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Fünftes Kapitel

Die Sonne schien hell vom Himmel. Jede Straße hatte ihren eigenen Triumphbogen; der Marktplatz und das Rathaus waren mit prächtigen Decken, wie Kampfrosse für ein Tournier, ausgeschmückt und Fahnen wehten von allen Türmen und Dächern. Die Glocken läuteten in solch einem Gewirr durcheinander, daß man kaum seines Nachbars Stimme hören konnte, dazu eine Unmasse Böllerschüsse und laute musikalische Leistungen der verschiedensten Kapellen, die ebenfalls sämtlich zu gleicher Zeit spielten. Die Leute vom Lande strömten in die Stadt, die einen zu Pferde, die andern auf Wagen, die dritten zu Fuß und in ganzen Scharen. Die Kapelle der Temperenzler wurde mit lautem Beifall empfangen, die der Odd Fellows, eines Klubs der Stadt Montacute, mit frenetischem Jubel begrüßt. Hier und da galoppierte einer von des Herzogs Yeomanry Eine Art Kavallerie-Landwehr. in seiner prächtigen Uniform von Grün und Silber mit fliegendem Federbusch und rasselndem Säbel durch die Stadt und legte dabei eine Miene voll solch eisernen Pflichtbewußtseins an den Tag, als ob er mitten in der Schlacht einen Befehl des Höchstkommandierenden einem Regimentschef zu überbringen hätte.

Schon den Tag vor diesem wichtigen Morgen waren auf dem Schlosse zahlreiche vornehme Gäste eingetroffen. Zuerst war der Bruder der Herzogin mit seiner Gräfin, in Begleitung ihrer schönen Tochter Lady Katherine, angekommen, derselben, deren Schicksal, ohne daß sie davon Kenntnis hatte, von seiten ihrer hohen Verwandten schon besiegelt war. Sie war dazu ausersehen, die Dritte jener Katharinen von Bellamont zu werden, die ihr glückliches Haus schon in das berühmte Schloß abgeliefert hatte. Und sie schien, obwohl gänzlich ahnungslos, dennoch einer so hohen Auszeichnung vollkommen würdig zu sein: in ihrer ganzen Miene und Haltung lag etwas, das vortrefflich zu einer so auserlesenen Stellung zu passen schien. Nur in ihrer frühesten Jugend war sie einmal auf Schloß Montacute gewesen und hatte so seit ihren Kinderjahren ihren Vetter nicht mehr gesehen. Einen Tag später kam Lord Eskdale von seiner Besitzung herüber, sie lag in der benachbarten Grafschaft, deren Lordleutnant Ein unbesoldetes, aber wichtiges Ehrenamt, etwa königlicher Gouverneur. Er ist der militärische Stellvertreter der Krone und der höchste Exekutivbeamte der Grafschaft. er war. Er war der leibliche Vetter des Herzogs, denn sein Vater und der zweite Herzog von Bellamont hatten zwei Schwestern geheiratet, außerdem war er natürlich auch mit der Herzogin nahe verwandt. Lord Eskdale übte auf die Montacutes einen großen Einfluß aus, den er keineswegs künstlich zu gewinnen gesucht hatte. Er war der einzige Weltmann, den sie kannten, und sie entschieden außerhalb des begrenzten Zirkels ihrer Grafschaft über nichts, ohne ihn um Rat gefragt zu haben. Er war es gewesen, der Eton für ihren Sohn empfohlen hatte. Lord Eskdale hatte ihnen gleichfalls geraten, ihn nach Christchurch College zu schicken. Der Herzog hatte seinen Vetter sich zu seinem Bevollmächtigten ausgesucht als er heiratete; er hatte ihn zu seinem Testamentsvollstrecker gemacht und hatte ihn auch zum eventuellen Vormund für seinen Sohn bestimmt. Obgleich sie wegen der Verschiedenheit ihrer Gewohnheiten in früher Jugend wenig zusammengekommen waren, so hatte Lord Eskdale schon damals sich stets in liebenswürdigster Weise seines Verwandten angenommen, er hatte ihm sogar vorgeschlagen, daß sie zusammen reisen sollten, aber der alte Herzog hatte dies abgelehnt. Nach dessen Tode jedoch wurden sie auch Nachbarn und Lord Eskdale wurde so der natürliche Freund und Ratgeber seiner Durchlaucht.

