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Von deinetwegen bin ich hier,
Herzlieb, vernimm mein Wort.
All mein Begier steht stets zu dir,
Damit treib' ich kein Spott.
Laß mich der Treu genießen,
Dein Diener will ich seyn;
Thu mir dein Herz aufschließen,
Schließ mich, Herzliebste, darein.
Nachdem wir den Leser durch die in dem vorigen Kapitel geschilderten Ereignisse mit den verderblichen Richtungen jener Zeit, mit einigen ihrer künstlerischen und sittlichen Zeichen, so wie mit mehreren Personen, die bestimmt sind, auf eine mehr oder minder bedeutende Weise in diese Geschichte einzugreifen, bekannt gemacht haben, kehren wir in die freie Reichsstadt Frankfurt in das Haus des Herrn Hanns vom Rhein zurück, wo ein freilich durch das Leiden der edlen Hausfrau verdüstertes, aber doch liebevolles Familienleben unsere Theilnahme in Anspruch nimmt.
Wir finden die Glieder der Familie, zu der wir auch einen alten Diener Hartmuth, Jörg, den Hausknecht, und Walpurg, die Magd, sämmtlich Leibeigene von den Gütern des Hausherrn rechnen müssen, zur Mittagsmahlzeit um einen schweren eichenen Tisch versammelt, der mit einfachen aber kräftigen Speisen, wie diese dem unverzärtelten Geschmacke und den gesunden Körperkonstitutionen unserer Altvordern entsprachen, besetzt ist. Salentin hat den Platz neben der blinden Mutter, Regina den zur Seite des Herrn Hanns, Imagina ihre Stelle neben Reginen eingenommen; am untern Theile des Tisches sitzt Walpurg, die Hausmagd, zwischen den beiden männlichen Leibeigenen. Der Hausherr selbst legt, nachdem er ein langes Gebet gesprochen, die Speisen vor, er macht das Zeichen des Kreuzes über das frischgebackene Brod, schneidet es an und läßt es dann weiter herumgehn, er bedient sich, den Sohn und die Frauen aus einem zierlich, in Gestalt eines vorschreitenden Kranichs, gearbeiteten Silbergefäße mit Wein, der auf seinen Rebenbergen am Rheine gezogen worden, während der Leibdiener Hartmuth den dienenden Personen Obstwein aus einer zinnernen Kanne, auf der man das Wappen des edlen Geschlechts bemerkt, einschenkt.
Die Mutter konnte nicht müde werden, sich die Schicksale des lieben einzigen Sohnes in fremden Ländern wiederholen zu lassen. Sie zagte bei der Erzählung manches gefährlich scheinenden Abentheuers, das ihm auf seinen Reisen begegnet, sie erfreute sich der Darstellung so vieler heitern Augenblicke, die er im Schooße einer schönen Natur, im Kreise guter Menschen oder von den Danksagungen eines Genesenen belohnt, den er durch seine Kunst geheilt, verlebt hatte. Regina schlug nur selten die Blicke zu dem schönen jungen Manne auf. Die frühere unbefangene Geschwisterliebe war in ein anderes Gefühl übergegangen, das sie mächtiger beherrschte, das aber, nach einer ernsten, innern Mahnung, in der Tiefe des Herzens verborgen seyn wollte. War sie doch eine Waise und was noch schlimmer schien, ein Findling, dessen Geburt niemand kannte! Wie hätte sie hoffen dürfen, der alte Herr vom Rhein, dem bei aller Güte und Rechtlichkeit die Unbeflecktheit seines Stammbaums über Alles galt, werde je seine Einwilligung zu einer Verbindung mit ihr und dem einzigen Erben, dem Erhalter des alten Geschlechts geben? Er behandelte sie mit Liebe, er zeigte ihr das Wohlwollen eines Vaters, allein sie kannte ihn zu gut, um nicht zu wissen, daß dieses Wohlwollen in der Bestimmtheit seiner Ansichten über Standes- und Geburtsverhältnisse seine unverletzbare Grenze finde. Wie auf einen verstohlenen Raub ging also das schüchterne Mädchen, das die ersten Regungen eines empfindenden Herzens wohl zu bergen, aber nicht zu bekämpfen vermochte, auf einen freundlichen Blick Salentins aus, nur verstohlen suchte sie ihren Drang, die Züge des geliebten Mannes zu betrachten, sein edles Benehmen zu beobachten, zu befriedigen. Dagegen sprach Imagina, die sich bald durch eine freundliche Dienstwilligkeit, durch ein heitres Wesen, das, je ferner die schreckliche Vergangenheit vor der Gegenwart zurücktrat, desto freier und anmuthiger sich entfaltete, ihre dankbare Neigung zu Salentin unverholen aus. Sie war noch ganz Kind. Sie ehrte Herrn Hanns und Frau Gisela, als ihre Wohlthäter, als Personen, die ihres Altes wegen schon Ehrfurcht verdienen; allein in ihrer ländlichen Einsamkeit, bei der Einfachheit ihrer Erziehung, hatte sie die Rücksichten nicht kennen gelernt, die zu jener Zeit noch schroffer als jetzt zwischen die Menschen traten, den Niedriggeborenen von dem Edelbürtigen, den Armen von dem Reichen trennten. Vor ihrer lebhaften Phantasie erstand immer neu die Stunde, in der Salentin, von Pater Clarus unterstützt, sie aus dem Kerker des Pesthauses erlös't hatte. Die Erkrankung der Eltern, ihr Tod, die schreckliche Entstellung ihrer Leichen erwachten in ihrer Erinnerung, aber nicht mehr quälend, sondern mehr, um sie des Geschenks des Lebens, das sie dem Patriciersohne verdankte, sich erfreuen zu lassen. Ihre Gefühle gegen Salentin waren die reinsten. Nur lautre Neigung aus Dankbarkeit, nur Erkenntniß der großen Gefahr, der er nur ihretwillen sich ausgesetzt, nur Überzeugung, daß sie ohne seine Hülfe einem entsetzlichen Tode, dem lebendig begraben Seyn unter modernden Pestleichen heimgefallen gewesen wäre. Mit dem Scharfblicke, der dem Mädchen, das sich dem Übergange aus den Kinder- in die Jungfrauenjahre nähert, eigen zu seyn pflegt, erkannte sie Salentins verschwiegene Neigung zu Reginen und deren noch geheimer gehaltene Erwiedrung. Sie liebte Reginen um so mehr. Diejenige, welche der Retter ihres Lebens zum Leitstern seiner Zukunft erwählt hatte, von der er sein Glück hoffte, stand in ihrem reinen Sinne sehr hoch; denn sie sollte ja das, was sie für ihn erwünschen und erbeten konnte, ausführen, sie sollte dem jungen Manne alle Freuden des Daseyns gewähren, die er durch das an Imagina geübte edle und kühne Werk verdient hatte. Ihre Dankbarkeit war die uneigennützigste, ihre Neigung die eines unschuldigen, kindlich klaren Gemüthes.
Während die Personen, die sich zu dem Herrschaftsverbande des Hauses rechnen durften, laut die von Salentin mitgetheilten Erfahrungen über Tisch besprachen und Herr Hanns, dessen gewöhnliche Düsternheit durch des Sohnes erfreuliche Rückkehr einigermaßen erheitert worden war, bei jedem Trunke aus dem Familienpokale irgend einen frommen oder ernsten Lebensspruch ausbrachte, zischelten die Leibeigenen am unteren Ende des Tisches eifrig mit einander und begleiteten ihr Gespräch mit den lebhaftesten Gebehrden. Einzelne Worte ihrer Unterhaltung wurden, ohne daß sie es wollten, laut und aus diesen Worten ging hervor, daß der Gegenstand, der jetzt allgemein an der Tagesordnung war, die Annäherung einer Schaar der Geißlersekte, auch die Aufmerksamkeit der Hausdienerschaft des Herrn Hanns vom Rheine erregte. Endlich steigerte sich dieses Gespräch, in welchem sich zwei Partheien gebildet zu haben schienen, zu einer solchen Heftigkeit, daß der Hausherr gebot, ihm die nähern Verhältnisse des Zwistes zur Entscheidung vorzulegen.
»Jörg und Walpurg behaupten,« sagte der Leibdiener Hartmuth, »daß es eine himmlische Erweckung, ein Aufruf, von Gott selbst ausgegangen, sey, der die Menschen zur Buße, zur Zerfleischung ihres Leibes, zu Demüthigung und Zerknirschung vor aller Welt mahne; ich aber widerspreche ihrer Behauptung. Die Geißler sind Satanskinder, welche die lieben Heiligen und die hochwürdige Geistlichkeit schmähen, welche sie ganz verdrängen wollen aus dem Christenthume, um sich an ihre Stelle zu setzen. Von wem ward ihnen das Recht, Beichte zu hören und Absolution zu ertheilen? Sie maßen es sich selbst an, sie wollen es eigenmächtig der heiligen Kirche entreißen. Tagediebe und Müßiggänger flüchten sich zu Ihnen, Thoren lassen sich von ihrem Wahnsinne anstecken. Freilich ist es auch kein übles Ding, mit einigen Geißelhieben, die jeder nach Belieben einrichten kann, sich allenthalben Thore und Thüren zu öffnen und das ›Tischlein, decke dich‹ zu bereiten.«
Hartmuth hatte in frühern Zeiten den Herrn Hanns auf manchen Zügen begleitet, er hatte sich durch langjährige treue Dienste das Vertrauen des Herrn gewonnen, manche Lebenserfahrung hatte seine Einsicht gereift und er durfte sich aus diesen Gründen schon erlauben, eine persönliche Meinung bestimmter auszusprechen, wie es in jener Zeit sonst den in untergeordneten Verhältnissen lebenden Individuen gestattet war.
»Weil es der Herr befiehlt, so will ich auch vorbringen, was mir auf dem Herzen liegt;« nahm Walpurg, eine ältliche, störrische Person das Wort, indem sie ihre Blicke nicht von dem hölzernen Teller erhob und verlegen die Spitzgabel in ihrer Hand hin und her bewegte. »Die ganze Welt ist im Argen versunken, das kann niemand läugnen. Sind es doch diejenigen, die uns mit ihrem Beispiele voran gehn sollten. Wer kann noch in die heilige Messe gehn, um andächtig zu der heiligen Jungfrau zu beten, wenn ihm dort der Pfaff im Ornat entgegentritt, den er Abends vorher in der Straßen liegen gesehn? Wer kann sich mit der Absolution derjenigen zufrieden stellen, die vor unseren Augen in Sünden leben? Die Frauenklöster halten Weinstuben, die Männerklöster stehn allem Laster offen. Deshalb hat der Herr die Pestilenz zur Strafe geschickt, deshalb aber hat sich auch die fromme Geiselfahrt aufgemacht und durch Versöhnung mit unserem Blute können wir nur die Gnade Gottes und der benedeiten Jungfrau Maria wieder gewinnen.«
»Ja,« fiel Jörg, der Hausknecht, eifrig ein, »diejenigen, die uns zum Heil verhelfen sollen, bringen uns das Unglück. Das große Sterben, das über Stadt und Land zieht, rührt sie nicht, die Hungersnoth in den Dörfern wollen sie nicht bemerken, wenn sie nur selbst in ihren Klöstern vollauf haben. Mit Jagdhalloh und Hussahgeschrei durchziehn sie den Wald und vom Blute des Wildes triefend, gehn sie zur heil'gen Messe. Sie verläugnen alles Erbarmen, wer sie beleidigt, dem verzeihen sie nimmer. Ist nicht neulich noch ein armer Waldbauer, den sie als Wilddieb eingefangen, von ihnen auf einen Hirsch geschmiedet worden, der ihn in den Stadtbann getragen, wo das wüthende Thier erlegt und der halbtodte Mann erlöst wurde? Ich stand selbst dabei, als er seine Geschichte erzählte. Die Domherrn von Limburg hatten es gethan. Um eines Thieres willen ein Menschenleben! Ist's da zu verwundern, wenn der Herrgott die Gebete der Unbarmherzigen nicht vernimmt?«
Die leibeigenen Diener des Hauses würden nicht gewagt haben, ihre Gesinnungen so offen darzulegen, wenn nicht der Gegenstand, den es betraf, ihre Seele ganz und gar erfüllt und in ihnen Besorgnisse wegen ihrer irdischen und himmlischen Wohlfahrt erregt hätte. Hartmuth gab, während Walpurg und Jörg sprachen, auf mannichfache Weise seine Unzufriedenheit und Ungeduld zu erkennen. Er wartete nur eine kleine Pause, die Jörg in seiner Rede machte, ab, dann unterbrach er ihn sogleich mit den Worten:
»Die heilige Kirche ist unfehlbar in ihren Werken. Wir sind nicht berufen, ihre Diener zu richten, uns liegt es ob, ihren Satzungen nachzuleben. Wer davon abweicht, der wendet sich von Gott und dem Belial zu, wer da meint, er selbst könne sich die Buße zur Sühnung seiner Sünden bestimmen, der nimmt dem Herrn das Recht, das er durch seine Geweiheten verwalten läßt, und empört sich auf diese Weise gegen den Einigen. Die Pestilenz waltet als eine Strafruthe auf der Erde, aber wer mag sagen, der oder jener hat sie durch seine Sünden berufen, ich aber habe keinen Theil daran? Sie trifft Hoch und Niedrig, Priester und Weltliche. Und sind wir nicht alle Zeugen gewesen, wie die frommen Herrn der geistlichen Stifter, wie auch die fahrenden Mönche furchtlos die Pesthäuser beschritten, die Kranken getröstet, gepflegt und ihnen das Sacrament ertheilt haben? Wie viele sind nicht eines elendiglichen Todes gestorben über diesen frommen Werken! Aber Eure Geißler, diese Unmenschen, diese Mörder und Diebe? Erst gewöhnen sie sich an den Anblick des eigenen Blutes, dann begehren sie Fremdes. Fragt nur nach, warum sie in Basel, in Straßburg und in so vielen andren Städten und Flecken die armen Juden zu Tausenden erschlagen, ersäuft, verbrannt und sonst zu todt gemartert haben? Das Volk Israel habe die Brunnen vergiftet, schrieen sie, und dadurch das große Sterben hervorgebracht! Wie kam es denn aber, daß die Juden von demselben Wasser tranken, wie die Christen, und daß es ihnen nicht geschadet hätte, wie diesen? Tolle Beschuldigung! In den Taschen und Raubsäcken der Geißler könnt ihr die Ursache dazu finden. Da hat sich der Fürst der Finsternis Schatzkammern angelegt von dem Gute, das den erschlagenen Juden gestohlen worden. Unter dem Kreuz, mit dem sich die Geißler zeichnen, tragen sie Gold und Silber, Perlen und Diamant, zu denen sie sich selbst bei ihren Schlachtopfern zu Erben eingesetzt, verborgen. Sie sind schlimmer, als die Pestilenz, als Hungersnoth und Armuth. Wo sie hinkommen, verliert die Obrigkeit ihr Ansehn, der Friedliche und Fleißige kommt herunter, der Schreier und Müßiggänger kommt oben auf –«
Der Leibdiener würde das Recht, das ihm eine Vergünstigung seines Gebieters eingeräumt, zum Mißbrauche getrieben haben, wenn nicht Herr Hanns vom Rheine ihn in einem strengen Tone zur Stille verwiesen hätte.
