nicht bemerkten, nur Claus konnte seinen Unwillen, der sich in Blicken und Gebehrden kund gab, nicht mäßigen. Es verdroß ihn, daß Etwas in seinem Hause war, was den Leuten Ursache zu allerlei Nachrede gab; er mußte einigemale beim Abendtrunke im Rathskeller von neidischen Nachbarn Sticheleien auf sein Glück und sein Vermögen vernehmen, das er doch nur dem Beistand eines Kobolds zu verdanken habe, von dem man nicht wisse, ob er nicht gar dem Gott sey bei uns diene und nur, um desto sicherer sein Netz nach der armen Seele auszuwerfen, sich fromm stelle. Iracundiam qui vincit, hostem vincit maximum:
Wer seines Zornes Meister ist,
Sey mir als größter Held begrüßt!
Dieses Sprüchlein wurde von dem Bürgermeister, den der vermeinte Fleck an seiner Hausehre Tag und Nacht beunruhigte, außer Acht gelassen, und er ging so weit, den guten Kobold, wenn dieser an Fest- und Namenstagen, nach einem alten Herkommen bei'm Frühmale erschien, um sein Stücklein Festkuchen in Empfang zu nehmen, mit Vorwürfen zu überhäufen und sogar mit Bann und Austreibung zu bedrohen. Im Stillen suchten Frau Ludmilla und ihr Töchterlein dieses Unrecht, das der gute Hausgeist erleiden mußte, wieder gut zu machen. Sie kochten ihm süße Hirse, die er, wie sie wußten, sehr gern speiste, sie stellten dieses Gericht mit allerlei anderm Naschwerk, Rosinen und Zuckerbrod, an das Plätzchen im Hauskeller, wo Heimchen, nachdem die Spender sich entfernt, dergleichen außergewöhnliche Gaben zu holen pflegte. Nur auf den Festkuchen hielt Heimchen, als auf ein altes Recht, das er sich nicht beeinträchtigen lassen wollte, und erschien, ohne sich durch Radebecher's Schelt- und Drohworte abschrecken zu lassen, bei jeder feierlichen Gelegenheit. Den Kuchen zu verweigern aber wagte der Bürgermeister aus einem dunkeln ahnungsvollem Gefühle doch nicht. Die Hausfrau und ihr Töchterlein empfanden und erkannten indessen fortwährend den Segen, den Heimchen's Gegenwart in's Haus brachte. Wenn Abends von den Mägden die Spindeln nicht ganz abgesponnen wurden, wenn Ludmilla oder Bertha ein angefangenes Gewebe auf dem Webstuhle hinterlassen hatten, so fand sich oft Morgens Alles vollendet, sauber und zierlich, als habe die fleißigste und kunstfertigste Hand daran geschaffen. Die Butter im Fasse gedieh bei ihnen fast immer, selbst in der schlimmsten Jahreszeit, das Bier wurde nie sauer; wenn Frau Ludmilla den Wein im Keller auffüllen wollte, so war das immer schon geschehen, so wie denn Heimchen in diesem Reviere, das er seiner besondern Sorgfalt anvertraut glauben mochte, zu jeder Zeit auf die größte Ordnung hielt. Wenn aber Mutter und Tochter versuchten, den Vater freundlicher gegen den Hausgeist zu stimmen, wenn sie zu diesem Zwecke seine guten Dienste anpriesen, dann erhob sich Radebecher's Zorn in wilder, tobender Rede, dann ergoß er sich auch schmähend über die beiden Frauen, die, wie er sagte, den Wurm, der an seiner Ehre nage, hegten und pflegten. ›Kann es,‹ rief er aus, ›einen grössern Schimpf für einen Mann meiner Art, für einen Bürgermeister von Limburg geben, als den, daß er sich muß nachsagen lassen, ein elender Kobold, ein unnützer Schlemmer, ein wahrer Hausdieb sey der Beförderer seines Glücks und seines Ansehns? Claus Radebecher ist selbst Manns genug, sich bei Ehre und Reichthum zu erhalten, und ich will mir den Höllenspuk aus dem Hause schaffen, so gewiß, wie ich meine Bertha zu einer Rittersfrau zu erheben gedenke!‹ Das war des Bürgermeisters voller Ernst, denn Niemand, so hatte er sich vorgesetzt, solle sein Töchterlein heimführen, als ein Junker aus adlichem Geschlechte. Er führte nun endlich den Entschluß, den er lange im Geheim mit sich herumgetragen, aus. Er ließ einen tüchtigen Teufelsbanner, der in dem Rufe einer wenigstens eben so großen Wunderkraft, wie die unsers Freundes, Pater Clarus, stand, zu sich rufen. Es war ein frommer Mönch aus einem benachbarten Kloster, ein Mann, dessen Wohlbeleibtheit jeden belehrte, daß der höllische Widersacher in den Kämpfen mit ihm, bisher vergebens gegen sein Fleisch und Bein gewüthet. Er nahm seine Wohnung bei Claus Radebecher, er ließ sich Speise und Trank trefflich munden und meinte, er müsse erst Ort und Gelegenheit, des Kobolds Eigenschaften und ganzes Wesen recht genau kennen lernen, ehe er die Beschwörung mit Erfolg unternehmen könne. So vergingen vier Wochen, und der Teufelsbanner konnte nun nicht mehr länger dem ernstlichen Verlangen Claus Radebecher's, der Sache ein Ende zu machen, ausweichen. Aber errare humanum est:
Wie oft, o Mensch, in seinem Schluß
Dein schwacher Geist sich irren muß!
Eines Abends, als die Frauen und das Gesinde sich schon zur Ruhe begeben hatten, machten sich der Bürgermeister und der Mönch auf den Weg in den Keller, als dem Orte, wo der Kobold bekanntlich seinen Hauptsitz hatte. Der Geisterbanner war mit Allem versehen, was die Kunst zu einem solchen Unternehmen erfordert. An einem Bande um den Hals hing ein Gefäß mit Weihwasser auf die Brust herab, unter dem linken Arm steckte eine Pergamentrolle mit den kräftigsten Beschwörungsformeln, unter dem rechten ein Wedel, sich den Geist vom Leib zu halten, die linke Hand trug die qualmende Rauchpfanne, die rechte einen Stab auf dem allerlei zauberische Zeichen eingegraben waren. Anfangs ließ der Kobold die Männer ruhig gewähren. Der Mönch hatte Zeit, seine Angriffsanstalten in der Mitte des Kellers zu vollbringen, er konnte mit seinem Stabe einen Schutzkreis um sich und seinen Gefährten ziehn, er wurde im Räuchern, das den ganzen Raum mit dichten Wolken erfüllte, nicht gestört, er vertrauete den Wedel dem Bürgermeister und begann nun, den Stab nach allen Richtungen schwingend, die furchtbaren Formeln des Exorcismus. Noch ging Alles gut. Heimchen rührte und regte sich nicht und Claus Radebecher triumphirte. Da plötzlich, als der Mönch die stärkste seiner Beschwörungen mit grimmiger Stimme und wunderlichen Gesichtsverzerrungen, bei denen dem Bürgermeister selbst die Haare sich sträubten, ausgesprochen, erhob sich im hintersten Winkel unter einem mächtigen Fasse hervor ein lautes Gelächter und Heimchen's feine Stimme ließ sich ganz verständlich vernehmen:
Treib bösen Geist dir selber aus,
Du Schalk, aus deinem Blut.
Dein dicker Wanst ist Satans Haus,
Voll Lüst' und Sündenmuth!
Der Mönch fing an, sich wie rasend zu gebehrden. Er warf sich zu Boden und rang dort, wie er dem zitternden Claus zurief, mit dem Kobold. Dann sprang er wieder auf, schüttete Weihwasser in Strömen gegen den Ort, wo Heimchen so eben laut geworden, und schrie mit entsetzlicher Stimme seine Bannsprüche. Aus einem ganz entgegengesetzten Winkel, hinter Radebecher und dem Beschwörer erklang nun mit einemmale des Kobolds Gelächter und spöttischer Ruf:
Pferdfuß unterm Kuttenrock,
Wasser, Rauch und Wort,
Narrenwedel, Zauberstock:
Packt Euch eilig fort!
Und jetzt begann Heimchen, endlich rege geworden, ein so tolles und lärmendes Treiben, daß dem Mönche die Bannflüche auf der Zunge erstarben, daß der Bürgermeister ihn zitternd umschlang und ein Ave Maria über das andere laut hersagte. Zuerst fuhr der Kobold in das größte Faß tief im Hintergrunde des Kellers und ließ dieses auf die beiden Männer heranrollen, trieb es jedoch in seinem Muthwillen nur bis dicht vor ihre Füße, wo es plötzlich, fast wie eine Mauer, einwurzelte. Zugleich hörte man sein höhnisches Gelächter aus allen Winkeln hinter allen Fässern und Fäßlein, unter allen Körben und Bütten hervor. Es war, als ob er sich vertausendfältigen könnte. Die Rüben, die am Boden aufgeschichtet lagen, begannen zu hüpfen und zu springen, die Fässer und Fäßlein erhoben sich langsam und ehrbar zu einem Kreistanze um den Beschwörer und seinen geängstigten Begleiter, die Äpfel und Birnen, welche eben von der Herbsterndte eingebracht worden, fuhren von ihren Gestellen hin und her durch die Lüfte, sausend und schwirrend um die Köpfe der beiden Männer, und dazwischen tönte immer Heimchen's Spottgelächter und ließen sich die Worte vernehmen:
Stört des Heimchen's Frieden nicht,
Sündenpfaff und Hochmuthswicht!