Der Herzog schenkte ihm verdientermaßen das größte Vertrauen und hegte in seinem Innersten eine unbegrenzte Verehrung für die tiefe Menschenkenntnis seines Vetters. Bei der Gräfin war er ebenfalls sehr gut angeschrieben und auch sie gab sehr viel auf seinen Rat, obgleich sie sich mitunter nicht verhehlen konnte, daß Lord Eskdale über gewisse Themata leichter hinwegschlüpfte, als es ihre, der Gräfin, persönlichen Ansichten erlaubten. Lord Eskdale, auf der anderen Seite, besaß, trotz äußerer Vernachlässigung mancher guter Manieren, eine große Fähigkeit, über weibliche Schwächen hinwegzukommen, und konnte allerhand Frauen, von einer französischen Schauspielerin bis zu einer englischen Herzogin herauf, in so genialer Weise behandeln, daß sie den Zügel ihres Führers kaum verspürten. Wenn er auf dem Lande war, so verging fast keine Woche, in der er nicht einen langen Brief mit Fragen über allerlei Schwierigkeiten von den Montacutes erhielt, in dem er außerdem gebeten wurde, ihnen doch möglichst schnelle Antwort zu erteilen. Der Lord, der gegen Briefschreiben und besonders gegen lange Briefe eine große Aversion hatte, pflegte zu antworten, daß er in ein bis zwei Tagen auf Montacute vorsprechen und alles mit ihnen bereden würde.

In der Tat gab es nichts Amüsanteres in der Welt, als Lord Eskdale, mit dem Rücken gegen das Feuer, zwischen Herzog und Herzogin stehen zu sehen und zu bemerken, wie er die verschiedenen Aussagen der beiden mit einer unerschütterlichen Ruhe, die eine Art Mittelding zwischen der Würde eines türkischen Paschas und dem Benehmen eines englischen Jockeys war, aufnahm. Die Darstellung Seiner Durchlaucht des Herzogs war stets ernst, ruhig und ohne Übertreibung, dazwischen fielen die etwas entschiedeneren Ansichten und bedeutend leidenschaftlicheren Unterbrechungen seiner Frau, die manchmal der Meinung war, ihr Gemahl nehme die Sache zu leicht oder richte sich zu wenig nach ihren eigenen Ansichten. Lord Eskdale ließ dann gewöhnlich seine beiden Klienten bis zur Erschöpfung sich aussprechen, faßte die ganze Geschichte in drei oder vier prägnanten Sätzen zusammen und löste mit einem kurzen Urteilsspruch sämtliche Schwierigkeiten. In allen weltlichen Dingen betrachtete Lord Eskdale seine beiden Verwandten, deren Tüchtigkeit er schätzte und deren Bildung der seinigen überlegen war, als reine Kinder und behandelte sie dementsprechend – aber er war ihnen auf der anderen Seite treu ergeben, und die aufrichtige Ergebenheit eines solchen Charakters ist oftmals mehr wert, als die leidenschaftliche Hingabe eines andern. Die letzte große häusliche Schwierigkeit auf Montacute war die Affäre mit den Köchen gewesen. Lord Eskdale hatte die Sache auf sich genommen, er hatte an Daubuz geschrieben und Leander und seine Mitköche auf das Schloß geschickt, um dem nördlichen Gaumen einen kulinarischen Genuß und eine gleichzeitige Geschmacksbelehrung angedeihen zu lassen.

Lord Valentine und seine hochadligen Eltern mit ihrer Tochter, Lady Florentina, einer berühmten Reiterin und Sportsdame, waren ebenfalls eingetroffen. Die Gräfin, die ehemals eine ebenso schöne als geistreiche Dame gewesen und die jetzt nur noch geistreich war, war die fashionabelste Dame der ganzen Gesellschaft, obgleich diese mehrere Mitglieder aufzuweisen hatte, die ihr gleich oder an Rang auch überlegen waren. Ihr Benehmen war sehr liebenswürdig, wenn auch nicht ganz frei von einer Art Herablassung, und wenn sie mit jemandem sprach, hatte sie ein sehr gewinnendes, wenn auch etwas zu beständiges Lächeln. Wenn sie dann allein mit ihrem Gatten war, zuckte sie die Achseln und behauptete, es sei eine wahre »Erfrischung«, daß Lord Eskdale hier wäre, so daß man sich doch mit irgend jemandem unterhalten könnte. Das sei doch wenigstens ein Mensch – wie anders hingegen seien Lord und Lady Mountjoy, die sie zeit ihres Lebens gemieden hätte, diese unglücklichen Menschen, die in einem »unmöglichen« Square wohnten und alle Welt zu sich ins Haus einluden; und außerdem sei Lord Mountjoy vulgär und lache zu laut und Lady Mountjoy rede einen unglaublicherweise immer mit »meine Liebe« an und zeigte dabei zuviel von ihren Zähnen. Nicht viel bessere Leute seien der Hon. und Rev. Montacute Mountjoy, der ebenfalls mit Lady Eleanor, vier Töchtern und zwei Söhnen eingeladen worden war, um der Majorenn-Erklärung des zukünftigen Chefs ihres Hauses beizuwohnen. Die Gräfin hatte, wie sie sich ausdrückte, »einen direkten Widerwillen gegen diese Mountjoys und diese Montacute Mountjoys«, und was diesen Widerwillen noch vermehrte, war die Tatsache, daß Lord Valentine permanent mit den jungen Damen der Montacute Mountjoys flirtete.