»Welcher böse Geist ist in Euch gefahren,« wandte er sich unwillig zu den drei Streitenden, »daß ihr über Dinge hadert, die Ihr nicht zu beurtheilen vermögt, die Euch nichts angehn? Jeder sorge für sich, daß er wohl stehe in seinem Berufe, daß er seinen Pflichten nachlebe, so wird er nicht in unnatürliche, gotteslästerliche Bußübungen verfallen und auch, wenn der Wille des Herrn sein letztes Stündlein herbeiführt, diesem ruhig entgegensehn. Fort an Eure Arbeit! Seyd thätig, so werdet Ihr nicht auf unnütze Gedanken und verderbliche Irrthümer gerathen. Du, Hartmuth, kannst einmal in der Waffenkammer nach dem Rüstzeuge sehn und Schwerdt und Harnisch säubern; du, Jörg, sieh nach den Weinstöcken auf dem Röderberge und du, Walpurg, hast, denk' ich, genug in Haus und Stall zu thun, um deine Gedanken weiter hinaus, als über Haus- und Stallthüre zu erstrecken. Diesmal will ich Nachsicht mit Euren Thorheiten haben; ein andresmal red' ich strenger zu Euch!«
Nach diesen Worten erhob sich der alte Herr und sprach in ruhiger, würdiger Haltung das Dankgebet. Alle waren mit ihm aufgestanden, eine Stille von einigen Minuten herrscht unter den Zuhörern, dann bekreuzigte sich jeder und, grollende Blicke einander zusendend, entfernten sich die Dienstboten.
Mit großen Schritten ging der Hausherr im Zimmer auf und nieder, während Frau Gisela in einer Fenstervertiefung sich mit dem Sohne traulich unterhielt und die beiden jungen Mädchen geschäftig die Tafel abräumten. Der Herr vom Rheine konnte sich nicht bergen, daß eine ereignißvolle Zukunft herannahe. Für ihn besonders war die Ankunft einer Schaar der verrufenen Geißlersekte, die man nun mit jedem Tage erwarten konnte, ein Gegenstand großer Besorgniß. Er hatte von allen Ämtern, die er während seines langen Lebens ehrenvoll verwaltet, nur eins beibehalten: das eines kaiserlichen Vogts über die Juden, die als sogenannte Kammerknechte des deutschen Reiches, gegen eine bedeutende, jährliche Abgabe eines besondern Schutzes des Reichsoberhauptes genossen. In dieser Würde, die in sehr großem Ansehn stand, lag es ihm ob, die jüdischen Steuern an das Reich zu betreiben, der Israeliten Beschwerden zu hören und sie bei der Obrigkeit zu vertreten. Wir wissen, daß die Geißler mit der blutdürstigsten Wuth ihre Verfolgungen gegen die Juden betrieben. Durfte man hoffen, daß diese in der Reichsstadt Frankfurt, wo die Juden durch theuer erkaufte kaiserliche Begünstigungen einen Wucher trieben, der sie unmäßig bereichert hatte, eine Mäßigung zeigen würden, wie sie bis jetzt an jedem andern Orte ihnen fremd geblieben? Neigte nicht der größte Theil des Volkes, von dem Neuen gereizt und ergriffen, auf die Seite der Fanatiker, die, wo sie erschienen, Verehrung und gastfreie Aufnahme fanden? Die Geistlichkeit hatte durch ihren ärgerlichen Wandel allen Einfluß auf das Volk verloren; die schreckliche Krankheit, die verheerend Europa durchzog, die Bande der geselligen Ordnung sehr gelockert. Dabei zeigten die reich gewordenen Juden eine Anmaßung und einen Prunk, die längst den Haß und Neid der Bürger und selbst der adlichen Geschlechter erregten. Durch großen Aufwand in Kleidern und bei ihren Festlichkeiten wollten sie sich für manche Beschränkungen, die ihnen die Sitte der damaligen Zeit auferlegte, entschädigen. Sie durften den Römerberg nur betreten, wenn eine gerichtliche Vorladung sie vor den Rath berief, sie durften bei den Festen der Patricier nicht unter den Zuschauern erscheinen, wenn sie sich nicht thätlicher Mißhandlungen aussetzen wollten, ebenso wenig bei öffentlichen Tournieren, noch bei Kaiserwahlen, noch bei andern Aufzügen großer Herrn. Sie mußten sogenannte Judenmützen, die durch ihre eigenthümliche Form sie jedem kenntlich machten, tragen und wenn die Reichern unter ihnen diese auch mit goldnen Stickereien, selbst mit Edelsteinen noch so sehr ausschmückten, so waren sie dennoch, sobald sie sich öffentlich sehen ließen, vor den Beschimpfungen des Pöbels nicht sicher. Wie oft aber wagte es trotz dieser Gefahr nicht einer oder der andre Neugierige dieses bedrückten Volkes sich unter irgend einer Verkleidung bei solchen Gelegenheiten herzuzudrängen; dann aber wehe ihm, wenn er erkannt wurde! Beschimpfungen, Schläge und andere Gewaltthaten waren die Strafe seines Vorwitzes und er durfte sich glücklich preisen, mit dem Leben davon zu kommen.
Herr Hanns vom Rheine erkannte ganz das Mißliche seiner Stellung. Die Seuche wüthete freilich nicht mehr so bedeutend in der Stadt, wie früher, allein auch in Frankfurt waren die Juden, mochte es durch Zufall geschehen, mochte es eine Folge ihrer größern Mäßigkeit seyn, von ihr mehr verschont worden, als die Christen. Der Aufmerksamkeit der vielen Feinde, welche die Juden besaßen und unter denen ihre zahlreichen Schuldner obenan standen, entging dieser Umstand nicht. Schon raunte sich auch hier der große Haufe das schreckliche Mährchen von der Brunnenvergiftung zu, Leute aus der Hefe des Volk's hatten laut geäußert, sie erwarteten nur die Ankunft der Geißler, um dann die Wohnungen der Juden zu stürmen, um sie dasselbe Schicksal, wie in Basel und Straßburg erleiden zu lassen.
Wenn der edle Herr vom Rheine in dem Amte, das er verwaltete, viel Gutes stiften konnte, so hatte es ihm dagegen auch unter den Bürgern und Patriciern manchen Feind zugezogen. Er übte immer die strengste Gerechtigkeit, er begünstigte den Christen nicht gegen den Juden, und das war eben das, was ihm von seinen Standesgenossen und den Bürgern übel gedeutet wurde. Weil er nicht hart gegen die Juden war, so nannte man ihn ihren Freund, weil er die Christen nicht auf jener Kosten bereichern wollte, so bezüchtigte man ihn selbst der Bestechlichkeit. Er wußte, daß ihn auf diese Weise die Stimme der Verläumdung traf, aber von der Überzeugung, in treuer Redlichkeit seiner Pflicht zu leben, erfüllt, verachtete er sie.
Die Düsterheit, welche sich in den Zügen des Hausherrn zeigte, wurde von seinem Sohne bemerkt und richtig gedeutet. Als Frau Gisela, von Imagina geführt, sich in ihre Gemächer zurückzog, trat Salentin zu dem Vater, ergriff seine Hand und sagte:
»Wir leben in einer trüben, verwirrten Zeit, mein Vater, allein eben um diese Verwirrungen zu ordnen, um dieses Dämmerungsgrauen zu lichten, müssen wir die ganze Kraft, die ganze Klarheit unsres Geistes in voller Freiheit zu erhalten suchen. Und dazu hilft mehr dulden und tragen, als handeln und entgegen kämpfen. Durch Ruhe muß sich die Stärke offenbaren, wie der Fels seine ewige Kraft durch standhaftes Dulden der Stürme und Wogen an den Tag legt. Alles Kämpfen gegen die Richtung, welche einmal unsere Zeit genommen, würde auch vergebens seyn. Der Irrthum will seine Bahn durchlaufen, wie die Wahrheit; dem Gedanken, der einmal allgewaltig ergriffen hat, widerstreiten, wäre vergebens: gehört er der Lüge an, so zerfällt er am Ziele seiner Bahn in nichts, ist er ein Kind der Wahrheit, so besteigt er dort den Herrscherthron. Mag der Strom der Zeit hereinbrechen, nur daß er uns stark genug finde, in seinen Wogen unser Selbst zu erhalten.«
»Du hast Recht, Salentin!« antwortete der Hausherr: »aber nicht Allen ziert Alles. Wer nur für sich, für seinen Hausstand zu sorgen hat, den kann diese Denkungsart beruhigen. Meine Pflicht aber erheischt andres. Ich muß auf den Schutz derjenigen bedacht seyn, deren Eigenthum, deren Leben die Irrtümer der Zeit bedrohen. Ich muß mich ihrer annehmen mit Rath und That, ich darf selbst meines Lebens nicht schonen, wenn es gilt, sie gegen Anmaßung und Mißhandlung zu schirmen. Da seh ich denn Unheil und Verdruß aller Art herannahen, da muß ich mich auch zu kräftiger That, zu entschlossener Handlung vorbereiten.«
Diese Unterredung zwischen Vater und Sohn wurde durch den Eintritt des Leibdieners Hartmuth unterbrochen. welcher den jüdischen Ältesten, Simeon Storch, einen der reichsten Israeliten in der Stadt meldete. »Der Älteste,« fügte Hartmuth hinzu, »begehre ein geheimes Gespräch mit Herrn Hanns vom Rheine, um ihn in höchst wichtigen Angelegenheiten zu berathen.« Der Hausherr entfernte sich mit dem Leibdiener, um dem Juden in seinem Closett Gehör zu geben, und Salentin blieb mit Reginen, die an den Webstuhl im Hintergrunde des Zimmers getreten war, allein. Er betrachtete eine Zeitlang schweigend das Mädchen, das mit gewandter Hand die Fäden zum künstlichen Gewebe zu schlingen wußte. Sie aber konnte seine Nähe nicht lange ertragen, ohne in Verlegenheit zu gerathen, ohne ihre Arbeit zu verwirren. Es war das erste Mal, daß sie seit Salentins Rückkehr sich allein mit ihm befand. Eine dunkle Röthe ergoß sich über das friedliche fromme Angesicht der Jungfrau, ihre Hände zitterten, sie sah sich genöthigt, ihrer Thätigkeit Einhalt zu thun, um nicht ihr Werk in eine Unordnung zu bringen, die nachher nur mit großer Schwierigkeit aufzulösen seyn würde. Salentin hatte sie mit steigendem Entzücken betrachtet. Im Fluge weniger Augenblicke ging die heitre, unbefangene Kindheit, die er geschwisterlich mit ihr verlebt, an seiner Erinnerung vorüber; er erkannte mit seligen Gefühlen, wie die Zeit herrlich ausgebildet habe, was damals in dem kindlichen Gemüthe Reginen's edel gekeimt, wie auch ihre Gestalt nun jene Blüthen der Schönheit in reicher Fülle zeige, die damals in lieblichen Knospen ahnungsvoll geruht. Ernste Milde, Friede der Seele, fromme Ergebung sprachen aus Reginen's ganzem Wesen. Wenn sie lächelte, so war dieses Lächeln eine sanfte Offenbarung der Klarheit, die ihr Inneres erleuchtete, wenn ihr Blick sich trübte, so sprach dieses Wölkchen im sanften blauen Auge ein lebendiges Mitgefühl, eine trauernde Theilnahme, einen edlen Schmerz aus.