Mit einemmale schien der ganze Keller in lichten Flammen zu stehn. Die Fässer wurden Ungeheuer, die Feuer auf den Mönch und den Bürgermeister spieen, die Rüben hüpfende Feuerballen, Äpfel und Birnen fliegende feurige Kugeln. Da war's um den letzten Muth des Beschwörers geschehn. Er ließ Rauchpfanne, Pergamentrolle, Weihkessel, Stab und Wedel, als Zeichen seiner Niederlage im Stich, stürmte in wilder, eiliger Flucht die Treppe hinauf und riß den Hausherrn, der sich ängstlich an ihn klammerte, unaufhaltsam mit sich fort. Ein entsetzliches Hohngelächter, das aus hundert Kehlen zu dringen schien, folgte ihnen nach. Oben im Eingange hatte Claus Radebecher wieder soviel Muth gewonnen, daß er stehen bleiben und beim Lichte der Laterne, die er trug und mit krampfhafter Gewalt festgehalten hatte, noch einmal in den Raum des Kellers hinabsehen konnte. Da lag Alles still und ruhig, als sey die herkömmliche Ordnung nicht im mindesten gestört worden: die Fässer auf dem Lager, die Rüben in wohlgeschichteten Reihen, das Obst auf seinen Gestellen. Aber weder er, noch der Mönch kamen auf den Gedanken, in diesem Augenblicke einen zweiten Angriff zu wagen. Beide schlichen leise und schweigend in ihre Schlafgemächer, wo sie bis zum hellen Morgen sich von Feuer umgeben, die tanzenden Fässer, die springenden Rüben, die fliegenden Äpfel sahen und Heimchen's wildes Hohngelächter vernahmen.«
»Laßt ihnen auf einige Augenblicke Ruhe und benutzt diese Zeit, Euch mit einem guten Tropfen zu stärken;« unterbrach Meister Heinz den Erzählenden. »Euer Zünglein ist geläufig und belebt, aber auch das beste Roß muß zur Krippe geführt werden, um seinen Lauf mit neuer Kraft beginnen zu können. Hier ist ein Hyppokras, den Hyppokrates selbst nicht besser gebraut haben würde. Coquus optimus est medicus, der Koch ist der beste Arzt.«
Herr Gensbein, der jetzt bedacht war, sich zwischen dem Feuer der Liebe und des Weins bei besonnenem Muthe zu erhalten, nippte nur und ließ dann den Becher, mit einem zärtlichen Seitenblick, weiter an seine schöne Nachbarin gehn. Er lächelte bescheiden, als Eitel seiner Erzählung ein reichliches Lob widmete, er setzte diese, als die schöne Sängerin äußerte, wie sehr sie auf den Verlauf der Geschichte gespannt sey, sogleich in folgender Weise fort:
»Claus Radebecher war nach diesem Abentheuer nicht gesonnen, den Hauskobold durch weitere Beschwörungsversuche zu beunruhigen. Allein der Mönch wollte durchaus sein Werk nicht aufgeben und hielt es seinem Ruhme nachtheilig, sich durch eine erste Niederlage abschrecken zu lassen. Er wußte dem Bürgermeister so viel von noch weit stärkern Beschwörungen, die er noch im Rückhalte habe, von der Gewalt, welche der nahende erste Advent dem Kunstverständigen über die Geister einräume, von dem Beistand, ich weiß nicht, welches Heiligen vorzurede, daß Claus Radebecher sich endlich bethören ließ und in den fernern Aufenthalt des Mönchs in seinem Hause einwilligte. Frau Ludmilla ließ sich zwar im traulichen Zweigespräche mit dem Gemahle dagegen vernehmen, allein es war auch diesesmal ihr Schicksal, daß Claus taub gegen ihre Bitten blieb. Aber: voller Kropf, toller Kopf! Dieses Wörtlein bewahrheitete sich recht bei dem Mönche. Eines Tages vernahm Claus Radebecher einen lauten Schrei aus dem Zimmer seiner Ehehälfte. Wie der Blitz stand er in der offenen Thüre und sah hier Frau Ludmilla mit zornerglühetem Angesicht und in heftiger Bewegung, den Geisterbanner aber schüchtern und verlegen in ihrer Nähe. Ohne weiter zu fragen, was hier vorgegangen, ohne aus des Mönchleins Rede, die den Hauskobold dieser Störung bezüchtigte, zu achten, nahm er den Wundermann bei der Kaputze, führte ihn fein säuberlich die Treppe hinab und zum Hause hinaus, indem er sagte: ›Der Geist hatte wohl recht, als er Euch den Pferdfuß unter'm Kuttenrock nannte, als er Euch rieth, den Satan aus Euch selbst, aus Euerm sündigen Blut und lüsternem Leib zu treiben.‹ Von nun an hatte Heimchen vor allen Beschwörungen Ruhe. Als er bei'm Weihnachtsfeste erschien, um sein Stücklein Kuchen in Empfang zu nehmen, zeigte er weder Übermuth noch Siegerspott. Er verneigte sich ebenso bescheidentlich, wie früher, gegen den Bürgermeister, als dieser ihm mit mürrischer Miene, aber ohne ein zorniges Wort zu wagen, die Schnitte Feiertagskuchen darreichte, er richtete nur, ehe er, verschwand, in einem schalkhaften Tone an Jungfrau Bertha die Worte:
›Wie ziert, o Jungfrau, minniglich
In diesem Jahr der Brautkranz dich!
Grün Wamms, am Hut ein Federlein,
Ein Angesicht, wie Sonnenschein,
Dran wird dein Freier kenntlich seyn.‹
Bertha erröthete, wie es einer sittigen Jungfrau bei solcher Rede ziemt. Der Vater warf den Kopf stolz über und sagte: ›Der Bürgermeister von Limburg wird selbst für einen Freiersmann, der ihm wohlgefällt, zu sorgen wissen. Ein Hut mit einem Federlein dran: das wäre eine schöne Sache! Silberhelm und Reiherbusch muß denjenigen zieren, der eine Werbung um dich anbringen möchte, und sein Wappenschild muß in jedem Turney mitzählen können.‹ Bertha aber träumte von nun an jede Nacht von einem freundlichen, rothbackigen Jünglinge, angethan mit knappem, grünem Wamms, am Hut, der keck und leicht ein dunkles Lockenhaar bedeckte, eine lustig schwankende Feder aufgesteckt. Bald hielt sich das liebliche Bild nicht mehr innerhalb ihrer Träume. Am lichten Tage, im Zimmer, in der Küche, in der Vorrathkammer trat es vor ihre Augen. Es wurde ihr eine trauliche Gesellschaft, der Umgang mit ihm ein süßes Spiel, das aber ihre Brust doch mit Sehnsucht nach einem unbekannten süßern, nach einer Wirklichkeit, deren Freuden die des Traumes und der Einbildung weit übertreffen mußten, erfüllte. Indessen wurde der Hochmuthsteufel, von dem Claus Radebecher besessen war, von Tage zu Tage unerträglicher. Die alten Freunde unter den Rathsherrn, welche bisher noch zu dem Bürgermeister gehalten, verfeindete er sich durch seinen Übermuth, selbst die Zunft der Wollweber, die bisher stolz auf ihn gewesen, mochte seinen zunehmenden Dünkel nicht ferner ertragen, und als er nun gar noch einen reichen Bruder, der ehe- und kinderlos in der Nachbarstadt Wetzlar verstarb, beerbte, wußte er nicht, was er Alles vornehmen sollte, um mit seinem Reichthume recht vor den Augen seiner Mitbürger und der umwohnenden Burgherrn zu prunken. Er gab Feste und Gastmahle, bei denen Frau Ludmilla und ihr Töchterlein nur gezwungen erschienen, er erwarb sich durch diesen Aufwand wieder einige neue Freunde, während ihm die alten, zurückgesetzten um so bittrer grollten. Er sah, wenn er ihnen begegnete, höhnisch auf sie nieder und erwiederte ihren Gruß mit vornehmer Nachlässigkeit. Schon seit langer Zeit ging er nicht mehr zu Rathe, sondern begab sich auf einem reichgeschmückten Pferde, das zwei glänzend gekleidete Diener führten, dahin. Geringe Leute, die ein Geschäft zu ihm führte, ließ er gar nicht mehr vor sich; er schickte sie zum Stadtschreiber, der sie anhören und ihm dann das Nothwendige mittheilen mußte. Auch unter den Bürgersleuten wurde er nun nicht anders, als der Wollenkönig genannt, und man würde ihn seines Übermuths wegen vom Amt entsetzt haben, wenn nicht die Grafen von Solms und von Nassau ihn gegen die Bürgerschaft mächtig vertreten hätten. So ging der Winter vorüber und der Frühling kam mit seinem Blumenschmuck und seinem fröhlichen Leben. Aber Bertha ließ das schöne Köpflein hängen und hatte nicht, wie sonst, Freude an den Blumen, Lust zur Theilnahme an dem heitern Leben. Ihre Sehnsucht wuchs von Tage zu Tage, und das grüne Wamms, das Hütlein mit der Feder und Allem, was dazu gehörte, lag ihr immer im Sinne, wie eine Zukunft, die sich doch gar zu lange herbeiwünschen lasse.
Verlangen trägt sie, als die Braut
Von einem, den sie nie erschaut.
