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Viertes Kapitel

Die edle Familie der Herzogin von Bellamont sowie einige ihrer besten Freunde, die teilweise noch an ein kommendes Millennium glaubten, lebten um die Zeit ihrer Heirat der schönen Hoffnung, daß die Bekehrung der römisch-katholischen Bevölkerung Irlands zum wahren Glauben (als welchen sie ihren eigenen ansahen) nahe bevorstünde. Zu diesem Zwecke hatten sie eine große Subskription veranstaltet und eine große Anzahl Unterkomitees gebildet. Solange ihr Geldbestand ausreichte, fanden ihre Missionare Proselyten in Menge. Und doch war dieser Bekehrungsversuch die letzte Anstrengung einer Kirche, die von Anfang an ihrer Aufgabe nicht gewachsen war. Vor zwanzig Jahren, als die Statistik noch nicht in so hohem Ansehen stand und das englische Volk gerade in der Vollblüte jener Ignoranz sich befand, die ihm gestattete, sich selber für die aufgeklärteste Nation der Welt zu erklären, wurde die irische Frage nicht so gut verstanden, als wie heute. Damals war man der festen Überzeugung, daß alles, was für Irland notwendig war, mehr Protestantismus sei, und man dachte sich diese Versorgung der Irländer mit Protestantismus ebenso leicht, wie die mit Kartoffeln während der Hungersnot von 1822. Die Hauptvorbedingung für den Erfolg war in beiden Fällen – mehr Geld.

Und als ihre Glaubensgenossen an der anderen Seite des St. George-Kanals dem englischen Publikum erzählten, daß die gute Sache Fortschritte machte, daß das Licht der Erleuchtung heller und heller zu scheinen begänne, daß nicht nur einzelne Kreise, sondern ganze Provinzen von der Bewegung ergriffen seien und daß Stadt und Land sich gleichmäßig daran beteiligten, da begannen sie zu glauben, daß die Herrschaft Babylons endlich beendigt sei. Und die braven Gläubigen öffneten ihre Börse, Familienväter gaben bis zu fünf Pfund, und ihr Beispiel wurde von sämtlichen Familienmitgliedern, bis herunter zum jüngsten Baby, befolgt, das ebenfalls mindestens seine fünf Schillinge dazu hergeben mußte. Soweit war alles gut. Die Spalten der Zeitungen hatten nicht genügend Raum für die langen Listen der Proselyten und Übertritte, und selbst brave, orthodoxe Leute, die fest zu ihrem eigenen Glauben hielten, aber andere in ihren Irrtümern nicht zu stören wünschten, gratulierten einander zu der Wahrscheinlichkeit, daß man nun endlich einmal ein einiges protestantisches Volk werden würde.

Als diese Bewegung ungefähr ihren Höhepunkt erreicht hatte und die irischen Protestanten jubelten, die irischen Papisten die ganze Sache als Mache und Betrug erklärten und John Bull zwar schon im Zweifel, doch in der Erregung des Augenblickes noch immer zahlungsbereit war, erhob sich eines Tages ein junger Bischof von seinem Sitze im House of Lords. Mit einer Heftigkeit, die in dieser Versammlung etwas durchaus Ungewöhnliches war, erklärte der Redner, daß er »den Finger Gottes in dieser zweiten Reformation« erkenne und daß er, so fuhr er in seiner inspirierten Art und Weise fort, »jedem den Untergang prophezeie, der sich erkühnen würde, Hand und Stimme zugunsten der Unterdrückung dieser großartigen lichtspendenden irischen Bewegung zu erheben.«

In jenem Manne, der so deutlich den »Finger Gottes« in jenen Angelegenheiten sah, die ihre Familie und deren Überzeugungen so lebhaft interessierten, erkannte die junge und enthusiastische Herzogin von Bellamont sofort den »Mann Gottes«, und Seine Hochwürden, der Prälat, wurde von diesem Augenblicke an in allen geistlichen Dingen ihr unfehlbarer Berater. Ihr unbedingtes Vertrauen wurde auch keineswegs erschüttert, als die unmittelbar bevorstehende zweite Reformation zufälligerweise anstatt mit mehr Protestantismus, mit der Emanzipation der römischen Katholiken endigte, auf welche nach einiger Zeit die Aufhebung der protestantischen Bischofsitze und die Beschlagnahme der protestantischen Zehntenabgaben erfolgte.