Sie hatte mit Kopfschütteln ihren Platz an dem Webstuhle verlassen, sie war im Begriff sich aus dem Zimmer zu entfernen. Da vertrat ihr Salentin den Weg mit den Worten:
»Fällt es dir peinlich, Regina, mit mir allein zu seyn? Sind wir einander fremd geworden, hält das schöne Band aus den Tagen der Kindheit nicht mehr, das ich für die Ewigkeit geschlungen glaubte? Ach, Regina, du weißt nicht, wie viel ich den Erinnerungen an jene Zeit, den Hoffnungen, die aus ihnen emporgeblüht sind, in der Fremde zu verdanken hatte! Ich lebte mehr in der Vergangenheit und in glücklichen Träumen der Zukunft, als in der Gegenwart. Dieser gehörte nur der Ernst meiner Forschungen, der Schmerz der Trennung, während ich aus jenen beiden meine Freuden schöpfte. Du warst mein guter Engel, Regina! Das wilde Treiben andrer Jünglinge konnte mich nicht locken, denn ich dachte an dich und dann erschienen mir die kindischen Freuden, die ich ich mit dir genossen, so groß und herrlich, daß jene Lockungen vor ihnen alle Macht verloren; ich dachte an eine Zukunft – Regina, du warst immer das himmlische Bild, um das sich aller Glanz, aller Zauber dieser Zukunft vereinigte! Wie unzählichemale habe ich mir den Augenblick entzückend ausgemalt, in dem ich die Schwelle des elterlichen Hauses betreten würde, wo du mir entgegenkämest, wo der Druck deiner Hand, das Lächeln deiner Lippe, der Blick deines Auges mir sagen würden: die treue Liebe aus der Kindheit ist geblieben, deine Träume von einer glücklichen Zukunft werden wahr! Ich bin wiedergekehrt, Regina, aber vergebens habe ich den Gegendruck der Hand, das Lächeln der Liebe, den Blick der Treue erwartet. Sprich, was ist geschehen? Warum wendest du dich fremd, ich möchte sagen, kalt von mir ab?«
Regina stand die Augen zu Boden gerichtet. Noch immer bedeckte dunkle Röthe ihr Angesicht, um den Mund zeigte sich ein leises Zucken, ihre Rechte beschäftigte sich mechanisch mit dem Schlüsselbunde an ihrer Seite.
»Salentin,« erhob sie endlich, nachdem der junge Mann sie in peinlicher Erwartung eine Zeitlang fragend angeblickt, ihre Stimme, »wir dürfen uns nicht bergen, daß alles Glück, was uns die Kindheit gebracht, mit dieser unwiederbringlich verloren ist. Damals war unser Pfad ein und derselbe, allein jetzt läuft er nach verschiedenen Richtungen, nach Zielen, die sich nicht mit einander vereinigen lassen. Es ist am Besten, wir kommen hierüber stillschweigend überein, wir stören einander nicht auf unseren Wegen, wir nehmen, was einmal nicht zu ändern ist, als eine Schickung des Himmels friedlich und duldsam hin.«
Sie hatte diese Worte mit einer Bestimmtheit gesprochen, welche sie als das Resultat einer reifen Überlegung erscheinen ließen; allein in ihren Augen zeigten sich Thränen, sie schwankte, indem sie wiederum Anstalt machte, das Zimmer zu verlassen.
»So darfst du nicht von mir gehn, Regina!« versetzte Salentin, indem er sie noch einmal zurückhielt. »Ich besitze ein Recht auf dein Vertrauen: denn, wolltest du mir auch jede Hoffnung grausam entreißen, so darf ich mich doch als deinen Bruder ansehn. Ist es nicht genug, daß Außen um uns Alles in wilder Empörung stürmt, wollen wir noch den Frieden aus dem stillen Asyle des Herzens verbannen? Das Leben ist in dieser Zeit eine wohlfeile Gabe geworden, wie ein Baum, dessen Wurzeln vermodert sind und der am Rande eines Abgrunds hängt, so schwebt es über dem großen Grabe, aus dem die Seuche lüstern ihre Knochenhand nach uns erhebt. Wir müssen es selbst uns ausschmücken mit schönen Gefühlen, wir müssen ihm in einer süßen Vereinigung der Seelen einen Halt zu geben suchen, wenn es nicht seine ganze Bedeutung verlieren soll. Ich habe die Welt kennen gelernt in so vielen Verhältnissen und ich habe keins gefunden, das den Menschen zu beglücken vermag, wie der häusliche Bund der Ehe, wie seine stillen, friedlichen Freuden. Du bebst zusammen, Regina, du drängst dich von mir ab, du willst mir Gehör in der wichtigsten Angelegenheit meines Lebens versagen? Ich begreife, ich kenne dich nicht mehr! Womit habe ich dein Vertrauen verscherzt, wodurch diese Kränkung verdient?«
»Ich sehe wohl ein,« sagte Regina, indem sie sich gewaltsam zu sammeln suchte und in das Zimmer zurück, nach einer Fenstervertiefung schritt, in der sie sich niederließ, »daß wir einmal offen und ausführlich über unser Verhältnis sprechen müssen. Dann aber, Salentin, laß uns eine Unterhaltung dieser Art nicht wieder anknüpfen, laß uns ruhig, ohne Leidenschaft, ohne solche Wünsche, wie du bisher genährt, nebeneinander fortleben, Gott und seinen Heiligen die Lenkung der Zukunft überlassend. Du erinnerst dich gern unsrer Kindheit? So führe deine Erinnerung denn einmal bis zu dem Abende zurück, wo du mich zum erstenmale erblickt. Doch – was sage ich! Damals konnte deine Erkenntniß wohl eine solche Begebenheit noch nicht auffassen, um sie festzuhalten. Aber du hast doch oft erzählen hören, wie man mich als ein kleines Kind von wenigen Wochen ausgesetzt auf der Schwelle deines elterlichen Hauses fand, wie da deine Eltern sich des unglücklichen Findlings erbarmt, und sie sich meiner auf die edelmüthigste Art angenommen und mich erzogen als ein eigenes Kind. Bedenke das recht wohl, Salentin, erwäge in allen Beziehungen die Größe dieser Gunst!«
»Und wozu?« fragte befremdet der junge Mann. »Weshalb mahnst du mich daran?«
»Sollte ich undankbar gegen Diejenigen seyn, die mir das Leben erhielten, deren Liebe mir Alles erstattet, was mir ein unglückliches Loos entziehen wollte?« sprach in großer Bewegung die Jungfrau. »Das walte die heilige Mutter Gottes! Ich liebe dich, Salentin, aber verlange nicht, das ich dich anders fortliebe, wie deine Schwester! Das ist schon ein großes Zeichen des Wohlwollens meines dunkeln Schicksals, daß ich dir diese Liebe widmen darf. Verlange nicht mehr, verlange nicht, daß ich Dankbarkeit und Ehrfurcht gegen deine Eltern verletze, indem ich nur den Gedanken hegen könnte, meine Lebensbahn, deren Anfang eine tiefe Nacht verhüllt, mit der des letzten Sprößlings eines so edeln Geschlechts zu vereinigen!«
»Regina,« erwiederte mit schmerzlichem Tone Salentin, »hat dein Herz anders gewählt, als die Neigung deiner Kindheit mich hoffen ließ?«
»Du verkennst mich, Salentin!« antwortete sanft die Befragte. »Die Kindheit hatte ihr Recht, das reifere Alter behauptet das seinige. Die heilige Königin des Himmels, der mein Herz offen liegt, weiß, daß ich dir nichts verberge, daß ich kein Verlangen im Rückhalt trage, dessen ich mich zu schämen hätte.«
»Wenn nun,« versetzte lebhafter Salentin, »diese Scheidewand, von der dein Auge sich schüchtern abwendet, nicht wäre, wenn mein Vater dich als die Gattin des einzigen Sohnes wollkommen hieße, wenn auch meine Mutter dich als solche mit offenen Armen aufnähme – wenn dir die Aussicht gesichert wäre, Alles vereinige sich zu der Erfüllung meiner Wünsche, würde dann dein verneinendes Wort allein eine dunkle Nacht an diesen Himmel heraufbeschwören?«
Regina schlug das trübe Auge zu ihm auf. Ein Lächeln umschwebte ihre Lippe, in ihre Seele schien ein Hoffnungsstrahl zu fallen, der in ihrem Antlitze wiederleuchtete. Sie bewegte die Lippen, sie war, wie Salentin selbst erkannte, von einem süßen Taumel befallen, der sie für Augenblicke der Wirklichkeit entzog. Dann aber erkannte sie diese wieder, das frohe Wort, das vielleicht auf ihrem Munde schwebte, wurde bekämpft und in einem sanften, schwermüthigen Tone sagte sie:
»Laß uns darüber schweigen, Salentin! Ich will nicht leugnen, daß es Stunden gegeben hat, in denen mich dergleichen Gedanken in sichtbare Versuchung führten. Dann warf ich mich im einsamen Gemache vor dem Bilde des Heilands am Kreuze nieder und bat ihn um Kraft, solche Hoffnungen meiner Seele fern zu halten. Er hat mir seinen göttlichen Beistand gewährt. Ich konnte die Gefühle, die mir schmeicheln wollten, bezwingen, ich konnte die Zukunft, die sich blendend mir eröffnen wollte, durch die starre Erkenntnis der Gegenwart und der Wirklichkeit verschwinden machen. So habe ich mir einen Frieden errungen, den ich unter dem Schirme Gottes und seiner Heiligen zu bewahren hoffe. Denk auch du nicht mehr jener eiteln Wünsche, die uns in dem Wandel auf der Bahn der Pflicht stören wollen. Dir steht ein schweres Werk bevor. Du hast deine Jugend ernsten Dingen gewidmet, während andre Junker deines Alters im fröhlichen Treiben der Turniere, der Festgelage und andrer Lustbarkeiten ihre Zeit hinbrachten. Du hast es aus Kindesliebe gethan, du hast die Freuden des Lebens geopfert, um die Kunst zu erlernen, der blinden Mutter das Tageslicht wiederzugeben. Gott segne dich zu diesem Werke, Salentin! Daran denke allein. Die Hoffnung, die sich dir bietet, der Wohlthäter, der Beglücker der eigenen Mutter zu werden, erfülle dein ganzes Wesen. Wo ich meine Gedanken auch hinrichte, so kann ich nichts ersinnen, was dem Gefühle gleich kommt, das einen Sohn ergreifen muß, dem dieses schöne Loos von der Huld des Himmels beschieden ward. Du sagtest mir, deine Kunst könne hier helfen, du tragest die Überzeugung, das Ziel eines so langen und ernsten Strebens zu erreichen, in dir? Was zögerst du, an das segensreiche Werk zu gehen? Die Nacht deiner treuen Mutter dauert schon lang genug, sie ist nicht mehr jung, jeder Augenblick des verlorenen Lichtes ist unersetzlich.«
»Die Kunst muß sich der Nothwendigkeit fügen;« erwiederte der junge Patricier. »Sie muß den glücklichen Moment erwarten, in dem ihr die Hoffnung blüht, ihren Sieg zu feiern. Die gute Mutter ist noch von der Freude über meine Rückkehr zu sehr ergriffen, um sich in die ruhige Haltung, in jene Gleichgestimmtheit des ganzen Wesens zu versetzen, die zum Gelingen der Heilung durchaus erforderlich ist. Ich habe ihr Übel genau erforscht und geprüft. Es ist nicht solcher Art, daß es dem Angriffe des Wundarztes weiche; es muß durch den innerlichen Gebrauch heilsamer Mittel gehoben werden. Überlasse das mir, Regina! Kannst du glauben, daß die Blindheit der geliebten Mutter nicht auch auf meinem Herzen wie eine Centnerlast liege, die ich abzuwälzen strebe, sobald es die Gnade des Himmels verwilligt? Auch dieser Augenblick wird kommen. Auch seine Sonne wird, wie ich fest vertraue, ihre beglückende Strahlen in unsern friedlichen häuslichen Kreis werfen und ein neues schönes Leben wird uns allen beginnen. Wir selbst müssen es nur im Voraus durch allzugroße Ängstlichkeit, durch unzeitige Besorgnisse nicht trüben. Während ich Jahrelang im fremden Lande, wo ich vaterländische Sitte und deutsche Treue schmerzlich vermißte, wo ich trauernd und allein stand, weilte, dachte ich mir immer die künftige Vereinigung mit dir, liebe Regina, als einen Theil des Ersatzes, auf den ich für so viele entbehrte Jugendfreuden rechnen dürfte. Es ist nicht möglich, daß ich diese schöne Hoffnung, von der es mich dünkt, daß sie mir gleichsam ein Recht auf dich eingeräumt habe, aus meiner Brust verweise, indem ich erkenne, daß du selbst dir Gewalt anthust, eine liebevolle Neigung zu mir unter kaltem Fremdethun zu verbergen. Ja, Regina,« setzte er mit glänzendem Blicke hinzu, »du erwiederst meine Liebe, die Träume der Kindheit sind wahr geworden, mein Herz konnte sich über dich nicht täuschen!«
Eine tiefe Rührung zeigte sich bei diesen Worten in Salentins ganzem Wesen. Er hatte die Arme zu Reginen erhoben, er sah sie mit den zärtlichsten Blicken an. Das Mädchen konnte der Übermacht ihrer Empfindungen nicht länger widerstehn. Sie neigte sich an seine Brust, sie vergoß einen Strom von Thränen.