Da begab sich, daß eines Tages, gerade als der Bürgermeister bei Rathe war und Jungfrau Bertha durch eine Arbeit im Hausgange gehalten wurde, ein heftiges Klopfen an der Pforte erschallte. Das Mägdlein öffnete ohne Arg, aber indem sie nun den Eintretenden anblickte, glaubte sie in die Erde zu sinken, denn vor ihr stand, das Hütlein mit der Feder auf dem Haupte, gekleidet in das knappe grüne Wamms, der Jüngling mit den frischen rothen Wangen, den ihr der Hauskobold prophezeit und den sie seitdem im Wachen und im Traume immer vor sich gesehn. Sie vermeinte, im nämlichen Augenblicke Heimchen's schalkhaftes Gelächter aus der Ferne zu hören. Sie zitterte an allen Gliedern, sie hielt sich, da sie schwankte, an der Thürklinke fest, aber sie konnte doch nicht aufhören, dem Jüngling fort und fort in das treue frische Antlitz, auf das grüne Wamms und auf das Federhütlein zu schauen. Der Grüne selbst mochte über die Erscheinung der wunderschönen Bürgermeisterstochter nicht weniger betreten seyn, als sie über die seinige. Er stotterte, die helle Röthe seiner Wangen wurde zu einer dunkeln, und in seiner Verlegenheit machte er sich mit der leichten Jagd-Armbrust, die über seinem linken Arm hing, Etwas zu thun. Endlich vermochte er so viel herauszubringen, daß er ein Förster des Grafen von Isenburg, Namens Leutpold, sey, und im Auftrage seines Gebieters mit Herrn Claus Radebecher zu sprechen habe. Der Vater war nun gerade bei Rathe und die Mutter unglücklicherweise bei einer krank liegenden Nachbarin. Da wußte sich denn Bertha nicht anders zu helfen, als daß sie den jungen Mann in's Gastgemach führte und ihn bat, hier in ihrer Gesellschaft zu verharren, bis eins von Beiden zurückkehrte. Wiederum kicherte Heimchen hinter einem großen Schranke, der in einem Eck des Zimmers stand. Bertha setzte, um die Ehre des Hauses zu wahren, dem Boten des Grafen von Isenburg einen Morgenimbiß vor, aber die Chronik jener Zeit berichtet nicht, wie es geschah, daß dieser Morgenimbiß, ungeachtet das Mägdlein die köstlichsten Leckereien, welche sie vorgefunden, darzu auserwählt, unberührt blieb; Bertha und der Grünwamms aber, als endlich Frau Ludmilla heimkehrte, bereits mit sich einig waren, daß sie nicht ohne einander leben könnten, daß Leutpold recht oft zur Stadt kommen müsse, um zu sehn und sich sehn zu lassen, daß aber leider von der Strenge des Vaters wenig Gutes für die Hoffnungen der Verliebten zu erwarten sey. Daß dieses Alles sich so schnell gemacht hatte, daran mochte wohl Heimchen durch seine Kraft, die er auf die Herzen der Menschen übte, nicht wenig beigetragen haben. Amor est amaror:
Wie süß sich auch die Minne beut,
So hat sie ihre Bitterkeit.
Das mußten die zwei Verliebten erfahren, als Herr Claus Radebecher, nachdem er den Auftrag des Jägers vernommen, diesen ganz kaltsinnig und ohne Einladung zum Mittagmahle entließ. Leutpold mied aber darum doch nicht an demselben Tage das Weichbild der guten Stadt Limburg. Er suchte mehrere alte Freunde auf und bemühete sich, Erkundigungen über Bertha's Vater einzuziehen. Da hörte er nun freilich wenig Tröstliches und mochte wohl denken, der hochfahrende Bürgermeister, der sein Töchterlein einem Edelherrn bestimmt, wird den Förster des Grafen von Isenburg von seiner Werbung heimschicken, wie der Bauer den Fuchs vom Hühnerhofe. Quid non speremus amantes?
Doch wo find'st du die Minne, Freund,
Der nicht ein Strahl von Hoffnung scheint?
Der junge Jägersmann vertraute auf die Gunst seines Herrn, er wollte diesem Alles gestehn und ihn um seine Verwendung bei dem reichen Wollenweber bitten. Am Abende schlich er um das Haus des Bürgermeisters und warf sehnsüchtige Blicke nach allen Fenstern, da doch hinter einem die holdselige Bertha weilen mußte. Er besaß zum Glück kein schwermüthiges Temperament, sondern ein fröhliches, heitres Herz. Als er einige Zeit, ohne eine Spur des lieben Mädchens zu gewahren, hin und her gewandelt war, nahm er das Waldhorn, das um seinen Hals hing, zur Hand und blies ein kurzes lustiges Stückchen. Es dünkte ihn, als nähere sich bei diesen Klängen einem der erleuchteten Fenster ein Schatten, aber nach wenigen Augenblicken war dieser schon wieder verschwunden. Unmuthig ließ er das Waldhorn sinken und gedachte eben sich zu entfernen, als ihn Etwas am Wamms zupfte und zugleich ein leises Kichern neben ihm hörbar wurde. Er bemerkte nun ein altes graues Männlein, das spöttisch zu ihm sagte: ›Wenn du dir die Liebste mit dem Waldhorn herbeizublasen gedenkst, so gehst du gewaltig irr, mein guter Gesell. Mit eitel Wind lockt man keine feine Jungfrau, wie des Bürgermeisters Töchterlein. Gelobst du aber, es immer treu mit mir zu halten, mich zu dulden und zu pflegen, wenn du erst als Eidam eingezogen bist in Claus Radebecher's Wohnung; so verhelfe ich dir wohl nach meiner Art zu deinem Herzensschatz.‹ Leutpold sah gleich, daß er es hier mit einem Gespenst zu thun habe. Er bekreuzigte sich mit dem Ausrufe: ›alle guten Geister loben Gott den Herrn!‹ Heimchen aber – denn niemand anders, als der kleine Hauskobold, war zu dem verliebten Förster getreten – kicherte wiederum spöttisch und versetzte: ›Spare das für ein andermal auf, und laß dir bei Gelegenheit von Claus Radebecher erzählen, wie es ihm und seinem Mönch ergangen, als sie mich mit Beschwörungen und Bannsprüchen vertreiben wollten. Ich bin dir gut, Gesell! Ich sehe in dein Herz und erblicke kein Falsch, ich kenne dich schon seit lang und mir hast du den guten Empfang bei Jungfrau Bertha zu danken.‹ Der Kobold entdeckte dem Schützlinge nun, wer er eigentlich sey, und das er schon seit Jahrhunderten dem Radebecher'schen Hause als ein getreuer Freund diene und, trotz des Bürgermeisters dünkelvollen Anmaßungen, die er aber mit Nächstem auf eine lustige Weise herabstimmen werde, auch fortdienen wolle. Kurz, als Heimchen und Leutpold von einander schieden, hatten sie ein gegenseitiges Schutz- und Trutzbündniß mit einander geschlossen. Nur Eins billigte der Kobold nicht, daß nämlich der Förster darauf bestand, durch seinen Herrn, den Grafen von Isenburg, um Bertha werben zu lassen, und erst, wenn diese Werbung fehlgeschlagen sey, den Beistand Heimchen's anzunehmen. Noch in derselben Nacht kehrte Leutpold auf das Schloß seines Gebieters zurück. Als er ihn am nächsten Morgen auf der Jagd begleitete, mußte er von seinem Aufenthalte in Limburg, von Herrn Claus Radebecher und dessen Hauswesen erzählen. Da rühmte er dann die Jungfrau Bertha über alle Maßen, wie sein Herz es ihm eingab. Der Graf von Isenburg lachte und sprach: ›Höre, Förster, ich merke wohl, daß es dir die schönen Augen der Tochter des Wollenkönigs angethan haben und daß du im Liebesnetze gefangen bist, wie die Finken in deinen Sprenkeln. Ich meine es gut mit dir und will dir heraushelfen. Des Grafen von Isenburg Wildmeister ist warlich nicht zu gering für die Tochter eines Wollenwebers und wenn dieser gleich Bürgermeister von Limburg wäre! Übermorgen ziehn wir gen Limburg und dann will ich für dich werben.‹ Wie sprang da fröhlich der junge Gesell und zeigte sich unverdrossen und unermüdet bei'm Waidwerk. Am dritten Tage um die eilfte Stunde Morgens hielt der edle Graf, von zwei Knappen und seinem Förster, der sein Prunkkleid angelegt hatte, gefolgt, vor dem Hause des Claus Radebecher. Der Bürgermeister eilte selbst hinab, den ritterlichen Herrn zu empfangen. Er sah in der Thüre stolz nach den Häusern der Nachbarn, die neugierig an die Fenster geflogen waren, als wolle er sagen: ›Seht! solche Ehre begegnet nur mir, dem Bürgermeister der Stadt, dem reichen Claus Radebecher.‹ Auf einen Wink des Grafen blieben Leutpold und die beiden Edelknappen in der Straße halten, während er dem Bürgermeister in das Innere des Hauses voranschritt. Bertha hatte am Fenster gestanden, Leutpold und seinen Herrn erkannt und ahnte nun wohl voll bangem Zweifel, was der Graf von Isenburg mit dem Vater zu verkehren haben möge. Sie wechselte mit dem Förster einige bedeutungsvolle Blicke, konnte sich aber nicht der Freude hingeben, die aus dessen Angesicht strahlte. Der Graf verweilte nur kurze Zeit oben. Dann trat er plötzlich mit zornigen Mienen wieder aus der Hausthüre, warf diese grimmig hinter sich zu, schwang sich auf sein Roß, winkte Leutpold an seine Seite und sagte im Fortreiten: ›Mein Seel, der alte Hochmuthsfratz bildet sich ein, ich selbst oder ein andrer edler Herr solle um sein Mägdlein frei'n! Es thut mir leid, Wildmeister, aber mit dem Wollenkönig ist nichts anzufangen. Sieh selbst, wie weit du mit dem Mägdlein kommst! Es sollte mich freu'n, wenn du ihm durch List das beste Reh aus seinem Gehege wegfingest.‹ Omnium rerum vicissitudo:
Es weht nicht allezeit ein Wind,
Aus Unheil folgt oft Heil geschwind!