Es ist sicherlich äußerst schwierig, in der Politik und über die Wirkung öffentlicher Maßnahmen richtig zu prophezeien – aber um hiermit zustande zu kommen, sollten wir unsere Aufmerksamkeit nicht durch die Prinzipien ablenken lassen, auf denen Einrichtungen einmal vor langer Zeit begründet wurden, sondern wir sollten vor allen Dingen beachten, wieviel der Erfolg von dem Charakter jener Leute abhängt, die diese Gesetze zu überwachen und zu handhaben berufen sind.

Die englische Kirche ist, hauptsächlich durch ihre Unkenntnis orientalischer Wissenschaft und durch das Mißverstehen ihrer geistlichen Pflichten, das die Folge jener Unkenntnis ist, während der letzten Jahre in große Verlegenheit geraten, so daß man mit Fug und Recht behaupten kann, daß zu keiner Zeit ihr Führer von Charakter und Intelligenz nötiger gewesen wären als heute. Vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren sah man schon in England ein, daß die Zeit vorüber sei, in der die jüngeren Söhne großer Familien einfach mit Bischofsitzen ausgestattet werden konnten. Selbst die Erzmittelmäßigkeit, Der Herzog von Wellington. Disraelis Urteil deckt sich mit dem Lord Byrons in diesem Falle. die damals unser Land regierte und von deren erbärmlich langer Regierung wir schon in einem anderen Buche genügend gesprochen haben, sah die Notwendigkeit der Reorganisation der bischöflichen Vertretung auf Grund rein persönlichen Verdienstes ein. Unglücklicherweise verstieg sich die Bevorzugung der Originalität nicht höher, als zu der gelegentlichen Anstellung eines Privatlehrers, der einen jungen Edelmann für die Examina einer Universität eingepaukt oder der eine alte griechische Tragödie mit Anmerkungen herausgegeben hatte. Akademische Silbenjäger dritter Güte schienen damals die geeignetsten Nachfolger der Apostel und die würdigsten Lehrer und Erklärer der Mysterien vom Sinai und Kalvarienberge zu sein. Aber über alle diese braven Leute, mit der soeben erwähnten einen Ausnahme, breitete sich, trotz ihrer hohen Stellung, das ihnen gebührende und auch ihnen willkommene Dunkel wieder aus. So kam es, daß in unserer bewegten Zeit, da die Grundbedingungen aller heiligen und profanen Einrichtungen in Frage gestellt wurden, da im Parlament wie in der Volksversammlung zugleich die Lehre und Disziplin in der Kirche angegriffen wurde und ihre Macht geschwächt, ihre Autorität geleugnet, die Höhe ihrer Einkünfte einer Kritik unterzogen wurden, daß sich in dieser Zeit, sage ich, keine einzige jener mitrageschmückten Nullen vernehmen ließ, die auch nur ein Wort der Warnung oder der Rechtfertigung gesprochen hätte und daß auch nicht eine einzige Phrase ihnen aus Mund oder Feder gekommen ist, die je die öffentliche Meinung beeinflußt, das Herz der Nation gerührt oder das Gewissen eines unsicher gewordenen Volkes zum Guten geleitet hätte. Das einzige, was man von ihnen hörte, war, daß sie in einem Krawall mit Steinen beworfen worden waren.

Jene Ausnahme unter diesen traurigen, geistlichen Würdenträgern, die oben erwähnt wurde, betraf den etwas zu kühnen Propheten der zweiten Reformation; dieser ductor dubitantium war derselbe Mann, an den die Herzogin sich wandte, um ihrem Sohn die Überzeugung beizubringen, daß die Prinzipien der religiösen Wahrheit, wie der politischen Gerechtigkeit, keinerlei weiterer Prüfung und sicherlich nicht einer von der Seite junger Lords bedürften.