»Ich kenne meinen Vater;« fuhr Salentin fort. »Die Wogen der Zeit, die jedes Verhältniß aus seinen Fugen zu reißen drohen, vermögen seinen starken Geist nicht zu erschüttern. Er hält unabänderlich fest an alter Sitte, an dem Gebote der Ritterlichkeit, das dem Zufalle der Geburt ein Recht, über Glück und Unglück des Menschen zu bestimmen, einräumt. Meine Mutter ist eine treffliche, gefühlvolle Frau, allein auch sie würde ihre Theilnahme den Gesetzen des Herkommens unterwerfen, mit blutendem Herzen würde sie in das verneinende Wort des Vaters einstimmen. Beide lieben dich, wie eine Tochter, aber die Hausfrau des Sohnes dürftest du doch darum nicht werden.«
»Salentin,« fiel, schmerzlich aufblickend, Regina dem jungen Manne in die Rede, »ich begreife dich nicht! Du erkennst die ganze Unstatthaftigkeit eines innigen Verhältnisses zwischen uns, du legst sie mir mit einer Genauigkeit dar, die alle schmerzlichen Kämpfe, die ich bestanden, in mir erneuert, und dennoch willst du dich nicht entschließen, dich in die Nothwendigkeit, in die Pflicht der Entsagung zu ergeben.«
»Wie könnte ich das?« versetzte mit einem seltsamen Lächeln Salentin, »so lange noch eine Hoffnung lebt, die Kluft, die zwischen uns liegt, auszufüllen, grade jetzt, wo ein wunderbarer Strahl fern herüber in die Nacht dieser Kluft fällt und bei seinem Scheine die Möglichkeit, unsre Wünsche gewährt zu sehen, erkennen läßt!«
Befremdet sah Regina den Freund ihrer Kindheit an. Sie schien in seinen Blicken, in seinen Zügen lesen zu wollen. Kopfschüttelnd trat sie dann vor ihm zurück und sprach:
»Du bietest mir neue Räthsel, statt meine Fragen offen zu beantworten. Wo ist der Lichtstrahl, den du zu erblicken glaubst, wo die Hoffnung, die noch nicht untergegangen wäre? Eine Waise, ein Findling tritt hoffnungslos in das Daseyn, sobald sein Bewußtseyn dieses zu durchscheinen vermag. Mein Leben liegt abgeschlossen vor mir. Was meine Wohlthäter mir gewähren können, das weiß ich, wie das, was sie mir versagen müssen. Noch einmal, Salentin! Laß mich ruhig und ungestört den dunkeln Pfad wandern, den mir meine Geburt zugewiesen. Dich ruft die deinige in eine herrliche, eine glänzende Bahn. Aus den Töchtern der reichen, edlen Geschlechter wähle dir die Braut. Glaube mir, ich werde deßhalb nicht unglücklicher seyn. Zu den Heiligen will ich beten, daß sie deine Wahl lenken, daß sie diejenige trifft, die dich zu beglücken vermag. Und wenn dann deine Eltern ihre Wünsche befriedigt sehen, wenn im vermehrten Glanze der Ruhm ihres Geschlechtes blüht, wenn deine Mutter, sehend geworden, mit freudigem Blicke die Schwiegertochter in ihrem Hause, ihrem Herzen willkommen heißt, dann – ach, Salentin, könnte ich unedel genug denken, um nicht Theil an der Freude derjenigen zu nehmen, denen ich Alles verdanke? Nein, gewiß ich werde deßhalb nicht unglücklicher seyn.«
Die Thränen, welche häufiger über ihre Wangen rannen, eine plötzlich eintretende Blässe in ihren Zügen, eine Anwandlung von Schwäche, die sie nöthigte, wieder auf der Fensterbank, von der sie sich erhoben hatte, Platz zu nehmen, widersprachen diesen Worten. Sie verbarg ihr Antlitz mit beiden Händen, sie schluchzte laut, denn die Kraft, welche den Ausbruch ihrer Empfindungen gemäßigt, war erschöpft.
»Beruhige dich, Regina!« sagte, von dem schönen Gefühle, sich wieder geliebt zu wissen, belebt, Salentin. »Ringsum bewegt sich die Menschheit in einem wilden stürmischen Treiben. Seit Jahren schon durchzieht ein seltsamer Geist die Welt, der Alles ergreift, der das Bestehende, das für die Ewigkeit gegründet schien, zertrümmert, der neue Verhältnisse schafft und das Ausserordentliche zum Gewöhnlichen macht. Wir dürfen Alles hoffen, Alles fürchten, denn die Elemente, die sich bekämpfen, berühren das Größte, wie das Kleinste. Was dir als das unübersteigliche Hinderniß unsrer Vereinigung erscheint, wandelt sich vielleicht im Fluge eines glücklichen Moments, wie wenn der Bann eines Zaubrers gelös't worden, in eine günstige Auflösung aller Zweifel, aller Befürchtungen. Du bist ein Findling, in später Abendstunde fand Walpurg, die Hausmagd, dich auf der Schwelle unsrer Thüre! Dein Anzug war von feinerm Zeuge, war sorglicher gearbeitet, als man es bei geringer Leute Kind zu sehen gewohnt ist. Ein Pergamentblatt lag unter deinem Haupte, in zierlichen Schriftzügen war darauf zu lesen:
›Gott Sohn nahm sich der Kindlein an,
Wollt dies erbarmungsvoll empfahn,
Ein ehlich' Sproß, aus heil'gem Band,
Regina in der Tauf genannt!‹
Ich selbst habe diese Schrift nie gesehn, denn sie ging durch eine Nachlässigkeit Hartmuths frühe verloren; der Vater aber hat mir oft davon gesprochen. Wenn nun das Geheimnis deiner Geburt sich plötzlich offenbarte, wenn durch diese Entdeckung ihr Dunkel nicht bestätigt, wenn es von ihr genommen würde, wenn du als eine Ebenbürtige aufträtest, Regina – dürfen wir diese Möglichkeit nicht ebenso gut hoffen, wie eine andre ungünstige fürchten?«
»Du störst mich grausam aus dem Frieden der Entsagung auf, in den ich mich gefunden hatte;« erwiederte Regina. »Glaubst du, daß nicht solche Gedanken auch schon in meiner Seele emporgestiegen, daß sie, den gewohnten Gang meines Tagewerks lähmend, die Ruhe der Nächte von meinem Lager verscheuchend, wie Lockungen des Versuchers nicht mein ganzes Wesen durchdrungen, mich zum schweren Kampfe aufgefordert hätten, in dem ich nur durch die Hülfe des brünstigsten Gebetes siegen konnte? Ach, Salentin, es ist nicht gut gehandelt von dir, eitle Vorspieglungen, die ich als solche verbannt, wieder in das Gebiet der Wirklichkeit heraufbeschwören zu wollen. Ich habe niemand, der mich als sein Kind anerkennen mag, in dessen Herzen das verwandte Blut sich liebevoll zu mir hinneigt.«
»Ich sprach auf meiner Rückreise einen Mann,« sagte in einem nachdenklichen Tone der junge Patricier, »der eine wunderbare, unerklärliche Theilnahme an dir und deinem Schicksale an den Tag legte. Hast du in der That, während meiner Abwesenheit, nichts erfahren, nichts gesehen oder gehört, was dich vermuthen ließe, es lebe Jemand, dem dein Daseyn, der Gang deines Lebens ein Gegenstand theilnehmender Aufmerksamkeit wäre?«
»Du versetzest mich in das höchste Erstaunen!« antwortete in großer Aufregung die Jungfrau. »Niemand hat sich veranlaßt gefühlt, mich zu beachten, nichts hat sich ereignet, was nur die fernste Vermuthung in mir erzeugen könnte, es lebe außer dir und deinen Eltern noch ein menschliches Wesen, dem der Findling Regina nicht gleichgültig wäre.«
»Und dennoch,« sprach Salentin in einem bestimmten Tone weiter, »gibt es einen wunderbaren, geheimnißvollen Mann, dessen Empfindungen, als er die Rede auf dich gebracht, sich so feurig und wohlwollend verkündeten, daß er nothwendig in einer nahen Beziehung zu dir stehen muß. Es ist ein Mann, dessen Name in ganz Deutschland zugleich mit der höchsten Bewundrung und dem tiefsten Mitleiden genannt wird. Wie ein Geist des Himmels wirkt er auf die Herzen der Menschen und läßt auf einem Felde von Trauer plötzlich Blüthen der Freude emporblühen, flößt Lustigkeit in den Becher der Wehmuth, mischt sanfte Wonne in Thränen des Grams.«
»Und dieser Gesegnete, dieser Heilige gedachte meiner?« fragte in vermehrter Spannung Regina. »Er wußte von mir, er zeigte jene wohlwollende Theilnahme, von der du sagtest?«
»Er war es!« antwortete Salentin: »aber erschrick nicht, Regina, wenn ich in ihm dir ein Wesen nenne, das nicht, wie du wähnst, ein Gegenstand der Verehrung, sondern, neben dem Mitleiden, auch des Abscheu's ist! Freilich liegt in diesem Abscheu eine Grausamkeit, die vor dem klaren Blicke des Menschenfreundes durch nichts gerechtfertigt werden kann, aber ein Vorurtheil, das Jahrhunderte hindurch genährt wurde, ist eine Kette, von der sich die Schwäche des großen Haufens nicht so leicht loszumachen vermag. Hörtest du nie von dem aussätzigen Mönche auf der Rheininsel unterhalb Mainz?«
»Vom Meister Lukas, der die schöne Weise ersonnen:
Lieb', Treu' und Leid, drei Kindelein,
Müssen immer beisammen seyn?«
fragte mit zweifelhafter Stimme das Mädchen, indem ihr Blick erwartungsvoll auf dem jungen Mann weilte.