Dieses Sprüchlein tröstete den jungen Waidmann. Er bat den Grafen um die Erlaubniß, in Limburg bleiben zu dürfen und erhielt sie. Er ließ sich durch Radebecher's Benehmen nicht abhalten, Nachmittags zu mehrern Malen an dessen Haus vorüberzugehn und nach der Liebsten zu spähen; sie blieb aber unsichtbar und mochte wohl von dem strengen Vater in ein hinteres Zimmer verwiesen worden seyn. Abends, so bald es dunkel geworden war, stand er an derselben Stelle, wo er die Bekanntschaft des Hauskobolds gemacht hatte. Er war nun entschlossen, Heimchens Rath und Hülfe anzunehmen und in Alles zu willigen, was der freundliche Geist zur Krönung seiner Wünsche gut finden möchte. Es dauerte auch nicht lang, so vernahm er das leise Kichern an seiner Seite, das des Kobolds Nähe bezeichnete, so sah er ihn selbst im grauen Röcklein und mit dem grünen Hut. Diesesmal bekreuzigte er sich weder, noch nahm er seine Zuflucht zu einem Schutzsprüchlein, sondern hieß Heimchen mit einem herzlichen: ›Gott zum Gruß!‹ willkommen. ›Ich weiß Alles,‹ sagte der Kobold: ›es ist eingetroffen, wie ich es dir voraus verkündigt, und der edle Graf von Isenburg hat mit einer langen Nase, die ihm der hochmüthige Wollenkönig angehängt, abziehn müssen. Du wirst sehen, daß sich Heimchen besser auf's Freiwerben versteht, als der gestrenge Herr. Komm morgen vor Mitternacht wieder zu dieser Stelle, und ich schwöre dir auf Kobolds-Ehre, daß dich der stolze und reiche Claus Radebecher selbst mit Gewalt zu seinem Töchterlein bringen soll, um Euerm Ehebunde seinen väterlichen Segen zu geben.‹ Heimchen schien nicht für nöthig zu finden, mehr zu sagen, denn ehe noch Leutpold sein freudiges Erstaunen aussprechen konnte, war der Kobold schon wieder verschwunden. In derselben Nacht hatte Claus Radebecher einen wunderlichen Traum. Ihm erschien sein Großvater, der, von seinem Handwerke, unter dem Namen des schwarzen Schmidts in Limburg der ganzen Gegend bekannt gewesen war. ›Claus,‹ sprach die Erscheinung, ›du hast unsern Namen zu hohen Ehren gebracht und deine Voreltern erfreuen sich im Grabe seines Ruhms. Aber Eins fehlt dir noch, um dich vor allen Leuten, nicht allein in deiner Vaterstadt, sondern am ganzen Lahnstrom hin und im Umkreis des Gebirges auszuzeichnen. Das Eine ruht im Schooße der Erde unter Bann und Geisterobhut. Nur Heimchen, der gute Hauskobold, kann dir dazu verhelfen. Gedenke meiner Worte, schlage sie nicht in den Wind, gehe muthig an's Werk und dir wird werden, was dir gebührt.‹ Claus erwachte in einem Fieberschauer, denn die Erscheinung des schwarzen Schmidts, von dem die Sage ging, er sey auch ein Schwarzkünstler gewesen, hatte ihn nicht wenig erschreckt. Als er die Augen öffnete, sah er zu seinem Erstaunen im Mondenlicht Heimchen neben seinem Bette sitzen. Der Kobold kam ihm wie gerufen. Noth lehrt beten und deshalb erwies sich der Bürgermeister so freundlich gegen seinen nächtlichen Gesellschafter, wie noch nie. Er erzählte ihm seinen Traum und bat ihn, der alten Zwistigkeiten nicht mehr zu gedenken, sondern sich auch in dieser Sache als den alten hülfreichen Schutzgeist des Hauses zu erzeigen. ›Wenn du mir versprichst, den Mönch nicht mitzubringen,‹ sprach kichernd der Kobold, ›so will ich dir wohl beistehn. Es ist Alles so, wie dir's der schwarze Schmidt gesagt, und ich kenne den Ort im Keller, wo der Schmuck, der dir vor aller Welt ein absonderliches Ansehn gibt, verwahrt liegt. Morgen nach Mitternacht komme hinab und bringe Schaufel und Hacke mit. Sey diesmal gutes Muthes, denn Heimchen hält zu dir.‹ – Dem Bürgermeister währte der Tag, welcher dieser Nacht folgte, ebensolang, wie dem ungeduldigen Verliebten, Leutpold. Während dieser sich in tausenderlei Vermuthungen verlor, auf welche Weise Heimchen sein Versprechen erfüllen werde, nagte jener unaufhörlich an der harten Räthselnuß, die ihm der Großvater im Traume hingeworfen. Nichts war edel und groß genug, wonach nicht der Hoffahrtsteufel in ihm verlangt hätte. Bald dachte er, es werde eine alte Urkunde sich finden, die den Adel seines Geschlechts bezeuge, bald wähnte er gar, in einem solchen Pergament könne ihm die ganze Herrschaft Limburg verschrieben seyn und er sähe sich noch mit dem Grafenhute geschmückt und dem Hermelinmantel angethan. So ging der Tag vorüber und kaum war die letzte Viertelstunde vor Mitternacht erschienen, so stand auch Leutpold, der zuerst beschiedene, auf dem Platze, wo Heimchen ihn zu finden versprochen. Bald kündigte der Geist seine Nähe durch sein gewöhnliches Kichern an. Leutpold mußte ihm nach einem Seitenbau des Hauses folgen. Hier sah er zu seinem Erstaunen einen großen Korb an einem Seile schweben, das von einem der obern Fenster herabhing. ›Dort aber weilt dein Herzensschatz und träumt von dir;‹ hob Heimchen an. ›Du siehst, das Fenster steht offen. Setz' dich in diesen Korb, ich schaffe dich hinan und für das übrige laß mich sorgen.‹ Eine solche stürmische Werbung um die Liebste lag aber nicht in Leutpold's Sinn. ›Heimchen,‹ versetzte er, ›ich fürchte, du bist dennoch nur ein Schalksgeist und willst mich verlocken, an der Ehrbarkeit der Jungfrau Bertha zu freveln, oder sie in der Leute bösen Leumund zu bringen. Das soll dir nicht gelingen. Auf ehrlichem Wege will ich sie besitzen oder sonst lieber mein Lebelang ihrer als eines verlorenen Gutes gedenken.‹ Da wußte aber der Kobold dem verliebten Förster die Bedenklichkeiten so listig auszureden, da betheuerte er so hoch und fest, daß des Bürgermeisters Töchterlein weder an ihrer Ehre, noch an ihrem Leumunde Schaden leiden sollte; da versprach er noch einmal so gutmüthig und traulich, Alles wohl zu ordnen zu Beider Zufriedenheit, daß Leutpold endlich einwilligte, indem er dachte: practica est multiplex:
Der Wege sind unzählich viel',
Auf denen man gelangt an's Ziel.