Auch an dem Herzog und der Herzogin von Clanronald konnte die Gräfin keine passende Gesellschaft finden, und zwar, wie sie ihrem Gatten auseinandersetzte, weil diese nicht englisch und die Gräfin hinwiederum nicht den schottischen Dialekt sprechen konnte. Außerdem war der Bischof der Diözese anwesend, ein zahnloser und toleranter Mann, der den innigsten Wunsch hegte, mit allen Sekten auf gutem Fuße zu stehen, vorausgesetzt, daß sie nur regelmäßig ihre Kirchensteuern entrichteten. Außer diesem Herrn war noch ein anderer, weit tatkräftigerer und bekannterer Bischof anwesend, unter dessen Beihilfe der Erbe von Bellamont einst in die Gemeinschaft der christlichen Kirche aufgenommen und durch dessen Handauflegung er in ihr konfirmiert worden war. Seine Lordschaft, der Bischof, der über eine große Autorität bei der Herzogin verfügte, war besonders zu diesem interessanten Feste eingeladen worden, an dem das Baby, an dem er einst die Taufe vollzogen und das Kind, über das er am Altar einst den Segen gesprochen, öffentlich für reif erklärt wurde, die Pflichten und Verantwortlichkeit eines Mannes auf sich zu nehmen. Aber die Gräfin, die im allgemeinen Bischöfen nicht abgeneigt war, wünschte sie, wie sie ihrem Gatten erzählte, nur »in gewisser Distanz« zu sehen. Was das eigentlich bedeutete, darüber gab sie nichts Näheres an, wahrscheinlich meinte sie, daß sie in ihren Palästen oder im House of Lords bleiben sollten.

Auch mit der Gesellschaft des Marquis und der Marquise von Hampshire konnte sich die gute Gräfin kaum zufrieden geben; denn Seine Lordschaft hatte sein Lebenlang nichts anderes gemacht, als sich zum Präsidenten literarischer und wissenschaftlicher Vereinigungen wählen zu lassen und sich dabei den Ruf erworben, daß er ebensogut den Vorsitz in der Royal Society führen, als ein neues technisches Institut in der benachbarten Kreisstadt mit einer passenden Rede eröffnen könne. Lady Hampshire war eine ständige Patientin – deren Krankheit, trotzdem sie ihren Freunden in liberalster Weise ausführliche Aufklärungen darüber zu geben gewohnt war, dennoch etwas Mysteriöses an sich hatte. Dabei zeichnete sie sich durch einen lebhaften, starken, wenn auch wandlungsfähigen Glauben aus, wie ihn in derselben Art wohl kaum irgend eine begeisterte Anhängerin irgend einer Religion je gehabt hat. Jedes Jahr glaubte sie nämlich an einen anderen Arzt und verkündete, daß sie durch ihn demnächst endgültig geheilt sein würde. Aber kaum war der Heilige kanonisiert, als seine Anrechte auf die ewige Glückseligkeit auch schon wieder bestritten wurden. Das eine Jahr verließ Lady Hampshire überhaupt nicht ihren Wohnsitz Beamington, im nächsten gelang es ihr, die minimalen Dosen Hahnemanns mit den kolossalen Zerstreuungen der Metropole auf das Glücklichste zu verbinden. Momentan war ihr Hauptthema die Wasserkur. Lady Hampshire wollte sofort nach ihrer Visite auf Montacute damit beginnen, und bedauerte mit einer Stimme, die den unechten Enthusiasmus nur zu sehr verriet, alle jene Leute, denen es nicht vergönnt war, zwischen feuchten Laken schlafen zu können.