»Von demselben!« versetzte Salentin. »Schon manches schöne Lied von ihm war mir in Paris durch Landsleute, die es mit dahin gebracht, bekannt geworden. Du kannst dir nicht denken, Regina, welchen tiefen Eindruck ein so wunderbarer Klang aus ferner Heimath auf mich machte! Wenn ich eine dieser Weisen vernahm, so sah ich den schönen Blüthengarten meiner Kindheit vor mir erstehen. Ich vernahm deine liebe Stimme, die der theuern Mutter, in freundlicher Ermahnung zu den Kindern sprechend, an dem Auge meines Geistes schritt die würdige Gestalt meines Vaters vorüber. War es zu verwundern, daß ich den Mann, der mir so schöne Augenblicke schuf, wie einen wohlwollenden Freund, wie ein höheres Wesen, das meine trübe Einsamkeit beglückte, liebte und ehrte? Mit unwiderstehlicher Kraft fühlte ich mich zu dem trefflichen Sangesmeister Lukas hingezogen und als ich die Hauptstadt Frankreichs verliess, geschah es mit dem festen Vorsatze, ihn auf seiner Rheininsel aufzusuchen, um meinen Dank und meine Verehrung auszusprechen.«
»Wie,« unterbrach ihn ängstlich Regina, »du konntest dich entschließen, du konntest es wagen, in die Nähe eines Aussätzigen zu treten?«
»Mich fesselt die Kette des Vorurtheils nicht, von dem ich vorher sprach;« antwortete lächelnd Salentin. »Ich habe durch ernste Forschungen die Überzeugung gewonnen, daß es eine schreiende Ungerechtigkeit ist, diese Unglücklichen, welche ohne ihr Verschulden eine unheilbare Krankheit ergreift, aus der Gesellschaft der Menschen zu verbannen, ihnen den Trost des Mitleids, die Pflege der Liebe zu rauben. Als der schreckliche Aussatz, dessen bloßer Name schon jeden mit Entsetzen und Eckel durchbebt, zuerst aus dem Oriente nach Europa kam, war seine krankhafte Macht so allgewaltig, daß ihm jeder Schwächling, jeder, in welchem ein Krankheitskeim lag, heimfiel. Daher das Märchen von seiner furchtbaren Ansteckungskraft, daher die grausame Vorsichtsmaßregel, die Unglücklichen, welche er zu seinem Opfer erwählt, auszustoßen, zu verschließen, zur Einsamkeit bis an ihren Tod zu verdammen! Was wagte ich also, indem ich mich in eine Gefahr begab, an die ich nicht glaubte? Und hätte sie wirklich bestanden, Regina, war ich darum ein Arzt, ein Bekämpfer der bösen Geister, die den Menschen in Krankheiten quälen, geworden, daß ich feige vor ihnen zurückscheute, daß ich die Flucht ergriffe, wo mein Beruf mir Muth und Ausdauer gebot? Was würdest du von dem Ritter urtheilen, der vor dem Beginne der Schlacht sein Roß umlenkt, um Ruhe und Sicherheit im Schutze fester Mauern zu suchen? Ich kann dir sagen, ich freute mich, als ich der alten Stadt Mainz näher kam, darauf, dem armen Meister Lukas, den alle mieden, einmal die Gesellschaft eines wohlwollenden Menschen nahe zu bringen, ihn den Dank eines Freundes seiner Lieder, ihn vernehmen zu lassen, wie ihr bald heitrer, bald süßer, bald mächtiger, bald wehmüthiger Klang weithin in die Länder ziehe, allenthalben Freude verbreitend, Theilnahme und Liebe gewinnend. Ich trat in Mainz an das Ufer des herrlichen Stromes und verlangte einen Fährmann nach der Ingelheimer Au. Die Schiffleute sahen einander bedenklich an, schoben verlegen an den Mützen und zögerten mir Antwort zu geben. In allen regte sich die Furcht vor dem armen Aussätzigen, der Gedanke an ihn schien schon mächtig genug, ihren Muth zu lähmen, ihre Gewinnsucht zu unterdrücken. Ich bot einen bedeutenden Lohn. Die Leute schüttelten die Köpfe, schweigend verlor sich einer nach dem andern aus dem Kreise, der sich um mich gebildet hatte. Da endlich blieb mir nichts übrig, als gegen ein ansehnliches Unterpfand einen kleinen Nachen zu leihen, und mich selbst, meiner eigenen Kraft und meinem Geschick vertrauend, nach der Rheininsel hinabzurudern. Es war ein reizender Morgen. Die Thürme von Mainz erglänzten in seinem milden Sonnenlichte, die blauen Gipfel des Gebirges blickten ernst herab, und der breite, mächtige Fluß dehnte sich, im weiten Bogen die Rebenhügel zu ihren Füßen zurückdrängend, in das Land hinein. Ich war Herr meiner Zeit, ich ließ den leichten Nachen langsam von den Wellen hinabtragen, ich trank den frischen Hauch des Morgens in langen, durstigen Zügen, ich gab mich willenlos ganz dem erkräftigenden Einflusse der lebendig erwachenden Schöpfung hin. Die lieblichen Ufer schwebten an meinem Blicke vorüber, der Schall der Glocken der Thürme von Mainz wogte über die bewegte Wellenfläche hinter mir her und erfüllte meine Seele mit dem Ernste, der sie immer ergreift, wenn ein Anklang des Heiligen, Andacht-Gebietenden in sie dringt. Ich legte mich in den Nachen zurück. Ich sah hinauf in den heitern Himmel, ich gab mich den mannichfachen Spielen hin, zu denen meine Phantasie sich angeregt fühlte. Ich weiß nicht, wie lange ich so von dem treibenden Nachen geschaukelt wurde. Plötzlich stieß er an, sein Lauf war gehemmt und ich blickte in ein Gebüsch von Uferweiden, das sich über ihn hinbog. Ich sprang auf und sah mich um: allen Umständen nach, die man mir angegeben hatte, mußte es die Ingelheimer Au seyn, an der ich landete. Rechts am Ufer zeigte sich die alte Burg Bieberich; tiefer unten traten aus einem Obstwäldchen die Trümmer der alten Kaiserpfalz von Schierstein und die Hütten ihrer Anbauer hervor. Ich band den Nachen an eine Baumwurzel, ich drängte mich durch die Weidenzweige an's Ufer empor. Dichteres Gebüsch versperrte mir den Weg. Nur mühesam konnte ich mich hindurch arbeiten, bis ich endlich auf einem kleinen freien Raum anlangte, in dessen Hintergrunde sich eine einfache, von Baumästen zusammengefügte Hütte zeigte. Als ich aus dem Gebüsche trat, schlug ein Hund an, der vor der Thüre der Hütte lag. Alter und Mangel an Bewegung schienen ihn steif gemacht zu haben. Er erhob sich und ging zähnefletschend dem Fremdlinge einige Schritte entgegen; dann legte er sich wieder nieder und setzte sein heiseres Bellen fort. Als der erste Laut, mit dem er mich empfing, ertönte, ließ sich zugleich aus dem Innern der Hütte ein hundertstimmiger Chor von Singvögeln vernehmen, aus dem Buschwerk, das sie umgab, schallte das Blöken von Lämmern, das Meckern von Ziegen hervor. Ich ging langsam näher. Nur wenige Schritte befand ich mich noch von der Hütte, als in ihrer Thüre eine hohe Mannsgestalt in der Kutte eines grauen Mönchs erschien. An der Larve, die das Angesicht des Mannes bedeckte, erkannte ich den berühmten Unglücklichen, wie man mir ihn geschildert hatte. Obgleich seine Gesichtszüge unter der Larve völlig verborgen waren, so warf er zum Überflusse noch, als er mich bemerkte, seine Kaputze über. Er stand nun ganz in dem Gewande, das die Strenge seines Ordens vorschreibt, vor mir. Aus zwei Öffnungen in der Kaputze sah mich ein Paar dunkelglühender Augen an, in denen ich wohl einen Ausdruck der Befremdung, aber nicht des Unwillens zu entdecken glaubte. Er winkte mir mit beiden Händen hinweg, seine Gebehrde war so lebhaft, so ernst zurückweisend, daß jeder andre, der minder fest in seinem Entschlusse gewesen wäre, als ich, umgekehrt seyn würde. Ich trat ruhig vor ihn hin und sagte: ›Wenn Ihr wirklich derjenige seyd, den ich suche, so vergönnt mir eine kurze Zusammenkunft. Schon lange treibt es mich, dem Meister Lukas, der durch seine herrlichen Lieder und Weisen die schönen Zeiten der schwäbischen Minnesänger erneut, meinen Dank darzubringen. Weis't mich nicht zurück, laßt den langgenährten Wunsch, der mich zu Euch führt, erfüllt werden!‹ Bei diesen Worten sank seine Rechte, die sich abwehrend erhoben, langsam nieder und ein vermehrtes Erstaunen sprach aus seinem Blicke. Mit sanfter, wohllautender Stimme entgegnete er: ›Ihr seyd der erste, der es wagt, den armen Aussätzigen auf seinem einsamen Eilande heimzusuchen. Fürchtet Ihr denn nicht die Ansteckung?‹ – ›Ich bin ein Arzt,‹ sagte ich, ›und ich glaube, daß Ihr mit mir in der Ansicht übereinstimmt, ein Arzt müsse keine Krankheit fürchten.‹ – ›Bei Sanct Georg,‹ erwiederte der graue Mönch, indem er mit einer Gebehrde der Theilnahme sich nun auch mir näherte. ›Ihr habt etwas unternommen, zu dem Ihr selbst unter Euern Kunstgenossen nicht leicht einen Gefährten gefunden haben würdet! Der Fluch der Zeit ruht auf dem Unglücklichen, den die gräßliche Krankheit getroffen, und in mir selbst wurzelt tief der Glaube, daß ihre pestartige Kraft verderblich weiter wirkt. Deßhalb entfernt Euch, junger Mann, fliehet den Ausgestoßenen, fliehet denjenigen, den Gottes Zorn gezeichnet.‹«
»Und du flohest nicht? Trotz den eigenen Warnungen des Unglücklichen verweiltest du in seiner Nähe?« unterbrach in großer Bewegung Regina den Erzählenden.
»Du siehst, daß ich glücklich und gesund angekommen bin;« versetzte heiter Salentin, »und dennoch verließ ich den Unglücklichen nicht, dennoch vertraute ich mehr meiner Überzeugung als seinen Worten. Ich blieb und erklärte ihm, daß ich auf meine Gefahr die Unterredung mit ihm wagen wolle. ›So kommt denn mit mit herein in meine einfache Wohnung,‹ antwortete nach einigem Besinnen Meister Lukas, ›seyd mir gegrüßt, als der erste Gast, der sie betritt, als eine willkommene Stimme aus der Welt, mit der sie einmal wieder freundlich zu mir reden will.‹«
»Heilige Jungfrau!« rief zitternd Regina. »Du hast die Wohnung des Aussätzigen betreten, an seiner Lagerstatt gestanden, von seinem Brode gegessen?«
»Das Alles habe ich!« sprach, ohne sich in seinem ruhigen Vortrage stören zu lassen, der junge Patricier. »Aber wenn du glaubst, daß ich in einen Aufenthalt des Eckels und des Elends getreten wäre, so irrst du sehr! Nichts mahnte hier an Krankheit, nichts an das furchtbare Mißgeschick, das auf meinem Wirthe lastete. Er selbst trug sein Haupt so gerade, seine Bewegungen zeigten sich in einer so edeln Übereinstimmung, so rasch und sicher, daß diese entsetzliche Krankheit, die nun Jahrelang schon an seinem Körper nagte, nichts über dessen ursprüngliche Kraft vermocht zu haben schien. In dem Innern der Hütte begegnete meinem Blicke, wohin er sich auch wandte, frisches Grün, das durch die Fenster hereingezogen war, singende Vögel hüpften in den Zweigen auf und nieder, süßduftende Blumen quollen allenthalben unter den Blättern hervor. Der Ausgestoßene der Menschheit hatte sich ein kleines Paradies in sein Gemach gebannt, in dem er auch einsam, wie der erste Mensch, lebte. ›Ich habe mich an die wunderliche Gesellschaft gewöhnen müssen, die Ihr hier um Euch seht und hört;‹ sagte, während er mir ein einfaches Frühstück vorsetzte, in jenem wohllautenden, herzgewinnenden Tone der graue Mönch. ›Der Hund, der Euch in den Jahren seiner Kraft nicht ungehindert herangelassen hätte, jetzt aber seine Treue nur noch durch Wachsamkeit an den Tag legen kann, ist mein ältester Freund und ich sehe mit Furcht dem Tage entgegen, wo er dem unabänderlichen Gange der Natur den letzten Zoll bezahlen wird. Ich glaube, ich werde nicht ohne Thränen bei seiner Leiche stehn, denn er war der Gefährte und Genosse meines Unglücks so viele Jahre hindurch, immer treu, immer zu einer Liebkosung bereit, die mich erheitern konnte. Armer Probus, deine Jugend versprach dir ein glücklicheres Leben im Treiben der Jagd, in fröhlicher, thatenreicher Freiheit!