Er hatte sich kaum in den geräumigen Korb begeben, als er auch schon, von des Kobolds Kraft gehoben, rasch aufwärts schwebte. Er hörte Heimchen hinter sich herkichern, es war hell genug, daß er ihn unten erkennen konnte, wie er emsig und unter seltsamen Gebehrden an dem herabhängenden Ende des Seiles arbeitete. Schon sah Leutpold das offene Fenster nahe, sein Herz pochte, noch ein rascher Zug des Geistes und dann konnte er mit einem leichten, gefahrlosen Sprunge bei der Liebsten seyn. Aber o weh'! Mit einemmale hörte Heimchens Thätigkeit auf. Leutpold schwebte zwischen Himmel und Erde, der Korb rückte nicht auf-, nicht niederwärts. Der junge Förster blickte besorgt hinab. Der Mond war eben hinter einem Hause hervorgetreten und beschien den Platz unter seinen Füßen. Heimchen war nirgends zu sehn; aus der Ferne glaubte Leutpold sein spöttisches Gelächter zu vernehmen. Es schien ihm jetzt gewiß, daß der hämische Geist seine Liebe und sein Vertrauen mißbraucht, um einen bösen Muthwillen an ihm und Bertha zu üben. Er verwünschte die Stunde, wo er ihm zuerst ein williges Ohr geliehen, seine Schwäche, die ihn in diesen Fallstrick gehen lassen. Aber seine Klagen, seine späte Reue waren umsonst. Er mußte sich in sein Schicksal ergeben, er mußte es der Zukunft überlassen, ob er am Morgen hier als ein Dieb oder Jungfrauräuber entdeckt werden oder ob ihn Heimchen noch zu guter Zeit erlösen würde. Während er so der peinlichsten Lage hingegeben blieb und das offene Fenster, das ihn der Eingang zum Liebeshimmel dünkte, immer vor Augen hatte, schlich Claus Radebecher, nachdem er den letzten Schlag der Mitternachtsstunde vernommen, mit Hacke und Spaten unter dem Arm, die Laterne in der Hand in den Keller hinab. Hier fand er Heimchen, naschend am Rosinenfäßlein, das er erst gestern vom Nachbarn Krämer eingehandelt. Er hütete sich aber wohl, dem Kobold ein böses Wort zu sagen oder eine schiefe Miene zu machen. ›'s ist gute Zeit zum Schatz heben,‹ rief Heimchen, ohne sich stören zu lassen, ihm zu. ›Ihr werdet sehn, was Euch die glückliche Stunde bringt: Schmuck und Glanz, wie ihr ihn verdient, eine Sache, die auch einen guten, vollen Klang vor den Leuten und manchen schon in die Nähe von Kaisern und Königen gebracht hat. Ich kenne Einen, dem's in dieser Stunde nicht so wohl um's Herz ist, wie Euch, der gern an Eurer Stelle seyn möchte, wenn er auch nichts vom Schatze zu hoffen hätte. Kommt mit! Dort hinter dem großen Fasse ist der Platz.‹ Im Vorgenusse der Ehren, die seiner warteten, blies sich Claus Radebecher auf, wie ein streitsüchtiger Hahn. Der Kobold führte ihn in den entlegensten Winkel des Kellers. Hier lag ein Haufen Schutt, den Claus erst hinwegräumen mußte, dann begann er zu hacken und zu schaufeln. Heimchen's fortgesetztes Kichern fiel ihm lästig, aber er wagte aus Furcht, den Beistand des Kobolds zu verscherzen, nichts zu sagen. Die ungewohnte Arbeit erhitzte und ermüdete ihn sehr. Er hatte nun schon über eine Stunde gegraben, eine ansehnliche Vertiefung lag vor seinen Füßen, aber von dem Schatze, von der Herrlichkeit, von der Ehre zeigte sich noch keine Spur. ›Nur dran und drauf!‹ ermahnte Heimchen. ›Hier kann ich dir noch nicht helfen, wenn aber erst die eiserne Truhe zum Vorschein kommt, auf der die Geistermacht ruht, dann sollst du sehn, daß Heimchen dein Freund ist und dir bescheert, wonach du trachtest.‹ Keuchend begann der Bürgermeister aufs Neue die Arbeit, von der er einige Augenblicke ausgeruht. Wiederum verging unter heftigen Anstrengungen eine Stunde, ohne daß der ersehnte Gegenstand an's Licht treten wollte; da wurde Claus Radebecher unwirrsch, warf Hacke und Spaten hin und sagte zu dem Kobolde: ›Ich sehe nun wohl ein, daß du mich nur narrst. Aber wenn du nur deinen Muthwillen an mir kühlen wolltest, so ist es genug, und du kannst dich nun vor andern Schalksgeistern deiner Art berühmen, dir den Bürgermeister von Limburg zum Handlanger gedungen zu haben. Jetzt seh ich klar in dein Spiel. Du selbst führtest mir den lockenden Traum vor und Alles, was er versprochen, ist eitel Lüge und blauer Dunst?‹ Mit diesen Worten wollte sich Claus entfernen, aber Heimchen schwang sich rasch in die Grube, schaufelte noch einige Erde heraus und rief: ›Nun schau' selbst, du ungläubiges Menschenkind! Was steht hier, was siehst du? Glaubst du diese eiserne Truhe sey so sorgsam in den Schooß der Erde verborgen worden, wenn sie nicht Dinge von großem Werthe enthielte? Du kannst sie nicht heben, du vermagst den Schatz nicht auf die Oberfläche der Erde zu bringen; aber Heimchen besitzt die Gewalt dazu und er will sie gebrauchen, um dir zu verschaffen, wonach all dein Streben geht.‹ Er hüpfte aus der Grube und siehe! als ob sie Füße hätte, hüpfte die eiserne Truhe, die er entdeckt hatte, ihm nach. Sie stand vor Radebecher's Füßen und dieser warf sich gierig vor ihr nieder. Er hob und drängte an dem Deckel, allein trotz allen Anstrengungen wich und wankte er nicht. Eine Gewalt, gegen die Claus nichts vermochte, schien ihn von innen zu halten. Da lachte Heimchen, bließ auf die eiserne Truhe und mit einem Krachen, bei dem der Bürgermeister schreckhaft zusammenbebte, sprang der Deckel auf. Claus hob die Laterne und warf eifrig forschende Blicke in das Innere der Truhe. Da lagen viele alte vergelbte Pergamente, die er hastig an sich riß, deren erloschene Schrift aber nicht zu entziffern war. Er warf sie bei Seite, er kam bald auf den Grund der Truhe. Hier ergriff seine zitternde Hand eine Blechkapsel, den letzten Gegenstand, den der Kasten enthielt. Heimchen's gewöhnliches Kichern wurde jetzt so laut und spöttisch, daß es Claus Radebecher'n, wenn er für etwas anders, als für das Glück und die Ehre, die ihm nun aus der Blechkapsel entgegenquellen sollten, Sinn gehabt, befremdet haben mußte. Die Kapsel war geöffnet, der Bürgermeister zog rasch und ungeduldig ein Ding hervor, das einen angenehmen Klang von sich gab, er entfaltete es, er fuhr, von Entsetzen ergriffen, zurück: es war eine Narrenkappe! Ehe er es verhindern konnte, riß Heimchen ein Pergamentblatt, das daran geheftet war, an sich und las:
›Was du erzielt, was du erstrebt,
Das deine Hand als Schatz hier hebt.
Das Grafenkrönlein ständ' dir schlecht,
Die Narrenkapp' ist eben recht!‹
Und dabei schlug der höhnende Kobold ein unmäßiges Gelächter auf, tanzte wie toll und außer sich im ganzen Keller umher, sprang im Frohgefühl seiner gelungenen Posse über Fässer und Kisten und stellte sich dann wieder kerzengrad vor den wüthenden Bürgermeister hin, lachte ihm in's Angesicht und sah ihn mit den klugen Augen gar spöttisch an. ›Unverschämte Satansbrut,‹ rief Claus, indem er die klingende Schellenkappe weit von sich hinwegschleuderte, ›das sollst du mir nicht umsonst gethan haben! Und sollte ich alle Teufelsbanner aus den deutschen Landen zusammenberufen, so mußt du mir aus dem Hause, so mußt du mir an einen Ort gebannt werden, wo du so festliegst, als hätte dich Salomonis Siegelring hingezaubert!‹ – ›Davon muß ich dir als dein wahrer guter Freund abrathen;‹ antwortete sehr ruhig und kalt der Kobold. ›Für's erste würde es dir nichts helfen, für's zweite nehme ich, wenn du nicht in Alles einwilligst, was ich dir in dieser Stunde noch vorzuschlagen habe, mit dem Anbruch des Tages die Gestalt des Barbirers Redegern an, laufe an seiner Stelle in der Stadt umher und erzähle das Abentheuer dieser Nacht. Dann wirst du der Kinderspott und die Limburger möchten wohl nicht länger eines Bürgermeisters wollen, der sich also hänseln lassen. Glaub' mir, Claus, ich meine es gut mit dir! Seit Jahrhunderten bewohne ich diesen Ort und meine Gegenwart hat die kleine Hütte, die deine Vorfahren zuerst hier gebaut, mit Gedeihen gesegnet, so daß sie endlich zu einem stattlichen Hause wurde, daß ihre Bewohner zu den Ersten von Limburg gezählt werden. Du bist im Grunde kein böser Gesell, aber dein Großthun, deine Hoffahrth bringt dich zu Fall, wenn dich die Lehre, die ich dir in dieser Nacht schon gegeben, und eine andre, die ich dir noch geben werde, nicht gänzlich umwandelt. Heimchen sieht in die Zukunft. Du selbst hast jetzt die Entscheidung über dem Schicksal in der Hand. Beharrst du im Dünkel, so wirst du dereinst als ein Bettler aus dem Hause deiner Väter gehn, gibst du dem Hochmuthsteufel den Abschied, so wird Glück und Friede auf immer bei dir einziehn. Komm mit mir, Claus! Der Morgen graut und noch ein andres Geschäft will, ehe es rege in den Straßen wird, zu deinem Heile abgethan seyn.‹ Betreten über Heimchen's Warnungen, folgte Claus Radebecher dem Kobold, der ihn aus dem Keller in den ersten Stock des Hauses zu einem Fenster führte, wo er den noch immer in freier Luft schwebenden Leutpold, der mit Entsetzen den Anbruch der Dämmerung bemerkte, entdecken konnte.
›Siehe, Claus,‹ sprach Heimchen in einem gar gutmüthigen Tone, ›der Mensch, der da in dem Korbe hängt und sich hundert Meilen Wegs hinwegwünscht, ist Leutpold, der Wildmeister des Grafen von Isenburg. Ereifre dich nicht, Freund, halte dich ruhig! Er und du, ihr seyd bestimmt, einer des andern Glück zu machen. Du wirst ihm deine Tochter zur Eheliebsten bewilligen, er wird, als ein treulicher Eidam, deinen Wohlstand vermehren, dich in deinen alten Tagen verehren und pflegen. Kannst du es besser verlangen? –‹ ›Nimmermehr,‹ rief zornig der Bürgermeister, ›mein Kind muß ich als eines Ritters Frau sehn und den Buben, der es kecklich versucht, zur Nachtszeit in mein Haus zu dringen, laß' ich als einen Frevler und Dieb festnehmen!‹ – ›Sey klug, Bürgermeisterlein, und thu' es nicht!‹ entgegnete kaltblütig Heimchen. ›Ich selbst habe den armen Burschen dorthin gebannt und ich schwöre dir, daß, wenn du ihm nicht mit eigner Hand in dein Haus hilfst, wenn du ihm nicht heute in aller Freundlichkeit und Ehre die Tochter verlobst, so bleibt er hängen bis an den lichten Tag und die Limburger sind schlimm genug, nichts anders zu meinen, als der junge hübsche Förster sey auf dem Rückwege von deinen Frauen oder deinem Töchterlein durch irgend einen Zufall festgehalten worden. Dazu kommt noch die Geschichte von dem Schatz, den wir selbander im Keller gehoben, es ist um deine Reputation, um deiner Frauen und Tochter Leumund, um den Glanz und Wohlstand deines Hauses, das ich dann freiwillig verlasse, geschehn. Noch einmal, Claus, folge dem Rathe Heimchen's, deines Schutzgeistes! Schwöre mir, Leutpold und Bertha zusammenzugeben, und ich bringe Alles wieder in's Geleise.‹ Der Bürgermeister hätte gern den Vorschlag des Kobolds mit einer kräftigen Verwünschung zurückgewiesen – da stand aber die Narrenkappe drohend vor seinem Geiste, da sah er den Ruf seines Hauses, an den er Alles hielt, vernichtet, da blickte er in eine Zukunft voll Noth und Armuth – kurz! er gelobte, was Heimchen verlangte, er bat den Kobold, den Förster nur recht rasch in's Haus zu schaffen, ehe die Dämmerung zum völligen Tage werde.