Die prahlerische Kühnheit, mit der Seine Hochwürden sich der zweiten Reformation angenommen hatte, war ein Schlüssel zu seinem Charakter. In Wahrheit verband er ein großes Talent zum Handeln – mit einem sehr geringen zum Nachdenken. Geschäftig, energisch, verwandlungsfähig, mit großer Ausdauer begabt und gleichzeitig von einem ruhelosen Ehrgeize beherrscht, dabei begabt genug, um sich Detailkenntnisse zu erwerben und von einer ungezügelten Leidenschaft für Staatsgeschäfte beherrscht, konnte er nichts geschehen lassen, ohne sich persönlich hineinzumischen, und war demgemäß beständig in Affären verwickelt, die entweder gänzlich mißlangen oder unbedeutende Resultate ergaben. Er war einer jener Führer, die nicht führen. Ohne wirkliche Kenntnisse, wie er war, und gänzlich bar jener höheren, intellektuellen Fähigkeiten, die ihren Träger berechtigen, Schlüsse aus ihren Erfahrungen zu ziehen und gewisse Maßregeln daraus abzuleiten, wurde seine Lordschaft, sowie er um eine Entscheidung angegangen wurde, sofort dunkel, konfus, unlogisch und sich selber widersprechend. Sein Orakel war stets wie das Delphische. Trotzdem er in einem Zeitalter politischer Auflösung ein hohes Staatsamt bekleidete, war der geschäftige Praktikus gänzlich außerstande, der fragenden und auf ihn einstürmenden Gesellschaft die kleinste Auskunft zu geben. Mit charakteristischer Überstürzung verkündete er stets irgend ein altes, aber gerade modernes Grundprinzip, als ob er sein Entdecker wäre – aber im Augenblick, da dieses Prinzip sich als unpopulär oder unpraktisch erwies, scheute er sich, es in Anwendung zu bringen. Alle seine Verlegenheiten fanden so stets eine einzige Lösung: den Kompromiß. Abstrakte Prinzipien mußten dann bei ihm einem niedrigen Utilitarismus weichen, denn die Totalsumme der Umstände machte den gerade vorliegenden Fall zu einem, auf den diese Prinzipien keine Anwendung finden konnten. Der ursprüngliche Lehrsatz, der zuerst mit großer Unverschämtheit in die Welt geschleudert wurde, schmolz dann sehr bald zu irgend einem gleichgültigen Gesetzesentwurfe zusammen, dessen Nichtigkeit künstlich und klugerweise hinter einer undurchdringlichen Zweideutigkeit verborgen wurde.

Seit Beginn jener »zweiten Reformation«, die mit ebensoviel Unvorsicht als Verve verkündet worden war, hatte sich der Bischof an die Spitze jeder kirchlichen Bewegung gestellt, die von anderen ausgegangen war, hatte sich aber jedesmal im richtigen Augenblicke, wenn das Feuer der Begeisterung zu erlöschen oder zu stark aufzuflackern drohte, wieder davon zurückgezogen. Er war hintereinander ein glühender Evangelist, ein orthodoxer Vertreter der Hochkirche und ein begeisterter Anhänger Puseys gewesen, aber alle diese seine religiösen Phasen endeten regelmäßig mit einem Vergleiche und einem lahmen Entgegenkommen allen Parteien gegenüber.

Seine Lordschaft der Bischof war also mit anderen Worten eine Persönlichkeit, die für ein leitendes Amt in einem Zeitalter und Lande wie dem unsrigen, durchaus geeignet war, und die in einem Zeitalter der Tätigkeit, aber konfuser Ideen, in einem Lande des Forschritts, das aber zu reich war, um radikale Veränderungen zu riskieren, unbedingt es zu etwas bringen mußte. Unter solchen Umständen sucht nämlich der Zeit- und der Volksgeist sich instinktiv ein Sicherheitsventil, und dieses heißt – Bewegung ohne Ziel. Die Menschen eines solchen Zeitalters wollen durchaus etwas tun, damit ihnen keiner vorwerfen kann, daß sie nichts tun. So empfehlen ihnen denn die Minister ihre Gesetze als Experimente und das Parlament ist beständig bereit, seine Meinung zu ändern. Man denke sich einen Mann, der jedes Genies bar, dennoch bedeutende Talente besitzt, ein Mann, der über eine geläufige Rednergabe verfügt, sich gewandt zu benehmen versteht und nebenbei große Energie und Arbeitsamkeit besitzt; ein Mann, der weder durch philosophische Prinzipien, noch durch religiöse Vorurteile beschwert, mit großer Geschicklichkeit sich der gerade herrschenden öffentlichen Meinung anzupassen versteht und sie mit derselben Fixigkeit, wenn sie nicht mehr die herrschende ist, auch wieder loswerden kann; ein Mann, der sich dem stürmenden Reformator durch seine Vorliebe für angeblich zeitgemäßen Wechsel und dem Konservativen durch seine vorsichtige und respektvolle Behandlung der Tradition empfiehlt – solch ein Mann, mag er noch so unbedeutend sein, mögen seine intellektuellen Fähigkeiten noch so mittelmäßige sein, solch ein Mann, ohne Gedankentiefe, ohne Einbildungskraft, ohne große Sympathien und ohne feste staatsmännische Moralität, solch ein Mann, sage ich, wird dennoch von Parlamenten und Königen zur Leitung von Staat und Kirche berufen werden. Wechsel »im abstrakten Sinne«, Wechsel, bei dem nichts herauskommt, ist das, was von einem Volke gewünscht wird, das zugleich neugierig und reich ist. Es will keine Staatsmänner, es will Taschenspieler haben und demgemäß sind Kompromißbereitschaft und Zweideutigkeit diejenigen öffentlichen Fähigkeiten, die, obwohl uneingestandenermaßen, am meisten geschätzt werden.