‹ Er schwieg mit einem Seufzer. Es schien als ob er das Bedauern, das er dem Hunde widmete, auch auf sich selbst beziehe. Mir erging es indessen seltsam, Regina! Der Name des Hundes rauschte wie ein Klang aus meiner frühesten Kindheit heran, der seitdem geschlummert hatte und nun plötzlich erweckt wurde. Deuten konnte ich ihn nicht, aber ich fühlte ihn mit wunderbarer Kraft eine Zeit anregen, die nun ein Geheimniß für mich geworden war, die durch den Namen Probus wie ein ahnungsvolles Räthsel zu mir sprach. Und was lag am Ende bedeutungsvolles in dieser plötzlichen Mahnung! Viele Hunde konnten den Namen Probus führen, der Grund, aus dem dieses neckende Spiel meiner Phantasie hervorstieg, war vielleicht so locker, so lose, daß er des Nachdenkens nicht verlohnte, das ich ihm widmete. Mein gütiger Wirth nahm aufs Neue das Wort. Ich mußte ihm von den Angelegenheiten der Welt erzählen, die ihm in seiner Einsamkeit ganz fremd geblieben. Er hörte zum erstenmale von der großen Pest, die unsern Welttheil durchzieht. Jetzt wußte er sich das häufige Erklingen des Sterbeglöckleins am Ufer, die vielen Leichenzüge, die er dort bemerkt, zu erklären. Als ich ihm die Fortschritte der Geiselfahrer mittheilte, als ich ihm sagte, daß viele Tausende dieser unsinnigen Schwärmer den Rhein heraufzögen und auch in kurzer Zeit unsre Gegenden überschwemmen würden, wurde er sehr aufmerksam. ›Das ist die eigentliche Pest unsrer Zeit,‹ sprach er bedeutungsvoll, ›sie ergreift die Menschen, ohne daß sie wissen, wie, es liegt nun einmal so in der Gewalt der Gegenwart, die Alles in ihren wildgähnenden Strudel reißt. Noch erklingen Lieder aus der Zeit der Hohenstaufen unter dem Volke, noch spielen die Zitterschläger sich fröhlich durch das Leben, noch treiben die fahrenden Leute ihr lustiges Spiel auf Märkten und Messen, noch wirft der Pickelhäring seine Scherze frisch und freudig hin und findet tausend Abnehmer seiner leichten Waare. Aber gebt Acht, unter dem Tritte dieses grauenhaften, selbstpeinigenden Zug's welkt alles heitre Leben, das uns noch aus einer bessern Zeit übrig geblieben. Die Lieder verstummen, die Lust an harmlosen Spielen geht in einen finstern Ernst, in ein düstres Brüten über. Ihr habt mich gerühmt wegen meiner Lieder. Ach, sie werden den Raum weniger Jahre nicht überklingen und Alles, was mir bleibt, ist, daß vielleicht einst der Chronikenschreiber von mir meldet: auf einer Rheininsel saß ein Mönch, der war aussätzig und dichtete Weisen, die am ganzen Rheine gesungen wurden; der Klang selbst aber ist verloren, verhallt in dem wüsten Getöse einer unglücklichen Zeit!‹ Er schien in ein trübes Nachdenken zu versinken. Ich bemühete mich ihn zu erheitern, indem ich ihm von dem tiefen Eindrucke sprach, den die Lieder des Meisters Lukas allenthalben hinterließen. Er aber mochte wohl nicht darauf hören, denn plötzlich unterbrach er mich mit der Frage nach meinem Namen und meiner Heimath. Ich nannte Beides. Welche seltsame, mächtige Gefühle mochten durch meine Antwort in ihm aufgerufen werden, Regina? Er sprang von dem Platze neben mir auf, trat vor mich hin und betrachtete mich eine Zeitlang schweigend mit Blicken, die die heftigste Bewegung seines Innern verriethen. Dann maß er mit unruhigen Schritten einigemale den Raum des Gemaches, verweilte vor einem Rosengesträuch, in dem einige Finken zwitscherten, und schien hier in ein tiefes Nachdenken zu versinken. Als er wieder zu mir zurückkehrte, geschah es in einer ruhigern Haltung. Er setzte sich wieder an meine Seite, er sprach von meiner Heimath, er wußte mich so geschickt in ein Gespräch über meine Familienverhältnisse zu verwickeln, daß ihm bald Alles bekannt war, was diese betraf. Oft dünkte es mir, als würden seine Gefühle durch meine Mittheilung auf eine lebhaftere Weise ergriffen, als man dieses bei einem Fremden erwarten durfte. Ich erzählte ihm auch von dir, Regina, von unserm Jugendleben, von der Neigung, die wir schon als Kinder zu einander gehegt. Ich weiß nicht, ob ich da ergreifender, inniger gesprochen, als früher! Mit einemmale sah ich Thränen in dem Blicke des Meister's Lukas glänzen, seine Brust schien beklommen, tiefe Odemzüge folgten rasch und hörbar auf einander. ›O mein Gott,‹ rief er plötzlich mich unterbrechend, ›wie gnädig bist du gegen den Sünder!‹ Mit diesen Worten sprang er auf und eilte aus der Hütte. Ich sah ihm erstaunt nach. Er sank vor einem Kruzifix, das in der Nähe seiner einsamen Wohnung stand, auf die Kniee. In einer Stellung, welche die innigste Hingebung an den Allmächtigen an den Tag legte, sandte er sein Gebet zum Himmel. Ich mußte lange auf seine Rückkehr harren. Es schien als habe ihn ein mächtiges Gefühl ganz überwältigt, als habe es ihn die Wirklichkeit vergessen lassen und ihn in ein himmlisches Gebiet des Trostes, der höchsten Erhebung versetzt. Endlich kam er mit langsamem, aber festem Schritte in die Hütte zurück. Er bat mich in einem sehr weichen, rührenden Tone, ihm mehr von dem Leben im Hause meiner Eltern und von dem Findling Regina zu erzählen. ›Muß ich nicht,‹ sprach er, seinen Blick freundlich auf mich heftend, ›von theilnehmenden Empfindungen für diejenige ergriffen werden, die ein ähnliches Mißgeschick, wie mich, getroffen? Das arme Kind ward ausgestoßen, ausgesetzt in ein Leben, wo niemand es kennt, wo keine Stimme ihm zuruft: in deinen Adern rinnt Blut von dem meinigen, ich flößte dir den Odem ein, der deine Brust schwellt, ich habe ein Herz für dich, das von Elternliebe an dich gedrängt wird, das deine kindliche Liebe sehnsuchtsvoll in sich aufnimmt! Du heißest Regina, aber dein Name ist ein verlorener Klang! Wo ist die Lippe, die deinem ersten Lallen ein Wort der Liebe entgegnete, wo die Brust, aus der du den ersten belebenden Quell der Nahrung trankst? Wenn du nach der Mutter rufst, wenn du den Vater begehrst, so bleibt es stumm rings um dich, wie in einer Wüste! Du stehst einsam und verlassen, du und der arme Meister Lukas, dessen Name auch nur ein leerer, hohler Schall ist, eine Hülse ohne Kern, die Puppe eines Menschen!‹ Da sprach ich wieder von dir, Regina, und von der innigen Liebe, die ein schönes Band um dich, um mich und meine Eltern schlinge. Der graue Mönch schien ganz Ohr, sein Auge strahlte freudiges Leben. ›Wenn das Gebet eines Unglücklichen, wie ich,‹ sagte er, ›Euch zu Nutz kommen kann für das, was Ihr an dem armen Findlinge thut, so muß Euch des Himmels Segen im vollen Maße werden. Wer weiß, ob dieses Kind ewig eine Waise bleibt? Noch hat es keine Nacht gegeben, die immer gedauert hätte und auch vor diesem Geheimnisse muß sie verschwinden und diejenige, die bisher für eine Fremde, für eine durch bloßes Wohlwollen begünstigte gegolten, tritt mit Ansprüchen hervor, die auf alte heilige Gefühle gegründet sind. Junger Mann,‹ fuhr er bewegter fort, indem er die mit dem Ärmel der Kutte bedeckte Hand nach mir erhob, sie aber sogleich, als habe er sich nur vergessen, wieder zurückzog, ›diese Regina behauptet, wenn ich anders die Gefühle der Menschen aus ihrem Wesen zu erkennen verstehe, einen Platz in dem innersten Heiligthume deines Herzens! Deine Augen beleben sich, deine Stimme wird feurig, die süßeste Erinnerung scheint dich zu ergreifen, wenn du von ihr sprichst! Bewahre ihr diese Stelle, werde dem ersten mächtigen Gefühle, das dich zu einem edeln, reinen Weibe ergreift, nicht untreu, denn der Wiederschein der Sonne, die zum erstenmale in das Leben geleuchtet, ist nur schwach, kann nie ersetzen, was sie selbst gegeben haben würde. Deine Regina ist ein Findling: so zeigt es dir die Gegenwart. Aber träume von einer andern Zukunft. Träume, die Geliebte sey dir ebenbürtig, sey aus einem edeln Geschlechte, dessen Sprößling deinen Eltern am Willkommensten als Tochter wäre, ausgegangen; träume von dem Augenblicke, wo du mit ihr vor dem Altare stündest, um den Segen des Priesters zu empfangen, träume von jener Zeit, wo sie als Hausfrau an deiner Seite walten, wo sie alle Blüthen eines reinen Liebesglückes in deinen Lebenspfad streuen dürfte! Es gibt Träume, die wahr werden; es gibt eine Wirklichkeit, die Lüge ist. Ich rathe dir: halte dich an den Traum. Es war eine Zeit, wo man dem Sänger prophetische Gaben zuschrieb: hältst du den grauen Mönch auf der Ingelheimer Au für einen Sänger, so nimm ihn auch als einen Propheten.‹«
»Unbegreiflich!« sagte, während Salentin inne hielt, um Odem zu schöpfen, in unruhiger Wallung Regina: »Was kann diesen seltsamen Mann bewegen, mir, einer Fremden, die er zum erstenmale nennen hörte, eine solche Aufmerksamkeit zu schenken? Sein ganzes Benehmen ist unerklärlich. Deine Erzählung treibt ihn zu den Füßen des Heilandes, wo die Macht des Gebetes unwiderstehlich über ihn kommt, er gedenkt meiner mit wunderlichen Andeutungen, er selbst scheint ein Gewicht auf Vorhersagungen zu legen, zu denen ihn doch nur eine ferne Ähnlichkeit in unsern Verhältnissen, ein Wohlwollen für dich bewogen haben können!«
»Noch mehr!« versetzte der junge Patricier. »Ich verweilte bei ihm bis Sonnenuntergang. Wenn wir nun auch von fremdartigen Dingen, von Welthändeln, von seinen Liedern sprachen, so wußte er doch immer wieder die Unterhaltung so geschickt zu lenken, daß sie auch meinen Aufenthalt im Heimathshause, mein Verhältniß zu dir berührte. Ich erkannte bald die Absichtlichkeit, womit dieses geschah. Als die Sonne sich den Bergen zuneigte und ihre letzten goldnen Strahlen sich im Wellenspiegel des Rheines malten, trieb er mich fort. ›Es ist Zeit, daß Ihr mich verlaßt!‹ sagte er in einem gütigen Tone. ›Hütet Euch, gegen jemand verlauten zu lassen, daß Ihr so lange bei dem Aussätzigen weiltet. Man möchte Euch für verpestet halten, man möchte Euch fliehen, auch Euch aus der Gemeinschaft der Menschen entfernen wollen! Nehmt dieses Pergament zum Andenken an den Meister Lukas mit. Wenn Ihr die Weisen singt, die es enthält, so steigt wohl vor Eurem Geiste sein trübes Bild hervor und eine wunderbare Ahnung in Eurer Seele spricht, daß die Stunden, die Ihr mit ihm verlebtet, keine verlorenen waren.‹ Er begleitete mich bis an die Stelle, wo mein Nachen lag. Der alte Hund folgte uns langsam, die Last der Jahre lag lähmend auf seinen Gliedern. Wir standen am Ufer, ich hatte den Nachen losgemacht und bot ihm, von Empfindungen des Wohlwollens und des Mitleids ergriffen, die Rechte. Er schüttelte das Haupt und verweigerte mir die Hand. ›Berührt den Aussätzigen nicht!‹ tönte es schwermüthig von seinen Lippen. ›Ihr habt ohnehin in den Augen der Welt schon Großes gewagt, indem Ihr Euern Nachen der Ingelheimer Au zuführtet. An mir aber habt Ihr Großes gethan, denn mit Eurer Nähe ist es wie der Hauch eines frischen, erheiternden Lebens über mich gekommen, wie der Morgengruß einer schönen Zukunft. Ihr kennt nicht das schmerzliche Gefühl, die Menschen zu lieben und fern von ihnen leben zu müssen. Ich habe sie entbehren lernen, aber meine Liebe zu ihnen konnte ich nicht schweigen machen. In meinen Liedern habe ich mich an ihre Herzen gedrängt und wenn ich mir dachte, daß die Weise, die der Aussätzige erfunden, ein heitres Licht in irgendein trübes Daseyn geworfen, daß die Gefühle, die aus ihr sprachen, dem verwandten Widerhall begegnet, dann machte mich das viele Tage lang glücklich, so glücklich, wie ich in meiner Einsamkeit zu seyn vermochte. Lebt wohl, mein junger Freund! Bereuet es nicht, daß Ihr mich einen Blick in Euer Herz thun lassen. Sagt dem Mädchen, das Ihr liebt, es lebe Einer, der täglich zu Gott und der heiligen Jungfrau für sie bete, dessen ganzes Wesen nur aus einem wohlwollenden Gefühle für sie bestehe! Nicht jedes Band der Natur, das Menschen an Menschen kettet, sey ihr fremd. Und wenn zwischen Ihr Herz und das Deinige eine Scheidewand der Geburt und des Herkommens sich aufdränge, so werde in der Zeit der Noth ein Beistand Eurer Liebe erscheinen, vor dessen Zauberspruch die Scheidewand zusammenstürzt, dessen geheimnisvolle Macht Euch zum ersehnten Bunde vereinigt. Sage Ihr das und füge hinzu, es sey so gewiß, daß der unglückliche Mönch auf der Rheininsel die geweihete Hostie darauf nehmen könne!‹ Ehe ich mich von meinem Erstaunen erholen konnte, war der wunderliche Mann im nächsten Gebüsche verschwunden. Jedes seiner Worte hatte sich tief meinem Gedächtnisse eingeprägt. Ich sah noch einmal nach der Stelle zurück, wo ich ihn aus dem Gesichte verloren hatte. Da ertönte von einer sanften männlichen Stimme sein Lied, das ich eben so wenig vergessen habe, wie das seltsame Gespräch mit dem Meister Lukas:
›Wer will nicht hoffen, wenn er minnt?
Hoffen ist wagen und wagen gewinnt.
Wer will nicht träumen schönen Traum,
Nicht schaun in den herrlichen, himmlischen Raum,
Wo von der Englein Zungen
Lieb' ist erklungen?