Man schluckt die bittre Schale gern,
Liegt innen nur ein süßer Kern;
dachte Claus Radebecher und nahm sich schon im Stillen vor, seiner Nachgiebigkeit gegen Leutpold's Werbung einen Anschein von Großmuth zu geben, die ihm der Leute Lob gewinnen sollte. Indessen schwebte auf einen Wink des Kobolds der Korb mit dem Förster, der in tausend Ängsten die Verhandlung zwischen dem Geiste und dem Vater seiner Liebsten vernommen, bis zu dem Fenster, an dem Claus Radebecher stand, hernieder. Hastig ergriff der Bürgermeister den Strick, zog den Korb rasch an's Fenster, half dem verlegenen Jünglinge selbst heraus und führte ihn, mit höflicher, wohlgesetzter Rede, den Eidam in ihm begrüßend, ins Gastgemach. Heimchen's Kichern vernahmen beide in ihrer Nähe, sie sahen ihn aber nicht mehr, denn er hatte seine Nebelkappe aufgesetzt. Zu dieser glaubwürdigen Historie,« schloß der Stadtschreiber, »habe ich nichts weiteres hinzuzufügen, als daß nach acht Tagen Leutpold's und Bertha's Hochzeit mit aller Pracht gefeiert wurde, daß Frau Ludmilla köstlichen Rosinenkuchen backte, von dem Heimchen eine doppelte Portion erhielt und daß der schalkhafte Kobold bei keiner der zahlreichen Kindtaufen, welche in der Ehe des jungen Paars vorfielen, fehlte, um seinen Tribut an Kuchen und andern Leckereien in Empfang zu nehmen. Heimchen blieb der Schutzgeist des Radebecherschen Geschlechts, bis endlich, lange nachdem Bertha und Leutpold das Zeitliche mit dem Ewigen vertauscht, eine geizige Frau in's Haus kam, die das ganze Jahr über weder Kuchen backte, noch andre Süßigkeiten in's Vorrathskämmerlein schaffte. Heimchen ließ nichts mehr von sich vernehmen, der Wohlstand der Radebecher verfiel, die letzten Sprossen mußten als Bettler auswandern und das große Haus am Markte wurde Schulden halber verkauft. Finis coronat opus.
Wem die Erzählung baß behagt,
Der wohl ein Lächeln nicht versagt!«
Bei diesen Worten sah Herr Gensbein die schöne Eitel zärtlich an und erhielt ein holdseliges Lächeln und ein lautes Lob von ihren Purpurlippen zum Dank. Die übrigen Gäste hatten schon während der Erzählung durch einzelne Ausrufungen ihr Wohlgefallen an den Tag gelegt. Alle vereinigten sich jetzt dahin, daß Herr Johannes Gensbein ein Mann sey, dessen Namen, durch die Chronik, welche er verfasse, gewiß auf die späteste Nachwelt gelangen werde.
»Bei Eurem Kobold gefällt mir ins Besondere, daß er so gar klüglich den Hoffahrtsteufel in dem Bürgermeister zu benutzen weiß, um die Verliebten zusammenzubringen und den Alten selbst demüthig zu machen;« sagte Meister Heinz. » Si haberem talem spiritum in meo domicilio, wenn ich einen solchen Geist in meinem Hause hätte, wie wollte ich ihn hegen und pflegen, wie ihm die köstlichsten Gerichte kochen und alle Tage Honigkuchen backen! Weder Pater Clarus, noch sonst ein Beschwörer sollte mir dem guten Kobold das Leben sauer machen.«
Der Bettelmönch lächelte, leerte seinen Becher und erwiederte:
»Ihr wißt schon, daß ich mich nicht so hoch mit meinen Wunderwerken versteige. Meine Kunst begnügt sich mit Wenigem und trifft sie einmal in den Viehstall oder in die Kornböden der Bauern, so muß doch der heilige Franciscus das Beste dazuthun.«
»Ich weiß eine Geschichte,« begann ein Schiffer aus Cölln, der von Allen für einen sehr verständigen Mann gehalten wurde, »wie eine ganze reiche Stadt durch den Hochmuthsteufel, der sich der Einwohner bemächtigt hatte, jämmerlich zu Grunde ging. Es war einst die reichste Stadt in ganz Niederland, sie rüstete unzähliche Schiffe aus nach allen Weltgegenden und der Reichthum aller Länder lief in ihren Hafen. Der liegt nun verschlammt und versandet, viele ihrer ansehnlichsten Häuser sind nun im Sumpfe versunken. Die übrigen liegen in Trümmern, zwischen denen sich elende Hütten erheben; die Nachkommen jener Reichen irren bettelnd umher und das Alles hat der Satan des Hochmuths, der böse Geist der Sünde, der stets in den Menschen geschäftig ist, vollbracht.«
»Erzählt Eure Geschichte!« riefen Alle. »Trinkt erst noch einmal und dann erzählt.«
»Wenn uns das schöne Frauenbild,« sprach schmunzelnd und einen freundlichen Blick auf Eitel Glockenklang werfend, Herr Gensbein, »hernach noch eins von ihren Liedern, die so lieblich klingen, wie der Gesang der Meerfräulein, zum Besten geben will, so mag's drum seyn!«
Eitel nickte freundlich und der Schiffmann fuhr fort:
»Die reiche Stadt nannte sich Stavoren und lag am Ufer des Zuydersees. Die Einwohner kannten in ihrer Hoffahrt, zu der sie ihr Reichthum verleitete, kein Mitleid gegen den Armen. Sie lebten ruchlos und nur ihren Lüsten, sie dachten, der Wind könnte sich nie wenden und müsse immer aus dem Glückslande wehen. Bei ihren Gelagen wurden die köstlichsten Speisen und Weine verschwendet und von Dem, was da umkam, hätten tausend Elende sich sättigen können. Hurrah! Heissah! hieß es immer bei ihnen: das goldne Segel beigesetzt und lustig geschifft durch das Lebensmeer! So ging es viele Jahre in Schlemmen, Wollust und andern Lastern, bis endlich die Langmuth Gottes ermüdete und er das Sündenschiff scheitern ließ und es zu einem elenden Wrack, das grauenvoll an die untergegangene Herrlichkeit erinnert, machte. Wie denn der Reichthum der Götze war, den die Einwohner von Stavoren anbeteten, so konnte es nicht fehlen, daß der Reichste unter ihnen auch für den Angesehensten galt. Da war zu jener Zeit eine Jungfrau, die in Ruchlosigkeit und Verderbtheit allen übrigen voransegelte. Ihr Losungswort war Unglaube, ihre Flagge Gotteslästerung, ihr Steuerruder Priesterspott. Sie schmückte sich im Hause mit Gold und Edelsteinen, sie ging über die Straße, angethan, wie eine Prinzessin. Keine Weltlust war, von der sie nicht Ballast an Bord hatte. Verirrte sich ein armer Wandrer an ihre Thüre, so ließ sie ihn mit Schlägen forttreiben. Sie lag so tief in den Banden des Hochmuthsteufels, daß sie Gott leugnete und oft sagte: wer nur recht viel Geld besitze auf Erden, dem thue es nicht noth, an Gott und seine Heiligen zu glauben und zu ihnen zu beten. Sie steuerte mit vollen Segeln dem Abgrunde zu. Eines Tages ließ sie ihren Schiffsmeister vor sich kommen und gebot ihm, auszufahren mit dem größten Schiffe und ihr das Köstlichste auf Erden heimzubringen. Der Schiffsmeister stand verlegen vor ihr. Er kannte die heftige Gemüthsart der Jungfrau, er wagte endlich schüchtern die Frage, was sie darunter verstehe? Da schalt sie ihn einen trotzigen, ungehorsamen Knecht, da drohete sie ihm mit Verlust seines Dienstes, wenn er sich nicht sogleich entferne, ihr den Willen, den sie ausgesprochen, zu thun. Der Schiffsmeister ging an Bord, ließ die Anker heben und stach in See. Aber immer wußte er nicht, was seiner Gebieterin für das Köstlichste gelte, was er einladen solle, um ihr Verlangen zu befriedigen. In dieser Unentschloßenheit gelangte er nach Danzig. Hier fand er einen frommen Mönch, der im Preussenlande, das damals noch tief im Heidenthume versteckt war, die christliche Lehre verbreitet und nun auf dem Fahrzeuge der Jungfrau nach Niederland, wo sein Kloster lag, zurückkehren wollte. Der Schiffsmeister dachte: ein frommer Mann am Bord gibt glückliche Fahrt! und bewilligte ihm die Mitreise. Auch bat er in seiner Verlegenheit den Mönch um Rath, wie er dem Gebote seiner Patronin am Sichersten nachkommen möchte. ›Mein Sohn,‹ sprach der fromme Pater, ›das Köstlichste auf Erden ist der Waizen, den uns die Güte Gottes zur täglichen Nahrung bestimmt hat. Befrachte damit dein Schiff und deine Ladung wird sicherlich willkommen seyn.