Mit den Mitgliedern der Grafschaft, ihren Frauen und Töchtern, mit den Hungerfords und Ildertons, mit Sir Russel Malpas oder sogar mit Lord Hull, einem irischen Peer mit englischen Besitzungen und gleichzeitigem Parlamentsmitgliede für einen der Grafschaftssitze, war es nicht viel besser bestellt. Lord Hull, der ein Junggeselle war und zwanzigtausend Pfund jährlich hatte, wäre auch nicht zu alt für Florentina gewesen, wenn er nur etwas mehr sich in Gesellschaft bewegt, sich dort einige Manieren angeeignet hätte und dabei jene eigentümliche Vulgarität des Teints wie des Benehmens losgeworden wäre, die einmal die ständige Begleiterscheinung provinzialer Lebensführung zu sein scheinen. Fünfundvierzig oder achtundvierzig Jahre hätten für einen Mann gar nichts gemacht, wenn er nicht zu früh aufzustehen und zu früh zu Bett zu gehen sich angewöhnt hätte, wenn er sich vom richtigen Schneider hätte kleiden lassen und sich durch frühzeitigen Verkehr mit Frauen jene Gewandtheit der Manieren und Leichtigkeit der Konversation erworben haben würde, die man eben nur in einer weiblichen Schule lernen kann. Aber so war Lord Hull zu einem Manne mit einem roten Gesichte und grauem Kopfe geworden, zu einem Mann, dem eine nachlässige Lebensweise und das egoistische Sichgehenlassen des Provinzlebens schon zu einer schwerfälligen Figur verholfen hatte, der sich auch wie ein Groom anzog und beim Diner in schweigsamstem Stoizismus neben Lady Hampshire saß, die übrigens trotz ihrer Krankheit die Gabe hatte, ihre Tischnachbarn, und sei es auch nur durch Fragen, zum Sprechen zu bringen. Die Gräfin musterte Lord Hull durch ihre Lorgnette mit einer Art neugierigen Bedauerns, daß eine so gute Familie und solch bedeutendes Vermögen ein so trauriges Ende nehmen mußten. Wäre er nur auf etwas zivilisiertere Art erzogen worden, hätte er nur sechs Monate im Jahre in Mayfair verlebt, den Karneval in Paris mitgemacht, ausschließlich in Schottland gejagt und hin und wieder einen deutschen Badeort besucht – so würde sich selbst aus einem Lord Hull etwas haben machen lassen. Sein Haar hätte, wenn richtig behandelt, nicht so grau zu sein brauchen; sein Teint würde nicht diese kompromittierende Röte aufzuweisen haben und seine Hände hätten nicht Gelegenheit finden können, sich bis zu dieser Plumpheit auszuwachsen.

Welch eine Gesellschaft, in der man dazu veranlaßt wurde, selbst über das eventuelle Schicksal eines Lord Hull zu spekulieren! In dieser Gesellschaft gab es nicht einen einzigen jungen Mann, wenigstens keinen jungen Mann, von dem man je etwas gehört hatte, ausgenommen ihren Sohn, und der kam natürlich nicht in Betracht. Der Herzog von Bellamont kannte keine jungen Leute, denn er gehörte nicht einmal einem Klub an; die Herzogin von Bellamont kannte keine jungen Leute, denn sie gab nie eine Abendgesellschaft und ging selber auch zu keiner. Und was die jungen Leute aus der Grafschaft betraf, die jungen Hungerfords und die jungen Ildertons, so gehörten die besten von ihnen doch nur auf die Stufe der gewöhnlichen Londoner. Einige von ihnen, das war wohl möglich, hätten es vielleicht durch allerlei Tricks fertig gebracht, bei gewissen großen Empfängen sich auch in die überfüllten Salons der Gräfin einzuschmuggeln, aber konnte man darum vergessen, was sie wirklich wert waren? Sie wußte wohl, daß sie zwischen achthundert oder höchstens dreitausend Pfund das Jahr rangierten. Das war weit entfernt von jener Summe, mit der man eine Lady Florentina sich erwerben konnte!

Auf dem Schlosse waren außerdem noch viele andere Gäste, einige sogar recht angesehene, obwohl sie nicht zu der Klasse gehörten, für die sich die wählerische Mutter Lord Valentines ausschließlich interessierte. Täglich setzten sich in dem prachtvollen Speisesaal von Montacute Castle zwischen Pyramiden goldenen Geschirrs und den Meisterwerken Leanders wohl sechzig Personen zu Tische – aber unter allen diesen Gästen war nicht ein einziger, der nicht eine der beiden Qualifikationen aufzuweisen hatte: nämlich entweder ein Verwandter des Herzogs von Bellamont oder ein Grundbesitzer in der Grafschaft zu sein.

Aber der große Festtag hat kaum begonnen und wir dürfen nicht vorgreifen.


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