Hinauf trag deiner Augen Blick!
Bringt er doch Ahnung der Freuden zurück;
Hinauf trag jeden Erdenschmerz,
Die Englein legen dir Wonne in's Herz,
Für Leiden Liebe weben
Sie dir in's Leben!‹
Sein Gesang verstummte und ich stieß vom Lande ab. Ich weiß nicht, wie ich nach der alten Stadt Mainz zurückkam. Vor meinem Geiste standen wie ein lebhafter Traum die Stunden, die ich mit dem wunderbaren Aussätzigen zugebracht hatte. Tausendmal fragte ich mich, ob diese Zusammenkunft denn Wirklichkeit, ob sie nicht selbst ein Traum, der sich in der Erinnerung nur wiederhole, gewesen sey? Das Pergament, das ich auf meiner Brust verwahrte, das Rauschen der Wellen, der gestirnte Himmel über mir, sagten mir das Gegentheil. Ich kann dir nicht bergen, Regina, daß die Verkündigung des grauen Mönchs, wenn auch räthselhaft und geheimnißvoll, einen tiefen Eindruck auf mich gemacht hat. Besorgnisse, die ich mir oft um deinetwillen gebildet, die trübe Aussicht in die Zukunft, beängstigende Zweifel an der Möglichkeit unsres einstigen Glück's sind vor ihr verschwunden. Ich weiß nicht, wie es geschah, allein ich habe von der Rheininsel ein so festes Vertrauen mit heimgebracht, daß ich nun nicht mehr wanken, nicht mehr zagen kann. Mir ist, als besitze ich jetzt in dem Meister Lukas einen Freund, der das Mittel in Händen hat, jedes Hinderniß zu heben, jede Schwierigkeit auszugleichen. Er wird es thun, wann die rechte Stunde gekommen, er wird der gute Engel, der Schutzheilige unsres Bundes seyn. Sprich, Regina, erfüllt nicht auch deine Seele sich mit neuem Muthe, vermagst du nicht kühner die Erfüllung unsrer Wünsche zu hoffen? Wirst du nicht gern das Dunkel der Entsagung durch ein schönes Licht froher Verkündigung erhellen lassen?«
Regina hatte das anmuthige Lockenköpfchen gesenkt und schien in tiefes Nachsinnen verloren. Während Salentin sprach, lauschte sie mit gespannter Aufmerksamkeit, ihre Miene drückte auf das Lebendigste die Überraschung aus, welche die seltsame Begebenheit in ihr erregen mußte, ihr Busen wallte stürmisch und einzelne tiefe Seufzer drängten sich empor. Jetzt schien sie zu überlegen, Alles noch einmal vor ihren Geist zurückzuführen, das Wunderliche, Befremdende sich vertraut zu machen.
»Alles, was du gesagt hast,« hob sie nach einem Schweigen von einigen Minuten an, »kann nicht anders, als mich in die größte Bewegung versetzen, in einen Zustand, der mich unsicher in meinen Handlungen, schwankend auf dem Wege macht, den ich nach so vielen Kämpfen endlich als den einzigen, der zum Heile führen könne, eingeschlagen hatte. Wer ist dieser Mann, der sich einen so mächtigen Einfluß auf mein Schicksal zuschreibt, was kann ihn bewegen, einen so innigen Antheil an mir zu nehmen, woher ward ihm die geheimnisvolle Eigenschaft, uns das Glück unsrer Zukunft verbürgen zu können? Ach, Salentin, das sind Fragen, die immer wiederkehren und die ich nicht zu beantworten vermag! Und dennoch – in meinem Innern regt sich ein mächtiges Gefühl, das mich zu dem Unglücklichen auf der Ingelheimer Au hindrängt. Es ergreift mich allgewaltig, es flüstert mir aus der Tiefe der Seele unwiderstehlich zu: liebe ihn, denn er steht dir nahe, wie keiner, er besitzt eine wunderbare Gewalt über dich, die aus Tagen, die dir dunkel sind, herstammt. Wie der gute Geist aus einer fernen Zeit, von der ich sonst keine Erinnerung mehr habe, tritt er plötzlich in die Gegenwart. Heilige Jungfrau, erleuchte mich, schütze mich, daß hinter dieser Larve nicht ein Dämon der Versuchung lauert! Nein, nein! Er meint es gewiß gut, dieser Unglückliche, aber er kann irren; denn er ist ein Mensch. Wir wollen seine gute Absicht ehren, ohne uns rücksichtslos den Hoffnungen zu überlassen, die seine Worte uns einflößen könnten. Ja, Salentin, laß uns harmlos und unbefangen, wie Geschwister fortleben, laß mich die Geduldete des Hauses bleiben, während du als sein Erbe, als der edle Sprößling eines alten Geschlechts deinen Pfad wandelst! Lös't sich freudig das Räthsel der Zukunft, so strahlt seine überraschende Sonne umso herrlicher in unser Leben, so ist das unerwartete Glück ein um so schöneres!«
Indem Regina diese Worte sprach, empfand sie zugleich, wie schwer es ihr fallen würde, ihrem Sinne nachzuleben. Die Gestalt des grauen Mönchs hatte sich einmal in ihre Phantasie gedrängt und war nicht wieder aus dieser zu verbannen. Allzulieblich, allzulockend klangen die Verheißungen, die der geliebte Freund von der Rheininsel mit heimgebracht. Sie schied von Salentin, sie begab sich in das abgelegene Gemach, das sie bewohnte und hoffte hier, die süßen Bilder der Zukunft, die ja so leicht trügen konnten, sichrer zu bekämpfen. Sie dachte an die Dunkelheit ihrer Abkunft, aber von dorther eben blickten sie die Augen des wunderbaren Mönches aus der grauen Kutte an und weilten sanft, liebevoll und heilverkündend auf ihr. Sie warf sich vor dem Bilde der heiligen Mutter Gottes nieder und betete zu ihr um Stärke, um Standhaftigkeit in ihren Vorsätzen; aber die Himmlische schien mild herabzulächeln und dieses Lächeln erhob und belebte die schönen Hoffnungen, die sie vergebens zu unterdrücken strebte. Allenthalben, wohin sie sich wandte, blühete eine glückliche Zukunft ihrer Liebe auf, die Vergangenheit erhellte sich zu einem wunderbaren Mährchen, wie ein frischgrünender Lebensbaum stieg dieses in die Gegenwart auf und wiegte auf seinen Zweigen Hoffnung, Freude und Glück. Sie fühlte ihr Gebet gestört, sie fürchtete es zu entweihen, wenn sie es, Empfindungen gegenüber, die doch schwerlich zu bewältigen waren, ferner in seiner frühern Richtung zu ertrotzen strebte. Sie konnte nicht mehr widerstehn, sie überließ sich ganz der Macht der empfangenen Eindrücke. Wachend mußte sie träumen, mußte sie sich lockenden Spielen der Phantasie hingeben. Diese führte in ihren Bildern ihr immer als Hauptgestalt den grauen Büßenden, den unglücklichen Meister Lukas vor und wie ferner Gesang summte es zu ihr herüber:
»Wer will nicht hoffen, wenn er minnt?
Hoffen ist wagen und wagen gewinnt.«
Dann breitete die Gestalt ihrer erregten Einbildung die Arme nach ihr hin, die Kutte sank von den Schultern des Mönchs und ein Heiliger mit der Glorie um das schöne Haupt trat aus ihr hervor und führte sie dem geliebten Salentin zu. In solche Träume versunken fand sie noch Imagina, die gegen Abend erschien, um die schwesterliche Freundin zur Vesper abzuholen.
Indessen hatte der würdige Hausherr mit dem jüdischen Ältesten Simeon Storch eine Unterredung gehabt, welche theils die drohenden Verhältnisse der Zeit, theils die Ansprüche der Israeliten, welche diese auf die theuer erkaufte Gunst des Kaisers, auf ihre großen Reichthümer, so wie auf die Verbindungen, die sie vermöge pecuniärer Hülfleistungen mit den angesehensten Patriciern der Stadt geknüpft, gründeten. Als Herr Hanns vom Rhein sein Closett betrat, fand er hier bereits den reichen Juden nachläßig auf die Ruhebank an der Wand hingestreckt. Simeon erhob sich langsam und grüßte mit einem unmerklichen Kopfnicken. Er war ein Mann zwischen vierzig und fünfzig, von kleiner hagrer Gestalt. In seinem scharf gezeichneten Antlitze zeigte sich die ganze charakteristische Form des Morgenlandes, seine Augen blitzten listig in dunkler unheimlicher Gluth, von seiner glatten Stirn fiel ein röthliches Haupthaar in sorglich gekämmten Locken herab, der spitzzugeschnittene Bart war von gleicher Farbe und um den aufgeworfenen Mund trat ein Lächeln des Hohns und des Übermuths hervor. Den Schutz, dessen die Reichskammerknechte von dem Kaiser unmittelbar genossen, während die Bürger der Städte dem Landesherrn und der städtischen Obrigkeit zugleich unterthan waren, machte sie, wie wir bereits erwähnten, dünkelvoll und übermüthig. Was sich der Bürger in seinem Verhältnisse zu dem Edelmanne nicht erlauben durfte, das rissen sie verwegen als ein Recht an sich. So trat denn auch der reiche Handelsjude und Älteste Simeon Storch in einem prächtigen, mit Gold und Perlen gestickten Sammetgewand, wie es sonst nur den Herren aus ritterlichen Geschlechtern zukam, einher, so würde er für einen der angesehensten Patricier gegolten haben, wenn nicht die seltsam geformte Judenmütze, die Alle seiner Nation als Unterscheidungszeichen zu tragen verbunden waren, ihn als einen Genossen des unterdrückten Volks kenntlich gemacht hätte.