Das Gegenteil aller dieser Eigenschaften wäre im Falle Tancreds nötig gewesen, um Eindruck zu machen. Die Unterredung war von langer Dauer, denn Tancred hörte mit großem Respekt und augenscheinlicher Ehrfurcht die Worte jenes Geistlichen an, unter dessen Beistand er einst in die Kirche Christi aufgenommen worden war; aber die Antworten, die der Bischof auf seine Fragen gab, waren, wenn auch geschickter wie die des Herzogs, keineswegs geeignet, um Lord Montacutes unerbittliche Logik zu befriedigen und ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Der Bischof wußte so wenig wie der Herzog, das Grundprinzip anzugeben, auf dem die augenblickliche Gesellschaftsordnung Englands basiert war, und weder der Glaube, noch seine Folge, die Pflicht, konnten durch die bischöflichen Worte Tancred klarer gemacht werden. Der Bischof konnte durchaus nicht erklären, wie man eine kirchliche Wahrheit annehmen und gleichzeitig abweichende Meinungen unterstützen konnte. Als Lord Montacute ihn fragte, wer ein Anrecht zur Regierung hätte, verlor er sich in einer Menge von Phrasen und teilte seinem Schüler nicht eine einzige klare Idee oder auch nur eine einzige, ihm unbekannte Tatsache mit.

»Man kann doch nicht leugnen,« sagte schließlich Tancred mit größter Ruhe, »daß die menschliche Gesellschaft einst von Gott regiert wurde und daß jetzt nur noch Menschen an ihrer Spitze stehen. Ich persönlich ziehe aber die göttliche Regierung der Selbstregierung vor und ich wünsche dringend zu wissen, wie man sie erreichen kann.«

»Die Kirche ist die Stellvertreterin Gottes auf Erden«, sagte der Bischof.

»Aber die Kirche regiert die Menschen nicht mehr«, erwiderte Tancred.

»Es weht jetzt ein ganz neuer Geist durch die Kirche,« bemerkte der Bischof mit nachdenklicher Feierlichkeit, »ein großer und guter Geist. Die Kirche von 1845 ist nicht mehr dieselbe, als die von 1745. Das müssen wir immer bedenken; auch wissen wir nicht, was noch kommen kann. Bald werden wir sogar einen Bischof von Manchester haben.«

»Aber ich möchte gerne einen Engel in Manchester sehen.«

»Einen Engel!«

»Warum nicht? Warum sollten nicht mehr Botschafter des Himmels unter uns erscheinen, jetzt, da wir ihrer am dringendsten bedürfen.«

»Wir haben einen himmlische Botschaft empfangen durch jenen, der größer als alle Engel war,« sagte der Bischof. »Seit jenem großartigen Ereignis haben die Engel ihre Besuche eingestellt.«

»Warum sind dann die Engel der Marie und ihren Gefährtinnen noch am heiligen Grabe erschienen?« fragte Tancred.

Das Ergebnis der Unterredung, auf die man so große Hoffnungen gesetzt hatte, war somit nicht zufriedenstellend. Seine Hochwürden entsprach nicht gerade dem Ideal, das Tancred von einem Bischof sich gemacht hatte, und der Bischof, auf der anderen Seite, gab sein Urteil dahin ab, daß Lord Montacute ein Visionär sei.


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