‹ Des Schiffsmeisters Wimpel wehete wieder lustiglich, als er diese Auskunft hatte. Er arbeitete bei frischem Winde und schon nach wenigen Tagen konnte er die Segel heimwärts richten, denn der Raum seines Schiffes hielt eine Ladung des schönsten Waizens, der nur gefunden werden mochte. Die Gegenwart des frommen Mönchs gereichte dem Schiffe zum sichtbaren Segen, denn in jenem gefährlichen Wasser störte auch nicht der mindeste Unfall die glückliche Fahrt. Erst, als der Schiffsmeister die Thürme von Stavoren erblickte, drängte es sich trüb und lästig, wie eine Wasserhose, in seine Seele, daß seine hoffährtige Patronin wohl Anderes im Sinne gehabt haben möge, als Das, was er heimbringe. Mit schwerem Herzen warf er den Anker aus. Die Jungfrau, von ihren Schreibern, Dienern und Mägden begleitet, hatte schon ein Boot bestiegen und kam an Bord. ›Nun, Schiffsmeister,‹ rief sie, ›woher dein Ruder, woher dein Mast? Hast du nur eine Lustfahrt gemacht, daß du schon wieder zurück bist? Ich glaubte dich im fernen Morgenlande, um Diamant und Ophir, Gold und Helfenbein einzuhandeln. Und was hast du da für einen Steuermann an Bord genommen?‹ setzte sie mit einem spöttischen Blick auf den Mönch hinzu: ›Hat er dir vielleicht den Weg in den Himmel weisen sollen, von wannen du mir ein Stückchen Seligkeit mitbringen wolltest?‹ Der Schiffsmeister entschuldigte sich, so gut er konnte, über die Gegenwart des Mönchs, der, ohne selbst Etwas zu sagen, das freche Wesen der Jungfrau, ihren Stolz, den Reichthum ihres Schmuckes, der eine Grafschaft werth seyn mochte, erstaunt betrachtete. ›Und nun sprich,‹ fuhr sie gegen den Schiffsmeister fort, ›wo sind die Perlen, wo die Edelgesteine und die Goldbarren, die ich von dir erwarte?‹ Da erblaßte der Schiffsmeister, denn er sah ein, daß die strenge Gebieterin ihn den Zorn, über die Art und Weise, wie er ihren Auftrag ausgeführt, schwer werde empfinden lassen. ›Hochedle Patronin,‹ versetzte er bestürzt, ›du verlangtest das Köstlichste auf Erden und das habe ich dir gebracht, denn Köstlicheres und Edleres giebt es nicht, als das Waizenkorn, das allerorten fröhlich unter Gottes Himmel aufwächst und die Menschheit ernährt und erhält. Sieh' selbst, hochedle Patronin! Schönrer Waizen ist dir nie vor's Auge gekommen!‹ Da schlug die Flamme des Zorns aus allen Luken ihrer Seele, da verlor die Jungfrau im Sturme ihrer Ruchlosigkeit den letzten Mast und fuhr auf den Schiffsmeister ein: ›Elender Gesell, du willst meiner spotten mit dieser Auslegung meines Willens, du bringst mir, was dem Elenden ein Gut ist, was ich aber nicht höher halte, als den Staub zu meinen Füßen!‹ In ihrer Wuth rannte sie auf dem Verdeck umher und stieß gräuliche Verwünschungen und Gotteslästerungen aus. Endlich schien es Windstille bei ihr zu werden. Mit finsterem Angesichte trat sie vor den Schiffsmeister und sagte: ›Von welcher Seite hast du geladen?‹ – ›Vom Steuerbord!‹ antwortete dieser. – ›Nun so befehle ich dir, meinem angehörigen Knechte, bei Leib und Leben, die ganze Ladung über Backbord in See zu schütten;‹ versetzte die Jungfrau. ›Ich selbst werde zugegen bleiben und auf die Arbeit sehn.‹ Da wußte der Schiffsmeister, um dieses gräuliche Beginnen zu verhindern, nichts Anderes zu thun, als heimlich in die Stadt zu schicken und dort unter den Armen und Elenden die Kunde von diesem Ereignisse verbreiten zu lassen. Verhungerte Greise, weinende Kinder, jammernde Mütter mit den Säuglingen, für die sie nicht Nahrung hatten, kamen herbei, warfen sich der Jungfrau zu Füssen und fleheten sie an, die Gottesgabe unter sie zu vertheilen, statt sie ungenützt hinwegschütten zu lassen. Nichts konnte das hartherzige Weib rühren. In ihrem Hoffahrtsdünkel wandte sie sich mit eckler Gebehrde von den Armen ab und wiederholte ihr Gebot mit noch ärgern Drohungen. Der Schiffsmeister mußte gehorchen, er hatte Weib und Kind, er war der Jungfrau leibeigen und bei weiterm Widerstande hätte sie seines Lebens nicht geschont. So wurde also unter den Thränen der Elenden, die Zeugen seyn mußten, die edle Frucht in's Meer versenkt. Die Armen und Waisen schlichen betrübt heim in ihre Hütten, im Herzen Bitterkeit, eine Klage vor Gott gegen die hartherzige Jungfrau auf den Lippen. Da erwachte plötzlich der Mönch, der bisher immer die Jungfrau staunend angestarrt, als könne er nicht begreifen, wie ein solches Wesen unter Menschen verschlagen worden sey, aus seinem Nachsinnen. Er rief Gottes Gerechtigkeit an ihr Haupt, er verkündigte seine Strafe, er prophezeihete, daß eine Zeit kommen werde, wo die stolze Jungfrau Körnlein für Körnlein dieser Frucht auflesen möchte, ihren Hunger zu stillen. Sie aber steckte die Flagge des Hohns auf, zog einen theuern Ring vom Finger, warf ihn in's Meer und sagte spöttisch: ›So gewiß Das geschieht, so gewiß soll dieser Ring zu mir zurückkehren, den ich hiermit den Wellen übergebe!‹ Der fromme Pater beeilte sich, sein Lebensschifflein von einem Strande zu wenden, auf dem der Fluch des Himmels ruhte. Die Jungfrau kehrte in ihr Haus zurück, allein kaum hatte sie dieses betreten, so erhob sich ein Sturm, der alle Schiffe im Hafen zertrümmerte, nur das nicht, das die verschüttete Waizenladung an Bord gehabt. Am nächsten Morgen brachte eine Fischersfrau einen Schelfisch zum Verkauf in's Haus der Jungfrau. Als man ihn öffnete, fand sich in seinem Leibe der Ring, den sie Tags vorher in's Meer geworfen. Da überlief es sie kalt und unheimlich. Das Gewissen regte sich; aber die Reue kam zu spät. Am selben Tage noch langten Unglücksboten über Unglücksboten an: der eine brachte die Nachricht, daß ihre aus Morgenland zurückkehrende Flotte mit allen köstlichen Spezereien, die sie getragen, zu Grunde gegangen, der andre, daß mehrere reiche Handelshäuser, bei denen sie große Geldsummen stehen gehabt, nicht zahlen könnten; der dritte, daß ein großer Meierhof mit vielen Gebäulichkeiten, die ihr eigen gewesen, vom Feuer verzehrt worden sey. Wenige Tage drauf brach eine schreckliche Sturmfluth ein und riß mit mehreren andern Häusern auch das ihrige mit allen Schätzen so plötzlich in den Abgrund des Meers, daß sie nur mit Mühe das nackte Leben retten konnte. Noch andre ihrer Schiffe gingen an den Felsen des Nordlandes verloren, das letzte raubten die Mohren. So war denn, ehe ein Jahr verfloß, der Spruch des Mönchs erfüllt: Diejenige, die in ihrem Übermuthe der Armuth gehöhnt, die den lieben Herrgott in seinen Geschöpfen beleidigt, die seiner und seiner Heiligen im Trotze des Reichthums gelästert, lebte nun im Elende, bettelte vor der Leute Thüren um ein Krümlein Brod und verkam endlich in Jammer und Dürftigkeit. Ihr Name verscholl, wie ein Schiff, das auf weiter See untergeht. Aber die übrigen Reichen von Stavoren, die eben so wenig Erbarmen und Gottesfurcht kannten, wie die Jungfrau, mußten auch schwer den Zorn des Himmels erfahren. An der Stelle, wo der Waizen über Bord geworfen, wuchs ein hohes dichtes Gras hervor, den Waizenhalmen gleich, aber mit tauben Ähren. Es nahm bald den ganzen Hafenraum ein, und die geschicktesten Lootsen vermochten die Schiffe nur mit großer Mühe hindurchzuführen. Gewaltige Sturmfluthen trieben eine ungeheure Menge Sandes in den Hafen, die Ebbe besaß nicht Kraft genug, ihn wieder zwischen den Halmen, die ihn hielten, hinauszuspülen. So häuften sich nach einigen Jahren Berge von Sand an und die Schiffe fanden kein Fahrwasser mehr, um die Güter an's Land zu bringen. Nun zog sich der Handel weg von Stavoren nach andern Städten des Niederlandes. Unter dem Sande weg aber nagten die Wellen an dem Grunde, auf dem die Stadt Stavoren erbaut war, und eines Nachts, bei mächtiger Sturmfluth, wurde die Stadt, bis auf wenige Häuser, vom Meere verschlungen. Jetzt stehen an dem Orte, wo sonst der Reichthum gepraßt, der Hochmuth gehöhnt, der Unglaube gelästert, nur noch einige elende Hütten, von denen immer noch einige jährlich im Treibsande untergehn. Der Fluch hat dort seinen Anker geworfen und der Wrack von Stavoren wird nie wieder flott. Aber der Waizen mit den tauben Ähren treibt noch immer, und wenn man in einer mondhellen Nacht den Zuydersee befährt, so sieht der Schiffer im Meeresgrund zunächst dem wunderbaren Waizenfeld die Kirchthürme und Häuser der untergegangenen Stadt, und Viele wollen von unten herauf das Singen ruchloser Lieder, Becherklang und Bankettjubel vernommen haben.«