Herr Hanns vom Rhein erwiederte den unehrerbietigen Gruß des Juden nur mit einem finstern Blicke, der ihn vom Scheitel bis zu den Füßen maß. Ohne sich durch dieses Zeichen der Mißbilligung in seinem dreisten Benehmen stören zu lassen, ließ sich der Älteste dem Edelherrn gegenüber auf einen Schemel nieder und eröffnete, in einem kecken anmaßenden Tone, das Gespräch mit folgenden Worten:
»Gestrenger Herr Vogt kaiserlicher Majestät, die Gemeinde kann nicht länger dulden die Schmach, welche die Gojim dieser Stadt häufen auf das auserwählte Volk Gottes! Sie bittet um Schutz, sie bittet um Beistand in ihrer gerechten Sache. Kaiserliche Majestät ist uns hochgeneigt, sie nennt uns ihre lieben und getreuen Kammerknechte, aber was hilft uns die kaiserliche Liebe, wenn sie nicht respectirt wird von den Unterthanen kaiserlicher Majestät? Ich als einer der Ältesten und erwählten Baumeister Diese sogenannten Baumeister ( Parnosim) vertraten die Judenschaft bei den kaiserlichen Vögten und der bürgerlichen Behörde, sie hatten Aufsicht auf Straßen und Brunnenordnung, sie schlichteten die geringern Zwiste unter den Juden und wurden aus den angesehensten auf drei Jahre gewählt. der Gemeinde bin beauftragt, vor Euch, dem Stellvertreter kaiserlicher Majestät bei ihren getreuen Kammerknechten, unsere Klagen vorzubringen.«
»Klagen?« fiel ernst und heftig der Herr vom Rhein dem Israeliten in die Rede. »Bei'm Haupte des heiligen Bartholomäus Die Reliquie, welche dem Domstifte seinen gegenwärtigen Namen gab., Ihr genießt der Begünstigungen mehr, als die christlichen Bürger dieser reichsfreien Stadt und Ihr findet nie ein Ende mit Klagen über Beschränkung und ungerechten Druck. Warlich, Jude, du solltest in den drohenden Zeichen der Zeit eine Stimme erkennen, die Euch zur Demuth, zur Bescheidenheit, zu stillem, heimlichem Genusse der Vorrechte, die Euch kaiserliche Gnade gewährt, ermahnt! Zieht nicht über Eurem Haupte ein furchtbares Wetter zusammen, dessen Blitze Euch tödtlich treffen können? Die Stimme des Volks klagt Euch als Urheber, als Verbreiter der schrecklichen Krankheit an, die verwüstend Europa durchzieht; Eure geschworenen Feinde, die Geißler, dringen heran, mit ihnen Euer Verderbnis, Mord und Brand, wogegen Euch bei der Übermacht der Bedränger kein Spruch des Kaisers, keine Obrigkeit schützen kann. Gehe heim, Simeon! Sage deinen Glaubensgenossen, daß sie sich fein still und ruhig verhalten. Ein Brand glimmt unter der Asche; regt ihn nicht auf!«
»Dafür verstehen unsre Rabbi den Mogen Dovid, das heißt Feuersegen zu sprechen;« erwiederte trotzig der Jude. »Eben weil man unsrer höhnt, weil man uns die Rechte, welche uns Ansehn und Reichthum geben, wieder rauben will, fühlt sich der Pöbel frech und kühn genug, dem Volke Gottes ein Verbrechen aufzubürden, an dem es unschuldig ist, wie das Lamm bei'm Osterfeste. Ich habe vernommen, daß ein hochweiser Magistrat von Schlettstadt im Elsaß Briefe gerichtet an hiesigen hochedlen Rath mit Warnung vor uns, die wir damit umgingen, die Brunnen zu vergiften, um die Gojim aus der Welt zu schaffen. Warum aber haben die klugen Herrn von Schlettstadt nicht auch angezeigt, wie es zugehe, daß uns dasselbe Wasser, was die Gojim tödtet, nicht schade? Wenn unsrer weniger sterben an der Pestilenz, so ist es, weil wir mäßiger leben, weil wir nicht der Völlerei und andrem Sinnengelüste ergeben sind, weil wir nicht genießen vom unreinen Vieh. Der Gott Abraham's und Jacob's offenbart seine Gnade dem auserwählten Volke. Trügen wir Schuld an dem Unglücke der Gojim, so würden wir unsre Ärzte nicht schicken, daß sie ihnen Beistand leisteten in der grausamen Pestilenz. Wer kann sich rühmen, mehr Kranke unter ihnen geheilt zu haben, als unser tief gelahrte Rabbi, der weise Mann aus Morgenland, Manasse Ben Aher? Vor seinem Odem ist die Krankheit verweht, wie ein dürres Blatt, und der Würgengel Schamir ist geflohn in die leere Wüste. Man sollte uns danken, man sollte uns begrüssen als freundliche Lebensretter, statt uns zu beflecken mit schändlicher Lüge und Lästerung!«
»Die Anklage mag unwahr seyn,« versetzte ruhig Herr Hanns, »aber durch Euren Übermuth, durch Eure Hoffahrt habt Ihr das Volk empört, so daß es gern glaubt, was Euch zum Nachtheile gereicht. Eure Rabbi berühmen sich der unglaublichsten Zauberkünste: warum sollten sie in den Augen des großen Haufens nicht auch die besitzen, Euch gegen die Folgen des ausgestreuten Gift's zu wahren?«
»Gottes Wunder, am Ende sind wir anders geschaffen wie die Gojim,« sagte in einem herben, spöttischen Tone der israelitische Älteste, »wir können Gift verschlucken, ohne daß es unsre Eingeweide anfrißt, wir sind unsterblich, wie die Seraphim und Cherubim! Auch solche Beschuldigungen, solche aberwitzige und tolle Verläumdungen würden nicht laut werden, wenn man uns die Ehren einräumte, die uns als Schützlingen kaiserlicher Majestät, als ihren lieben und getreuen Kammerknechten gebühren. Warum darf ich, der reichste Mann der Stadt, bei den Festgelagen und Turnieren der Patricier nicht vor den Schranken zum Zuschauen stehn, was doch dem Niedrigsten unter den Gojim erlaubt ist? Warum darf Cheyle, meine Tochter, bei solchen Gelegenheiten ihren Staat an Gold, Perlen und Edelgesteinen nicht so gut zur Schau tragen, wie des Schiebkärchners Frau ihr grobes härenes Kleid, ihren Ledergürtel und ihren Henning Ein hoher und spitziger Kopfputz der damaligen Zeit, der große Aehnlichkeit mit einem nach vorn gebogenen Horne hatte., von Pferdhaaren geflochten? Deshalb, gestrenger Herr, bin ich hier. Ihr mögt uns, so bitten wir, Schutz und sicheres Geleit gewähren, daß uns die Gelegenheit, uns am Anblicke solcher Ergötzlichkeiten zu erfreuen, unbenommen sey! Wir wollen uns nicht mischen unter die edeln Geschlechter, wir wollen nicht zehren von ihrer Speise, nicht genießen von ihrem Weine, wir begehren auch nicht unter ihnen zu tanzen und noch weniger bei'm Turniere mitzustechen und zu hauen, aber wir möchten uns ergötzen an ihrer Freude, wir möchten sehen, wie dem Fräulein der Stoff läßt, für den sie noch in unsrem Schuldbuche eingetragen steht, wie jener Junker das goldne Wappenkleid trägt, das noch am Tage vorher bei uns im Versatze gewesen. Das sind gewiß bescheidene Wünsche und Ihr werdet in diesem Begehren als kaiserlicher Vogt die getreuen Kammerknechte sicherlich vertreten!«
»Nimmermehr!« entgegnete heftig und bestimmt der alte Herr. »Wie oft habe ich dir dieses Gesuch schon abgeschlagen und mit der beharrlichsten Unverschämtheit kehrst du immer wieder, es auf's Neue vorzubringen. Bei Sanct Bartholomäi Haupte! Ich sage dir noch einmal, die Zeit dürfte nicht fern seyn, wo du und deine Glaubensgenossen eine blutige Erndte für die Saat des Trotzes und des Dünkels einsammeln werdet. Dann vermag auch ich nicht, dich zu schützen, denn dem losgelassenen Grimme des Volkes gilt kein Gebot der Obrigkeit, kein Ansehn von kaiserlicher Majestät ist ihm heilig. Kleide dich in Sackleinwand und Zwilch, Jude, statt in Sammet, wirf den Prunk des Goldes und der Perlen von dir, gehe in schlichter, unscheinbarer Kleidung einher! Das ist der beste Rath, den ich dir geben kann. Glaubst du, der Bürger, den das Unglück der Zeit dahin gebracht, Geld von dir zu entlehnen, erkenne nicht in dem Schmuck, mit dem deine Tochter prangt, in der Kostbarkeit deines Gewandes, den wucherischen Zins, den deine Habgier von ihm erpreßt? O, er wird ihn einfordern, er wird sein grausam abgedrungenes Eigenthum zurückverlangen mit Feuer und Schwerdt, von deinem und der deinigen Blute, vom ungerecht erlangten Reichthume, mit dem Ihr, des Armen und Beraubten höhnend, öffentlich prangt!«
»Bei der Kraft der Maccabäer,« sprach verbissen und indem er einen flammenden Blick nach dem Greise sandte, Simeon Storch, »es gibt auch starke, gewaltige Männer unter uns, deren einer es wohl mit einem halben Dutzend Gojim aufnehmen dürfte! Und wenn Ihr da sprecht vom ungerechten Zins, den wir nehmen sollen, gestrenger Herr, so erlaubt mir, Euch zu erwiedern, daß derjenige, der uns dessen zeihet, vom Geiste der Lüge besessen ist. Der Goi verdiente es wohl um uns, daß wir uns für Schimpf und Bedrückung, die er über uns bringt, bezahlt machen mit seinem Gelde; aber wir Älteste und Baumeister halten streng darauf, daß keiner aus dem erwählten Volke des Herrn mehr an Zins nimmt, als Kaiserliche Majestät verbrieft und versiegelt hat: von jedem Pfund Heller Darleihn anderthalb Heller wöchentlichen Zins!«
»Gott verzeihe dem Kaiser, daß er Eurem Begehr das Unbillige verwilligte!« entgegnete der Herr des Hauses. »Aber die schwere Zeit hatte Geldverlegenheit über ihn gebracht und Ihr wußtet seine Bedrängniß wohl zu benutzen. Anderthalb Heller wöchentlich vom Pfunde – es ist himmelschreiend, fast die Hälfte des Capitals!«
»So hat der kaiserliche Herr es zu verantworten und nicht wir, die sein Gebot ehren, indem wir ihm nachleben;« grins'te der Jude. »Gestrenger Herr,« fuhr er vertraulich fort, »der Pöbel ist zu vergleichen einem beißigen Hunde, der nach der Hand schnappt, die ihm ein Stücklein Brod reicht. Wir sind gut genug, wenn er in der Noth ist, wir sollen helfen, wenn es ihm an's Leben geht. Dann kommt er winselnd und kriechend herbei, aber hat er nun von uns empfangen die Wohlthat, so zeigt er uns die Zähne, so will er den Wohlthäter behandeln als seinen Feind. Und die Patricier, die Herrn aus den edlen Geschlechtern? Kommt zu mir und seht das Pergamentbündel von Urkunden, in welchen Alles verzeichnet steht, was allein Simeon Storch ihnen dargeliehen zu Turnieren und Banketten! Wie manche güldne Kette, wie manches perlene Halsband, wie mancher Schmuck an Edelgestein ist nicht aus meinem Hause in die Wohnungen der ritterlichen Herrschaften gewandelt, ohne daß mir bis jetzt ein Heller an Zahlung geworden. Den Dank aber hab' ich erhalten. Schäbiger Jud, räudiger Hund, waren die schönen Worte, mit denen man ihn aussprach, wenn man mir zufällig begegnete, und wollt' einer der adlichen Herrn gnädig seyn, so spie er mir in den Bart. Wer ist nun besser, der Jud', der dem Goi mittheilt von seinem Ersparten, oder der Goi, der den Jud zum Lohn dafür beschimpft? Haltet Euch mehr zu uns, gestrenger Herr, als des Kaisers Vogt, dem wir zugewiesen sind! Laßt uns nicht immer tiefer treten in den Staub, immer mehr zum Spott und Spiele der Gottlosen werden! Warum sollten wir nicht erscheinen dürfen unter den Zuschauern bei Fest und Turnier, wenn Euer Ansehn uns beschützt? Wir sind nicht undankbar, wie die Gojim. Erlaubt, daß ich Euch diese güldne Kette als einen Beweis davon überreiche; möge Euer würdiger Sohn, der gelahrte und ritterliche junge Herr, diese Schärpe, die Cheyle, meine Tochter, eigenhändig mit Perl und Edelstein durchwebt, uns zum freundlichen Gedächtnisse anlegen!«
Mit einer heftigen Gebehrde des Unwillens wies Herr Hanns vom Rhein die dargebotenen Geschenke zurück. Dann deutete seine erhobene Rechte nach der Thüre und, eine heftige Äußerung seines Zorns mühesam unterdrückend, sagte er:
»Entferne dich, Jud, und komm mir nimmer wieder vor Augen, wenn es nicht in einem ehrlichen, arglosen Geschäft ist! Wehe dir, so es dir jemals wieder einfiele, etwas anders in mir zu sehen, als des Kaisers Vogt, den Diener deines Geldes etwa, den bestechlichen Schutzherrn deiner Anmaßungen! Euch in Euerm Recht ungekränkt zu erhalten, Eure Zwiste zu schlichten, Eure Religionsübungen zu schirmen, ist meines Amts; aber auch dafür hat mich Kaisers Majestät Euch zum Vogte gesetzt, daß ich Eurer Willkühr, Eurer Hoffarth, Eurem Eindrängen in die Gerechtsame der christlichen Bewohner dieser Stadt ein Ziel setze. Der Teufel des Hochmuths hat sich deiner bemächtigt, Simeon Storch, und verblendet dich. Die Milde, die ich deinen Glaubensgenossen zeige, hältst du für Schwäche, vielleicht gar für ein Bewerben um Theilnahme an Euerm Hab und Gut, das Ihr durch schändlichen Wucher von armen Christen erpreßt. Hüte dich, Simeon! Der milde Richter kann zum strengen werden; Hochmuth ist des nahen Falles sichrer Vorbote.«
»Ihr wollt uns nicht helfen, so müssen wir uns selbst helfen;« versetzte erboßt der israelitische Älteste, indem er die güldene Kette und die perlendurchwebte Schärpe wieder unter sein Gewand verbarg. »Bei'm Gotte Abraham's und Jacobs, wir dulden nicht länger die schmäliche Unterdrückung, die man uns in des Kaisers Stadt erfahren läßt. Wir werden thun, was uns gut dünkt, und will man sich darin uns entgegensetzen, so soll unsre Klage selbst zum Throne Kaiserlicher Majestät dringen. Wir kennen die Wege, die dahin führen, wir besitzen die Mittel, uns dort Freunde und Gönner zu verschaffen. Wer den Thron vergolden, wer die Krone mit Edelsteinen besetzen kann, für den hat auch Kaiser Carl der vierte ein gnädiges Ohr! Er ist ein leutseliger, ein freundlicher Herr, der seinen lieben Kammerknechten ihr Recht nicht verweigert. Mit Gold pflastre ich mir den Weg in das Kaiserliche Closett und dann, gestrenger Herr Vogt, wollen wir sehen, was eindringlicher zum Herzen des Reichsoberhauptes spricht: der helle Klang guter Gülden, oder das häßliche Geschrei des reichsstädtischen Pöbels.«
Mit dieser Großprahlerei verließ Simeon Storch den würdigen, alten Herrn. Dieser sandte ihm einen Blick voll Verachtung nach; doch war es ihm nur zu wohl bekannt, daß Begünstigungen und Schutzbriefe, wie eine feile Waare am Kaiserhofe zu Prag ausgeboten wurden. Carl der vierte befand sich in unaufhörlichen Geldverlegenheiten und die Juden zeigten sich stets zu einer Aushülfe bereit, die sie aber hoch genug zu veranschlagen und zur Erlangung neuer Privilegien, welche ihren Reichthum und ihr Ansehn erweiterten, zu benutzen wußten.