Der Cöllner Schiffmann schwieg und blickte bedeutungsvoll die schöne Sängerin an, die ihn sogleich verstand und mit Muskablüt's Begleitung, der in die Weise, welche sie anstimmte, einfiel, ein fröhliches Lied sang. Sie pries darin den Werth einer unterhaltenden Geschichte, sie gedachte der Jongleurs und Menetriers, die in Frankreich von Schloß zu Schloß gezogen und allenthalben günstige Aufnahme, reiches Lob und ansehnliche Geschenke gefunden; sie füllte am Schlusse ihres Liedes rasch zwei Becher und, indem sie in den letzten Worten des Gesanges sagte, daß das köstliche Wort des köstlichen Weins werth sey, kredenzte sie die zwei Becher dem Stadtschreiber und dem Schiffer, wobei der erste noch einige sehr zärtliche Blicke als Dreingabe erhielt. Sie that das Alles mit so vieler Anmuth, daß Herr Gensbein ganz entzückt ausrief:
»Wahrlich, die heidnische Griechin Helena ist wieder zurückgekehrt auf Erden als eine gute Christin und wandelt nun unter uns als Eitel Glockenklang, als ein Frauenbild, dem jeglicher Kranz der Schönheit gebührt! Ambrosia alenda:
Wir nähren sie auf ird'sche Weis',
Doch werth ist sie der Götterspeis'.«
»Macht mir die liebe Sängerin nicht hoffährtig!« sagte Frau Ursula. »Die Heiligen haben ihr einen anmuthigen Leib und ein heitres Gemüth in die Wiege bescheert, allein so köstlich diese Gaben auch zu halten, so sind sie doch eben sowohl Fallstricke des Gottseibeiuns. Denkt an die Jungfrau von Stavoren und wollt Ihr mit Euren Gedanken bei uns daheim bleiben, so erinnert Euch der eitlen schönen Jüdin Cheyle Storch, die gestern mit all' ihrem Reichthum die Schmach, im Maine gepudelt zu werden, nicht hätte abwenden können, wenn sich nicht der kecke Junker Salentin vom Rhein ihrer angenommen.«
Unter den Gästen befanden sich mehrere, denen dieses Abentheuer des gestrigen Abends unbekannt geblieben. Hielt doch die Ankunft der Geiselfahrt, das wunderliche Treiben der Büssenden in der Stadt, alle Gemüther in einer Spannung, welche andre Ereignisse unbedeutend erscheinen und leicht vergessen ließ! Frau Ursula, die selbst Zeuge jener Begebenheit gewesen war, ließ es sich nicht nehmen, sie jenen Gästen mit den kleinsten Umständen zu erzählen, indem sie Cheyle's Schönheit und Reichthum über alle Maßen prieß und noch hinzufügte, sie habe bei der Erwähnung der Jungfrau von Stavoren sich diese gleich nicht anders, als unter Cheyle's Zügen denken können, da auch die reiche Jüdin unbarmherzig gegen die Armuth verfahre und den Überfluß an Speise und Trank lieber verkümmern lasse, ehe sie den Bedürftigen davon mittheilte. Niemand lauschte diesem Berichte aufmerksamer, als Muskablüt. In dem festen Glauben an die Unwiderstehlichkeit seiner Person, nahm er sich sogleich vor, auf die Eroberung der schönen und reichen Jüdin auszugehn, deren Herz, wie deren Goldsäckel sich dem siegreichen Klange seiner Zitter eröffnen würde. Als ein fahrender Meister, der gewohnt war, die Gaben des Glücks zu nehmen, wie und wo sie sich boten, kannte er keinen Widerwillen, keine – damals so streng gebietende – Glaubensmahnung, welche ihn von einer flüchtigen Verbindung, die ihm reichen Gewinn versprach, zurückhalten konnte. Wie klang doch Alles, was die redselige Frau Ursula von den Schätzen im Hause zum Storch – wie Cheyle's Vater dieses nach sich benannt – erzählte, was sie von dem Schmuck der Tochter rühmte, was sie von deren freiem und ungehinderten Walten über Simeons Geldkisten berichtete, so lockend und verführerisch in seine Seele! Ich bezaubre sie durch meine Zitter, dachte er; dann ist das Alles mein und Muskablüt fragt: wie theuer das schönste Haus in der Stadt? Er wußte die geschwätzige Wirthin bald dahin zu bringen, daß sie die Wohnung des reichen Juden und deren Lage genau beschrieb, so wie die Pracht der Zimmer, in welche sie einmal, bei Abwesenheit der Herrschaft, eine Magd eingeführt. Muskablüt fühlte sich immer mehr zu Cheyle hingezogen, er war fest entschlossen, einen kühnen Streich zu wagen, um vor das Antlitz der jüdischen Jungfrau zu gelangen, die ihn nur zu sehn, sein Spiel nur zu hören brauchte, um sich allsogleich mit Schmuck und Goldesschatz gefangen zu geben.
Indessen hatte der Limburger Stadtschreiber viel und heimlich mit seiner anmuthigen Nachbarin zu plaudern gehabt. Wild fuhr er jetzt empor und rief:
» Me hercle! Diese Geißlermeister, Galeazzo und Godebrecht, sind arge Gesellen. Sie erdreisten sich, Blutspruch und Urthel aus eigner Macht zu üben, sie freveln gegen die heilige Kirche und ihre Diener. Wehe ihnen, wenn sie die Boten von der rothen Erde erreichen! Ihre Thaten haben sie gerichtet, sie sind dem Blutbanne verfallen und der Strick ist schon gedreht, der ihnen den Armesünderplatz am nächsten Baume, unter dem ersten besten Querbalken anweist.«
Die Anwesenden verstanden wohl, was Herr Gensbein mit dieser Drohung sagen wollte. Die Macht der freien und heimlichen Gerichte, die auf der rothen Erde Westphalens ihren Hauptsitz hatte, erstreckte sich damals, wo, bei der fortgesetzten Abwesenheit des in Böhmen residirenden Kaiser Carls IV., jede andere Rechtspflege in tiefem Verfalle lag, weithin durch Deutschland. Ihre Opfer fielen, von der Hand der allenthalben wachenden Freischöffen getroffen, plötzlich; das Dunkel, worin sich die heimliche Vehme hüllte, legte ihr etwas Grauenhaftes, die Bedeutung einer höhern, jedes geheime Verbrechen erkennenden und bestrafenden Gewalt bei. Man bebte, wenn man ihrer erwähnen hörte, ängstlich zusammen, wer sich nicht ganz reinen Gewissens fühlte, durchwachte mit Angst die Nächte und fürchtete am Morgen die ausgehauenen bedeutungsvollen drei Spähne, das Zeichen einer Vorladung vor das freie Gericht, an seiner Hausthüre zu erblicken. Bedeutungsvoller, als allen übrigen Gästen des Stadtkochs, mußte die Anspielung des Herrn Gensbein dem Pater Clarus erscheinen. Diesen hatten seine Wanderungen oft in die Gegend von Limburg und in die Stadt selbst geführt. Dort in der Nachbarschaft der rothen Erde, kannte man das Wesen der Vehmgerichte genauer und unter den Freischöffen, bei denen man seine Klagen vorbringen könne, wurde auch der Stadtschreiber Johannes Gensbein genannt. Aus dem Munde eines solchen Mannes war jene Drohung gewichtig und der Bettelmönch glaubte mit Gewißheit annehmen zu können, daß bereits der Todtenvogel, ausgesandt von den geheimnißvollen Wissenden, über den Häuptern jener zwei blutdürstigen Fanatiker schwebe.
Eitel suchte die Gesellschaft, welche die Erwähnung des furchtbaren Gerichts still gemacht hatte, durch ein heitres Lied wieder zu beleben. Sie sprach in diesem den Dank der Gäste für freundliche Bewirthung, den Wunsch des Sängers, durch seine Gabe einigermaßen vergolten zu haben, aus. Es war schon früher Morgen. Die Gäste brachen auf und wurden von Meister Heinz, der jedem eine bonom noctem mit auf den Weg gab, hinabbegleitet. Von der Entfernung der schönen Sängerin war keine Rede. Sie werde als ein Kind vom Hause betrachtet, versicherte Frau Ursula, und gegen die etwaigen Nachstellungen der Geißler würden sie und Meister Heinz schon Mittel finden, sie zu bewahren. Herr Gensbein, der noch einige Augenblicke zurückgeblieben war, drückte beim Abschiede Eitel's Hand zärtlich an sein Herz und versicherte, dieser Tag sey der schönste seines Daseyns, sein Herz, das bisher ohne Minne gelebt, gleiche jetzt dem fröhlichen Herzen des Jünglings, von dem ein altes Lied sage:
»Es hüpft und tanzt im leichten Sprung,
Denn Liebesglück ist ewig jung.«
Muskablüt hatte sich schon früher in das Gemach begeben, das ihm des Stadtkochs Gastfreundschaft eingeräumt, und träumte hier von Cheyle's Diamanten und ihres Vaters Geldkisten.